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Die Gartenlaube (1862)/Heft 44

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1862
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[689]

No. 44.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Dämmerstunde.

Wenn sich der Sonne letzter Schimmer
Sacht fortstahl über’s Nachbardach,
Bin einsam ich in meinem Zimmer,
Und stille Thränen werden wach.

5
Die führen mich von meinem Sitze

In’s ferne wohlbekannte Haus,
Dort von des Tages Last und Hitze
Ruht eine alte Frau jetzt aus.

Die Stirn gefurcht, gefurcht die Wangen,

10
Die Lippen welk, das Haupt bereift,

Sie läßt es matt hernieder hangen,
Indeß der Blick in’s Weite schweift.

Der Blick, aus dem mit Jugendfeuer
Ein voller Strahl der Liebe bricht,

15
Nichts ist so schön mir und so theuer,

Als dieses treue Angesicht.

Sonst that des Tages letzter Schatten
Noch keinen Einhalt ihrer Kraft,
Nun aber fühlt sie sich ermatten,

20
Seit nicht mehr für den Sohn sie schafft.


Der Sohn – sie hat das Haupt erhoben,
Es klopft das Herz, die Lippe bebt,
Dabei gefaltet sie nach oben
Die frommen Hände zitternd hebt.

25
Da fühl’ ich, wie der gleiche Schauer

Durch meine tiefste Seele geht,
Und alles Sehnen, alle Trauer
Sich friedlich lösen im Gebet.

Gesegnet, heil’ge Dämmerstunde:

30
Die lang und weit geschieden sind,

Du einst in stiller Andacht Bunde
Die Mutter wieder und ihr Kind.

Albert Traeger.





Der Junker von Hohensee.

Eine alte Geschichte.
Von Edmund Hoefer.


1. Bis Hohensee.

Im heißen Sommer 1826 machte ich mit meiner Familie eine Reise zu den Eltern meiner Frau in unsere gemeinsame alte Heimath, in jenen Landestheil, der früher „Schwedisch-Pommern“ hieß und seit seiner Vereinigung mit den bereits länger preußisch gewesenen Theilen des alten Herzogthums „Neu-Vor-Pommern“ genannt wird. Es ist eigentlich nur ein Küstenland, mit fruchtbarem Boden, fetten Wiesen und prachtvollen Laubwaldungen, mit zwar veränderlicher Witterung, aber im Ganzen sehr mildem Klima, mit gesunden, kräftigen Menschen endlich, die zu leben wissen und leben lassen, was alles den anderen Theilen dieser Provinz nicht gerade immer nachzurühmen ist.

Meine Familie brachte ich bei den Schwiegereltern unter und machte selber dann bald allein, bald mit einem meiner Kinder Ausflüge zu Verwandten und Bekannten, die mir im Ländchen zahlreich verstreut lebten. Bei einem solchen Ausfluge hatte ich in einem Gasthofe auf dem sogenannten Peendamm bei Anklam den Wagen zu erwarten, der mich weiter führen sollte, und während des Wartens machte ich durch Vermittelung meines Töchterchens die Bekanntschaft eines alten Herrn, der in Begleitung einer um Vieles jüngeren Dame dort gleichfalls abgestiegen war, um die heißeste Zeit des Tages unter Dach zu sein, und alsbald an meiner kleinen Clara Geschmack gefunden hatte. Es war ein großer und hagerer alter Mann, mit schon ergrauendem, kurz gehaltenem Haar und schneeweißem, unmäßig langem und dickem Schnurrbart. Das eine Auge war durch eine schwarze Binde verdeckt, das andere blitzte dafür aber nur um so lebhafter und jugendlicher. Und auch seine Kleidung war von jenem Schnitt und Schluß, der mir ihren Besitzer als einen alten Militär erscheinen ließ, welcher sich jetzt etwa auf sein Gut zurückgezogen haben mochte.

So zeigte es sich auch. Nachdem wir uns, wie gesagt, durch die Kleine zusammengefunden, tranken wir unsern Kaffee mit einander und geriethen bald in ein lebhaftes Geplauder über alles Mögliche. Er schien eine gar besondere Gabe zu besitzen, den ihm Begegnenden auszuholen, ohne daß es diesem viel auffiel, und so hatte er denn nach kurzer Zeit schon heraus, wer und was ich sei, wie und wo ich lebe. Dabei fand es sich, daß er meinen seligen Vater vor langen Jahren auf das Genaueste gekannt und den „Magister Mühl in Liebenhagen“ stets für den wackersten Menschen unter der Sonne gehalten habe, wie er ihm denn auch noch ein fast zärtliches Andenken widmete. Es fand sich ferner, daß meine Frau aus einer ihm nahe verwandten Familie stamme, mit der die seine zufällig nur seit manchen Jahren außer Berührung gekommen war. Als er das entdeckt hatte, reichte er mir zum zweiten Male die Hand, hieß mich einmal über das andere „Vetter“, stellte mir die Dame als seine Nichte, eine Frau von Brederloo, vor und nannte sich endlich mir auch selber. „Ich heiße [690] Hohensee,“ sagte er, „oder um Euch einen bekannteren Namen zu nennen – der Junker von Hohensee. Den kennt Ihr doch?“

Das war freilich der Fall, obschon ich ihm bisher wunderlicher Weise noch niemals begegnet war. Der „Junker von Hohensee“ war seiner Zeit im Lande bekannt genug gewesen als ein seltsamer, eigensinniger und doch auch liebenswürdiger Kauz, als ein Original ersten Ranges, von dem hundert und aberhundert lustige, wilde, barocke, gutmüthige Streiche und Züge erzählt wurden, kurz, ein Mensch, von dem Viele behaupteten, man müsse ihm stets drei Schritt vom Leibe bleiben, auch seiner zum mindesten sehr zweifelhaften Vergangenheit wegen, in der es allerlei finstre Thaten geben sollte, und den Andere, darunter früher auch mein Vater, das treueste, ehrlichste und bravste Herz im Lande hießen. Jetzt war er alt und lebte auch wohl solider, überdies war ich seit zehn Jahren schon in einer fremden Provinz angestellt und hatte daher nichts Neues mehr über ihn erfahren. – Von seiner Lebensstellung will ich nur kurz anführen, daß er einer der reichsten Grundbesitzer des Ländchens war, noch von der schwedischen Zeit her den Titel „Kammerjunker“ hatte, aber nicht führte, natürlich wie fast alle seine Zeitgenossen „bei den Preußen“ gedient hatte, Anno 1813 sogar noch einmal zu Felde gezogen war und seitdem auch „Oberst“ hieß. Er hörte sich jedoch am liebsten „Junker“ nennen und mochte von allen übrigen Titulaturen nichts wissen.

Ueber sein vergangenes Leben erfuhr ich auch jetzt, trotz meiner Erkundigungen, so gut wie nichts. Man wußte, entweder nichts Genaueres, oder hielt damit aus diesem oder jenem Grunde zurück. Dafür wurde meine neu angeknüpfte Bekanntschaft mit ihm eine gar intime, denn bevor wir uns an jenem Nachmittag auf dem Peendamm trennten, lud er mich auf das Herzlichste zu einem Besuch bei ihm in Hohensee ein, und der Alte hatte mir gleich Anfangs so sehr gefallen und zog mich durch Alles, was ich nachher über ihn erfuhr, so lebhaft an, daß ich alsbald von dieser Einladung Gebrauch machte. Ich fand die beste, jovialste Aufnahme.

Seine Güter lagen oder liegen vielmehr in dem äußersten Winkel des Landes, fern von den Städten und damals ohne alle wirkliche Landstraßen, so daß Einheimische so gut wie Fremde selten oder nie in diese Gegend gelangten. Und das war schade, denn Hohensee selbst, das Hauptgut, bildet mit seiner Umgebung einen der hübschesten Punkte des Ländchens, Alles vereinend, was in demselben an landschaftlichen Reizen zu finden ist. Links zieht sich der Seestrand in einem weiten Bogen hin, theils flach und kaum über die Fluthen hervorragend, theils aber auch sich zu hohen und immer höheren Dünen erhebend, die endlich in einen wirklichen, gegen das Meer zu schroff vorspringenden und jäh abfallenden, reich bewaldeten Hügel auslaufen. An den Strand schließen sich üppige Wiesen, dann kommen reiche Felder, und rechts schließt der schönste Laubwald jede Aussicht.

Hohensee selber ist zwar nur ein Dorf, wie alle andern, allein es zeichnete sich schon damals durch ganz besondere Sauberkeit und Ordnung vor allen seines Gleichen aus. Der „Hof“ liegt eine starke Viertelstunde entfernt gegen den Wald zu, mit dem Dorf durch eine vierreihige Allee prachtvoller alter Buchen verbunden. Das Wohnhaus war damals noch ein langes, niedriges Gebäude, ein Parterre und nichts mehr, mit einem dunklen Strohdach. Von Wohlhabenheit oder gar Reichthum zeigte sich hier nichts, und zum einzigen Schmuck mußten die großen Bäume dienen, welche an der Vorderfront ein paar Bänke beschatteten, während andere noch höhere und dichtere Wipfel weit über das Dach emporragend auf den hinter dem Hause befindlichen Garten hinwiesen.

Die Hohensee gehörten, wie bemerkt, zu den reichsten Grundbesitzern des Landes, an und in ihrem Wohn- und Stammhause wurde davon jedoch, um auch das zu wiederholen, nichts sichtbar. Es war geräumig, aber innen so schlicht und einfach, wie außen, und eben so zeigte sich auch das Mobiliar, solid und ausreichend, aber weder schön und reich, noch im Ueberfluß vorhanden und vor allen Dingen nichts weniger als neu. Im Gegentheil, fast Alles, was man sah, stammte aus vergangenen Zeiten und ließ deutlich erkennen, wie bescheiden man selbst in den wohlhabendsten Familien dazumal gedacht und gelebt. Der Reichthum barg sich schier schamhaft in unscheinbaren Kästen und Schränken und kam, wie das wahrhaft fürstliche Silberzeug, selten oder nie an’s Tageslicht. Die Waffensammlung, eine der schönsten, die ich je gesehen, zeigte der Alte mir erst, nachdem wir schon Jahr und Tag mit einander bekannt. Er hatte sie gleichfalls in Schränken, weil er sogenannte Trophäen an den Wänden für eine knabenhafte Spielerei erklärte, bei der die feineren Stücke nach und nach nur zu Grunde gingen. – Seine Bibliothek endlich, die außerordentlich einfach aufgestellt und sehr unscheinbar war, bei genauerer Ansicht aber überraschend viel Werthvolles enthielt, fand sich seltsamer Weise in des Alten Schlafzimmer, nur für ihn selbst und besonders Begünstigte zugänglich. Ein Schrank mit Unterhaltungslectüre stand im Wohnzimmer für die Gäste bereit.

Eben so einfach war auch die Umgebung des Hauses, der Wirthschaftshof, die Wirthschaft selbst. Was da war, zeigte sich solid und brauchbar, der Viehstand musterhaft, die Pferde prachtvoll; Maschinen jedoch und überhaupt Neuerungen ließen sich nirgends bemerken. Der „Junker“ liebte dergleichen nicht und erklärte sich für zu alt, um noch viele Proben zu machen. „Die nach mir müssen auch etwas zu thun haben,“ sagte er wohl. – Der Garten hatte zwar noch einige Partieen im alten Hecken- und Berceaustil, war jedoch bei weitem mehr Nutz- als Ziergarten. Rückwärts stieß er an den Wald, durch den einige breitere und schmälere Wege gehauen waren, und wenn man dem einen der erstern folgte, gelangte man in zehn Minuten zu dem sogenannten „schwarzen See“, der, vom Waldesschatten stets dunkel gefärbt, innerhalb eines nur auf einer schmalen Stelle geöffneten, fast zirkelrunden, hohen grünen Walles ausgebreitet war. Dahin richteten sich häufig die Spaziergänge der im Hause anwesenden Gesellschaft.

Die Bewohner desselben bestanden außer den Dienstleuten – Dienerschaft zu sagen, wäre viel zu vornehm, es gab nur einen alten Burschen, der bei Gelegenheiten Livree trug – allein aus dem Junker selbst, den beiden Wirthschaftern und der alten „Mamsell“, das ist: Wirthschafterin. Dazu kamen nun aber oft genug die Familie der nahewohnenden Nichte, und ein Paar Mal im Jahr sämmtliche Kinder und Kindeskinder der beiden verstorbenen Schwestern des Alten, des letzten Mannes mit seinem Namen. Dann war das Haus voll Lärm und Heiterkeit, und Alles fühlte sich so wohl, wie nirgends anderwärts. Der „Junker“ wußte es aller Welt behaglich zu machen, aber Alt und Jung hing auch mit sichtbarer Liebe an ihm, und die Kinder und zumal die heranwachsenden Mädchen waren ihm mit wahrer Schwärmerei zugethan. Wie er mit diesen zu verkehren verstand, wie er sich mit der jungen fröhlichen Schaar neckte und „verzog“, mit ihr scherzte und plauderte, Gesellschaftsspiele spielte oder gar einmal tanzte, wie er sie reiten und mit der Pistole schießen lehrte – das hatte selbst für uns Zuschauer einen unbeschreiblichen Reiz, und man begriff leicht, daß und in welchem Umfange ihm Jedermann zu eigen werden mußte.

Denn das geschah, obgleich schwerlich Jemand anzugeben vermocht haben würde, worin diese eigenthümliche Anziehungskraft eigentlich bestand. Ich fand ihn stets lebhaft, ja heftig und wild, fast immer rührig und beweglich und doch auch wieder eigenthümlich bequem und nachlässig, sorglos und zuweilen rücksichtslos, überhaupt das, was man nach unserer charmanten Gesellschaft-Terminologie „façonlos“ heißt. Dadurch stieß er bei Un- oder Halbbekannten vielfach an, kümmerte sich aber wenig darum und fragte ebensowenig darnach, wenn er selber einmal wieder gestoßen wurde.

„Wie ich dir, so du mir,“ sagte er wohl einmal lachend bei solcher Gelegenheit; „das ist billig.“

Kam man ihm freilich näher, und das gelang schon hin und wieder Jemand, so fand man Anziehendes und Fesselndes genug. Er war ein Mann von reicher Erfahrung, von hoher Bildung und einem ausgebreiteten Wissen. Es gab in seinem Kopfe mancherlei, was man nicht im Traume darin gesucht hätte, und da er ein Mensch von gesundem Verstande, von durchdringendem Geiste und einer Energie war, die ihn Alles beenden ließ, was er schaffend oder lernend einmal begonnen, so hatte er sich in mehr als einem Fach nicht nur Kenntnisse erworben, sondern sich auch zu einer Höhe und Klarheit der Anschauung durchgearbeitet, wie man sie bei den Leuten vom Fach bekanntlich häufig genug vergeblich sucht. Leider blieb das Alles aber gewissermaßen unfruchtbar, wenigstens für Andere. Denn er kam höchstens nur gelegentlich einmal mit diesen Schätzen zu Platze. Prahlerei und Prunksucht fand man an ihm selbst so wenig, wie in seinem Hause.

Ueberhaupt sprach er von sich, von seiner Familie selten und niemals mehr, als was gerade absolut nothwendig war. Und um das hier anzuführen, der „Junker von Hohensee“ hatte zwar ein ernstes Gefühl vor seinem Range und Stande und, wo dazu Veranlassung, [691] auch ein wahrhaft stolzes Selbstbewußtsein; allein von dem, was man Adelsstolz heißt, was man in einem „Junker“ zu suchen und als „Junkerthum“ zu bezeichnen pflegt, habe ich trotz meines langen und intimen Umgangs nie auch nur eine Spur gefunden. Er legte im Ganzen wenig Werth auf seinen Adel und die Reinheit seines Stammbaums; ich, der ich nicht einmal aus einem patricischen Geschlecht stamme, war ihm als „Vetter“ eben so lieb und gültig, wie einer der adeligen Verwandten. „In unserer Zeit,“ pflegte er zu sagen, „begründet nur noch die Bildung die Ebenbürtigkeit, und wer es anders will, ist ein Thor.“ – Herab sah er nur auf diejenigen, welche etwa aus Geldstolz und Prunksucht sich neuerdings den Adel verschafft hatten; gegen solche konnte er bei Gelegenheit den „alten Edelmann“ auf das Herbste herauskehren, und niemals wären derartige Leute in seinen oder seiner Familie Umgang gekommen. Er konnte zuweilen starr und hart wie Stahl sein, und von seinem entschieden ausgesprochenen Willen sah kein Mensch ihn jemals abweichen.

