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Die Gartenlaube (1862)/Heft 43

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1862
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[673]
Blut um Blut
Eine oberbairische Geschichte.
Von Hermann Schmid.
(Schluß).


Das Wirthshaus lag am Flüßchen, welches das Dorf durchströmte, an demselben eine Wendung machte, und deshalb langsam und tief an dem Baumgarten vorüberzog, der sich an die Rückseite anschloß. Das Wasser stand beinahe still und sah sich wie ein dunkelgrüner Weiher an, von dessen Grund allerlei Wasserpflanzen emporstiegen, wie Schlingen und Netze, welche sicher versprachen, ein Opfer, das ihnen verfallen, zu umstricken und nicht mehr los zu lassen. Dahin war Annemarie geeilt, um dem Lärmen und Drängen zu entkommen, und sah nun, an einen Weidenstamm gelehnt, durch die hangenden fahlen Zweige in die dunkle ungewisse Tiefe nieder. Es wandelte sie an, sich hinabzustürzen, wie schon oft seit dem Tode des Bruders der Gedanke des Selbstmords in ihr aufgestiegen war. Ihre Aufgabe, Rache zu nehmen für Adrian’s schuldloses Blut, war erfüllt; die Menschen waren ihr verhaßt oder gleichgültig, wie das Leben, von welchem sie nichts mehr forderte oder hoffte. Dennoch war der Gedanke nie zum Entschlusse gereift; ein Rest kindlichen Gefühls gegen den alten hülflosen Vater, dem sie den Sohn geraubt hatte, hielt sie immer davon zurück.

Dazu kam, daß sie sich auch durch das an Melcher gegebene Versprechen gebunden fühlte und es für unehrlich hielt, ihm untreu zu werden. Die stärkste Triebfeder aber, die sie an’s Leben band, war die Liebe zu Adrian und der Glaube, im Jenseits mit ihm zusammen zu treffen. Diese Wiedervereinigung war ihr einziger Wunsch, ihr ganzer Trost, die Gewißheit derselben der kostbarste Juwel ihrer Religion. Adrian war, daran zweifelte sie nicht, längst bei den Auserwählten und Seligen Gottes; eine so reine Seele, wie die seinige, mußte „vom Mund auf in den Himmel gekommen sein.“ Auch sie hoffte dort Eingang zu finden und bebte nicht vor dem Richterstuhle des Ewigen zu erscheinen; hatte sie doch nichts Anderes gethan, als eines seiner furchtbaren Gebote vollzogen – aber mit der Schuld des Selbstmords beladen, auf welchen die Kirche einen ihrer schwersten Flüche wirft, sich in die Ewigkeit zu drängen, das wagte sie nicht … sie hätte sich dadurch selbst zur ewigen Pein verdammt und vom Himmel ausgeschlossen, in welchem Adrian wohnte … darum mußte sie dulden, darum hatte sie das Leben bis zu dem heutigen Tage getragen und wollte es auch ferner.

Entschlossen wandte sie sich von der lockenden Tiefe ab, als fern die Stimmen von suchenden Gästen hörbar wurden, und floh dem Wirthshause zu.

Es war ihr willkommen, daß der Vater darauf drang, daß man nicht, dem allgemeinen Brauche nach, bis zum Abend bleiben sollte; der Alte war in einer fast fieberartigen Aufregung, die theils auf Rechnung seiner unverkennbaren Trunkenheit kommen mochte, theils ein Zeichen seiner Krankheit war, deren Wiederkehr sich beängstigend ankündete. Melcher wollte nicht widersprechen; auch ihn drückte der Zwang, den man vor so vielen Zeugen sich anthun mußte, um in hochzeitlich freudiger Stimmung zu sein. So flog denn bald das bäurisch prächtige Gespann mit den Bewohnern des Stürzerhofes dahin, während auf den Stufen des Hauses Wirth und Wirthin ihre Abschiedsbücklinge machten, die Gäste aus den Fenstern mit Hüten und Gläsern winkten und Vivat schrieen, und die Musikanten mit Trompeten, Baßgeigen und Clarinetten bis auf die Straße herabgekommen waren und den Abfahrenden nachbliesen und nachschmetterten.

Die Gesellschaft war schweigsam und hing ihren Gedanken nach; nur der Alte ließ zeitweise seiner überreizten Munterkeit die Zügel schießen. Er juchzte und sang und rief dazwischen: „Fahrt zu! Das Hauptfest kommt erst noch – das Hauptfest hab’ ich mir auf daheim verspart!“

Was er damit meinte, war klar, als der Wagen nach kurzer Fahrt auf dem Stürzerhofe anlangte; schon am Thore standen ein paar Zimmergesellen in weißen Hemdärmeln, braunen Schurzfellen und mit blanken Aexten, wie zu einem festlichen Aufzuge herausgeputzt. Der alte Bauer hatte sie bestellt, denn vor dem Paare, welches als Herr und Eigenthümer in den ganzen Hof einzog, sollten die Schranken fallen, die ihn so lange in zwei feindliche Hälften geschieden. Es hatte nicht wenig Mühe und Zeit gekostet, bis der Alte dies einzige und höchste Ziel seines Strebens erreicht hatte; namentlich nach dem Tode Sepp’s war es schwierig geworden, es zu verfolgen, denn man mußte das Geld der Braut zurückzahlen, und das konnte wieder nur dadurch aufgewogen werden, daß Annemarie jetzt Alleinerbin war und daß Melcher’s Verwandtschaft ein Uebriges that, ihm die Ankunft auf einem so stattlichen Anwesen möglich zumachen. „Haut zu, Zimmerleut!“ rief er, „haut das Gelump’ zusammen, daß es kracht – der Stürzerhof ist wieder ganz! Der Stürzerhof ist unser!“

Im Augenblick schallten die Axtschläge, und die Breterwand stürzte prasselnd nieder, welche das Fletz des Hauses getrennt hielt. Annemarie war in ihre Kammer getreten, den Brautstaat abzulegen; Melcher stand neben dem Alten, der jubilirend dem Einstürzen zusah. Jetzt waren die letzten Breter beseitigt, und durch die hintere Thür des Hauses übersah man Hofraum und Garten, wo die Zimmergesellen sich eben lachend daran machten, die Planke in der Mitte niederzuschlagen. „Haut zu,“ rief er immer wieder, [674] „das ist eine Tanzmusik, wie sie mir gefällt! Juchhe, wie die Breter springen … die Freud’ hat mich gesund gemacht! Das Drücken da auf der Brust, mitten in der Herzgruben ist weg! … Aber nein,“ fuhr er ängstlich fort, indem er mit beiden Händen nach der leidenden Stelle faßte … „da kommt’s wahrhaftig wieder … und viel stärker wie sonst… . Heiliges Blut Christi, was ist das? … Mir wird ja auf einmal ganz schwarz vor den Augen … Hilf mir, Mirl, hilf … ich glaub’, ich bin blind …“ Die Tochter war rasch herbeigeeilt und geleitete den Jammernden in die Stube, wo er kraftlos in den Lehnstuhl zusammenbrach. „Hilf mir,“ rief er immer kläglicher, „das Ueberrheiner-Bübel ist da und will mir in die Augen greifen! … Ich seh’ nichts mehr, Mirl … Alles ist schwarz … ich bin blind …“

Vom Garten dröhnten die Beilhiebe und krachten die stürzenden Breter.

„Was ist das für ein Krachen?“ stöhnte der Alte. „Sie sollen aufhören mit dem Schießen! Es geht mir in die Augen … es wird immer schwärzer … Blut Christi, nur nit blind werden … nur nit blind werden …“

Aechzend sank er in den Stuhl zurück; es war nicht die Blindheit, was sich über ihn lagerte – die Nacht des Todes umhüllte seine Augen. Er röchelte noch und streckte sich, als von draußen die letzten Axtschläge ertönten; der Stürzerhof war vereinigt, aber das starre Herz seines Besitzers war gebrochen.

– Waren die Verhältnisse der Bewohner des Guts schon vorher feindselig und unangenehm, so gestalteten sie sich noch unheimlicher durch den Tod des Alten; trotz aller Härte war er doch eine Art Mittelpunkt gewesen, der die widerstrebenden Elemente vereinigte. Ein gemeinsames inneres Band zwischen dem Ehepaare hatte nie bestanden; nun war auch das letzte äußere zerrissen, und Annemarie lag wie zuvor freudlos und wortlos, aber unermüdet den Geschäften des Hauses ob, unbekümmert um Melcher, wie zu jener Zeit, als er noch der Knecht, nicht der Herr desselben gewesen war. Dieser besorgte die große Feld- und Viehwirthschaft, die ihn auch den Tag über vollauf in Anspruch nahm; nur das Mittagessen, zu dem sich auch die Dienstboten versammelten, führte das sonderbare Ehepaar zusammen. Außerdem vermied Annemarie jede Annäherung und wußte jedem Alleinsein auszuweichen. Einmal versuchte Melcher, sie zu beschleichen, als sie Nachmittags in der Wohnstube beschäftigt und Niemand im Hause war. Er trat leise hinter sie, die in Gedanken versunken dastand, und legte ihr die Hand auf die Schulter; was er dazu sagen wollte, kam nicht über seinen Mund, so schnell, mit so unverkennbarem Ausdruck des Schreckens und des Schauders hatte sie seine Hand fortgeschleudert und war beiseite gesprungen. „Komm mir nit in die Näh’!“ rief sie. „Rühr’ mich nit an mit Deiner blutigen Hand!“

„Wenn sie blutig ist,“ sagte Melcher wild, „hast nit Deinen Theil daran? Wer hat’s so gewollt, als Du?“

„Ich hab’ nichts gewollt, als Vergeltung an dem, der den Adrian ermordet hat,“ erwiderte sie finster … „daß es der Bruder gewesen ist, hab’ ich nit wissen können …“

„Was thut das? Wenn Du’s gewußt, hättest Du dem Bruder dann verziehen? Hättest mir gesagt, daß ich einhalten sollt’?“ „Nein … nein … ich hab’s geschworen, wie’s geschrieben steht – Zahn um Zahn, Aug’ um Auge, Blut um Blut …“

„Was zierst Dich als? hintennach? Ist’s nit ganz dasselbe? – Glaub’ mir, wir gehören zusammen, auch wenn Du mir’s nit versprochen hättest …“ Damit schlang er ihr den Arm um die Hüfte und wollte sie an sich ziehen.

Von Grausen erfaßt versuchte sie, sich los zu machen. „Was ich versprochen hab’,“ rief sie, „hab’ ich schon gehalten … ich bin ja Dein Weib! Damit mußt zufrieden sein … ich hab’ Dir’s vorher gesagt, daß ich keinen Menschen mehr gern haben kann …“

„Das will ich doch sehen,“ entgegnete Melcher, „und wenn ich Dich zwingen müßt’, daß Du mir in den Händen zerbrichst! Glaubst, man giebt so leicht auf, nach was man getrachtet hat seiner Lebtag? für was man thut, was ich gethan hab’?“

Sie rang mit ihm mit erliegender Kraft, denn Melcher war ihr an Stärke überlegen; sie hatte seine rechte Hand gefaßt und hielt sie als letzte Abwehr über dem Gelenke fest – diese Bewegung und dieser Druck übten auf ihn eine überraschende Wirkung aus. Er zuckte zusammen, ward bleich bis in die Lippen hinein und wankte, Annemarie loslassend, fast wie taumelnd aus der Stube, daß sie ihm verwundert nachsah. Seit diesem Augenblick wagte er sich nicht mehr an sie, sondern hielt sich in scheuer Entfernung, sie umschleichend, wie ein eingekerkertes Raubthier, das lauernd seine Beute durch die Gitterstäbe betrachtet, die es einmal im günstigen Augenblick zu durchbrechen hofft. Darüber kam der Spätherbst heran, aber nicht mild und allmählich, wie im vorigen Jahre, sondern rauh und streng mit raschem Blätterfall und frühem Frost; der Herbst ähnelte schon dem Winter, der im Innern des Stürzerhofs hauste, wie in der schaurigen Zone Grönlands, wo kein erwärmender und belebender Sonnenstrahl die Erstarrung der monatelangen Nacht durchbricht.

Eine unerwartete Aenderung trat ein, als Annemarie Nachricht von Adrian’s Familie erhielt. Der Alte, dem Land und Gegend verleidet war, hatte eine Reise nach der Pfalz gemacht, um sich in der alten Heimath nach einem neuen Wohnsitz umzusehen.

Der blinde Knabe war in der Pflege des Arztes zurückgeblieben, denn seine Verwundung, die außer dem Verluste der Augen zuerst nur unbedenklich geschienen, hatte innerlich so bedenkliche Zufälle zur Folge, daß das Schlimmste zu befürchten war. Der Knabe siechte und welkte zusehends dahin und drohte in einem unbeachteten Augenblick zu verlöschen, wie ein Lämpchen, dem das Oel gebricht. Da kam über den Rhein her die Botschaft, der alte Pfälzer habe sich dort einen neuen bleibenden Wohnsitz ausgesucht und das müde gottergebene Haupt zur ewigen Ruhe niedergelegt. Als Annemarie das erfuhr, ließ sie anspannen und kam Abends mit’ Davidle zurück, der ihr mit Jubel gefolgt war; hatte er doch beim ersten Laut, als sie in die Stube trat, die Stimme Ameile’s, seiner zärtlichen Pflegerin, wieder erkannt. Sie theilte die Stube mit dem armen Kinde, und wie dieses in ihrer Nähe neu aufzuleben schien, ging auch ihr in dem Wiederbeginn der alten Thätigkeit für den Liebling der Wiederschein einer kurzen, aber seligen Zeit auf. Sie unterzog sich der Wartung mit aller zurückgehaltenen Leidenschaft ihres Gemüths und achtete nicht auf Melcher, der die Anwesenheit des Blinden mit unverhehltem verbissenen Grimm ertrug. Er wagte jedoch, mit Annemarie’s entschiedenem Wesen vertraut, keinen Widerspruch; es war nur eine Scheidewand mehr zwischen ihm und seinen Wünschen. Er wich seinem Weibe und den Knaben wie ängstlich aus und begann seine Abende außer dem Hause zuzubringen. Ein einzelnstehendes Wirthshaus, das unfern an der Kreuzung mehrerer Straßen stand, bot ihm bequeme Gelegenheit zur Zerstreuung, denn es verging selten ein Tag, an welchem nicht Fuhrleute oder Handwerksgesellen dort Nachtherberge suchten und bei Gesang, Trunk und Kartenspiel die langen Abende zu verkürzen trachteten. Während Annemarie in der einsamen Kammer des einsamen Hofes dem Geplauder des kranken Knaben zuhörte und mit schmerzlichem Entzücken die Stimme einsog, aus welcher ihr Adrian’s Ton entgegenklang, saß Melcher in der wüsten Gesellschaft, manchmal in ihr Toben einstimmend, öfter in finsteres Brüten und unheimliche Entschlüsse versunken. Wußte er auch nicht, wie er es erreichen sollte, das Eine stand fest vor ihm, Annemarie mußte ganz die Seine werden, der Blinde mußte fort, und er allein wollte der Herr im Hause sein.

Eines Abends kam er früher als gewöhnlich ziemlich betrunken nach Hause und gewahrte, daß aus der Wohnstube noch Lichtschein auf den Hausplatz fiel. Vorsichtig sah er durch das Guckfenster und erblickte den Knaben, der in der Ecke hinter dem großen Tische in Kissen lehnte, vor sich eine bunte Menge von wintergrünem Buchslaub und kunstlos aus Papier gefertigten Blutnelken, in denen er wohlgefällig herumtastete. Der Jahrestag von Adrian’s Tod war nahe; der Lauscher errieth unschwer die Bestimmung des Kranzes, der unvollendet auf dem Tische lag. Er betrachtete den Kranz und den bleichen Knaben, der fast das Aussehen eines Todten hatte. „Das Bübel ist so elend,“ murmelte er, „daß es völlig ein gutes Werk wär’, wenn man es von seinem Leiden erlöst … ein Druck an die Gurgel müßt’ ihm den Garaus machen, ohne daß man was merken könnt’ … ich kann’s dem Geripp nit vergessen, wie es mich herumgezerrt hat …“ Schweigend lauschte er noch eine Weile, ob Annemarie nicht in der Nähe sei; er hörte sie im obern Stockwerk hin und wieder gehen und in Schränken suchen. Behutsam öffnete er die Thüre und trat ein.

Dem scharfen Ohre des Blinden entging auch das leise Geräusch nicht.

„Bist Du’s, Ameile?“ fragte er.

Melcher schwieg; mit angehaltenem Athem und behutsamen Schritten stand er am Tische und streckte den Arm nach der Kehle [675] des Knaben. Der Blinde aber, erschreckt, als er auf seine Frage keine Antwort erhielt, fühlte und ahnte dennoch, daß etwas Unheimliches in seiner Nähe sei. Instinctmäßig griff er vor sich hin und faßte Melcher’s Hand, gerade über der Verderben drohenden Faust. Melcher zuckte zusammen – gerade so hatte ihn der Blinde an Adrian’s Leiche gehalten; er schleuderte dessen Hand zurück, denn auf den entsetzten Schrei des Knaben ließen sich von oben Annemarie’s heraneilende Tritte hören.

Der ganze Vorfall war das Werk eines Augenblicks gewesen.

„Was ist Dir, Davidle?“ rief die Bäuerin, die gleich beim Eintreten den Schrecken und die Aufregung des Kindes bemerkte.

„Was hast Du?“

Der Knabe schmiegte sich zitternd an sie und schlang ihr die Hände um den Hals. „Du bist’s, Ameile!“ rief er. „Ich bitt’ Dich, geh’ nicht mehr fort von mir … er ist wieder dagewesen.“

„Wer?“ fragte die Frau erstaunt.

„Der Mann, der meinen Adrian erschossen hat … er ist dagewesen … er will mich auch umbringen …“ ächzte das Kind.

„Das bild’st Du Dir ein, Davidle,“ begütigte sie, „Du bist halt krank – der Unglückselige – der das gethan hat, kommt nicht wieder!“

„Nein, nein, Ameile,“ rief der Knabe wieder, „er war da! Er ist’s gewesen – ich kenn’ ihn ganz genau!“

„Du kennst ihn?“ schrie Annemarie auf, und ein Schauder überflog sie. „Ist es nicht derjenige, dem Du das Stück vom Janker gerissen?“

„Derselbe,“ flüsterte der Knabe, sich enger an sie anschmiegend … „ich will es Dir sagen, aber ganz still, damit er es nicht etwa hört und wieder kommt … Er ist es gewesen, Ameile, ich weiß es ganz gewiß, denn ich habe ihn wieder an der Hand gehalten, wie damals … siehst Du, gerade hier über dem Gelenk … Da hab’ ich etwas unter meinen Fingern gefühlt, wie eine Narbe, oder wie ein Ueberbein … und doch war’s wieder nicht so, denn es zuckte und bäumte und bewegte sich, wie eine Natter, die man gefangen hat …“

„Weiter, weiter!“ drängte Annemarie.

