Die Gartenlaube (1867)/Heft 44

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1867
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[689] No. 44.
1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


4.

„Schaut mir nach, ob die Läden überall im ganzen Haus gut verschlossen sind und die Thüren wohl verwahrt,“ so rief der Wirth zur Kreuzstraße, indem er in dem leeren dunklen Gastzimmer hin und wider lief und an den Läden selbst versuchte, ob die Schließhaken, an welchen sie von innen festgemacht waren, gut anlagen. „Schaut auch, ob das Feuer auf dem Heerd ganz ausgelöscht ist, und daß mir nirgends kein Licht brennt!“

Die Dienstboten gingen nach verschiedenen Seiten, den Befehl zu vollziehen, nur der Hausknecht zögerte ein wenig und machte sich mit seiner Stalllaterne zu schaffen, deren Docht durchaus nicht brennen zu wollen schien. „Aber wegen was ist denn der Herr gar so besorgt?“ fragte er. „Was fürchtet er denn? Was soll’s denn geben heut’ Nacht?“

„Was es geben soll? Stell’ Dich nit an, Dick’l, als wenn Du’s nit wissen thätst! Wenn wir auch keine Haberer sind, wir zwei, das weiß man ja doch, daß heut Nacht Haberfeld ’trieben werden soll …“

„Was ist’s nachher?“ erwiderte der Knecht phlegmatisch. „Zu uns kommen s’ nit und wenn s’ kommen, thun s’ uns nichts, wir haben ein gut’s Gewissen …“

„Alles recht und gut,“ sagte der Wirth unbehaglich, „aber der Teufel kann wissen, was den verfluchten Kerlen vielleicht nit recht ist – und wenn das auch nit ist, es wär’ mir schon genug, wenn sie vorbeizieh’n und thäten etwa einkehren bei mir! Ist mir schon einmal gescheh’n, vor drei Jahr’n, wie sie nach Holzkirchen hinein sind und haben beim Stecherbräu’ ’trieben, weil er Tollwurz zum Biersieden g’nommen hat, anstatt dem Hopfen! Da ist auf einmal die ganze Rott’ im Haus herinn’ gewesen, lauter kohlschwarze Teufelskerl’ mit Sabel und Büchsen und großmächtige’ Bärt’ als wie man den bairischen Hiesel abgemalt sieht oder den Schinderhannes! Sie sind da gewesen, wie ein Impen-Schwarm einfallt, und eine halbe Stund’ bin ich nimmer Herr gewesen im Haus … sie haben sich ein paar Fass’l Bier aus’m Keller herauf geholt, haben Kuchel und Speis’ ausg’räumt und haben keine Köchin ’braucht und kei’ Kellnerin, – in einer halben Stund’ sind s’ wieder dahin gewesen, wie der Imp’ wenn er wieder davon fliegt, oder wie’s hohe Wasser versitzt, daß man nit sagen kann, wo’s hin ’kommen ist. … Aber was wahr ist, muß man sagen, sie haben für jeden Eimer einen Gulden mehr gezahlt als er kostet, und für jedes Stück Brod haben s’ das Geld richtig hingelegt und sogar für ein paar Krüg’, die s’ zerschlagen haben in der Eil’!“

„Na also!“ meinte Dick’l. „Was wär’ nachher dabei? Das Geld ließ sich ja mitnehmen, sollt’ ich denken!“

„Das wohl, aber ich dank’ doch dafür!“ antwortete der Wirth. „Der Bräuer selbigesmal, der hat einen Vetter gehabt, der ist ein großes Thier gewesen drinnen in der Stadt, und da haben s’ durchaus heraus bringen wollen, wer denn die Haberer waren und wer dabei gewesen ist. Da haben s’ erfahren, daß sie bei mir eingekehrt sind, und mir schaudert noch die Haut, wenn ich daran denk’, wie viel Zeit ich hab’ versäumen müssen, wie oft sie mich auf’s Landgericht hineingesprengt und ausgefragt haben, die Kreuz und Quer, weil ich durchaus die Leut’ hätt’ kennen sollen, die bei mir eingekehrt waren …“

Der Knecht lachte. „Da wird ihnen wohl der Schnabel sauber geblieben sein,“ meinte er.

„Freilich, freilich – sie waren ja so vermummt und vermacht, ich glaub’, wenn mein leiblicher Vater drunter gewesen wär’, ich hätt’ ihn nicht erkannt! Ich hab’ nichts sagen können und sie haben auch sonst nichts erfragt, so viel ich weiß!“

„Und wenn sie auch Einen heraus gebracht hätten, was hätt’s ihnen geholfen? Das ist eine alte Sach’, daß kein Haberer den andern verrath’, und wer’s thät, der wär’, glaub’ ich, schon die längste Zeit mitgelaufen …“

„Drum will ich mein’ Ruh haben und will nichts wissen von Allem,“ sagte der Wirth und ergriff seinen Leuchter, weil eben die Bursche und Mägde allerseits von ihren Rundgängen zurück kamen. „Wenn’s auch sonst nichts abgeben thät, die Schererei ging doch wieder an und diesmal erst recht, denn der neue Amtmann, der Herr Baron, das ist Einer, der alle Krummen auf einmal gerad’ machen möcht’! Der thät mir’s in ein Wachs’l drucken, wenn ich in so was hinein käm’, und gerad’ jetzt muß ich ihn gut erhaltenm … Der Haselsteff, draußen am Eingang vom Wald, möcht’ eine Wirthschaft einrichten in seiner Gifthütten – wenn was heraus käm’ gegen mich, der Herr Amtmann gebet’ ihm die Concession, daß es nur so kracht, und leget’ mir das halbe Geschäft nieder mit ein’ einzigen Federstrich …“

„Ja wohl,“ sagte der Hausknecht, indem er mit pfiffigem Lächeln umhersah, ob Niemand zuhöre, „und das Mal kann’s doppelt schlimm werden … der Herr hat gewiß auch schon davon gehört …“

„Von was soll ich gehört haben?“

„Bei wem das Mal Haberfeld trieben werden soll … der Herr Amtmann soll auch d’runter sein!“

[690] „Mich trifft der Schlag! Und wegen was denn?“

„Das weiß ich nit recht … aber sagen hab’ ich hören, es wär’ wegen dem Waldstreit von der Osterbrunner Gemeind’ und von den Westerbrunnern…“

„Die Sach’ ist ja aus; sie haben ja einen prächtigen Vergleich geschlossen, der Aichbauern-Sixt hat ihn zuwegen ’bracht…“

„Just wegen dem Vergleich geht’s her … der Herr Amtmann hat an die Regierung einbericht’ und hat zu den Bauern gesagt, er hätt’ den Vergleich sehr gelobt und hätt’ dafür gesprochen, daß er genehmigt werden sollt’; die Bauern aber, denen viel d’ran gelegen ist, daß die Sach’ recht geschwind’ geht, haben gemeint, es könnt’ allemal nit schaden, wenn ein Bissel nachgeschoben würd’, und so haben sie eine Deputation in die Stadt hinein geschickt; da sind s’ aber schön an’kommen auf der Regierung, da wär’ ihnen bald der Kopf abgerissen worden: da hat’s geheißen, sie wären rebellische Unterthanen, und da ist’s heraus ’kommen, daß der Bericht gegen den Vergleich gelautet hat…“

„Wär’ nit übel, die G’schicht,“ sagte der Wirth immer unbehaglicher, „wenn so was passiren thät, da wollt’ ich schon gleich, ich wüßt’ ein Mausloch, daß ich mich drein verkriechen könnt’ die nächsten acht Tag’… Aber jetzt einmal fort,“ schloß er, zu den Uebrigen gewandt, „daß wir in’s Bett kommen, so lang die Sach’ noch gut ist … laßt’s Euch gesagt sein, daß mir Keins ein Licht brennt und Jedes eingesperrt bleibt in seiner Kammer… Wo ist denn die Franzi, die Kellnerin, daß man sie nicht zu Gesicht kriegt? …“

Auf die Erwiderung einer der Mägde, daß dieselbe längst in ihrer Stube sich eingeschlossen habe, schickte sich der Wirth zu gehen an, als der letzte der Knechte vom Stalle hergehuscht kam. „Pst!“ rief er, „ich glaub’ sie kommen, Herr … ganz schwarz zieht’s vom Wald da herüber…“

„So halt’ Euch still und macht mir Keins ein’ Schnaufer – vielleicht zieh’n s’ vorbei.“

„Ich glaub’ nit, Herr … sie kommen auch von der andern Seiten: es ist, als wenn sie auf’s Haus zu wollten!“

„Was?“ rief der Wirth und sank rathlos auf die Bank. „Mir fallen all’ meine Todsünden ein! Zu mir kommen s’? Das ist ja gar nit möglich!“

„Ob’s möglich ist, weiß ich nicht,“ sagte der Knecht, „aber da sind sie schon…“

Im Augenblick brach vor dem Hause wie mit Einem Schlage ein so betäubender Lärmen los, daß er wohl geeignet war, das verstockteste Gewissen aus dem Schlafe zu reißen und auch ein verhärtetes Gemüth erbeben zu machen. In das wüste Geschrei von ein paar hundert rauhen Männerstimmen mischte sich das Dröhnen von Eisenbecken und Blechdeckeln, die wie Heerpauken geschlagen wurden; Schellen klingelten, Glocken läuteten, Kuhhörner brüllten; Schuß auf Schuß krachte darein, als wäre in der Nacht ein wildes Gefecht entbrannt, und über das Klirren und Klappern und Rasseln hinaus schrillte ein so helles markdurchdringendes Pfeifen, daß es wohl begreiflich war, wenn das Landvolk vermeinte, die Hölle habe eine Schaar Teufel losgelassen und feiere eines der Feste, welche Pater Kochem im „Goldenen Himmelsschlüssel“ so auferbaulich beschreibt. Ueber der tobenden Schaar lag die vollständigste Finsterniß; eine einzelne Laterne schimmerte in der Mitte: nach allen Seiten hin aber war das Haus und der Platz mit Wachen besetzt, welche mit scharf geladenen Büchsen gespannten Hahns jeden Ankommenden zurückwiesen und deren Aufruf sich wohl Niemand widersetzt haben würde, denn es war bekannt, daß sie kein Bedenken trugen, dem Zudringlichen statt der Worte eine Kugel entgegen zu schicken.

Das Geschrei hatte zuerst nur in unarticulirten Rufen bestanden; allmählich wurden bestimmte Laute hörbar, verständliche Worte ließen sich vernehmen und bald brüllte es deutlich aus hundert Kehlen: „Heraus, Franzi ’raus! Kellnerin ’raus!“ Ein scharf gellender, Alles übertönender Pfiff erscholl; plötzlich verwandelte sich der Lärmen in die tiefste Grabesstille und eine mächtige, weithin klingende Stimme rief:

„Die Haberer sind da zum Haberfeldtreiben,
Ein Jedes im Haus soll ruhig bleiben:
Habt Acht auf’s Feuer und auf’s Licht,
Dann Niemanden ein Schaden g’schicht,
Zuvor aber wollen wir verlesen,
Ob Alle richtig da gewesen!“

Dem alten Brauche gemäß wurden nun die Anwesenden alle aufgerufen, aber unter lauter fremden, meist berühmten und angesehenen Namen, vermuthlich, um durch die Bedeutsamkeit der Geladenen der Versammlung selbst ein größeres Ansehen zu geben. Es waren Namen aus den ältesten Zeiten wie aus der Gegenwart, aus der Nachbarschaft wie aus den entlegensten Ländern und Orten; der Landrichter von Tölz, der Verwalter von Benedictbeuren, der Forstner von Bayerbrunn wurden aufgerufen und jedesmal antwortete ein kräftiges „Hier!“ Das Volk erzählt sich, wenn auf einen der aufgerufenen Namen das „Hier“ ausbliebe, wäre das ganze Treiben ungesetzlich und die Schaar würde augenblicklich, ohne einen weiteren Laut, auseinander stäuben; dennoch weiß es damit die andere Sage zu verbinden, daß immer um Einen mehr anwesend seien, als verlesen würden, und dieser Eine sei Niemand Anderes, als der Teufel selbst. Der Prälat von Weyarn, einem längst säcularisirten Kloster, kam an die Reihe, dann der Prinz Eugen, Kaiser Joseph und der Schmied von Kochel, Napoleon und der Frühmesser von Garching; zuletzt kam noch die Aufforderung an Kaiser Karl, auch zugegen zu sein und schließlich das Protokoll mit zu unterschreiben. Ein neuer Ausbruch des Lärmens und Schreiens folgte, wie ein Tusch einer höllischen Musik, vermischt mit neuem, verstärktem Rufen nach der Verfehmten, welcher das Strafgericht gelten sollte.

Franzi war indessen schon lange ruhig in ihre Schlafkammer gegangen, hatte sich ausgekleidet, ihr Nachtgebet gesprochen und war eben daran, das geweihte Wachsstöcklein auszulöschen und zu Bett zu gehen, als das Getöse losbrach. Erst horchte sie verwundert auf, aber sie konnte nicht lange im Zweifel sein, weder was es zu bedeuten habe, noch wem es vermeint war. Dennoch war ihr Anfangs zu Muth, als habe sie schon geschlafen und sei aus einem wüsten Traume aufgefahren und wisse sich eben nicht zurecht zu finden, ob sie wache oder jetzt noch in den Bildern des Traumes befangen sei. Bald aber kam ihr das klarere Besinnen und mit ihm ein so tiefes Gefühl unsäglicher Kränkung, des tiefsten Schmerzes und der vollsten Hülflosigkeit, daß ihr die Kniee brachen; sie knickte am Bette nieder und drückte das thränenüberströmte Angesicht schluchzend tief, tief in die Kissen. Aber in einem starken Gemüthe, wie das ihre, konnte die Wehmuth nicht von langer Dauer sein – der in ihre Seele gestoßene Stachel hatte die weiche Umhüllung durchdrungen und glitt ab an dem innern festen Kern, an dem Bewußtsein der Unschuld und der unverdienten Schmach. Der Gedanke schnellte sie mit Federkraft empor und stählte ihr das Herz; die Wehmuth wurde zum Groll und das leidende Gefühl der Kränkung zum aufflammenden Zorn. Sie stürzte aus der Kammer auf den Gang und hatte im Nu die Thür entriegelt und aufgerissen, welche zu dem kleinen Altane im Hausgiebel führte. Sie fühlte nicht, wie ihr die eisige Nachtluft entgegenströmte und sie am Gewand erfaßte und an dem halb aufgelösten Haar; sie kam eben recht, zu hören, als der Rugmeister beim Scheine der emporgehaltenen Laterne zu lesen begann:

„Bei ein’ Madel woll’n wir Haberfeld treiben
Und ihr das Sünden-Register schreiben;
Wir wollen’s der Gemeind’ und dem Gau erzähl’n,
Wie sie lügen kann und sich ehrbar g’stell’n:
Kaum daß sich ein Bub ’traut, sich an sie z’ wag’n,
Thut sie wie die Katz’ ihre Jungen vertrag’n,
Sie denkt sich, der Kuckuck versteht’s auf’s Best’,
Und legt ihre Eier ein’ Andern in’s Nest…“

Länger vermochte Franzi nicht, an sich zu halten, das Blut schoß ihr in’s Gehirn und vor die Augen, daß es um sie brauste wie Wassersturz und wie ein rother Flor ihren Blick umzog. „Was wollt’s von mir?“ rief sie mit schallender Stimme hinab, daß der Vorlesende verblüfft inne hielt. „Wer ist da, der was von der Franzi will? Ist das Eure ganze Kunst, daß Ihr hundertweis’ daher kommt, zu ein’ einschichtigen, armen Madel, das nichts hat, als sein’ Ehr’ und sein’ guten Namen? Wenn Ihr ’was habt gegen mich, so kommt nit bei der finstern Nacht und mit verstelltem Gesicht, kommt offen beim hellen, lichten Tag und wie Euch Gott g’schaffen hat! Ist Keiner unter Euch, der die Schneid’ hat dazu und das Herz? Dann seid Ihr Lügner alle miteinander und Verleumder! Dann geb’ ich’s Euch auf Euer Gewissen, was Ihr mir anthut, und wenn’s auf der Welt kein Recht mehr giebt und kein’ Gerechtigkeit … so verklag’ ich Euch bei unserm Herrgott, so sollt Ihr mir am jüngsten Tag Antwort geben, als ungerechte Richter…“

Bis hierher hatte das Staunen und die Ueberraschung der [691] Haberer vorgehalten, seit Menschengedenken hatte Niemand die Kühnheit gehabt, den unsichtbaren Richtern so entgegen zu treten und ihr Urtheil zu schelten, auch waren Franzi’s Worte und die Art ihres Auftretens bei Einzelnen nicht ohne Wirkung geblieben, bei der Mehrzahl aber machte das Staunen bald dem Zorne Platz, gesteigert durch die stille Beschämung, die Jeder mehr oder minder sich selber eingestehen mußte. Der Lärmen begann auf’s Neue wüster, wilder, vernichtender als zuvor…

In den Tumult hinein kreischte Franzi’s verhallende Stimme.