Von meinem ersten Besuch, von meinem späteren Verkehr mit ihm habe ich eigentlich nichts zu erzählen. Wir lebten dies erste Mal vierzehn Tage lang auf das Behaglichste mit einander, wiederholten das im nächsten Jahr und kamen, zumal ich demnächst in eine Garnison kam – ich war Auditeur –, welche der alten Heimath viel näher war und mir häufigere Besuche daheim erlaubte, immer tiefer in die beste und treueste Freundschaft hinein. Mein Gefühl sollte ich vielmehr verehrende Liebe nennen, denn diese erfüllte mich je länger, desto tiefer für den alten wunderlichen Gesellen. Was ihn zu mir zog und mich ihm sichtbar lieb machte, weiß ich noch heute nicht. Aber er ließ mich, wie schon bemerkt, nicht wieder los, er suchte mich sogar in meinem damaligen Wohnorte heim, um dies und jenes mit mir zu bereden oder mich und gelegentlich eins meiner Kinder zu sich hinüberzuholen. Es kann wohl sein, daß ihm die Einsamkeit in seinem Hause zuweilen gar zu groß wurde, zumal er jetzt, in seinem Alter, nicht gerade ruhiger, aber doch – vernünftiger, muß ich sagen, und maßhaltender wurde und nicht leicht mehr die Ruhe des täglichen Lebens und die Stille seiner Umgebung durch einen jener tollen Streiche unterbrach, die ihn vordem und noch bis vor kurzem häufig genug in Nähe und Ferne berufen gemacht. Ich zum mindesten habe nur noch wenig von dergleichen gehört und bin kaum ein oder zwei Mal Zeuge jener Extravaganzen gewesen, die früher in Hohensee und an seinem Herrn zur Tagesordnung gehörten.

Neben aller Rührigkeit und Rastlosigkeit steckte in dem alten Herrn seltsamer Weise auch eine gehörige Portion von – wie sage ich nur? – Ruhelust und Träumerei. Es gab ein paar Plätze auf Hohenseeer Gebiet, wo er häufig und lange zu weilen und – eben zu träumen pflegte, stundenlang, friedlich und herzlich, zur ruhigen Unterhaltung aufgelegt, oder auch nachdenklich, still und versunken, so daß er dann hin und wieder zu keinem Wort zu bringen war. Und so wenig ein oberflächlicher Bekannter eine solche Stimmung bei ihm gesucht haben würde, ebenso wenig wäre selbst ein Freund zu errathen im Stande gewesen, wo der Junker sich diese Plätze ausgesucht hätte.

Eine Viertelstunde vom Hofe, rechts neben der Buchenallee, lag die alte kleine Kapelle mit dem Friedhof umher einsam in den Gefilden; das Dorf hatte sich von ihr weggezogen, und nur die Schullehrer-Wohnung war noch in ihrer Nähe geblieben. Das Gebäude wurde nur vier bis fünf Mal im Jahre zum Gottesdienst benutzt – gewöhnlich gingen die Hohenseeer in ein nicht fernes Dorf zur Kirche hinüber – und wenn Nachmittags die Schule geschlossen war, lag die Gegend umher und der Platz selbst in einer Stille und Einsamkeit, als sei weit und breit kein Mensch zu finden. Besonderes zeigte sich an der Stelle nichts. Die Kapelle war alt und unscheinbar; es fehlte ihr sogar der Thurm, und die beiden Glocken hingen in einem sogenannten „Stuhl“, der, aus Holzwerk einfach genug errichtet, nahe der Hauptpforte auf der Westseite stand. Auch der Friedhof selbst war wie alle Seinesgleichen, und zum Schmuck dienten ihm nur einige schöne alte Bäume und der überall üppig angesiedelte Epheu.

Man hatte für die Kapelle und ihren Hof vordem die trockenste Stelle der Umgegend ausgesucht – eine Bodenerhebung, die, so unbedeutend sie sein mochte, dennoch einen weiten Um- und Ausblick über das flache Land gestattete. Und wer diese Ausschau haben wollte, ging in die äußerste Ecke des Kirchhofes gegen die See zu, wo eine prachtvolle uralte Eiche ihre Zweige ausbreitete und den Platz zwischen ihren moosigen Wurzeln mit dichtem Schatten überwölbte. Da ruhte mein alter Freund und erfreute sich der Aussicht, die in der That, wenn auch beschränkt, doch anziehend genug war. Seitwärts, gegen das Dorf zu, schnitt die Allee jeden Fernblick ab; an ihr vorüber sah man in der Entfernung einer starken Viertelstunde die oben erwähnte hohe, mit Wald bewachsene Düne und neben derselben die See, welche hier mit einem tiefen Busen sich in das Land hineindrängt. Die Hügeldüne begrenzt wie ein Vorgebirge die linke Kante, vorn hinaus ist ein ungemessener Horizont, rechts geht der Strand unabsehbar fort, und man blickt bis tief in’s „preußische“ Pommern hinein. Es ist möglich, daß auch das fast gar zu einfach erscheint. Man muß eben Sinn für die Natur und ein Herz für die See haben, um den leisen, leisen Zauber zu spüren, der da heraus zieht und den Schauenden unwiderstehlich umschlingt und ihn festhält bis an’s Ende seines Lebens.

Der Raum, welcher zwischen der Friedhofsmauer und dem Strande ausgedehnt lag, zeigte jetzt ziemlich weite Wiesen. Doch sah man noch an vereinzelten Büschen und Bäumen, welche hie und da an Grabenrändern und auf kleinen Erhöhungen wieder aufgeschlagen oder erhalten waren, daß vordem auch hier der Wald geherrscht habe, und der Alte bestätigte das auf meine angelegentliche Frage, indem er hinzusetzte, daß meistens er selber erst die Rodungen vorgenommen habe, weil die Waldung in Abnahme gekommen sei und die Wiesen einen höheren Ertrag gewährten. Es kam dazu, daß er eine Aussicht haben wollte und freie Luft, wie er sich ausdrückte, im Leben und im Tode. Denn obgleich er niemals auch nur eine Faser von Sentimentalität an sich hatte und der Ansicht war, daß es dem Menschen sehr gleichgültig sein kann, wo seine todten Knochen vollends zerfallen, wollte er dereinst doch nicht bei seinen Ahnen in der Kapelle begraben werden, sondern hier, vor der weiten See, unter dem alten Baume und unter der unermeßlichen Höhe mit ihren ewigen Lichtern.

Es war einer jener Tage, die im Herbst, aber auch nur dann, nach stürmischer Nacht und wildem Morgen ziemlich häufig sich zur vollsten Schönheit aufzuheitern pflegen und an Glanz und Klarheit, an Milde und zugleich an Frische und Elasticität Alles übertreffen, was ich zu solcher Jahreszeit jemals anderwärts kennen gelernt. Die Sonne macht es dann so warm, daß man zwar den Schatten sucht, in diesem wird es einem aber auch wohl bis in’s Herz hinein. Die Luft ist goldklar und goldrein, der Seewind ist nur ein frischer Hauch, in dem man alle Glieder sich kräftigen fühlt, der alles Schwere und Dumpfe aus uns und von uns fortnimmt.

Nie im Jahre sonst hat der Himmel dieses reiche, glänzende Blau gezeigt, die See niemals so mild und fröhlich gelächelt. Das Land kleidet sich erst jetzt in lebhafte Farben – tiefes Grün, goldiges Gelb, glühendes Roth.

Am Morgen war trotz des noch ungestümen Wetters Frau von Brederloo, wie häufig, mit ihrem ältesten Knaben zu Pferde nach Hohensee herüber gekommen und bald nach dem Mittagsessen wieder fortgeritten. Ein paar Stunden später hatte der Junker mich dann zum Ausgange aufgefordert und war mit mir nach dem Friedhofsplatze geschlendert, wo wir nun ruhten, schauten und plauderten. Der Alte war den ganzen Tag über ungewöhnlich still gewesen und selbst durch die Anwesenheit der Nichte nicht erheitert worden. Erst hier, unter dem alten Baume, vor der glanzvollen See war er, so zu sagen, aufgewacht und nach und nach wieder so munter geworden, wie ich ihn meistens sah. Man konnte heut hier auch nicht träumen und still bleiben, es war gar zu freundlich rings, und ganz überwältigt von diesem Eindruck meinte ich: hierher solle man einen Ernsten und Traurigen führen, damit er einmal allen Druck und alle Banden plötzlich von sich abfallen fühle.

„Das ist richtig,“ sprach der Junker und zog den weißen Bart, dessen Spitzen bis auf den Rockkragen hinabstarrten, lang durch die Finger. „Ich kann’s durch mein eigen Beispiel beweisen, Vetter. Ich habe hier einmal an solchem Tage – es war sogar gleichfalls der zwanzigste September, und auch die Stunde trifft beinahe zu – gesessen, nach den schwersten Minuten, meines ganzen Lebens, borstig wie ein Eber, und doch auch bis in den Tod betrübt, wie zerschlagen und zerbrochen. Da steht die Birke noch, an der ich damals mein Pferd anband. Ich kam nämlich von Liebenhagen, von Eurem Vater, wollte zu den Meinen und mochte doch Niemand von ihnen sehen und umritt zögernd Hof und Dorf [692] auf dem Wege, der damals hier vorbei durch den Bruch führte. Da packte mich der alte Platz, ich rastete und fand Frieden und das Bewußtsein, daß ich mit meinem Elend wenigstens die qualvollste Last von dem besten und liebsten Geschöpf genommen, das ich in der Welt kennen gelernt. Und das Bewußtsein ist mein Gottessegen geworden und geblieben in aller Noth.“

Er schwieg und schaute schier träumerisch auf die See hinaus, und als er wieder zu reden begann, war sein erstes Wort: „Es ist seltsam genug, Vetter – damals, in den schwersten Stunden, war der Vater mein einziger Vertrauter, und nun, da ich zum ersten Mal in vierzig Jahren wieder davon spreche, wird’s der Sohn.“

Und ohne weitere Vorrede fing er an und erzählte mir die Geschichte seines Lebens.



2. Ein Tropfen Blut.

„Obgleich wir damals nicht zu Preußen gehörten, vielmehr vor nicht vielen Jahren, während des nordischen Krieges, ihm sogar feindlich gegenüber gestellt waren, blieben natürlich doch hunderterlei Verbindungen mit dem stammverwandten Lande im Gange. Nach altem Herkommen, welches nach jenem Kriege sogleich wieder aufgenommen wurde, traten zum Beispiel die Söhne der meisten einheimischen Adelsfamilien nicht in die schwedische, sondern in die preußische Armee, und wenn Ihr die alten Stammlisten in meiner Bibliothek einmal abstauben und nachschlagen wollt, werdet Ihr schwerlich eine einzige unserer alten Familien finden, welche nicht, besonders unter den Reiter-Regimentern, einen oder einige Repräsentanten ihres Namens aufzuweisen hätte. Es war nicht anders; wer gesunde Glieder hatte, diente damals jedenfalls, und wäre es auch nur für ein paar Jahre gewesen.

Bei meinen Vorfahren war es gerade ebenso; mein Großvater war in der Zeit des nordischen Krieges jung gewesen und daher nicht hinüber gekommen, mein Vater aber und mein Onkel, Hans Peter, traten Anno 43 in’s Regiment Baireuth-Dragoner, der Eine fünfzehn, der Andere dreizehn Jahre alt, waren bei Hohenfriedberg und dienten mit Ehren fort, bis mein Vater Anno 49 durch den plötzlichen Tod meines Großvaters zurückgerufen wurde und, 21 Jahre alt, die Güter übernahm. Das ging denn, wie es wollte und mußte, und drei Jahre darauf heirathete er die Freiin Ulrike Magdalene von Ehrenswärdt, eine reiche, junge, schöne und stattliche Dame, die neben all diesen Vorzügen auch noch eine gehörige Portion Stolz und Eigenwillen erhalten hatte, von welchen Ihr im Lauf meiner Erzählung mehr als eine Probe kennen lernen werdet, Vetter.

Die Ehe war trotzdem eine ganz glückliche, wenn man bei dieser Bezeichnung nur nicht, wie die Heutigen, gleich an ein schnäbelndes Taubenpaar denken will. Dergleichen ist ihnen sicher niemals eingefallen, und sie würden es nach den Ansichten ihrer Zeit auch für unanständig gehalten haben. Sie liebten sich herzlich, achteten und vertrauten einander unbegrenzt und hielten in ihrer Stellung zu einander so gut wie zu ihren Mitmenschen und Standesgenossen streng auf Anstand und Ehre. Wie stolz und entschieden, wie herrschsüchtig und eigenwillig meine Mutter auch sein mochte, dem Gatten gegenüber nahm sie sich mit dem allen sehr in Acht und verstand es, bei Gelegenheit ausgezeichnet sich zu menagiren. Denn mein Vater war ein curioser Herr, für gewöhnlich so bequem, behaglich und gutmüthig, daß er Alles gehen ließ, wie seine Frau es arrangirte; heftig habe ich ihn nur ein einziges Mal gesehen. Er wußte aber sehr gut, was er wollte und sollte, und führte das dann auch auf die ruhigste Weise von der Welt aus. Gab er überhaupt einmal seinen Willen kund, so war die Sache unter allen Umständen abgethan, und es verlor kein Mensch mehr darüber ein Wort.

Kinder waren wir unser vier, zwei Mädchen, Marie und Hedwig, zuerst und bald, dann nach vierjähriger Pause mein Bruder Julius, und nach einer sechsjährigen, am Drei-Königstage 1766, ich. An dem Tage fiel plötzlich der einzige und zugleich Zwillingsbruder meiner Mutter, Baron Gerold Ehrenswärdt, wie eine Bombe mit der Nachricht in’s Haus, daß Se. Majestät, der alte Fritz, ihm zum Neujahrsgruß Knall und Fall seine Entlassung zugeschickt, und zwar ohne Angabe irgend eines Grundes, wie Se. Majestät es bekanntlich öfters zu machen pflegten. Darüber alterirte sich meine Mutter so, daß ich höchst unpassender und unerwarteter Weise ein paar Wochen zu früh anmarschirt kam und alle Menschen und alle Dinge in Confusion brachte. Meine Mutter besonders war außer sich, daß sie sich so habe decontenanciren lassen und nun ihrem Bruder nicht sogleich helfen, ihn stützen und trösten könne. Und diese „Decontenancirung“ hat sie mir nachgetragen ihr Leben lang, und mein ganzes Leben ist dadurch vermuthlich in andere Bahnen gelenkt worden. Das ist Ernst, Vetter, und kein Scherz, wie Ihr bald hören werdet.

Wir Kinder wurden im Ganzen ziemlich streng erzogen, konnten aber in manchen Punkten auch wieder thun und lassen, was wir wollten, und somit hatten wir’s gut. Von Zärtlichkeit war allerseits keine Rede; mein Vater wäre dadurch aus seiner Ruhe, meine Mutter aus ihrem Anstand gekommen; meine Schwestern, brave und saubere kleine Fräulein, die keinem Menschen jemals eine schwere Stunde gemacht und die ich stets herzlich lieb gehabt, neigten nicht zu solchen Extravaganzen, und uns Brüder, die wir die bei Vater und Onkel nicht zum Durchbruch gelangten Stammeigenschaften entwickelten – Keckheit, Hartnäckigkeit, Trotz, ein bischen Wildheit und überhaupt heißes Blut – verwies man hübsch zur Ruhe. Mein Bruder Julius nahm das leichter, ich schwerer. Ich vermißte die Zärtlichkeit und tobte dies Gefühl nicht im Spiele aus. Ich wurde noch trotziger und hartnäckiger und zumal gegen meine Mutter, die ja schon ohnedies erkältet gegen mich war – noch von der Geburt her, obgleich ich doch weiß Gott weniger schuld an meinem zu frühen Erscheinen war, als ihr Bruder. Auf den ließ sie aber nichts kommen.

Baron Gerold war außer meinem Vater wahrscheinlich der einzige Mensch in der Welt, den meine Mutter wirklich geliebt hat. Grund dazu hatte sie, denn er war ihr Zwillingsbruder und mit ihr stets ein Herz und eine Seele, daneben ein Mann von stolzer Schönheit, von großen Gaben und Fähigkeiten und ein Cavalier von tadellosem Benehmen, so daß er Jeden, der ihn nicht genau kennen lernte, bestechen und einnehmen mußte. Das hatte er nicht nur, wie ich später erfuhr, häufig genug Frauen gegenüber bewiesen, sondern auch in seiner Carriere erprobt. Denn er war, da er die jähe Entlassung erhielt, schon bis zum Oberst des Regiments Gensd’armes avancirt und doch kaum einunddreißig Jahre alt.

Nun blieb er, nicht gerade in rosiger Laune, für’s Erste bei uns, reiste auch im Lande umher, kam wieder zurück und trieb das so mehrere Jahre lang fort. Er wußte nicht recht, was angreifen, dazu war sein Vermögen auch meistens verputzt. Endlich kaufte er mit Hülfe meines Vaters Büzenow, wo jetzt sein Sohn noch wohnt, wurde somit unser nächster Nachbar und blieb mit unserer Mutter im engsten und intimsten Verkehr. Meinem Vater ist das Alles, wie ich später einmal erlauscht, niemals angenehm gewesen. Meine Mutter wurde noch herrschsüchtiger und eigenmächtiger, der Bruder mischte sich überall ein und hielt mit ihr zusammen, so daß dies Verhältniß in jeder anderen Familie hätte zu hunderterlei Unannehmlichkeiten führen müssen. Meinem gutmüthigen Vater gegenüber ging es meistens immer gut, zumal die Geschwister noch stets seinen Willen gelten ließen und seine Eigenheiten zu schonen verstanden. Anno 72 gab der Alte dem Schwager sogar sein ältestes Kind, meine Schwester Marie, zur Frau.

