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Die Gartenlaube (1871)/Heft 4

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1871
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 4.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Pulver und Gold.
Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Diese Fahrt mit uns wird Sie um Ihre Popularität im Lande bringen, Fräulein Kühn!“ sagte ich. „Und wenn unglücklicher Weise unsere Truppen bei weiterem Vorrücken dieses Thal hinaufziehen würden, wird man Sie beschuldigen, uns den Weg gewiesen zu haben … fürchten Sie das nicht?“

„Nein,“ sagte sie kurz, „meine Landsleute kennen mich.“

Der Geistliche mischte sich in’s Gespräch, und Fräulein Blanche verhielt sich schweigsam, bis wir Colomier erreicht hatten. Dies war wirklich ein Punkt von großer Schönheit. Es war ein rundum fast ganz abgeschlossener Bergkessel, dessen Grund smaragdgrüne Wiesenmatten bildeten. Im Hintergrunde lag ein Gehöft, dicht an eine Felswand geschoben. Rechts davon schoß der Fluß aus einer schmalen Felsenspalte hervor, tosend und schäumend; von dem Gehöft führte eine hochgeschwungene Brücke über ihn fort auf eine Waldwiese, die von dunklen Tannen umstanden war, und von diesem Hintergrunde hob sich ein hübscher geräumiger Pavillon mit seinem hohen, spitzen Schieferdach ab. Ein kleiner, auf den Fluß hinaus sich erstreckender Altan mit einer von Reben umrankten Veranda vollendete das hübsche Architecturbild, das dies schmucke kleine Gebäude bildete.

Die rings umher malerisch gelagerten Felsmassen waren bis zur halben Höhe von einer reichen Vegetation überzogen und verhüllt; sie waren gekrönt von den mächtigen grauen Mauern des alten Schlosses von Colomier, auf dem einst – der geistliche Vetter, der in der Geschichte bewanderter schien, als in der Geographie, hatte es behauptet – die alten Herzoge von Hochburgund zeitweise ihren Sitz gehabt.

Wir fuhren auf den Hof der „Ferme“, in welchem die sinkende Nachmittagssonne bereits sehr tiefe Schlagschatten warf. Bei einer kleinen Berathung, welche entstand, ob wir zuerst in den Pavillon einkehren oder gleich den Weg zur Burg hinauf antreten sollten, bat ich dringend um das Letztere, da der Weg die beträchtliche Höhe hinauf viel Zeit in Anspruch zu nehmen und der Abend zu kommen drohte. Man gab mir nach und wir begannen die Wanderung, während Friedrich mit seinem das Vesperbrod enthaltenden Korbe den Auftrag erhielt, sich den Pavillon von den Leuten der Ferme öffnen zu lassen und dort vorsorglich Alles herzurichten.

Ich brauche unsern Weg nicht zu beschreiben; man weiß, daß alte Burgruinen mit einiger Anstrengung der Kniemuskeln und der Lungen genommen sein wollen. Ich sage nur, daß es ein ganz heilloser Ziegenpfad war, den wir zu erklimmen hatten; desto heiterer war die Stimmung, welche er hervorrief; ich wagte es, Fräulein Blanche den Arm zu bieten, und sie nahm ihn ohne Zögern. Als wir endlich oben im Bereich der Ruine angekommen waren und durch das noch wohlerhaltene Portal, welches die ehemalige Vorburg von der Hauptburg geschieden, in den Hof traten, eröffnete sich uns ein prachtvoller Ausblick über das dunkle tannenumhegte Thal, den sich windenden Flußlauf tief zu unseren Füßen, die nächsten Höhen und ein gutes Stück des alten schönen und reichen burgundischen Landes.

Ich war in einer ganz eigenthümlichen Erregung, in etwas von einem seligen Rausch; daß Blanche mit einer Art von Hingebung, welche vielleicht nur Folge der Ermüdung war, ihren Arm in dem meinen ließ, hatte sicherlich seinen Theil daran. Wir standen lange stumm, jeder wie mit dem schönen Bilde vor uns beschäftigt, von ihm erfüllt und entzückt; aber ich muß gestehen, daß ich im Grunde nur an sie dachte, nur von ihr erfüllt war.

Nach einer Pause sagte sie: „Nun, geben Sie mir Recht?“

„Recht? Worin? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich in einer so tiefen Friedensstimmung bin, daß ich allen Krieg vergessen habe und Jedermann Recht geben möchte? Sind wir in Etwas verschiedener Meinung?“

„O, in tausend Dingen, denk’ ich,“ versetzte sie mit einem weichern mildern Tone, als ich ihn noch von ihr vernommen.

„Und doch könnt’ ich über kein einziges mehr mit Ihnen streiten. Wenn ich auch tausendmal Recht dabei hätte, was nützte es mir? Sie wissen, daß Macht vor Recht geht – und die Macht haben Sie!“

„Die Macht hätte ich?“ sagte sie rasch und erglühte dann in jenem mädchenhaften Erröthen, in jener Verlegenheit, über ein zu rasch gesprochenes Wort, das eine Antwort hervorlocken kann, die man durchaus nicht hervorlocken möchte.

Der Abbé hatte das Zwiegespräch, das ich gern fortgesetzt hätte, gestört; wir sprachen von anderen Dingen; der Geistliche nannte die einzelnen Punkte und Orte, welche wir in der Ferne erblickten. Er wurde dabei sehr beredt und ausführlich; ich sah zu meiner Beunruhigung, wie die Sonne dem Horizont zusank und ihr unterer Rand beinahe schon die blaue Wellenlinie der fernsten Höhen im Westen berührte.

Endlich unterbrach ich ihn, um an die Rückkehr zu mahnen. Blanche schien sich nicht losreißen zu können; sie stand noch lange [58] wie gefesselt von dem Anblick des vor uns ausgebreiteten Bildes, dem der Sonnenuntergang mit seinen magischen Tinten eine wunderbare Schönheit gab. Als wir endlich den Rückweg antraten, dämmerte es bereits; das schwierige Niedersteigen auf unserem Bergwege, wobei sich Fräulein Blanche mit einer gewissen Zerstreutheit oder, um es so auszudrücken Traumverlorenheit ganz meiner Führung überließ, nahm eine geraume Zeit in Anspruch. Als wir endlich unten angekommen waren, flammte uns Licht aus dem Pavillon entgegen; durch die offene Eingangsthür sahen wir eine brennende Lampe, die einen gedeckten Tisch beleuchtete. Friedrich, schien es, hatte das Alles ganz hübsch arrangirt; der Einfall, ein hellprasselndes Kaminfeuer in dem kleinen Salon anzuzünden, rührte jedoch wohl von den Pächtersleuten her. Jedenfalls erhöhte es bedeutend die Behaglichkeit des hübschen, mit einer bescheidenen, aber zum Bewohnen völlig hinreichenden Einrichtung versehenen Raumes. Wir nahmen an dem runden Tische in der Mitte Platz, der Abbé machte die Honneurs des kleinen Mahls und schenkte mir dabei von einem feurigen Burgunderwein ein, der nach unserer mühsamen Fußwanderung doppelt verführerisch war. Fräulein Blanche aß und trank wenig; sie wandte sich bald ab, der Flamme zu, in deren Flackern und Prasseln sie blickte; sie überließ uns Männer unserer lebhaften Unterhaltung, die der Abbé mit großer Redseligkeit im Schwunge hielt; es schien, als ob der feurige Burgunder ihn völlig aufgethaut habe. Nur zuweilen streifte mich Fräulein Blanche mit einem wie forschenden Blicke, der nichts dazu beitrug, das Gefühl von innerem Glücke zu mindern, das ich in dieser meiner traumhaften Situation empfand. Denn war es nicht in der That, als ob ich mich in einem Traume befinde – hierher in dies stille ferne Felsenthal gezaubert, wo das Rauschen der Tannen im Abendwinde und das Schäumen des nahen Berggewässers und das Prasseln der Kaminflamme sich zu einem eigenthümlichen Liede von dem Zauber der fernen Fremde verband, und Fräulein Blanche mit ihrer hinreißenden Schönheit als die Zauberin dasaß, mit der der bewegte Schein der Kaminflamme im neckischem Spiele scherzte, der das Tannenrauschen seine geheimnißvollen Weisen vorsang, der das Gurgeln und Schäumen des Gewässers dunkle Kunde zurief vom Leben und Weben da draußen im tiefen Gestein, von Allem, was sich berge in den dunklen Felsklüften?

Ich muß gestehen, ich hatte nie in meinem Leben eine Stunde, in welcher ich das Herz so erfüllt fühlte von der Poesie romantischer Schwärmerei, von so süßer Traumseligkeit, von solchem Glückvertrauen.

Ach, weshalb mußte so bald Friedrich in der Thür erscheinen und mir Blicke voll stummer Mahnung zuwerfen? Aber freilich, er hatte Recht; es war sicherlich sehr spät; ich sah nach der Uhr; sie zeigte Zehn und ein Viertel! Das war freilich mehr, als ich erwartete!

Der Abbé füllte mein Glas und reichte auch Friedrich eines, als ich an den Aufbruch gemahnt; dann sah er nach seiner Uhr und sagte:

„Es wird halb elf Uhr werden, bevor die Pferde eingespannt sind und wir abfahren können. Wir haben bis nach Hause zwei Stunden zu fahren; wir würden also erst um halb ein Uhr ankommen. Was denken Sie dazu, Blanche?“

„Wenn es so spät ist, können wir nicht mehr heimfahren,“ versetzte sie. „Wir dürfen nicht mitten in der Nacht die Mutter stören … sie hatte gestern eine so üble Nacht, wir dürfen ihr den stärkenden Schlaf der jetzigen nicht rauben!“

„Sie haben Recht, Cousine,“ fiel der Abbé eifrig ein, „wir sind ja hier wohl aufgehoben. Wozu noch heimkehren?“

„Aber ich darf nicht über Nacht meinen Posten verlassen,“ warf ich ein wenig erschrocken über diesen Entschluß ein.

„Ihr Posten ist in vollständiger Sicherheit in Chateau Giron,“ antwortete der Abbé; „ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ihm Nichts geschehen wird. Deshalb unterwerfen Sie sich ruhig der Entscheidung unserer Dame. Wir haben wohl eingerichtete kleine Schlafzimmer hier, genug für eine größere Gesellschaft, als wir drei bilden; sehen Sie hier das Ihre!“

Er stand auf und öffnete eine Seitenthür; es war ein ganz hübsches Schlafcabinet, mit einem Bett in einer Mauervertiefung, worin er mich blicken ließ.

Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich schon viel zu sehr im Bann meiner Zauberin lag, um lebhaften Protest zu erheben. Wer hätte auch eine solche Stunde abkürzen mögen, ehe es nöthig; wer das Motiv, daß die leidende Mutter so spät nicht gestört werden dürfe, bekämpfen können. Ich ließ mich bereden, ich leerte das neugefüllte Glas; ich nahm, da Fräulein Blanche zuredete, auch die Cigarre, die der Abbé mir bot. Wir begannen von Neuem zu plaudern; aber sehr bald schon erhob sich Fräulein Blanche, um uns gute Nacht zu wünschen und sich in das Mansardenstockwerk nach oben zurückzuziehen, wo ihre Gemächer lagen; der Abbé hatte für sich ein ähnliches Cabinet wie das meinige und diesem gegenüber zur Seite des Salons liegend.

Blanche warf, als sie an mir vorüberging und mir mit einer Verbeugung gute Nacht wünschte, einen ganz eigenthümlichen Blick auf mich.

Seltsam – es lag etwas von Mißvergnügen, Unzufriedenheit, fast möchte ich sagen Verachtung in diesem Blick und den dabei leise aufgeworfenen Lippen … was hatte ich verbrochen?

Der Zauber der Stunde war verschwunden, als sie gegangen; ich ward still, ich ließ den Abbé reden, und als er mich aufforderte, ebenfalls die Ruhe zu suchen, beeilte ich mich, ihm zu gehorchen. Friedrich, der sich in der Nähe der Thür aufgehalten, war sofort zur Hand, mir beim Auskleiden behüflich zu sein, und wir waren bald in meinem Schlafcabinet allein.

„Die haben’s gleich darauf angelegt, uns hier zu halten!“ sagte Friedrich.

„Glaubst Du? Und woran siehst Du das?“

„Sehen Sie’s nicht … das Bett ist ja aufgemacht, die Spreite abgenommen; das muß die Pächtersfrau, schon ehe wir kamen, gethan haben.“

Ich setzte mich und blickte das aufgemachte Bett mit der fortgenommenen „Spreite“, wie Friedrich das nannte, sehr tiefsinnig fragend an.

„Was denkst Du, Friedrich?“ sagte ich.