„Wie Du vorhin fort warst, Ameile, da ging ganz leise die Thür’ auf, und der Mann kam herein und auf mich los und streckte den Arm nach mir aus … ich hab’ es gehört und gespürt, und in meiner Angst hab’ ich vor mich hin gegriffen und hab’ ihn am Handgelenk’ erfaßt, wie damals den Mörder … da hab’ ich die Narbe wieder gespürt und die Fiber, die sich wie eine Natter strecke und wand …“

Annemarie bebte, ihre Augen rollten und ihr Athem flog.

„Es kann nit anders sein, Davidle,“ sagte sie, „Du hast geschlafen, und da hat Dir das Alles geträumt. …“

„Nein, Ameile, ich bin wach gewesen … so munter wie jetzt …“

„Dann laß es gut sein; bet’ ein Vaterunser, daß Du vor bösen Anmuthungen Ruh’ hast … Sag’ keinem Menschen ein Wort; ich will unter der Hand nachforschen!“

Sie brachte den Knaben zu Bett; sie selber konnte an keine Ruhe denken und eilte in fieberischer Aufregung hin und wieder. Es war kein Zweifel möglich an der klaren und bestimmten Aussage des Knaben; wer konnte es also sein, der sich in die Stube geschlichen hatte und dessen Hand das verhängnißvolle Erkennungszeichen trug? Das Haus war geschlossen und wohl verwahrt; ein Fremder hätte nicht einzudringen vermocht, es mußte also einer der Hausgenossen sein. An die Knechte war nicht zu denken, sie waren alle fremd und erst kurze Zeit in der Gegend, denn seit den traurigen und geheimnißvollen Begebenheiten, die sich in seiner Nähe zutrugen, war der Stürzerhof in Verruf gekommen, und nur Bursche aus ferner liegenden Orten ließen sich herbei, dort in Dienst zu treten. Der Verdacht konnte nur auf Melcher fallen – aber hatte er nicht die unwiderleglichsten Beweise gebracht, wer Adrian’s Mörder gewesen? Hatte er sich nicht selbst hergegeben zum Werkzeug der Rache für den Mord? Und dennoch – wer das vermochte, war er nicht auch im Stande, eine noch grausigere That zu begehen? Annemarie mußte Gewißheit darüber haben, und das so bald als möglich – aber wie war dieselbe zu erlangen?

Sie hatte das Licht ergriffen, um zu Melcher zu eilen, sie wollte ihm die ganze Last der Beschuldigung auf einmal in’s Gesicht schleudern, wollte von seiner Bestürzung das unfreiwillige Geständniß erhaschen – aber sie stand auf halbem Wege still. War der Argwohn wirklich begründet, dann war Melcher ein Scheusal, wie die weite Erde kein zweites trug, dann war von ihm nicht zu erwarten, daß eine menschliche Regung ihn zum Verräther an sich selbst machen werde.

Im Umwenden fiel ihr Blick auf Melcher’s Thüre; sie war nur angelehnt.

Annemarie öffnete und warf einen Blick hinein; von Trunkenheit und tiefem Schlafe gebunden, lag der Bauer halb ausgekleidet auf dem Lager.

Er regte sich, als der Lichtschein auf ihn fiel, und murmelte unverständliche Worte, aber er erwachte nicht; nur eine dunkle, traumartige Vorstellung tauchte in ihm auf.

Wie ein Schatten huschte Annemarie näher; sie hoffte zu verstehen, was er murmelte; da machte der Schlafende wieder eine unruhige Bewegung, sein rechter Arm glitt von der Decke und hing schlaff über das Bettgestell herab.

Ueber dem Handgelenke war eine weiße Narbe sichtbar; vermuthlich hatte Melcher sich einmal bei der Arbeit verletzt; Sense oder Schnitzmesser schien tief eingedrungen zu sein und einen Theil der Sehne durchschnitten zu haben …

Ein Gedanke durchzuckte Annemarie und war ebenso schnell ausgeführt; sie hatte die Hand über’m Gelenke gefaßt und hielt sie fest. Selbst die Möglichkeit des Erwachens schreckte sie nicht zurück – sie wollte Gewißheit haben.

Melcher erwachte nicht; der starke Körper erbebte und rang, sich von dem doppelten Banne zu befreien, der auf ihm lag – es gelang nicht; stöhnend wand und wälzte er sich auf dem Lager und strebte, seine Rechte zu befreien.

Annemarie hielt noch fester … ein eisiger Schauer drang ihr zum Herzen, denn unter dem Drucke ihrer Finger fühlte sie es sich regen, wie der Blinde beschrieben hatte – das zerschnittene Stück der Sehne zuckte und schien sich wie ein selbständiges Leben zu bäumen. Der Schlafende wurde unruhiger und stöhnte und lallte: „Verdammter Blinder … laß los! Es ist nicht wahr! … Was willst Du mit dem Fetzen… ich hab’ nicht meinen Janker angehabt …“

Mit einem Aufschrei des Einsetzens stürzte Annemarie aus dem Gemach.

Die Nacht verging in Verzweiflung; der Morgen fand sie in trostlosem Jammer auf ihrem Lager sitzen. So klar, so unerbittlich hell, wie der Morgenstrahl, dessen Lichter blutroth durch die kleinen Scheiben glitzerten, stand Alles vor ihrer Seele! Adrian war von Melcher’s Hand gefallen; er hatte ihn bei Seite geräumt, weil er ihr bei seiner Bewerbung um ihre Gunst im Wege gestanden. Sie gedachte der drohenden Worte, die er an jenem Abend zum Fenster hereingerufen; sie begriff nicht mehr, warum sie dieselben vergessen, warum sie nicht sogleich auf ihn gedacht, ihn allein beschuldigt hatte! Um sie zu erringen, hatte er die Schuld auf Sepp gewälzt, vielleicht um zugleich einen Mitwisser zu beseitigen … mit unsäglicher Wehmuth gedachte sie, wie der Bruder trotz aller Rauhheit und ungeachtet seines Hasses gegen die Ueberrheiner doch ein so gutes Herz gehabt … ein Herz, das niemals, wie sie verzweifelnd erkannte, einer solchen That fähig gewesen! Adrian’s Blut war also ungerächt – sie selbst hatte furchtbare Blutschuld auf sich geladen … durch unerhörten Betrug war sie das Weib dessen, dem ihre volle Rache gelten sollte! – Vor ihr lag Adrian’s Bibel neben dem ausgebrannten Wachsstock; die Blätter leuchteten und die Buchstaben brannten – aufstehend schlug sie das Buch zu und erhob sich entschlossen, ihr gewohntes Tagwerk zu beginnen.

Kalt und finster wie bisher schritt sie in Haus und Hof hin und wieder; ihr Benehmen gegen Melcher war dasselbe, während er sie scheu betrachtete; ein dunkles Gefühl des Geschehenen lastete auf ihm, wie die verworrene Erinnerung eines Traums.

So kam der Martinstag heran. Die Festgans war unter die Hausgenossen vertheilt und verzehrt; alle entfernten sich nach dem gemeinsamen Tischgebet, und auch Melcher wollte in gewohnter Weise mit kurzem Gruß die Stube verlassen, als ihn Annemarie zurückrief. „Bleib noch einen Augenblick,“ sagte sie, „ich hab’ mit Dir zu reden … ich hab’ eine Bitt’ an Dich.“

„Du an mich?“ rief Melcher, der überrascht stehen geblieben war. „Ich hab’ Dich wohl nit recht verstanden? Du hätt’st eine Bitt’ au mich?“

„Es ist nit anders,“ erwiderte sie. „Du weißt, was heut für ein Tag ist, Du siehst die Kränz’ dort, die ich gebunden hab’. [676] Sie gehören hinaus an das Schauerkreuz bei der großen Eich’ …

Du weißt schon, warum und wohin. Ich möcht’ sie gern selber hinaus tragen, aber ich bin so matt und zerschlagen, daß ich mich kaum rühren kann … ich bitt’ Dich, geh’ statt meiner hinaus und häng’ den Kranz auf an dem Kreuz …“

Melcher sah zu Boden; er konnte Annemarie’s Auge nicht ertragen. „Ich thu’s nit gern,“ sagte er dumpf, und schüttelte einen unwillkürlichen Schauder ab. „Ich geh’ nit gern an den Ort …“

„Warum etwan?“ sagte sie kalt. „Du hast mir bewiesen, daß es der Sepp war, der den Adrian erschossen hat … Du brauchst Dich also nicht zu scheuen, denn es steht geschrieben – Blut um Blut!“

„Blut um Blut,“ flüsterte Melcher vor sich hin, und der Athem stockte ihm in der Brust.

Annemarie schien es nicht zu beachten und fuhr fort: „Geh’ hinaus statt meiner, Melcher, ich bitt’ Dich d’rum … Ich hab’ diese Nacht’ her einen besondern Traum gehabt … das Jahr ist um, seitdem der Adrian … gestorben ist … thu’ mir den Gefallen – dann will ich versuchen, ob ich ihn vergessen kann …“

„Das willst’?“ rief Melcher mit flammenden Augen. „Gieb mir die Kränz’ … ich trag’ sie hinauf zum Schauerkreuz, und wenn der Teufel dort auf mich warten thät …“

„Der wird nit auf Dich warten, Melcher,“ erwiderte Annemarie dumpf, „… aber es ist allemal gut, wenn sich der Mensch gefaßt macht!“

– Am Abend blies es schaurig kalt von Westen her über die Halde mit der alten Eiche und dem Schauerkreuz. Die Sonne brannte dort hinter einem blutrothen Gewölke aus, das wie vor einem Jahre einen Schneesturm für die kommende Nacht verkündete. Das Gebüsche, das den Waldsaum umkränzte, tauchte die entlaubten Zweige in die düstere Gluth, und die winterlichen schwarzen Tannen stiegen darüber wie riesige geheimnißvolle Wächter des unheimlichen Platzes empor. Die Eiche hatte die dünne, leicht gefrorene Schneedecke des Bodens mit ihren Blättern bestreut, die wie dunkle Flecken von dem hellen Grunde sich abhoben; in der Dämmerung verschwimmend streckte das dunkle ernste Kreuz die Arme wie dräuend in den Himmel, und der gekreuzigte Heiland sah vom Stamme auf die Blutstätte mit der Miene des Züchters hernieder.

Melcher kam rüstig und keck herangeschritten und trat, ohne viel umzublicken, auf die Fußbank des Betschemels und hängte den Kranz an ein paar Nägel, zwischen denen ein Stück Draht mit einigen Korallen angebracht war, um dem einsamen Beter statt des Rosenkranzes zu dienen. Der Kranz wollte nicht halten, und Melcher mußte sich über den Schemel beugen, daß er beinahe die Stellung eines Betenden annahm.

In dem dürren Gebüsch raschelte es; er hielt inne und sah verstört um sich: „Dumme Furcht!“ murrte er. „Der Wind rauscht in den Haselstauden – die Todten können nicht wieder kommen … und die Lebendigen wissen von nichts! … So … jetzt hält der Kranz! Jetzt wird doch noch Alles mein, wornach ich getrachtet hab’ … Vergönnt mir’s, Ihr Todten – ich will Euch auch alle Jahr’ selber einen solchen Kranz bringen …“

Im Gebüsch blitzte es auf, ein Knall rollte seinen Wiederhall durch den aufrauschenden Wald … Melcher sprang mit einem grellen Schrei hoch empor, fuhr mit beiden Händen an die durchschossene Brust und schlug schwer zu Boden, die Eiskruste mit seinem heißen Blute überströmend.

Im nämlichen Augenblick war Annemarie aus dem Gesträuch getreten und stand neben ihm, den rauchenden Stutzen in der Hand.

„Du, Mirl?“ stöhnte der Verwundete, indem er sich krampfhatt emporhob. „Du selber …?“

„Ja, ich bin’s –“ erwiderte sie, „ich versteck mich nit und lauf nit davon … die Kugel ist von mir, und wenn ich auch nit so sicher treffen kann, wie Du, Du stehst doch nimmer auf! Muß ich Dir auch sagen, warum ich’s gethan hab’? … Du hast den Adrian erschossen, der Blinde hat Dich verrathen … Du hast gelogen und hast den unschuldigen Sepp zu Deinem Sündenbock gemacht … hast ihn erschossen und hast gewußt, daß er unschuldig ist … der Erdboden hätt’ Dich nit mehr getragen, und ich hab’s geschworen, ich will den Mörder Adrian’s gerade so auf demselbigen Platz in seinem Blut liegen sehen, wie er gelegen ist – und wie Du jetzt liegst. Melcher … jetzt kann kommen, was will, jetzt hab’ ich mein Wort gehalten … und habe Blut um Blut vergossen!“

„Und es soll über Dich kommen!“ ächzte der Sterbende, „mein Blut soll Dich quälen und verfolgen in alle Ewigkeit …“

„Ich will’s erwarten …“

„Nein,“ fuhr er, wie bereuen?, fort, indem er sich in den Schmerzen des Todes wand, „mein Blut soll nit über Dich kommen … es soll über mich kommen mit all’ dem, das ich selber vergossen hab’ … Verzeih’ mir nur – sag’ mir nur Du, daß Du mir verzeihen willst …“

„An meiner Verzeihung ist nichts gelegen,“ sagte sie grollend, „die kannst haben … aber da schau’ hinauf an’s Crucifix und denk’, wie Du da zurecht kommst …“

„Das will ich nit … ich hab’ nie einen andern Gedanken, ein andres Verlangen gehabt, als Dich … ich will jetzt auch keinen andern haben … gieb mir nur Du Deine Hand … an dem, was dort auf mich wartet … kann ich doch nichts mehr ändern …“

Abgewandt und schaudernd reichte sie ihm die Hand.

Er ergriff und hielt sie fest … mit der letzten Kraft hatte inzwischen die andere Hand nach dem Besteckmesser an seiner Seite gesucht – er zückte es, war aber zu schwach, den Stoß zu vollführen. Der Tod streckte ihn; von der erstarrenden Leiche eilte Annemarie durch die Nacht dem Hofe zu und beugte sich in der Kammer über den arglos schlummernden Bruder des Geliebten.

Sie wollte ihn nicht wecken, aber er sollte mindestens geistig erfahren, daß der Bruder gerächt war … sie vermochte es nicht; sie fand keine Worte mehr für ihren Grimm. Die schuldlosen Züge des Kindes lagen, wenn auch etwas entstellt, so rein, so mild und friedlich vor ihr … ein ungeheures Weh durchfuhr ihr auf einmal das schwerbeladene Herz, sie knickte an dem Bette in die Kniee zusammen, und was Zorn und Rache den brennenden Augen nicht zu entpressen vermocht hatten, das gewährte die erste Regung des Schuldbewußtseins und der Reue – die so lang entbehrte, so heiß erbetene Linderung der Thränen. –

– Ungeheuer war das Aufsehen, als die That bekannt wurde: war es doch binnen Jahresfrist der dritte Mord, der an diesem Platze geschehen, unter Umständen, die einen furchtbaren geheimnißvollen Zusammenhang nicht blos ahnen ließen, sondern mit erschütternder Gewißheit voraussetzten. Die Gerichte begannen neuerdings ihre angestrengte offene und geheime Thätigkeit, aber, eingeengt in die Schranken eines förmlichen Verfahrens, ohne Erfolg. Annemarie selbst verweigerte jede Auskunft und hauste einsam und finsterer als zuvor auf dem noch mehr gemiedenen Stürzerhofe. Sie mußte immer mehr mit fremden Dienstboten wirthschaften, und es

Der Kerker unter der Fröschthurm-Mauer zu Nürnberg, mit der eisernen Jungfer
dem Richtsthule und dem Bock oder der Fiebel

[677] war ganz natürlich, daß sie mehr und mehr rückwärts kam. Sie schien es nicht zu bemerken, und wenn auch Gehöft und Felder den Verfall bald deutlich genug zur Schau trugen, hatte doch die Eigenthümerin dafür weder Sinn noch Auge. Sie hatte keine andere Sorge, als das blinde Davidle zu pflegen und dafür zu sorgen, daß kein Spielzeug, das er wünschte, an seinem Bettchen, kein Leckerbissen seinem Tische mangelte.

Es konnte nicht fehlen, daß der Verfall eines so stattlichen Guts die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und daß viel Gerede ging von dem sonderbaren Wesen der Bäuerin, die bald ziemlich unverhohlen für gemüths- oder geisteskrank galt.

Als im Frühjahr die rothen Saatspitzen aus den Schollen brachen, zerfiel auch die gebrechliche Hülle, die den kleinen Blinden noch an die Erde band, und mit seinem Tode zerriß die letzte Verbindung, die Annemarie auf dem väterlichen Gute hielt. Eines Morgens hatte sie dasselbe verlassen und erschien beim Landrichter, um ein Verhör zu verlangen.

Erschüttert vernahm der Beamte den umständlichen Bericht über die blutigen Vorgänge am Schauerkreuz; er konnte sich nicht verhehlen, daß der ganze Bericht das Gepräge einer entsetzlichen Möglichkeit an sich trug, dennoch erschien er ihm unwahrscheinlich, denn die Erzählerin war ohne Zweifel ihrer Sinne nicht mächtig und hatte in ihrem vielfachen Jammer sich die Schreckensgeschichte so zusammengeträumt. Das Gutachten der Aerzte stimmte damit überein, und der Bescheid des Obergerichts schlug die Untersuchung wegen mangelnden Beweises nieder, da außer der unglaubwürdigen Aussage Annemarie’s und bei dem Tode aller Betheiligten kein einziger Anhaltspunkt gegeben war.

Geöffnet.   Die eiserne Jungfer.   Geschlossen.


Annemarie erwiderte kein Wort, als ihr der Beschluß eröffnet und ihr die Entlassung aus der Haft angekündigt wurde, welche bei der Schwere des Verbrechens, dessen sie sich selbst anklagte, über sie zu verhängen gewesen war. Dieser Ausgang diente nur dazu, ihre Ueberzeugung von der Ohnmacht weltlicher Gerechtigkeit noch fester zu begründen – und ihr zu bestätigen, daß sie recht gethan.

Ohne Abschied verließ sie das Gerichtsgebäude, aber sie kam nicht mehr auf den Stürzerhof zurück: sie war vom selbigen Augenblick an verschwunden, und als nach einigen Monaten ein gerichtlich erlassener Aufruf vergeblich geblieben war, glaubte die ganze Gegend, daß sie im Irrsinne ihrem Leben ein Ende gemacht habe und wohl irgendwo die Leiche einmal zum Vorschein kommen werde.

Nur einmal des Nachts glaubte der Meßner, dessen Fenster über die Freithofmauer auf die Gräber gingen, an den Hügeln Adrian’s und seines Bruders eine dunkle Gestalt knieen zu sehen – als er hinüber eilte, war sie verschwunden.