Nur in einer Richtung wies mein Vater dem Baron zuweilen die Zähne, und das war für seinen Bruder, meinen Onkel Hans Peter, welcher seit dem Frieden gleichfalls seinen Abschied genommen hatte und auf Liebenhagen wohnte. Der Onkel war ein braver Soldat gewesen, im täglichen Leben aber nicht allein ein gutmüthiger und bescheidener, sondern sogar ein fast schüchterner, mit einem Worte ein schwacher und schier willenloser Mensch, der sich häufig gegen seine bessere An- und Einsicht überreden und lenken ließ. Begabt war er nicht, seine Bildung war, da er mit dreizehn Jahren Soldat wurde, eine sehr mangelhafte, und so war er denn stets die Zielscheibe der Neckereien seiner Cameraden gewesen und zumal von Baron Gerold, mit dem er bei den Gensd’armes gestanden, so unbarmherzig gequält worden, daß es zwischen ihnen zum Duell kam und Hans Peter bald darauf seinen Abschied nahm. Er wollte Ruhe haben.“


(Fortsetzung folgt.)

[693]

Ein Tyroler Bäuerlein.


Das schöne Innthal erhält seinen Hauptreiz durch das Mittelgebirge; so nennt man die oft eine halbe Stunde und noch mehr breite Terrasse, welche sich an das eigentliche Hochgebirge legt und die ehemalige Sohle des Thales bezeichnet, in welcher der Strom sein jetziges breites Bett grub und noch Raum genug auswusch für Städte und Dörfer. Ein Thal über dem Thal! könnte man sagen, wenn man dieses meist ebene Gelände betrachtet, das, weithin mit Höfen und Dörfern, mit Feld und Wald bedeckt, nur bisweilen durch eine tiefe Schlucht unterbrochen ist, die ein Bach aus einem Seitenthale in Kies und Felsen einriß. Gehen wir am rechten Ufer des Inn aufwärts; nach zwei Stunden haben wir den steilen Absturz der Terrasse erreicht, im Zickzack windet sich durch die Tannen der Pfad empor, und das liebliche Dörflein Oberperfuß winkt auf der Fläche aus den Obstbäumen. Bald stehen wir vor der reinlichen Kirche; oft trifft man selbst auf dem Lande ein schätzbares Kunstwerk, sei es nun ein Bild oder eine Statue, und wenn auch dieses nicht, so lohnt es sich, die einfachen und herzlichen Worte auf den Todtenkreuzen zu lesen oder den schlichten Aufputz der Altäre zu betrachten. Treten wir ein; dort an der Wand ein weißer Marmorstein, vielleicht zur Erinnerung an einen unbedeutenden Adeligen, der endlich, nachdem er lange gegessen und getrunken, auf seinem Landsitze verschied und altem Herkommen gemäß in der Kirche bestattet ward? Doch nein, wir lesen den Namen eines Bauern „Peter Anich“, nach der Angabe von Geburt, Stand und Tod folgen einige steife Alexandriner, welche ihn im Style des Rococo preisen:

Das Wunder seiner Zeit, der Schatz so vieler Gaben,
Die Zierd’ des Bauernstands ist leider hier begraben,
Gedenk’ an seine Müh’, von ihm gemeßnes Land,
Der Himmel war sein Werk, er lohne seiner Hand.


Peter Anich.

Wer war denn Peter Anich? Ein Bauer und nebenbei praktischer Mathematiker, Geograph und Geometer, vielleicht der größte seiner Zeit. Doch treten wir wieder aus der Kirche und setzen uns auf die Bank vor dem Widum. Da können wir ruhig plaudern, ohne ein paar alte Weiblein, die alle Nachmittage dem lieben Herrgott in den heiligen Hallen ihre Noth vortragen, zu stören, dort sehen wir auch das schlichte Bauernhaus an der Berglehne, wo 1723 am 22. Februar einem armen Landmann ein Söhnlein geboren wurde, dem der Pathe in der Taufe den Namen Peter beilegte. Das Bürschlein wuchs heran unter Kühen und Schafen; als es laufen lernte, mußte es mit der Fibel unter dem Arm in die Schule, wo es gar oft bei den Ohren gerüttelt wurde, weil es sich mit Lesen und Schreiben schwer zurecht fand. Besser ging es mit dem Rechnen, und der Lehrer meinte wohl, das Büble sollt’ ein Schacherjud sein, da würd’ es sein Glück machen. Indessen waren auch die Schuljahre überstanden, Peter trieb die Heerde auf die Alm, führte den Pflug und beschäftigte sich mit Schnitzereien, wenn es im Winter vor der Thüre schneite und wetterte, daß man keinen Hund hätte hinausjagen mögen. Endlich lernte er auch drechseln und schaffte sich bald eine Bank in die Stube, auf der er allerlei kleine Kunstwerke verfertigte, die ihm manches Gröschlein trugen. Ueberhaupt zeichnete er sich früh durch ein ernstes sittiges Wesen aus, Mädchen gegenüber war er fast schüchtern, und mit den anderen Jünglingen des Dorfes an ein Fenster zu gehen, überstieg seinen Muth, und wenn ihn auch das schönste Mädchen mit dem zärtlichsten Gruße empfangen hätte. Da hieß es wohl: „Wo ist denn der Peter?“ – „Der steht im Anger, sperrt das Maul auf und guckt nach den Sternen!“ lautete die Antwort. Ja, er guckte nach den Sternen des Himmels; ihr unvergänglicher Reiz hatte ihn so bezaubert, daß er kein Mädchenauge beachtete, lieber folgte er Nachts ihren wundervollen Bahnen, anstatt im Irrgarten der Liebe zu taumeln.

Da starb sein Vater. Jeder meinte, daß er jetzt als Herr eines kleinen Anwesens die Braut heimführen werde, sein Treiben wurde jedoch immer geheimnißvoller, sein Wesen immer träumerischer, endlich ward es ihm zu eng in der Bauernstube, er nahm den Hut und wanderte nach Innsbruck. Dort suchte er die Universität auf und trat vor den Professor der Mathematik, den freundlichen und behäbigen Dr. Weinhart. „Bist Du der, dessen Amt ist, den Himmel und die Sterne zu beobachten?“ redete er den Mann in der Allongeperücke an. Als es dieser bejahte, fuhr er fort: „Auch ich möchte gern den Lauf der Sterne erkennen lernen, da ich denselben öfters, wenn ich das Vieh weidete, mit Lust beschaut habe.“ Der Professor hörte mit Staunen zu; es war kein Knabe, der Unterricht heischte, sondern ein Bauer von bereits 28 Jahren mit rauhen schwieligen Händen, ein Bauer, kaum fähig zu lesen und zu schreiben. Erst mußte er sich überzeugen, daß er keinen Narren vor sich habe, und er stellte daher eine Menge Kreuz- und Querfragen, deren scharfe, bestimmte Lösung ihn mit größter Bewunderung erfüllte. Er erlaubte ihm alle Feiertage auf einige Stunden zu kommen; Anich scheute weder die Mühe des Weges noch schlechtes Wetter, sondern stellte sich regelmäßig ein. Nun entfaltete der Genius die lang gehemmten Schwingen; er machte in Mathematik, Optik und Astronomie wunderbare Fortschritte, so daß ihm die Universität die Verfertigung eines Himmelsglobus übertrug. Ehe er sich an diese Arbeit wagte, lernte er noch Schönschreiben und Zeichnen; bald hatte er auch hier alle Hindernisse überwunden. Nun saß er vor seiner Drechselbank, drehte aus Holz die Hemisphären, auf die er die Sternbilder eintragen wollte, und schnitt aus Messingplatten Zirkel, Ringe, Zähne und Uhrwerk. Er wollte Alles überbieten, was bis jetzt in dieser Art geleistet worden; in seiner Brust regte sich der Ehrgeiz und spornte ihn rastlos zum Schaffen. Im Herbste 1756 war das Meisterwerk fertig, eine Himmelskugel größer als je eine verfertigt worden; zierlich punktirt prangten die Sternbilder, und Alles drehte sich nach dem Vorbild himmlischer Ordnung durch einen von Anich neu erfundenen Mechanismus. Aber nun ging das Elend an. Als Anich damit zur Thüre hinaus wollte, war diese um ein gutes Stück zu eng, und er mußte erst Maurer und Zimmerleute bestellen, welche eine Wand sprengten und den Himmel aus der engen Stube an den Tag brachten. Der Globus erregte zu Innsbruck allgemeines Aufsehen, Gelehrte von nah und fern gestanden willig, daß sie nie etwas Aehnliches gesehen; Professor Weinhart schrieb eine Abhandlung darüber, welche der großen Kaiserin Maria Theresia vorgelegt wurde, welche seitdem Anich nicht mehr aus den Augen ließ. Der Globus, jetzt freilich durch die Hülfsmittel der neuesten Wissenschaft und ihre allseitigen Entdeckungen überholt, ist jetzt eine Zierde des Museums zu Innsbruck und im Erdgeschosse desselben aufgestellt.

Nachdem Anich das Bild des Himmels entworfen, wendete er sich der Erde zu und zeichnete ein Kärtchen des mittleren Tyrol. Dieses fand so viel Beifall, daß er den Auftrag erhielt, nach den vorhandenen Materialien eine Karte des damaligen Kriegsschauplatzes zu liefern. Zu Innsbruck befanden sich gerade die preußischen Generale Fink und Platen in Gefangenschaft; Anich’s Entwurf ward ihnen vorgelegt und erntete ihren ungetheilten Beifall. Wie wuchs aber erst ihr Erstaunen, als sie vernahmen, daß der Zeichner dieses schönen Blattes ein schlichter Bauer sei! Gleichzeitig verfertigte er einen Erdglobus von der nämlichen Größe wie seine vielbewunderte Himmelskugel und eben so gut. Er steht im Museum dem Himmelsglobus zur Seite und trägt die Aufschrift:

„Quos coluit dimensus agros.“

Nun wurde ihm von Seiten der Regierung eine Arbeit übertragen, welche die Hauptaufgabe seines Lebens werden und seinen Ruhm unvergänglich begründen sollte. Welchem Geographen und Militär wäre wohl Anich’s Karte von Tyrol unbekannt? Durch die neuesten Vermessungen des österreichischen Generalstabes zwar [694] beseitigt, bleibt ihr doch ihr Rang in der Geschichte der Wissenschaft. Peter Anich erhielt von Maria Theresia Befehl, Tyrol zu vermessen. Mit lebhafter Freude machte er sich an diese Arbeit, deren Schwierigkeit nur jener beurtheilen kann, der sich einmal im Gebirge mit wissenschaftlichen Untersuchungen irgend einer Art beschäftigt hat. Wie viele Bergspitzen, die bis jetzt noch kein Fuß betreten, mußte er ersteigen; wie oft drohten Lawinen und Steinbrüche ihn in den Abgrund zu schleudern, wie viele Gletscher voll tückischer Klüfte durchwanderte er! Hatte er den Tag hindurch Noth gelitten und die Sonnenhitze ertragen, so mußte er die Nacht oft am Rande des Eises zubringen, wobei, wie er selbst erzählt, der Boden, auf dem er lag, oft steinfest gefror. Im Unterinnthal hatte er einst einen Gipfel erklettert, da sah er von fern ein furchtbares Gewitter anziehen. Er lief schnell abwärts einem Baume zu, unter welchem sich drei Kühe geborgen hatten. Plötzlich fuhr ein Blitz durch die Luft, der Baum flackerte in Flammen auf und die Rinder lagen erschlagen. Diese Hindernisse setzte ihm die Natur entgegen, andere bereitete ihm der Unverstand des Volkes. Die Bauern, stets mißtrauisch gegen die Regierung, glaubten, Anich sei abgesandt, ihre Felder zu vermessen, damit man sie mit höheren Steuern belasten könne. Wenn er daher in einem Dorfe todmüde ankam, so versagte man ihm hartherzig Lager und Nahrung, so daß er oft mit einem Stücklein Brod vor den Hausthüren schlafen mußte. Andere schrieen, die Sicherheit Tyrols gehe verloren, wenn Karten mit allen Wegen, auf denen der Feind einbrechen könne, entworfen würden. Man schalt ihn einen Landesverräther und bedrohte seine leibliche Sicherheit auf verschiedene Weise. Es gehörte der Heldenmuth einer tüchtigen Natur dazu, um im Kampfe mit so zahlreichen Gegnern nicht zu erliegen.

Im Spätherbste 1760 legte er der Regierung das erste Blatt seiner großen Karte fein gezeichnet und sicher ausgeführt vor und erwarb sich damit solche Zufriedenheit, daß man ihn zur Fortsetzung der Arbeit aufforderte. Erregte dieses einerseits seine größte Freude, so erklärte er andererseits doch, daß er zur Vollendung eines so umfassenden Werkes, das Jahre ungebrochener physischer Kraft verlangte, nicht ausreiche, und bat daher, man möge ihm gestatten, einen Gehülfen abzurichten und mitzunehmen. Gern wurde ihm für einen solchen die nöthige Geldsumme zugestanden und die Auswahl desselben ganz seinem Gutbefinden anheim gestellt.

Da war das arme Lehrerlein von Oberperfuß, Blasius Huber, der eine Stube voll Kinder und im Sommer, wo die Schüler auf dem Feld arbeiten, nicht viel zu verdienen hatte. Ein Freund von Anich hatte er diesem manche kleine Hülfe geleistet, bei seiner Neigung zur Mathematik konnte ihm nichts erwünschter kommen, als der Antrag, ordentlich Geometrie zu lernen und dann den Sommer auf Vermessung zu gehen. Anich verwendete den Winter für den Unterricht. Huber studirte Tag und Nacht, im Frühlinge war er schon so weit, daß ihn der Freund zu Weinhart nach Innsbruck führen konnte, der ihn nach kurzer Prüfung als völlig befähigt erklärte, bei der Landesaufnahme mitzuwirken. Beide machten sich nun auf den Weg; jeden Herbst wurde ein Blatt fertig, jedes Blatt brachte ihnen neuen Ruhm, bereits wurde ihr Name auch außerhalb Tyrols mit voller Anerkennung genannt. Im Frühling 1766 nahmen sie das Etschthal in Angriff, dort arbeiteten sie in den sumpfigen Niederungen der Etsch, wo kaum die Eingeborenen der Ungunst des Klimas zu trotzen vermögen, um so weniger Leute, die stets an den Genuß der reinen Alpenluft gewöhnt waren. Beide erkrankten im August so heftig, daß sie im Wagen nach Hause geliefert werden mußten. Bei Anich gesellte sich die Gicht dazu; der Statthalter, welcher den Werth des seltenen Mannes zu schätzen wußte, sandte seine Leibärzte nach Oberperfuß, um ihn zu heilen. Ihre Kunst konnte jedoch nur eine kurze Frist wirken, gerade lang genug, um in das Leben des Dulders einige Lichtblicke fallen zu lassen. Maria Theresia verlieh ihm den goldenen „Ehrenpfennig“ mit der Weisung, ihn an allen hohen Festen als Auszeichnung zu tragen, und um ihn vor Mangel zu schützen, einen Gehalt von 200 Gulden. Er starb jedoch schon im Herbste 1766 allgemein bedauert, denn nicht blos ein glänzendes Wissen, sondern auch Reinheit und Lauterkeit des Charakters zeichnete ihn aus. Um den Todten zu ehren, gestattete der Bischof von Brixen, daß er anstatt auf dem Friedhof in der Kirche begraben wurde. Die Landesaufnahme war zu zwei Dritteln vollendet, den Rest der Arbeit übernahm Blasius Huber nach seiner Genesung und führte dieselbe unter großen Beschwerden und vielfachen Gefahren auch glücklich zu Ende. Ihm war es vergönnt, ein hohes Alter zu erreichen, er verschied 1814 zu Inzing, wo ihm ein marmorenes Denkmal errichtet wurde.

*ch*




Kunstketzereien.

Nr. 1.
Märtyrer der Kunst - Da Genie darf nicht mit dem gewöhnlichen Maßstabe gemessen werden - Dunkle Sehnsucht.

Ueber die Phrasenmacherei und ihren schädlichen Einfluß auf Empfinden, Denken und Thun der Menschen ist freilich schon oft hier gescholten, dort gespottet worden, aber ausgerottet ist das verderbliche Gezücht noch lange nicht. Gar viele Wahrsprüche und Scheinwahrheiten von geistigen Autoritäten in der blendenden Hülle axiomartiger Sentenzen ausgestreut, laufen seit Jahrhunderten durch die Welt, unterstützen die Dummheit oder Schlechtigkeit und bleiben Hemmschuhe der Aufklärung des Menschengeschlechts.