„Daß man uns aus unserer Wohnung forthaben wollte und daß dort jetzt etwas geschieht, was wir, wenn wir da wären, vielleicht nicht geschehen ließen.“

„Glauroth wird die Zimmer nicht verlassen!“

„Ob auch über Nacht nicht? Wer weiß! Und er ist allein!“

„Ah bah!“ sagte ich, „ich bin überzeugt, daß dies Mädchen nicht daran denkt, mich betrügen zu wollen! Ich möchte die Hand darauf in’s Feuer strecken, daß sie nicht so arge Perfidie begehen kann …“

„Und bauen Sie so auch auf die Ehrlichkeit des Herrn Abbé?“

„Der Herr Abbé ist kein großes Licht, Friedrich, und thut, was das Fräulein will. Im Uebrigen kommt es ja auf das Alles nicht im Mindesten an. Meine Dienstpflicht verlangt, daß ich nicht über Nacht von meinem Posten fort bin; also mag dies Bett aufgemacht sein, wann und wozu es will, es ist sicher, daß ich nicht darin schlafen werde; wir müssen marschiren, Friedrich, und das sogleich.“

„Wir werden heimkehren?“ rief Friedrich aus.

„Hast Du daran gezweifelt?“

„Herr Vicewachtmeister, es ist ein sehr langer Spaziergang durch die Nacht!“

„Freilich; aber die Nacht ist ziemlich hell und der Weg gut. Also komm!“

„Ohne Abschied?“

„Sollen wir sie stören und erschrecken und am Ende gar zwingen, aus Höflichkeit auch heimzukehren, was sie doch ungern thun? Geh’ hinüber, sag’ den Leuten auf dem Pachthofe, wir seien gezwungen, heimzukehren; bring’ mir bei dieser Gelegenheit meinen Ueberzieher, der im Wagen liegt, und folge mir damit. Ich gehe vorauf.“

Ich nahm Mütze und Handschuhe und verließ möglichst geräuschlos den Pavillon. Friedrich eilte davon und hatte mich sehr bald, nachdem er meinen Auftrag ausgeführt, wieder eingeholt.

Wir schritten rüstig vorwärts. Es war kein Mondenschein, der Himmel auch nicht wolkenfrei, doch sternenhell genug, daß wir unsern Weg und die nächsten Umgebungen deutlich erkannten. Die Kühle der Nacht erleichterte das Gehen; so wanderten wir in einem wahren Attaquenschritt voran, die Säbel in den Scheiden um des leichteren Gehens willen geschultert, mit den Sporen auf dem Chausseepflaster, das bis in das Felsenthal von Colomier sich [59] erstreckte, klirrend. Der Bergfluß rauschte rechts neben uns, unter uns; von links her verdunkelten die Felswände unsern Weg; – ein leiser Zugwind, der das Thal durchstrich, flüsterte in den Bäumen, Stauden und dem Gestrüpp auf den Bergwänden oben.

So waren wir eine halbe Stunde geschritten; wir näherten uns dem Weiler mit der Mühle, dessen ich erwähnt habe; er lag friedlich, lautlos, wie in den tiefsten Schlummer begraben da; aber zu meiner Ueberraschung sollten wir nur zu bald den Beweis erhalten, wie sehr wir uns über diesen Schlummer täuschten. Als wir die Mühle passirt hatten und bereits dem Ende des Ortes nahe gekommen waren, wo die Chaussee eine Wendung machte, sahen wir einen breiten Streifen Licht auf unsern Weg fallen. Er kam aus einem größeren, dem letzten oder vorletzten Hause, dessen Thür offen stand; wir hörten laute, durcheinander eifernde wie trunkene Stimmen; zugleich stürzte sich ein Bauernhund aus der offenen Thür uns mit wüthendem Gebell entgegen; dies lockte ein paar Männer in blauen Blousen mit den Ledergürteln der Franctireurs auf die Schwelle; wir mußten durch die Lichtzone vor ihnen an dem Hause vorüberschreiten; sie erkannten uns, sie erhoben ein Geschrei, stürzten in’s Haus zurück, in dem ein unbeschreiblicher Lärm folgte – wir beschleunigten natürlich auf’s Aeußerste unsern Schritt, im Gehen unsere Säbel, die einzigen Waffen, die wir führten, lockernd; aber wir waren nicht vierzig Schritte weiter gekommen, als ein Schuß fiel, eine Kugel über uns dahin pfiff – dann noch eine, dann zwei, dann ein halbes Dutzend – mir war, als erhielte ich eine flüchtige Berührung am linken Oberarm; im Uebrigen waren die Kugeln harmlos, sie pfiffen weit über unseren Köpfen in die Luft dahin.

Friedrich’s Fortbewegung war längst aus dem Schritt in den gestrecktesten Trab übergegangen – in der That war an Widerstand wider einen solchen Haufen Menschen mit Feuerwaffen nicht zu denken; ich sprang ihm nach, und wieder an der Seite meines Begleiters, rief ich ihm zu:

„Am Ende werden wir doch getroffen, wenn wir ihnen sichtbar auf der Chaussee bleiben – wir müssen uns trennen – lauf’ Du rechts, ich will mich links durch die Weinberge da oben retten!“

Wir hatten eben ein links von der Chaussee zwischen dieser und den Bergwänden schräg auflaufendes Terrain erreicht – ich warf mich da hinein und eilte zwischen den hindernden Rebenpfählen, durch Rankenwerk, über kleine Scheidemauern der Weingärten, über hundert Hindernisse fort … ich hatte wenigstens die Sicherheit, daß ich nicht gesehen wurde und so dem weitern Feuer der Verfolger nicht ausgesetzt sei; aber ich hatte freilich die schwierige Aufgabe, trotz aller meiner Hindernisse schneller zu sein als sie, die die freie Chaussee vor sich hatten – ich hörte sie mit Schreien, und Rufen da unten laufen und rennen.

„Schießt – schießt – schießt auf die Hunde – schießt – Tod den Prussiens!“ hörte ich sie unter mir brüllen; nach einer Weile fielen wieder zwei Schüsse, die aber, wenn sie nicht etwa auf Friedrich gezielt worden waren, völlig in’s Blaue gingen; ich vernahm wenigstens nichts von den Kugeln; das Alles jedoch war völlig hinreichend, um mich mit dem äußersten Aufgebot meiner Kräfte über den fatalen Boden von Kies und Geröll, der gar keinen festen Schritt thun und mich alle Augenblicke wider die Rebenpfähle anfahren ließ, weiter zu rennen. Ich mußte, um mich zu retten, durchaus das Ende dieser Weinpflanzungen eher erreichen als meine Verfolger; kam ich später als sie an, mußte ich vor ihren Augen wieder auf die Chaussee hinunter, so war ich verloren.

Es war eine entsetzliche Jagd. Ich war zuweilen, wenn ich das wüste Gerufe der Franctireurs hörte, nahe daran, das Wettrennen aufzugeben und mich niederzuwerfen, mit der Hoffnung, daß sie mich da ruhig liegen lassen würden, um weiter zu rennen. Aber ich hörte hinter ihnen dann den Hund bellen; die Bestie würde mich gewittert haben; ich mußte weiter, mit schon halbgebrochener Kraft, mit geschwundenem Athem, vorwärts, so lange meine Kniee mich trugen!

Zum guten Glück war die von Weinbergen bedeckte Terrainstrecke lang – vielleicht eine Viertelstunde und noch länger; als ich das Ende erreicht hatte und nun einen steilen Hang, der zur Chaussee niederführte, hinab mehr stolperte oder flog als lief, hatten meine Verfolger die Jagd aufgegeben; ich hörte nichts mehr von ihnen als nur dann und wann das Anschlagen des Hundes – es schien, sie kehrten zu ihrem Weiler, ihrer Schenke zurück, und ich konnte aufathmen!

Vergebens sah ich mich nach meinem Burschen um. Ich lauschte … dann rief ich halblaut – lauter … aber nichts war zu hören. Ich schritt eine Weile langsam fürbaß; dann rief ich wieder – endlich antwortete mir ein leifer Pfiff, der unser Signal „Sammeln!“ nachahmte. Erfreut antwortete ich; ein „Ich komme!“ schallte von drüben des Flusses herüber. Rasch ging ich zum Gewässer hinab; als ich den Rand erreicht, sah ich von der andern Seite her Friedrich tapfer hineinstapfen, – das Wasser reichte ihm bis an die Kniee und schäumte um seine Schenkel; ich streckte ihm meine Säbelscheide entgegen; er ergriff das Ende, und im nächsten Augenblicke war er glücklich an meiner Seite.

„Gott sei Dank, daß Sie heil und lebendig geblieben,“ sagte er aufathmend. „War das ein Dauerlauf! Ich habe mich, als wir auseinanderliefen, gleich durch das Wasser gestürzt; ich wußte schon, die Kerle würden’s mir nicht nachmachen! Das Franzosenzeug hat etwas von der Katzennatur, durch’s Wasser geht es nicht, und wenn’s regnet, läßt es die Ohren hängen! Diese verfluchte Spitzbubenbande! Ich danke nur dem Himmel, daß ich Sie so bald wiedergefunden habe; Sie haben wohl heillos Fersengeld gegeben! Sie waren mir im Nu aus den Augen, als unser Rennen anging; ich machte mir schon bittere Vorwürfe, daß ich Sie verlassen habe, als ich Sie oben nicht gleich wiederfand; wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre … aber Gottlob, wir sind heiler Haut diesem tückischen Räubergesindel entkommen.“

Friedrich sprudelte das Alles in großer Aufregung hervor, während wir von dem Bachufer aufwärts gingen, um die Chaussee wieder zu erreichen.

Ich sagte, im Gehen ein wenig hinter ihm zurückbleibend, weil ich mich plötzlich furchtbar ermüdet fühlte: „So heiler Haut bin ich, fürcht’ ich, nicht davongekommen … ich fühle einen schändlichen Schmerz an meinem linken Oberarm; ich glaube, daß es weniger ein harmloser Rheumatismus in Folge der Nachtkühle als die Wirkung einer Chassepotkugel ist, die ich ganz ohne Absicht und bösen Willen in der bekannten ‚rasanten Flugbahn‘ gestört habe!“

„Ah … Sie sind doch nicht verwundet? Lassen Sie mich sehen!“ rief Friedrich erschrocken aus.

Ich lauschte, bevor ich stehen blieb; es war nicht das mindeste Geräusch mehr zu hören … nur ganz in der Ferne das Bellen des Hundes noch, und unter uns das Rauschen des Flüßchens. Wir konnten ruhig innehalten und uns die Zeit gönnen, meinen Arm zu untersuchen.

Die Entfernung meiner Kleider bereitete mir einen doppelt heftigen Schmerz; Friedrich führte Zündhölzer in der Westentasche; als er ein paar entzündet, nachdem ich das Hemd von der Schulter niedergezogen und langsam vom Oberarm gelöst hatte, entdeckten wir eine Streifschußwunde, die nach Allem, was ich fühlte, durchaus nicht tief gehen konnte, aber recht häßlich aussah und schmerzte. Friedrich stürzte fort, um in seiner Mütze Wasser zu holen und mir damit den Oberarm zu waschen; dann diente mein Taschentuch zum Verband; ich zog die Kleider darüber, Friedrich ließ sich nicht nehmen, aus seinem Taschentuch mir eine Binde zu machen, in welcher ich den linken Arm tragen mußte; den rechten schob er unter den seinen, damit ich mich darauf stützen und von ihm führen lasse … und nun schritten wir auf’s Neue in die dunkle Nacht hinein.

Friedrich war ein anstelliger und gewandter Mensch, der aber wie eine Million Anderer so ziemlich roh und unbekümmert in den Tag hineinlebte. Und doch war er plötzlich wie ein Bruder für mich, doch entwickelte er eine Theilnahme, einen Eifer, zu helfen, eine Sorge, die mich mit einem Gefühle der Rührung erfüllte. Wie viel Güte, Brüderlichkeit, aufopfernder Hülfseifer und warme Theilnahme schlummert für uns in den Herzen von Tausenden, nein, von fast allen, von der großen Mehrzahl der Menschen, und ist hier immer und fortwährend vorhanden, wenn sie auch nur sich verrathen und erwachen in dem Augenblicke, wo es sich ihnen aufdrängt, wie sehr wir ihrer bedürfen! Und weil der Krieg Tausende solcher Augenblicke schafft, ist er, der roh macht und verwildert, auch wieder ein großes Apostolat des Gemüthes, eine Aussaat der Brüderlichkeit und Menschenliebe, wie es keine stärkere auf Erden giebt. Ich habe in der That nirgendwo mehr Fähigkeit gefunden, weicheren Gemüthseindrücken nachzugeben, als unter – Soldaten!

Wir erreichten das Ende unseres Felsenthales und gelangten in das weitere Thal des Oignon. Das kalte Wasser hatte meine [60] Schmerzen gelindert, ich suchte meine Müdigkeit zu vergessen und so gelangten wir weiter; sehr mühsam freilich und, je mehr wir uns Chateau Giron nahten, desto weniger rasch; aber wir nahten ihm und wir erreichten es auch glücklich; erleichtert athmete ich auf, als wir ein mattes Licht durch die Fenster meiner Zimmer schimmern sahen.