„So geht heim!“ rief sie. „Geht zu, Ihr Schandbuben! Und wenn bei Euch die Gewalt für Recht geht, kann ich mir auch selber helfen! Gebt mir ordentlich Red’ und Antwort oder ich schieß’ den nächsten Besten nieder, daß ich wenigstens Einen hab’, an den ich mich halten kann…“ Wie außer sich, sprang sie in den Hausgang zurück, riß das dort aufgehängte Jagdgewehr des Wirthes von der Wand und wollte auf den Altan zurück, aber während sie daran war, den Hahn aufzuziehen, fiel ihr von rückwärts der Wirth in den Arm, der wie ein Wahnsinniger heraufgepoltert kam, um dem unerhörten Vorfall ein Ende zu machen; ein paar Knechte stürmten hinterdrein.

„Das Gewehr her!“ rief er, mit der Widerstrebenden ringend. „Das ginge noch ab! … Ist die Keckheit noch nicht genug, daß Du die Haberer herausforderst und schimpfst – schießen willst Du auch noch, Du verfluchtes Leut? Willst Du, daß meine Kinder Bettelleut’ werden sollen wegen Deiner? Willst haben, daß sie einbrechen und anzünden und mein Haus dem Erdboden gleich machen in ihrer Wuth? … Riegelt die Thür nach der Altan’ zu, daß sie’s drunten sehen und wissen, daß wir nichts zu schaffen haben mit der nichtsnutzigen Person!“

Während die Knechte thaten, was ihnen geheißen war, drängte der Wirth mit roher Gewalt Franzi gegen die Treppe hin, um sie hinab zu zerren oder zu stoßen, wenn es nicht anders anginge, das entsetzliche Schicksal abzuwenden, von dem er sein Haus schon bedroht sah. „Marsch – hinunter mit Dir!“ keuchte er, „Hinaus aus mein’ ehrlichen Haus … wenn Du draußen bist, dann kannst reden mit die Haberer, so viel Du willst, aber bei mir herinn’ bleibst Du kein’ Viertelstund’ länger…“

Es war wohl nur zu begreiflich, wenn Franzi’s Erregung und Verwirrung sich immer mehr steigerte und nahe daran war, ihre sonst so klare Besinnung zu trüben. „Was – auch das noch?“ stammelte sie, im Ringen ermattend. „Hinaus soll ich? Mitten in der Nacht? Und warum? Auch wegen dem ehrlosen Gesindel, den Ehrabschneidern? … Nein, ich geh’ nicht, Du hast kein Recht, Wirth, mich wie einen Hund aus dem Haus zu jagen … ich bin ein ehrlicher Dienstbot’ …“

„Raisonniren willst auch noch?“ schrie der Wirth, während von draußen das Abschiedsgebrüll der Haberfeldtreiber hereintönte, welche inzwischen ihr Geschäft zu Ende geführt hatten und sich zum Abzuge anschickten. „Ein ehrlicher Dienstbot’ willst Du sein? Ein liederliches Weibsbild bist Du, eine schlechte Mutter, die ihr Kind weglegt … im Zuchthaus sitzen Bessere, als Du bist…“ Ein gellender Pfiff rief die Knechte von oben herbei… „Geht in ihre Kammer,“ fuhr er fort, „packt ihre Sach’ und ihr Gewand in ein’ Bündel zusamm’ … dann kommt ’runter, werft die schlechte Person aus der Thür und ihren Bündel hinterdrein! Das Wirthshaus an der Kreuzstraßen ist ein ordentlich’s Haus – da find’t Niemand seines Bleibens, bei dem Haberfeld ’trieben worden ist!“

Den rohen Burschen, die sich mitunter auch schon von Franzi’s unzugänglichem Wesen verletzt gefühlt haben mochten, war eine solche Gelegenheit, ihren Groll auszulassen, nur willkommen; das Bündel war bald gestopft und geknüpft – dann faßten sie mit derben Fäusten das Mädchen, das, von dem Ungeheuren, das über es hereinbrach, überwältigt, wie blöd und in halbem Wahnsinn sie gewähren ließ, als wisse es gar nicht, was mit ihm vorgehe. Mit beiden Händen in den losgegangenen Haarflechten zerrend, taumelte Franzi die Stufen des Hauses hinab in die Nacht, aus der ihr ein eisiger Nordwind entgegen blies und geschäftig das ferne Gejohle der abziehenden Haberer noch mit sich herüber trug.

Mit vergehenden Sinnen brach sie auf, den Bündel mit ihren Habseligkeiten zusammenraffend, und erst der immer schärfer andringenden Kälte des Nachthauchs gelang es, die Ohnmacht zu verscheuchen und sie allmählich zum Bewußtsein ihres Zustandes zurückzuführen.

„Ja – wo bin ich denn eigentlich?“ rief sie auffahrend. „Was ist denn mit mir geschehen? Ist denn das Alles wahr oder bin ich im Begiff ein Narr zu werden und bild’ mir das Alles nur so ein? … Nein, nein, es ist wahr, mein ganzes Elend ist wahr – sonst thät ich nit da liegen, mitten in der Nacht, auf dem offnen Feld … ich bin zu Grund gericht’, verschimpfirt auf mein Lebenlang … Und Er …“ fuhr sie weicher werdend im Tone des tiefsten Schmerzes fort, „er ist auch darunter unter meinen Feinden – er glaubt auch so was von mir, er kann’s glauben … er ist sogar der Anführer von Allem … o, das ist eine harte Nuß! Aber, muß es denn so sein? Muß ich das Alles über mich so hingehen lassen, wie den Wind da, der mich schier in Stück’ reißen will?“ – Sie sprang auf. „Nein, ich muß nit!“ sagte sie ermuthigt. „Ich muß mir’s nit gefallen lassen, daß man mich unterdrucken und untertauchen will… Sie müssen mich anhören und müssen mir meine Ehr’ wieder geben … und gleich jetzt, wo sie noch Alle beieinander sind, müssen sie’s thun … noch bin ich ja lebendig, noch kann ich mich rühren … noch ist’s zu früh zum Verzweifeln!“

Mit raschem Griffe faßte sie ihre Habseligkeiten zusammen, ordnete flüchtig das sturmgelöste Haar, warf ein Tuch über Kopf und Schultern und rannte in die Nacht hinein. Nach einer Weile hielt sie an, auf den Lärm zu horchen, der immer ferner verhallte. „Sie ziehen auf den Markt zu, scheint’s,“ flüsterte sie vor sich hin, „da hol’ ich sie nicht mehr ein, sie haben einen zu großen Vorsprung .., aber sie ziehen der Straß’ nach; wenn ich den Feldweg über die Hügel einschlagen thät und durch das Buchet hin … dann schneid’ ich ihnen die Reib’ ab … da kommen sie mir nit aus, da müssen sie mich hören …“

Wie gejagt vom Winde, der ihr nun in Rücken und Nacken blies, flog sie quer durch die Waldspitze, dann über moosiges Tiefland hin, nicht achtend, daß der Fuß nicht selten kaum so viel festen Boden unter sich fand, um flüchtigen Trittes hinüber zu kommen. Endlich war ansteigender Hügelgrund erreicht und keuchend eilte sie auf dem kurzen Grase eines Feldrains zwischen leeren Stoppelfeldern dahin, während seitwärts die Zweige eines Haselzaunes rauschten und schwankend die ersten dürr gewordenen Blätter verstreuten. Es ward allmählich heller, denn die Zeit kam heran, zu welcher der Mond aufgehen sollte, und wenn er auch hinter dem schwarzen jagenden Sturmgewölk nicht durchzudringen vermochte, zitterte doch ein ungewisser bleicher Lichtschein wie Dämmerung durch die Nacht. Immer mit ihren Gedanken beschäftigt, nicht selten einzelne Worte in ihrer Erregung vor sich hinmurmelnd, dachte sie daran, sich zurecht zu legen, wie sie sprechen wolle, mit welchen Worten sie am besten und schlagendsten den Beschuldigungen entgegenzutreten vermöge, – darüber hielt sie inne, wie unwillkürlich stockten die Füße, minder von der gemachten Anstrengung, als von dem lähmenden Eindruck eines plötzlich auftauchenden Gedankens.

Sie war stark und andauernd gelaufen; bereits war die letzte Hügelfläche erreicht, eine gemauerte Feldcapelle leuchtete ihr mit dem weißen Gemäuer entgegen; von drüben senkte sich der Weg in den tiefer gelegenen Markt hinab, von dort öffnete sich der erste Blick in die Welt der Berge, und das Bänkchen unter den beiden jetzt fast entblätterten Vogelbeerbäumen neben dem Capellchen hatte nicht blos vielen Andächtigen, sondern auch manchem Lustwandler gedient, der heraufgestiegen war, um Auge und Sinn zu erfrischen und zu erholen an dem herzerfreuenden Anblick. Die Thür war nur angelehnt. Franzi trat hinein, einen Augenblick der Rast und der Sammlung zu suchen und Schutz zu finden vor dem Winde, der auf die offene Hügelschneide mit doppelter Heftigkeit und doppelt erkältend hinwegsauste.

Am Altare kniete und kauerte sie nieder; ein grob geschnitztes Marienbild stand auf demselben, unter dem leeren Kreuze sitzend, den vom Stamme abgenommenen Leichnam des Erlösers im Schooße haltend. „Es geht doch nit!“ flüsterte sie in sich hinein, „ich bring’s nit zuwegen, wie ich’s ihnen sagen soll … ich kann’s nit, wenn nit Alles verrathen sein soll, und das darf ich nit und will ich nit … ich hab’s ja versprochen…“ Sie rieb sich die Stirn, als vermöchte sie, einen helfenden Gedanken daraus hervorzuholen; dann faltete sie, sich ergebend, die Hände über den müden aufgezogenen Beinen und blickte zu dem Bilde durch das Dunkel empor. „Ich mein’, ich werd’s wohl aushalten müssen,“ sagte sie leise. „O heilige Mutter da drohen, ich hab’ ja schon [692] so oft meine Zuflucht zu Dir genommen … Du hast ja viel Schrecklicheres ausgehalten, heb’ Deine Hand auf mein arm’s Herz, daß ich’s auch aushalten kann …“

Geräusch herannahender Tritte unterbrach sie; dazu war es, als ob Gewehre klirrten. Horchend richtete sie sich auf; eine Hand drückte an die Thür; sie ging nicht auf und eine Männerstimme sprach: „Das ist dumm – das ganze Jahr durch ist die Capellen offen bei Tag und bei Nacht … gerade heut’ muß sie verschlossen sein; es wär’ ein prächtiger Unterstand gewesen, denn der Wind blast einem wirklich durch Mark und Bein …“

Unhörbar, auf den Zehen tappte sich Franzi zu dem Eingang, um besser zu hören, dem Zufall dankend, der hinter ihr die Thür, die sich nur von innen öffnen ließ, in Schloß geworfen hatte. Durch einen schwachen Spalt in der alten wetterverzogenen Thür gewahrte sie die Umrisse zweier Gensd’armen, welche in ihre dunklen Mäntel gehüllt sich in die Eingangsnische drängten, einen Augenblick vor dem Unwetter Schutz zu finden.

„Zum Glück wird das Passen nicht lange dauern,“ begann der Eine wieder; „wenn sie überhaupt kommen, können sie nicht mehr lang’ ausbleiben.“

„Ich weiß nicht,“ antwortete der Andere, „mir ist immer, als wenn die ganze Passerei umsonst wär’. Die Haberer haben überall gar zu viel’ gute Freund’; gewiß ist ihnen schon Alles verrathen und sie kommen gar nicht. …“

Franzi lauschte athemlos mit immer höher steigender Spannung.

„Sonst mag es wohl so gewesen sein,“ begann der Erstere wieder, „aber diesmal sind wir ihnen doch zu schlau geworden – es weiß nur ein einziger Mensch darum, der es verrathen könnte, und der wird nicht eher losgelassen, als bis Alles vorbei ist!“

„Und wer ist das?“

„Der Nämliche, durch den wir Alles erfahren haben, der Nußbichler Alisi!“

„Der Haderlumper?“ rief der Zuhörende geringschätzig. „Wenn die Nachricht von dem herstammt, ist sie nicht viel werth – der Alisi ist ja ein Capitallump, bei dem selber schon Haberfeld getrieben worden ist; die Haberer sind doch sonst so stolz und es heißt, daß nur ganz ordentliche Männer und Bursche unter ihnen aufgenommen werden … ich kann mir’s nicht zusammenreimen, daß sie einen solchen Menschen in die Karten schauen lassen sollten, daß er etwas verrathen könnte!“

„Ich glaube das auch nicht,“ war die Antwort, „aber gewiß ist, daß er darum weiß; wie er es erfahren haben kann, mag der Himmel wissen. Vorgestern hat ihn der Brigadier im Neuwirthshause erwischt, wo er ein paar Tage nicht in’s Bett hinein und nicht mehr aus dem Rausche herausgekommen war. Dem Brigadier fiel das auf, er befragte und untersuchte ihn, konnte aber nichts Zusammenhängendes aus ihm herausbringen, dafür fand er in seiner Tasche eine Hand voll Doppelgulden … wie soll der Bursch’ zu dem vielen Gelde gekommen sein, wenn er es nicht etwa von den Haberern bekommen hat, daß er ihren Spion macht? … Er gab keine rechte Antwort darauf und stellte sich an, als ob er nicht recht bei Sinnen wäre, und erst wie er erfuhr, daß er eingesteckt werden sollte, da löste sich ihm die Zunge in etwas. Er that ganz wild und wollte durchaus losgelassen werden, denn er müsse auch dabei sein, er müsse sehen, wie es denen eingetränkt werde, die ihn mit Füßen getreten hätten … und aus seinen verwirrten Reden und halben Worten hat man es ihm herausgelockt, daß es diesmal auch auf den Herrn Amtmann gemünzt sein soll…“

„Freches Gesindel!“

„Nun, diesmal finden sie ihren Lohn; der Herr Amtmann ist nicht der Mann, der mit sich spaßen läßt! In aller Stille hat er die Mannschaft von den umliegenden Stationen herbeigerufen, hat die Gerichtsdiener bewaffnet und die Bürgerwehr aufgeboten… Wenn sie es wirklich wagen, zu kommen, werden sie ganz ruhig heran gelassen, bis sie auf dem Platz neben dem Amt, wo sie allein in die Nähe kommen können, Alle beieinander sind, dann sind sie von allen Seiten umstellt und sitzen wie die Maus in der Falle oder das Wild im Netz – man braucht nur zuzuziehen…“

„Mir soll’s recht sein,“ rief der Andere wieder, indem er sich über die Mauer vorbeugte. „Ich habe schon lang’ einen Pik auf dies Bauernvolk, das jetzt überall den Herrn spielen möchte; ich bin dabei, wenn’s gilt, ihnen einmal das Handwerk zu legen… Aber horch … da drüben kommt es wirklich gegen den Markt heran; ganz schwarz zieht sich’s aus dem Buchenschlag hervor… Sie sind’s, sie kommen wirklich… Wir wollen zurück und melden …“

Wie versteint stand Franzi in ihrem Versteck, bis der letzte Ton der Fußtritte in der Ferne verhallt war, dann öffnete sie rasch die Thür und trat tiefathmend in’s Freie. Auf der Schwelle wendete sie sich noch gegen den Altar zurück und rief wie betend, mit vor der Brust gefalteten Händen: „So bin ich halt wieder nit umsonst bei dir gewesen, heilige Mutter … du hast mir den Zorn aus dem Herzen genommen und die Verwirrung … morgen, in aller Fruh’, geh’ ich in die Stadt, und wenn’s dort auch nit sein sollt’, irgendwo in der Welt wird’s doch ein Platzl geben, wo mich und meine Schand’ Niemand kennt, wo ich mich verstecken kann, und einmal wird ja doch die glückselige Stund’ schlagen, wo Alles aufkommt… Bis dahin will ich’s halt in Geduld ertragen, wie du deine traurige Last … ich will meine gestorbene Lieb’ auch so auf mein’ Arm nehmen und wie einen Todten an’s Herz pressen; ich will’s ausführen, was ich mir vorgesetzt, ich will aushalten, was ich übernommen hab’… Jetzt weiß ich, was ich zu thun hab’!“