Ein unbestimmtes Gerücht erzählte, die Stürzerbäuerin sei bis über den Rhein und noch weiter fort gewandert, und als barmherzige Schwester in einem Krankenhause gesehen worden.

– Der Stürzerhof wurde auf Antrag der Verwandten lange Jahre von Gerichtswegen verwaltet und dann verkauft. Er fiel einem Zertrümmerer in die Hände, der des alten Stürzer mühvolles und segenloses Werk völlig vernichtete und das Gut in mehrere kleine Besitzthümer zerschlug. Ob damit auch der Wohlstand und der Friede daselbst wieder heimisch geworden, wissen wir nicht; die blutige Vergangenheit, die sich daran knüpft, ist beinahe gänzlich verklungen im Munde des Volks.

Das alte Schauerkreuz ist längst eingestürzt und nicht erneuert worden; am Stamme der unversehrt stehenden alten Eiche aber ist ein Crucifix angebracht und darunter sind drei Kreuze in die Rinde gegraben. Das Plätzchen ist ungemein anmuthig und giebt einen freundlichen Ueberblick über die tannenumkränzte Flur. Kaum wird ein Fußwanderer vorüberziehen, ohne sich in den breiten kühlenden Schatten der Eiche zu setzen und bei ihrem Rauschen vielleicht über die Bedeutung der drei Kreuze zu sinnen.

Er ahnt wohl kaum, daß Blut um Blut auf der grünen Moosdecke geflossen, von der ihm das Haidekraut entgegen duftet und die Waldluft ihn anhaucht mit einem Gruße des Friedens.




[678]

Die eiserne Jungfer.

Mit Abbildungen.


In keiner Sache hat sich leider der menschliche Verstand fruchtbarer an Erfindungen gezeigt, als bei der Zusammensetzung und Anwendung von Maschinen, den Nebenmenschen zu martern, ihn durch quälende Eindrücke zu Geständnissen, oft den ungereimtesten, zu zwingen. Man schaudert, wenn man die Menge verschiedener peinlicher Werkzeuge betrachtet. Von allen diesen Dingen hatte das Publicum Kunde, sie gehörten zum Gerichtswesen, – nur die sogenannte eiserne Jungfer blieb in der Nacht geheimer Kerker verborgen, und Niemand als der Verurtheilte und dessen Henker wohnten dem grausamen Verfahren bei. Es war natürlich, daß sich über ein so verborgenes Ding allerlei Vermuthungen bildeten. Nach den verbreitetsten Annahmen sollte die Jungfer aus einer der Frauengestalt nachgeformten Figur bestehen, welche das Schlachtopfer umarmen mußte. Kaum war diese Umarmung geschehen, so öffnete der weibliche Unhold seine mit furchtbaren Messern bewaffneten Arme, zerschnitt den Verurtheilten, und durch plötzliches Oeffnen einer vor der Figur befindlichen Klappe sanken die zerfetzten Körpertheile in das unter dem Kerker dahinströmende Wasser, welches jede Erinnerung, jeden Beweis vernichtete. Die Execution ward durch eine Maschinerie bewirkt, welche der Verurtheilte, indem er auf die Jungfer zutrat, selbst durch den Druck einer im Fußboden befindlichen Feder in Bewegung setzte. – Abgesehen von den verschiedenen Unwahrscheinlichsten in Betreff des Wassers, der genauen Ausübung der Execution durch eine Maschine etc., bleibt es immer fraglich, wozu die Richter mit einem zum Tode Verurtheilten so viele Umstände gemacht haben, da sie doch in weit kürzerer Weise ihren Zweck erreichen konnten; außerdem aber findet sich die ganze Tödtungs- oder Peinigungs-Art in keinem deutschen Criminal-Werke, während alle anderen Torturen in den Gerichts-Ordnungen enthalten sind.

Es sind nun aber viele jener entsetzlichen Werkzeuge unbekannt geblieben, und namentlich ist die „eiserne Jungfer“ unstreitig nur mit großer Vorsicht, umgeben von dem Schleier des tiefsten Geheimnisses, angewendet worden. – Es ist übrigens merkwürdig, daß kein Land unserm Vaterlande den Ruhm streitig zu machen sucht, die gräßliche Maschine einzig und allein benutzt zu haben. Alle Andeutungen über eine „Mater dolorosa“ in Spanien, eine „Maiden“ in Schottland und dergl. sind ohne sichern Anhaltspunkt, und das in England fungirende Strafinstrument, „des Gassenkehrers Tochter“, mit welchem der berüchtigte Guy Fawkes gemartert wurde, ist ganz anderer Beschaffenheit. Unter den Alterthumsforschern Deutschlands hatte Niemand der Sache Aufmerksamkeit geschenkt. Erst im Jahre 1832 kamen Aufklärungen über den jedenfalls für die Culturgeschichte des Mittelalters interessanten Gegenstand. Ein Engländer, Tearfall, bereiste Deutschland in der Absicht, die „eiserne Jungfer“ aufzufinden. Es sieht das ganz englisch aus, und die Beharrlichkeit des Mr. Tearfall brachte ihn endlich auch zum gewünschten Ziele.[1] Er durchforschte zuerst sämmtliche Orte am Rhein, in denen eine „Jungfer“ gestanden haben sollte. Man bezeichnete Mainz und das Schloß Königstein bei Frankfurt a. M. als ehemalige Standpunkte des Werkzeuges. Tearfall fand nichts mehr vor. Er ging nach Salzburg, woselbst eine Stelle in der Folterkammer des Schlosses gezeigt wird, an welcher sehr wohl eine Maschine gleich der gesuchten stehen konnte. Tearfall fand räthselhafte Klappen, unter denselben eine Kammer, alles Dinge, die man heute noch daselbst sieht, aber kein Exemplar der Maschine. Er holte Erkundigungen aus Schwerin, Ambras, Prag und Berlin ein, bereiste verschiedene Städte, entdeckte aber nirgends den gesuchten Gegenstand. Endlich fand er, wenn auch nicht das Bild selbst, doch einigen Anhalt in Nürnberg. Im Jahre 1792 gab ein Doctor C. Siebenkees, Professor der Rechte, „Materialien zur Nürnbergischen Geschichte“ heraus. Es heißt darinnen: „A. 1533 ist die eiserne Jungfer für die Maleficanten an der Fröschthurmmauer gegen die 7 Zeilen aufgerichtet worden, so man öffentlich zu justisiciren angestanden, und das heist man: „die armen Sünder nach Fischen schicken“, denn darinnen ein eisern Bildniß, 7 Schuh hoch, welches beede Arme gegen den Maleficanten ausbreitet. Sobald der Henker den Tritt davon berührt, haut es mit breiten Handsäbeln zu Stücken, welche Stücke die Fisch in verborgenen Wassern schlucken.“ Siebenkees bezweifelt indessen die Wahrheit der Sache. Es ist aber doch so, wie er oben angeführt. Es sei hier gleich bemerkt, daß die in den Materialien erwähnte Jungfer dieselbe ist, welche heute wieder in dem unterirdischen Kerker steht; da wir sie unten näher beschreiben wollen, so sei zunächst nur ihrer Schicksale gedacht.

Tearfall fand sie nicht vor. Er untersuchte die Marterkammern des Rathhauses – umsonst. Von dem Archivare der Stadt, Dr. Mayer, erfuhr er aber, daß die Jungfer wirklich an der von Siebenkees angeführten Stelle gestanden habe. Er (Mayer) habe selbst noch einige Stücke der dazu gehörigen Maschinerie gesehen, die Figur sei aber verschwunden. Seiner Ansicht nach habe dieselbe auf einer Fallklappe gestanden, den Körper des Verurtheilten zerschnitten, und die Stücke seien dann in ein darunter hinfließendes Wasser gefallen. Indessen könne er keine genaue Beschreibung der Operation geben. Tearfall besuchte auch den Ort, wo die Jungfer gestanden haben sollte; er fand, wie immer, nichts.

Der trostlose Engländer eilte nun nach Wien; er hoffte Ruhe zu finden, die „eiserne Jungfer“ war auch für ihn ein Marterwerkzeug geworden. Ein Führer hatte ihm in Nürnberg erzählt, daß drei Tage nach dem Einrücken der Franzosen in Nürnberg die eiserne Jungfer nebst anderen Marterwerkzeugen fortgeschafft und nach Oesterreich gekommen sei. In Wien hörte er, daß allerdings auch hier ein solches Instrument gestanden habe, doch fände sich keine Spur davon. – Endlich sollte in Wien dem unermüdlichen Tearfall der Lohn werden. Er erfuhr, daß ein vollständiges Exemplar der eisernen Jungfer sich in der Sammlung des Barons von Dietrich auf dem Schlosse zu Feistritz befinde. Dahin eilte Tearfall und war so glücklich, die lang Gesuchte zu finden. Der Baron von Dietrich, allen Freunden des Alterthums bekannt, hat eine berühmte Waffensammlung. Unter vielen Raritäten besaß er auch ein Exemplar der eisernen Jungfer. Offenbar war es dasselbe, welches ehemals in Nürnberg gestanden hatte. Nach den Erzählungen des Besitzers hatte er es von einem Manne gekauft, der es aus Nürnberg, während der französischen Besetzung, mit verschiedenen andern Dingen erhalten haben wollte. Soviel über Tearfall und seine Forschungen.

In neuerer Zeit hat in Nürnberg der verdienstvolle Herr Dr. Geuder, der eine sehr interessante Sammlung von mittelalterlichen und neueren Rechtsalterthümern in einem Gemache der Burg zusammengestellt hat, auch das Exemplar der eisernen Jungfrau wieder für Nürnberg gewonnen und dasselbe an dem schon Tearfall bezeichneten und von ihm durchsuchten Orte aufstellen lassen. Ob die Figur dieselbe, wie die früher im Besitze des Barons von Dietrich gewesene sei, konnte Schreiber dieses nicht ermitteln, doch wurde ihm gesagt, daß die Figur in Oesterreich gekauft worden sei. Kommen wir nun zur Besichtigung des Ortes und der Figur selbst, woran sich dann einige Ansichten reihen mögen. Die Straße in Nürnberg, die „sieben Zeilen“ genannt, wird von der alten Stadtmauer begrenzt. Dicht neben dem jetzt neuerbauten Thore, Max-Thor genannt, findet sich ein mit starkem Gitterwerk verschlossener Eingang, welcher in die Tiefe hinab und auf einer dreißig Stufen zählenden Steintreppe in das Innere der casemattirten Bastions-Mauer führt. Die Führerin hat dem Besucher schon vorher Lichter angezündet und geleitet ihn in einen rechts unter der Mauer entlang führenden schmalen Gang, welcher in verschiedene Kammern getheilt ist, die ihr Licht durch runde, in der Wölbung befindliche Löcher erhalten. Jede dieser Kammern beherbergt eines der größeren Folterwerkzeuge, z. B. die schlimme Lisel, einen Panzer, einen Stachelstuhl, eine Streckleiter, eine Wiege etc. Die oben befindlichen Löcher der Wölbungen rühren augenscheinlich von früher dort über dem Gange angebrachten Gemächern her, welche sich wohl im Innern des nun abgebrochenen Fröschthurmes befanden. Sie dienten zum Hinunterlassen des Gefangenen, auch wurden wohl durch jene Oeffnungen die Resultate des peinlichen Verfahrens den oben sitzenden Richtern zugerufen. Am Ende dieses ersten Ganges befindet sich nun, genau im rechten Winkel zusammenstoßend, ein zweiter schmälerer Gang, der theilweis in den Fels gehauen erscheint. Man empfindet [679] Grabesschauer, indem man ihn betritt. Keine Spur von Tageslicht dringt in das entsetzliche Gewölbe, ein Moderduft haucht dem Vorschreitenden entgegen; der Gang wendet sich links, man gewahrt die Spuren von vier eisernen Thüren und einen etwas breiteren Raum, vermuthlich den Aufenthaltsort einer Wache; dann wieder rechts sich wendend, steht der Besucher in einer finstern Höhle, deren Wände von dein herabsickernden, fauligen Wasser blitzen. Das Licht der Führerin fällt auf einen schauerlichen Gegenstand: wir stehen vor der „eisernen Jungfer“.

Die entsetzliche Maschine befindet sich genau auf derselben Stelle, auf welcher sie ehedem ihre furchtbaren Dienste leistete. Die Figur ist sieben Nürnbergische Fuß hoch und hat die Tracht einer Nürnberger Bürgerfrau des 16. Jahrhunderts, im Mantel mit der Haube auf dem Kopfe, wie die nebenstehende Abbildung zeigt. Mit dicken Eisenplatten bedeckt, aus Schienen und Stangen zusammengesetzt, von der feuchten Luft triefend und mit Rost bezogen, macht sie einen grauenerregenderen Eindruck, als die Bilder gewisser indischer Götzen, denen Menschenopfer dargebracht werden. Die Vordertheile bilden zwei mit eisernen Handhaben versehene Klappen, welche durch Charnierbänder mit der Hinterseite verbunden sind.

Inwendig befinden sich verschiedene Dolchspitzen. Betrachtet man den Untertheil der Figur, so bemerkt man, daß dieselbe auf einer hölzernen, mittelst Schieber zu öffnenden Klappe steht. Nachdem die Klappe geöffnet ist, sieht man in eine viereckige Röhre hinab und gewahrt durch ein hinuntergelassenes Licht am Ende derselben Wasser. Es hat auf den ersten Blick den Anschein, als sei die Maschine lediglich zur Tödtung bestimmt gewesen. Bei genauerer Betrachtung läßt sich jedoch Manches dagegen einwenden. Die Spitzen scheinen von einer anderen Arbeit, als der Eisenüberzug der Figur; aber warum sollten sie auch nur zum Tödten gedient haben? und war, wie schon oben bemerkt, der Verurtheilte so vieler Umstände werth? wenn aber die Tödtung vollstreckt war, so hielten die Spitzen den Körper in der Figur fest, und das Hinabfallen desselben in das unterirdische Wasser war unmöglich, das Wasser selbst aber unnütz. Es hätte ferner nur des Zuschlagens der mit Spitzen versehenen Vorderklappen bedurft, um dem in der Figur befindlichen Maleficanten den Garaus zu machen. Man gewahrt aber gegenüber von der „Jungfer“ ein in die Wand gemauertes Instrument, genau wie unsere Wagenwinden gestaltet. Das hintere Ende hängt in einem Charniere, und so konnte die Winde horizontal gegen die Figur gerichtet werden. Befand sich der Verurtheilte nun in der Maschine, so ward das Kurbelrad gedreht, und das vordere, mit einem breiten, halbmondförmigen Eisen versehene Ende preßte gegen die zusammengelegten Vorderklappen und übte einen furchtbar quälenden Druck auf den in der Maschine Eingeschlossenen. Sollte er getödtet werden, so war die Presse überflüssig, denn das Zuschlagen der Klappen mußte sofort tödten. Es scheint indessen, daß die Spitzen wohl später angebracht worden sind, vielleicht um das Grauenhafte des Eindrucks zu erhöhen, vielleicht sind sie auch kleiner und an anderen Stellen befindlich gewesen, um nur Schmerzen, nicht aber den Tod herbeizuführen. Jedenfalls war dieser Grad der Tortur ein sehr schwerer, und es begreift sich leicht, welche Marter der Eingeschlossene ausstehen mußte, wenn immer dichter und dichter die Klappen sich gegen ihn preßten; und gewiß hat es häufig genug keiner Dolchspitzen bedurft, um einen Getödteten in der Maschine zu finden.

Uebrigens erzählt schon Tearfall, daß die zu Feistritz befindliche „Jungfer“ mannigfacher Reparaturen bedurft hätte; es ist möglich, daß die Spitzen vergrößert und vermehrt wurden, wenn anders das Nürnberger Exemplar das früher zu Feistritz befindlich gewesene ist. Das unter der Figur sichtbare Wasser konnte ich nicht genauer untersuchen. Es soll nach den eingezogenen Erkundigungen sich in einen Canal verlaufen, der seinen unterirdischen Ausfluß in dem Garten der höchst angesehenen Familie Plattner haben soll, ein Garten, welcher vor der Stadtmauer liegt. Es entsteht immer wieder die Frage, wozu ein geheimes Verfahren des Wassers bedurft hätte. Richter, die mit so empörender Verachtung aller Menschenrechte verfuhren, bedurften wahrlich keines unterirdischen Canales, um ihre Opfer zu beseitigen; es ist jedoch möglich, daß die während der Tortur Gestorbenen in die Cloake gesenkt wurden, um jede Verantwortung der Richter überflüssig zu machen, denn eigenthümlicher Weise lautete ein Paragraph der Gerichtsordnung bei peinlichem Verfahren: „Dem zu Marternden solle Nichts zum Schaden an seinem Leibe und Leben geschehen.“!! Auf der Oberfläche der über dem Wasser befindlichen Klappe sieht man deutliche Spuren von Rinnen, welche muthmaßlich Federn bargen, deren Kraft die Maschine schneller öffnete. Ob die Klappen, mittelst der Charnierbänder sich in einer Kreislinie gegen den Körper des Gemarterten bewegend, die Anwendung der Stacheln überhaupt möglich machten, bleibt zu untersuchen und sehr fraglich.

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß die eiserne Jungfer eben kein Tödtungs-, sondern nur ein Peinigungswerkzeug war, daß aber ihre Anwendung mit großer Heimlichkeit betrieben wurde und daß schließlich das zu Nürnberg befindliche Exemplar eine der größten Seltenheiten ist, welche aus vergangenen Jahrhunderten zu uns herübergekommen sind. Das erste Auftauchen eines solchen Strafverfahrens laßt sich natürlich schwer nachweisen. Folterungen durch Einpressen des Körpers sind häufiger, z. B. das sogenannte neue Mecklenburger oder Strelitzer Instrument, eine Lade, in welche der Verurtheilte hineingepreßt wurde; wahrscheinlich ist es dasselbe, welches in England, durch den Herzog von Exeter eingeführt, nach ihm „des Herzogs von Exeter Tochter“ genannt wurde. Die Außenseite dieses Instrumentes war muthmaßlich mit dem Bilde einer Frau bemalt und dürfte demnach Aehnlichkeit mit der „eisernen Jungfer“ gehabt haben. Letztere war übrigens schon vor der Publicirung der Halsgerichtsordnung Kaiser Karl’s V. in Thätigkeit und scheint nur ferner bestätigt worden zu sein. Die Stadt Wittenberg besaß erweislich schon 1509 nicht eine, sondern zwei „eiserne Jungfern“. Nach den Rechnungen der Stadtkämmerei wurden die Maschinen in jenem Jahre bereits reparirt, waren also schon längere Zeit in Gebrauch. Die Rechnungsbeläge sagen:

A 1509 iiij gl. vor zweyen Jungfrawen in das gefenchnis weyter zu machen und vor iiij gelenckenn zu machen.
1 gl. vor zcwey gelencke zu eyner Jungfrawen in das gefenchnis gemacht und di Kette alzo hiemit gebessert.