„Glauroth ist auf seinem Posten geblieben!“ rief ich aus. „Gottlob! ich hätt’ es ihm kaum zugetraut!“

Wir erhielten gleich darauf einen weiteren Beweis von Glauroth’s Diensteifer und Umsicht. Er hatte eine Streifpatrouille von zwei Mann nach uns ausgeschickt, die beim Zurückkommen in der Allee vor dem Schlosse auf uns stieß. Als ich dann mein Zimmer betrat, fand ich Glauroth nichtsdestoweniger in meinem Bett tief in den Armen des Morpheus – vorausgesetzt, daß sein entsetzliches Schnarchen nicht den Gott längst veranlaßt, sein Amt irgend einer unglücklichen Untergottheit zu übergeben. Auf dem Nachttisch brannte eine flackernde Lampe; der Chevalier von Faublas lag, von der Decke niedergeglitten, auf dem Teppich. Glauroth fuhr, als wir ihn schüttelten, mit dem Gurgeln einer Wasserorgel in die Höhe und behauptete, keinen Augenblick geschlafen zu haben. Ich drückte ihm meine völlige Gläubigkeit in Beziehung auf diesen Punkt aus und bat ihn nur, mir sein Lager zu überlassen. Zehn Minuten nachher lag ich mit einem Gefühle tiefer Dankbarkeit für meinen Schöpfer mich auf den Kissen ausstreckend, hatte Glauroth kurz die Situation erklärt und sandte ihn von dannen, alle Hülfsleistungen ablehnend. Was mir noth that, was meine Natur gebieterisch erheischte, war nichts als Ruhe, ungestörte Ruhe, das große Heilmittel Schlaf!

Ich fand ihn sehr bald trotz der Schmerzen, die ich noch immer fühlte, diesen heilkräftigen Schlaf, einen Schlaf, so fest und tief, daß der Tag sehr weit vorgerückt sein mußte, als ich am andern Morgen erwachte. Es war wohl kaum Morgen mehr, sondern fast Mittag. Es wurde mir schwer, mich zu besinnen, was geschehen, wo ich sei, und ob es ein Traumbild oder wirklich Fräulein Blanche sei, was mir gegenüber auf einem Sopha saß, über ein Buch gebückt, und jetzt, wo ich erwachte, sich erhebend, einem Klingelzuge in der Ecke zuschreitend und, nachdem sie diesen gezogen, auf mein Bett zukommend, um sich in den Sessel am Fußende niederzulassen.

„Sie sind es?“ sagte ich verwirrt zu ihr aufschauend.

„Wie fühlen Sie sich?“ fragte sie erregt. „Gottlob, daß Sie erwacht sind – daß man Sie verbinden kann, ich wollte nicht zugeben, daß man Ihren Schlaf unterbreche, und nun wurde mir doch Angst bei diesem langen Schlaf.“ …

Ehe ich meine Gedanken so weit sammeln konnte, um zu antworten – wußt’ ich denn selbst schon, wie ich mich fühlte?! –, trat der Abbé ein, gleich nach ihm Friedrich.

„Verstatten Sie mir, daß ich Ihre Wunde untersuche,“ sagte der Abbé; „ich bin ein Stück von einem Arzt, von einem Wundarzt wenigstens – ich hoffe das Nöthigste thun zu können, bis der Hausarzt kommt, der wohl vor morgen, wo er ohnehin Madame Kühn besucht, nicht anlangen wird – er muß den Weg aus Noroy herüber machen und ist so schwer zu haben!“

Dabei und während Fräulein Blanche verschwand, machte sich der Abbé, wie mir schien mit ziemlich geschickten Händen, an die Entblößung meiner Wunde von ihrem Nothverbande; Friedrich schleppte Wasser und das Verbandzeug, welches schon im Zimmer bereit lag, herbei – ich unterwarf mich schweigend der Behandlung.

„Ich glaube, es ist nichts Gefährliches,“ sagte der Abbé; „es ist eine reine Fleischwunde, die bald heilen wird … der Blutverlust hat Sie wohl ein wenig erschöpft?“

„Der Blutverlust oder der Weg!“ entgegnete ich, „oder beides zusammen – ich fühle wenigstens, daß es mich sehr glücklich machen würde, wenn in den nächsten vierundzwanzig Stunden Niemand von mir verlangte, daß ich ein Glied rühren solle!“

„Gewiß wird das nicht der Fall sein!“ versetzte der Abbé, seine Waschung fortsetzend; dann legte er Charpie auf und begann meinen Arm zu verbinden.

„Sie können den Arm frei bewegen?“ fragte er, als es geschehen.

Ich erhob den Arm; ein heftiger Schmerz zog durch die oberen Muskeln, aber die Bewegung war nicht gehindert.

Fräulein Blanche kam zurück und setzte sich in den Sessel, den sie zuerst eingenommen.

„Ich werde Ihre Pflegerin sein,“ sagte sie mit einer eigenthümlichen harten Bestimmtheit. „Ihr Diener hat mir Alles erzählt, was sich ereignet hat, nachdem Sie Colomier verlassen. Ich bin es gewesen, die an diesem Unfall die Schuld trägt – und ich will Ihnen zeigen, wie schwer das auf mir liegt, wie sehr ich Alles thun möchte, es wieder gut zu machen und die Folgen desselben für Sie zu lindern …“

„Und wenn Sie nicht die Schuld trügen?“ fragte ich, langsam meine Gedanken sammelnd.

„Was meinen Sie?“

„Würden Sie dann auch – vorausgesetzt, ich bedürfte einer weiblichen Pflege – mir diese mit derselben Güte bieten?“

Sie sah mich an, ohne zu antworten.

„Sie begreifen,“ fuhr ich lächelnd nach einer Pause fort, „daß das mich sehr glücklich machen würde; wenn Sie mir jetzt jedoch sagen, daß blos das Bewußtsein, schuld an meinem Unfall zu sein, blos das Bedürfniß, dies wieder gut zu machen, Sie zu so viel Selbstverleugnung führt, so antworte ich Ihnen: ich danke Ihnen; die ganze Sache ist nicht so ernst und ich werde sogleich aufstehen, um Ihnen zu zeigen, daß ich wirklich eines so aufopfernden Dienstes nicht bedarf, daß Ihre ‚Schuld‘ in der That nicht sehr groß ist, daß Sie auf das, was mir zugestoßen, durchaus kein Gewicht zu legen brauchen!“

Sie fuhr fort mich schweigend zu betrachten. „Ich verstehe Sie nicht,“ sagte sie dann, wie aus Gedanken auffahrend; „was Sie sagen, ist unfreundlich …“

„Ich will nur sagen, daß ich lieber einen Beweis Ihrer Güte sehen möchte als einen Beweis Ihrer Gewissenhaftigkeit. Doch genug. Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich nicht begreife, wie Sie sich die Schuld meines Unfalls zuschreiben können!“

Sie senkte tief ihre Blicke in mein Auge und sagte dann:

„Sie sind nicht aufrichtig jetzt! Ihr Herz strömt über von einem häßlichen, giftigen Verdacht – doch nein, einem Verdacht, der nur zu natürlich ist! Sie sind überzeugt, daß wir Sie haben in einen Hinterhalt locken wollen; aus den Angaben Ihres Dieners habe ich entnommen, wie die Beobachtung, daß wir von vornherein Sie in Colomier über Nacht halten wollen, Sie aufgeschreckt und veranlaßt hat, im Stillen auf und davon zu gehen! Beweist das nicht Ihr Mißtrauen hinlänglich?“

(Fortsetzung folgt.)




Der Maler der Kinderwelt.


„O Kinderzeit, du frohe Zeit
Voll Frühlingsfreud’ und Frühlingsleid, –
Dein Vogelleben fing ich ein
Und sperrt’ in’s Bilderbuch es ein.“

In Italien brannte der Krieg. Piemontesen und Franzosen hatten im Sommer 1859 die Oesterreicher in mehreren großen Schlachten auf’s Haupt geschlagen, kein Mensch konnte voraussehen, welche Dimensionen der Kampf noch annehmen mochte, darum schien es auch Preußen geboten zu sein, sich für alle Eventualitäten bereit zu halten. Es machte einen Theil seines Heeres mobil und zog die dazu gehörige Landwehr zusammen. Unter den Wehrmännern, die mit Sack und Pack ausrücken mußten, zwar zunächst nicht in’s Feld, doch von Haus und Hof hinaus nach ihren Sammelplätzen in der Provinz, befand sich auch ein junger Berliner Familienvater, welcher sich nicht gar lange erst sein eigenes Nest gebaut hatte. Wehmüthig schied er von seinem trauten Heim, das ihm all sein Glück umschloß – er konnte ja nicht ahnen, daß der Tag von Villafranca sobald schon dem Strauße ein Ziel setzen und damit auch den preußischen Rüstungen Einhalt thun würde. Ehe er sich aber losriß von Weib und Kind, seinem erstgeborenen, der „Knospe, die der Frühling trieb“, ehe er den Tornister umschnallte und sich zu seiner Batterie verfügte, vollendete er ein Werk, das er lange im Herzen getragen, an dem er Monate hindurch in stiller freudiger Arbeit geschaffen hatte. Es stand im

[61] engsten Zusammenhange zu dem, was ihm sein Vaterherz erfüllte und bewegte, denn es schilderte in Bild und Reim eine Reihe von Scenen aus der „Kinderstube“, und das mit so rührender Innigkeit, so wahr, so innig und so reizend, wie es nur ein Mann vermochte, welcher in Haus und Familie lebt und webt, der darin seine Welt, den Mittelpunkt seines Fühlens und Denkens, seines Waltens und Sorgens findet. Zwar meinte der bescheidene junge Künstler in dem Widmungsgedichte des Büchleins, er sei nur

„ – – – ein Landwehrkanonier,
Der besser mit Kanonen schießt,
Als Reim und Poesie ihm fließt.“

doch, die militärischen Qualificationen unseres Artilleristen in Ehren, das Publicum war der Ansicht, an gleichtüchtigen Landwehrbombardieren möchte die große preußische Armee vielleicht keinen Mangel leiden, gleich treffliche Maler und Poeten der Kinderwelt aber dürften dem deutschen Vaterlande nicht alle Tage erstehen.

Bald war das Buch mit seinen sechszehn Bildern aus der „Kinderstube“ in Hunderten von deutschen Häusern und in Tausenden von deutschen Kinderherzen heimisch und sein Urheber mit einem Male ein berühmter Mann geworden. Was hatte die Welt bis jetzt von Oscar Pletsch gewußt? Seit Jahren schon hatte derselbe zwar emsig Pinsel und Palette gehandhabt, hatte manches schöne Bild

„– – – gemalt
Für große Leute alt und klug“,

er war trotzdem nichts geblieben, als einer von den vielen Berliner Künstlern, – jetzt aber zog sein Name durch’s Land von Haus zu Haus, und überall, wo der Segen froher Kindervölkchen bescheert war, da glänzten die Augen und jubelten die Lippen, wenn ein neues Bilderbuch von Oscar Pletsch unter dem Weihnachtsbaume lag.

Oscar Pletsch.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Sehr häufig entscheidet ein glücklicher Wurf über die ganze fernere Laufbahn des Künstlers. So auch bei Oscar Pletsch. Das Büchlein, welches er vor seinem Ausmarsch in’s Lager den Seinen gewissermaßen als Vermächtniß hinterließ, und als „treuer“ preußischer Soldat, den er sich nennt, dem kunstsinnigen kronprinzlichen Paare und dessen erstem Sprößlinge gewidmet hatte – es wirkte bestimmend ein auf seine fernere Künstlerthätigkeit. Nicht Pinsel und Palette mehr sollten fortan seine Conceptionen und Ideen verkörpern, sondern Stift und Buchsbaumplatte; das Gebiet war gefunden, für das ihn die Natur geschaffen und wo seine Lorbeeren grünten, die „goldene Kinderwelt“, die ihm schon immer am besten gefallen. Es war ihm gelungen, wie er selbst so treffend sagt, ihr „Vogelleben einzufangen“ und mit einer Meisterschaft auf dem Papiere zu fesseln, daß dem Beschauer seiner Bildchen der wunderbare Goldduft jener Tage, da „er selber ein Kind war“, wo ihm alle Farben prächtiger glühten und alle Blumen köstlicher dufteten, wo ihm jeder Traum zu einem Himmelsgruße wurde, in der Seele wieder heraufschimmert.

Dem ersten glücklichen Wurfe, dem allerdings die besonderen Umstände und die Aegide, unter welcher er geschah, zu Gute gekommen waren, folgten rasch neue, und bis jetzt war jeder weitere stets zugleich ein Fortschritt gegen den nächstvorhergehenden, was nach einem so glänzenden Debut bekanntlich nicht allemal der Fall zu sein pflegt. Heute, elf Jahre nach dem ersten, sind Oscar Pletsch’s Bilderbücher schon zu einer kleinen Bibliothek angewachsen, deren letzter Band hoffentlich noch recht lange auf sich warten läßt, zu einem „Werke“, das in der Kunstgeschichte seinen charakteristischen und Ehrenplatz behaupten wird. Oscar Pletsch ist im Reiche der Kleinen Meister so gut wie ein Cornelius und Kaulbach in ihrer monumentalen Sphäre. Er ist ein Dolmetsch der Kinderwelt und ihrer kleinen Freuden und Leiden, er hat sich so tief in das Kindergemüth eingelebt, ihm seine Neigungen und Abneigungen, seine Listen und Lüste, seine unschuldigen Geheimnisse und Schelmereien abgelauscht, wie wenige Dichter und Maler vor und neben ihm.