Fänden solche täuschende Phrasen nur Eingang bei dem geistigen Proletariat, so wäre es immer noch bedauerlich, aber erklärlich. Allein oft gerade von den Begabtesten und Gebildetsten werden jene trügerischen Vorspiegelungen am liebsten im Munde geführt, um ihre Eitelkeit, ihren Hochmuth, ihre arroganten Ansprüche an das Schicksal und die Menschen vor Anderen und vor sich selbst zu unterstützen und zu rechtfertigen. – Es ist meine Absicht, dergleichen durch einen langen Gebrauch fast geheiligte Allgemeinsätze einmal schärfer anzusehen, als es bisher geschehen zu sein scheint, um zu zeigen, daß das, was man bislang für ein ehrliches Angesicht gehalten, nur eine trügerische Maske war, hinter der die absichtliche Lüge oder der unbewußte Irrthum zum Vorschein kommen.

Ist zur Ausführung dieses Vorhabens nicht die Gartenlaube der rechte Schauplatz? Sie hat sich ja den Kampf gegen alle Arten von Irrthümern und Vorurtheilen und damit die Beförderung der Aufklärung und Humanität nach allen Seiten hin zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht. Außer dem Papst ist bekanntlich Niemand unfehlbar. Ich kann daher selbstverständlich nicht die arrogante Einbildung hegen, immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Wenn es mir aber nur gelingt, durch meine ketzerischen Zweifel den unbedingten Glauben an manchen bisher für unbestreitbar wahr gehaltenen Satz einigermaßen zu erschüttern, so bin ich schon zufrieden. Mögen geistig besser als ich Ausgerüstete dann weitere und kräftigere Bannformeln gegen die trügerischen Phantome schleudern, bis sie vollständig verjagt und ihre schädliche Einwirkungen vernichtet sind.

Als Generalissimus aller Truggedanken, welche von den leidenschaftlichen Kunstfreunden für die übertriebene Vergötterung des Künstlerthums in’s Feld geführt werden, ist der Satz zu betrachten: „Die Geschichte großer Menschen ist immer eine Märtyrerlegende.“ Jede Widerwärtigkeit, welche die Menschen überhaupt verschuldet oder unverschuldet trifft, soll bei dem Künstler allein eine unvermeidliche Nothwendigkeit seines Berufs sein. Der Künstler nur sei von Haus aus zum Leiden geschaffen, das bringe nothwendig das Wesen des Genie’s mit sich. – „Das kann nur mir passiren,“ sagt allerdings auch der gewöhnliche Mensch, wenn ihm etwas nicht nach seinem Kopfe geht und er ein egoistischer Narr ist. Dann aber wird er von den Verständigen ausgelacht. Wenn hingegen der Künstler bei einer Fatalität, die ihn möglicherweise wie jeden andern Menschen treffen kann, pathetisch declamirt: „Da seht, das kann nur mir, dem Künstler, dem Genie begegnen!“ so stimmt ihm männiglich bei und bedauert tief den armen Märtyrer seiner Kunst!

Wir werden sehen, wie viel Wahres hieran ist, wenn wir die einzelnen Vorwürfe untersuchen, welche jene Generalanklage bestätigen sollen. Vorläufig will ich nur auf ein Wörtlein in dem fraglichen

[695] Gemeinplatz aufmerksam machen, auf das Wörtlein „immer“.

– Immer sei die Geschichte großer Menschen eine Märtyrerlegende! Ich hoffe späterhin die scheinbar unglücklichsten Opfer ihrer großen Gaben in weniger beklagenswerte Menschen verwandeln zu können. Hier sei nur gefragt: Sind die Geschichten der großen Menschen Shakespeare, Klopstock, Goethe, Wieland , Garrik, Talma, Gluck, Haydn – Märtyrerlegenden?

Unmuthige Momente sind Keinem davon in seinem bürgerlichen wie künstlerischen Leben fern geblieben, aber im Ganzen haben sie sich Alle ihres Berufs erfreut, keineswegs für von demselben Gefolterte gehalten und erklärt. Man hat schon hier ein Pröbchen von der Oberflächlichkeit, mit welcher solche Gedanken ausgebrütet, und von der Gedankenlosigkeit, mit der sie dann fort und fort nachgebetet werden! –

„Das Genie darf nicht mit dem gewöhnlichen moralischen Maßstabe gemessen werden.“ Diese Phrase kann man immer in der Unterhaltung hören, wenn von einem lüderlichen Künstler die Rede ist. Als Grund wird dann jedesmal angeführt: „Die Eigenschaften des Genies sind der Art, daß es die moralischen Anforderungen gar nicht erfüllen kann. Ein wahrhaft genialer Künstler ist nicht möglich ohne die glänzendste Einbildungskraft, ohne die reizbarste Empfindung, ohne die feurigsten Triebe. Wie sollte er diese gewaltigen Agentien nur auf seine Kunstleistungen verwenden, für’s übrige Leben aber gleich wieder gezähmt in die Schranken der Moral einpferchen können! Nehmt ihm jene Eigenschaften, und ihr nehmt ihm sein Genie.“

Hiernach also gäbe es eine Classe von Menschen, der man erlauben oder wenigstens nachsehen müßte, was die ganze übrige Menschheit schändet – die Lasterhaftigkeit! Wehe dem Künstler, wenn dieses Raisonnement begründet wäre, wenn Laster und Genie wie Same und Frucht in nothwendiger Wechselwirkung zu einander stehen müßten! Es bedarf aber wahrlich keines besondern Scharfsinns, um diesen dämonischen Trugsatz in seiner ganzen unheilvollen Nichtswürdigkeit zu enthüllen. Fragen wir doch zunächst die Erfahrung. Zeigt sie uns gar keinen Fall des Gegentheils – eines Genies, das sittlich untadelhaft gelebt hätte? Denn wenn es auch nur ein einziges der Art gegeben hat, so ist damit schon unwiderleglich dargethan, daß Unsittlichkeit wohl mit dem Genie verbunden angetroffen wird, aber nicht nothwendig damit verbunden sein muß. Nun, ein solches Beispiel hat es gegeben, und zwar eines der allergrößten, welches jemals die Welt erleuchtet und entzückt hat: Shakespeare! Er besaß alle Eigenschaften des Genies im höchsten Grade, und war doch, wenn die Geschichte nicht lügt, zugleich ein sittlich unbescholtener Mann, ein guter Haushalter, der sich mit seinem rechtschaffen erworbenen Vermögen nach einer wohlvollbrachten Künstlerlaufbahn und von der Achtung seiner Zeitgenossen begleitet in’s Privatleben zurückzog.

Indessen wäre es schlimm, wenn nur dieser einzige Fall als eine edle Ausnahme angeführt werden könnte. Die Möglichkeit des Vereins von Genie und Sittlichkeit ist zwar dadurch bewiesen, aber die Schwierigkeit dieser Vereinigung und damit die Entschuldbarkeit des Gegentheils würde immer zugestanden werden müssen.

Glücklicherweise sind statt eines Beispiels Hunderte zu nennen. Eine zusammengestellte Künstlerstatistik in dieser Beziehung würde uns zeigen, daß die ehrenhaften Künstler bei weitem überwiegen, die unsittlichen dagegen die Minderzahl ausmachen, und unter diesen wieder die meisten ihre großen Gaben wohl angekündigt, aber eben in Folge ihres zügellosen Lebens nicht zur Reife gebracht, vielmehr zu Grunde gerichtet haben. Es liegt hier weder der Raum, noch die Nothwendigkeit vor, diese Behauptungen durch eine zahlreiche Reihe von Beispielen zu erhärten. Einige, die mir in der Geschwindigkeit gerade beifallen, werden genügen. In der Sculptur: Canova, Thorwaldsen, Rauch, Rietschel, in der Dichtkunst: Klopstock, Lessing, Goethe, Schiller Shakespeare, Voltaire, Molière, Racine, Corneille, Victor Hugo etc. Unter den Schauspielern: Garrik, Talma, Schröder, Eckhof; unter den Sängerinnen: die Catalani, Sontag, Lind; unter den Komponisten: Gluck, Haydn, Spohr, C. M. v. Weber, Mendelssohn, Cherubini, Mehul, Boieldieu, Auber und Beethoven, das größte musikalische Genie und der reinste, sittlichste Mensch.

Ich mag nicht behaupten, daß Alle unter den hier Genannten ganz frei von menschlichen Schwächen gewesen. Aber sicher ist keine einzige lüderliche, lasterhafte Person darunter zu nennen.

Denken wir nun aber daran, wie unendlich viele Menschen bodenlos lüderlich sind, ohne das geringste Genie zu besitzen, so muß die Nichtigkeit obiger Phrase Jedermann einleuchten. Wäre sie indessen blos unwahr! Es giebt manchen Wahn, der weiter nichts auf sich hat. Der angeführte hingegen ist einer, der die allerschädlichsten Folgen nach sich zieht, der schon unendlich viele gute Anlagen zerrüttet, viele elende, untergegangene Künstler auf seinem Gewissen hat! Bei der Neigung der Menschen zu vernunftlosen Ausschreitungen, zur Befriedigung ihrer ungeordneten Triebe, ist jede Beschönigung und Entschuldigung derselben, an wie großen Geistern sie sich auch vorfinden, mit wie glänzenden Vorzügen sie auch sonst verbunden sein mögen, eine Sünde gegen die Cultur, gegen den sittlichen Fortschritt der Menschheit.

Wer unter den jungen Künstlern namentlich möchte nicht gern für ein Genie gelten? Wie erwünscht muß allen diesen der Glaube sein, daß der Künstler über die gewöhnlichen Regeln der Moral erhaben sei, sie eben seiner genialen Eigenschaften wegen gar nicht beobachten könne! Die Ausbildung auch eines geringen Talentes bis zu einem gewissen Grade, welche in unserer Zeit durch die vielen großen Muster und die vervollkommnete Pädagogik so mühelos zu erringen ist, verführt die Jugend nur gar zu leicht zu der Einbildung, es läge die Kraft zu dem Höchsten in ihr. Und nun dazu der Glaube, dein Trieb zur ungeregelten Lebensweise ist dir ja Bürge, daß das Genie in dir wohnt! Die Erkenntniß, daß die geträumten Werke des Genies ausbleiben, kommt erst spät, wo sie überhaupt kommt, denn Viele sterben ja mit der bittern Ueberzeugung, daß die Welt sie schändlicher Weise verkannt und vernachlässigt habe. Und wenn auch diese beklagenswerthen Geschöpfe endlich der Glaube an ihr Genie verläßt, die Liederlichkeit bleibt ihnen treu, sie hat sich durch Gewohnheit zur unbesiegbaren dämonischen Herrscherin über ihr Leben gemacht. Kommt mir daher einer mit der Phrase: „Das Genie darf nicht mit dem gewöhnlichen moralischen Maßstabe gemessen werden,“ so antworte ich: „Gewiß nicht mit dem gewöhnlichen, sondern mit einem strengeren.“

Denn wer soll zeigen, daß der Verstand über die rohen Triebe, Begierden, Leidenschaften herrschen muß und kann, wenn nicht die, welche Verstand besitzen? Wird sich aber irgend ein Künstler für verstandeslos halten und erklären? Was dann, wenn er verständig sein will und doch unverständig handelt? Er kann nur sagen: Verstand habe ich, aber als Künstler bin ich nicht verbunden, ihn zu brauchen, oder wenigstens nicht anders, als um meine Schwachheiten oder Schlechtigkeiten sophistisch zu entschuldigen.

Das Thun des Genies hebt sich glänzend aus der Menge hervor; Aller Blicke richten sich darauf. Ist es zuviel gesagt und verlangt, daß ein solch gottbegnadetes Wesen seinen Mitmenschen nicht ein Verführer zum Schlechten sein, sondern als Muster edler Humanität und reiner Sittlichkeit voranleuchten soll?

Von der Hoheit, Würde, Heiligkeit der Kunst strömt der Mund Allen über. Aber die Priester derselben dürften das niedrigste, unwürdigste, heilloseste Leben führen?! –

Dunkle Sehnsucht. „Eine ewige Sehnsucht nach einem unbekannten Etwas lebt in mir, und läßt mein Gemüth nicht zum ruhigen Genuß meines Lebens und meiner Kunst gelangen!“

O, gehabt euch nicht mit diesem unbekannten Etwas! – Der Menschenkenner weiß recht gut, welch ein Wesen das ist. Und ihr selbst könnt es leicht erkennen, wenn ihr den Muth habt, in euer Inneres zu schauen, und rücksichtslose Ehrlichkeit genug, beim rechten Namen zu nennen, was euch da entgegenkommt!

Es ist euer heißes Temperament, oder es sind euere unersättlichen, immer sich neu gebärenden Wünsche nach Genüssen aller Art, die ihr nicht bändigen könnt oder wollt.

Diese Dämonen wählen aber ihre Behausung nicht ausnahmsweise in dem Genie, sie sind in höherer oder geringerer Stärke in allen Menschenclassen vorhanden, mit und ohne Geist. Mitunter ist diese Sehnsucht nach einem unbekannten Etwas nichts Anderes, als der sehr bekannte Trieb, welcher der Charité ihre Gäste zuführt.

Die allermeisten Schwachheiten, Schlechtigkeiten und Verbrechen der Menschen entstehen aus ihren ungezügelten Trieben und Begierden, und Schwachköpfe nur lassen sich aufbürden, beim Künstler allein werde alles Ungehörige durch die Sehnsucht nach einem unbekannten Etwas hervorgetrieben.



[696]

Aus dem Klosterleben.[1]

Nr. 1.
Die erste Messe eines jungen Priesters – Geistliche Hochzeit – Im großen Speisesaale – Klosterball.

Als ich noch so dastand und mich in allerhand Gedanken über den Abschied meines Freundes, der mich hierher begleitet hatte, vertiefte, schlug heftiges Peitschengeknall an mein Ohr. – Sollte der Freund umgekehrt sein? – Da fuhren aber auch schon zwei Bauerwagen durch das Thor in den großen Hof herein. Die hübschen, jungen, feurigen Pferde waren mit Blumen und buntfarbigen Bändern geschmückt. Auf den mit Kränzen behangenen Leiterwagen saß eine Menge gastlich geputzter Leute. Es waren die Eltern, Geschwister, Verwandten und Freunde Arderian’s, eines neugeweihten Priesters, der morgen in unserm Stifte seinen Ehrentag (geistliche Hochzeit) feiern, d. h. seine erste Messe lesen sollte.

Das war ein Leben und Gedränge, eine Fröhlichkeit und Plauderei dieser mährischen Landleute, die dem Anscheine nach alle der wohlhabenderen Classe des Bauernstandes angehören mochten. Die irdische Seligkeit, das Glück, die Freude – Alles stand deutlich in ihren Mienen und Gebehrden gezeichnet. Bald kamen auch Arderian und der Gastmeister in den Hof, sie zu begrüßen. Das war eine Herzlichkeit! Die Mutter Arderian’s, eine kräftige Frau mit hochrothen Wangen, sprang wie ein junges Mädchen auf ihren geistlichen Herrn Sohn zu und weinte, ihn umhalsend, laut auf vor Wonne und Glück.

Mir traten auch die hellen, warmen Thränen in die Augen, denn ich gedachte meiner eigenen Eltern und Geschwister. Allein und verlassen stand ich da, schmerzvoll und bedrückt; aber im Grunde der Seele regte sich das frohe Hoffnungsgefühl, daß auch für mich einmal ein so rührend schöner Tag kommen werde, an dem ich die Meinigen in einem ähnlichen Entzücken sehen könne. Darum weideten sich meine Augen an der herrlichen Scene, die sich vor mir aufthat.

Wie der alte Vater sich bemühte, seinem nun hochwürdigen Sohne die Hand zu küssen, und dieser mit aller Macht abwehrte! Wie dann die Geschwister, zwei herrliche Bursche und zwei niedliche Mädchen, ein größeres und ein kleineres, Alle zugleich den Bruder umringten, sich seines Halses, seiner Arme und Hände bemächtigten und ihn mit wahrer Herzenslust abküßten! Wie dann endlich die Freunde halb schüchtern herantraten und dem jungen Priester ehrerbietig die Hände boten! – O, es war ein reizender Anblick, ein lebendes Bild, wie ich noch keines je gesehen hatte. Des Grüßens und Dankens, des Stoßens und Fragens war fast kein Ende, und das Alles im großen Wirthschaftshofe zwischen Pferden und Wagen. Von ferne gafften die Klosterknechte und Mägde, die einander laut herbeigerufen hatten, das Schauspiel gerührt und schweigsam an.

Bald gab es für mich nichts mehr zu schauen. Ich wanderte hinaus in’s Freie, wo ich mir das eben gesehene Bild eines Familienglücks weiter ausmalte und für mich die entsprechende Nutzanwendung davon machte. Ja, es ist etwas Großes – sagte ich mir – seinen Eltern eine solche Seligkeit zu bereiten, und sollte sie auch theuer erkauft werden müssen! Hier kostet es einige Selbstverleugnung. Aber was will das für einen jungen Menschen sagen! – Glücklich in diesen Gedanken schlief ich Abends spät ein.

Vielstimmiges Glockengeläute, das mich weckte, trieb mich an mit meinem Anzüge zu eilen. Auf ein Frühstück wartete ich vergebens. Auf dem Corridor des Gastflügels war viel Leben, Gerede, Hin- und Herlaufen, Rufen von mancherlei Stimmen. Die Dienerschaft mochte heute viel zu thun haben. Da erklangen von ferne die Töne eines Festmarsches, und ich eilte hinab in den Hof, der Gegend zu, woher die Musik erschallte.