An den Büschen des Feldsträßchens huschte sie niederduckend dahin, bis sie in die Nähe des schloßartigen Gebäudes kam, in welchem sich der Sitz des Amtes befand. Eine hohe Mauer umgab dasselbe und zog sich die schluchtartige Senkung entlang, zu welcher das Sträßchen hinabstieg; gegenüber war freies Land, in geringer Entfernung von Wald und Baumgärten eingehegt. Nach allen Seiten hin waren einzelne Bewaffnete vertheilt; der Amtmann sprach über die Mauer mit einigen, welche noch Meldungen gebracht hatten; die eine bestand darin, daß die Haberer eben an der andern Seite des Orts Halt gemacht, um vor dem einzeln stehenden Hause des reichen Meisters Staudinger demselben eine Rüge zu ertheilen, weil er sich hatte beigehen lassen, gefallenes Vieh auszuhauen und das Fleisch zu verkaufen. „Nun, ich denke, der Unfug soll wohl heute zum letzten Male stattfinden!“ sagte der Amtmann. „Die Rebellen, die Landfriedensbrecher verdienen keine Schonung … ich habe mir vorgenommen, der Sache ein Ende zu machen, und ich setze es durch, und wenn ich die Verkündung des Standrechts beantragen müßte! Gehen Sie nur Alle an die Ihnen angewiesenen Plätze und thun Sie pünktlich, wie Ihnen befohlen ist…“

Das Gebrüll des Haberfelds klang stärker heran; der Amtmann sah zu einem Fenster des ersten Stockwerks empor, an welchem, dicht in Pelz eingehüllt, eine weibliche Gestalt sichtbar war. „Hören Sie nur dieses infernalische Geheul!“ sagte er, „diese modernen Vehmrichter gehen sehr laut zu Werke – was sagen Sie dazu, ma mie?“

„Daß ich mich ennuyire,“ erwiderte die Dame; „die Sache ist einfach roh – ohne alle Romantik – das läßt mich kalt und ist den Schnupfen nicht werth, den man sich dabei holen kann …“ Sie schloß das Fenster und verschwand.

In Todesangst hatte Franzi am Anfang der Mauer im Gebüsche gelauert, sie durfte sich nicht regen, ohne durch das Rauschen der Zweige verrathen zu werden – jetzt endlich, da Alle sich entfernten, ward es ihr möglich, ihren Weg zu verfolgen. Sie faßte nach den Ranken eines überhängenden Hagdornstrauchs und achtete der Stacheln nicht, die sich blutig in ihre Hände drückten; es gelang ihr, daran hängend in den Graben nieder zu gleiten, der, ein Ueberrest früherer Befestigung, sich noch an der Rückseite des Schlosses hinzog, und dieses umgehend auf einem Umwege die äußern Häuser des Marktes zu erreichen.

Sie kam eben im rechten Augenblick; der Zug der Haberer bewegte sich schon die Anhöhe herab – trotz der Entfernung und des Dämmerdunkels fand sie den Gesuchten mit scharfem Aug’ sogleich heraus; hätte sie auch nicht gewußt, wer der Habermeister war, seine hohe ragende Gestalt hätte ihn für sie auf den ersten Blick kenntlich gemacht.

Er schritt allein, etwas den Uebrigen voraus, während der Vortrab und die Späher wieder in verschiedenen Entfernungen sich vertheilt hatten. Sein Gang war nicht so ruhig, seine Haltung nicht so gemessen, wie sonst; er blieb manchmal einen Augenblick stehen, wie Jemand, der sich auf etwas Vergessenes besinnt und schwankt, ob er zurückkehren soll, dasselbe zu holen; dann schritt er wieder vorwärts, rascher als zuvor, wie von innerer Hast und Unruhe gedrängt.

(Fortsetzung folgt.)
[693]

Weinlese am Rhein.
Nach einem Oelgemälde von W. Kels.

[694]
Aus den Gärten und von den Bergen.
Nr. 2. Die Weinlese am Rhein.


Er kommt zur Welt auf sonnigem Stein,
Hoch über dem Rhein, hoch über dem Rhein,
Und wie er geboren, da jauchzt überall
Im Lande Trompeten- und Paukenschall;
Da wehen mit lustigen Flügeln
Die Fahnen von Burgen und Hügeln.


Der Spätherbst zieht heran, – die eigentliche Erntezeit am Rheine – die Zeit, in der hier ein doppeltes Leben, ja, eine neue Zeitrechnung beginnt; denn aller Wohlstand des Landes, alle Behaglichkeit des bürgerlichen Lebens und Verkehrs erwächst dem Rheinland aus den Erfolgen und Erträgnissen des Herbstes.

Jahrhunderte lang haben die Rheinlande nicht so gesegnete Zeiten gesehen wie seit dem Jahre 1857. Sechs Jahrgänge – sechs Weinernten – gaben einen so köstlichen Rebensaft, daß den Kennern der edlen Bacchusgabe die Wahl wahrhaft schwer wurde, da jeder der verschiedenen Jahrgänge (1857, 58, 59, 61, 62, 65) seine besonderen Vorzüge hatte – es scheint fast, als sollten sie sich gegenseitig ergänzen. Während sonst seit mehr denn fünfzig Jahren durchschnittlich nur alle eilf Jahre ein vorzüglicher Wein die Arbeit des rheinischen Winzers lohnte, während sonst wohl die Noth und Sorge im bescheidenen Hause des Weinbauern überhand nahm, erfreut sich jetzt das Rheinland, absonderlich das Rheingau, eines Wohlstandes, wie er seit Decennien hier nicht einkehrte, und deshalb lächeln uns überall heitere, lebensfrohe Gesichter entgegen, fröhliche Grüße und Jauchzer heißen uns willkommen und die sprüchwörtliche muntere Laune des Rheinländers heimelt uns in erhöhtem Maße an – denn wieder steht die Ernte vor der Thür.

Mag man das Feuer der spanischen, ungarischen, Madeira- und Capweine preisen, mag man die Burgunder- und Medocweine ob ihrer eigenthümlichen Wirkungen vorziehen – der edelste, poetischste und anregendste der Weine bleibt der göttergewürzte Nektar des Rheines. Es giebt keinen anderen Rebensaft, der sich der begeisternden Wirkung, der herrlichen „Blume“ (Bouquet) des rheinischen Weines rühmen könnte –

Und wüßten wir, wo Jemand traurig läge,
Wir gäben ihm den Wein!“ –

Besuchen wir darum einmal gemeinschaftlich die Quellen, an denen man die „göttlichen Tropfen“ gewinnt, wir meinen die rebengeschmückten Berge des Mittelrheines mit ihren grünen, schlanken Trostesspendern, die der Hand des Winzers ungeduldig zu harren scheinen. Wir verlassen die Eisenbahn und sind mit einem Schritt mitten im Herzen des großen deutschen Weingartens, mitten in der „gleichsam durch Gärten unterbrochenen Uferstadt des majestätischen Rheinstroms“ – und kaum haben wir das scharf am Ufer herziehende Eisenbahngleis überschritten, so tönt uns schon der hundertstimmige Gesang fröhlicher Winzerinnen und Winzer entgegen. Auf der ganzen Straße, die wir in der Richtung nach den Weinbergen berühren, herrscht reges Leben. Mostwagen und Winzer mit Kannen und Bütten ziehen hin und her. Ein Trupp rüstiger, blondhaariger Mädchen aus den benachbarten Ortschaften verläßt eben einen bereits abgelesenen Weinberg und begleitet uns bergauf.

Von der fröhlichen Stimmung, welche diese Leute trotz ihres kärglichen Verdienstes schon am frühen Morgen beseelt, hat der Norddeutsche keinen Begriff. Es scheint, daß der Wein schon am Stock und während er gelesen wird, eine fröhliche Stimmung zu erzeugen im Stande ist. Zwei vermögende Weinhändler und Weinbergsbesitzer gehen vor uns her – vielleicht zur Zeit die Dienstherren der jauchzenden Mädchen? – das gilt indeß gleich. Sie werden geneckt und „geutzt“ so recht nach Noten, denn während einzelne der Winzerinnen ihren Scherz mit den Herren treiben, singt der große Haufen wohlklingende, dreistimmige Volkslieder.

Die Herren laden uns ein, den nächsten Weinberg mit ihnen zu besuchen. Viel Umstände pflegt man in der Lesezeit und auch sonst wohl am Rhein mit derartigen Einladungen nicht zu machen. „Gut gemeint und herzlich gegeben“ ist des Rheinländers Wahrwort.

Wir treten ein. Eine Gruppe fröhlicher Mädchen, Frauen und munterer Kinder, die in der Lese gleichfalls rüstig Hand anlegen müssen, empfängt uns. Ein Blick hinunter auf den herrlichen Strom mit seinen lachenden Ortschaften, ein Blick auf die frischen fröhlichen Gesichter, und unsere eigene Stimmung giebt der heiteren der Winzerinnen nichts nach.

Vor uns, auf sanft anstrebendem Hügel, in fast peinlicher Ordnung und in gleichmäßigster Entfernung von einander, stehen sie, die leibhaftigen, lebendigen Thyrsusstäbe, halb schon der rauheren Witterung ihren Tribut zollend, denn zum Theil haben sie das Saftgrün ihres Blätterschmuckes mit einem intensiven Gelb vertauscht. Ueber die „Wingerte“ (Weingarten) hinaus ragt der zinnengeschmückte Bergfried eines mittelalterlichen Burgrestes. Eine der Winzerinnen kommt uns entgegen und reinigt uns mit Weinblättern die Stiefeln – eine Sitte, die sich in den rheinischen Weinbergen jeder Eindringling gefallen läßt, gefallen lassen muß; des Pudels Kern – eine klingende Gabe – scheucht die blauäugige Dirne wieder hinweg. Man sieht es den Leuten an, es ist ihnen nicht um das unbedeutende Geldstück, es ist ihnen nur um den „Utz“ zu thun, denn ein fröhliches Gelächter aller Winzerinnen bekommen wir in den Kauf, und es contrastirt das verblüffte Gesicht des mit der Sitte nicht vertrauten Fremdlings wahrhaft komisch mit dem Jubel der Neckenden.

Wir wandern hin und her auf dem Berge, hie und da zwar in Gefahr unsere Fußbekleidung im erweichten Boden zu verlieren, aber heiter angeregt durch die wechselnden Liedervorträge und durch einzelne treffliche Stimmen, die, zwar höherer Bildung entbehrend, in ihrer Frische immerhin mancher Sängerin von Fach beneidenswerth erscheinen dürften. Die Lieder selbst – dreistimmig und gut geübt – beziehen sich auf den Rhein und das rheinische Leben. Man hört es den Vorträgen an, daß sie von dem Ortsschulmeister oder sonst einem musikalischen Talent des betreffenden Rheindorfs – vielleicht in den langen Winterabenden beim Spinnrocken – den Mädchen so trefflich einstudirt wurden. –

Der rheinische Winzer sieht zumeist auf die Güte des zu erzielenden Weines und zwar durch Pflanzung edler und dem jeweiligen Boden entsprechender Rebsorten, durch sachgemäße Pflege des Weinstockes und richtigen Schnitt der Reben, durch häufige Bodenlockerung, durch Spät- und Auslese und genügende Düngung, welche letztere wieder genau den Bodenverhältnissen entsprechen muß. Die Pflege des Weinstockes hat sich zu einer, wir möchten sagen, Fachwissenschaft herausgebildet, und eben dieser Fachwissenschaft verdankt der Rhein die Veredelung seiner Gewächse und seines Weines.

Von Einfluß ist die örtliche Höhe der Weinberge. Im mittleren Rheinlande erheben sich die Wingerte nicht mehr als hundert und zweihundert Fuß über der Thalsohle, während sich dies Verhältniß in fast allen andern weinbautreibenden Gegenden Deutschlands wesentlich ungünstiger stellt. Bei Bacharach beispielsweise beginnt der Weinbau ca. zweihundert Fuß über Meer und erhebt sich am Mittelrheine bis zu nahe fünfhundert Fuß; im eigentlichen Rheingau ist die oberste Grenze ungefähr achthundert Pariser Fuß über dem Meere und fünfhundertfünfundfünfzig Fuß über dem mittleren Wasserstand des Rheines. Der Boden alter und vielbebauter Weinberge wird, oft erst nach mehrjähriger Ruhe und Bepflanzung mit anderen Früchten, bei neuer Anrodung (Rottung) häufig bis zehn Fuß tief gebracht und der weniger erschöpfte Urboden auf die Oberfläche gefördert. Terrassenbau und Mauerungen – nothwendig zum Schutz vor Winden und Besserung der Sonnenlage – treten hinzu, und die Kosten der Anlagen eines Morgens belaufen sich häufig auf zweitausend Gulden und mehr. Im Rheingau wird nicht selten bei der Rottung der Boden in Letten, Kies und Sand gesondert und dann gleichmäßig in dem Wingert vertheilt. Dabei übt die geringste Abweichung der Lage einen so bedeutenden Einfluß auf den Wein selbst aus, daß die Preise des Gewächses auf benachbarten Weinbergen um Hunderte von Gulden differiren. Der Boden selbst ist in hohem Preis, indeß nach Lage und Beschaffenheit sehr verschieden. Im Marcobrunn wurden seiner Zeit für die Quadratruthe (fünfundzwanzig Quadratmeter) hundert Gulden bezahlt, in ungünstigeren Lagen indeß nur fünfzehn bis zwanzig Gulden, und so schwankt der Preis für Rebengelände je nach der Ertragsfähigkeit.

Chronistische und verbürgte Nachrichten lassen in Bingen schon [695] um das Jahr 767 den Weinbau bedeutend erscheinen und 817 tauschte Kaiser Ludwig der Fromme bereits einen Weinberg von dem Kloster Fulda ein. Vermöge der verschiedenen Behandlung des Weinstockes, Samenzucht, Pfropfen und ähnlicher Manipulationen ist man heute im Stande, etwa dreihundert verschiedene Traubensorten nachzuweisen, während davon nur ungefähr fünfundzwanzig Sorten zur eigentlichen Weinbereitung verwendet werden.

Es würde dem Zwecke der Gartenlaube nicht entsprechen, wollten wir auf eine nähere Beschreibung der verschiedenen Arten des rheinischen Rebenbaues eintreten. Sie sind in jeder Gegend des Rheinlandes mehr oder weniger verschieden. Wir müssen uns mit der Bemerkung begnügen, daß fast am ganzen Mittelrhein bis heute noch dem Pfahlbau, in der bairischen Pfalz und am Haardtgebirge dem Rahmenbau, in der hessischen Pfalz dem Pfahlbau und in neuerer Zeit dem Drahtbau der Vorzug gegeben wird.

Der einzelne Stock am Mittelrhein wird bei zweckentsprechender Behandlung im Lettenboden dreißig bis fünfundsiebenzig Jahre alt, während er in leichterem Boden, wenn auch gut gepflegt, nur bis an dreißig Jahre erreicht. Dabei ist ein Hauptaugenmerk des mittelrheinischen Winzers, die Trauben so nahe als möglich dem Boden zu ziehen, da durch die Einwirkung der Bodenwärme und der von dem Schiefergestein reflectirenden Sonnenstrahlen die Trauben früher reif und edler werden. Bei Anlage eines neuen Weinberges pflegt man, besonders in trockenen, steilen Berglagen, auf den preußischen Morgen nahe an viertausend, etwa zwei Fuß lange Setzreben (Blindreben, Schnittlinge, Stecklinge, Setzlinge) und zwar je alle zwanzig Zoll eine Rebe zu setzen. Es geschieht dies um der Beschattung willen, da in allen günstigen Lagen die Wirkung der Sonne auf den Boden zu mächtig sein würde.

Bei Lehm- oder Thonboden ist der Zwischenraum zwischen den Stöcken größer, wie denn auch die Entfernung der einzelnen Stöcke je nach der eingeführten Bauart verschieden ist.