An den Ufern der Spree, im äußersten Nordwesten der mehr und mehr zur Weltstadt erwachsenden Residenz, da, wo, ihrem Lärm und Qualm noch entrückt, augenblicklich ihre letzten Häuser stehen, in einer erst halb vollendeten Straße, der Haidestraße, über deren Lage ich kaum Schutzmann und Droschkenkutscher genügend orientirt fand, hat sich Oscar Pletsch sein Heim gegründet. Er haust dort wie auf dem Lande, hat Licht und Luft und Ruhe, und, das betonte er ausdrücklich, seine kleinen Lieblinge, seine beiden Mädchen, die Modelle zu so manchen seiner reizenden Kindergestalten, können in der unmittelbaren Nähe des freien Feldes, welches das im Bau begriffene Quartier begrenzt, freudiger gedeihen, als drinnen im dunstigen Herzen der Stadt.

Im ersten Stock eines eleganten Hauses zog ich die Klingel. [62] Ein hochgewachsener Mann von etwa vierzig Jahren, dem an den sechs Fuß der preußischen Garde wenig fehlen mochte, mit brünettem Gesicht und braunem Haar und Bart, öffnete mir die Corridorthür. Es war der Künstler selbst. Ohne Zweifel hatte ich ihn in seiner Morgenarbeit gestört, denn er trug sein Rüstzeug, den Bleistift, noch in der Hand; mit der freundlichsten Miene und der gewinnendsten Herzlichkeit jedoch, die auch nicht den leisesten Anflug hatten von jener verdrießlich-vornehmen Reserve, mit welcher Männer von Namen wohl den Besucher empfangen, hieß er mich willkommen und führte mich in sein Allerheiligstes, seine Werkstatt. Wer sich unter dieser aber ein gewöhnliches Künstleratelier mit halb verbautem Fenster, mit Staffeleien und Gliedergruppen, mit seltenen Waffen und Costümestücken, mit antiken Gefäßen und mittelalterlichen Möbeln, mit Cartons und Gypsgliedern und dem ganzen genial-coquetten Chaos dächte, womit der Maler gern den Schauplatz seiner Thätigkeit auszustaffiren pflegt, der würde sich sehr täuschen. Oscar Pletsch’s Atelier ist nichts mehr und nichts minder als das geschmackvoll ausgestattete Arbeitszimmer eines gebildeten und behaglich situirten Mannes; nur die vielen Zeichenmappen in verschiedenen Repositorien, die trefflichen alten Kupferstiche an den Wänden und mehrere plastische Decorationen deuten allenfalls darauf hin, daß man sich in der Wohnung eines Kunstjüngers und Kunstfreundes befindet. Der eigentliche Werktisch unseres Malers ist ein einfaches Stehpult. An ihm componirt er seine herzigen Bildchen, zeichnet sie zuerst in nettester Ausführung mit Bleistift und leicht aufgesetzten Aquarelltönen auf kleine Blätter von feinem Elfenbeinpapier und überträgt sie dann selbst auf die weißgrundirte Buchsbaumplatte, aus welcher der Holzschneider, dem Künstler Linie für Linie nachgravirend, den Bilderstock für die Buchdruckerpresse herstellt. Eine im Entstehen begriffene Holzzeichnung lag auf dem Pulte; offenbar hatte mein Schellen den Maler von ihr abgerufen.

„Einen Augenblick, bitte,“ begann er, „ich will nur rasch noch eine Strichlage vollenden.“ Darauf setzte er sich zu mir auf das Sopha, und jetzt erst frug er nach meinem Begehr.

„Es drängte mich, den Mann von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, der die Welt nun schon seit manchem Jahre mit so sinnigen Gaben beschenkt, uns alle Kinderherzen stiehlt und uns Aelteren die Brust mit süßer Wehmuth füllt, indem er uns auf Momente in ein Paradies zurückzaubert, das uns leider längst verloren ist,“ antwortete ich.

Ein leises Lächeln umspielte seine offenen männlichen Züge. „Das Publicum ist sehr nachsichtig gegen mich,“ erwiderte er mit ungekünstelter Bescheidenheit; „ich habe viel Glück gehabt, mehr, als ich es jemals geträumt habe. Aber glauben Sie, meine Bilder allein sind’s nicht gewesen, die mich en vogue gebracht haben – ohne des Königs Rock wäre ich vielleicht heute noch so unbekannt, wie ich es war, als ich mein erstes Büchlein vom Stapel ließ. Man sah in mir nicht den Künstler, nur den Landwehrkanonier, und das zog, das war etwas Neues. Ein Landwehrmann, der nebenbei, so dachte man, so ganz passabel zeichnen konnte, das erregte Verwunderung und mit ihr Interesse. Daß ich ein Maler von Handwerk war und Zeit meines Lebens eigentlich nichts gethan hatte, als gezeichnet und gepinselt, das vergaß man, obschon ich’s den Leuten in der Vorrede zu meiner ‚Kinderstube‘ deutlich genug erzählt hatte.“

„Daß Oscar Pletsch ein Künstler ist und zwar einer vom echtesten Schlage, darüber waltet heute wohl kein Zweifel mehr ob. Der Landwehrmann ist längst vergessen über dem Maler und Dichter,“ versetzte ich.

„Wenigstens darf ich mir das Zeugniß ausstellen, daß ich redlich gestrebt habe ein Künstler zu werden,“ sagte er ernst. „So lange ich denken kann, war mein Sinnen und Trachten auf nichts gerichtet als auf die Kunst. Das Zeichnen muß mir im Blute gesteckt haben; was ich draußen auf der Gasse sah, was ich auf den Spaziergängen im Thiergarten, am Wasser, auf dem Lande erlebte, hurtig versuchte ich’s auf das Papier zu werfen. Wie hat sich mein guter Vater über diese meine Neigung gefreut! Wie leuchtete sein Antlitz, wenn er den kleinen Zeichner so emsig am Werke sah!“

„Ihr Vater war selbst Maler?“ frug ich.

„Maler nicht eigentlich,“ erwiderte mein liebenswürdiger neuer Freund. „Er war Militär und Hülfszeichenlehrer an der Berliner Artillerieschule, aber er wußte Bleistift und Feder so wacker zu führen wie Einer. Leider war der Gehalt, den ihm seine Stellung einbrachte, kein reichlicher, und der brave Mann mußte von früh bis spät sich abquälen, um durch allerhand Nebenerwerb, durch Kupferstechen von Visitenkarten und dergleichen, für den Unterhalt der Familie – ich hatte noch vier Geschwister – in dem kostspieligen und immer kostspieliger werdenden Berlin zu sorgen. Maler wollte ich werden, nichts Anderes, das stand bei mir fest. Zur Verwirklichung meiner Pläne aber zeigte sich wenig Aussicht. So war ich sechszehn Jahre alt geworden, und mein ganzes Leben ging so zu sagen in Zeichnen auf. Ich versäumte und vernachlässigte die Schule, hielt mich allen Spielen und Ergötzlichkeiten meines Alters fern, um nur fortwährend über Papier und Reißbrett sitzen zu können. Wer nur immer zu uns kam, jeder Besuch, jedes Bettelkind, jede Milchfrau mußte mir zum Modelle herhalten. Ach, es war eine Zeit voller Fleißes und trotz ihrer äußeren Armuth und Hoffnungslosigken voller stiller Seligkeit, deren ich heute noch mit Wehmuth und Sehnsucht gedenke.“

„Und wie entschied sich schließlich Ihr Schicksal?“ unterbrach ich den Erzähler, welchem die Jugenderinnerungen das Herz immer mehr und mehr auf die Lippen drängten.

„Schneller und günstiger, als ich’s nur zu träumen gewagt hatte,“ entgegnete er. „Die Berliner Kunstausstellung im Akademiegebände war eröffnet und brachte unter Anderm ein kleines Bild Bendemann’s und zugleich das Portrait des Meisters. Heute würde mir jenes vielleicht süßlich und sentimental erscheinen – Sie wissen ja, die damaligen Düsseldorfer machten viel in Gefühlsseligkeit – damals entzückte mich’s, und die feinen freundlichen Züge des Malers eroberten mein ganzes Herz. Unter seiner Leitung in Dresden studiren zu können – das ward der höchste meiner Wünsche! Aber wie sollte dies möglich werden? Meine guten Eltern konnten mir ja keine Unterstützung mit auf den Weg geben.

Schon begann ich mit bitterem Schmerze von meinem Lieblingsgedanken Abschied zu nehmen, da trat – ich conterfeite eben mein eigenes trübseliges Gesicht im Spiegel – ein edler Mann zu uns in’s Zimmer, dem meine Bestrebungen schon lange Theilnahme erweckt hatten, und erbot sich großmüthig, mir mit einem Stipendium auf drei Jahre unter die Arme zu greifen. Sprachlos vor Freude stand ich da, – und wenn heute Oscar Pletsch wirklich ein Künstler von echtem Schlage ist, wie Sie meinen, jenem Manne haben er und die Welt es zumeist zu danken. Darum darf ich Ihnen wohl auch seinen Namen nennen: es war der Prediger Seidig, ein wahrer Menschenfreund, der mit aufopfernder Selbstverleugnung – denn er war keineswegs reich und lebte nur von den Erträgnissen seines Amtes – außer mir noch gar Manchem auf der Lebensbahn fortgeholfen hat.

Wie selig zog ich in Dresden ein,“ fuhr der immer wärmer werdende Künstler fort, „wie glücklich vollends war ich, als ich nach kurzem Durchlaufen der Akademieclassen in Bendemann’s Atelier als Schüler eintreten durfte! Was brauche ich Ihnen noch mehr zu sagen von jenen unvergeßlichen Tagen eines ernsten, von Begeisterung getragenen Lernens und Strebens unter gleichgestimmten Genossen, von denen manche, wie Johann Wislicenus, Theodor Grosse, Johannes Zumpe, Heinrich Gärtner und Andere, jetzt in der Kunstwelt sich hoher Geltung erfreuen.“

„Verfolgten Sie schon damals die Richtung, die Sie heute zum allgemeinen Liebling macht?“ warf ich ein.

„Nein, ich malte Portraits, auch verschiedene historische Compositionen in Bendemann’s Atelier und raisonnirte viel über Idealismus und Realismus in der Kunst, wie alle meine Cameraden. Da wurde ich unserm trefflichen Ludwig Richter näher bekannt und durch ihn meinem ureigenen Naturell zurückgegeben. Inzwischen ging aber das letzte Jahr meines Stipendiums zu Ende, und es hieß nun mich auf eigene Füße zu stellen. Zum Glück trug ich in einer Concurrenzausschreibung den Sieg davon und ward mit einer umfangreichen Arbeit, den Illustrationen zu einer Bilderbibel, betraut, die mir auf längere Zeit hin ausreichenden Erwerb verhieß. Da aber kam mir der bunte Rock dazwischen, ich mußte meiner Militärpflicht genügen und mich ein volles Jahr aus meinem Schaffen und – was mich augenblicklich vielleicht noch schmerzlicher drückte – von meiner Braut losreißen. Denn jung wie ich war, hatte ich mich doch bereits auf ewig gebunden. Mit schwerem, schwerem Herzen, das können Sie wohl denken, sagte ich also dem schönen Elbflorenz Valet, um auf dem märkischen Sande den Artillerierekruten zu spielen.“

[63] „Und seitdem sind Sie in Berlin geblieben?“ forschte ich.

„Noch nicht,“ gab mir der Künstler zur Antwort. „Als ich mein obligates Jahr abkanonirt hatte, eilte ich auf Flügeln der Liebe und der Kunst nach Dresden zurück und suchte meine früheren Erwerbsbeziehungen wieder anzuknüpfen. Es wollte mir indeß nicht gelingen, so daß ich nach ein paar Jahren voller Noth und Aerger – den bittersten meines ganzen Lebens – mich kurz entschloß, mein Heil in der Vaterstadt an der Spree zu versuchen. Aller Jammer aber hatte mich nicht abhalten können, mich zuvor mit dem Weibe meiner Wahl zu verbinden – wir mußten uns ja doch haben!

Und nun mußte mir zunächst der Zeichenunterricht, den ich in verschiedenen angesehenen Häusern ertheilte, das nöthige Brod verschaffen. Da kam es denn, wie Sie sich vorstellen können, nicht viel an das eigentliche künstlerische Schaffen; allein nach und nach fand sich doch auch andere Arbeit ein. Ich lernte einen und den andern Buchhändler kennen und erhielt von ihnen allerhand Werke zu illustriren, Volksbücher, Bibeln und andere Bücher mehr. Zum Glück sind manche dieser meiner Jugendsünden heute vergessen, vielmehr wohl gar nicht bekannt geworden, aber sie brachten mir doch, was ich zunächst brauchte, Brod für mich und die Meinen, wenn ich auch oft bis tief in die Nacht hinein am Zeichenpulte stehen mußte.