Es war der Prälatenhof, von festlich geputzten Stadt- und Landleuten gedrängt voll. Das Prälatenthor stand angelweit offen, um der immer noch zuströmenden Volksmenge Einlaß zu gewähren. Aus dem großen Speisesaale über die breite Galatreppe herab kam nun der Festzug. Voran zwei Fahnenträger, in roth und weiße, mit goldenen Tressen besetzte Kirchengewänder gekleidet. Ihnen folgten etwa 12 Musiker, auf ihren mit Blumen gezierten Blechinstrumenten die fröhlichsten Weisen blasend. Dann kam eine Schaar paarweise geordneter Chorknaben, ebenfalls mit betreßten weißen und rothen Kleidern angethan. Alle hatten Kränze von künstlichen, mit Silber- und Goldfäden durchwirkten Blumen je um den linken Arm gebunden. Zwei von ihnen trugen hohe silberne Kirchenleuchter mit brennenden Kerzen, andere hatten gottesdienstliche Geräthschaften in Händen. Dann folgte die Geistlichkeit in ihren reichen, weißen, mit Silber und rosenfarbiger Seide gestickten, schweren Ornaten. Zuletzt der Primiziant, begleitet von dem Prior. Die Meßkleider, welche die Beiden anhatten, strotzten von Gold- und Silberstickereien, zwischen denen farbige Edelsteine schillernd hervorleuchteten. Jeder Geistliche trug am linken Arme einen strahlenden Kranz von feinen, mit Gold und farbigen Steinen durchwirkten Blumen.

Der Primiziant hatte ein verklärtes Angesicht und sah ernst, blaß, aber ruhig vor sich hin. Seine Miene gefiel mir sehr gut, aber sie war himmelweit verschieden von jener, die mich gestern so angenehm befangen hatte. – Ihm auf dem Fuße nach trippelten seine zwei Schwestern, als Brautjungfern weißgekleidet und bekränzt. Jede trug auf reich gesticktem Sammtkissen einen dem geistlichen Bräutigam gehörigen Kirchenkranz. Derselbe hatte die Gestalt einer Königskrone und war der eine von natürlichen, der andere von künstlichen Blumen gebaut. Die zwei Mädchen sahen recht hübsch und höchlich vergnügt aus. Dann schritten Vater und Mutter des Primizianten, Geschwister, Freunde, Verwandte und mehrere geladene Gäste paarweise einher, immer Mann und Frau, Jüngling und Mädchen. Mönche, die beim Gottesdienst nicht beschäftigt waren, bewegten sich mitten in der Kirche und schlossen sich da und dort an. Die Zuschauermenge drängte unordentlich nach. Ich nun mit.

Als wir in der Kirchenthür anlangten, hatte sich schon zum Schalle der Thurmglocken und Musik noch ein rauschendes Orgelpräludium gesellt. Das gab eine Disharmonie, die aber Niemanden störte. – Die Kirche war nach Möglichkeit geschmückt; alle Altäre glänzten in reicher Pracht; überall brannten Kerzen, die mit Blumen geziert waren; der Fußboden des Ganges, den die Procession betreten hatte, war reich mit Gras und Wiesenblumen bestreut, so daß mir das Gehen im Gedränge etwas schwer wurde. Eine dreifache Intrade von Pauken und Trompeten, die den schon vorhandenen feierlichen Lärm übertönte, zeigte an, daß der Festzug am Hochaltar angelangt sei. Die Geistlichen und Hochzeitsgäste nahmen in den Chorstühlen Platz. Der Primiziant wurde unter Assistenz der Priester zum Prälatensitze als seinem heutigen Ehrenplatz geleitet. Die Kranzjungfern stellten sich neben ihm auf; die Eltern saßen ihm gegenüber auf dem Platze des Priors. Die Trompeten schwiegen; das Glockengeläute erstarb; der Organist modulirte in sanftere Accorde über, und das Predigtlied begann.

Ich wurde vom Volke immer mehr und mehr nach vorwärts gedrängt, bis ich an eine Stelle kam, wo mich der kleine, häßliche Revisor Br–., der Neffe des Prälaten, der einen für Beamte abgeschlossenen Betstuhl inne hatte, erblickte und zu sich hineinwinkte. Bei ihm nahm ich nun Platz. Gleich darauf betrat ein mir ganz unbekannter Priester von kleiner, aber sehr belebter Gestalt die Kanzel. An seinem weiß-schwarzen Ordensgewande, das mit einem Chorhemde von zarten Spitzen bedeckt war, konnte man den Gast aus irgend einem andern Orden errathen. Als das Predigtlied zu Ende war, begann er zu sprechen. Seine Stimme war klar, seine Redeweise eindringlich und überzeugend. Ich hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu, weil er ein Thema behandelte, das auch mir nahe lag. Ich kann sogar sagen, daß diese Rede mich tief bewegt habe. Sie ging von dem Schrifttexte aus: „Ein Größerer ist nicht vom Weibe geboren“ – und umfaßte ungefähr folgende Darlegungen: [697] Wenn der Täufer Johannes den Vorzug hat, welchen Jesus ihm als dem Prediger in der Wüste, als dem Bekehrer der Sünder, als dem Täufer der Bußfertigen und als dem ersten Spender des schuldlösenden Sacraments zuerkennt: so theilt jeder wahre und würdige Priester nicht nur den Beruf dieses glorreichen Mannes, sondern hat auch Anspruch an die unübertreffliche Verheißung des Herrn: es sei kein anderer vom Weibe Geborener größer, weß Standes und Berufes er auch sonst sein möge. – Die erhabene Würde des christlichen Priesterthums erweiset sich aus der wundervollen Wirksamkeit des Opferdienstes, kraft dessen schon in den ältesten Zeiten jeder Priester in seiner Person vor den Augen der übrigen Menschheit geheiligt sein mußte, wie ja Jehovah selbst zu den Kindern Israels gesprochen hat: „Niemand von den Nachkommen der Priester, der ein Gebrechen hat, soll opfern dürfen. Sie sollen Alle geheiligt sein, wie ich, der ich sie mir geheiligt habe.“ – Wenn nun Gott selbst den Priesterstand für seinen besonderen Dienst erwählt hat, so liegt eine Würde darin, der auf Erden keine andere gleich kommt. – Auch ist nur dem Priester vorbehalten, mit geweihter Hand die Geheimnisse der göttlichen Liebe zu begehen, wie sie von unserem Religionsstifter in seiner Kirche niedergelegt worden sind. Was der Herr dem Apostelfürsten Petrus sagte: „Dir sind die Schlüssel des Himmels übergeben“ u. s. w., gilt jedem gesetzlich beorderten Stellvertreter der Apostel, jedem geweihten Priester. Dieser ist es auch, der das Amt des Johannes in der Wüste zu verwalten hat durch Belehrung und Erklärung. Alles Krumme wird gerade und gut gemacht durch des Priesters heiligende Predigt. Nur diese ist es und keine andere, die Antwort auf jene bedenkliche Frage giebt, welche die Frauen einst an der Gruft des Auferstandenen ausgesprochen haben: „Wer wird uns den Stein vom Grabe wälzen?“ Wer anders, als er, der dazu den Beruf und die Weihe hat.

Den Schluß der Rede bildeten Ansprachen an Vater und Mutter, Angehörige und Freunde; mit bewegter Stimme und bebendem Gefühle vorgetragen, verfehlten sie die beabsichtigte Wirkung nicht. Das erwies sich in dem lauten Weinen und Schluchzen fast sämmtlicher Zuhörer. Dann folgte eine Mahnung an den jungen Priester selbst, sein heiliges Amt segensvoll zu verwalten. Zuletzt erging noch ein Aufruf an das gesammte Volk, in dem Neugeweihten nicht nur den Diener des Herrn, sondern auch den rechtmäßigen Führer zum Heil zu ehren.

„Danken wollen wir dem Herrn “ – so schloß der Prediger mit erhöhter, eifriger Stimme – „daß die Quelle des Heils noch nach Jahrhunderten fließt und daß sie nach seiner Fügung niemals versiechen kann. Denn es erstehen immer wieder neue Arbeiter im Reiche der Gnade, wenn die alten zur ewigen Freude abgerufen sind. Und bitten wollen wir den Herrn, daß seine Diener auch stets dem großen Vorbilde nachstreben, auf dessen heiligsten Namen sie gesegnet sind in alle Ewigkeit.“ – „Amen,“ platzte die ganze Versammlung nach. Das wohlbekannte Schlagwort „in alle Ewigkeit“ hatte selbst mich dazu verleitet, obgleich es – aufrichtig gesagt – gegen meinen Willen geschah.

Nach der Predigt trat einer der assistirenden Priester vor den Hochaltar und stimmte einen Gesang an mit den Worten: Asperges me, den die Sänger auf dem Musikchor unter Orgelbegleitung weiter ausführten, während der Priester das Weihwasser nahm und allen in den Chorstühlen Versammelten, dem Neugeweihten zuerst und jedem der Gäste besonders, darreichte, damit er sich mit den Fingerspitzen selber die Stirn benetze. Dem übrigen Volke wurde das Weihwasser nicht eigentlich gereicht, aber der Priester besprengte es massenweise, indem er in der Kirche auf und abging.

Ich bekam zufällig keinen Tropfen, aber mein hinkender Nachbar, der sich zu dieser Ceremonie besonders hoch und gerade aufgerichtet hatte, desto mehr. Eine ganze Portion fiel auf sein schneeweißes Vorhemdchen und schien ihm eben nicht sehr willkommen zu sein, denn er brummte etwas vor sich hin. Das Wasser der Weihe hatte ihn mindestens in seiner Andacht gestört.

Nach der Ceremonie mit dem Weihwasser begann das Hochamt. Da ich von dem Hochaltare, an welchem es begangen wurde, etwas entfernt war und eine große Zahl Priester und Ministranten dort durcheinander wogte, außerdem aber auch die aus den auf glühende Kohlen gestreuten Weihrauchkörnern entwickelten Wolken, im Sonnenstrahl spielend, die Scene verhüllten, so konnte ich nicht genau erkennen, wie Alles vorging, was da geschah. In meinen Betstuhl gebannt, begnügte ich mich der aufgeführten rauschenden und vollstimmigen Musikaufführung zuzuhören. Nach meiner oberflächlichen Schätzung mußten mindestens sechszig Personen, Sänger und Instrumentalisten, thätig sein. Außerordentlich gefiel mir eine weibliche Alt-Stimme, die sich mehrmals Solo vernehmen ließ. Ihretwegen sah ich mich öfter nach oben um, konnte aber kein Mädchen bemerken. Mein Nachbar, der auch ab und zu aus seinem Gebetbuche heraus und umherblickte oder vielmehr so gräßlich schielte, daß ich in der That oft nicht wußte, ob er nach rechts oder links hinsehen wolle – mag errathen haben, warum ich so oft der schönen Altstimme nachsehe, denn er sagte leise und zutraulich : „Es ist kein Frauenzimmer, sondern einer der Sängerknaben; die Messe, die aufgeführt wird, ist von Eybler; ich weiß es g’wiß, weil mir’s der Pater Regenschori selber g’sagt hat.“

Ich wollte eben noch weitere Fragen thun, aber das Ertönen eines Glöckleins, das alle Andächtigen zum Knieen aufforderte, verscheuchte augenblicklich alle sündhafte Neugierde aus meinem Innern. Am Hochaltar sah ich ein Hin- und Hergehen, Niederknieen und Aufstehen der Geistlichkeit, ohne zu errathen, was vorgehe. Die Bedeutung der kirchlichen Ceremonien ist mir in keiner der zurückgelegten Schulen bekannt gegeben worden. Ich weiß, daß dieser Fehler im Christenthum allgemein ist.

Auch die Kranzjungfern konnte man von Zeit zu Zeit beschäftigt sehen. Bald standen sie von ihren mit rothem Damast drapirten Knieschemeln auf und brachten die Kränze dem Bräutigam der Kirche, bald wieder holten sie dieselben ab, um sie auf einem mit brennenden Kerzen besetzten Seitentische niederzulegen.

Das Hochamt mit allen seinen Abwechselungen dauerte etwa anderthalb Stunde, und mir fiel während dieser Zeit öfter ein, daß ich nicht gefrühstückt habe. Zuletzt verdrängte ein gottloser Hunger die heiligsten Interessen. Ich fragte meinen Nachbar, wie lange diese Ceremonien wohl noch dauern könnten, und er sagte mir, daß das Hochamt selbst nun bald zu Ende sein würde, daß aber darum an ein Fortgehen nicht zu denken sei. Man müsse doch auch den Segen des Neugeweihten erhalten, und da dieserhalb großes Gedränge entstehen werde, so könne es wohl noch eine gute Zeit dauern, bis wir daran kämen. Vordrängen könne er sich nicht und mir wolle er auch nicht dazu rathen.

„Werden denn nicht Alle auf einmal gesegnet?“ fragte ich etwas voreilig.

„Nein. Jeder erhält seinen besonderen Segen. Die Verwandten, Angehörigen und distinguirte Leute bekommen ihn mit Auflegung beider Hände, die Uebrigen aber paarweise je mit einer Hand, so daß der Primiziant immer zwei zugleich segnet.“

Unüberlegter Weise fragte ich, ob wir denn durchaus dabei sein müßten.

Der Gezeichnete sah mich mit dem einen Auge sehr scharf an, während das andere treulos abschweifte, sagte aber nichts. – Es geschah übrigens, wie er ausgesprochen hatte: als das Hochamt zu Ende war und sowohl die assistirenden Priester als auch alle Ehrengäste ihren Specialsegen erhalten hatten – ein großer, allgemeiner Segensspruch war ohnehin schon vorher am Schluß der Messe ertheilt worden – drängte das ganze Volk zum Hochaltar hin, um auch eine besondere Händeauflegung und Einsegnung zu erhalten. Ich und mein Nachbar blieben in unserem Betstuhle und entgingen in diesem Asyl wohl manchem Rippenstoß und Fußtritt, der als Zugabe der heiligen Handlung dort vorn verabreicht worden sein mochte.

Da ich nur Hunger hatte, dachte ich nicht weiter daran, mich früher zu entfernen, als mein Nachbar, und bekämpfte lieber das allerdings unangenehme, alle Poesie der religiösen Gebräuche zerstörende Gefühl. „Die Kirche ist wohl heute ganz ungewöhnlich voll?“ sagte ich zu meinem Nachbar, der schon längst sein Gebetbuch in die Tasche gesteckt hatte und müßig herumschaute.

„O ja! Zu solchen Gelegenheiten kommen die Leut’ viele Meilen weit.“

„Warum? Wer das einmal gesehen hat, der müßte – denke ich – genug davon haben, und so gar selten können solche Feierlichkeiten auch nicht sein.“

Wieder sah mich der Kleine mit dem einen Auge wie vernichtend an, sagte aber mild: „Sie vergessen die große Bedeutung, die der Segen eines Neugeweihten hat. Der gemeine Mann hält noch zehnmal mehr davon, als unsereins, und er unterläßt es nicht leicht, ihn so oft, als es möglich ist, zu bekommen. Da ist Mancher heute dabei, der an der Kirchthür umkehrt und sich noch einen [698] holt für den Fall, daß ihm der erste zu wenig ausgiebig scheinen sollte.“

„Muß denn das aber gleich sein, das – ich meine – gleich am Tage der ersten Messe?“ – Der Gefragte mochte einsehen, daß ich sehr unwissend oder vielleicht noch Schlimmeres, ein Spötter sei, und nahm deshalb eine strenge, belehrende und zurechtweisende Miene an, indem er sagte: „Die besondere Kraft des Segens eines neugeweihten Priesters dauert zwar acht Tage lang, aber das kann sich Jeder sagen, daß sie am ersten auch am frischesten ist. Das weiß auch jeder Bauer. Und unsere Bauern sind noch gut, sie haben noch Religion. Deshalb wird ihnen auch nichts zu sauer und nichts zu schwer, was die Religion von ihnen fordert. Es wär’ ein Unglück, wenn auch bei uns die alberne Freigeisterei und der naseweise Unglaube der Stadtleute überhand nehmen sollte. Die Vornehmen und Reichen, die Studirten und selbst schon einige Geistliche sind davon angesteckt, wohin soll das noch führen? – Ein Mensch ohne Religion ist aller Schlechtigkeiten fähig.“

Er erzählte mir dann noch Mancherlei über den kirchlichen Sinn des Landvolkes und seine Andachten. Mit der größtmöglichsten Harmlosigkeit hörte ich ihm zu; ich ahnte auch wirklich nichts Schlimmes. Dieser kleine, gezeichnete Schwätzer zeigte sich mir einfach als einen guten und eifrigen Katholiken. Das konnte ich ihm nicht verdenken. Manchmal drängte sich mir freilich das alte Sprüchwort auf: „Hüte dich vor Gezeichneten!“ – aber da ich darin immer eine große Ungerechtigkeit fand, so setzte ich auch hier den möglichsten Widerstand Allem entgegen, was mir an ihm verdächtig erscheinen konnte.