Im ersten und zweiten Jahr überläßt man den Stock häufig einem unbehinderten Wachsthum oder schneidet ihn nach Beseitigung der Thauwurzeln zurück, hackt den Berg einige Male (im Rheingau vier bis fünf Mal im Jahr) und säubert ihn von Unkraut. Nach dem Düngen im Herbst deckt man beim Hacken die Stöcke mit dem Grund. Im dritten Frühjahr räumt man auf und schneidet die Zweige bis auf ein Auge. Dann wird der Stock gepfählt und geknüpft, oder es werden beim sogenannten Drahtbau je zwei Drähte an Pfosten befestigt, welche in einer Entfernung von zwanzig Fuß von einander abstehen. Das Binden der Stöcke geschieht mit Stroh, im Rheingau mit Weiden.

Die Ausdrücke des Winzers für seine Arbeiten sind sehr vielfältig. Es wird im Wingert gebänkelt, gleichgegraben oder gerührt, das dritte Graben nennt er das „Lautergraben“, und das vierte „Wintergraben“; ferner wird gezeilt, gegipfelt, verhauen, gekappt, geheftet, geringelt, ausgeblattet u. s. f.; letztere Ausdrücke finden sich hauptsächlich in der Pfalz und an der Haardt.

Erst im vierten Frühjahr wird der Stock durch „Raumen“ des Grundes und Schnitt vor dem Safttrieb (knöten) auf den ersten Ertrag vorbereitet. Der Stock erhält am Mittelrhein einen vier bis vier und einen halben Fuß hohen Pfahl. Nun erscheinen im Herbst die ersten nennenswerthen Ergebnisse der unsäglichen Mühe des Winzers – der Rheinländer nennt sie sehr bezeichnend die „Jungferntrauben“. Sie geben in der Regel einen trefflichen Wein, frisch und feurig, die erste Kraftäußerung des jungen Stockes. Indeß ist’s kaum ein Achtel eines vollständigen Ertrags, den dies erste Jahr liefert, und vorher, ehe der Wein der Reife entgegeneilt – welche Arbeit! Im Mai und Juli wird gehackt, das Unkraut beseitigt, gebunden, werden junge Reben ohne Triebe weggebrochen; Ende Juli werden die Spitzen der Reben wieder geschnitten und nach der Lese die Stöcke abermals vorsichtig zugehackt. Im fünften Jahre wiederholen sich diese mühevollen Arbeiten wieder, nach dem Herbst wird gedüngt und – immerhin auch hier günstigen Falls nur ein halber Herbst erzielt. Das Düngen eines Morgens kostet, ohne die Ausgaben für das Bestellen selbst, im Rheingau etwa einhundert und fünfzig bis einhundert und sechszig Gulden. In neuerer Zeit fängt man an, – wenn auch widerstrebend, künstlichen Dünger zu verwenden. Dann, im sechsten Herbste, tritt der Weinberg einer vollen Tragfähigkeit näher; man rechnet dann ungefähr fünf Ohm (zu achtzig Maß) auf den preußischen Morgen.

Wahr ist’s, es ist eine unsägliche Arbeit, eine Anstrengung, von welcher der Ackerbauer keine Ahnung hat. Ihm helfen Thiere verschiedenster Gattung in der Bestellung seiner Felder, der Winzer muß Alles selbst thun, umgraben und hacken (der Weinbergskarst, eine zweizinkige Hacke, wiegt bis zu fünf Pfund), häufig muß er mit Gefahr des Lebens auf abschüssigem, steilem Terrain in glühender Sonnenhitze schwere Lasten Dünger und heruntergespülten, abgeschwemmten Boden emporschleppen. So ist der rheinische Winzer wörtlich sein eigener Ackergaul und Zugstier. Dabei ereignet es sich nicht selten, daß der kleinere Producent, weil er häufig gezwungen ist, seine Ernte schon am Stock zu verkaufen, seinen eigenen Wein nicht einmal probiren, viel weniger trinken kann. Nach statistischen Notizen hacken die rheinhessischen Winzer (Rheinhessen hat zusammen 39,031 Morgen) bei dreimaliger jährlicher Behackung per Jahr circa 117,093 Morgen Weinberg mit der Hand und mit dem Karste um und beschneiden in derselben Zeit etwa einhundertsechsunddreißig Millionen Weinstöcke. Die Winzer des ehemaligen Herzogthums Nassau (zusammen 13,564 Morgen Weinberg) hacken ungefähr bei drei- bis viermaliger Behackung siebenundvierzigtausend Morgen pro Jahr und beschneiden in derselben Zeit etwa fünfzig Millionen Weinstöcke, und doch treffen diese Zahlen schließlich den kleinsten Theil des zum Weinbau angerodeten Rheinlandes.

In Frankreich wendet man in ebenem Boden wohl den Pflug an, der rheinische Winzer dagegen würde es für eine Schande halten, anders als mit seiner Hände Arbeit seine Wingerte zu bestellen. Genügsam, zufrieden mit der ihm zuwachsenden Bacchusgabe, lebensfrisch und freudig, fleißig und unverdrossen und mit der Behandlung des Rebstockes auf’s Innigste vertraut, hält er mit eiserner Consequenz an der seit undenklichen Zeit eingebürgerten Art und Weise des Rebenbaues fest.

Wie oft giebt’s aber ohne Erträgniß bleibende Herbste! Wie oft ist die aufgebotene Mühe vergeblich! Und statt des Göttertrankes erntet der Winzer nur Rachenputzer, Kutscher, Rambaß oder – Garibaldi, wie in neuerer Zeit die Säuerlinge getauft worden! Und wie, wenn ein schärferer Frost, als er am Rhein gewöhnlich, die unsägliche Mühe und Arbeit vernichtet? Denn nur vierzehn Grad Kälte kann das ausgebildete Rebholz ohne den empfindlichsten Schaden vertragen. Es ist nachgewiesen, daß es von 1626–1834, also in zweihundert und neun Jahren, nur siebenundzwanzig Hauptjahre, sechsundsechszig gute Jahre und einhundert und sechszehn Fehljahre gegeben.

Nach all’ diesen Mühen kommt nun die Zeit der Lese. In allen Rheindörfern rühren sich Männer, Frauen und Kinder, denn in der Lese greift Alles an, in der Lese giebt’s keine müßigen Stunden, keine feiernden Hände. Es werden die Bottiche und Fässer, die Bütten und Keltern gereinigt, ausgebessert und bereit gestellt. Das Reinigen der Gefäße ist des Winzers Hauptaugenmerk.

Am ganzen Rhein wird der Beginn der Lese, zwischen Anfang October und Ende November je nach der Traubenreife wechselnd, von dem Ortsvorstande in Gemeinschaft mit den größeren Besitzern auf einen bestimmten Tag festgesetzt. Zeigen sich die Traubenstiele trocken und verholzt, läßt die Traube sich leicht von der Rebe ablösen, sind die Kerne hart, die Beerenhülsen weich und durchsichtig geworden, so ist die Lesezeit gekommen. Durch die Schelle wird dann verkündet, an welchem Tage die gemeinsame Lese beginnen kann. Bis zu diesem Augenblicke sind die Weinberge – mit Ausnahme großer arrondirter Besitzungen – für Jedermann, für die ganze Orts-Einwohnerschaft, amtlich geschlossen. Verhaue und improvisirte Hecken versperren die Zugänge, Eindringlinge werden durch die Winzerschützen eingebracht und mit Geldstrafen von zehn Silbergroschen bis zu einem Thaler gebüßt. Es geschieht um der gegenseitigen – Sicherheit willen. Nur in besonderen Fällen, unter Aufsicht eines „Ehrenschützen“ wird nach eingeholter amtlicher Erlaubniß eine frühere Lese für den einzelnen Besitzer gestattet, z. B. bei Wingerten mit Frühburgundertrauben. Wie der Tag des Lesebeginns, so wird auch der Tag des Weinberg-Schlusses amtlich bestimmt.

Und nun

„Dappelt’s hinaus
Mit Mann und Maus,
Mit Kübeln und Bütten! Das Haus verläßt
Selbst Kind und Kegel bei’m Lesefest!“

Nicht gleichgültig ist’s, ob die Ortsvorstände die richtige Zeit [696] erwählen, denn eine vorzeitige Traubenlese bringt ebenso bedeutenden Schaden, wie eine zu spät anberaumte. Bei nasser Witterung wird das Geschäft unendlich erschwert und die Trauben fangen an auszulaufen. Man unterbricht dann häufig, bei Nebel und Regen, die Lese. Ehedem nahm man es nicht so genau mit Beginn der Lese, aber die letzten Jahrzehnte haben festgestellt, daß die Weine durch die „Edelfäule“ unendlich an Güte und Feuer gewinnen.

Durch einen Rechtsstreit um den Zehnten in der Gemarkung Johannisberg, nach Andern schon früher durch die Kriegswirren der französischen Invasion, verspätete man im Jahre 1811 die Lese hier und dort, und da durch Frost und Fäule die Trauben schon gänzlich unansehnlich geworden, so wollte man auf deren Lese ganz verzichten. Es wurde dennoch gelesen, und siehe da – der Winzer war um eine wichtige Erfahrung reicher. Der Frost sondert die wässrigen Theile der Beeren naturgemäß aus, Zuckerstoff und mit ihm Alcohol bleiben zurück, und was der Winzer an Quantität verliert, gewinnt er doppelt und dreifach an Qualität. Im Jahre 1811 kaufte das Wein-Großhandlungshaus Mumm in Frankfurt a. M. von dem Marschall Kellermann (Herzog von Valmy), dem Napoleon der Erste 1807 die schöne Besitzung Johannisberg schenkte, die bereits verloren gegebene Weinernte der Johannisberger Wingerte. Die edelfaulen Trauben dieses anscheinend verlorenen Jahrgangs legten den Grund zu dem großen Vermögen und blühenden Geschäfte des Hauses Mumm. Eine schöne Villa neben dem Johannisberger Schloß erinnert jetzt an das brillante Geschäft mit dem Eilfer.

Der große Producent, der die Mittel besitzt, eine Speculation auf die Spätlese zu wagen, läßt seine Wingerte geschlossen, so lange es eben thunlich, und beginnt häufig erst im November die Lese. Der kleinere Weinbauer vermag dies nicht. Regengüsse, anhaltender Frost können ihn in wenigen Stunden um die ganze Crescenz betrügen.

In den Domanial-Weinbergen (Steinberg, Marcobrunn, Gräfenberg, Rüdesheim, Hattenheim, Hochheim) des vormaligen Herzogthums Nassau werden nur Spätlesen vorgenommen. Und hier, sowie auf dem Johannisberg, in Rauenthal u. s. w. tritt noch in der Regel eine zweite und dritte Auslese hinzu, um dem Wein die höchste Vollkommenheit zu ermöglichen. In diesen Weinbergen ersten Ranges werden die Trauben mit einer Gabel ausgestochen, abgeleert, ausgepflückt; der Zuckerstoff ist hier so vorwiegend, daß die Beeren leimartig an den Fingern kleben, ein Umstand, der die Arbeit sehr erschwert. Die Trauben selbst erinnern nicht im Entferntesten mehr an die schönen üppigen Tafeltrauben prunkender Gastmahle, sie sind entstellt, unansehnlich, „verhutzelt“ und wenig zum Genuß einladend. – Die Winzerinnen und Winzer erhalten im Rheingau vierundzwanzig Kreuzer und „zwei Weck“ (Semmel) täglich, in der Gegend von Lorch und rheinab sieben Silbergroschen und „einen Weck“ per Tag, während die sogenannten Legelträger, von denen wir noch sprechen werden, welche auch das „Mosten“ besorgen, fünfzehn Silbergroschen und volle Naturalverpflegung erhalten. Dabei ist sämmtlichen Winzern der Genuß von Trauben edler Lagen untersagt; häufig erhalten sie für diese erzwungene Enthaltsamkeit eine besondere Vergütung. In weniger guten Lagen ist das Geschäft der Lese allerdings bequemer und die eigentliche „Auslas“ im Sinne des Rheingauers fällt hier hinweg. Mit Hülfe des Rebmessers, oder der starken, kurzen und scharfen Traubenscheere werden die Trauben „mit Dreck und Speck“ vorsichtig vom Stocke getrennt. Die Traube selbst hält der Winzer in der hohlen Hand, damit keine Beeren herabfallen; geschieht dies dennoch, so fängt eine hölzerne Schüssel, Kübel, Bütte oder ein Korb die entfallenden Beeren auf. Viele Winzer pressen bei der Kelterung die Trauben doppelt, indem sie den ersten Vorlauf, der die Beerenhülsen und Stiele nicht berührt, gesondert halten, ehe sie die Kelter auf die ganze Masse wirken lassen.

Ueber die Gährung und fernere Bereitung des Weines giebt uns vielleicht ein späterer Artikel Gelegenheit, allgemeine Mittheilungen zu machen.

Unantastbar ist der Ruf des Rheinweines, unvergleichlich sind seine wunderbaren Eigenschaften, einzig sein Aroma, seine Blume, sein Bouquet! So nennt der Rheinländer ein flüchtiges Gährungsproduct, welches nur dem Rheinwein eigen ist und das sämmtliche Weine südlicher Gegenden vermissen. Nach Amerika, Ungarn etc. ausgeführte rheinische Rebsetzlinge kommen dort in gleicher Weise nicht auf. Der ächte rheinische Weinkenner unterscheidet in Wahrheit mit der Zunge an dem verschiedenartigen Bouquet die Hauptlagen des Rheins und die betreffenden Jahrgänge. Der ächte Rheinwein darf weder Kopfweh noch Hitze, weder Uebelbefinden noch Magenkatarrh erregen – Verstimmung nach dem Genusse rheinischen Gewächses ist der beste Beweis von schlechtem oder zurechtgemachtem Rheinweine. Drei Orte sind es, die den besten Marken des Rheines jetzt den Namen geben: Steinberg, Johannisberg und Rauenthal. Ersterer gedeiht auf einem bisher Nassauischen Domanialgut, der zweite wächst auf fürstlich Metternich’schen Besitzthum und der dritte gesellt sich seit einigen Jahren als siegreicher Kämpe zu den genannten Weinen. Auf der Londoner Industrie-Ausstellung erhielt der Steinberg, auf der Kölner (1865) der Steinberg (ein Steinberger Cabinets-Ausbruch von 1862) und die Rauenthaler Weine aus dem Keller des Procurator A. Wilhelmy in Wiesbaden die ersten Preise. Auf dem Fürstencongreß in Frankfurt (1863) credenzte man Rauenthaler, die Flasche (¾ Litre) zu achtzehn Gulden! Er „durchduftete“ bei Oeffnung der Flaschen den Römersaal. In Paris (1867) errang sich Wilhelmy mit seinen Rauenthaler Collectionen (Jahrgang 1859 und 1861) wieder den ersten Preis und die goldene Medaille mit einer besonderen Belobung. Nächstdem wurde der Johannisberg mit der goldenen Medaille prämiirt. Steinberg hatte nicht ausgestellt.

Das Rheingau (Gesammtertrag pro Jahr 8000 bis 10,000 Stück, 1 Stück = 8 Ohm = 16 Eimer), nach Simrock „die Hochschule des deutschen Weinbaues“, bevorzugt größtentheils die edle Rieslingtraube, die indeß großer Pflege und äußerst günstiger Witterung bedarf. Aßmannshausen zieht den besten rheinischen Rothen, einzelne Orte rheinab wie Lorch (Bodenthaler), Engehöll, Steeg und Manubach bei Bacharach ziehen ebenfalls noch Riesling, von da ab beginnt schon häufig der Anbau des sogenannten „Kleinberger“, weiter hinab bevorzugt man den den Bodenverhältnissen mehr entsprechenden Bleichert (von bleichroth, hellroth). Das Ahrthal zieht Burgundertrauben und kräftigen, feurigen Wein; Oberingelheim Frühburgunder; die Mosel zeichnet sich durch ihre leichten, aber duftigen Sorten (Moselblümchen) aus und am Niederrhein wächst schon viel – „Wendewein“.

Die Orte Bacharach, Manubach, Oberdiebach und Steeg erzielen beispielsweise auf einem Flächenraum von 1230 Morgen etwa 870 Fuder à 878 Quart, zu einem Durchschnittspreis von 200 bis 260 Thaler pro Fuder (1865), während z. B. die auf der rechten Rheinseite liegenden Berge von Caub, 739 Morgen, ungefähr 700 Stück ergeben, die bis zu 500 Gulden pro Stück (1200 Litre) bezahlt werden. Steinberger Eintausendachthundertsiebenundfünfziger wurde zu 5500 Gulden pro Stück bezahlt und im Jahre 1853 wurde ein halbes Stück Steinberger für 5820 Gulden verkauft.