Für die Meinen, sage ich. Denn inzwischen war mir ein Kind geboren worden und damit das helle Glück in’s Haus gezogen, wie knapp und karg dies auch noch bestellt war. Wenn es die Mutter zu mir brachte, wenn es seine Händchen um mich schlang, wenn es lachte – Gott im Himmel, ich dünkte mich reicher als König Crösus! Und mit dem Kindchen kam auch wirklich der materielle Segen in unser kleines Haus – die Vater- und Mutterseligkeit, die wir empfanden, sie gab mir jene kleinen Bildchen ein, denen ich meinen Namen und mein bürgerliches Gedeihen in der Welt schuldig werden sollte. Meine weitere Laufbahn kennen Sie ja wohl; Sie wissen, daß ich mein erstes Bilderbuch dem ebenfalls durch ein erstes Kind beglückten kronprinzlichen Paar darbringen durfte, und daß dieser günstige Umstand den Grund gelegt hat zu meinen weiteren Erfolgen. Glauben Sie aber ja nicht, daß ich diese überschätze. Nein, mein Feld ist ein bescheidenes und engbegrenztes, doch hat es seine Berechtigung so gut wie jedes andere und, die Hauptsache, es ist das einzige, auf welchem meine Individualität sich behaglich entfalten konnte. Ich hatte meine Specialität gefunden, und das ist in unserer Zeit der Arbeitstheilung auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit immer ein Glück zu nennen. Daß ich nach Kräften bemüht bin, meinen kleinen Acker zu bestellen und zu pflegen, ihm durch gründlichere Studien und feinere Naturbeobachtung immer reifere und edlere Früchte abzugewinnen, das, denke ich, zeigen die Bücher hier,“ schloß der Künstler seine Erzählung, indem er mir seine verschiedenen Bilderwerke zusammentrug und mit mir durchblätterte.

Es war ihrer eine ansehnliche Reihe und schwer zu sagen, welchem darunter der Preis gebühre, denn alle sprachen gleich zum Herzen. Ist die Zahl der Auflagen hierbei als das maßgebende Moment zu betrachten, so würden vor allen die drei „Was willst Du werden?“, „Kleines Volk“ und „Gute Freundschaft“ hervorzuheben sein, deren allerliebster Bilder wohl die Mehrzahl der Leser sich mit aufrichtigem Vergnügen erinnert. Jede Auflage von Pletsch’s Bilderbüchern begriff aber immer viertausend Exemplare, die oft sofort nach ihrem Erscheinen verkauft waren. Ursprünglich in verschiedenem Verlage veröffentlicht, sind jetzt die Schöpfungen Oscar Pletsch’s, mit wenigen Ausnahmen, in den der bekannten Firma Alphons Dürr in Leipzig übergegangen, deren Chef, selbst ein enthusiastischer Verehrer der deutschen Kunst, sich um ihre Förderung ein hohes Verdienst erworben hat. Für ihn fand ich unsern Maler soeben auch mit einem neuen Werke beschäftigt, dessen Titel ich noch nicht verrathen, von dem ich blos sagen darf, daß es viele unserer gebräuchlichsten Kinderscherze und -Spielereien auf das Heiterste und Sinnigste illustriren wird. Pletsch zeigte mir die bereits vollendeten kleinen Cartonzeichnungen; es waren in ihrer delicaten und eleganten Behandlung wahre Cabinetstückchen, um deren Besitz ich den künftigen glücklichen Eigenthümer, den Verleger, beneiden möchte. Reizendere Crayon- und Aquarellskizzen als diese kleinen kaum handgroßen Bildchen mit ihren lieblichen frischen Kindergesichtchen und dem zumeist nach Motiven aus den Elbdörfern und in der Nähe von Dresden componirten landschaftlichen und baulichen Beiwerke kann man gar nicht sehen!

„Hat Ihr Vater noch die Triumphe des Sohnes erlebt?“ frug ich, indem ich mich erhob und dem liebenswürdigen Maler die Hand zum Abschied reichte.

„Dem Himmel sei Dank, dem guten, lieben Manne, der an meinen Bestrebungen von Anfang an einen so innigen Antheil genommen hat, ist diese Freude noch vergönnt gewesen,“ antwortete Pletsch mit bewegter Stimme. „Er hat auch mein anderes Glück noch erlebt,“ setzte er strahlenden Auges hinzu. „Sehen Sie das da!“

Im Augenblicke ging die Thür auf, und die beiden Töchter des Künstlers stürzten, aus der Schule kommend, jubelnd und liebkosend dem glücklichen Vater in die Arme.

„Das mußten Sie noch sehen,“ fuhr er fort, „denn Oscar Pletsch’s Atelier ohne Kinder wäre eben nicht Oscar Pletsch’s Atelier gewesen!“

Noch draußen auf der Treppe hörte ich die Lust, die drinnen im Zimmer laut war. Ich hatte einen ausgezeichneten und glücklichen Künstler, mehr, ich hatte einen lieben, kindlichen und glücklichen Menschen kennen gelernt – ein Gemüth lauter und sonnig wie seine Bilder aus der Kinderwelt.
H. S.




Die Geburtsstätte des großen „großen Schweigers“.


Der Chef des preußischen Generalstabes, der General von Moltke, theilt mit Homer und anderen berühmten Männern ein gleiches Schicksal: geraume Zeit schrieb man verschiedenen Orten die Ehre zu, die Wiege des größten Strategen der Gegenwart umschlossen zu haben, und fest stand nur das Eine, daß Mecklenburg das Land sei, welches den berühmten Schlachtenlenker zu seinen Söhnen im engern Sinne rechnen dürfe.

Die streitige Frage sollte aber bald zur Entscheidung kommen, und zwar war es die Stadt Parchim, welche ein Jahr nach dem siegreichen Feldzug in Böhmen ihre Anspruchsrechte nach dieser Richtung kurz und bündig zu beweisen und, um alle neidischen Zungen mit Einem Schlage verstummen zu machen, dem „großen Schweiger“, als ihrem Stammesgenossen, das Bürgerrecht zu verleihen beschloß. Den thätigsten Nachforschungen gelang es denn auch, den ehrwürdigen Vätern der Stadt Parchim die unumstößlichen Beweise für ihre Behauptung zu verschaffen und in ihre Hände den Taufschein niederzulegen, welcher sie für alle Zeiten berechtigt, den General von Moltke ihren Landsmann zu nennen.

Der erwähnte Geburtsschein lautet:

„Helmuth Carl Bernhard, ehelicher Sohn des Hauptmanns Friedrich von Moltke und der Frau Henriette von Moltke, geborenen Paschen, wurde hier geboren am 26. October 1800 und getauft am 2. November ejusdem anni.“ Als Taufzeugen und Gevattern sind genannt: 1) der Vater des Kindes, 2) der Kammergerichtsrath Balhorn in Berlin, 3) Johann Paschen in Hamburg, und vertraten die Auswärtigen: 1) der Commercienrath Grapengießer, 2) Dr. med. Becker, 3) der Senator Loescher, Alle hierselbst wohnhaft. Taufender Pastor: H. G. Seidel.

Damit ist es denn wohl außer Zweifel gestellt, daß der Graf von Moltke wirklich in der ehrenvesten, gewerbfleißigen, reichen Stadt Parchim geboren sei, und daß namentlich das Gut Gnevitz bei Tessin, welches gleichfalls in dieser Sache viel genannt worden war, vollständig unberechtigte Ansprüche erhoben habe. Das Gut Gnevitz hat vielmehr der Vater des Generals erst im Jahre 1801 von dem Kriegsrath Cornelius Wilhelm Hagemann gekauft und bezogen, dann aber schon am 30. Juni 1803 wieder verkauft, und zwar an einen Herr von Stralendorf. Wie endlich weitere genauere Nachforschungen noch ergaben, haben die Eltern des Generals zur Zeit seiner Geburt das nämliche Haus bewohnt, welches jetzt in dem Besitz des Bürgermeisters Sommer-Dierssen ist und auch von diesem zur Zeit bewohnt wird. Dasselbe ist seit dem Jahre 1867 durch eine Gedenktafel geziert. Wir bringen dasselbe heute in Abbildung und [64] schließen gleich hieran das Facsimile der Unterschrift, wie wir es einem der Briefe entnommen haben, welche gelegentlich der Verleihung des Ehrenbürgerrechts zwischen dem General und dem Magistrat gewechselt wurden:



Es erübrigte für den Magistrat nunmehr, sich an den General selbst zu wenden und ihn um Annahme des Ehrenbürgerrechts zu ersuchen. Diese erfolgte selbstverständlich und sofort bildeten die Väter der Stadt und der Bürgerausschuß von Parchim aus ihrer Mitte eine Deputation zur persönlichen Ueberreichung des Diploms, welches folgendermaßen lautet:

„Wir Bürgermeister und Rath der Vorderstadt Parchim bewidmen den königlich preußischen Herrn General der Infanterie, Chef des Generalstabes der preußischen


Moltke’s Geburtshaus in Parchim.
Nach einer photographischen Aufnahme.


Armee, Freiherrn Helmuth Karl Bernhard von Moltke in Berlin, im Einverständnisse mit der repräsentirenden Bürgerschaft kraft dieses mit dem hiesigen Ehrenbürgerrechte, und verleihen demselben damit alle den hiesigen Bürgern zustehenden Gerechtsame als Ehrenrecht zum Zeichen der Anerkennung seiner ruhmvollen und thatenreichen Wirksamkeit und hohen Verdienste um das deutsche Vaterland und damit auch um unsere Stadt, welche das bevorzugte Glück hat, seine Geburtsstadt zu sein.

Zur Urkunde dessen haben wir dieses Diplom ausgefertigt.

So geschehen zu Parchim, den 4. Mai 1867.

Bürgermeister und Rath.“

Der General empfing die Deputation sehr freundlich, bezeigte ihr wiederholt seine Freude über die ihm erwiesene Ehre und beauftragte die Herren, dem Magistrat und der Bürgerschaft seinen Dank abzustatten.

Am nächsten Tage empfing er die Deputation in seiner Wohnung zum Diner, welches um drei Uhr Nachmittags begann und an welchem außer ihm noch seine Gemahlin, der Oberstlieutenant von Siedow, der Adjutant Major von Reyht und ein anderer Militär, Verwandter des Generals, Theil nahmen, sämmtlich, wie der officielle Bericht der Deputirten ausdrücklich hervorhebt, in voller Uniform, mit ihren sämmtlichen Orden geschmückt. Der General bezeigte auch bei dieser Gelegenheit sein großes Interesse für Parchim, indem er sich sehr eingehend nach allen Verhältnissen erkundigte, und sprach dabei die Hoffnung aus, noch im nämlichen Jahre seiner Geburtsstadt an der Elde einen Besuch abzustatten.

Dieser Besuch ist bis jetzt allerdings unterblieben, dafür hat Moltke im vorigen Sommer eine große Reise nach Paris unternommen, nicht allein, sondern von den wackeren, streitbaren Söhnen Alldeutschlands begleitet, und die Welt sah staunend auf den ruhmreichen Siegeszug seines Heeres. Da beschlossen denn die wackeren Bürger von Parchim in einer Ende October des vergangenen Jahres abgehaltenen Sitzung, die Büste ihres Ehrenbürgers, des nunmehrigen Grafen von Moltke, in dem Sitzungssaale aufzustellen. Zu gleicher Zeit wurde die Bildung eines Comités berathen, welches die Sammlung von Beiträgen in die Hand nehmen solle, um dem großen Strategen an seinem Geburtsorte ein Denkmal zu errichten. Damit blieb die Sache zunächst allerdings auf sich beruhen und zwar mit Recht. Noch gab es dringendere Dinge zu thun, als Erzmonumente aufzustellen – noch galt es, draußen im Felde unsere Soldaten zu unterstützen, ihnen Geld und Kleider zu schaffen; es galt, die Kranken zu pflegen und die Wunden zu heilen; es galt die Noth daheim zu lindern, Thränen zu trocknen, Hunger zu stillen. Da blieb für den Augenblick kein Geld, kein Gedanke für Erz und Stein. Aber die Bürger von Parchim wußten, daß sie, wenn sie handeln wollten, nur im Sinne desjenigen handeln durften, den sie zu ehren gedachten. Und wie konnten sie dies besser thun, als indem sie vor Allem ihre großen Pflichten gegen das Vaterland nicht aus dem Auge ließen, einer günstigeren Zeit es vorbehaltend, das Verdienst des Einzelnen würdig zu feiern.

Und diese Zeit wird kommen. Zwar es bedürfte im Grunde keines Denkmals von Erz, um das glorreiche Bild des Grafen von Moltke der Nachwelt zu überliefern; dieses wird dauern, so lange es eine deutsche Geschichte giebt und so lange es eine deutsche Sprache giebt, welche jene erzählt. Doch das Gemüth des Menschen verlangt danach, seinen Gefühlen der Dankbarkeit, der Freude, des Stolzes auch einen sichtbaren Ausdruck zu geben und sich gewissermaßen zu versichern, daß das Bild eines Mannes, den die Gegenwart verehrt, auch jetzt schon eine greifbare Form gewinne, welche möglichste Bürgschaft gebe, daß es diese Tage überdauere, von Enkel zu Enkel vererbt. So mögen denn die Bürger von Parchim seiner Zeit das Denkmal in ihren Mauern errichten, ihrer und ihres Ehrenbürgers würdig; mögen sie sich französische Kanonen schenken und diese zur Statue des deutschen Feldherrn umschmelzen lassen, mögen sie sich mit einem Aufruf an das deutsche Volk wenden – so weit die deutsche Zunge klingt, werden die Gaben fließen; denn die deutsche Nation weiß: der Mann, dem diese Ehre gilt, ist und bleibt ihrer Besten Einer.