Endlich hatte das größte Gedränge aufgehört, und mein Kleiner erklärte, nun auch vortreten zu wollen. Ich ging mit und sah, daß ihm viele Leute, die ihn kannten, mit einiger Ehrerbietung Platz machten, worauf er auch – wie seine Mienen anzeigten – gerechten Anspruch zu machen schien. So kamen wir bald auch an die Reihe und knieten nieder. Pater Arderian schritt langsam die Reihe entlang, mit hochrothem, in Schweiß gebadetem Antlitz und sichtlich abgespannt legte er auf einen kurzen Augenblick die eine Hand auf mein, die andere auf des Kleinen Haupt und sprach dazu etwa drei Worte eines lateinischen Segensspruches, welchen er bei Andern, denen er weiter die Hände auflegte, fortsetzte, so daß sich wohl 12 bis 16 in das eine Gebet zu theilen hatten. Da sah ich zum ersten Mal die Wohlthat ein, die im Gebrauche der lateinischen Sprache beim priesterlichen Dienste – wenigstens hier in diesem besonderen Falle – liegt. Die Bauern, die gewiß den Trost haben, daß ihnen der Segen ungeschmälert zu Theil geworden ist, könnten das nicht glauben, wenn sie verständen, was der Priester zum Händeauflegen spricht. Ja, sie würden vielleicht mißvergnügt werden, wenn sie das heilige Bruchstück zum meilenweiten Weg in Anschlag brächten. Das sind ja gerade die Leute, die immer ihren vollen Preis herausbekommen müssen. Auf der andern Seite aber müßte so ein Neugeweihter bei solch großem Andränge des Volkes seinen Geist aufgeben, wenn er über jeden Gläubigen den vollen Segensspruch hersagen müßte und ihm das abgekürzte Heilverfahren nicht gestattet wäre. Wann auch würde er damit fertig, wenn ihn die Kräfte nicht verließen? –

Ich ging daher zufrieden mit meinem kleinen Antheil von dannen. Eine besondere Wirkung konnte ich davon nicht erwarten, das war selbstverständlich. Mein Hunger hatte zugenommen. Als ich mit meinem Nachbar vor die Kirche hinaustrat, schlug die Thurmuhr Eins.

„Nun wollen wir aber auch gleich in den Speisesaal hinaufgehen,“ sagte mein hinkender Begleiter, „denn um Eins soll gegessen werden.“

Das war süße Melodie für mein Ohr. Ich hatte keine Sorge um Arderian, der noch lange in der Kirche zu thun hatte, um an der Tafel erscheinen zu können, sobald das Essen begann. Ich dachte jetzt nur an mich. Wir traten in den Saal. Er hat die Pracht der Ausstattung wie die Bibliothek, ist aber kleiner. Glänzender Marmor, bunte Frescogemälde, Arabesken und Goldverzierungen aller Art bedecken sämmtliche gerade und krumme Flächen des Raumes. Auf der in Hufeisenform aufgestellten weitläufigen Tafel mochten über hundert Gedecke bereit liegen.

Eine Menge Gäste und Geistliche, die Verwandten des Primizianten, die Kranzeljungfern und mehrere geputzte Damen sind schon anwesend. In Gruppen stehen sie umher und sind in eifrigen Gesprächen begriffen. Den alten Eltern wird von älteren Geistlichen, den Mädchen und Frauen von jüngeren der Hof gemacht.

Endlich erscheint auch der Primiziant – früher als ich je geglaubt hätte – mit ihm der Prior. Den Beiden fast auf den Fersen folgen die Diener mit gewaltig großen Suppentöpfen.

Der Prior hatte kaum die Eltern des Neugeweihten an die Hand genommen und ihrem Platze an der Tafel zugeführt, als er auch schon sein Sammtkäppchen vom Kopfe nahm. Ein mehrseitiges Sst! Sst! forderte die Versammlung auf, dem Gespräche schnell ein Ende zu machen. Ein kurzes, stilles Gebet – und man setzte sich mit dem in einer so großen Gesellschaft unvermeidlichen Geräusch an die Tafel. Es dauerte aber nicht lange; auch die Andern schienen Hunger zu fühlen, wie ich.

Den Vorsitz führte der Neugeweihte; ihm zur Rechten und Linken saßen Vater und Mutter, Geschwister und Freunde; ihm gegenüber der Prior mit den zwei Kranzeljungfern und dem Festprediger.

Alle übrigen Tischgenossen setzten sich nach Gefallen in bunter Reihenfolge zu Tische; weder Rang noch Ansehen, noch das heilige Recht des Alters kam diesmals zur Geltung. – Da ich bescheiden wartete, bis für mich ein Platz übrig bleibe, so gerieth ich auch an das eine Ende der Tafel unter die kleinen Klosterbeamten. Nikodem und der Pater Gastmeister saßen auch da. Der Letztere war heute als Küchen- und Kellermeister voll Geschäftigkeit und stand oft von seinem Sitze auf, um die Dienerschaft zu commandiren, um die Tafel die Runde zu machen oder am Kredenztische Anordnungen zu treffen. Acht Diener waren in geordneter Bewegung an der Tafel, andere gingen aus und ein und schleppten auf langen Bretern volle Schüsseln herbei, leere fort. Jeder schien ein bestimmtes Geschäft zu haben. Der Binder (Küper), die rechte Hand des Kellermeisters, füllte die Wein- und Wasserflaschen und hatte mit einem ihm untergeordneten Burschen vollauf zu thun. Jeder Tischgenosse hatte nämlich zwei Flaschen, mit Wein und mit Wasser gefüllt, vor dem Teller stehen, die oft gefüllt werden mußten, denn es war ein heißer Tag und der Durst groß. – Neben der Dienerschaft war auch noch der Förster und sein hübscher Sohn, Beide in der kleidsamen Waidmannsuniform, mit Bedienung der Gäste beschäftigt.

Als die mannigfachen Braten aufgetragen wurden, erhob sich der Pater Prior von seinem Sitze und brachte mit weicher, milder Stimme und in wenigen Worten auf die Gesundheit des Primizianten und seiner Eltern ein Hoch aus, das im Nebenzimmer in einem dreimaligen Tusch von Pauken und Trompeten seinen Wiederhall fand. Mehr Toaste wurden nicht gebracht, aber Alles war sehr vergnügt, und es wurde sonst recht viel gelärmt und gelacht. Verschiedene Extraweine in großbäuchigen Flaschen wurden auf die Tafel gesetzt und ziemlich rasch in die Unterwelt befördert.

Arderian mußte die Tafel, die von halb zwei bis sechs Uhr dauerte, frühzeitig wieder verlassen, weil sich auf den Treppen und im Hofe ein paar Tausend Menschen versammelt hatten, die ihn um seinen Segen bitten ließen. Es waren die Leute, welche am Vormittag verhindert gewesen, oder deren Weg zum Kloster zu entfernt war. Arderian erfüllte ihre Wünsche mit all der Resignation, die dem heiligen Priesteramte eigen ist. Als er matt und müde wieder zurückkam, wurde die Tafelei geendet. Man stand auf, wurde still und betete oder that wenigstens so. Dann machte Jeder einen Rundgang, um dem Primizianten und seinen Angehörigen ein freundliches „Wünsch’ wohl g’speist zu haben“ auszudrücken.

Als ich meinen Rundgang machte und jedem der mir Begegnenden den so wunderbaren Wunsch lachend zuwarf, kam ich auch an meinen Freund, den alten Nikodem, der wohl glauben mochte, daß ich dem Weine etwas stark zugesprochen habe. „Na, Herr Candidat,“ sagte er, „machen wir jetzt auch ’n Tanzerl?“

„Tanzerl? Was meinen Sie, alter Herr?“

„Was ich mein’? Das sollen S’ bald seh’n. Kommen S’ nur immer mit.“ Und indem er mich am Arme mit sich fortzog, sprach er weiter: „Auch bei ’ner geistlichen Hochzeit darf der Tanz nicht fehlen. Capiren S’? –Weil aber der Prälat davon nichts merken soll und will, so wird der Hochzeitsball im Gastflügel abg’halten. Geh’n S’ nur mit.“

Wir langten im Gastflügel an und traten in einen kleinen Saal. Da es noch heller Tag war, so fehlte mir zu meinem Begriffe von Ball eine der Hauptsachen: Beleuchtung. So ein Städter [699] hat nun einmal seine beschränkten Begriffe wie der Landbewohner. – In einer Ecke saßen Musikanten um einen Tisch herum und rüsteten sich eben zur Arbeit. Im Nebenzimmer standen Spieltische nebst einem wohl versorgten Schenktisch. Der Platz füllte sich bald mit Gästen. Der Primiziant führte die Kranzeljungfern herein, die Eltern folgten, und bald ging der Tanz los.

Arderian eröffnete ihn mit seiner älteren Schwester. Andere folgten. Die jüngeren Mönche bemächtigten sich der Frauen und Mädchen, die da waren und tanzen mochten, und bald war mehr als die Hälfte der Gesellschaft in kreisender Bewegung, Nikodem mitten darunter. Der alte Mann! – Aber auch das alte Elternpaar fehlte nicht.

Die Musikanten spielten einen reizenden Oberländler. Gern hätte ich mitgetanzt, aber keine Tänzerin war übrig geblieben. O wie gerne hätte ich das hübsche, derbe Zimmermädel gefaßt, das sich im Spielzimmer allerhand zu schaffen machte; aber das ging nicht an. Ich tröstete mich demnach und sah zu. Mein Schicksal theilten indeß mehrere der jungen Beamten. Es lag überhaupt nichts Auffallendes darin, daß ich müßig dastand, indem es genug Zuschauer gab; aber meine studentische Eitelkeit war verletzt.

Der Primiziant wechselte beständig seine Tänzerin. Er führte nach und nach alle anwesenden Frauen und Mädchen, selbst seine in Wonne strahlende Mutter zum Tanze. Der gute Arderian! Seine Arbeit mochte jetzt ebenso anstrengend sein, als die des Segengebens am Vor- und Nachmittage; aber vielleicht war sie ihm doch etwas angenehmer. Mindestens sah er nicht matt und blaß aus.

Die Zuschauer verzogen sich später in das Spielzimmer und in die Nähe des Schenktisches. Auch mehrere Tänzer ließen von ihrem Eifer ab, und so kam ich denn auch glücklich daran zu tanzen. Der Pater Gastmeister, der zwar nicht tanzte, dein man es aber ansehen konnte, daß ihn die allgemeine Fröhlichkeit ergötzte, hatte mich schon einige Male scherzend aufgemuntert; jetzt faßte er mich an der Hand und führte mich zu einer der fein geputzten Frauen. Mich vorstellend sprach er:

„Da, Frau Verwalterin! bring’ ich Ihnen ’n Tänzer aus ’ner Hauptstadt; der kann’s recht.“

Ohne alle Ziererei und mit großer Freundlichkeit stand die junge Frau von ihrem Sitze auf und stellte sich an meine Seite. Bald wirbelte ich mit ihr im Galopp durch den Saal. – Daß ich mich dann auch an die andern Tänzerinnen wagte, versteht sich von selbst.

Zuletzt schien auch der schwache Nest von Etiquette, die bisher beobachtet worden war, zu schwinden, denn ich sah die beiden hübschen Zimmermädchen mit Geistlichen und Beamten tanzen, und es dauerte gar nicht lange, so hing auch ich an der schmucken Dienerin, die Freund Professor so reizend gefunden hatte.

Als ich wieder stille stand und Athem schöpfte, Himmel! da fuhr ein Blitzgedanke mir durch den Kopf: der Novizenmeister, der grobe strenge Herr meines sich entspinnen sollenden Klosterdaseins. Indessen scheuchte ich bald alle Bedenklichkeiten fort und sagte mir, was man sich, wenn man jung ist, in ähnlichen Fällen zu sagen pflegt: Wer weiß, ob er etwas davon erfährt. – Ich verharrte also im Genusse des frohen Augenblicks.

Gegen 9 Uhr wurden Lichter gebracht und die Gesellschaft verringerte sich ganz bedeutend. Arderian und seine Angehörigen, die älteren Geistlichen und die Beamtenfrauen nebst ihren Töchtern gingen zur Abendtafel und kamen nicht wieder. Die jüngeren Mönche und Beamten und einige Gäste von außerhalb blieben zurück, spielten, tranken und schwatzten. Ich blieb auch. – Bald sammelte sich in den geöffneten Thüren ein Zuschauerpublicum von Köchinnen, Lehrmädchen, Mägden und dergleichen. Der hübsche Theil derselben wurde zum Tanze geholt, und so dauerte die Lustbarkeit bis gegen Mitternacht. Müde und befriedigt suchte und fand ich bald mein Zimmer und entschlief auf dem bequemen Lager mit dem ernsten Gedanken, daß ich den Pater Gideon beim Klosterballe nicht gesehen habe. –

Zwei Tage blieben noch die Angehörigen Arderian’s im Stifte, ich bekam sie aber wenig zu sehen. Nach zwei Tagen endlich fuhr die Hochzeitsgesellschaft wieder ab und Arderian mit ihr. Er hatte auf acht Tage Urlaub erhalten, um das Fest der ersten Messe in seinem Geburtsorte, im Vaterhause, in seiner Dorfkirche noch einmal zu begehen. Bei solchen Dorfprimizen soll es noch viel feierlicher und fröhlicher hergehen als im Kloster. Da Arderian’s Eltern wohlhabende Leute sind – sagte man mir – so können sie es sich etwas kosten lassen. Solche Leute pflegen sich zu sagen, solches Glück und solche Ehre werde nicht Jedem zu Theil. Auch soll die Idee, daß den Eltern eines geistlichen Herrn Sohnes als des Vermittlers zwischen Jenseits und Diesseits der bessere Theil gesichert sei, nicht wenig zum Glücke der Angehörigen beitragen. Meine Eltern scheinen dieser Idee auch nicht fremd zu sein. Ihr guten Eltern! –





Ein Stündchen in Dresdens zoologischem Garten.

Das alte Bibelwort: „Der Mensch soll herrschen über die Vögel unter dem Himmel und über alles Vieh, das auf Erden kriechet,“ hat unstreitig seine thatsächlichste Erfüllung in den zoologischen Gärten gefunden. Denn Alle sind eingesperrt und müssen gehorchen, und nur der Sohn aus Adam’s Geschlecht wandelt frei und als Herr zwischen den Gittern und Käfigen.

Auch Elbflorenz, die schöne Königsstadt, besitzt seit zwei Jahren ihren zoologischen Garten, und, wie Sachkundige versichern, einen der am schönsten gelegenen. Auf wohlgepflegten Pfaden, größtentheils im Schatten anmuthiger Parkanlagen, wandelt der Beschauer vorüber an den Bewohnern der Eismeere bis zu dem heißblütigen Könige der Wüste. Sämmtliche Thiere sind ihrer Natur entsprechend ebenso zweckmäßig wie geschmackvoll gruppirt in künstlichen Grotten und Bauen, in Zwingern, Blockhäusern, Volièren, Bassins, auf Wiesen und Weihern.

Ein prachtvoller Herbstnachmittag ruht über dem Elbthale und wirft seine goldnen Lichter durch das Laubgrün, in der Ferne duftige Berge. Die Glocken der Residenz tönen durch die stillblaue Luft. Treten wir näher.

Die ersten zwei Insassen des Gartens, die unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sobald wir durch das Nordthor kommen, sind zwei Bewohner des Wasserreichs. Zur Linken guckt aus gefülltem Bassin der Kopf des Seehundes, oder das arme Thier liegt sich sonnend am Strande. Melancholisch schaut sein schönes treues Auge zu den Beschauern, die das Bassin umstehen und sein tiefes Heimweh nach seiner meergrünen und meertiefen Nordsee nicht verstehen. Dieses Aufbewahren des nur an salzige Meerfluth gewöhnten Thieres im beengenden Süßwasserbassin grenzt, allerdings im Interesse der Wissenschaft, an Thierquälerei. Auch hält es so ein armer Bursch für die Länge nicht aus und muß durch einen Nachfolger, den bald dasselbe Loos ereilt, ersetzt werden. Die Dauer eines Seehundes im Süßwasser währet in der Regel nicht länger, als die Regierung eines südamerikanischen Präsidenten, und es ist noch recht gut, daß der arme Nordseebewohner während seines Dresdner Daseins die unterschiedlichen Kritiken der Beschauer nicht versteht. Der Seehund ist wegen seiner dem Schönheitsgefühl wenig entsprechenden plumpen und unvollkommenen Körperform keineswegs Liebling der Damen. Wenn er so da liegt, ohne Hand und Fuß, halb Säugethier, halb Fisch, begreift man überhaupt nicht, wie er sich fortbewegen kann. Wie manch schönes Kind habe ich da ausrufen hören: „Pfui, welch ungestalt häßliches Thier!“

Gradüber dem Seehundbassin residirt ebenfalls im Bassin, aber sorgfältig hochumgittert, ein andrer Bewohner des Wasserreichs, der allerdings nicht so weit her ist, wie der Seehund, sondern ein Landsmann, die königlich sächsische Fischotter. Dieser Wassergymnast ist das gerade Gegentheil des heimwehsiechen phlegmatischen Seehunds. Ein fortwährendes lustiges Sichkopfüberinswasserstürzen, Wiederhervorkommen, den Rand des Gitters umlaufend, wieder kopfüber ins Wasser, wieder hervor und so fort, mit einer nie rastenden Lebendigkeit. Die Fischotter erfreut sich darum, sobald sie einigermaßen bei Laune, stets eines weit dankbarern Publicums als ihr träger Gevatter aus der Nordsee. Außer

[700]

Der zoologische Garten in Dresden.
Nach der Natur aufgenommen von Winckler.