Fällt nun auch die romantische Zuthat der Umarmung des Verbrechers, so wie mancher zur Ausschmückung erfundene Gegenstand weg, so bleibt die ganze Procedur der eisernen Jungfrau dennoch eine höchst merkwürdige und die Phantasie in schauerlicher Weise erregende. Besonders trägt dazu die Verborgenheit bei, welche die Schreie der unglücklichen Opfer an den Wänden der Kerker verhallen ließ. In der That scheinen die durch Anwendung der eisernen Jungfer erpreßten Geständnisse immer wichtiger Art gewesen zu sein, es bezeugen dies Vorsichtsmaßregeln, welche man bei der Wahl des Ortes traf, an welchem die Maschine aufgestellt wurde. Recht anschaulich wird dies bei Betrachtung der Localitäten zu Nürnberg. Sie lassen überhaupt einen tiefen Blick in das Getriebe mittelalterlichen Justiz-Verfahrens thun. Gleich hinter der Eingangsmauer mündet ein erst in neuerer Zeit zugemauerter Gang, welcher mit dem zu den Marterkammern führenden in unmittelbarer Verbindung steht. Der Ausgangs- oder Eingangspunkt zu diesem Gange soll im sogenannten Bannerhause gewesen sein, welches nicht weit von der Stadtmauer entfernt liegt und bekanntlich im Mittelalter ein wichtiger Ort für die Angelegenheiten der Stadt war. Die vollständige Verschließung des Ganges ließ keine Besichtigung desselben zu. Tearfall hat ihn jedoch noch offen gefunden und beschrieben. Er fand in der Mitte des Ganges einen halbkreisförmigen Raum, in welchem noch ein steinerner Tisch und eben solche Sitze befindlich waren; drei Stufen führten zu diesem Richterstuhle. Die dem Gerichte Ueberlieferten wurden wahrscheinlich durch den in der Bastionsmauer befindlichen Eingang in den Thurm, und später vor die Richter gebracht; durch den vom Bannerhause auslaufenden Gang brachte man aber jedenfalls die im Geheimen Verhafteten, deren Loos es dann später vielleicht war, in die furchtbare Maschine der „eisernen Jungfer“ zur qualvollen Erpressung von Geständnissen gesteckt zu werden. Die Bewunderer des Mittelalters müssen natürlich Schwurgerichte sehr prosaisch finden; mögen sie die Kerker unter den Stadtmauern Nürnbergs besuchen, die entsetzlichen Strafinstrumente betrachten – wahrlich nirgends fühlt man lebhafter die Wohlthaten des Fortschrittes und der lichtvollen Rechtspflege als in dem Bereiche jener Kerker, deren Wände selbst ungeheuren, geschlossenen Mundöffnungen zu gleichen scheinen, denen das Entsetzen die Lippe schloß.

Kein Besucher Nürnbergs versäume die Besichtigung dieser Räume. Es ist noch Vielen unbekannt, daß die „eiserne Jungfer“ sich hier befindet; selbst die neueren Reisehandbücher enthalten noch [680] keine Notiz darüber, erwähnen auch der Kerker nicht; um so mehr wollen wir hier darauf aufmerksam gemacht haben. Die Besichtigung wird sehr bereitwillig durch die von Herrn Dr. Geuder dazu bestellte Führerin gestattet, und es sei ihm der Dank aller für die Geschichte einer so wichtigen Stadt wie Nürnberg sich Interessirenden ausgesprochen, daß er es vermochte, ein selten gewordenes Ueberbleibsel der Nachwelt zu erhalten und es seinem ursprünglichen Standorte wiederzugeben.

G. H.




Bunte Plaudereien aus London, Paris und vom Meeresstrande.

Nr. 2.
Schauspieler Kean – Ein Volksstück – Kein Souffleur – Eine Abendgesellschaft von Flüchtlingen – Kemety, Klapka, Freiligrath, M. Hartmann –
Joachim und seine ungarischen Luder – Der Magnetiseur Laurent und Demoiselle Prudence – Der Erzbischof von Upsala und seine Geschichte.

Obgleich die Theater in London jetzt sämmtlich ihr Festkleid angezogen haben, so bieten selbe doch nichts Außerordentliches. Die Schauspielkunst der Engländer steht nach meiner Ansicht so weit hinter der unsrigen zurück, als wir Deutschen in dieser Beziehung den geborenen dramatischen Künstlern, den Franzosen, nachstehen, und selbst der hochgefeierte, mit allen hohen Buchstaben angekündigte Charles Kean erschien mir in der Rolle des Cardinal Wolsey in dem neu scenirten Shakespeare’schen Drama „König Heinrich der Achte“ nur als ein talentbegabter, routinirter Coulissenreißer, keineswegs aber als das Genie, welches seine Landsleute so gern aus ihm machen wollen. Dagegen versteht er die mise en scene musterhaft zu leiten und hat darin in dem oben angeführten Drama wirklich ein Meisterstück geleistet. Die Costüme, Auszüge, das Arrangement der Hoffestlichkeiten, Alles ist mit der genauesten Sachkenntniß und bis in’s kleinste Detail als treues Abbild jener Zeit wiedergegeben, die Behandlung der massenhaften Gruppirungen mit so feinem Geschmack und Kunstsinn geleitet, wie ich es noch an keiner andern Bühne Europa’s zu bewundern Gelegenheit hatte.

Außerdem stehen die Engländer in Decorations- und Beleuchtungseffecten unübertroffen da. Einem solchen Kunstwerke dankt ein seit Jahresfrist ununterbrochen und stets bei überfülltem Hause gegebenes Volksstück „Peep o'day“ den Hauptgrund seines Erfolges. Es soll ein armes Mädchen, durch einen Schuft von Lord zu einer Scheintrauung verführt, für immer stumm und unschädlich gemacht, in eine abgelegene Schlucht in Irland gelockt und dort ermordet werden. Wir sehen den gedungenen Banditen in der Mitte der Bühne die Grube graben, die das Opfer aufnehmen soll. Auf beiden Seiten starren riesige Felswände empor, wovon die eine im tiefsten Schatten liegt, während die roh in Stein gehauenen Stufen und die den gegenüberstehenden Fels überwuchernden Schlingpflanzen, sowie der Steg, welcher beide Steinufer mit einander verbindet, vom grellsten Mondlicht bestrahlt sind. Eben so hell beleuchtet bildet der Hintergrund einen natürlichen Wasserfall und eine weite, weite Fernsicht in ein zerklüftetes Felsthal. Den dunkeln Fels umstehen hohe Bäume, nicht flach gemalt, sondern in Stamm und Laubwerk der Natur täuschend ähnlich nachgebildet. Wir sehen das arme Opfer in dem im Mondlicht unheimlich leuchtenden rothen irischen Mantel[2] arglos den schwanken Steg entlang wandeln, an dem verborgenen Mörder vorüber, die Schlucht betretend. Nur das Echo antwortet ihrem schrillen Hülferuf, vergebens bedroht sie ihren Bedränger mit der Rache Gottes und eines Freundes, von dem sie wisse, daß er zu ihrem Schutze herbei eile. Rasch klimmt der Räuber die Felswand empor, zerschmettert den schmalen Steg, der allein herab in den Abgrund führt, und lacht jetzt im höhnischen Spott der Drohungen des verzweiflungsvoll ringenden Weibes, diese immer näher und näher dem offenen Grabe entgegen zerrend. Da ertönt ein Signal, der Retter erscheint auf der Plattform der Felswand, vergebens einen Weg suchend, der Armen zu Hülfe zu eilen. Jetzt holt der Henker mit dem Beil aus, um sein Nachtwerk zu vollenden, oben ein Schrei des Entsetzens, und schneller, als es sich erzählen läßt, ergreift der Freund der Gefährdeten einen mächtigen Zweig des an der Felswand stehenden gewaltigen Baumes und schwingt sich, dem Schutze des Höchsten sich empfehlend, an dem Aste hängend in den Abgrund hinab. So rettet der junge Held seine Geliebte im Augenblick der höchsten Gefahr und unter dem stürmischen Jubel des athemlosen Publicums.

Auch die übrigen Scenen dieses wechselvollen, an derb-komischen und grell-tragischen Momenten überreichen Drama’s sind prächtig arrangirt, namentlich die irischen Volksscenen, wenn sich gleich das Spiel der Darstellenden nie über die stark gefärbte Mittelmäßigkeit erhebt. Nur einen wirklich großen Schauspieler habe ich in London zu bewundern Gelegenheit gehabt, allein dieser hat sich nach französischen Mustern herangebildet und spielt in der Weise Bouffé’s! und Frederic Lemaître’s in dem Theatre Olympique. Mr. Robson, so heißt der Mann, ist die Stütze dieser Bühne und mit Recht der Liebling der Londoner Theaterfreunde. In dem Drama: „Porter’s Knot“, welches, wenn ich nicht sehr irre, aus dem Französischen übersetzt ist, spielt er einen schlichten, durch seinen Sohn in unverschuldetes Unglück gestürzten Kofferträger an einer Eisenbahn mit einer erschütternden Wahrheit und Naturtreue. Lebhaft hat mich der Künstler an unseren heimischen Döring erinnert, welcher derlei Rollen ebenfalls bewunderungswürdig spielt. Ich bedaure, daß mir Raum und Zweck dieser Zeitschrift nicht erlauben, in die Details dieser genialen Leistung einzugehen.

Eine Merkwürdigkeit der englischen Theater ist die, daß kein Souffleur existirt; wie wünschenswerth wäre die Nachahmung dieser trefflichen Sitte an unseren deutschen Bühnen! Die Eintrittspreise zu den Theatern Londons sind im Vergleiche zu denen in Deutschland enorm.

Ich verschone den freundlichen Leser mit einer abertausendsten Schilderung der zwei großartigsten Gebäude Europas und deren Einrichtung, des Ausstellungs- und des Krystall-Palastes, so mächtig auch der Eindruck dieser modernen Weltwunder auf jeden Fremden einwirkt. Die Kunstschätze Calcuttas, die Goldpyramide aus Californien, der 125 Karat schwere, stets von einer Anzahl Schaulustiger umstellte Diamant, die „Sonne“, von dem Juwelenhändler Coster aus Amsterdam eingesandt, interessirte mich weniger, als die genial erfundenen Maschinen, die in Unzahl aufgestellt sind, von dem Apparat an, wo z. B. für den Champagnergourmand klares Wasser auf einer Seite hinein gegossen wird und auf der anderen als Eis wieder herauskommt, bis zu den riesigen Kuppeln der Leuchtthürme und den sinnreichen Vorrichtungen an denselben. Unter den zahllosen Bildern der Gallerie sind die unseres Berliner Malers Gustav Richter stets von einer Menge Bewunderer umschwärmt, ebenso die Kirchenarbeiten von getriebenem Zinkblech von Fried. Peters aus Berlin.

Das Schauen hat uns ermüdet, und so wollen wir einer freundlichen Einladung des Schriftstellers Max Schleßinger folgen, der jedem gebildeten Leser wohl aus seinen geistreichen Schilderungen Englands und Ungarns bekannt ist, und den Abend in seinem gastlichen Hause verleben. Mit echt englischem Comfort bewohnt derselbe ein bequem und elegant eingerichtetes Haus, und öffnet dasselbe mit größter Urbanität jeden Freitag seinen Landsleuten, den an ihn empfohlenen Fremden und seinen Freunden. Die Wände des Salons aus Bedford-Place könnten viel erzählen von Berühmtheiten aller Nationen, die dort verkehrt und sich erfreut hatten an des Besitzers gastlichem Heerde. Mir wird der dort verlebte Abend unvergeßlich bleiben. Ein großer Theil der Anwesenden bestand aus ungarischen Flüchtlingen, unter diesen die Generäle Kemety, der Vertheidiger von Kars, jetzt Ferik Pascha, und Klapka, der Held von Komorn. Zu den gewöhnlichen Besuchern dieser Abendcirkel gehört auch noch Freiligrath, jetzt mit Klapka zusammen angestellt als die Directoren der Schweizerbank, der kleine Dr. Kaufmann, in dessen schwächlichem Körper ein starker Geist wohnt, Moritz Hartmann, der Commerzienrath Wolff aus Gladebach bei Köln, der die preußische Expedition nach Siam und Japan mitgemacht und einen reichen Schatz von Erfahrungen und Erinnerungen aus fernen Zonen gesammelt hat, Joachim, der berühmte Violinspieler und Löwe der diesjährigen Concertsaison in London, ein Kranz schöner, feingebildeter [681] Damen, unter welchen die Frau des Hauses in liebenswürdigster Weise die Honneurs macht.

Das Gespräch dreht sich in verschiedenen Gruppen in buntester Weise um Tagesfragen; für mich hatte unter den Anwesenden General Klapka das meiste Interesse. Wir tauschten die Erinnerungen an unsere Jugendzeit aus; noch immer stand der bildschöne junge Officier der ungarischen Garde, ein Stammgast des Josephstädter Theaters in Wien, an dem ich damals meine ersten künstlerischen Erfolge erntete, lebhaft vor mir; er hatte noch die Titel aller Stücke, die damals an der Tagesordnung gewesen, im frischen Andenken, ebenso die Namen aller Künstler und – Künstlerinnen, welch’ letzteren die glänzende Erscheinung des prächtigen „Gardisten“ theilweise sehr gefährlich geworden war. Es machte mir unbeschreibliche Freude, als mir General Klapka jetzt, nach 26 Jahren, noch Details aus meiner damaligen Carriere mittheilte, welche mir bewiesen, daß er mir doch noch ein Plätzchen in seinem Gedächtniß aufbewahrt hatte, aus welchem selbst sein reichbewegtes, glänzendes Schlachtenleben mich nicht hatte verdrängen können. Klapka, der sich von Politik gänzlich zurückgezogen und, wie gesagt, als einer der Directoren der Bank of Switzerland größtentheils in Genf lebt, ist noch jetzt einer der schönsten Männer seiner Zeit, namentlich übt der Glanz seiner prachtvollen, tiefdunklen Augen einen magnetischen Eindruck aus.

Horch! die Zaubergeige des Ungars Joachim ertönt! Alles rückt näher an den Meister, aus dem Bibliothekzimmer zieht der Wunderklang die dort Weilenden in den Salon, festgebannt in theilnehmenden Gruppen. Der Ungar spielt vor seinen verbannten Landsleuten heimische Volksmelodien. Man muß diese ungarischen Weisen von Joachim, der, wie Keiner, seine ganze Seele in sein Instrument zu legen versteht, gehört haben, man muß diese tiefe Wehmuth, diese heiße Sehnsucht, dies wilde Jauchzen der Töne von Joachim selbst vernommen haben, um den gewaltigen Eindruck zu begreifen, den diese vaterländische Musik auf die Ungarn hervorbrachte. Je nach dem Temperament der Anwesenden äußerte sich die Empfindung der Zuhörer in verschiedener Weise. Der sinnige Klapka saß, den Kopf in die hohle Hand gestützt, vor sich hinstarrend in einer Ecke des Sophas, das dunkle Auge schien durch einen Thränenschleier zu schwimmen, andere summten die wohlbekannten Nationalmelodien unwillkürlich mit oder drückten sich unbewußter die verschlungenen Hände, während der heißblütige Kenneth den Virtuosen stürmisch an die Brust drückte, mit Küssen bedeckte, in welche sich warme Tropfen mischten, die dem Auge entrollten. Immer wieder und wieder mußte der Künstler dem stürmischen Verlangen nach Wiederholung genügen, und immer ertönte dem Landsmann ein schallendes „Eljen“ entgegen. Es dauerte lange Zeit, ehe der Strom der Unterhaltung wieder in sein ruhiges Bett sich abdämmte und Einer der Anwesenden einige ergötzliche Anekdoten aus der Heimath zum Besten geben konnte.

Nach Beendigung der ungarischen Revolution und der Rückkehr zur alten Ordnung bereiste eine hochgestellte Person die verschiedenen ungarischen Provinzen, um sich von dem jetzigen Zustande der Dinge aus eigener Anschauung zu überzeugen. Er kam auch in eine ungarische Stadt, die sich früher, sowohl im Civil als Militär, durch ihre antiösterreichische widerspenstige Gesinnung ausgezeichnet hatte. Eine Abtheilung Husaren empfing den hohen Herrn mit lautem „Vivat“-Ruf. Dieser frug den Commandeur: „Sagen Sie mir, Herr Obrist, warum lassen Sie die Leute nicht in ihrer Landessprache rufen, warum „Vivat“ und nicht „Eljen“?“

„Entschuldigen Hoheit,“ antwortete der verlegene Officier, „wenn ich die Kerle „Eljen“ rufen lasse, dann habe ich sie nicht mehr in meiner Gewalt, denn dann rufen sie Alle „Eljen Kossuth!““

Die Rede kam auch auf Naturwissenschaften und namentlich auf den thierischen Magnetismus und dessen geheimnißvolle Wunder. Der deutsche General ***, einer der gebildetsten Militärs im ***Lande, früher ein intimer Freund Alexander’s von Humboldt, erzählte seine Begegnisse mit dem Magnetiseur Professor Laurent aus Paris, der mit einer Somnambüle, Dlle. Prudence, in Frankreich, Belgien und zuletzt in Ostende Experimente ausführte, die kein Verstand des Verständigen begreifen konnte. In Frankfurt am Main wurde ihm die Erlaubniß verweigert, mit dem zum Schatten abgemagerten Wesen für Geld öffentlich Schaustellungen zu geben; wie recht die Behörde gehandelt, bewies der bald darauf erfolgte Tod der Dlle. Prudence. General *** erzählte unter Anderem, daß die Hellseherin seine und seiner Freunde Gedanken errathen und von ihrem Magnetiseur gezwungen wurde, in somnambülem Zustand Handlungen auszuführen, die irgend einer der Anwesenden auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. So z. B. wurde vor sie hin, die auf einer mäßig erhöhten Tribüne vor den Zuschauern saß, ein Tischchen mit einem leeren Glas gestellt. Laurent bat den General, auf ein Blatt Papier die Namen der Flüssigkeiten zu schreiben, welche Dlle. Prudence in ihrem Zustande zu trinken glauben solle; dieser schrieb die Worte „Champagner“, später „Blut“, und behielt den Zettel bei sich. Nun forderte Laurent den General auf, ihm die Hände zu reichen, das Geschriebene fest in Gedanken zu behalten, ehe er sich mit der Seherin in geistigen Rapport setze. Auf den Befehl zu trinken, nahm sie das leere Glas, setzte es anfangs mit allen Zeichen des Behagens an die Lippen, plötzlich stieß sie einen schrillen Laut des Entsetzens aus und schleuderte das Trinkgefäß mit den Zeichen des höchsten Abscheus von sich.