Waidmannsglück vor der Jagd.


Von Hermann Oelschläger.



Wald, o Wald, wie liegst du golden
Heut’ vor meinen Blicken da,
Da von ihr, der einzig Holden,
Mir das Holdeste geschah.

5
 Ist es Wahrheit, sind es Träume?

 Sagt es mir, geliebte Bäume –
Denn ein Himmel senkte sich
 Heut’ auf mich.

Rasch das Treppenhaus herunter

10
Kam das allerliebste Kind,

Singend, lachend und so munter
Wie der junge Morgenwind,
 Schlank, im hochgeschürzten Kleide,
 Drunter, eng geschnürt in Seide,

15
Füßchen – ach, wie klein, wie nett

 Und kokett.

Und da trat ich auf die Schwelle –
Kaum noch weiß ich, wie’s geschah,
Als ich sie so schön und helle

20
Plötzlich mir vor Augen sah.

 Kaum noch weiß ich, wie’s gegangen,
 Ob ich sie, sie mich umfangen,
Doch wir schlossen unsern Bund
 Mund an Mund.

[65]

Jedenfalls nicht im Kriegszustande.
Originalzeichnung von J. Watter in München.


25
Also ruhten wir – wie lange!

Mund an Mund in sel’ger Pein –
Niemand sah’s, als auf dem Gange
Dort das bischen Sonnenschein.
 Und der Sonne gold’ner Schimmer

30
 Wich: wir küßten uns noch immer –

Draußen von der Brücke drang
 Hörnerklang.

Hörner, schweigt! Wie soll ich lauschen
Dem, was einst entzückend schien,

35
Nun durch meinen Busen rauschen

Noch viel schön’re Melodien
 Einsam hier im Schutz der Bäume
 Will ich ruh’n und kecker Träume
Voll, mit ihrem Bild allein,

40
 Glücklich sein.
[66]
„Herr von Beethoven sind eingeladen.“
Mit Benutzung mündlicher Mittheilungen von Zeitgenossen Beethoven’s von Dr. Märzroth.[1]

Es war an einem unfreundlichen Winterabend. In dichten, großen Flocken fiel der Schnee auf das schmutzige Pflaster des alten Wien. Die Passage war überall gehemmt. Die zusammengefegten Schneehaufen wuchsen zu immer höheren Hügeln an, die Arbeiter scharrten, schaufelten und fegten bei brennenden Fackeln um sie herum, und das glatt gewordene Pflaster machte das Betreten desselben gefährlich.

Gerade dort, wo diese alte Wiener Straßencalamität den entschiedensten Ausdruck erlangt hatte, mußte noch eine herrschaftliche Equipage durchdringen wollen! Sie war in voller Gala, und zu ihren beiden Seiten liefen oder trippelten nach damaliger Sitte zwei „Läufer“ in reicher Livrée, die aus einer kurzen Jacke, mit einem Gürteltuche um den Leib, Kniehosen, seidenen Strümpfen und einer farbigen Schirmkappe bestand. In ihren Händen schwangen sie hoch auflodernde Fackeln, deren Pechtropfen flammend zu Boden sanken und die Passanten zwangen, sich vor dieser neuen Bedrohniß dicht an die Mauern der Häuser zu drängen.

Der Wagen mußte stehen bleiben, denn es war für ihn unmöglich, in der engen Straße durch die ohne jede Ordnung angehäuften Schneemassen durchzukommen. Der Herr, der in der Equipage saß, öffnete den Wagenschlag.

„Ist es nicht möglich?“ fragte er einen Polizeifeldwebel, der eben in der Nähe stand.

„Vor einer Stunde nicht, Herr Graf,“ erwiderte höflich der Angeredete, und legte dabei salutierend die Hand an den Czako.

Hierauf sprang der Herr mit jener Eleganz, wie sie zu jener Zeit nur den Cavalieren eigen war, aus dem Wagen, und befahl dem Kutscher umzukehren, das heißt den Wagen nach der nächsten Straße zurückzuschieben und dort zu warten. Der Herr selbst aber hüllte sich fester in seinen Mantel und setzte seine Wanderung zu Fuße fort.

„War das nicht der ‚Musikgraf‘?“ fragte den Feldwebel einer jener Neugierigen, wie sie in Wien von jeher in den Straßen auf jedes Ereigniß lauern.

„Ja wohl,“ antwortete kurz der Gefragte und drehte sich um.

„Möchte wohl wissen, was den Herrn Grafen in diese Gegend führt?“ murmelte der Neugierige seinem Begleiter zu, und sogleich machten sich auch Beide davon, dem Herrn Grafen auf dem Fuße zu folgen.

Dieser bog in eine Seitenstraße, und nach wenigen Schritten schon trat er in das Thor eines der ersten Häuser.

Die Glocke, mit welcher der Klingeldraht in Verbindung stand, muß mindestens die Größe einer Capellenglocke gehabt haben, denn ihr Schall klang so mächtig, daß das ganze Haus davon erdröhnte und der Herr Graf nicht wenig davon überrascht war. Eine Frauensperson öffnete die Thür.

„Herr von Beethoven zu Hause?“ fragte der Graf.

„Bitte um Ihren Namen,“ erwiderte die Pförtnerin.

Der Graf gab ihr seine Karte. Die Frauensperson ging damit in das anstoßende Zimmer und kam, wie es schien, selbst erstaunt über den Erfolg, mit der Einladung einzutreten zurück. Als der Graf das Zimmer betrat, war Beethoven eben vom Claviere aufgestanden. Die Gedanken, welche so eben noch des großen Meistern Gehirn gleich Wetterstrahlen erleuchtet haben mochten, phosphorescirten noch auf seinem Gesichte und übergossen es mit jenem Ausdrucke einer großen Seele, welche selbst dem trivialsten Individuum imponiren muß. Da aber der Graf Dietrichstein in Wahrheit ein glühender Verehrer der Künste und ihrer Priester war, so erfüllte ihn des Meisters Erscheinung mit scheuer Ehrfurcht.

„Was steht zu Diensten, Herr Graf?“ wendete sich Beethoven höflich, aber nicht ohne einen gewissen Stolz an diesen, und schob ihm, da er sein „Conversationsbuch“ nicht fand, ein Blatt Papier zu, in das der Gast seine Antworten zu schreiben hatte.

Des Grafen Erwiderung lautete: „Ich gestehe, daß mir in diesem Momente die Bitte, die ich an Sie zu richten beabsichtige, so kleinlich vorkommt, und zwar kleinlich für Sie, daß ich es schon bereue, Sie deshalb in Ihrer Arbeit gestört zu haben ...“

„O, es ist gut, Herr Graf, wenn ich ausruhe. Also eine Bitte an mich! Wenn es in meinen Kräften liegt, bitte ich nur zu befehlen.“

„O, ich weiß, was man Ihnen schuldig ist, Meister!“

Beethoven runzelte ein wenig die Stirn. „Darf ich also fragen, womit ich Ihnen gefällig sein kann, Herr Graf?“

„Ich möchte mir die Ehre Ihrer Anwesenheit bei meiner nächsten Soirée erbitten. Sie werden dort viele Freunde, viele Bekannte finden.“

„O Herr Graf! Freunde? Vielleicht! ... Bekannte? Nun, das glaube ich schon eher ...“

„Darf ich also darauf rechnen? ...“

„Ich weiß die Ehre, die Sie mir erweisen, zu schätzen, und darum wäre ich undankbar, wenn ich nicht käme. Bitte nur Nachsicht mit mir zu haben.“

„Herr von Beethoven, ich danke Ihnen aufrichtig für die freundliche Annahme meiner Einladung.“

Mit sichtbar vergnügtem Gesichte verließ der Graf das Haus.

Beethoven’s Stimmung war gerade in jenen Tagen, wenigstens vorübergehend, eine bessere als gewöhnlich. Es war wieder eine jener Wandlungen in seiner Seele vorgegangen, welche diese allein über die Misère des irdischen Lebens zu erheben vermochten, die sonst mit ihren starren, kalten Armen den Künstler hätte erdrücken müssen, dessen Widerspruch mit den pygmäenhaften Anschauungen der Gesellschaft schon hätte genügen können, um ihn in Momenten blöden Verkanntseins und ekler Noth sich als ein fehlerhaftes, von der Gesammtheit losgerissenes Atom derselben fühlen zu lassen. –

Diese inneren Sonnenstrahlen, welche, trotz der ihn umgebenden Nacht, immer wieder befruchtend über den Geist des Künstlers streiften, sie hatten auch Beethoven, der moralisch, physisch und materiell so Vieles schon erlitten, immer wieder geistig zu jener titanenhaften Größe aufgerichtet, welche selbst die Canaille, die ewig am Boden kriecht, von Zeit zu Zeit stutzen machte. Er fühlte sich heiter umhaucht, und die historische Liebenswürdigkeit des Grafen Dietrichstein hatte um so mehr den Meister in seiner momentanen Stimmung gefördert, als jene in wahrer Bildung und inniger Verehrung des Künstlers wurzelte. Die Chronik der damaligen Tage bewahrt dafür viele kleine, aber charakteristische Züge aus dem Leben dieses Cavaliers im echten Sinne des Wortes.

Beethoven’s gute Gemüthsstimmung hielt noch am Tage nach der Einladung durch Graf Dietrichstein an. Mit fast heiterem Tone verlangte er in der von ihm gerne besuchten Gaststube zum „Blumenstöckel“ sein Glas Wein. Man konnte es ihm ansehen, daß er heute sogar gelaunt sein mochte, mit irgend Jemandem ein Gespräch zu führen, wobei ihm freilich seine Schwerhörigkeit wie immer im Wege stand. Der arme Meister! Sein Blick streifte forschend in der Stube umher, und fiel auf einen Gast, der an einem anderen Tische ihm gegenüber saß, und den er dabei ertappte, wie er ihm, Beethoven, seine volle Aufmerksamkeit zuwandte. Der Meister schien dies heute ausnahmsweise nicht mit Unbehagen aufzunehmen, denn ohne sein Gesicht zu verfinstern, wie er in ähnlichen Fällen oft that, hielt er den Blick des Andern geduldig aus.

Dieser nun fühlte sich durch Beethoven’s Freundlichkeit zu einem Entschlusse ermuthigt, mit dem er schon länger gekämpft zu haben schien. Er stand auf und näherte sich dem Meister, den er sogleich ansprach.

Beethoven zog einen Bleistift aus der Brusttasche, drehte die Speisekarte auf die unbeschriebene Seite, und schob Beides dem Herrn zu. Mit Hülfe dieses Verständigungsmittels entspann sich zwischen ihnen folgende Conversation:

„Verzeihen, Herr Capellmeister, aber ich gehöre zu Ihren Verehrern ...“

„Sehr schmeichelhaft.“

„Nehmen Sie es nicht ungütig, aber es thäte mir sehr wehe, wenn es wahr wäre, daß ein so großer Mann, wie Herr Capellmeister, manchmal in – Geldverlegenheit sein solle ...“

„Kommt aber wirklich dann und wann vor.“

„Es würde mir eine Ehre sein, wenn es mir erlaubt sein sollte, mit meinem Bischen aushelfen zu können.“

[67] „Hm! Sie scheinen nicht recht gescheidt zu sein!“

„O Herr Capellmeister! Meine Hochachtung für Sie ist so groß! ... Leider habe ich nur diese hundert Gulden bei mir ...“

„So mir nichts, dir nichts, ohne Schuldschein? ... Hören Sie, das ist mir neu!“

„Bitte nur der Form wegen dieses Wechselchen hier unten mit Ihrem Namen zu zieren, es erhielte dieses Papier dadurch schon als Autograph seinen Werth ... “

„Sie sind ein Narr! ... Aber Sie legen hier Einhundert Gulden her, und da steht ja: ‚Drei Monate a dato zahlen Sie Zweihundert Gulden‘! ... Ah! So meinen Sie das! Ich bitte Sie nun recht sehr um Verzeihung! Ich habe Sie einen Narren genannt, aber Sie sind ein Hallunke!“

Beethoven war dabei aufgesprungen und sprach den letzten Satz mit solcher Donnerstimme, daß das Gesicht des Schelmen, der offenbar über Beethoven’s Verhältnisse und Persönlichkeit genau unterrichtet war und hier auf ihn gewartet hatte, einen Augenblick wie versteinert erschien. Dann aber hielt es der Herr „Verehrer“ des „großen Meisters“ für gerathen, ohne Zögern das Weite zu suchen. Beethoven fand diese Scene so komisch, daß er in ein lautes Lachen ausbrach. Dieser Zwischenfall trug dazu bei, daß er seinen Humor noch den ganzen Tag über behielt.