[701] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [702] dieser liebenswürdigen Lebendigkeit erfreut sich die Fischotter auch noch eines so großen Respects, namentlich bei der Dresdner Kinderwelt, wie selbst der brüllende Leu im Hintergründe nicht. Diesen specifischen Respect vor der Fischotter hat die Direction des Gartens durch einfache drei Worte hervorzubringen verstanden, die sehr leserlich im Gitter angebracht sind. Anstatt in langathmigem Style die Beschauer vor dem kleinen munteren Thierlein zu warnen, lieft man einfach: Die Fischotter beißt! Diese drei Worte sind hinreichend, einer zu großen Intimität des Publicums und der Fischotter wohlthätige Schranken zu setzen. Bei keinem andern Bewohner des Gartens, selbst den reißenden Thieren nicht, findet sich diese sehr praktische Warnungsetiquette.

Wir wenden uns rechts. Da erheben sich in sonnigster Nachmittagsbeleuchtung, aus leichter Umzäunung, zwei graugelbe Massen, jede auf vier verhältnismäßig nicht zu starken Beinen stehend und einen langen Hals mit einem weniger geistreichen, aber sehr gutmüthigen Kopfe emporstreckend. Es ist das Schiff der Wüste, das Kameel, das sich von dem Bewohner des Baierlandes namentlich dadurch unterscheidet, daß es weit länger Durst ertragen kann. Zwei Höcker bilden einen natürlichen Sattel und unterscheiden das Kameel von dem nur einhöckerigen Dromedar. Bei dem Kameele weiß man in der That nicht, ob dieses Thier für die Wüste oder ob die Wüste für das Kameel geschaffen ist, so passen beide für einander. Die Füße von breiter Fläche verhindern das Einsinken im Wüstensande; die lederartige Sohle und die schwieligen Kissen am Kniegelenk ermöglichen dies Gehen und Niederknieen auf dem heißen Boden. Die Nasenlöcher sind lang und tief geschlitzt, um bei Sturm das Eindringen des feinen Wüstenstaubes abzuhalten; der Geruchssinn ist so bedeutend entwickelt, daß das Kameel Wasser und feuchte Luftströmungen Stunden weit wittert. Genügsam und mit wenig trocknem Futter zufrieden, kann es Wassermangel bis zu acht Tagen ertragen, indem ein besonderer Speichelapparat das aufgenommene Futter im Magen fortwährend bespült und so vor Durst schützt.

Welche Gedanken und Bilder gehen beim Anblick dieses in der Culturgeschichte der Menschheit so wichtigen Thieres, das die Perlen und Kaschmirshawle aus fernem Osten nach dem Abendlande trägt, durch die Seele! Das ganze alte Testament, Jakob und seine Söhne, samumumwehte Karawanenzüge, die Märchen Scheherasade’s. Wie manche reizende Houry, umschleiert und im Silbergürtel, mag von diesen unschönen lebendigen Maschinen nach den Liliengärten der Serails getragen worden sein! Diese grauen Wanderer können erzählen von den Schneehauben des Himalaya, den Veilchengefilden von Peschauer, den Rosen von Saron; sie haben vernommen aus stiller Myrthenlaube den süßen Schmerz um die von Hafis besungene Nachtigallbraut. Gutmüthig und zufrieden nahmen sie die Semmelbrocken aus der Hand des Beschauers.

In den beiden andern Abtheilungen des Kameelhauses wohnen noch zwei fremde Gäste, ein weißes Lama und ein chinesisches Schaf mit Fettschwanz und ohne Ohrenmuscheln.

Da kräht in nächster Nähe ein deutscher Haushahn mit all der ihm eigenthümlichen Energie. Die morgenländischen Phantasien zerfließen, wir fühlen uns wieder in deutscher Heimath, und nachdem der buckelnasigen Ziege und der Landsmännin des Grafen Borries, der hannöverschen Haideschnucke, einige Betrachtung gewidmet, wandern wir die ziemlich lange, aber höchst interessante Hühnervolière entlang. Das kräht, gurlt, lacht und trommelt, und welche Farbenpracht! Vom silberweißen Silberfasan mit schwarzen Wellenlinien, vom prächtigen scharlachroten Goldfasan bis zum bleigrauen Perlhuhn hat Mutter Natur ihre Farbentöpfe nicht geschont. Die Hühnervolière umfaßt in ihren 16 Abtheilungen die unterschiedlichsten Hühner-und Taubenarten, vom großgespreizten Brama-Putra bis zur bescheidenen Ringeltaube, wie sie vor dem Fenster der Pfarrerstochter von Taubenhain saß.

Der jetzt folgende Mufflonpark, die Ziegenwiese mit der Angoraziege in ihrem langen weißen Seidenhaar und der Zwergziege, der kleinsten Ziegenart, bieten mannigfache Unterhaltung.

Wir kommen zu dem Mähnenschaf, einer Perle des Gartens. Nur wenige Thiergärten Europa’s besitzen ein so auserlesenes Exemplar. Obschon Schaf, muß das Thier doch fühlen, daß es eine Rarität des Gartens. Stolz erhebt es das prächtige Gehörn und versteht durch die lang herabhangende Mähne des Halses und die natürlichen Kniemanschetten sich ein imponirendes Ansehen zu geben. Es folgen die Bezoarziegen und das Maskenschwein. An diesen im Unrath sich sielenden Schinkenfritzen hat die Natur unstreitig eine Studie liefen wollen, was sie auch auf dem Gebiete des Häßlichen vermag. Welche Stufenleiter von Thierformen liegt dazwischen, ehe die Natur der vierfüßigen Welt vom majestätischen Löwen, vom schöngeschenkelten Rosse, vom prächtigen Neufundländer und graziös gebauten Wachtelhündchen bis zu dem Maskenschweine gelangt, das seinen Namen daher führt, weit die aufgetriebene schwarze Haut des Gesichts durch starke Fleischrunzeln maskenähnlich verunstaltet ist! Die Wildschweine im Schwarzwildbau gleich daneben sind Schönheiten dagegen. Das Maskenschwein ist die Pastrana unter den Vierfüßlern, und darum ist seine Gönnerschaft eine sehr mäßige, bei dem schönen wie unschönen Geschlecht.

Es wird wieder afrikanisch. In geräumiger Umfassung wandelt der neuholländische Casuar und der Helmcasuar, stattliche, dem Straußengeschlecht angehörende Gesellen, während in einer besonderen Abtheilung die hohe Gestalt des afrikanischen Straußes selbst mit kleinem Kopfe auf langem Halse dumm in die Welt schaut. Diesem Herrn Struthiocamelus, dermalen Wittwer – er verlor im Frühjahr seine Gattin – sieht man es an, daß er das Pulver nicht erfunden, wenn es nicht von Jemand anderem wäre erfunden worden. Sein winzig Gehirn rechtfertigt vollkommen, daß er, um seinen Verfolgern zu entgehen, den Kopf in ein Loch steckt. Die federlosen nackten Schenkel, namentlich zur Mauserzeit, sind dem Bereiche der Aesthetik etwas fremd, mögen dem Strauße jedoch bei einem Wettlauf in der Wüste wohl zu statten kommen.

Wir lassen das 92 Ellen lange, sehr zweckmäßig und schön gebaute Winterhaus mit seiner lärmenden Vogelcolonie – ein wahres Hauptquartier Papageno’s – zur Rechten und stehen vor zwei Majestäten, dem Herrn Könige und Frau Königin der Thiere, die sich, da ihr Palast, der Löwenzwinger, noch nicht fertig, einstweilen mit einem bescheidenen und beengenden Absteigequartier begnügen müssen, worin sie einen Theil des Tages mit seltener Unermüdlichkeit auf und nieder laufen und sich zum Zeitvertreib anbrummen, ob aus Zärtlichkeit oder übler Laune wegen der beengenden Chambre garnie, ist schwer zu errathen. Herr Nobel zeigt sich übrigens ziemlich theilnahmlos für die Außenwelt; nur wenn von der Bärenburg her zuweilen die Stimme Brauns vernehmbar wird, erglüht das Auge des Königs vor Kampfbegier, und der energische Nacken richtet sich wild empor. Obschon die beiden Nubier noch im Flügelkleide – sie stehen im zarten Alter von drei Jahren, so daß beim Herrn Gemahl kaum der Flaum des Mähnenbartes zu sprossen beginnt –, möchte ich doch als friedsamer Wanderer auf das Vergnügen, den beiden Eheleuten, falls sie noch nicht soupirt haben, im einsamen Walde zu begegnen, verzichten.

Einige Schritte links vom Winterhause, gleichsam im Schmollwinkel des Gartens, gelangen wir abermals zu einem umgitterten Bassin, an dessen Ufer eine Rieseneidechse ausgestreckt liegt, still, unbeweglich, daß man glaubt, sie sei todt, da das Thier selbst trotz des Bombardements mit Semmelbrocken in seiner Starrheit verharrt. Es ist der Kaiman oder amerikanische Alligator, der sich blos durch eine besondere Ordnung der Zahnreihen und durch verschiedene Formen des Nackenschildes von dem Krokodile der alten Welt unterscheidet, aber außerdem alle Liebenswürdigkeiten desselben theilt. Dieser so regungslos daliegende Yankee weiß zwar nichts von den Geheimnissen des Nil, desto mehr aber von den fischreichen Fluthen des Mississippi, wo er mit seiner zahlreichen Genossenschaft ein furchtbares Heer bildet, dem nicht leicht ein schwimmendes Säugethier oder badender Mensch entgeht. Diese mumienstill daliegende unheimliche Gestalt hat es in der Mißliebigkeit seitens des verehrten Publicums noch viel weiter gebracht, als der unbehülfliche Seehund und das unrathliebende Maskenschwein. Die beiden letzteren thun der Menschheit wenigstens nichts zu Leide, von dem Alligator aber erzählt man schaudererregende Geschichten, wie er Thiere und Menschen unter’s Wasser gezogen und daselbst Arme und Beine abgefressen.

Erholen wir uns von dem unerquicklichen Anblick, indem wir an einer urgemüthlichen Kaninchencolonie und längst der geräumigen Hirschwiese, wo das braune Lama und der prächtige rothgelbe Axishirsch mit dreisprossigem Geweih weidet, den [703] Rückweg antreten nach den unterschiedlichen Weihern, welche den sonnigen Theil des Dresdner zoologischen Gartens von den Parkanlagen scheiden.

Da gleich zur Rechten zieht der schwarze Schwan, der das Sprüchwort „weiß wie ein Schwanenhals“ zu nichte macht, seine stillen Kreise, während sich zur Linken zwei Pelikane mit ihren Riesenschnäbeln und umfangreichen Kehlsäcken nach Kräften amüsiren. Sie steigen zuweilen an’s Land und unterhalten sich mit dem Publicum, das es an Fütterung nicht fehlen läßt. Wenn so ein Pelikan den Schnabel zuklappt, entsteht ein Ton, gerade so, als wenn man eine schwer schließende Schnupftabakdose scharf zuknackt.

Weiter im Hintergründe nach beiden Seiten tummelt sich und plätschert und amüsirt sich auf den unterschiedlichen Weihern ein munteres Wasservölkchen, welchem zuzuschauen eine wahre Lust ist. An den Schwanenweiher reiht sich der Weiher für die Cormorane, an welchen der Weiher für wilde Gänse grenzt, während hinter den Pelikanen, in der zweiten Abtheilung des Weihers für Reihervögel, die Rohrdommel, der Purpurreiher, die Mandarinenente und ägyptische Gans sich ihres Daseins freuen. Noch mehr ist letzteres ganz im Hintergründe zur Rechten der Fall, wo im Ententeich fast alle bekannten Entenarten auf- und niederschwimmend ihre unterschiedlichen Liebenswürdigkeiten entwickeln.

Nachdem wir die Baue der kleinern Raubsäugethiere, des Frettchens, des Stein- und Baummarders, des Iltis passirt, gelangen wir zu der hohen Aristokratie unter den Vögeln, zu der hohen und stattlichen Raubvogelvolière.

Unter allen Bewohnern des zoologischen Gartens sind nächst dem Seehunde diese Könige der Alpen, des Kaukasus, der Meere und Steppen, diese See-, Schlangen-, Stein - und Kaiseradler, diese weißköpfigen, Königs-, Mönchs- und Ohrengeier wohl am unbehaglichsten weggekommen. Es ist hier umgekehrt wie beim Menschen. Während der mittlere und kleine Bürgerstand und das Proletariat der gefiederten Welt, die gesammten Wasservögel, die gesammten großen und kleinen Stelzvögel auf freien Weihern und grünen Wiesen wie der liebe Gott in Frankreich leben, während selbst die Stubenvögel in ihren Bauern lustig auf und nieder springen und das eingestreute Futter sich wohl schmecken lassen, sitzt diese hohe Aristokratie und allerhöchste Raubritterschaft, die gern zur Sonne steigen möchte, schweigend mit zum Theil gesenkten Köpfen in ihren nicht ungeräumigen Volièren, immer auf derselben Stelle und selten durch einen Flügelschlag bekundend, daß überhaupt noch Leben in ihnen. Die allertraurigste Figur spielte, als ich ihn vor Kurzem besuchte, der Mönchs- oder Kuttengeier. In tiefer Trauer mit ganz eingezogenem Kopfe, völlig unbekümmert um das zuschauende Publicum, saß er regungslos auf seinem Aste. Er dachte wahrscheinlich über die mißliche Lage des heiligen Vaters nach.

Nachdem wir dem Dachsbau, dem Waschbären, dem Siebenschläfer, der sich vor dem Publicum sehr rar macht und selten aus seinem Häuslein hervorkommt, dem haushälterischen Hamster (beide letztere dem Geschlechte der Nagethiere angehörend) unsern Besuch abgestattet, weitet sich ein geräumiger Wiesenplan vor uns, auf welchem ein paar sehr entfernte Fremdlinge ihre abenteuerlichen Spaziergänge zum Besten geben. Es sind die australischen Kängurus, welche nächst dem Seehunde ebenfalls zu den Thieren gehören, die entweder bei der Erschaffung der jetzigen Thierwelt nicht fertig geworden, oder von der letzten untergegangenen aus irgend einem Versehen zurückgeblieben sind. Gehört dieses Känguru zu der gegenwärtigen Thierperiode, so reichte wahrscheinlich die Zeit nicht aus – und bei solchen Thierschöpfungen mögen die belebenden und formenden Niederschläge wahrscheinlich sehr rasch vor sich gehen – um die Vorderfüße völlig fertig zu bringen. Die schaffende Kraft gelangte eben nur zu einer embryonischen Andeutung. In der Eile suchte sie die Sache jedoch dadurch gut zu machen, daß sie noch einen gewaltigen Schweif zu Stande brachte, der wahrscheinlich leichter zu bewerkstelligen war, als die sauber gearbeiteten Füße. Dieser durable Schweif ersetzt auch wirklich dem Thiere die zurückgebliebenen Vorderfüße, und er ist für den schnellen Lauf – das Känguru soll der Schnelligkeit des Pferdes nichts nachgeben – von außerordentlicher Wichtigkeit. Das Känguru in seiner meist aufrechten Stellung, mit seinem gemüthlichen Köpfchen, treuherzigen Augen und sonstigen muntern beweglichen Wesen gehört mit zu den Lieblingen des Publicums.