Eine der hochgestelltesten Personen in Deutschland flüstert auf die Aufforderung des Professors, eine Blume zu denken, dem General das Wort Veilchen in’s Ohr, widerruft aber und sagt: „ich will lieber die Rose wählen.“ Da lispelt die Somnambule behaglich: „welch’ ein schöner Geruch von Rosen und Veilchen!“

Wenn man auch allgemein überzeugt war, daß Laurent ein feiner Betrüger, die Prudence eine in seinem Solde stehende treffliche Schauspielerin war, so hat doch keine der zahllosen wissenschaftlichen Autoritäten, die jenen Vorstellungen beiwohnten, je die Art und Weise ergründen können, in welcher die Betrügereien bewerkstelligt wurden, und welche von der Prudence mit dem Leben bezahlt wurde.

Ich gebe Ihnen, schloß der würdige General seine anregende Erzählung, noch einen Vorfall zum Besten, den ich aus dem Munde meines Königs habe. Ich wiederhole das mir Mitgetheilte ohne Nebenbemerkung, ohne Commentar und erwähne blos, daß die Persönlichkeit der handelnden Personen die Annahme eines Scherzes im höchsten Grade unwahrscheinlich macht.

Der Erzbischof von Upsala besuchte auf einer Reise durch Deutschland auch unsern königlichen Hof und hatte die Ehre, von Sr. Majestät zur Tafel gezogen zu werden. Bald kam die Rede auf den maßlosen Abglauben, der jetzt noch in den Lappmarken herrsche, wo noch der Glaube an Zauberer und erbliche unheimliche Künste in manchen Familien bis zur Stunde fest wurzelt. Der Erzbischof selbst war vor mehreren Jahren von der höchsten Landesbehörde an der Spitze einer Commission dahin gesandt worden, um dieses wüste irreligiöse Treiben mit Ernst und Strenge zu untersuchen und auszurotten. Ein Arzt und ein höherer Beamter waren dem Priester zu dieser Mission beigegeben worden.

„Bei dem Mangel an Verkehrsmitteln,“ fuhr der Erzbischof in seiner Erzählung fort, „war unsere Reise ebenso lang als beschwerlich. Der Zweck derselben war nur uns bekannt, und wir nahmen, diesen in ein tiefes Geheimniß hüllend, für unsere Wohnung die Gastfreundschaft eines reichen Mannes in Anspruch, der in dem unheimlichen Rufe stand, über finstere Zaubermittel gebieten zu können. Zu unserer Verwunderung deutete nichts im Aeußeren oder im Haushalt desselben darauf hin, diesen Ruf zu begründen. Mit der gewohnten Gastlichkeit der Lappmarken wurden uns von dem Wirth des Hauses, einem offen aussehenden behäbigen Manne, die besten Zimmer eingeräumt und Alles, was Küche und Keller vermochte, aufgeboten, die Gäste zu ehren. Zu unserem Erstaunen machte aber weder unser Gastgeber, noch irgend ein anderer Mensch im Orte ein Hehl daraus, daß Peter Lärdal – so hieß der Mann – im Besitze übernatürlicher Kräfte, ja geradezu ein „Zauberer“ sei. Am dritten Tage, als wir gemüthlich am Frühstückstische beisammen saßen, brachte ich unter dem Vorwande der Neugierde das Gespräch auf das Thema und frug Lärdal, ob es ihm nicht unangenehm sei, in solchem Rufe zu stehen. Ein feines Lächeln glitt über die Züge des Mannes: „Was nützt es denn, hochwürdigster Herr Erzbischof, daß Sie mir den Zweck Ihrer Frage verbergen wollen? Sie und diese Herren sind ja doch nur deshalb da, um die Wahrheit dieses Rufes zu ergründen und mich zur Verantwortung zu ziehen.“ „Nun denn,“ entgegnete ich energisch, „wenn Ihr es schon wißt, ja, wir sind hier, um diesen Aberglauben zu zerstören und diesem Unsinn ein Ende zu machen.“

„Das mögen Sie halten, wie Sie wollen und können, aber Unsinn, lieber Herr, Unsinn ist die Sache nicht,“ antwortete Lärdal mit leichtem Kopfschütteln.

„Was wollen Sie damit sagen?“ antwortete ich in strengem Tone.

[682] „Ich will Ihnen den Glauben in die Hand geben. Meine Seele, mein Geist, oder wie Sie es nennen wollen, soll vor Ihren Augen des Körpers Haus verlassen und sich an einen Ort begeben, den Sie selbst bestimmen werden. Nach der Rückkehr will ich Ihnen Beweise dafür liefern, daß meine Seele in Ihrem Dienst an dem von Ihnen bezeichneten Platze gewesen. Wollen Sie diese Ueberzeugung haben?“

„Die widerstreitendsten Empfindungen,“ fuhr der Erzbischof fort, „bemächtigten sich meiner. Furcht vor dem Bewußtsein, zu einem frevelhaften Spiel mit dem Heiligsten meine Hand zu bieten, der Wunsch, einem etwaigen Betrug auf die Spur zu kommen und ihn zu entlarven, und heftige Neugierde, zu erfahren, wie der schlichte Mann sein Wort lösen werde, kämpften in mir. Letztere, das Erbtheil aller Evakinder, trug den Sieg davon. Ich willigte in den Vorschlag und trug Lärdal auf, seine Seele in mein Haus zu senden, mir zu sagen, was in diesem Augenblick meine Frau beginne, und die Beweise für seine Anwesenheit daselbst zu liefern. Es versteht sich von selbst, daß meine Reisegefährten, von noch brennenderer Neugierde beseelt, als ich, mit meinem Thun vollständig einverstanden waren.

„Nun wohl, Ihr Herren,“ sprach Lärdal, „gönnen Sie mir eine Viertelstunde Zeit zu meinen Vorbereitungen.“ Kaum war diese verflossen, so erschien unser Hauswirth wieder, in der Hand eine Pfanne mit trockenen Kräutern tragend. „Ihr Herren,“ fuhr er fort, „ich werde diese Kräuter anzünden und den Duft derselben einathmen. In wenig Minuten wird mein Geist aus meinem Körper entweichen und alle Anzeichen des Todes an diesem sichtbar werden. Hüten Sie sich, meine Herren,“ fuhr er sehr ernst mit feierlich gehobener Stimme fort, „in diesem Zustande Versuche zu meiner Wiederbelebung zu machen, oder mich auch nur zu berühren, der Erfolg wäre mein sicherer Tod. In einer Stunde wird sich mein Körper von selbst wieder beleben und Ihnen Nachricht aus der Heimath bringen.“

Nach einer unheimlichen Pause, während welcher Keiner von uns ein Wort der Entgegnung finden konnte, setzte der Zauberer die trockenen Kräuter in Brand und hielt seinen Kopf über den übelriechenden, narkotischen Dampf derselben. In wenig Minuten bedeckte Leichenblässe sein Gesicht, der Körper fiel nach kurzen Zuckungen in den Lehnstuhl, in welchem jene Procedur vorgenommen wurde, zurück und lag regungslos, in Allem einem Todten gleichend, da.

„Um Gotteswillen,“ rief der Arzt entsetzt aus, „der Mensch scheint sich vergiftet zu haben, er stirbt wirklich, wenn man ihm nicht schnelle Hülfe bringt!“

Ich mußte ihn mit Gewalt zurückhalten, ehe er seinen Vorsatz ausführen und auf den Bewußtlosen hinstürzen konnte.

„Haben Sie vergessen, daß der Unglückliche uns beschwor, in dem jetzt eingetretenen Fall seinen Körper nicht zu berühren, wenn wir ihn nicht wirklich tödten wollen? Haben wir gegen unser Gewissen unsere Einwilligung zu dem unheimlichen Experiment gegeben, so müssen wir auch den Erfolg abwarten.“

Nach einer in athemloser Spannung verlebten endlosen Stunde kehrte langsam, aber sichtlich wieder die Farbe des Lebens auf die Wangen des Entseelten zurück, die Brust hob sich unter stürmischen Schlägen, die nach und nach in ein regelmäßiges Athemholen übergingen.

Bald darauf wendete er sich mit den Worten an mich: „Ihre Frau ist in diesem Augenblicke in der Küche.“

„Ja wohl,“ entgegnete lächelnd der Arzt, „um diese Stunde pflegen, wie Sie wohl wissen, alle Frauen bei uns in der Küche zu sein.“

Ohne diesen ungläubigen Einwand einer Entgegnung zu würdigen, beschrieb mir Lärdal meine Wohnung und Küchenräume, die er meines Wissens nie betreten hatte, bis in’s kleinste Detail mit der pünktlichsten Genauigkeit. „Zum Beweis, daß ich wirklich dort war,“ schloß er seinen Bericht, „habe ich den Ehering Ihrer Frau, den selbe bei der Zubereitung einer Speise vom Finger streifte, auf den Grund des Kohlenkorbes versteckt.“

Ich schrieb sofort – es war am 28. Mai – nach Hause, und frug meine Frau, was sie um elf Uhr an diesem Tage begonnen habe. Ich bat sie, ihr Gedächtniß recht genau zu prüfen und mir recht sorgfältig Bericht abzustatten. Nach funfzehn Tagen, so lange brauchte bei den schlechten Verbindungswegen der Brief und die Antwort Zeit, schrieb mir meine Frau, sie wäre den 28. Mai um elf Uhr mit der Bereitung einer Mehlspeise beschäftigt gewesen. Es wäre ihr der Tag unvergeßlich, weil ihr an demselben ihr Trauring verloren gegangen wäre, den sie kurz vorher am Finger gehabt habe und trotz alles Suchens nicht wieder finden könne. Wahrscheinlich habe ihn ein Mann entwendet, der sich, in der Kleidung eines wohlhabenden Bewohners der Lappmarken, einen Augenblick in der Küche gezeigt, aber, als er um sein Begehren gefragt worden sei, sich wortlos wieder entfernt habe.“

Der Trauring fand sich später in der Küche des Erzbischofs im Kohlenkorbe wieder vor.

Es versteht sich von selbst, daß die Mittheilung dieser Geschichte von allen Anwesenden mit ungläubigem Lächeln und nach Beendigung derselben unter lebhafter Debatte über die Möglichkeit des Ereignisses aufgenommen wurde. Alles lachte, und einige der Flüchtlinge stellten das Ganze als eine geistreiche Mystification des Königs hin. Der ehrwürdige General aber versicherte ernstlich, daß die Erzählung von dem betreffenden Würdenträger der Kirche wirklich vorgetragen worden war, und so gingen wir denn scherzend über die Gläubigkeit des neunzehnten Jahrhunderts bald auf ein anderes Thema über.
Franz Wallner.


Die deutsche Expedition nach Inner-Afrika und M. v. Beurmann.

Von Dr. Henry Lange.

Die deutsche Expedition nach Inner-Afrika hat, wie bekannt, den Zweck, das Schicksal unseres vielgenannten Landsmannes Dr. Eduard Vogel aufzuhellen und seine wissenschaftliche Mission – nämlich die Erforschung des Gebiets zwischen dem Nil und dem Tsad-See – zu vollenden.

Die Expedition wurde früher nach dem Führer derselben auch die Heuglin’sche Expedition genannt. Seit indeß Herr von Heuglin instructionswidrig, anstatt von Massaua aus nach Chartum, nach Abyssinien gegangen ist und in Folge dieser unerklärlichen und von seiner Seite nicht motivirten Handlungsweise von der Leitung der Expedition entbunden wurde, konnte fortan nur von der „deutschen Expedition“ die Rede sein.

Mit Herrn von Heuglin schieden aus der Expedition auch Dr. Steudner und der Gärtner Schubert, weil Beide Herrn von Heuglin folgten. Herr M. L. Hansel war von Keren am 23. Oct. 1861 aufgebrochen, um über Chartum nach Europa zurückzugehen. Hr. W. Munzinger und Hr. Th. Kinzelbach trennten sich im November vorigen Jahres in dem Dorfe Mai-Schecha in allem Frieden von Herrn von Heuglin und den andern Mitgliedern der Expedition, um, ihrer Aufgabe treu bleibend, ihrem fernern Ziele zuzuwandern. Sie erreichten im März d. J., also ein Jahr später, als sie den afrikanischen Boden betreten hatten, Chartum.

Beide Herren, Munzinger und Kinzelbach, werden von Chartum aus über El-Obed, Tendelti, Kobbeh nach Besché,[3] dem Ort, wo Dr. E. Vogel’s Spur verschwand, vorzudringen suchen.[4] Nur in großen Zeitabschnitten dürfen von diesen beiden braven und unverzagten Menschen Nachrichten zu erwarten sein. – Diese wenigen Worte vorauszuschicken schien mir nothwendig, bevor ich Herrn von Beurmann als Mitglied der Expedition einführe.

Es ist von verschiedenen Afrikakundigen lebhaft gewünscht worden, daß sich ein Reisender finden möchte, der geneigt wäre, den Versuch zu machen, von der Nordküste von Afrika und zwar von Bengasi aus nach Wara vorzudringen. Alex. Ziegler war vor einigen Jahren nahe daran, diesen Weg einzuschlagen, wurde aber [683] durch den Ausbruch der Pest daran verhindert. Herr v. Heuglin wollte sich nicht dazu verstehen, von Bengasi aus auf Wara vorzudringen, um so erwünschter kam das Anerbieten des Herrn M. von Beurmann, von Bengasi aus eine afrikanische Mission anzutreten.

Viele Leser dieser Zeilen werden es wünschen, ehe sie von der Reise des gedachten Herrn hören, etwas über seine Vergangenheit zu vernehmen. Moritz von Beurmann, geb. 1835 zu Potsdam, ist der einzige Sohn eines hohen und sehr geachteten preußischen Beamten, der bis zum Jahre 1850 den Posten eines Ober-Präsidenten bekleidete und seit seinem Ausscheiden als Gutsbesitzer in der Nähe von Halle an der Saale, in Oppim, lebt. Vor Kurzem wurde er zum Curator der Universität Halle erwählt. Nach vollendeten Schulstudien widmete sich M. v. B. dem Militärstande, trat bei den Garde-Pionieren in Berlin ein, um zunächst den praktischen Dienst kennen zu lernen. Nachdem er demnächst drei Jahre die Königl. Preuß. Artillerie- und Ingenieur-Schule zu Berlin besucht, inzwischen zum Officier befördert worden, ging er 1857 zur activen Armee und zwar zur vierten Pionier-Abtheilung nach Erfurt, später nach Luxemburg. Im J. 1859 trat er aus dem Militärdienste, um in Breslau Collegien in den orientalischen Sprachen, der Astronomie und den Naturwissenschaften zu hören. So ausgerüstet trat er, seinem inneren Drange folgend, 1860 eine Reise nach Afrika an. Er besuchte Aegypten, Nubien und besonders die Länder zwischen dem in neuerer Zeit oft genannten Massaua und Chartum, Sauâkin (Suakin) am rothen Meere und Abu Harâs, einen Ort am Bahr el Azrek (blauen Fluß). In den bekannten und weit verbreiteten Mittheilungen von A. Petermann in Gotha sind diese Reisen von Beurmann mitgetheilt; wir wollen hiermit nur angedeutet haben, daß unser Reisender kein Neuling auf afrikanischem Boden ist. Durch große Umsicht und seltenen Takt wußte er Schwierigkeiten zu überwinden, die andern Reisenden unter ähnlichen Verhältnissen das Fortkommen erschwert, ja unmöglich gemacht hätten.

Im Jahre 1861 kehrte Herr von Beurmann nach Europa zurück. Beseelt von jugendlichem Eifer und begeistert für die edlen Zwecke der deutschen Expedition theilte er Petermann seinen Entschluß, auf’s Neue nach Afrika zu gehen, mit und erklärte sich gleichzeitig bereit, von Bengasi aus auf Wara zu gehen, wofern ihm die Casse der deutschen Expedition die Mittel dazu gewähren könne.

Ich weiß nicht, wer bei diesem edlen Entschluß mehr zu bewundern ist, der Sohn, der sich aus den angenehmsten Verhältnissen von liebenden Eltern und Schwestern losreißt, um eine edle und große, der Menschheit würdigere Aufgabe, als dem Soldaten der Jetztzeit blüht, lösen zu helfen, oder der Vater, der seinen einzigen geliebten Sohn nicht zurückhält, dem Drange seines Innern zu folgen.

Am 1. September vorigen Jahres fand bei mir in Leipzig die erste Besprechung über die Reise statt. Es waren außer v. Beurmann Professor Dr. Petermann aus Gotha, Professor Dr. Bruhns, Director der Leipziger Sternwarte, und Dr. Otto Ule aus Halle zugegen. Die Reiseroute wurde im Allgemeinen beschlossen, über die Reisemittel berathen und die mitzunehmenden Instrumente bestimmt. Herr Bruhns übernahm zuvorkommend die Besorgung der nöthigen Instrumente. Als spätesten Termin zur Abreise bestimmte von Beurmann die Weihnachtszeit. Die Zeit bis dahin wurde mit neuen Vorbereitungen zur Reise ausgefüllt; dahin gehörten unter Andern fortgesetzte Uebungen im Bestimmen von geographischen Längen- und Breitenmessungen, die zum Theil hier auf der neuen Sternwarte ausgeführt wurden. Auch begab sich Herr von Beurmann nach Berlin, um mit unserem erfahrensten und berühmten Afrikareisenden Herrn Dr. Heinrich Barth sein Vorhaben zu besprechen. Später werde ich Gelegenheit haben zu zeigen, wie mit bekannter Thatkraft und großem Eifer dieser Gelehrte sich dem Unternehmen zuwandte. In der geographischen Gesellschaft zu Berlin und der ersten ordentlichen Sitzung des Vereins von Freunden der Erdkunde zu Leipzig hielt Herr von Beurmann Vorträge über seine oben angedeuteten Reisen. So verging die Zeit bis zur Abreise. Das Weihnachtsfest kam, und mit militärischer Pünktlichkeit war Alles zur Abreise, die denn auch am 26. December 1861 erfolgte, vorbereitet.

Am 27. Abends erreichte unser Reisender bereits Mühlhausen. Ein deutscher Kaufmann aus Trier, Herr Vogelsang, den Herr von Beurmann auf dem letzten Theil des Weges kennen gelernt, gab ihm einen Brief an Herrn Trouchet in Marseille mit, in Folge dessen er bei seinen Einkäufen wesentlich unterstützt wurde. Dieser Herr, der lange als Schiffscapitain in Madagaskar und Zanzibar stationirt gewesen, war mit den Erfordernissen zu einer solchen Reise genügend vertraut.