Am Abende trat die Stunde ein, um welche er sich zur Soirée des Musikgrafen zu begeben hatte. Beethoven kleidete sich rasch an und verließ das Haus. Am Thore angekommen, erwartete ihn eine gräflich Dietrichstein’sche Equipage, und ein Diener, der ihn erkannte, lud ihn ein, sich ihrer zu bedienen. Beethoven nahm jedoch nicht die mindeste Notiz davon, und setzte seine Wanderung trotz der schmutzigen Straßen zu Fuße fort.

Im Salon des Grafen eingetreten, ward er von diesem und einer großen Anzahl bekannter Persönlichkeiten, wie dem Geschichtsschreiber Joh. v. Müller, den Schriftstellern Hormayr, Maylath, Steigentesch, den Musikern Weigl, Gyrawaty, den Malern Füger, Lampi, Vater und Sohn, dem Bildhauer Zauner und Anderen mit ungeheuchelter Freudigkeit begrüßt. Beethoven fühlte sich ungewöhnlich animirt, und unterhielt sich in lebhafter Weise. Er benahm sich dabei so coulant, mitunter fein und witzig, daß Alle entzückt von ihm waren, und sie mußten sich sogar gestehen, daß er nirgends, außer was seine sehr kothigen Schuhe anbelangte, gegen den Ton eines so „eleganten“ Salons auch nur im Geringsten verstoßen habe.

Als sich die Gesellschaft, mit ihr Beethoven, entfernt hatte, war es besonders Graf Dietrichstein, welcher über die treffliche Art, mit welcher der Meister aufgetreten war, seine Freude ausdrückte. Das hatte aber, wie wir sogleich erzählen werden, seinen guten Grund, der übrigens dem edlen Sinne des Grafen alle Ehre machte.

Wenige Tage später hatte Dietrichstein Gelegenheit, mit dem Kaiser Franz über diese Soirée zu sprechen.

„Sehen Sie, wie man diesen Beethoven verleumdet,“ bemerkte der Kaiser. „Und bei Ihnen hat er sich so tadellos benommen!“

„Wie ich bereits die Ehre hatte, Ew. Majestät zu versichern.“

„Sehen Sie, Graf, das freut mich! Ich hätte den Menschen gerne bei mir gesehen, aber ich habe mich vor ihm gefürchtet! Ich sag’s offen. Nicht wegen seiner Staats-Schrullen, auch nicht wegen der Ungeschminktheit seiner Rede, im Gegentheil mir sagt das gar nicht übel zu, es ist mir recht, wenn Einer redet, wie er denkt, aber, wissen Sie, Graf, ohne alle Grenze, das ginge denn doch nicht!“

„Ich wiederhole Majestät, daß alle bei meiner Soirée Anwesenden einstimmig Beethoven’s Benehmen anerkannten.“

„Dann will ich nachdenken, wie ich’s mache, den merkwürdigen Menschen in der Nähe zu sehen.“

„Ich glaube versichern zu dürfen, daß sich Beethoven dieser Gnade Ew. Majestät würdig zeigen werde.“

„Na, ich werde sehen, wie sich’s machen läßt.“

Damit war die Besprechung dieses Gegenstandes zu Ende. In einer der folgenden Wochen aber erschien bei Ludwig van Beethoven ein k. k. Kammerherr. Er überreichte dem Meister ein beschriebenes Blatt Papier. Auf demselben war zu lesen:

„Se. Majestät der Kaiser haben mich beauftragt, Herrn von Beethoven für .... den ..... Uhr zu einer Quartettproduction in den Appartements Sr. Majestät einzuladen. Es würde Herrn von Beethoven’s Anwesenheit den Kaiser um so mehr freuen, als an diesem Abende eine Composition von Herrn von Beethoven executirt wird.“

Beethoven war frappirt. Mit Ausnahme des Erzherzogs Rudolph hatte ihm noch kein anderes Mitglied des kaiserlichen Hofes eine besondere Aufmerksamkeit zu Theil werden lassen und zwar, wie Beethoven selbst nicht unbekannt sein konnte, wegen seiner „republikanischen“ Gesinnungen oder vielmehr wegen der rücksichtslosen Offenheit, mit der er dieselben aussprach. Der Meister wußte daher offenbar nicht, was er zu dieser unerwarteten Einladung nach Hofe sagen sollte. Er verbeugte sich stumm vor dem Kammerherrn, und dieser entfernte sich, nachdem er den Verständigungszettel wieder zu sich gesteckt hatte.

Ob nun Beethoven entschlossen war, der auszeichnenden Einladung Folge zu leisten oder nicht, vermögen wir nicht zu sagen. Als der Tag und die Stunde aber heranrückten, welche ihm zum Erscheinen beim Kaiser bestimmt waren, traf man ihn, wie seit langer Zeit täglich, in der – Gaststube des Wirtshauses zur „Schnecke“! Es währte nicht lange, so erschien derselbe k. k. Kämmerer, der Beethoven die Einladung überbracht hatte, ebenfalls im Gasthause zur „Schnecke“. Der Hofmann war außer Athem. Man wartete bei Hofe auf Beethoven, und als er nicht erschienen, stürzte der Kammerherr ab, den Säumenden zu suchen. Mühsam entdeckte er dessen Aufenthalt im Gasthause. Vergebens mahnte er den Meister, der wieder in der übelsten Laune war, der „Allerhöchsten“ Einladung doch Folge zu geben. Beethoven war nicht zu bewegen. Der Kammerherr aber glaubte, nachdem er alle Motive erschöpft hatte, den Sonderling dadurch aufrütteln zu können, daß er dessen Künstlereitelkeit in’s Mitleid zog.

„Aber bedenken Sie doch, Herr von Beethoven,“ sagte er, „daß ein Quartett Ihrer Composition gespielt wird, und daß der Kaiser selbst einen Part übernommen hat!“

Beethoven sah den vor Aufregung in Schweiß triefenden Kammerherrn ruhig an, und sagte dann: „Alles recht, aber schöner habe ich mein Quartett schon gewiß spielen gehört! Das werden Sie zugeben!“

Dies war natürlich dem Kammerherrn zu viel. Wie ein Windspiel jagte er zur Thüre hinaus, Beethoven aber blieb unerschütterlich bei – der „Schnecke“! –

So wenig nun diese Geschichte auch bekannt wurde, so trug sie doch in gewissen Kreisen wohl dazu bei, daß Beethoven so selten als möglich mit Einladungen bedacht wurde, was aber Niemandem lieber war, als eben – Beethoven. Dennoch wandte im nächsten Sommer ein auswärtiger Fürst, der eben in Wien weilte, Alles an, um Beethoven zu bewegen, einer Soirée durch dessen Anwesenheit besonderen Glanz zu verleihen. Beethoven schien geneigt zu sein, der überaus freundlichen Einladung nachzugeben, denn am Abend des bestimmten Tages fuhr er von Heiligenstadt, wo er damals den Sommer zubrachte, mit dem „Stellwagen“ in die Stadt. Auf der „Freiung“ stiegen die Passagiere aus, mit ihnen Beethoven. Statt aber seine Schritte nach dem Orte zu lenken, wo er erwartet wurde, trat er, wahrscheinlich weil es ihm zur Soirée noch zu früh scheinen mochte, in das Café ein, welches sich zu jener Zeit auf der „Freiung“ im Hause des Hôtels „Zum römischen Kaiser“ befand. Er nahm eine Tasse Kaffee und eine Zeitung zur Hand. In die Lectüre derselben vertieft, merkte er erst spät, daß eine geraume Zeit dabei verstrichen war. Rasch erhob er sich und ohne seinen Kaffee zu bezahlen, eilte er zur Hinterthür hinaus.

Ein unglücklicher Zufall war es, daß an diesem Tage ein neuer Marqueur in das Geschäft getreten war. Beethoven, der sehr oft in dieser Localität verweilte, wenn er eben auf die Abfahrt des Heiligenstädter Stellwagens warten mußte, war dem neuen Diener des Kaffeehauses unbekannt. Deshalb geschah es, daß der unglückselige Diener in dem ihm fremden, somit schon halb verdächtigen Kauz einen Menschen erblickte, der, wie es in Wien vorzukommen pflegte und noch heute vorzukommen pflegt, mit der Zeche durchzubrennen beabsichigte.

„He! Sie haben Ihren Kaffee nicht bezahlt!“ rief er Beethoven nach.

Dieser, da er nicht hörte, setzte seine eilige Wanderung zur Thüre hinaus fort. Der Marqueur aber eilte dem „Flüchtlinge“ nach. In dem Corridor, der zum Ausgangsthore führte, faßte er [68] Beethoven endlich am Rockschooße. Verwundert sah sich der Meister um.

„Was giebts?“ sagte er mißmuthig.

„Zahlen!“ schrie der Marqueur. „Warte, du Fuchs, ich werde dich durchgehen lehren!“

Beethoven, der ihn nicht verstand, wollte sich von ihm, den er für verrückt hielt, losreißen; der Marqueur jedoch griff mit seiner Faust nach dem Rockkragen des Widerspenstigen, und es entspann sich ein Kampf, der so laut wurde, daß der Cafétier und dessen Gäste herbeieilten und das Mißverständniß noch rechtzeitig aufklärten. Beethoven war indeß über dieses Intermezzo dermaßen aufgeregt, daß er den nächsten Stellwagen nach Heiligenstadt bestieg und wieder zurück hinausfuhr.

Die fürstliche Soirée bekam also Beethoven nicht zu sehen. Weit größer aber war die Empörung des Cafétiers und der Besucher des Locales über die Brutalität, mit welcher der arme Teufel von einem Marqueur gegen den berühmten Meister verfahren hatte. Die Strafpredigten, die ihm gehalten wurden, hatten sich einer solchen altösterreichischen Derbheit zu erfreuen, daß der im Grunde unschuldige Mensch in den Ausdrücken, die er zu seiner Vertheidigung anzuwenden verleitet war, ebenfalls nicht wählerisch zu sein vermochte. Dies gipfelte die Affaire zu einem solchen Scandale, daß sie nur mit der Abführung des Marqueurs zur Polizei einen Abschluß finden konnte.

Aber die Polizei, gegen welche sich der gereizte unglückliche Bursche widerspenstig benahm, glaubte noch um einige Schritte weiter gehen zu müssen. Die Zustände Altösterreichs gaben dieser Behörde nämlich eine Macht, von der leider Jeder überzeugt wurde, der eben nicht daran glauben wollte. So ging es auch dem armen Marqueur. Nach wenigen Tagen, die er im Polizeihause zubrachte, sah er sich schließlich – zum Militär abgestellt. Dies war lange Zeit hindurch der Canal, durch welchen man in jener Periode „mißliebige“ Personen aus der Gesellschaft entfernte.

Als Beethoven im Laufe der Woche wieder das Café „Zum römischen Kaiser“ betrat, konnte es dessen Besitzer nicht unterlassen, sich bei dem Meister wegen des unliebsamen Vorfalles zu entschuldigen und ihm mitzutheilen, daß Beethoven bereits alle Satisfaction erlangt habe, indem der „freche Bursche“ bereits „die Muskete trage“.

„Und das soll eine Satisfaction für mich sein!?“ rief Beethoven entrüstet aus.

Aber er ließ es nicht dabei bewenden. Unverzögert machte er bei seinen Bekannten in hohen militärischen Kreisen ernstliche und nachdrückliche Schritte, um den Unglücklichen wieder dem bürgerlichen Stande zurückzugeben, was ihm endlich auch gelang, und wahrhaftig nur einem Manne wie Beethoven gelingen konnte, dessen Bedeutsamkeit am Ende doch in allen Kreisen respectirt wurde und von dessen Herzensgüte und Rechtssinn man im vorliegenden Falle ergriffen sein mußte.

Bekanntlich erzählt Schindler in seiner Biographie Beethoven’s von einem Marqueur, dem es Beethoven allein zu verdanken hatte, daß Dr. Wawnuch unaufgefordert dem sterbenskranken, einsamen Meister zu Hülfe eilte, während die dadurch „unsterblich“ gewordenen Doctoren Staudenheim und Braunhofer dies verweigert hatten! Ob dieser Marqueur und derjenige, dessen Geschichte wir hier erzählen, eine und dieselbe Person waren, können wir nicht sagen, glauben jedoch, daß eine Vermuthung dessen nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeitsgrund sein dürfte.

Eine „Einladung“ aber, welcher der große Beethoven gewiß nicht ungern Folge gab, war jene, welche am 26. März 1827 in feierlichster Weise – unter Blitz und Donner – von dem Fürsten des Todes an ihn erging: sein müdes Haupt zur ewigen Ruhe hinzulegen!

Wie sehr sich der große Mann nach diesem Momente gesehnt haben mochte, beweisen wohl die Worte, die er acht Tage vor seinem Ende zu seinen Freunden sprach: „Amici, comoedia finita est!“ – Freunde, die Komödie ist zu Ende!




Prinzeß Editha.
Aus meiner Reisemappe von C. Loewenherz.