Von diesen flüchtigen Skizzen über den Weinbau am Mittelrhein kehren wir auf unsern Weinberg selbst zurück.

Die freudige Stimmung während des Geschäfts der Lese herrscht auch in den umgebenden Wingerten vor. Aus der Nachbarschaft kommen Weinbergsbesitzer, kosten und prüfen Trauben und Most. An den fahrbaren Wegen stehen große Bottiche, in welche der Inhalt der sogenannten Legel entleert wird. Legel nennt der Winzer eine unten spitz zulaufende, oben breitere, elliptisch geformte Holzbütte, welche an zwei festen Lederriemen auf dem Rücken getragen wird. In diese Legel entleeren die Winzerinnen ihre kleineren Bütten und Gefäße. Der Legel faßt etwa 90 bis 100 Pfund Trauben. Je nach der Oertlichkeit werden diese schweren Lasten auch häufig bis hinunter in’s Kelterhaus geschleppt. Vorher bearbeitet der Legelträger, der ob seiner schweren Arbeit, wie wir oben andeuteten, besser bezahlt ist, mit zwei Mostkolben (drei Fuß lange Knüppel von weichem Holze) im Legel selbst die ganze Traubenmasse. Eine kreuzweise schnelle Bewegung dieser beiden „Mostertkolben“ erzeugt in dem Legel den ersten Uebergangszustand zur flüssigen Masse. Eine braungelbe oder dunkelrothe, nichts weniger als klare Brühe bildet sich hier und wird dann in die Bottiche geschüttet. An einzelnen Orten werden die Trauben, statt in den Legeln, in einem großen Bottich von Winzern mit hüfthohen Stiefeln getreten und geknetet. Da die Mostbrühe sofort vollständig bearbeitet sein will, geschieht das Geschäft des eigentlichen Kelterns häufig des Nachts, wofür die Legelträger zehn Silbergroschen Extravergütung erhalten. Die Mostbrühe darf, soll der [697] Wein nicht verderben, durchaus nicht lange in den Bütten mit den Trauben zusammenstehen, weil sonst vorzeitige Gährung eintritt. Einladend sieht der junge Most nicht aus, aber wir wissen ja, daß derselbe, bis er auf unsere Tafel kommt, verschiedene Gährungs- und Klärungsprocesse durchmacht, daß er erst „federweiß“ – ein kitzelndes Lieblingsgetränk des Rheinländers – wird und dann erst seine goldhelle oder dunkelrothe Farbe erhält.

Unser freundlicher Gastgeber hat in der Eile Vorbereitungen zu einem kleinen Feuerwerk getroffen, das, während wir den Heimweg antreten, in den Weinbergen abgebrannt wird. Vom rechten Rheinufer herüber ertönen Flintenschüsse, das Zeichen, daß das Lesegeschäft für heute beendet ist. Die Wingerte bleiben die Nacht über, vom Wingertschütz bewacht, geschlossen. Auf der linken Rheinseite wird zur Oeffnung der Wingerte, Morgens sieben Uhr, und zum Schluß, Abends etwa sechs Uhr, das Zeichen mit den Kirchenglocken gegeben. Schüsse und Glockenschläge mischen sich mit den Jauchzern der heimkehrenden Winzer, das Echo dieses Lebens und Treibens hallt in den Bergen wieder, über uns steigen Raketen auf und bengalisches Feuer erleuchtet unsern Heimweg. Es dürfte vielleicht mancher befangenen Seele wie eine Profanation erscheinen, daß man die Kirchenglocken zu diesem weltlichen Geschäfte verwendet, indeß, wie schon Simrock sagt, läuten ja die Glocken des Rheines – „Wein“! Deshalb das Sprüchwort: „Wo am Rhein die Glocken den besten Ton haben, wächst auch der beste Wein!“

Häufig schließt das Lesefest ein gemeinschaftlicher Tanz der Winzer und Winzerinnen im Wirthshaus des Dorfes oder Städtchens. Aufzüge, wie die sogenannten „Herbstmuck“, in welchen Bacchus, auf einem Mostwagen sitzend und von Bacchantinnen umgeben, dargestellt wurde, sind seit einigen Jahren nicht mehr üblich. Wir aber genießen, im Städtchen angelangt, in der traulichen Behausung unseres neuen Freundes, des Weinbergbesitzers, ein Glas aus dem „Mutterfaß“, worauf nach rheinischem Ausdruck die „schwarze Katz’“ sitzt, und – bedauern bei der Erinnerung an diese Bacchusgabe den freundlichen Leser, weil unsere Schilderung der Weinlese am Mittelrhein ihm trockner erscheinen wird, als uns die Probe jener ächten rheinischen „Stählchen“.

Ferd. Heyl.




Im Feldlager König Theodor’s von Abessinien.
Von M. Th. v. Heuglin.


Als wenn in der politischen Welt des Zündstoffs aller Orten und Enden nicht schon sattsam angehäuft wäre, als wenn sie nicht genug hätte mit den Explosionen, die in Deutschland, an der Tiber, im Oriente drohen, hat sie sich neuerdings auch in Afrika, im fernen Quellgebiet des Nil, im alten Aethiopien noch eine kleine brennende Frage und Verwirrung hergerichtet. Dort in dem von der Natur mit wunderbaren Reizen ausgestatteten Abessinien oder Habesch herrscht bekanntlich seit dem Jahre 1855 der Negus oder König Theodor der Zweite über ein wenigstens dem Namen und der Form nach christliches Volk. Theodor ist ein vielfach tüchtiger und ausgezeichneter Mann, an Bildung und Cultur der Mehrzahl seiner Landsleute weit überlegen, der, obschon hauptsächlich Soldat und Eroberer, sich die Civilisation seiner Unterthanen ernstlich angelegen sein läßt, aber auch ein echter morgenländischer Despot und Tyrann, welcher keinen andern Willen neben sich duldet als den seinen und in seinen Herrscherlaunen auch vor Gewaltthat und Grausamkeit nicht zurückbebt. In einem solchen Tyrannengelüste ist es gewesen, daß er, im Allgemeinen den Europäern wohlwollend entgegenkommend und ihre Bildung achtend, neuerdings mehrere englische Reisende, darunter den Consul Cameron, gefangen nehmen ließ. Bitten und Vorstellungen, Drohungen und Protestationen, welche die britische Regierung an ihn gerichtet hat, um die Freilassung der Gefangenen zu bewirken, sind bis jetzt vergeblich gewesen, und so rüstet, wie man weiß, England im Augenblick unter dem Obercommando des General Sir Robert Napier eine Kriegsexpedition nach Abessinien aus, um mit Gewalt der Waffen den Negus zur Achtung des Völkerrechts zu zwingen und für seine Willkür gebührend zu züchtigen. Bei den zu überwindenden ungeheueren Terrain-, klimatischen und sonstigen Schwierigkeiten dürfte der Erfolg des Unternehmens freilich ein problematischer sein; umsomehr aber ziehen dasselbe und der kleine afrikanische Tyrann, der es veranlaßt, unsere Blicke auf sich. Auch die Leser der Gartenlaube werden daher gern etwas Weiteres über diesen äthiopischen König erfahren und mich gewiß mit Interesse auf dem Besuche begleiten, welchen ich ihm vor einigen Jahren abzustatten Gelegenheit hatte.

Schon auf meinen früheren Reisen in Afrika hatte ich seine intimere Bekanntschaft gemacht, und sowohl ich selbst wie von mir empfohlene Freunde waren von ihm mit echt morgenländischer Gastfreundschaft aufgenommen und behandelt worden. Mein zweiter Besuch jedoch, der, von dem ich erzählen will, fand unter besonders merkwürdigen Umständen statt; ich traf nämlich den König, seiner Einladung folgend, im Lager, inmitten seiner Armee, die auf einem Feldzuge gegen die südlichen Galaländer begriffen war. Die Reise dahin und ihre Beschwerden übergehe ich, nur bemerkend, daß unser Weg zum Theil durch die erhabensten, zum Theil durch paradiesische Berg- und Alpenlandschaften ging und unter der Führung des uns von Theodor entgegengesandten Officiers Rumha ausgeführt wurde. Nachdem wir uns in der Hauptstadt des äthiopischen Reiches, Gondar, mehrere Wochen aufgehalten hatten, stießen wir, d. h. Dr. H. Steudner, unsere kleine Karawane und ich, auf dem Hochplateau des Wololandes, am Fuße der mächtigen, oft weit herab mit Firn bedeckten Bergriesen des Kolo und Dschimba auf das Gros des königlichen Heeres, das eben Befehl erhalten hatte, sich nach Süden zu dirigiren.

Langsam nur können sich die mächtigen Heersäulen weiter bewegen. Es ist ein buntes Gewirr von eigentlichen Combattanten, von Dienern, Weibern, geistlichen Herren, Trägern, Reit- und Lastthieren, Gefangenen und Viehheerden. Auf flüchtigen Gebirgspferden jagt eine Abtheilung Schoaner Cavalerie an uns vorüber, die Reiter sind in dunkelbraune Wollmäntel gehüllt, an ihrer Seite hängt ein langes Dolchmesser, über die Schulter einige Wurflanzen, der runde Schild am Sattelknopf oder am linken Arm. Das Kopfgeschirr des Pferdes ist mit glänzenden und klingenden Metallplatten gepanzert und nur die große Zehe des kühnen Mannes der Berge ruht im ringförmigen Bügel. Klirrend folgen die Maulthiere einiger höherer Officiere im flüchtigen Paß. Ein fliegender Pelzmantel bedeckt die Schultern und das weiße Unterkleid mit breitem rothem Streif, der lange, krumme Säbel steckt auf der rechten Seite im Leibgurt. Die Herren sind umgeben von zahlreicher Dienerschaft, Waffenträgern, Lanzenmännern und Musketieren, Alle in raschem Tempo mittrabend.

Ein Troß Eunuchen bricht dort Bahn durch die an einer Fuhrt sich stauenden Massen für eine der Königinnen, deren Saumthier mit Silbergeschirr und Glöckchen behangen ist. Die schlanke Figur der Reiterin ist ganz in blauen, mit Gold gestickten Sammet gehüllt, über das Gesicht legt sich ein feiner tscherkessischer Schleier.

Jetzt begegnen wir dem koptischen Bischof, Abuna Salama, der trefflich beritten ist. Er trägt einen schwarzen Turban, eben solchen mit rothem Atlas ausgeschlagenen Burnus und hält sich immer auf Distanz von dem Troß der eingeborenen geistlichen Würdenträger, die in Unzahl vertreten sind. Ihr Oberhaupt ist der Etschege, der Vorstand des Asyls in Gondar und zugleich Beichtvater des Königs. Sein theures Haupt ist mit einem weißen Turban von ganz ungeheurer Größe umgeben und überdies noch geschützt durch einen nicht weniger imposanten bunten, indischen Sonnenschirm; die weiße Schama (Ueberkleid) hat Seine Eminenz bis über die Nase heraufgezogen. Ein obligater Schweif von Gaunergesichtern in Pfaffenkleiden, die übrigens alle einen feldmäßigen Teint angenommen, hat sich dem Etschege angeschlossen, Alegas und Vorstände geistlicher Orden, Schoaner Mönche, ganz in Leder gekleidet, amharische Klosterbrüder mit schwefelgelben, schmutzigen Mützen, Alle mit Fliegenwedel aus Pferdehaaren oder einem Kuhschweif bewaffnet.

Dann kommt ein Mönch zu Fuße, ein Glöcklein läutend, mit [698] einer langen Reihe von Trägern mit Tabot (Gesetztafeln Mosis, die in jeder abessinischen Kirche aufgestellt sind), in bunte Tücher gewickelt und auf vergoldeten indischen Fauteuils, nebst dem Kirchenhahn, bei dessen Morgenkrähen die Gebete zu beginnen haben.

Kranke und Verwundete, in ihre langen, weißen Oberkleider gehüllt, werden auf leichten Bahren aus Bambus getragen, Mütter schleppen ihre nackten Säuglinge auf den Rücken gebunden oder in Körben auf dem Kopfe nach. Eine große Anzahl gefangener Gala, den Hals in die Sclavengabel gezwängt, wird von Reisigen escortirt; dazwischen sieht man politische Verbrecher, gewöhnlich frei von Ketten und häufig sogar beritten; der Stumpf ihres unter Henkershand gefallenen Fußes oder Armes steckt in einem großen Hornbecher.

Die leichte Feldartillerie ist demontirt und wird durch Maulthiere und Träger weiter befördert.

Große Heerden von Rindvieh und Schafen, dem Feinde abgenommen, werden an den Gehängen zur Seite der Straße hingetrieben und weiden auf zertretenen Gerstenfluren und mageren Wiesengründen. Vier zahme Löwen des Königs folgen ganz frei dem Marstall; sie erfreuen sich reichlicher Kost, aber das Hochlandsklima mit seinen Hagelschauern behagt ihnen keineswegs; mürrisch und mit gesträubter Mähne trollt der König der heißen Tropenwälder seines Weges.

Der Vorhut folgt ein Lagerzelt von rothem Tuch. Das Aufheben oder Aufstellen desselben ist das Signal zum Abmarsch oder zum Lagern, seine Thür ist immer nach der Marschrichtung des folgenden Tages gelegen. In der unmittelbaren Nähe, auf dem rechten und linken Flügel des Centrums, sind die Königinnen, der Abun (Primas der abessinischen Kirche) und der Lagercommandant etablirt, ebenso wurde uns dort ein Ehrenplatz zugewiesen; das Kirchenzelt steht vor dem Lagerzelt. Jede Abtheilung kennt genau ihre Distanz und orientirt sich nach dem letzteren. Um die Lager der einzelnen Befehlshaber rangiren sich die Truppen in großen Reihen und Kreisen in kleine Godscho oder Hütten von Baumzweigen und Hochgras, welche verhältnißmäßig gut gegen Kälte und Regen schützen.

Am Mittag des 4. April 1862 trafen wir mit den Vorposten des königlichen Lagers, zu dem das Gros der Armee stoßen sollte, im District der Dschama-Gala zusammen. Die ziemlich von Baumschlag entblößte Hochebene war meilenweit bedeckt mit Zelten und Hütten, Heerden und Schlachtvieh, Pferden, Maulthieren und Eseln; über die ganze Fläche lagerten dichte Wolken von Rauch und Nebel. Unser Heer theilte sich in lange Colonnen, die nach links und rechts abmarschirten, um ihre festen Stellungen einzunehmen. Ein kleiner Hügel mit einigen Bäumen in der Mitte trug die Zelte des Königs, daneben standen Geschütze und ein weiter Cordon von Leibwachen. Dort weilte Theodor, umgeben von vielen Officieren und Geistlichen, und beobachtete durch das Fernrohr die Ankommenden. Erst gegen Abend hatten alle unsere eigenen Diener und Gepäck sich zusammengefunden und die Zelte wurden aufgeschlagen. Unser Führer Rumha war indeß zum König gegangen, um Rapport über seine Sendung abzustatten und unsere Ankunft anzuzeigen. Der vorgerückten Tageszeit wegen glaubten wir erst am folgenden Tage empfangen zu werden und saßen eben beim frugalen Abendessen, als einige Officiere mit Rumha hereinstürzten und meldeten, Se. Majestät erwarte uns.

In aller Eile war die nöthige Toilette gemacht, und unter Fackelbeleuchtung zogen mein Begleiter, Dr. Steudner, und ich, der schon längst in Diensten des Negus befindliche Maler Zander aus Dessau und Missionär Brunckhorst, die sich uns angeschlossen hatten, durch den Kreis der Leibgarden nach den königlichen Zelten. Dasjenige, in welchem wir empfangen wurden, ist wohl sechsunddreißig Schritte lang und besteht aus dickem, doppeltem Wollstoff; das Innere ist durch einen Vorhang in zwei Zimmer geschieden, drapirt mit bunten Stoffen und belegt mit türkischen Teppichen. Alles war mit Wachskerzen erleuchtet und Theodor saß gegenüber dem Haupteingang auf einem niedrigen Ruhebett; vor ihm stand ein kleines Tabouret, roth ausgeschlagen. Der Ceremonienmeister führt uns ein; wir bleiben unter der Thür stehen, bis uns der König grüßt und einladet näher zu treten und zu seiner Rechten Platz zu nehmen. Theodoros ist einfach und ganz nach Landessitte mit dem weißen Umhängtuch mit rother Borde (Schama) bekleidet; zu seiner Linken stehen sein Beichtvater, einige Prinzen, Hofchargen und Officiere. Er ist achtundvierzig Jahre alt, von etwas mehr als mittlerer Größe, schlank und kräftig gebaut; die feinen, scharfen Gesichtszüge zeigen ganz semitischen Typus, die Hautfarbe ist ein ziemlich dunkles Olivenbraun, die Stirn hoch und majestätisch, das Auge schwarz, feurig und doch ernst und würdevoll.