Von Marseille ging es mit der französischen Messagerie impériale über Civita-Vecchia nach Neapel, wo der Reisende gerade so viel Zeit hatte, einen Ausflug auf den noch rauchenden Vesuv zu machen. Am Abend schon setzte er die Reise auf dem Archimède über Catania nach Syracus, woselbst er am 5. Jan. 1862 gegen Mittag eintraf, fort; denselben Abend lief das Schiff auf Malta steuernd wieder aus, hatte aber das Unglück, in der Höhe von Malta von einem heftigen Unwetter überfallen zu werden, das den Vordermast brach und den Capitain zwang, nach Syracus zurückzugehen. Am 7. war der Schaden beseitigt, die Reise wurde nun fortgesetzt und am folgenden Tage La Valetta glücklich erreicht. Da sich hier nicht gleich Gelegenheit fand nach Bengasi weiterzureisen, so wurde Herr von Beurmann hier bis zum 21. zurückgehalten. Er machte indeß für die Expedition günstige Bekanntschaften. Am 26. betrat er in Gesellschaft des englischen Consuls für Bengasi Mr. Tulin den afrikanischen Boden. Unser Reisender fand hier in zuvorkommendster Weise im Hause des englischen Consuls Aufnahme.

Am 13. Februar verließ v. Beurmann Bengasi in Begleitung zweier Diener, Abu Bekr und Mohammed Tibbaui, um auf die Oase Udjila (Udschila) seinen Marsch fortzusetzen. Die Reise ging zunächst einige Tage hindurch in nicht zu großer Entfernung vom Meere durch mehr oder weniger fruchtbares Land, bis am Abend des 18. die Wüste betreten wurde. Ueber die kleinen Oasen Resam und Marag gehend, wurde am 22. die Oase Udschila erreicht, da aber der Gouverneur Halil und die Schechs, an welche Herr von Beurmann besonders empfohlen war, nicht hier, sondern zur Zeit in Dschalo sich befanden, begab er sich am folgenden Tage ohne Zögern nach dieser nach seiner Berichtigung südwestlich von Udschila liegenden Oase, die nach sechsstündigem Marsch auch glücklich erreicht wurde.

Hätte Herr von Beurmann seinem ursprünglichen Plane folgen können, so würde er von hier direct nach Süden über die Oase Kebabo oder Kufarah durch die Landschaften Wadschanga und Borgu nach Wadai vorgegangen sein. Da aber, wie früher schon angedeutet, durch einen räuberischen Ueberfall der Karawane des Sultans von Wadai durch die Malteser nicht nur jede Verbindung mit Wadai unterbrochen, sondern absolut unmöglich gemacht worden, mußte sich unser Reisender zu einer Abschwenkung von dem directen Wege entschließen und war durch die Verhältnisse gezwungen auf Mursuk zu gehen.

In den ersten Tagen des März konnte Herr von Beurmann endlich seinen Weg fortsetzen, den er nun auf Maradeh, eine westlich von Udschila gelegene Oase, nahm. Maradeh, der kleine gleichnamige Ort, besteht aus 50 meist baufälligen Häusern. Nicht eine menschliche Seele ließ sich blicken, bis etwa eine Stunde nach unserer Ankunft, so berichtet der Reisende, ein Sclave, der einzige, permanente Bewohner von Maradeh, herbeikam, um uns zu begrüßen. Nur zur Zeit der Dattelnernte kommen die Araber von der benachbarten Meeresküste herbei.

„Der Sclave war für mich,“ sagt von Beurmann, „insofern eine interessante Persönlichkeit, als er aus Wadai gebürtig und erst vor drei Jahren von dort geraubt war. Er erzählte mir, daß in Wara vier Christen sich befänden, die zwar gut gehalten würden, denen man aber nicht erlaube, in ihre Heimath zurückzukehren. Jeden Sonntag schickte ihnen der Sultan eine Kuh zum Schlachten, und auch sonst bekämen sie hinreichende Nahrung. Einer derselben sei aus Constantinopel und ein anderer aus Kairo, wo die beiden andern her waren, wußte er nicht anzugeben.“

Ohne weiteren Aufenthalt wurde die Reise auf Zala oder Sella fortgesetzt. Der Weg geht, einige Oasen abgerechnet, fortwährend durch die Wüste, und wie gefährlich es ist, in diesen Gegenden eines erfahrenen Führers zu entbehren, zeigte sich auch hier. Der bezahlte Führer leitete die kleine Karawane auf dieser Strecke oft stundenlang irre, so daß von Beurmann mehr als einmal mit Hülfe des Compasses und der ihm von Herrn A. Petermann mitgegebenen Karten den rechten Weg zeigen mußte.

Der 16. März hätte fast verhängnißvoll für von Beurmann werden können. Das Terrain war inzwischen etwas bergig geworden, [684] und der Führer hatte sich wieder vollständig verlaufen. „Nach einem zweistündigen Marsche waren wir nämlich an eine Bergwand gekommen, von der kein Weg herunterzuführen schien. Vergeblich wurde stundenweit rechts und links nach einem Abstieg gesucht, nichts wollte sich finden, und unser Wasservorrath war bereits so auf die Neige gegangen, daß, wenn wir nicht spätestens den folgenden Tag Sella erreichten, uns der sichere Tod durch den Durst bevorstand. Endlich wurde beschlossen, in südöstlicher Richtung an der Felswand entlang zu marschiren, in der Hoffnung einen Ausweg zu finden. Zwei Stunden darauf kamen wir auch an eine Stelle, wo der Sand rampenförmig an die Felswand heraufgetrieben war, so daß die Kameele zur Noth hinunter kommen konnten. Einzeln, indem ein Mann das Thier am Schwanz hielt und gleichsam als Hemmschuh diente, während zwei Andere es vorn am Zaum hielten, wurden so die Kameele hinuntergeschafft und in fröhlicher Stimmung die nordwestliche Richtung wieder eingeschlagen. Bald aber zeigte es sich, daß sie abermals an einem Abgrund standen; es blieb nichts weiter übrig, als entweder Thiere und Gepäck im Stich zu lassen und das Leben zu retten, oder die Thiere den gekommenen Pfad wieder zurückzuschaffen. Nach einem kleinen Imbiß entschied man sich für das Letztere, und oben glücklich wieder angekommen, suchte man in einer andern Richtung über höchst unwegsames Terrain einen Ausweg, den man denn auch nach harten Kämpfen fand.“ Am 16. März endlich wurde Sella erreicht.

Moritz v. Beurmann.

Die Oasengruppe von Sella besteht aus drei, je zwei Stunden in der Richtung von Norden nach Süden zu liegenden Inseln, Namens Tirsa, Sella und Tlissem. Sella liegt nach von Beurmann’s Messung unter 28° 32′ 9″ nördl. Breite und 17° 18′ 30″ Länge von Greenwich. Der Reisende wurde hier, da nicht gleich Kameele zur Weiterreise zu haben waren, zehn Tage aufgehalten, dann aber erzwang er seine Weiterreise, die er über Fugga, Temissa und Tuila nach Mursuk bewerkstelligte.

Am 15. April hielt Herr v. Beurmann seinen Einzug in die schon bekannte Hauptstadt Fessan’s. Der Pascha hatte dem Reisenden, als er von seiner Ankunft Kunde erhalten, eine Suite von 20 Reitern, die ihn in feierlichem Zuge nach der Stadt geleiteten, entgegen geschickt und sein Nichterscheinen, als durch ein Unwohlsein veranlaßt, entschuldigen lassen. Am Morgen des folgenden Tages schickte der Gouverneur zu der Zeit, die Herr v. Beurmann bestimmt hatte, ein reich aufgezäumtes Pferd, das ihn in den Müdschlis (Rath) trug. Später erhielt unser Reisender einen Besuch vom Pascha; nachdem derselbe fort war, begab sich Herr v. Beurmann zum Hadsch Mohammed Ben Alua, dem Präses des Raths, um seine Wünsche behufs der Reise nach Wadai zu betreiben. In dem Bericht[5] vom 28. April heißt es: „Ich veranlaßte ihn, zum Pascha zu gehen und die sofortige Herbeirufung des Sultans von Tibu-Reschade, der sich gegenwärtig in Gatron befand, zu bewirken. In der That ging noch denselben Abend der Bote ab.[6] Auch behufs meines Eintritts in Wadai kam die Sache zu einem vorläufigen Abschluß, indem als der einzige ausführbare Plan von den Müdschlis anerkannt wurde, mittelst eines Schreibens vom Pascha von Tripolis an den Sultan von Wadai zu fordern: 1) die sofortige Herausgabe aller noch in Wadai befindlichen Effecten und Papiere des Dr. Vogel, 2) die Erlaubniß zu meiner Reise und 3) zu diesem Behufe die Hersendung eines Mannes mit einem Firman vom Sultan. Unterstützt wird diese Forderung durch ein entsprechendes Geschenk von meiner Seite. Ein blindes Drauflosgehen ward aber von Allen, die hier mit den Verhältnissen jener Länderstriche bekannt sind, für die größte Thorheit erklärt.“

Aus dem Vorstehenden ist zu ersehen, daß v. Beurmann mit großer Energie, Umsicht und Verstand seine so schwierige Aufgabe behandelt, und wenn überhaupt ein Erfolg möglich ist, so glauben wir, daß v. Beurmann der rechte Held ihn zu erringen ist. Um so unwürdiger würde es sein, wenn man die braven drei deutschen Männer v. Beurmann, W. Munzinger und Kinzelbach nicht mit den nöthigen Geldmitteln unterstützen wollte.

Herr v. Beurmann hat im Eifer der Sache und im Glauben, daß es möglich sei in directer Richtung nach Wadai vorzudringen, die Reise mit der geringen Summe von 1500 Thalern, die ihm [685] vom Comité der deutschen Expedition in Gotha mitgegeben wurden, angetreten. Daß diese Mittel bei der sich in die Länge ziehenden Reise nun längst erschöpft, ist natürlich, und schon ist der Reisende genöthigt gewesen, einen Wechsel von 700 Thalern auf seinen Vater zu ziehen. Ist es nicht genug, daß der Vater großherzig genug ist, dem wahrhaft edlen Zweck den einzigen Sohn zu opfern? soll er auch noch Geldopfer bringen? Das, sollte ich meinen, wird die deutsche Nation nicht verlangen, namentlich da sie die Lösung der Aufgabe zu der ihrigen gemacht hat, wie sie durch die erste Opferbereitwilligkeit bewiesen hat. Offen und ehrlich ist der Fehltritt des früheren Leiters der Expedition, des Herrn v. Heuglin, bekannt worden. Durch den Eintritt des Herrn v. Beurmann in die deutsche Expedition ist aber hinreichend nachgeholt, was Heuglin versäumt hat.

Herr Dr. Heinrich Barth hat in edlem Eifer für die Sache, als er erfuhr, daß Geld nöthig war, Herrn v. Beurmann durch den englischen General-Consul Major Hermann in Tripoli einen Credit bis 200 Pfd. Sterl. (1350 Thlr.) in Mursuk eröffnet. Das Comité der deutschen Expedition hat, so viel wir hören, 1000 Thaler bewilligt, die deutsche morgenländische Gesellschaft hat aus ihrer Casse neuerdings wieder 100 Thaler bewilligt, und die Leipziger Carl-Ritter-Stiftung hat bei ihrem Alter von kaum einem Jahr 150 Thaler für die Expedition beigesteuert. Der für jede reine und große nationale Handlung unermüdlich wirkende Alexander Ziegler in Dresden hat der Expedition große Dienste geleistet, ebenso Dr. Otto Ule. Ich habe versucht, in Leipzig, dem Wohnorte der Familie des verschollenen Dr. Ed. Vogel, den Sinn für das Unternehmen einigermaßen rege zu halten, eine noch nicht geschlossene Geldsammlung veranstaltet und wende mich schließlich an die zahlreichen Leser und Leserinnen der Gartenlaube mit der Bitte, der deutschen Expedition nach Inner-Afrika zu gedenken.

Die neuesten, am 22. August durch Dr. A. Petermann veröffentlichten Nachrichten, nach denen laut Bericht von W. Munzinger aus El-Obed unser braver Dr. Eduard Vogel in Besché, 16 Stunden südlich von Wara, ermordet worden sein soll, können an unserer Bitte, unsere braven deutschen Männer v. Beurmann, Munzinger und Kinzelbach nicht durch Mangel zu Grunde gehen zu lassen, nichts ändern.

Das Ziel der deutschen Expedition ist und bleibt, den Ort zu erreichen, wo Eduard Vogel lebend oder seine irdischen Ueberreste gefunden werden.

Herr v. Beurmann wird jetzt bereits in Kuka, der Hauptstadt von Bornu, wo H. Barth, Overweg und Vogel gelebt haben, angekommen sein und in derselben Richtung, die Vogel nach Wara eingeschlagen hatte, seinen Weg nehmen. In einigen Wochen können Nachrichten von v. Beurmann aus Kuka erwartet werden. Aber auch neue Mittel für die Weiterreise von Kuka nach Besché und Wara werden aufzubringen sein.

Sollten Freunde der Expedition mir Beiträge zusenden, so werde ich in der Gartenlaube darüber quittiren.




Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.

Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 7.
(Schluß.)
Kampf der Grabwespe mit dem Käfer – Die Mauerbienen als Pflanzenbefruchter – Ohne Hummeln kein England – Der Haushalt der Wespen – Die Ameisen und ihre Leistungen – Die Sclaverei unter den Ameisen und die Nutzanwendung auf Amerika.

„Wie benimmt sich die Grabwespe,“ fährt Fabre fort, „um ihre Beute scheintodt zu machen? Ich setze einen Rüsselkäfer einige Zoll weit von dem Loche, in welches eine Wespe eben mit ihrer Beute eingefahren ist. Der Käfer läuft hin und her; geht er zu weit, so setze ich ihn wieder an seinen Posten. Endlich zeigt die Wespe ihr breites Gesicht am Eingang des Loches; mein Herz klopft. Die Wespe klettert einige Augenblicke umher, sieht den Käfer, stößt ihn an, läuft mehrmals über ihn weg und fliegt von dannen, ohne ihn nur mit einem Biß zu beehren. Ich war beschämt. Wiederholte Versuche bringen neue Täuschungen; sie wollen offenbar nichts von meinem Wild. Vielleicht ist es zu alt, zu abgeflattert; vielleicht habe ich ihm bei der Berührung einen der Wespe abschreckenden Geruch mitgetheilt. Und wenn ich die Wespe dazu brächte, mit ihrem Stachel sich zu vertheidigen? Ich thue einen Käfer und eine Wespe zusammen in dasselbe Glas, das ich ein wenig schüttele. Die Wespe ist offenbar entsetzt, sie denkt an die Flucht und nicht an den Angriff; die Rollen sind sogar vertauscht: der Käfer wird der Angreifer und packt manchmal zwischen seinen Kiefern einen Fuß seines Todfeindes, der sich nicht einmal zu vertheidigen wagt, so sehr beherrscht ihn der Schrecken. Ich muß andere Versuche anstellen, denn so geht es nicht.

Ich bemerkte schon, daß die Wespe bei der Heimkehr ihre Beute in geringer Entfernung von dem Loche niederlegt, um sie dann mühselig hineinzuschleifen. In diesem Augenblick ziehe ich ihr sachte mittelst einer Zange die Beute an einem Fuße weg und werfe ihr einen lebenden Käfer hin. Das Manöver glückte. Sobald die Wespe ihre Beute unter sich weggleiten fühlte, stampfte sie wild auf den Boden, drehte sich um, stürzte sich auf den Rüsselkäfer, den ich zum Ersatz hingelegt hatte, und packte ihn mit den Füßen, um ihn fortzuschleppen. Aber nun merkt sie, daß der Käfer lebt, und augenblicklich beginnt ein wunderbar schneller Kampf, der rasch endet. Die Wespe stellt sich gegen den Käfer, packt seinen Rüssel mit ihren mächtigen Kiefern und drückt ihn kräftig nieder. Der Käfer bäumt sich, die Wespe drückt ihn mit ihren Vorderfüßen zusammen, um seine Bauchschienen klaffen zu machen. Ihr schlanker Hinterleib gleitet unter den Bauch des Käfers, krümmt sich und sticht zwei oder drei Mal den Stachel zwischen dem ersten und zweiten Fußpaare ein. Alles dies ist in einem Augenblick geschehen. Wie vom Blitze gerührt fällt der Käfer zusammen, ohne die geringste Convulsion, ohne das geringste Zucken der Glieder. Es ist schrecklich und bewundernswürdig zugleich. Die Wespe dreht nun den Leichnam auf den Rücken, stellt sich über ihn, Bauch gegen Bauch, Beine zwischen Beine, und fliegt von dannen.