Doch welch dumpfwilder Ton rollt an unser Ohr? Wie contrastirend mit all den Thierlauten, die wir auf unserm Weg bisher vernommen! Das müssen gar wilde Gesellen sein, die sich also vernehmen lassen. Allerdings, wir befinden uns in der Nähe des Bärenzwingers; noch wenige Schritte links, und die eben so praktisch wie romantisch erbaute Bärenburg tritt aus dem Laubgrün. Da wandeln sie, die schwarzen zottigen Bewohner der russischen und ungarischen Wälder, in ihren Käfigen ruhlos auf und ab, bald die Leiter emporklimmend, bald die furchtbar bezahnten Schnauzen durch die Eisenstäbe des Gitters zwängend. Auch hier ist fast beständige Fütterung von Seiten des Publicums, wobei man die Geschicklichkeit bewundern muß, womit die Bären mit ihren plumpen Tatzen die hingeworfenen Brocken sich zu eigen zu machen verstehen. – Die in der ersten Abtheilung des Bärenzwingers befindlichen Bären sind Russen und Ungarn, während sich in der zweiten Abtheilung in Gesellschaft des Halsbandbärs und des amerikanischen Bärs oder Baribal ein höchst gemüthlicher Ringkragenbär von der Insel Borneo befindet, der zu nicht geringer Ergötzlichkeit des Publicums sehr oft den Humoristen spielt. Sobald er in seinem glänzend schwarzen Fell mit rostrother Schnauze in aufrechter Stellung am Gitter sich mit dem Publicum unterhält und tanzt und sonst possirliche Capreolen vornimmt, hat er ganz das Aussehen eines kleinen Essenkehrers. In der dritten Abtheilung des Bärenzwingers erblicken wir den sehr respectabeln Eisbär, einen gewaltigen umfangreichen Herren, der in diesem Jahre eine Gehülfin bekommen hat. Der weiße Eisbär ist ebenfalls nicht ganz ohne Humor, zumal wenn er seine Wassergymnastik zum Besten giebt und sich rücklings kopfüber in das Bassin stürzt, daß das Wasserhoch aufspritzt. In neuerer Zeit unterhält er sich viel mit einer Art Kegelkugel, die man dem guten Manne zum Spielzeug gegeben hat, da die edle Gattin nicht immer in der Laune zu sein scheint, ihrem Herrn Gemahl die Zeit ausreichend zu vertreiben.

Wir kommen jetzt unstreitig zu dem ziemlich in der Mitte gelegenen Magnetsteine des Dresdner zoologischen Gartens, der seine Anziehungskraft nie verfehlt, ein stets heiteres Publicum versammelt und namentlich Sonntags von der lieben Jugend förmlich belagert wird. Es ist das Affenhaus mit seinem sehr geräumigen, haushohen Drahtgitter, in welchem ein paar Dutzend Meerkatzen, Paviane, lüsterne und boshafte Mandrills, sowie Hut- und Kapuzineraffen ihr theilweis possirliches, größtentheils aber fratzenhaftes und widerwärtiges Wesen treiben. Das ist ein ununterbrochenes Sichjagen, Beißen, Keifen, Klettern, Springen, Sich an Aesten und Seilen Schaukeln, das Publicum stumpfnasig Angrinsen wie in einer Teufelsküche. Es giebt da allerdings zuweilen „vertrackte Gebehrden“, geeignet, dem unheilbarsten Hypochonder ein Lachen abzugewinnen; aber Humor und Gemüthlichkeit ist trotzdem nicht in dieser heillosen Affenwirthschaft, eben weil Alles nur Fratze. Dem Bereiche der Gemüthlichkeit könnte höchstens jene nicht selten vorkommende originelle Situation angehören, wo der eine geschwänzte Gevatter den andern mit industriosem Eifer von einer garstigen Art Schmarotzerthierleins zu befreien beflissen ist und sich die erhäschte Beute auffällig wohlschmecken läßt.

In besonderen Käfigen und möglichst vor Erkältung gewahrt erblicken wir zwei Nipptisch-Aeffchen, das Seidenäffchen und das kleine Löwenäffchen. Recht niedliche Persönchen!

Außerdem beherbergt das Affenhaus einen Leoparden mit röthlichgelbem Felle und schwarz gefleckt und die aus Hund, Hyäne und Katze zusammengesetzte afrikanische Zibethkatze.

Dem Affenhause schrägüber befinden sich drei Käfige mit einheimischen giftigen und giftlosen Schlangen, eine gräßliche Gesellschaft. Unter und durch einander verschlungen, züngelt nur hier und da unheimlich ein Kopf hervor. In den wärmeren Monaten beging man die Grausamkeit, in diese Schlangen- und Höllenherberge lebendige Frösche zu setzen, die in starrem Entsetzen warten mußten, bis es einer der schlanken Damen belieben wollte, zuzulangen. Man bedenke die Lage des unglücklichen Thiers in nächster Nähe seines furchtbarsten Feindes. Unweit davon ein kleines Bassin von Schildkröten.

Nachdem wir vom Affenhause einen kleinen Abstecher nach dem Hirschparke mit seinem stattlichen Roth-, Edel- und Damwild und den so nützlichen Rennthieren unternommen, durchwandern wir den obern Theil des Parkes und kommen am Eulenhause vorüber, wo die Freunde der Finsterniß reihenweise [704] wie graue Magister dicht aneinander schweigend auf ihrer Stange sitzen oder vereinzelt in düstern Winkeln hocken, wahrscheinlich über die rationell verderbte Welt in trübe Betrachtungen versunken.

Unmittelbar neben das Eulenhaus hat die Direction sehr passend die heulenden Wölfe placirt, die in ihrem Baue hungrig und fraßgierig ruhelos auf und nieder rennen. Eine wahlverwandtere Nachbarschaft als Wölfe und Eulen kann es gar nicht geben. Wir sehen hier Lichtscheu, Scheinheiligkeit, Tücke, Bosheit mit Mordgier, Blutdurst und Feigheit vereinigt. Bei dem Anblicke dieser saubern Gesellschaft kommt dem Beschauer unwillkürlich der Wunsch, daß die Eulen und Wölfe auf kirchlichem und staatlichem Gebiet zum Wohle der Menschheit ebenso unschädlich gemacht werden möchten, wie die Eulen und Wölfe im zoologischen Garten.

Doch lassen wir die Eulen und Wölfe. Schauen wir lieber dorthin, wo auf künstlichem Fels neben künstlicher Sennhütte ein anmuthig Thierlein von herabhangendem Gezweig sich Blätter zupft. Es ist die Bewohnerin der Alpen, die Gemse, ein Geschenk des Kaisers von Oesterreich. Freilich sieht man es dem dunkelbraunen Springer mit weißlichem Kopf und rückwärts hakig gebogenem Gehörn ebenfalls an, daß er sich lieber zwischen Firnen und Gletschern erlustiren möchte, als hier auf beschränktem Raume zum Besten der Besucher des zoologischen Gartens als Merkwürdigkeit zu dienen.

Wir kommen zum Antilopenhause mit vier geräumigen Laufräumen, wo sich die stattliche Pferde-, Büffel- und die niedliche, hellfabellfarbige Irisantilope, mit Füßchen so zart wie Schaumbrezeln, in stattlichen Exemplaren zeigen.

Das Ende des Gartens ist hiermit erreicht, und wir wenden uns wieder nach Abend, passiren den Damhirschpark, die Schmuckvögelvoliére mit ihrer bunt- und schönfarbigen Bewohnerschaft, darunter den australischen Flötenvogel, der namentlich an Morgen und Abenden seine herrlich flötende Stimme ertönen läßt, aber außerdem zu den Würgern gehört, und das zierliche Malakka-Täubchen; wandern den Rehpark entlang, am Büffelhause vorbei und gelangen schließlich zu dem herrlichen Mittelpunkte des Parkes, welcher den Glanzpunkt des Gartens bildet. Es ist das die große und kleine Stelzvögelwiese. Das ist ein Leben und Treiben auf Wiese und Weiher, wie an König Nobel’s Hofe. Man weiß nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Da stolziren feierlich gemessen hochgebaute stolze Gesellen im weithin leuchtenden feuerfarbenen Talar und mit seltsam geformten Schnäbeln. Es sind die Flamingos aus den Antillen. Da schreitet mit schön rosenroth gefärbter Wange und tiefschwarzer Stirn der Pfauen- oder Kronenkranich. Da läuft auf kohlschwarzen Beinen im schneeweißen Gewände und mit gelbem Federschopf der Löffelreiher. Da zeigt sich als schönste Zierde der Stelzvögelwiese der schlanke und in all seinen Bewegungen graciöse Jungfernkranich. Malerisch schwanken silberweiße Federn über seinem Haupte. Doch wer nennt die Namen des zahlreichen andern Völkchens der Schnepfen, Kiebitze, Brachvogel und Austernfischer, die alle munter durcheinander laufen, während die an dem einen Ende der Wiese sitzenden und sich wiegenden Papageien in fast ununterbrochenem Geschrei – als echte Schaubudenausrufer – das Publicum gleichsam zum Besuche dieses erlesenen ornithologischen Cabinets einladen.

Aber ungeblendet von der Pracht der aristokratischen Flamingos, unangefochten ob der verführerischen Anmuth des Jungfernkranichs, unbeirrt durch das marktschreierische Gebrüll der Papageien und erhaben über das leichtsinnige, unzurechnungsfähige Hin- und Wiederlaufen des seiner Beachtung völlig unwerthen Volkes der Schnepfen, Brachvögel und Kiebitze wandelt ernst und langsam, als echter Philosoph, Freund „Leisetritt“ der Storch seine gemessene Bahn, bedächtig ein langes Bein aufhebend und ebenso bedächtig niedersetzend, oder er steht stundenlang versunken im ernsten Nachdenken, regungslos, ein zweiter Säulenheiliger. Welches mögen die dunkeln Räthsel und umschleierten Geheimnisse sein, worüber der treue Dachbewohner des deutschen Landmannes nachdenkt? Ist es vielleicht die Zeit, wo er berufen sein wird, seinem deutschen Volke das Kindlein der Freiheit klappernd in’s Haus zu tragen?

Dies ungefähr ist die Physiognomie des dermaligen Dresdner zoologischen Gartens, dessen Erweiterung und Vervollständigung das fürsorgende Directorium sich fort und fort angelegen sein läßt. Der zoologische Garten ist darum schon jetzt ein Hauptversammlungspunkt der wohlhabendern und mittlern Classen Dresdens. Seine wahre Volkstümlichkeit kann aber dieses ebenso belehrende, interessante wie unterhaltende Institut erst erhalten, sobald die Eintrittspreise – wenigstens für ein paar Wochentage – derart ermäßigt werden, daß auch den wenig bemittelten Ständen der Besuch erleichtert wird.

F. St.





Für Wilhelm Bauer’s „deutsches Taucherwerk“

sind ferner (bis zum 18. October) eingegangen: 55 Thlr. von den Deutschen zu Caracas in Venezuela (Südamerika), durch Alfred Rothe (Herzlichen Dank und Gruß. Es ist wahrhaft erhebend, wie weit die deutsche Zunge klingt!); – 3 Thlr. 1 Ngr. „zum 40. Geburtstag eines Deutschen“; – 4 Thlr. gesammelt auf dem Scheibenstande der Schützengesellschaft zu Kattowitz, durch Bau-Inspector Nottebohm; 3 Thlr. 221/2 Sgr. von F. G–r in G.; 3 Thlr. vom Liederkranz zu Groß-Schönau, durch Fährmann; 2 Thlr. vom Batterieclub zu Altenburg, durch Br. Krätzschmar; 2 Thlr. 161/2 Ngr. ges. bei einem Ausfluge des Maschinenbauer-Clubs in Sprottau; 2 Thlr. von F. A. Müller in Prag, durch H. Mercy das.; 2 Thlr. „Scherflein einer Wittwe“ in Naumburg; 2 Thlr. 15 Ngr. ges. im Gewerbeverein zu Meißen, durch L. Mosche; 15 fl. rhn. weiterer Beitrag von der Hanauer Turngemeinde, durch Wendlin Gyse; 1 Thlr. 20 Ngr. von den Arbeitern der Goldwaaren-Fabrik von Markfeld u. Wilski in Berlin, durch O. Richter, – „Seht hin, Ihr Reichen, und thut desgleichen!“ – 6 Thlr. ges. an einem heitern Abend im Casino zu Werdau, durch Adv. H. Temper; 5 Thlr. vom Rechtsanw. u. Notar Grieben in Angermünde; 6 Thlr. von 6 deutschen Studenten in Dorpat (wo bleiben die deutschen Studenten in Deutschland?); – 15 Ngr. vom Baumeister Dittrich, 5 Ngr. vom Oberältesten Fleischermstr. P., eingesandt 1 Thlr. 5 Ngr., ges. bei einem gem. Beisammensein ehem. Schüler mit ihrem Jugendlehrer in Schweidnitz, durch Weigmann; 2 Thlr. von A. Voigt und einem amnestirten, aber denationalisirten Preußen, G. Wanckel in Ronen; 5 Thlr. von der Turngemeinde Mühlhausen in Thüringen, durch H. Pfaff; 20 Thlr. ges. vom Kegelclub „Die flotten Deutschen“ zu Lübeck, durch L. Gotzel; die Sammlung wird fortgesetzt – Glück auf! – 1 Thlr. von einem Gymnasiasten in München; 1 Thlr. von Mad. Paulke in Dresden; 6 Thlr. vom runden Tisch im Neuen Bürgerverein zu Frankfurt am M.; 25 Ngr zweite Sendung von Königsbrück, durch H. Eckner; 2 Thlr. ges. in Freytag's Bierhalle zu Elbing; 1 Thlr. 1 NGr. vom Verw. Gut Heil, ges. durch R. M.; 10 Thlr. aus Stuttgart; 13 Thlr., nämlich 5 Thlr. von A. F., 5 Thlr. von E. B. Sonnenkalb und 3 Thlr. von Huth aus Zittau; 5 Thlr. 10 Ngr. ges. bei einem vergnügten Abend der Bäcker-Kegelgesellschaft zu Chemnitz, durch Ch. G. Lederer; 2 Thlr. von einigen Seminaristen des dreizehnten Seminarcursus zu Lübeck, ges. von M. C. A. Sörens; 1 Thlr. von G. Lindner in Leipzig; 1 Thlr. von einer Leserin der Gartenlaube, mit dem Wunsche: „daß alle Sender früherer Beiträge den gleichen Betrag, so wie ich jetzt thue, noch einmal einsenden und von den gewiß über hunderttausend Lesern und Leserinnen der Gartenlaube, die bis jetzt noch nichts zur Förderung dieser deutschen Nationalsache beigetragen, sich 10,944 entschließen möchten, a Person einen Neugroschen zu geben.“ Wir theilen den Wunsch mit, aber nur um pflichtschuldigst zu bemerken, daß es nicht an Gebelust, sondern allenthalben nur an Sammlern der Gaben fehlt; wo diese sich finden, sind auch die Gaben bereit. – 1 Thlr. 15 Ngr. aus Dresden, durch Act. H.; 2 Thlr. von St. in M.; 2 Thlr. von W. u. H. R–s in Hamburg; 11 Ngr., ges. bei einem Gesellschaftsspiel von E. Ackermann in Altenburg; 7 Thlr. 15 Ngr. Vergleichsquantum in einer außergerichtlich beigelegten Streitsache, durch Notar Richter in Leipzig; 5 Ngr. von einer Leserin der Gartenl.; 4 Thlr. 13 Ngr. ges. beim Fahnenweihfeste des Männerturnvereins zu Goldberg, durch W. Radisch; 1 Thlr. von Thomas Lehrer; 2 Thlr. von S. Drechsel in Zwickau; 1 Thlr. aus Cremmen; 2 Thlr. 18 Ngr. 3 Pf. von einigen Arbeitern der Thüringischen Eisenbahn-Werkstätte zu Erfurt. Dank den braven Männern! Die harten Hände der Werkstätten sind es fast überall gewesen, die die ersten Gaben für Bauer’s Werk brachten. – 10 fl. rhn. von einem eifrigen Leser der geliebten Gartenl. und guten deutschen Patrioten in Stuttgart; 1 Thlr. von Dr, J. B. in Z.; 1 Thlr. von drei preuß. Lesern der Gartenl. in Saalfeld; 2 Thlr. 10 Ngr. bei einem Gesangkränzchen des Handwerker-Gesangvereins zu Görlitz, ges. vom Tenorist F. Kügler und Bassist O. Weiß.

(Der Schluß dieser Quittung folgt in nächster Nummer.)
Im Auftrag des Central-Comités: Ernst Keil.




Berthold Auerbach’s Beigabe zur Gartenlaube, die „Deutschen Blätter“ enthalten:

Nr. 2: Wandrer, stehe still (Simon’s Denkmal). – Dichten und Sorgen (Die Schillerstiftung). – Eine Meßpredigt zur Leipziger Michaelismesse. – Am Krankenbette Garibaldi’s. – Umschau.

Nr. 3: Der Schulgang, aus den Denkwürdigkeiten eines Familienvaters. – Ein Buchhändler. – Meuterei und Militärgerichtsbarkeit. – Zum Arbeitercongreß. – Umschau.

Nr. 4: Briefe nach Amerika. – Die Heimkehr eines Volkskämpfers; Briefe eines Preußischen Abgeordneten – Stramm und gutmüthig. – Umschau.

Quartal nur 6 Ngr.

  1. Der Verfasser dieser Skizze, der noch einige andere folgen werden, war 13 Jahre lang Benedictinermönch und als solcher Mitglied eines der ansehnlichsten Stifter Oesterreichs. Seit einem Jahre in Preußen ansässig, arbeitet er augenblicklich an seinen Erinnerungen, die viel Interessantes enthalten und nächstens erscheinen werden. Wir freuen uns die Leser der Gartenlaube mit einem Theile dieser Erinnerungen überraschen zu können, denn besonders für unsere protestantischen Leser dürften diese Mittheilungen viel Neues enthalten. – Der Verfasser schildert in obigem Capitel seine Erlebnisse als Novize des Stiftes in den ersten Tagen seines Eintritts, und namentlich die priesterliche Weihe eines jungen Geistlichen.     D. Red.