Die erste ceremonielle Unterredung wird geführt durch den „Sprecher“ (Af, d. h. wörtlich der Mund) des Königs in amharischer Sprache und mittels Dolmetscher. Dann reicht ein Mundschenk den Empfangstrunk, ein Krystallglas voll feinen Honigbranntwein, und zwar in Dosen, deren jede hinreicht ihren Mann vollständig zu decken. Darauf kreiste vortrefflicher Tesch (Honigwein), bis die Aufforderung zum Souper kam. Wir befanden uns bereits in der Zeit der Osterfasten und der Ceremonienmeister erkundigte sich, ob wir Fleischspeisen wünschten oder nach Landessitte mit einem Fastengericht vorlieb nehmen wollen. Ich erklärte, daß wir vorzögen, uns an die Landessitte zu halten, und alsbald erschien ein großer Korb mit rothem Tuch behangen und erfüllt mit feinen, weißen Brodkuchen von Tiéfmehl. In der Mitte dieses Meseb (Korb), der zugleich als Tisch dient, dampfte und qualmte eine Sauce von rothem Pfeffer und Erbsen. Ein ähnlicher Korb wurde den Gästen zur Linken des Königs zugeschoben, um den sich sein zweiter Sohn Maschescha, der Prinz Hailu Melekot von Schoa, Ras (Fürst) Engeda und der Lagercommandant Bascha-Negusie rangirten.

Wir waren speciell der Fürsorge eines Indiers, des Chefs der königlichen Artillerie, und Rumha’s empfohlen, rückten, nachdem Handwasser herumgereicht worden, unserem Korb mit unterschlagenen Beinen so nahe als möglich und begannen so das Mahl. Man bricht mit der Rechten ein Stück der Brodkuchen, mit der das ganze Innere des Meseb dick belegt ist, taucht ersteren in das höchst pikante Gemüse und verspeist den Bissen ohne dergleichen Instrumente wie Gabel und Löffel. Die Hofcavaliere haben noch die Obliegenheit, den Gästen tüchtig zuzusprechen und ihnen gehörige Brocken vorzulegen und in den Mund zu stopfen, und der malitiöse Rumha bediente meinen Gefährten, den armen Steudner, so gewandt und zuvorkommend mit Portionen rother Pfeffersauce, daß ihm bald der Schweiß von der Stirn und Thränen aus den Augen rannen.

Nach aufgehobener Tafel mußten wir uns unmittelbar neben den König placiren. Er unterhielt sich jetzt direct mit uns und zwar in arabischer Sprache, die er ziemlich fertig spricht, befragte mich nach den neuesten politischen Affairen in Europa, nach dem Suezcanal, nach meinen Erlebnissen in den neun Jahren, die wir uns nicht gesehen, bedauerte, daß ich ihm so selten geschrieben, und erinnerte sich noch lebhaft meines ersten Besuches bei ihm, im Feldlager in Djenda und am Tana-See, sowie meiner Aeußerung, daß ich ihn, den damaligen ziemlich unbedeutenden Fürsten Kasa, für den Mann halte, dem es beschieden sein werde ein großes Reich aus Aethiopien zu machen und alle seine Fürsten wieder unter seinen Scepter zu vereinigen. Wirklich theilnehmend erkundigte sich Theodor dann nach meinem treuen Diener und Gefährten Kaspar, der längere Zeit bei ihm zugebracht und später dem höllischen Klima des Sudan unterlegen war. Er machte mich endlich darauf aufmerksam, daß wir einst Brüderschaft getrunken und er dies nicht vergessen habe, obgleich das Schicksal ihm jetzt die Krone von Habesch aufgesetzt; Alles, was er Sein nenne, gehöre seinen Freunden und er wünsche, daß wir in allen Fällen und so lange wir im Lande, dergestalt seine Gäste bleiben und uns immer nur an ihn wenden möchten.

Ich fand das Aussehen des Königs allerdings frisch und kräftig, wie früher, aber das rast- und ruhelose Leben im Feldlager hat schon manche Falte in seine Stirn gegraben, nicht weniger als die bittern Erfahrungen, die der Mann im politischen und häuslichen Leben gemacht hat. Er ist Soldat mit Leib und Seele und kennt eigentlich von Jugend auf keinen festen Wohnsitz; in der Feldschlacht steht er immer an der Spitze seiner Truppen und excellirt als Reiter wie als ein trefflicher Schütze.

Ueber die staatlichen Einrichtungen und Verbesserungen, welche Theodor in Habesch eingeführt, kann ich wenig berichten, sie mögen auch nicht gerade belangreich sein, denn seit seiner Krönung zum Negus von Aethiopien im Jahr 1855 ist er beständig auf Eroberungszügen, welche den Zweck hatten, alle ehemaligen Theile des Reichs wieder zu gewinnen, namentlich Schoa und die von den Gala eroberten südlichen und östlichen Provinzen. Aber auch im Innern des Landes, wie in Tigrié und Godscham, tauchten [699] Rebellenhäuptlinge auf, theils auf eigene Faust, theils aufgehetzt durch die unzufriedene clericale Partei, Missionäre und anderen fremden Einfluß.

Der König hat indeß den Sclavenhandel abgeschafft, neue Gesetze erlassen, eine Heerstraße zwischen Gondar und Schoa anzulegen versucht und europäische Arbeiter zu sich berufen, um nützliche Einrichtungen, Gewerbe und Cultur einzuführen. Als Regent und Richter ist er äußerst consequent, gerecht, aber von unerbittlicher Strenge. Alle Regierungsgeschäfte gehen direct durch seine Hand. Alltäglich erscheinen schon lange vor Sonnenaufgang Bittsteller und Kläger vor dem Cordon der Garden, die seine Zelte umgeben, mit dem Rufe „Abet Abet“ und „Dschan-hoi Dschan-hoi“ (Höre uns, unser Herr!). Vom Lager aus antwortet der König, erhebt sich, leiht jedem Begehren sein Ohr, urtheilt und theilt Strafen, Gnaden und Gaben aus.[1] Er besitzt wenig, vertheilt vielmehr alle Beute und Revenuen an seine Freunde und Soldaten.

Ob die Geistlichkeit, die ihn in Schaaren umgiebt, einen großen Einfluß auf Theodoros ausübt, vermag ich nicht zu beurtheilen. Aeußerlich hält er streng an den Satzungen der Kirche, aus deren Mitte seine meisten politischen Gegner hervorgegangen sind, aber der Negus würde offenbar einen Fehlgriff thun, wenn er jetzt schon offen gegen das faule Pfaffenthum zu Felde ziehen wollte, gegen diesen Krebsschaden seines Reichs (ganz wie anderwärts auch. D. Red.), der jede nationale und geistige Entwickelung hemmt und nur Sittenlosigkeit und Obscurantismus befördert.

Die Verfassung des Landes ist eine unbeschränkt monarchische. Es besteht ein höchster Gerichtshof unter Vorsitz des Regenten. Die Richter sind angesehene Bürger, welche den Fila Negest, d. h. das Gesetzbuch, studirt haben. Es ist dies ein angeblich auf dem Concil zu Nicäa verfaßtes Werk, das in zwei Abschnitte, in das kanonische und in das bürgerliche Recht, zerfällt.

Die Dynastie Aethiopiens, wohl des ältesten aller christlichen Reiche, leitet ihren Ursprung vom König Salomo her. Die Negesta Asiab, (d. h. Königin des Ostens) Maketa, oder Königin von Saba, und der Sohn beider, Ebn Hakem, gelten als directe Vorfahren der erstern. Wir besitzen alte äthiopische Codices mit den Stammlisten der Familie. –

Nach Beendigung des oben geschilderten Besuchs zogen wir in später Nacht nach unseren Zelten zurück. Kaum waren wir dort angelangt, so überreichten einige Hofbeamte Namens des Negus ein großes Horn mit Honigbranntwein (Tesch) in Menge und eine Partie feiner in Schoa gefertigter Stoffe, zum Schutz gegen die rauhe Witterung. Am 6. April ertheilte uns seine Majestät eine förmliche Audienz. Auf dem erhabensten Punkt des Lagers war auf großen Teppichen ein mit Goldbrokat und Kaschmiren belegtes Ruhebett aufgeschlagen; dort saß der König, unbedeckten Hauptes, in einen mit Seidenstickerei bordirten Margef (Ueberkleid) gehüllt. Hinter ihm standen zwei Officiere mit großen Sonnenschirmen. Wir wurden eingeladen, Platz zu nehmen, und ich bat Seine Majestät einige Geschenke überreichen zu dürfen, welche durch unsere Diener getragen wurden. Diese bestanden hauptsächlich in Waffen und Teppichen, und der König sprach sich sehr anerkennend über die Auswahl derselben aus. Auf seine Frage, ob ich noch specielle Wünsche vorzutragen habe, erwiderte ich, daß ich mich nur verpflichtet fühle, Seiner Majestät meinen aufrichtigen Dank für das königliche Geleite und alle bei ihm genossene Gastfreundschaft zu sagen, und bitte, er möchte, da die Regenzeit mit Riesenschritten herannahe, uns in Gnaden entlassen und die Bewilligung zum Austritt aus Habesch ertheilen. Der König antwortete, daß dies bald geschehen werde; wir möchten, bis es Gelegenheit gebe, uns auf vom Feinde nicht mehr beunruhigtes Gebiet zu bringen, seine Gäste bleiben.

Am 10. April trat die ganze Armee den Rückmarsch aus Dschama-Gala an; das koptische Osterfest wurde in Woro Heimano gefeiert und wir am 25. April entlassen, reichlich mit Pferden und Maulthieren beschenkt, sowie mit Staatssattel, silbernem Schild und Handschuh belehnt. Ein anderer Officier nahm jetzt Rumha’s Stelle ein und geleitete uns bis zur Grenze von Galabat. Auf jeder Station hatte derselbe Futter für die vielen Reit- und Lastthiere und Schafe, Butter, Brode und Honigwein für uns in Empfang zu nehmen. Am 9. Juni erreichten wir Metemeh, den Hauptort von Galabat, wenige Tage später das ägyptische Gebiet der Provinz Gedaref und näherten uns somit wieder unserer europäischen Heimath.[2]




Wiege und Grab deutscher Kaiserherrlichkeit.


Wenn in des deutschen Lebens traurigsten Tagen, als dem innern bürgerlichen Verfall die schmachvolle äußere Unterdrückung gefolgt war, der Ruf der Sehnsucht aus allen patriotischen Herzen nach „Kaiser und Reich!“ ging und wenn dieser Ruf, von der studirenden Jugend auf den Schlachtfeldern der Befreiungskriege wie später auf der Wartburg unter dem Banner des neuen Reichs der Zukunft zuerst erhoben, im Verlauf weniger Jahrzehnte Widerhall im ganzen deutschen Volke fand, so weit es überhaupt dem großen Vaterlandsgedanken des Tugendbundes und der Burschenschaft zugänglich geworden war, so verdanken wir dies von allen deutschen Herrschergeschlechtern einem einzigen: den Hohenstaufen.

Es lag so nahe, war so einfach menschlich, daß der Deutsche in den Zeiten der tiefsten politischen Erniedrigung Deutschlands seine vergleichenden Blicke in die Vergangenheit warf, um im Anschauen der erhabensten Heldengestalten seiner Kaiser, die im Glanze der höchsten Reichsherrlichkeit durch die Geschichte leuchten, Trost zu

[700]

Hohenstaufen und seine Kaisermale.
Nach der Natur gezeichnet von M. Bach.

[701] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [702] suchen für das unwürdige Staatsbild seiner Zeit, Muth für die rastlosen Kämpfe des Tages und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wo aber konnte das Auge freudiger und stolzer weilen, als auf der großen Hohenstaufenzeit unserer Geschichte? Wir Alle wissen, daß den Jünglingen und Männern der Befreiungskriege die Ehre des Vaterlandes, d. h. seine Selbstständigkeit und Macht nach Außen, höher stand, als die staatsbürgerliche Freiheit im Innern; es war eben die tiefere Schmach gewesen, von welcher sie den deutschen Boden erst mit befreit hatten. Ebendarum mußte aber auch ihren Augen das deutsche Reich im höchsten Glanz da erscheinen, wo der deutsche Kaiser noch als „Herr der Welt“ gepriesen werden konnte und vor seinem Scepter nicht blos alle deutschen Stämme, die Burgunder mit eingeschlossen, sondern auch die slavischen Wenden, Böhmen und Polen, die Ungarn und die Italiener und selbst die Dänen sich beugten. Und dies geschah unter dem gefeiertsten Kaiser der Hohenstaufen und dem einzigen, welchen die Sage, dem deutschen Volke noch bis heute lebendig erhalten hat: dem Kaiser Friedrich dem Rothbart, dessen Wiege in Schwaben stand und als dessen Denkmalsäule im Herzen Deutschlands, über der goldnen Au Thüringens, der graurothe Thurm des Kyffhäuser aufragt, der im Volksmunde selbst „der Kaiser Barbarossa“ heißt.

Ist somit kein Kaiserhaus der deutschen Nation so im Gedächtniß geblieben, wie das der Hohenstaufen – denn nur die Männer der heiligen Vehme auf der rothen Erde und ihre späten Abzweige im bairischen Walde beriefen sich noch auf den Kaiser Karl den Großen –, so tritt dagegen das Schicksal mit erschütternden Wiederholungen auf, die, obwohl durch Jahrhunderte getrennt, dieselben Folgen im Wandel der Herrschaft verheißen. Dem letzten großen Hohenstaufen, dem Kaiser Friedrich dem Zweiten, folgte (1250) das große Interregnum, und sein Enkel, der letzte Hohenstaufe, Konradin, starb auf dem Schaffot, als er in der Fremde sich seine Krone erobern wollte. Die Habsburger wurden die Erben des Reichs; sie herrschten, bis im Jahre 1806 das neue große Interregnum begann, dessen Ende nahe zu sein scheint. Auch sein Konradin ist dem Hause Habsburg nicht erspart worden: im Kampf um eine fremde Krone verfiel der Enkel des letzten deutschen Kaisers der Habsburger dem Blutgericht. Derweil ist von einer anderen Schwabenburg die Reichssturmfahne nach dem deutschen Norden getragen worden, und wie einst die Habsburger nach den Hohenstaufen, so werden die Hohenzollern die Erben der Habsburger nach dem jüngsten großen Interregnum des deutschen Reichs sein.

In solchen Tagen, wie die unserigen, wo die Geschichte unserer Nation bei so wunderbaren Parallelen angelangt ist, erhalten auch die Trümmer der so schicksalverwandten Vorzeit für unsere Theilnahme neue Bedeutung, und darum ist eine Wallfahrt nach der Hohenstaufenwiege und zu den wenigen Stätten, die noch sichtbare Spuren der einst so gewaltigen Männer zeigen, vielleicht eben jetzt an der Zeit.