Der Stachel hat ohne Zweifel das große Brustganglion getroffen. Um meine Demonstration zu vervollständigen, bleibt mir noch übrig zu beweisen, daß man willkürlich die Insecten in denselben scheintodten Zustand überführen kann, wenn man die Wespen nachahmt. Die Operation ist äußerst einfach. Man braucht nur mittelst einer Stahlnadel oder eines spitzen Glasröhrchens ein Tröpfchen ätzender Flüssigkeit auf die Brustganglien zu bringen, indem man den Käfer zwischen dem ersten und zweiten Brustringe hinter dem ersten Fußpaare verwundet. Gewöhnlich brauche ich dazu Ammoniak; jede andere Flüssigkeit ist aber ebenso tauglich. Die Wirkung ist augenblicklich. Die Bewegung hört sofort auf, ohne Convulsionen, und die so gestochenen Rüssel- und Prachtkäfer behalten trotz ihrer vollständigen Unbeweglichkeit während eines und selbst zweier Monate ganz dieselbe Biegsamkeit ihrer Glieder und dieselbe Frische ihrer Eingeweide, wie die von den Grabwespen gestochenen Rüsselkäfer.“

Außer den gesellig lebenden Wespen, Hummeln und Bienen, von denen wir später noch reden wollen, giebt es noch eine große Menge meist ziemlich behaarter Hautflügler, welche den kleinen Erdhummeln häufig gleichen und einsam Nester machen, in welche sie Honig und Blumenstaub einlegen, von dem ihre Larven sich nähren. Die Mauerbiene (Osmia muraria), die ich oben erwähnte, legt ihre Zellen mittelst eines Mörtels an, der eine außerordentliche Festigkeit besitzt und häufig länger der Verwitterung widersteht, als der Stein, an welchem die Zelle angeklebt ist. Andere dieser einsamen Bienen nagen das Holz aus, wie namentlich eine sehr große, dunkelstahlblaue Hummel es thut, die in der Umgegend von Genf nicht selten zu finden ist. Andere wieder arbeiten in der Erde, oder auch indem sie Pflanzenblätter zierlich mit ihren Kinnbacken zuschneiden und zum Neste für die Larven verwenden. Ich stehe nicht an, alle diese Thiere ebensowohl, wie die gesellig lebenden [686] Erdhummeln und Bienen für äußerst nützliche Thiere zu erklären, deren Nutzen bei weitem noch nicht genug aufgeklärt ist. Alle diese wilden Bienenarten, welche sich von Honig und Blumenstaub nähren, in allen Blumenkelchen umherkriechen, die Staubbeutel aufbeißen und stets über und über von Pollen bestäubt sind, erscheinen als äußerst wichtige indirecte Werkzeuge zur Befruchtung der verschiedenen Pflanzen. Wenn ich nicht irre, war es zuerst bei der Vanille, wo man bemerkte, daß sie nur deshalb in unsern Gewächshäusern keine Frucht ansetze, weil dort das Insect fehle, das den befruchtenden Büthenstaub auf die Griffel überträgt. Morren in Lüttich kam in den 30er Jahren auf den Gedanken, das Insect durch den Pinsel zu ersetzen, und seit dieser Zeit erzielt man in unsern europäischen Gewächshäusern Vanilleschoten, welche nicht minder aromatisch sind, als die mexicanischen, und sogar höher im Preise stehen. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß bei einer Menge von Pflanzen in unsern Gegenden, von welchen wir es bis jetzt kaum ahneten, der Zufall des Bienenbesuchs mit in die Berechnung der Natur gehört und daß diese Pflanzen nur dann Früchte und Samen ansetzen, wenn dieser Besuch möglich gemacht wird. Darwin, der berühmte Verfasser des Buches über die Entstehung der Arten, welches in neuerer Zeit so viel Aufsehen erregt hat, theilt über diesen Gegenstand und die Verkettung, in welcher sich die einzelnen Arten unter einander befinden, ein Beispiel mit, das ich nicht umhin kann, hier anzuführen: „Viele unserer Orchideen-Pflanzen müssen unbedingt von Motten besucht werden, um ihre Pollen-Massen wegzunehmen und sie zu befruchten. Auch habe ich Ursache zu glauben, daß Hummeln zur Befruchtung der Jelängerjelieber (Viola tricolor) nöthig sind, indem andere Insecten sich nie auf dieser Blume einfinden. Durch angestellte Versuche habe ich gefunden, daß der Besuch der Bienen zur Befruchtung von mehreren unserer Kleearten nothwendig sei. So lieferten mir hundert Stöcke weißen Klees (Trifolium repens) 2290 Samen, während zwanzig andere Pflanzen dieser Art, welche den Bienen unzugänglich gemacht waren, nicht einen Samen zur Entwicklung brachten. Und eben so ergaben hundert Stöcke rothen Klees (Trifo1ium pratense) 2700 Samen, und die gleiche Anzahl gegen Bienen geschützter Stöcke nicht einen! Hummeln besuchen allein diesen rothen Klee, indem andere Bienenarten den Nektar in dieser Blume nicht erreichen können. Daher zweifle ich wenig daran, daß, wenn die ganze Sippe der Hummeln in England sehr selten oder ganz vertilgt würde, auch Jelängerjelieber und rother Klee selten werden oder ganz verschwinden müßten. Die Zahl der Hummeln steht großentheils in einem entgegengesetzten Verhältnisse zu derjenigen der Feldmäuse in derselben Gegend, welche deren Nester und Waben aufsuchen. Herr H. Newman, welcher die Lebensweise der Hummeln lange beobachtet, glaubt, daß über zwei Drittel derselben durch ganz England zerstört werden. Nun findet aber, wie Jedermann weiß, die Zahl der Mäuse ein großes Gegengewicht in der der Katzen, so daß Newman sagt, in der Nähe von Dörfern und Flecken habe er die Zahl der Hummelnester am größten gefunden, was er der reichlicheren Zerstörung der Mäuse durch die Katzen zuschreibe. Daher ist es denn wohl glaublich, daß die reichliche Anwesenheit eines katzenartigen Thieres in irgend einem Bezirke durch Vermittelung von Mäusen und Bienen auf die Menge gewisser Pflanzen daselbst von Einfluß sein kann!“

Man könnte sogar noch weiter gehen in diesen Schlußfolgerungen. Die ungeheuere Fleischproduction Englands, deren die Engländer nach ihrer eigenen Behauptung zur Unterhaltung ihrer Industrie und Marine unbedingt benöthigt sind, ist nur ermöglicht durch die rationelle Behandlung der Landwirthschaft, namentlich aber des Baus von Futterkräutern, unter welchen wieder der Klee eine wesentliche Rolle spielt. Ohne Klee keine Ochsen, ohne Ochsen kein Roastbeef, ohne Roastbeef kein England! Man sieht also, daß Altengland um jeden Preis die freie Arbeit der Hummeln unterstützen und den Katzen freien Spielraum lassen muß.

Ich behandele hier nicht die gesellig lebenden Honigbienen, welche in dem civilisirten Europa überall zu dem Range von Hausthieren erhoben worden sind; dagegen erlaube ich mir, noch Einiges über diejenigen Hautflügler anzuführen, welche unbedingt von uns unter die schädlichen gerechnet werden können. Ich meine die Wespen, Hornissen und Ameisen.

Die schlechtesten Früchte sind es in der That nicht, an welchen die Wespen nagen, und in allen Landwohnungen namentlich sind sie höchst unangenehme Gäste, welche durch ihre Gefräßigkeit und ihren furchtbaren Stachel manche Unannehmlichkeit verursachen. Nicht nur süße Früchte, Zucker und Honig, sondern auch Fleisch und lebende Insecten fallen sie mit Begierde an und fangen namentlich die Bienen im Fluge weg, um sie mit ihren scharfen Kiefern zu zerreißen und den Honig aus ihrem Magen zu verzehren. Ihr Stich ist bekanntlich äußerst schmerzhaft, und ich kenne sogar einen Fall, wo er den Tod herbeiführte. Ein Gärtner hatte eine am Boden liegende Butterbirne aufgehoben und ohne Weiteres ein großes Stück abgebissen. In dem Stücke saß eine Wespe, welche ihn beim Hinabschlucken des Bissens an die Stimmritze stach, die in kurzer Zeit so verschwoll, daß der Arme an Erstickung starb.

Interessant ist die Haushaltung dieser Thiere. Gegen den Herbst hin erscheinen große Weibchen, die wohl drei Mal größer sind als die Männchen, mit denen sie sich im Fluge begatten. Die Männchen sterben bald, die befruchteten Weibchen aber verkriechen sich irgendwo an einem warmen geschützten Orte und verbringen so den Winter in Erstarrung. Beim Beginn des Frühlings kommen diejenigen Weibchen, die der Frost nicht getödtet hat, hervor und beschäftigen sich nun auf’s Eifrigste mit dem Bau ihres Nestes, das aus Holzfaser gebildet wird, die mittelst des Speichels zu einer Art steifen Löschpapiers zusammengeleimt ist. Die Zellen des Nestes sind den Bienenzellen ähnlich und werden sogleich mit Eiern besetzt, aus denen sich dicke fußlose Larven entwickeln, welche mit dem Kopfe nach oben mittelst zweier hinterer Saugnäpfe an dem Boden der Zelle sich festhalten und von der Mutter gefüttert werden. Bald sind Hunderte von Zellen gebaut, mit Eiern und Larven besetzt, die alle von der unermüdlichen Mutter so lange gefüttert werden, bis sie sich in einen feinen Seidencocon einspinnen. Nun sieht sie aber auch entsetzlich armselig aus, abgeflattert, haar- und glanzlos, ein wahres Bild aufopfernder Hingebung, die sich wochenlang für ihre Nachkommenschaft geopfert hat. Endlich schlüpfen die Jungen aus: Arbeiterinnen mit verkümmerten Geschlechtstheilen, bei weitem kleiner als die Mutter, aber ebenso emsig wie diese in der Sorge des Hauses. Die Mutter begiebt sich jetzt in Ruhestand; sie verläßt das Nest nicht mehr, läßt sich von den Arbeiterinnen füttern, übt nur die Polizei des Hauses und legt unermüdlich Eier in die Zellen, welche die Arbeiterinnen bauen. Es erscheinen nun nach und nach kleine Männchen, die keinen Stachel besitzen und sich von den Arbeiterinnen füttern lassen, und zuletzt jene Herbstgeneration großer Weibchen, welche zur Früchtezeit uns so unangenehm werden und die bis zum Eintritt der Kälte den Arbeiterinnen helfen. Mit dem Beginne des Spätherbstes sterben zuerst die Männchen, dann die Arbeiterinnen, während die noch nicht verpuppten Larven aus ihren Zellen herausgerissen und todt gebissen werden. Dann zerstreuen sich die befruchteten Weibchen, um sich zu verkriechen und im Frühjahre, wie oben beschrieben, ein neues Nest zu beginnen. Man findet zuweilen gegen den Spätherbst hin große Papiernester, welche über einen Fuß im Durchmesser haben, mehrere Tausende von Zellen, in einem Dutzend Stockwerken vertheilt, besitzen und dennoch nur das Werk eines einzigen Sommers sind. Auffallend ist es, daß bei den so verrufenen Wespen Hunderte von Weibchen in dem einzigen Neste friedlich zusammen wohnen und arbeiten, während bei den sanften Bienen die Herrschsucht jene tödtlichen Kämpfe der Königinnen verursacht, in Folge deren nur eine Königin im Stocke bleibt.

Endlich noch ein Wort von den Ameisen, mit deren Industrie wir so schwierige Kämpfe zu bestehen haben, weil sie mit einer bewundernswürdigen Intelligenz zu ihrem Zwecke zu gelangen wissen. Es ist gewiß kein Märchen, wenn man behauptet, daß diese Thiere fähig sind, sich selbst ziemlich verwickelte Mittheilungen mittelst der Zeichensprache ihrer Fühler zu machen. Es ist keine Fabel, wenn man behauptet, daß die Blattläuse ihre Milchkühe sind und daß sie diese mit derselben Sorgfalt pflegen, welche der gewiegteste Oekonom seinem Stallviehe zuwenden kann. Bei all ihren zerstörenden Eigenschaften haben die Ameisen wenigstens das Gute, daß sie als Führer zu den verborgenen Blattläusen dienen können. Man kann sicher sein, daß Blattläuse auf einer Pflanze sitzen, wenn Ameisen häufig an derselben auf- und ablaufen, und indem man ihnen folgt, wird man gewiß an den Platz geleitet, wo diese Feinde pflanzlichen Wachsthums sich aufhalten.

Das ist aber auch der einzige Nutzen, welchen diese intelligenten Thiere gewähren können, die im Uebrigen eine wirklich großartige Zerstörungskraft zu entfalten im Stande sind. Es ist falsch, wenn man behauptet, daß sie Vorräthe für den Winter einheimsten; die [687] Fabel von der Cicade und der Ameise hat durchaus keine thatsächliche Begründung; was sie dem Neste zuschleppen, dient entweder zu baulicher Construction oder zu Speisung der zahlreichen Nachkommenschaft und der nichtarbeitenden Weibchen und Männchen, die sich häufig in so großer Menge im Neste finden, daß sie beim Ausschwärmen die Luft verfinstern. Im Winter, wo die Männchen todt, die Weibchen im Neste, die Jungen erzogen sind, fallen die Ameisen in Erstarrung, aus der sie nur zuweilen in warmen Tagen aufwachen, um dann sogleich nach Nahrung umherzuschweifen, die in dem Neste gänzlich fehlt. Zur Nahrung dient ihnen aber auch fast jeder pflanzliche und thierische Stoff – alle Zuckersäfte, seien sie nun von den Pflanzen direct ausgeschwitzt oder erst durch den Darm von Blattläusen, Schildläusen und ähnlichen saugenden Insecten durchgegangen, Gummi, Stärke, Früchte aller Art, thierische Stoffe, faulende Leichen von Insecten, Würmern und Schnecken, ja selbst größeren Thieren, sobald denselben die Haut abgezogen ist. Sie schneiden aber keine Pflanzenkeime, keine Blätter, keine Schossen an – selten sogar Früchte – sondern benutzen nur die von andern Thieren eingefressenen Lücken, um von dort aus weiter zu arbeiten. Dabei scheuen sie keine Mühe, kein Hinderniß, keine Entfernung. In dem Keller einer bekannten Apotheke in Bern stand seit Jahren ein gewaltiges Gefäß mit Syrup an derselben Stelle, das stets wieder zugefüllt wurde. Seit Jahren auch hausten Ameisen darin wie in ihrem Eigenthume. Wir waren eines Tages neugierig genug ihrem Wege zu folgen. Er führte uns aus dem Kellerloche hinaus auf die Straße, quer über die Hauptstraße Berns, in der viel Verkehr ist, über den Bach, nach der belebten Promenade der Kirchterrasse, über Weg und Gras nach der Brustwehr, über diese hinab die wohl 150 Fuß hohe Mauer hinunter an deren Fuß, wo sich in dem Gemäuer das Nest befand. Ein Weg, mit seinen Krümmungen gemessen gewiß über 600 Meter lang, der einen sehr belebten Spaziergang, mehrere große Straßen der Länge und Quere nach und einen Bach überschritt, um endlich an einen Syruptopf zu gelangen – ist das nicht, von dem kleinen Ameisenvolke, eine Leistung, welche die Semmering-Bahn weit übertrifft?

Die interessanteste Thatsache aber in dem Leben gewisser Ameisen ist die unbestreitbare Existenz der Sclaverei, einer Anfangs gezwungenen, später aber, wie es scheint, freiwilligen Sclaverei, auf welche der Haushalt einiger Arten gegründet ist. In dem Weinberge an dem Garten meiner früheren Wohnung in Genf hauste ein solcher, von Huber „Amazonen“ genannter Ameisenschwarm. Ich beobachtete sie in den heißen Monaten Juli und August. Nachmittags zwischen drei und vier Uhr sah man kleine, schwärzliche Ameisen um die Oeffnung des in der Erde gelegenen Nestes schweifen. Dann kamen einzelne größere, gelbrothe Ameisen heraus, die sich von den Schwarzgrauen streicheln und belecken ließen, hin und wieder liefen, aus und eingingen. Diese letzteren mehrten sich bald, und nun quoll es aus dem Loche hervor – ein gewaltiger Schwarm, in wilder Hast nach einer gegebenen Richtung, meist der im Garten angebrachten Mistbeete und Gewächshäuser, rennend. Links und rechts von dem Gewalthaufen galoppirten einzelne Ameisen wie Patrouillen und Plänkler. So rannten die Rothgelben in sausender Hast den Mauern zu, wo sich die Nester der Schwarzgrauen befanden, und stürzten wie ein Bergstrom wirbelnd in alle Löcher und Oeffnungen der Mauer. Hie und da kamen dann kleine, schwarzgraue Ameisen hervor, ganz den bei dem Amazonen-Neste gesehenen ähnlich, ängstlich flüchtend, zuweilen eine Puppe (sogenanntes Ameisenei) in den Kieferzangen tragend. Kam eine rothgelbe dazu, so ließen sie die Puppe fallen und flüchteten – nie sah ich einen ernsthaften Kampf.

Nach einiger Zeit kamen die Rothgelben wieder aus den Löchern und Ritzen hervor, fast jede eine Puppe in den Kiefern tragend. Diejenigen, welche nichts erhascht hatten, eilten wieder als Plänkler voraus; die Schwerbeladenen humpelten nach. Bei dem Neste wimmelte es von schwarzgrauen Sclaven, die nun den Rothgelben entgegeneilten, ihnen die Eier trugen oder auch sie selbst packten, um sie nach Hause zu schleppen. Ich habe öfter gesehen, daß ein solcher schwarzgrauer Sclave eine um mehr als die Hälfte größere Rothgelbe ergriff und diese, welche sich ihm ringförmig um den Hals schlang, mit sammt der Puppe, die sie in den Kiefern hielt, fortschleppte, also gewiß das Dreifache seines eigenen Körpergewichtes in dieser Weise trug.

Aus den geraubten Puppen schlüpfen schwarzgraue Arbeiter aus, die, in dem Neste der rothgelben Amazonen geboren, dort alle Dienste übernehmen und ihre Herren mit bewunderungswerther Anhänglichkeit hin und herschleppen, füttern, streicheln, putzen, so daß diesen durchaus keine andere Beschäftigung bleibt, als der Krieg, da die Natur ihnen die Liebe versagt hat.

Zum Oeftern schon habe ich mich gewundert, diese von Natur wegen bei gewissen Ameisen eingeführte Sclaverei nicht unter den Argumenten zu finden, welche die Sclavenhalter Nordamerika’s zu ihren Gunsten anzuführen gewohnt sind. Sie haben als fromme Christen und rechtgläubige Menschen die Bibel bis auf den letzten Boden ausgeschöpft, um die Sclaverei als eine göttliche Institution, vom Heiland gebilligt und von den Aposteln gepredigt, hinzustellen; – sie haben sich eigens Naturforscher kommen lassen, die des Ehrgefühles so bar und ledig waren, daß sie die Berechtigung der höher stehenden Menschenspecies, des Kaukasiers, zur Knechtung der niederen Race, des Negers, aus zoologischen Grundsätzen und Unterschieden zu deduciren suchten; – warum nicht auch noch die Natur als Dritte in den Bund rufen, wenn Glaube und Wissenschaft schon ihnen beispringen? Da hätte man ja, bei den Ameisen, Alles im schönsten Spiegelbilde – eine rothblonde stärkere Race, die nur genießt, höchstens zum Zeitvertreibe einmal Krieg führt und Raubzüge unternimmt, und eine schwarzgraue, schwächere, dienende Race, die für ihre Herren arbeitet, sie füttert, umherschleppt und ihre Nachkommenschaft auferzieht und pflegt, wie wenn es Ihresgleichen wäre! Was will man mehr thun, als den Schöpfer nachahmen?




Blätter und Blüthen.

Aus Kaulbach’s Kindheit und Jugend. „Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen, es grünten und blühten Fels und Wald.“ Und mit dem lieblichen Feste der Maien kam am 30. Mai von Kaulbach nach M. und blieb bis zum 2. Juni. „Schade,“ sagte der Erbprinz von M., als er ihn begrüßte, „schade, daß Sie nicht ein paar Tage früher gekommen sind, dann hätte ich die beiden hellleuchtenden Kunstdioskuren von Arolsen zusammen hier gehabt. Rauch war einige Tage bei mir.“

Der Prinz bot Alles auf, um dem genialen Künstler den Aufenthalt in der Residenz so angenehm als möglich zu machen, und Kaulbach versicherte mir mehrfach, wenn ich ihn zu einem Spaziergang auf einen der nahe liegenden, mit frischduftenden Wäldern bewachsenen Berge abgeholt hatte, um „etwas Sauerstoff zu kneipen,“ daß er sich lange nicht so wohl und heiter gefühlt habe. Täglich versammelte der Prinz entweder im Residenzschlosse oder auch an einem andern passenden Orte mehrere Künstler und Kunstfreunde zur Unterhaltung des Meisters. Unter ihnen war namentlich ein gemüthreicher Dichter, Ludwig Bechstein, ferner ein vaterländischer Geschichtsforscher, der seit einigen Jahren ziemlich umfassende Studien für ein thüringisch-sächsisches Geschichtswerk machte, und ein junger genialer Maler, Andreas Müller, der, auf Kaulbach’s Empfehlung von dem Prinzen berufen, wenige Tage zuvor in M. eingetroffen war, um eine Reihe von monumentalen Bildern aus der thüringisch-sächsischen Geschichte in dem Residenzschlosse zu malen.

Einen der schönsten Abende hatte man in der mit bunten italienischen Laternen freundlich hell erleuchteten Gartenlaube des Dichters. Der Maler belebte die Stimmung durch sein reizendes Spiel auf der Schlagcither, und Kaulbach würzte die Unterhaltung durch seinen frisch sprudelnden Humor.

„Als neulich Rauch hier war,“ sagte ich zu Kaulbach, „entwarf er uns ein sehr interessantes Bild seiner Kindheit und ersten Jugend. Wir würden Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie ein ähnliches Bild aus Ihrem Jugendleben uns lieferten.“ Da meine Bitte von allen Seiten unterstützt wurde, so hub Kaulbach etwa in folgender Weise an:

„Mein Vaterland ist Waldeck, eins der kleinsten von unsern 35 Vaterländern, und meine Vaterstadt ist, wie die meines Freundes Rauch, Arolsen. Doch bin ich nicht wie er in einem heiteren, von blühenden Gärten umgebenen Landhause, sondern in einer niedrigen Wohnung mitten in der Stadt geboren und zwar am 16. October 1805. Mein Vater war ein armer Goldschmied, der, als seine Familie zahlreicher wurde, nur mit Mühe das, was zur täglichen Nahrung und Nothdurft gehört, für dieselbe beschaffen konnte. Er hatte sich bei dem niedrigen Stande der Schulanstalten des kleinen Landes nur einen geringen Grad der Bildung, namentlich auch im Zeichnen, aneignen können. Desto eifriger war er aber nun, diesen Mangel bitter fühlend, darauf bedacht, mir und meinem vier Jahre jüngeren Bruder Karl[7] möglichst guten Unterricht geben zu lassen.

„Wenn ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das meiner armen Mutter genug Mühe gekostet,“ so sagt Heine in seinen Reisebildern, indem er sich der braunen Thüre erinnert, worauf Mutter ihn die Buchstaben mit Kreide schreiben lehrte. In ähnlicher Weise kann ich von meinem Vater sagen: „es hat ihm viel Mühe gekostet, wenn ich ein leidlicher Maler geworden bin.“ So wenig ich auch Talent und Neigung zu der Kunst zeigte, er ließ nicht ab vom treuen Hoffen, noch etwas aus mir [688] herauszubilden, er ließ aber auch nicht ab von tüchtigen Schlägen, und ich habe so viel Prügel über der Malerei bekommen, das; es in der That ein Wunder ist, wie dadurch nicht der letzte Funke von Liebe zur Kunst ausgetrieben worden ist. Den ersten Unterricht ertheilte der Vater selbsteigenhändig, dann wurde derselbe bei einem Zeichenlehrer fortgesetzt, wobei die Hand des Vaters oft noch in fühlbarer Weise nachhalf.

Aber all mein Abscheu gegen die Kunst half mir nichts; mein Vater fuhr fort, mir durch schlagende Gründe begreiflich zu machen, daß der Künstlerberuf mein eigentlicher Lebensberuf sei. Er wendete seine letzten Mittel an, um mich dem Meister der Meister Cornelius zur weitern Ausbildung zu übergeben, der damals abwechselnd in Düsseldorf und in München künstlerisch thätig war. In München wollte man durchaus nicht recht an meinen Künstlerberuf glauben; ich brachte in meinen Compositionen meist ganz bizarre Ideen zu Tage, und statt daß ich damit Bewunderung erregte, wurde ich ausgelacht.

Jetzt siedelte Cornelius aus längere Zeit nach Düsseldorf über, und ich nebst mehreren andern Schülern mit ihm. Den Sommer über ward er und die andern hervorragenden Düsseldorfer Meister nach Köln, Trier, Koblenz etc. berufen, um größere Frescogemälde auszuführen. Wir junges Gestrüpp blieben in Düsseldorf zurück, um leichtere Aufgaben auszuführen. Da kam eines Tages der wackere Arzt der Irrenanstalt zu uns in das Atelier des Cornelius. „Ihr jungen Bursche,“ rief er uns zu, indem er uns an kleineren untergeordneten Arbeiten beschäftigt sah, „müßt Euch auch nun an etwas Größerem versuchen. Ihr müßt Frescobilder malen. Ich will Euch dazu Gelegenheit geben. In unserer Irrenkirche findet Ihr Raum genug dazu. Geht nur gleich an’s Werk. Geld kann ich Euch freilich nicht für Euere Kunstleistungen bieten, aber Brod, Butter, Käse und Bier sollt Ihr während der Arbeit bekommen, soviel Ihr nur wollt.“

Das ließen wir uns nicht zwei Mal sagen. Am nächsten Morgen waren wir schon fleißig am Werk und malten Fresken drauf und drein. Es dauerte nicht lange, so hatten wir jedes verfügbare Plätzchen in der Irrenkirche mit Frescobildern geistlichen und weltlichen, heiligen und profanen Inhaltes ausgefüllt. Für unsere leibliche Nahrung und Nothdurft war in der angedeuteten Weise auf’s Reichlichste gesorgt; wir ließen es uns trefflich schmecken, und nicht ohne Wehmuth erinnere ich mich jener Zeit, wo mir ein Stück Brod und Käse so trefflich mundete und – was die Hauptsache war – noch so gut bekam, was leider jetzt nicht mehr der Fall ist. Als wir nun fertig wären und unser Maecenas medicus Alles ansah, was wir gemacht hatten, und es sehr gut fand, sagte er: „Ihr habt Euere Sache brav gemacht, meine Irrenkirche steht nun der St. Andreaskirche und der heiligen Lambertuskirche an Kunstschätzen nicht mehr nach. Geld kann ich Euch, wie ich Euch im Voraus bemerkte, nicht geben. Solche Kunstwerke sind auch gar nicht mit Geld zu bezahlen, aber ich will Euch etwas aus Euere künstlerische Lebensreise mitgeben, was Euch mehr werth sein wird, als eine große Geldsumme. Kommt morgen Nachmittag zu mir!“

Wir waren ob solcher Belobung aus dem Munde des kunstsinnigen Aesculap kreuzfidel und ganz in der Stimmung, einen fröhlichen Lustreigen aufzuführen nach den munteren Tönen des in Düsseldorf eigens für die Künstlertänze erfundenen Schweinsblasiums.[8]

Diese lustige Stimmung sollte aber bei nur bald einer sehr ernsten und trüben Platz machen. Als wir am folgenden Nachmittag zu unserem Cantor kamen, führte er uns in das unter seiner ausgezeichneten Oberleitung trefflich eingerichtete Irrenhaus. Da drinnen aber war’s fürchterlich! Wir gingen von Zelle zu Zelle und sahen die schrecklichen grinsenden Gestalten. Gerechter Himmel, welch ein Elend! Den unheimlichsten Eindruck machte eine ältere Frau mit römischer Nase und spitzem Kinn[9] und ein wildblickender, dumpf vor sich hin brütender Mann, mit hölzernem Schwert umgürtet.

Dabei erzählte uns nun der wackere Arzt bis in’s Detail die Lebensgeschichte sämmtlicher Unglücklichen. Der schwärmende religiöse Aberglaube und der in die Luft bauende Uebermuth waren am stärksten vertreten, nächstdem die Opfer unglücklicher, melancholischer Liebe. Ein politischer Phantast, die Krone von Goldpapier mit Sonne, Mond und Sternen geziert auf dem Kopf und einen Reisigknittel statt des Scepters in der Hand. Ferner ein Opfer der Lotteriewuth mit der in der letzten Nacht geträumten Nummer auf dem Hut. Eine Kindesmörderin, ein von Lappen und Holz gebildetes Kind zärtlich im Arme. Meine Genossen hatten das alle mit glücklichem Leichtsinn hingenommen, auf mir aber lastete das Ganze mit seinen Einzelheiten wie ein schrecklich drückender Alp. Es war mein Taggedanke und mein Traum. Tag und Nacht wurde ich die Schreckensgestalten nicht los. Bis in die heiterste Gesellschaft verfolgten sie mich und grinsten mich mit ihren hohlen furchtbaren Augen an. Jede Ruhe der Nacht war dahin, mein Zustand wurde immer furchtbarer. Ich wußte nicht, wo ein, wo aus. Da erinnerte ich mich an das, was Goethe von der Entstehung seines Werther erzählt.

Eine schmerzvolle sehnsüchtige Unzufriedenheit und krankhafte Sentimentalität ging damals als eine geistige Krankheit durch alle Gemüther, und Goethe fühlte sich in der Tiefe seines empfänglichen Herzens schärfer als Alle davon ergriffen und war der Verzweiflung nahe. Da gedachte er eines früheren Hausmittels, welches Frau Rath mit den Worten bezeichnet: „Wenn der Wolfgang irgend ein Leid auf dem Herzen hat, so macht er ein Lied daraus.“ Und so schrieb er in vier Wochen den Werther und lagerte darin seinen ganzen Weltschmerz ab, also daß er dann sagen konnte: „Ich hatte mich durch diese Composition mehr als durch jede andere aus dem stürmischen Elemente gerettet, ich fühlte mich wieder froh und frei und zu einem neuen Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war mir vortrefflich zu Statten gekommen, durch welches sich die Wirklichkeit in Poesie verwandelt hatte.“ Aehnliches versuchte ich nun mit den mich verfolgenden Irrenhausgestalten, ich lagerte sie erst in einzelnen Bildern und dann in einem Gesammtbilde ab, indem ich die Wirklichkeit in Poesie zu verwandeln suchte. Es gelang mir, ich wurde die Phantasiebilder aus der Seele los, je eifriger ich sie aufs Papier zeichnete, und so entstand mein Narrenhaus. Jede einzelne Figur auf dem Bilde ist nach dem Leben gezeichnet. Daher auch die erschreckende Wahrheit, die von manchen Kunstkritikern bis zum Himmel erhoben, von Andern bis zum Abgrund der Hölle verdammt worden ist. Jetzt fühlte ich mich, wie Goethe nach Vollendung des Werther, wieder froh und frei und lachte über den Streit der Kunstkritiker. Mochten sie über das Werk sagen, was sie wollten, für mich war es von unendlichem Werthe. Es war mir ein Rettungsmittel zur Genesung. „Es war mir zum Heil, es riß mich nach oben.“ Und zu meiner völligen Wiederherstellung, gleichsam als Nachcur, zeichnete ich dann Egmont und Clärchen. Unvergeßlich ist mir der Moment, in welchem ich, als wir das Irrenhaus verließen, den ersten freien Odemzug wieder unter Gottes freiem Himmel that, aber noch unvergeßlicher der Augenblick, da ich den letzten Strich an dem Narrenhause that.

H. Merz hatte die Gefälligkeit, das Narrenhaus trefflich in Kupfer zu stechen, und Guido Gorres lieferte geistreiche Erläuterungen dazu, nebst Ideen über Kunst und Wahnsinn. Dadurch wurde man zuerst auf mich aufmerksam, und keine meiner spätern Kunstschöpfungen hat verhältnismäßig so viel Glück gemacht als mein Narrenhaus, diese sepultra inter vivos, diese Beisetzung unter den bürgerlich Todten.

Zum heitern Schluß muß ich dieser meiner Erzählung noch ein nicht uninteressantes Codicill anfügen. Kaum war der Merzische Kupferstich erschienen, so spürte ich die erfreulichsten Folgen. Von allen Seiten her wurde ich um Zeichnungen angegangen. Eines schönen Morgens ging mir unter andern auch eine Zuschrift des Chefs eines allbekannten Kunstverlags zu, ungefähr dahin lautend: „Mein lieber Herr Kaulbach! Ich wünsche Ihnen Glück zu dem guten Griff, den Sie mit der Kunstschöpfung Ihres Narrenhauses gethan haben. Es ist ein vollendetes Meisterwerk. Wenn Sie auf dieser Bahn fortschreiten, werden Sie ein sehr berühmter Mann, und ich bin entschlossen und bereit, Ihnen die Hand dazu zu bieten. Malen Sie mir so rasch als möglich 25 solcher Narrenhäuser. Ich werde keine Kosten scheuen, um dieselben in möglichst würdiger Weise durch Kupfer und Stahlstiche zu vervielfältigen und Ihnen dadurch einen ausgezeichneten Platz in dem Tempel des Nachruhms zu sichern. In der Hoffnung auf Ihre baldige geneigte Rückantwort hochachtungsvoll“ etc.

Ich letzte mich sogleich hin und schrieb in de- und wehmüthiger Stimmung: „Hochverehrtester Herr! Wenn Sie wüßten, wie blutsauer mir die Composition des von Ihnen wohl fast zu günstig beurtheilten Narrenhauses geworden ist, so würden Sie mir die für mich so schmeichelhafte Aufgabe nicht stellen.“ Dann schilderte ich ihm ausführlich den Hergang der Sache und schloß mit den Worten: „Sie ersehen daraus, wie ich nur durch reinen Zufall auf dieses meiner eigentlichen Neigung so ganz fernliegende Sujet gekommen bin. Sie sehen, daß ich dieses mein erstes Narrenhaus nur nothgedrungen zu meiner Genesung gemalt habe, und können sich kaum vorstellen, wie schwer es mir geworden ist. Durch dieses erste habe ich mich von einer geistigen Krankheit, die mich zu umdüstern drohte, geheilt. Wenn ich ein zweites malte, würde ich verrückt und selbst für das Tollhaus reif. Indessen bin ich Ihnen aufrichtig dankbar für den warmen Antheil, den Sie an meiner Künstler-Zukunft nehmen; ich bitte, daß Sie mir denselben gütigst bewahren und mir nach einer andern Richtung hin bethätigen. Die eigentliche Lebensaufgabe, die ich mir gestellt habe, ist die des Historienmalers. Haben Sie die Güte, mir irgend einen geschichtlichen Stoff zur Bearbeitung anzuweisen. Ich werde Alles aufbieten, um die Aufgabe zu Ihrer Zufriedenheit zu lösen. Ihren gütigen Aufträgen erwartungsvoll entgegensehend zeichne ich voll wahrer Verehrung“ etc.

Daraus erhielt ich umgehend etwa folgende Antwort: „Schuster, bleib bei Deinem Leisten! So rufe ich Ihnen, lieber Kaulbach, mit dem Volkssprüchwort zu. Durch Ihr Talent sind Sie nun einmal auf die Narren angewiesen. Mit vernünftigen Menschen werden Sie in Ihren Kunstleistungen nie Glück machen. Ich bleibe bei meiner Forderung. Malen Sie mir 25 Narrenhäuser, und Ihr Künstlerruf soll gesichert sein für ewige Zeiten. In der Hoffnung, daß Sie selbst einsehn werden, was zu Ihrem wahren Besten dient, zeichne ich hochachtungsvoll“ etc.

„Ich bin des trocknen Tons nun satt!“ so sagte ich zu mir selbst, als ich diese fast anzüglichen Zeilen gelesen hatte, und schrieb flugs folgende Antwort: „Mein Hochverehrtester! Sie haben mich vollkommen überzeugt und eines Bessern belehrt. Ich glaube nun selbst an mein Narrenhaustalent und bin bereit, Ihr Verlangen zu erfüllen. Unser deutsches Vaterland ist ja doch groß und hat, wie an so manchem Andern, gewiß auch Ueberfluß an Narren. Wie sich einst Diogenes mit der Laterne aufmachte, um Menschen zu suchen, so werde ich mich aufmachen, um Narren zu suchen. Und beim Zeus! ich hoffe glücklicher zu sein als der Weise von Sinope. Hoffentlich werde ich in Kürze so viel Tollhäusler aufgebracht haben, um zwei Dutzend Narrenhäuser damit vollkommen zu bevölkern, die Ihnen, sobald sie fertig sind, sogleich zugehn sollen.

Nur eine Bedingung stelle ich, mein hochverehrtester Chef. Zu dem 25sten Narrenhaus müssen Sie mir erlauben Ihre Kunst-Anstalt zu nehmen und abzuconterfeien! Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung“ etc.

Darauf habe ich keine Rückantwort erhalten, unsere Correspondenz ward für immer abgebrochen. Zum Glück hat sich das Prognostikon, welches mir jener außerdem höchst verdiente Chef gestellt hatte, nicht erfüllt. Ich habe mit vernünftigen Menschen ja doch noch so passabel Glück gemacht.“

Dieses humoristische Codicill hatte allgemeine Heiterkeit verbreitet, die noch lange in der Gesellschaft nachklang. Ehe man auseinanderging, spielte der Maler den Carneval von Venedig in reizender Weise auf der Schlagcither, und die Becher, des edeln Schaumweins voll, klangen gar lustiglich dazwischen. Dann schied man in heiterster Stimmung aus fröhliches Wiedersehn!

M.




  1. Tearfall übergab die Resultate seiner Forschungen der Society of Antiquaries zu London. Sie finden sich in dem Bericht der von der Gesellschaft herausgegebenen Archaeologia or micellanous tracts related to Antiquity, Vol. 27 London 1838. 4°. unter dem Titel: The kiss of the virgin (der Jungfernkuß).
  2. Die Löwinnen Londons tragen jetzt solche Mantel das neueste Erzeugniß des Modejournals.
  3. Residenz des Sultans von Wadai.
  4. Hr. W. Munzinger hatte schon im Juli seine Ankunft in El-Obed mit der Aussicht auf die Erlaubniß, Darfur betreten zu dürfen, Hrn. Dr. H. Barth, der mich freundlichst davon benachrichtigte, mitgetheilt.
  5. Ergänzungsheft Nr. 8 zu Dr. A. Petermann’s Mittheilungen aus Justus Perthes’ Anstalt.
  6. So eben erhalte ich schon die Nachricht, daß wegen zu hoher Geldforderung die Reise nach Wadschanga erschwert wird. Nachdem der Tibu-Sultan Herrn v. Beurmann für die Summe von 80 Thalern nach Wadschanga zu geleiten versprochen hatte, steigerte er nach drei Tagen seine Forderung auf 500 Thaler. Die Forderung ist allerdings sehr hoch. Die Entfernung aber beträgt etwa 150 Meilen. Hätte der Reisende zu Anfang Juni schon mehr Mittel gehabt, so würde er möglicher Weise eine Vereinbarung erzielt haben. So aber mußte er die Forderung einfach zurückweisen und seinen Weg auf Bornu nehmen.
  7. Dieser widmete sich unter Schwanthaler’s Leitung mit glücklichem Erfolg der Bildhauerkunst. Von ihm unter andern „Röslein auf der Haide“.
  8. Dieses originelle musikalische Instrument besteht aus einem krummen Ast, über den eine Saite gespannt ist, dazwischen eine Schweinsblase als Resonanzboden, und wird mit einem Bogen gestrichen.
  9. Man sieht sie auf dem Bilde abgesondert von den übrigen, einen großen Theil des Kopfes verhüllt, wie auf nichts Gutes sinnend, im Hintergründe schleichend.