Ein kundiger Freund in Stuttgart gab mir den Wink, auf die öde Grundfläche des einstigen Hohenstaufenschlosses mich durch Umschau im Lorch und Gmünd vorzubereiten. Ich folgte ihm, und der Leser wird erkennen, daß ich Ursache habe, ihm dankbar für den guten Rath zu sein. – So ließ ich denn beim Beginn des jüngsten Herbstes mich auf der Remsthal-Eisenbahn zu den letzten Resten der größten deutschen Kaiserherrlichkeit tragen. Als die erste Station meiner Hohenstaufen-Wallfahrt begrüßte ich im Vorüberfahren Waiblingen, die alte Stadt, welche schon dem Salischen Königshaus und dann dem Hohenstaufischen Geschlecht den weltgeschichtlich gewordenen Parteinamen der Waiblinger in Deutschland und der Ghibellinen in Italien zubrachte. „Hie Welf!“ – „Hie Waiblinger!“ war der Schlachtruf, der dies und jenseits der Alpen Strömen von Blut vorausging; er hat an der Kraft zweier Nationen fast zweihundert Jahre lang gezehrt. So steht die freundliche Stadt recht unschuldig wie ein Denkmal der alten deutschen Zwietracht da. – Der Name Schorndorfs brachte mir ein liebes Gartenlaubenbild in Erinnerung, das jener tapferen patriotischen Bürgermeisterin, welcher Gott viele Nachfolgerinnen in der Gegenwart bescheeren möge; haben sich doch solche Bürgermeisterinnen im lieben Schwabenland noch in jüngster Zeit als gar nothwendig gezeigt! – Waldhausens Burgthümer führen uns wieder auf Hohenstaufenspuren, denn die Sage läßt dort den Kaiser Rothbart geboren sein. So geheimnißvoll spielt die Sage mit diesem ihrem Liebling, daß sie weder für seine Wiege noch für seinen Sarg bestimmte Stätten duldet: sie schmückt in Schwaben und Thüringen ein paar einsame Berge mit ihrem strahlendsten Kranze.

„Station Lorch!“ – Hier verlassen wir den Bahnzug und betreten historischen Hohenstaufenboden, indem wir den ehemaligen Benedictiner-Klostergebäuden zuschreiten, welche nordöstlich vom Marktflecken den Marienberg krönen. Der Hauptbau ist die Kirche, eine alte romanische Pfeilerbasilica, welcher wir auf unserem Randbildchen einen gothischen Chor angefügt sehen, den ein neuer, schon mehrfach geänderter Thurm mehr drückt, als schmückt. Von den ursprünglichen vier Thürmen der Kirche ist nur einer erhalten, rund und wegen seiner Wendeltreppe von den Meistern geschätzt; er wird „Marsiliusthurm“ genannt, weil schon unter Pipin ein Schwabenherzog Marsilius hier seinen Sitz gehabt haben soll. – Auf den acht Pfeilern der Kirche erkennen wir ebenso viele Wandgemälde von Hohenstaufenfürsten, die aus dem Jahre 1475 herrühren, stark verblichen, oft restaurirt sind und Folgendes darstellen: rechts am Eingang Herzog Friedrich der Erste und seine Gemahlin Agnes, die Stifterin der Kirche; dann weiter deren Sohn Friedrich der Einäugige; hierauf Friedrich Barbarossa und sein Sohn Heinrich der Sechste, endlich Kaiser Friedrich der Zweite, dann sein Sohn Konrad der Vierte, zum Schluß Konradin und über dessen Bild seine Hinrichtung zu Neapel, und zwar durch ein Fallbeil.

Von dem frommen und getreuen Abt Nicolaus von Arberg, welcher die Herstellung dieser Gemälde besorgte, sehen wir ein zweites Zeugniß seiner Hohenstaufen-Verehrung in einem schönen, steinernen Sarkophag in gothischem Stil, den uns unsere Illustration im Langhaus der Kirche zeigt. Auf dem Deckel ist das Wappen der Hohenstaufen ausgehauen. Die Umschrift sagt uns, daß dies Kloster im Jahre des Herrn 1102 gestiftet sei und hier Herzog Friedrich von Schwaben begraben liege: – „er und sin Kind – diß Klosters Stifter sind – sin Nachkömmling ligent och hi by – Gott in allen gnädig sy. – Gemacht 1475.“ – Wir stehen hier vor und auf einem großen Hohenstaufengrab, in welchem ein zu Staub vermodertes Geschlecht ruht, in dessen Nähe noch heute uns der Hauch einer gewaltigen Zeit berührt. Eine in röthlichen Fels gehauene Gruft bewahrt die Gebeine des Stifters und anderer seines Geschlechts, während unterm Chor der Kirche in ursprünglich fünf Grüften begraben liegen: König Heinrich, Barbarossa’s Sohn, Gertrud, Konrad’s des Dritten Gemahlin, die Kaiserin Irene, Philipp’s von Schwaben Gemahlin, und deren Tochter Beatrix und noch viele andere Hohenstaufenglieder. Als Abt Nicolaus im Jahre 1475 diese verschiedenen Gräber öffnen ließ, soll er noch Köpfe mit wohlerhaltenen blonden Haaren gefunden haben.

So lange Mönche den Dienst der Klosterkirche verrichteten, d. h. ehe der Bauernkrieg seine Brandfackel auch hierher trug, wurden alljährlich am Tage des heiligen Antonius, dem Gedächtnißtag der Stiftung, die Gräber im Chor, die Grüfte und der Sarkophag mit Leichentüchern behängt, und Nachts in der zweiten Stunde erschallten Gesänge und Gebete feierlich an der Ruhestätte dieser Hohenstaufen.

Unsere nächste Station ist die Johanniskirche zu Gmünd. Das Dampfroß reißt uns fort durch das freundliche Land, wir erblicken vor Gmünd rechts drüben den zweigipfeligen Rechberg und flüchtig auch den Hohenstaufen. Durch die Gassen der ehemaligen freien Reichsstadt Schwäbisch-Gmünd, wie sie der Unterscheidung von ihren bairischen und österreichischen Namensschwestern wegen sich vorsichtig schreibt, eilte ich zum Marktplatz und seinem Hauptschmuck, der schönen Johanniskirche in romantisch-gothischem Uebergangsstil und mit dem merkwürdigen Thurm, der vom Volke der „Schwindelstein“ genannt wird. In dieser Kirche zeigt ein uraltes Bild uns die Burg Hohenstaufen, wie sie durch Jahrhunderte auf ihrem Berg gestanden. Wer desselben Wegs zieht, der präge sich dieses Bild (das auch unserer Illustration angefügt ist) recht tief ein, es wird ihm die Phantasie wohlthuend beschäftigen, wenn er nun endlich zum Hohenstaufen selbst hinüberwallt.

Rüstige Wanderer ersteigen von Gmünd her gleich das langgestreckte Gebirg, um von der Wallfahrtskirche der höheren Rechberggipfel aus in die Lande zu schauen und dann an den Trümmern des Schlosses Hohenrechberg vorüber, das erst im Jahr 1865 durch Feuersbrunst zur Ruine ward, auf dem Gebirgskamm hin zum Hohenstaufen zu gelangen. Ein entzückender Fernblick [703] über das lebenvolle, mit Städten und Dörfern in herrlicher Abwechselung bedeckte Hügelland und hinüber bis zum Schwarzwald, zur schwäbischen Alb und, wenn der Himmel ihnen lacht, wie uns, sogar bis zu den Alpen Tirols und der Schweiz belohnt Jeden reichlich für die Mühen des Wegs.

Je näher wir aber dem Kegel kommen, dessen Name für jedes deutsche Herz so bezaubernd klingt, desto trauriger schauen wir zu ihm empor; und haben wir seine Höhe erstiegen, betreten wir die Stätte so unvergänglichen Ruhms und erkennen nirgends etwas Anderes, als die Schutthügel, wo einst Paläste gestanden, nun vom grünen Rasen und Unkraut überdeckt, so können wir eines bitteren Gefühls uns nicht erwehren. Nicht daß es die blinde Volkswuth war, welche im Bauernkrieg auch diese Burg verwüstete, sondern daß die Fürsten des Landes selbst die Trümmer von Hohenstaufen als Steinbruch benutzten für ihre Schlösserbauten im Thale, – das ist das Empörendste des jämmerlichen Anblickes. Der letzte der Thürme wurde erst im Jahr 1705 abgebrochen, und zwar mit großer Mühe und Vorsicht, um die schönen Quadern nicht zu beschädigen, die im Thale ihre Verwendung fanden. Ja, sogar in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts stand von den Gebäuden und Ringmauern noch genug, um in dem Herzog Karl Alexander von Würtemberg den Gedanken des Wiederaufbaues der ganzen Burg anzuregen. Sein rascher Tod beschleunigte den völligen Untergang der Burgveste, denn von da an nahmen auch die Bewohner der umliegenden Dörfer und Weiler ihren Vortheil wahr und räumten so gründlich mit allem nutzbaren Gestein auf, daß um das Jahr 1798 nur noch ein Mauerrestlein stand, – und auch das ist nun verschwunden. Die Geschichte der großen deutschen Vergangenheit war nicht nur dem Volke, sondern noch mehr den Fürsten so fremd geworden, daß die Ruhmesstätte gerade der gefeiertesten Kaiser des Reichs die vollendetste Verwüstung auszeichnet.

Nur die älteste Wiege des Geschlechts, das Wäschenschlößle bei Wäschenbeuren, steht wenigstens in seinen aus mächtigen sogenannten Buckelquadern gefügten Umfassungsmauern noch unberührt vom Zahn der Zeit. Eine Stunde nördlich von Hohenstaufen erhebt es sich auf dem Hügel, von welchem die Herren von Büren, die Stammväter der schwäbischen Kaiser, gewiß ohne Ahnung der Zukunft ihrer Nachkommen auf ihre bescheidene Umgebung hinabblickten. Das Schlößlein selbst ist später erneut und dient als Fruchtspeicher und Voigten zur Wohnung. Einer der letzteren entdeckte vor ungefähr fünfzig Jahren einen eichenen Wandkasten voll alter Urkunden. Was sie enthielten, ist unverrathen geblieben, denn der Voigt fand das starke Papier oder Pergament für seine Kinder trefflich geeignet, Figuren daraus zu schneiden, und so geschah es.

Trotzalledem verlassen wir den Berg nicht ganz unversöhnt; lacht ja doch, wie ein Kundiger des Landes von dieser Höhe begeistert preist, zu dem öden Scheitel des Berges herauf ein saftigfrisches, heiteres Landschaftsbild: einerseits ein wogendes Wäldermeer mit dunklen Tannengründen und lichtem Buchenschlag, goldgrüne Matten dazwischen, aus denen wie Wellenglitzer die Thurmspitzen malerischer Kirchen auftauchen, und ringsumher eine Perlensaat von freundlichen Ortschaften, Schlössern und Burgen; andererseits die Felsenstirnen der schwäbischen Alb, um die sich ein Blüthenkranz von Dichtung webt.

Dichtung und Geschichte verknüpft die an der Westseite der Bergstirne des Hohenstaufen befindliche Höhle in ihrer Benennung: Heidenloch. Höchst wahrscheinlich hatte der Berg schon bei unsern germanischen Altvordern eine hervorragende Bedeutung, und ihre Dränger, die Römer, scheinen ihn als Warte der Winkelecke, in welche der hadrianische Grenzwall – Teufelsmauer, Schweingraben im Volksmund – von Regensburg und dem Taunus her hier zusammlief, benützt zu haben.

Am Südabhang des Berges, unweit vom Scheitel, steht eine nachher zur Kirche umgewandelte Capelle am Ende des Marktdorfes Hohenstaufen, und über deren nördlicher Pforte ein Wandgemälde, den Kaiser Rothbart darstellend, mit den Worten: „hic transibat Caesar“. Ob das im vorigen Jahrhundert gemalte Bild über dem spitzbogigen Nordeingang von der Burg her (das Kirchlein gehört in das fünfzehnte Jahrhundert) an die Stelle eines älteren Bildes und Baues getreten, ist nicht urkundlich bekannt, aber wahrscheinlich. In den dreißiger Jahren handelte es sich darum, die für die Gemeinde zu klein gewordene Dorfkirche zu vergrößern, wobei jenes Bild und die alte Pforte bedroht waren. Um dies abzuwenden, wurde auf den Bau einer neuen Kirche mit Erhaltung der alten hingewirkt, wozu der Landesherr, der Staat und ein Verein von Hohenstaufenfreunden behülflich gewesen. Durch Anwachs der Zinsen aus den gesammelten Geldern war es in neuerer Zeit möglich, die Süd- und Westseite des im vorigen Jahrhundert verunstalteten Kirchenschiffs wieder stilmäßig herzustellen und dieselben mit einer Reihe von Wappenschildern derjenigen Herrschergeschlechter und Gemeinwesen, welche den Hohenstaufen untergeben waren, zu zieren. Nun harrt aber noch die Nordseite des Schiffs mit den dorthin bestimmten Wappen der Vollendung, und für die Herstellung des Innern konnte noch nichts geschehen. Ein neuerdings in öffentlichen Blättern Süd- und Norddeutschlands ergangener Aufruf zu weiteren Beiträgen blieb wegen Ungunst der Zeiten ohne Erfolg, und so wartet die Staufenkirche, gleich dem Hermannsdenkmal bei Detmold, auf eine bessere Zukunft.

Vom Hohenstaufen nach Göppingen ist selbst für den Müden das Wandern eine Lust, mit so lieblichen Bildern umgiebt uns die Natur. Die Sonne neigte sich zum Scheiden, als ich von Göppingen aus noch einmal auf die schönen Linien des Gebirgs zurückblickte, das von der Geschichte so reich gesegnet ist. Hier fand ich den Abschluß meiner Wallfahrt, denn zum Göppinger Schloßbau hat Herzog Christoph von Würtemberg die Steine des Hohenstaufen verwendet. Bewundern wir auch das Baukunststück des sogenannten „Traubenstiegs“, einer steinernen Wendeltreppe, die in der südwestlichen Ecke des Schloßhofs bis oben in den Thurm führt und ein Rebengewinde mit steinernem Blätter-, Trauben- und Thiergestaltenschmuck darstellt, so nimmt am Schlosse selbst noch der vom Hohenstaufen herrührende Steinbilderreichthum unsere Theilnahme vorzugsweise in Anspruch, denn aus ihm spricht der letzte Zeuge dafür, daß die Kaiserburg in Schwaben auch an Pracht und Geschmack keinem der deutschen Fürstenschlösser der Berge nachgestanden.




Blätter und Blüthen.


Saphir in „Krähwinkel“. In jener Gott und dem Clerus gefälligen Zeit, wo es noch keine Preßfreiheit gab, aber auch noch keinen Staatsanwalt, wo die Welt noch in holder süßer Dummheit lebte, schwang der bekannte Humorist M. G. Saphir seine kritische Geißel in Pest. Er wußte aber so eigentlich noch nicht, was er kritisiren sollte, denn alle Diener des Staates und der Kirche, der Cabinets und Bureaus waren gefeit gegen jeden Angriff, weil sie unfehlbar waren.

Wie Zeus dem Dichter, rief daher der Censor dem Kritiker zu:

„Ich habe nichts mehr, es Dir preis zu geben,
Bis auf die kleine Bühnenwelt allein,
Doch hast Du einen Zahn auf’s Künstlerleben,
So beiß’ in’s Teufelsnamen Dich hinein!“

Die Flachköpfe im Staats- und socialen Leben waren also unantastbar, nur die Flachköpfe der Bühne waren vogelfrei erklärt und dem kritischen Wurfgeschoß überliefert. Saphir schoß scharf darauf los. In die große Welt durfte er seine satirischen Pfeile nicht versenden, er schleuderte sie daher auf die Bretter, die die Welt bedeuten, und was ein Hofrath des Cabinets verschuldet, mußte ein Hofrath der Bühne entgelten. Wenn es auch jenen noch so juckte, gekratzt wurde dieser allein. Aber auch damals hatten die Helden der Bühne eine gar feine und empfindliche Haut. Sie brüteten also Rache.

Allerdings waren die Künstler damals noch nicht so gebildet und ehrenhaft, sich für eine kritische Zurechtweisung mit dem Faustrecht des Wegelagerers zu rächen, allein sie rächten sich mit der Waffe des Hohns, der den armen Saphir, wie Scipio, aus einem undankbaren Vaterlande trieb. Er trug, nebenbei gesagt, schon damals seine blonde Titusperücke und goldene Brille, erschien gewöhnlich in hellblauem Frack oder drapfarbenem Oberrock und war in allen Kreisen der Gesellschaft eine bekannte Persönlichkeit. So besuchte er in seinem hellblauen Frack eines Abends das Theater und nahm im Parterre auf dem ihm für alle Vorstellungen reservirten Ecksitz Platz. Man gab Bäuerle’s Posse „Die falsche Primadonna in Krähwinkel“ und das Haus war in allen Räumen überfüllt. Der Vorhang rollte in die Höhe und die ersten Scenen spielten sich ganz ruhig ab, bis der Schauspieler Melchior als Zeitungsschreiber Pfiffspitz erschien. Da aber war es, als ob das ganze Publicum plötzlich von Taranteln gestochen oder vom Lachkrampf überfallen würde, denn mit einem allgemeinen Gejohle wurde der Darsteller der genannten Rolle empfangen. Rufe, wie „Saphir! Bravo Saphir! Bravo! Bravo!“ durchdonnerten das ganze Haus. In der That, der Zeitungsschreiber Pfiffspitz in Krähwinkel war Saphir – vom Scheitel bis zur Sohle. Der blonde Tituskopf – die goldene Brille – der hellblaue Frack – die lichten Beinkleider – das ganze Faungesicht mit dem Stumpfnäschen – nichts war vergessen. Nicht einmal das Spazierstöckchen [704] fehlte, mit welchem das Original dieser gelungenen Copie so zierlich zu fuchteln pflegte.

Höchst entrüstet verließ Saphir seinen Sitz, stürzte zum inspicirenden Polizeicommissär, protestirte energisch gegen diesen provocirten öffentlichen Scandal und stürmte über Hals und Kopf nach Hause.

In Folge der Aufforderung des Commissars wechselte Melchior die Kleidung und legte statt des hellblauen Frackes – seinen drapfarbenen Oberrock an.

Aber auch Saphir war nur nach Hause geeilt, um die Kleidung zu wechseln und der hämische boshafte Zufall wollte, daß in demselben Augenblick, als er in seinem drapfarbenen Oberrock wieder auf seinem Ecksitz erschien, auch Pfiffspitz in seinem drapfarbenen Oberrock wieder die Bühne betrat. Früher hatte das Publicum nur gejohlt, jetzt fing es an zu brüllen und brüllte fort, bis der Vorhang fiel und Saphir wie der rasende Roland durch alle Straßen stürmte.

Für den nächsten Abend war die Wiederholung der Vorstellung angekündigt. Vergebens waren alle Schritte Saphir’s, sie zu vereiteln; es schien, als ob die Behörde Gefallen fände an dem Spaße. Endlich erbat und erwirkte sich der unglückliche Kritiker beim Erzherzog Palatin eine Audienz. In einer wohlgesetzten Rede bewies er, wie seine Person profanirt und dem Hohne des Publicums preisgegeben worden sei und er sich an keinem öffentlichen Ort mehr zeigen könne, wenn ihn ein allerhöchstes Machtwort nicht gegen solchen Unfug schütze.

„Es ist mit sehr leid,“ sagte der Erzherzog, der ruhig und ohne eine Miene zu verziehen die lange Rede angehört hatte, „aufrichtig, es ist mir sehr leid.“

„O, diese Gnade!“ rief Saphir mit freudestrahlendem Blicke.

„Wie gesagt, es ist mir sehr leid, daß ich gestern nicht mit im Theater gewesen bin.“

„Wie?“

„Ich hätte mich gewiß sehr gut unterhalten, denn der Pfiffspitz muß sehr spaßig gewesen sein.“

„Spaßig?“

„Heut’ bin ich leider auch verhindert –“

„Aber die Vorstellung, kaiserliche Hoheit – die Vorstellung –“

„Nun?“

„Ich habe mir geschmeichelt, daß sie auf allerhöchsten Befehl verboten wird –“

„Wie kann ich denn das Stück verbieten, wenn ich es mir morgen selber anschauen will? Ich muß mich ja überzeugen, ob der Melchior wirklich so famos den Saphir spielt.“

„Kaiserliche Hoheit sprechen mein Todesurtheil.“

„Ach, gehen’s!“ erwiderte der Erzherzog gutmüthig lächelnd. „Sie sind so ein witziger Kopf, der sich über alle Welt lustig macht, was ist’s denn weiter, wenn man sich einmal auch über Sie ein Bißchen lustig macht? Lassen Sie doch den armen Schauspielern auch ein unschuldiges Vergnügen.“

Verzweiflungsvoll verließ Saphir den Audienzsaal. Abends fand die Vorstellung bei noch gesteigertem Zudrange statt, und am nächsten Tage wurde sie auf allerhöchstes Verlangen angekündigt. Es ist buchstäblich wahr, Saphir war damals so schwach, sich Abends auf der Schlagbrücke vor die Pferde der Hofequipage zu werfen und den Palatin nochmals zu beschwören, der Vorstellung nicht beizuwohnen und sie zu verbieten, aber auch dieser Coup de hazard mißlang und er mußte sich in sein Schicksal fügen. Gleich darauf erschien sein satirischer „Argonautenzug“, eine Flugschrift, in welcher er Alles geißelte, was des Schriftstellers kurze Arme damals erfassen konnten, und einige Tage später hatte er sein Vaterland verlassen. Erst nach zehn Jahren erschien er wieder in Pest, aber noch immer als grollender Jupiter, denn als ich ihn fragte, ob er auf der Pester Bühne keine Vorlesung zu halten gedenke, antwortete er ziemlich frostig: „So undankbar werde ich gegen die Pester Bühne und ihr Publicum nie werden.“




Die Familie des Präsidenten Juarez. Ich war an einen Mr. G. in New-York, einen der Geldkönige der fünften Avenue, empfohlen und verdankte ihm eine Einladung zu einer Abendgesellschaft in seinem Hause, bei welcher ich, wie Mr. G. mit einem feinen Lächeln hinzufügte, Gelegenheit haben würde, einige interessante Persönlichkeiten kennen zu lernen. So fand ich mich eines Abends in den eleganten, mit schweren Teppichen belegten, hell beleuchteten Salons inmitten eines Damenflors, welcher durch die eigenthümliche Zusammensetzung seiner Elemente, die verschiedenen an mein Ohr dringenden fremden Sprachidiome, zugleich durch eine unverkennbare Uniformität des Geschmackes hinsichtlich der Toiletten mich anfangs mehr zur ruhigen Beobachtung stimmte.

„Missis Juarez – Sennora Romero – Miß Juarez – Sennor Romero,“ dies die vorstellenden Worte meines liebenswürdigen Wirthes, Mr. G., an dessen Arm ich einer Gruppe gegenüber stand, deren einzelne Persönlichkeiten mir eigenthümlich und interessant erschienen.

Missis Juarez war nämlich Niemand anderes, als die Frau des Präsidenten Juarez; man kann daher denken, wie sehr sie und ihre Begleitung mein Interesse in Anspruch nahm. Frau Juarez ist eine jener Erscheinungen, die, ohne schön und imponirend zu sein, sich schwer vergessen. Mittelgroß, mehr schlank, ist sie von edlem Anstande und einfachen, ruhigen, natürlichen Bewegungen welche stark contrastiren mit der Beweglichkeit, die ich sonst bei Mexicanerinnen angetroffen und die, wie es mir scheinen will, eine specifische Eigenschaft des eingewanderten spanischen Elementes gegenüber der fast apathischen Ruhe und Unbeweglichkeit des eingeborenen Vollblut-Indianers ist, welche derselbe bis auf den heutigen Tag unverändert bewahrt hat. Das Gesicht der Dame ist ein unvollkommenes Oval, in welchem hervorragende Backenknochen und Kinn etwas unschön die sonstige Harmonie des Kopfes stören, da mandelförmige tiefbraune Augen, schön gezeichnete Augenbrauen, eine schöne kühn gebogene Nase und ein fein angelegter Mund ein Ganzes bilden, das nicht verfehlt, eine angenehme Erinnerung zurückzulassen. Das tiefschwarze Haar ist einfach gescheitelt und die fast weiße Gesichtsfarbe sticht merklich von dem gelb-bräunlichen Incarnat der Töchter ab, von denen, außer der Sennora Romero – der Frau des mexicanischen Gesandten in Washington – ich noch zwei jüngere kennen zu lernen das Glück hatte.

Die Präsidentin ist ungefähr vierzig Jahre alt, sehr einfach gekleidet, mehr beobachtend und äußere Eindrücke in sich aufnehmend, als sprechend, und zwar dann in der bilderreichen Art, wie sie dem Indianerstamme eigen. Die Conversation wurde, namentlich von dem größeren Theile der anwesenden Herren, unter denen mir auch der Vicepräsident der Republik Venezuela gezeigt wurde, spanisch geführt; die Damen sprachen theils französisch, theils englisch, doch hörte ich auch Deutsch und Italienisch, so daß in der That ein buntes Conglomerat lebender Sprachen an meinem Ohr vorüberzog, als einige Stunden später die Unterhaltung lebhafter und mannigfaltiger wurde. So cursirte in der Gesellschaft ein Ausspruch der Präsidentin, welcher, sich auf das Schicksal des Kaisers Maximilian beziehend, heute charakteristisch ist, da derselbe einen Rückschluß auf die Gesinnungen des Präsidenten Juarez vor etwa sechs Monaten, also lange vor Maximilian’s Tode, gestattet. Ich muß nämlich bemerken, daß ich Anfang April in New-York war, während bekanntlich die Hinrichtung des unglücklichen Kaisers am 19. Juni zu Queretaro statt hatte.

„Es würde,“ so sagte Frau Juarez, „dem Präsidenten, meinem Gemahl, Schmerz und Betrübniß bereiten, wenn der Geist dieses Prinzen Maximilian von Habsburg über die blumenreichen Pfade meines Vaterlandes dahinschwebte.“ Mit andern Worten heißt das: der Präsident Juarez, auf dessen Seite Anfang April dieses Jahres der Erfolg noch lange in dem Maße nicht war, wie nach Einschließung und Uebergabe des Klosters La Cruz, hatte nicht die Absicht, Maximilian zu tödten, ja es beängstigte ihn – und man kann annehmen, daß diese Frau mit den Intentionen ihres Gemahls vertraut ist – schon damals der Gedanke, Maximilian ermordet zu wissen, und er fürchtete, ganz dem Aberglauben und der beflügelten Phantasie des Indianers angemessen, eben Banquo’s Geist.

Werfen diese wenigen Worte nicht ein charakteristisches Streiflicht auf die später eingetretenen Ereignisse, auf das Zögern des Präsidenten, das Bluturtheil zu unterzeichnen, bis er endlich dem Andrängen Escobedo’s, Romero’s, seines Schwiegersohnes, ja eines großen Theiles der mexicanischen Bevölkerung, nicht mehr zu widerstehen vermochte und er gezwungen war, sich der Macht der herrschenden Persönlichkeiten, vornehmlich wohl aber der öffentlichen Meinung zu fügen?

Inmitten dieser glänzenden Toiletten, unter diesen blitzenden Diamanten und noch blitzenderen Augen waren es doch fast nur ernste, bange Gedanken, die mich beschäftigten, der ich Zeuge gewesen war des Abschieds, den die Bevölkerung von Triest dem geliebten Erzherzoge Max und seiner Gemahlin bei ihrer Abreise zu Theil werden ließ, der ich so manchen lieben Bekannten – heute so manchen Gefallenen – unter den Officieren der österreichischen Legion zählte und so ganz und gar nicht im Stande war, mich auf den starren politischen Standpunkt der Männer zu stellen, welche die Zeit nicht erwarten zu können schienen, in der Juarez’ starke Hand zermalmend die Acteurs dieser Napoleonischen Tragödie treffen würde.
Eduard S…




Kleiner Briefkasten.


M. in B..n. Die Skizze über Contreadmiral Jachmann werden Sie in der nächsten Nummer abgedruckt finden.
D. Red.




Inhalt: Der Habermeister. Eine Geschichte aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Aus den Gärten und von den Bergen. Nr. 2. Die Weinlese am Rhein. Von Ferd. Heyl. Mit Illustration. – Im Feldlager König Theodor’s von Abessinien. Von M. Th. v. Heuglin. – Wiege und Grab deutscher Kaiserherrlichkeit. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Saphir in „Krähwinkel“. – Die Familie des Präsidenten Juarez. – Kleiner Briefkasten.




Von dem Autor „Das Geheimniß der alten Mamsell“ erschien so eben in zweiter Auflage:


Goldelse.


Roman von E. Marlitt.
Preis 1 Thlr. 21 Ngr.

Daß, nachdem dieser Roman durch die Gartenlaube bereits von Hunderttausenden gelesen wurde, schon nach kaum sechs Monaten seines Erscheinens als Buch eine zweite Auflage nöthig geworden ist und eben eine englische Uebersetzung desselben vorbereitet wird, spricht für Interesse und Bedeutung des Werkes besser als jedwede buchhändlerische Anpreisung.

Leipzig, October 1867.
Ernst Keil.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Ueber die Rechtspflege des Königs erzählt man sich verschiedene pikante Geschichten. Als er das eroberte Reich wieder in den Friedenszustand versetzte, erließ er ein Edict, durch welches er Allen, die mitgekämpft hatten, gebot, die Waffen niederzulegen und wieder zu dem Gewerbe ihrer Väter zurückzukehren. Kurz nach Veröffentlichung des Edicts meldete sich eine Bande unverbesserlicher Straßenräuber aus Chasba bei ihm, welche ebenfalls auf Grund dieses Erlasses das Recht, zu dem Gewerbe ihrer Väter zurückzukehren, reclamirte.

    „Und was waren denn Eure Väter?“ frug der König arglos.

    „Straßenräuber,“ entgegneten frech die Bittsteller.

    Theodor sagte ihnen, sie würden besser thun, Ackerbau und Viehzucht zu treiben, wie die meisten ihrer Landsleute, er wolle ihnen dazu Pflüge und Ochsen geben; die Banditen pochten jedoch auf das Edict und gingen nicht davon ab.

    „Nun gut, so thut, was Ihr nicht lassen könnt, bleibt bei dem Gewerbe Eurer Väter,“ sprach der König und verabschiedete die Leute.

    Diese kehrten triumphirend in ihre Heimath zurück und freuten sich, daß sie ihrer Meinung nach den Negus eingeschüchtert hätten; sie waren aber noch nicht weit gekommen, als sie von einem Trupp Reiterei eingeholt und niedergesäbelt wurden, während der Anführer des Trupps ihnen zurief: „Da Ihr bei dem Gewerbe Eurer Väter bleiben wollt, so wollen auch wir dies thun, denn unsere Väter waren schon von König Lalibela dazu angestellt, das Land von Räubern zu befreien.“ –

    Die Familie eines Ermordeten hat in Abessinien das Recht, den Mörder wieder umzubringen, begnügt sich indessen gewöhnlich mit einer Entschädigung in Geld; kann der Schuldige diese nicht bezahlen, so sammelt er öffentlich, von dem Oberhaupt der Familie des Ermordeten begleitet, so lange, bis er die zur Erkaufung seines Lebens nothwendige Summe beisammen hat.

    Eines Tages wurde ein Soldat vor den König Theodor geführt, welcher zwei reisende Kaufleute ermordet hatte.

    „Warum hast Du diese Leute getödtet?“ frug der Negus.

    „Ich hatte Hunger.“

    „Konntest Du ihnen denn nicht blos das zur Stillung Deines Hungers Erforderliche wegnehmen und sie weiterziehen lassen?“

    „Wenn ich sie nicht getödtet hätte,“ entgegnete naiv der Soldat, „so würden sie ihr Hab und Gut vertheidigt haben.“

    Der über diesen Cynismus empörte König ließ dem Missethäter sofort beide Hände abhauen und auf einer Schüssel vorsetzen, indem er rief: „Du hattest ja Hunger, so iß jetzt!“ –

    Als eines Curiosums sei noch eines Zuges gedacht. Nach dem Tode des Prinzgemahls von England benahm sich König Theodor ganz eigenthümlich naiv, indem er eine Gesandtschaft an die verwittwete Königin Victoria schickte und um deren Hand anhalten ließ. Wer weiß, ob sein jetziges Benehmen gegen die Engländer, die Ursache des gegenwärtigen Krieges, nicht zum Theil wenigstens eine Folge des damals erhaltenen Korbes gewesen ist! Wäre die Königin nicht so tief in ihren Schmerz versenkt gewesen, sie hätte sicherlich herzlich über diesen Antrag lachen müssen; ihre Unterthanen haben sich desto mehr darüber amüsirt.
    … r.
  2. Wir sind dem Verfasser für seinen interessanten Artikel zu besonderem Danke verpflichtet; im Uebrigen verweisen wir auf sein binnen Kurzem (bei H. Costenoble in Jena) erscheinendes Werk: „Reise nach Abessinien, den Gala-Ländern, Ost-Sudan und Chartum in den Jahren 1861 und 1862“, das, mit zehn Illustrationen in Farbendruck und Holzschnitten nach J. M. Bernatz geschmückt, die Erlebnisse und die wissenschaftlichen Resultate seiner Reise in Ostafrika behandelt und allen Freunden ethnologischen Wissens angelegentlich empfohlen sei.
    D. Red.