„Kommen Sie doch und sehen sich meine Sammlung von Originalgemälden an, ich habe die werthvollste in ganz New-York,“ sagte mir der Besitzer dieser Schätze. Wir verabredeten in der Folge dazu den nächsten Tag. – Als ich in die nicht überhelle Mittelhalle des Malerstudio trat, erhob sich aus einem Rococosessel eine Dame, die mir der alte Herr als eine „Damenfreundin“ („befreundete Dame“ wollte er sagen) vorstellte, die er als Kind gekannt habe und die ihn heute, nach Jahren, zum ersten Mal wieder aufgesucht.

Vor Ueberraschung stumm stand ich vor der imponirenden Erscheinung, die mich um volle Kopfeshöhe überragte. Noch nie vorher in meinem Leben war mir ein Bild so vollkommener Schönheit an Form und Farbe, noch die Verkörperung der Majestät und des Adels in solchem Grade begegnet.

Im ersten Moment erinnerte das rundliche, von dichtem kurzgehaltenem Lockenhaar männlich umrahmte Profil, die Modellirung des Kopfes selbst, an das Portrait der berühmten Thiermalerin Rosa Bonheur; aber ein zweiter Blick schon überzeugte mich, daß ich es hier mit einem viel jüngeren, von der Natur auch körperlich viel reicher bedachten Wesen zu thun habe; Bedeutendheit, ja das Gepräge des Ungewöhnlichen war ihrer Art und Weise, dem haltsamen Schnitt der Kleidung selbst nicht abzusprechen und die Gestalt umschwebte ein Hauch von jenem gebietenden und imposanten Etwas, wie wir es, in kindlicher Naivetät, als unbedingtes Kennzeichen königlicher Abstammung erwarten. Das blaue gebietende Auge unter der dunklen Wimper war das einer Maria Theresia, nur in seinem Herrscherblick gemildert durch jenen weichen, selbst träumerischen Schimmer, der auf Seelentiefe schließen läßt. Die üppige Gestalt schien zum Purpur geboren. Die classisch-schönen energisch-geschweiften Lippen erinnerten im Lächeln – in Uebereinstimmung mit der bei ihr nur voller und blühender entwickelten Gesichtsbildung – an den Märtyrer egoistischer Zwecke, den unglücklichen Maximilian, Kaiser von Mexico. Die klare Marmorblässe und die Reinheit des Schnittes an ihnen trug außerdem den Stempel germanischer Abkunft und hoher Vornehmheit. Es war ein prächtiges Machwerk der Schöpfung, eine durchaus einnehmende, ja ich möchte sagen, bezaubernde Persönlichkeit, wie sie die Natur in einer glücklichen Laune und nur allzu selten zu schaffen pflegt.

Das war sie der äußeren Form nach; nach wenigen Augenblicken schon fand ich Gelegenheit, die Biegsamkeit ihres glanzvollen Organs, wie ihren blendenden, beweglich-gewandten Geist zu bewundern, der sich in ihrer durchgebildeten Ausdrucksweise schnell bekundete. Wir plauderten lebhaft angeregt und berührten im Fluge die verschiedensten Themen. Das Feuer einer edlen Begeisterung durchglühte oft ihre Worte, ja ihr ganzes Wesen.

Der Zweck meines Kommens ging darüber verloren, er wurde mir erst in’s Gedächtniß zurückgerufen, als sie im Laufe des Gespräches durchschimmern ließ, daß sie in schönen Wissenschaften und Künsten sich selbst productiv versucht. Da sie endlich auch auf dem Gebiete der Literatur sich schöpferisch erwies, glaubte ich es an der Zeit, ohne Indiscretion sie um Nennung ihres Namens bitten zu dürfen.

Von dem Sessel, in den sie zurückgesunken lehnte, erhob sie sich schnell und stolz; auf dem schönen Munde zitterte ein selbstbewußtes Lächeln, als sie mit ihrer klaren Stimme einfach erwiderte:

„Prinzeß Editha.“

Die zu Tage liegende Absicht der Ueberraschung ging leider für mich verloren. Mir wurde heiß und kalt. Wer war Prinzeß Editha? diese Prinzeß Editha der Republik? die mich mit ihrer fürstlichen Gönnerschaft begnadet, die mich, die Unbekannte, durch ihre huldvolle Leutseligkeit zur eigenen Höhe emporgehoben hatte und die jetzt so stolzbewußt und siegesgewiß wiederholen konnte: „Ja, Prinzeß Editha, das haben Sie wohl nicht erwartet?“

Ich marterte vergeblich mein Hirn – der Gothaer Almanach hatte niemals darin recht haften wollen. Meine Unwissenheit aber offen einzugestehen, schämte ich mich doch. Ich muß dazumal gründlich albern ausgesehen haben. Der alte Gemäldehändler kam glücklicherweise meiner Verlegenheit zu Hülfe.

„Die Dame ist erst von Europa herübergekommen,“ entschuldigte

[69]

Hauptstraße in Margency, dem Hauptquartier der Maasarmee vor Paris.
Nach der Natur aufgenommen von unserem Feldmaler F. W. Heine.

[70] er mich; „ahne ich doch selbst durch Ihre heutigen Mittheilungen erst, daß die Tochter meines ehemaligen Freundes nur dessen Adoptivkind, daß sie und die berühmte Prinzeß Editha ein und dieselbe Person sind, die durch die hiesigen Zeitungsberichte bei unserm Publicum ein so allgemeines Interesse erweckte, das natürlich noch nicht bis über den Ocean gedrungen sein kann.“

„O, ich war im vorigen Jahre selbst in Europa,“ fiel sie ihm lebhaft in’s Wort. „Ich habe dort, freilich erst nach harten Kämpfen durch Feststellung meiner Geburtspapiere, mich bei meiner Familie eingeführt, in erster Linie bei Ihrem jungen König von Baiern. Erkennen Sie mich denn nicht an der Aehnlichkeit mit meiner verstorbenen Cousine, der Königin Stephanie?“ wandte sie sich huldvoll mir wieder zu.

Meine peinliche Verwirrung stieg, mit ihr aber auch meine weibliche Neugier, dies Räthsel geklärt zu sehen. Wer in der Welt konnte denn diese unbekannte Prinzeß nur sein, die sich jetzt gar die Angehörige der frühverstorbenen jungen Königin von Portugal nannte?

Ich wagte dreist die Bitte um Aufklärung und erhielt sie, nur war die Erwiderung kurz und stolz:

„Mein Vater war der Exkönig Ludwig von Baiern, meine Mutter seine Gemahlin (sie betonte dies Wort) Gräfin Landsfeld, die, zur Zeit der bairischen Unruhen, ihren Neidern und Feinden das Feld räumen, ja im Interesse ihres durch diese gefährdeten Lebens hierherüber fliehen mußte.“

Die Tochter Lola Montez’! Unwillkürlich rückte ich meinen Stuhl behutsam fort und dann wieder heran. Das brennende Verlangen, mehr über das dunkle Lebensende Derjenigen zu erfahren, die in Elend und Jammer ihr glänzendes Dasein im Hospital von Wards-Island beschlossen hat, überwand das Vorurtheil. Meine Bitte veranlaßte die Tochter der Unglücklichen, mir über die eigenen ungewöhnlichen Lebensschicksale mitzutheilen, was ich hier kurzgefaßt wiedergebe.

„Wie Ihnen mein würdiger Freund hier (sie deutete dabei auf den Gemäldehändler) bereits mitgetheilt, wurde ich im Hause des Professor S. in New-York als dessen Kind erzogen. (Sie nannte mir den Namen des Mannes, der in seinem hochgeachteten Sohne in der neuen Welt fortlebt; aus Rücksicht für diesen verschweige ich deshalb den Namen.) Ich war meinen übrigen Geschwistern zwar sowohl körperlich als geistig durchaus unähnlich, aber die ungeminderte Liebe meiner Adoptiveltern zu mir, der Heimathlosen, ließ nie den Gedanken aufkommen, daß etwas Anderes als meine außerordentliche Begabung oder meine ungewöhnliche Natur den Grund zu der Abschweifung von dem schablonenhaften Familientypus tragen könne. Mein Vater starb, dies änderte nichts in den persönlichen Beziehungen, nur wollte es mich bedünken, als wäre sein letzter Abschied von mir weniger innig, weniger schmerzlich gewesen, im Vergleich zur übrigen Familie, aber auch dieses wußte ich dadurch zu beschönigen, daß mein rebellischer, immer nach dem Hohen strebender Sinn ihm mehr zu schaffen gemacht als der solid-häusliche meiner Schwestern, und daß er sich durch seinen Tod gewissermaßen von einer schweren Verantwortung befreit sah. – Ich wuchs heran. Meine Familie – die wenigstens, die ich als solche zu betrachten gelernt – hatte, durch Umstände bedingt, New-York verlassen und mich zur weiteren Ausbildung in einem Institut zurückgelassen. Dort führte mir ein Ungefähr in Gestalt eines katholischen Geistlichen, der einen europäischen Prinzen auf seinen überseeischen Reisen begleitet, die Offenbarung meiner hohen Geburt entgegen. Der Priester stand bei meinem Anblick frappirt. ‚Wer sind Sie?‘ stammelte er betroffen, und als ich ihm auf sein Verlangen meine harmlosen Jugenderinnerungen vorplauderte, schüttelte er zweifelnd sein Haupt. Ich unterlasse es für heute, Sie mit den nun folgenden Mittheilungen des sehr unterrichteten Mannes zu ermüden.

Doch ‚Prinzeß Editha‘! begrüßte er mich zum ersten Male mit meinem rechtmäßigen Namen und übergab mir vertrauensvoll meine Geburtsatteste, die er als Beichtiger meiner verstorbenen Mutter aus deren Händen beim Verscheiden mit der Bitte empfangen, Nachforschungen nach ihrem Kinde anzustellen, das sie bei ihrem herumirrenden Nomadenleben in den Händen französischer Emigranten in New-York zurückgelassen. Krankheit und Tod hatten sie überrascht, ehe sie ihr Kind reclamiren konnte. Der Geistliche hatte vergeblich nach der französischen Emigrantenfamilie geforscht, die in der großen Weltstadt vielleicht verschollen oder längst verkommen war. Mit den Papieren hatte er sich später zurück nach Europa begeben, und jetzt – nach einer Reihe von Jahren – zum ersten Male abermals amerikanischen Boden betreten.

In höchster Erregung flog ich zu meiner Mutter und drang auf Bestätigung der Muthmaßung, die bei dem Geistlichen durch die frappante Aehnlichkeit mit meiner erlauchten Familie hervorgerufen war. Diese ward zur unumstößlichen Gewißheit, da wir nun ihre Angaben denen des Priesters, Daten, Namen und Thatsachen gegenüberstellten.

Der Professor S., der edelste humanste Mensch, dessen mildthätiger Sinn ihn häufig als Retter und Tröster in die Hütten fremdländischer, der Landessprache und Sitte unkundiger Armen führte, hatte auf einem dieser Besuche bei französischen Emigranten einen Säugling gefunden, mit dem dieselben sich keinen Rath wußten im eigenen Elend und bei dem Wunsche der Rückkehr in die Heimath. Das Kind war nicht ihr eigenes; es war ihnen von einer kranken flüchtigen Frau für kurze Aufbewahrung übergeben – diese Frau hatte sich einfach Lola genannt. Aber die vorbehaltene Frist war abgelaufen, das Kostgeld nicht erneuert, die Frau – die eine vornehme Dame zu sein schien – war nicht zurückgekehrt, und die guten Leute verspürten keine Lust, durch den kleinen Fremdling Last und Kosten der Ueberfahrt zu vergrößern. Mit gewohntem Samaritersinn nahm der Professor sich des hülflosen kleinen Geschöpfes an; er brachte es in sein eigenes Haus; er ließ es wie sein eigenes Kind erziehen, und nur Motive edelster Art veranlaßten ihn, den Fremdling über seine dunkle Herstammung ohne Ahnung zu erhalten. Die Macht der Gewohnheit that schließlich das ihrige, ihn den übrigen Kindern als Blutsverwandte und dadurch den Schleier des Geheimnisses für lange ungelüftet zu lassen.

Noch einige Wochen, und auch meine treue Pflegemutter starb. Ich wollte den Schutz des gastlichen Hauses – so warm man mir ihn aufdrang – nicht länger für mich beanspruchen, ich, die ich an ein stolzes Geschlecht gerechtere Ansprüche als diesen zu machen hatte. Das Blut in mir, das sich, zum Kummer meines Adoptivvaters, so oft schon zur Unzeit in mir geregt, das stolze Blut meiner Vorväter machte jetzt sich geltend. Ich wollte keine Almosen annehmen, und deßhalb nutzte ich, die Tocher eines entthronten Königs, zum ersten Male die in mir waltenden Kräfte zum eigenen Frommen und Nutzen, denn diese Königstochter war ja völlig mittellos.

Die Zeitungsredactionen rissen sich bald um meine Gedichte und Essais. Man bezahlte sie gut; aber dies Alles reichte doch eben nur aus, um das Leben zu fristen, für meinen großen Plan aber noch keineswegs.

Ich ging zum österreichischen Consul, legte ihm meine Papiere, meine Wünsche vor und erhielt von ihm als Darlehn eine ausreichende Geldsumme, um damit die Reise nach Europa bestreiten zu können.

Von dieser Reise kehrte ich, so sehr ich sie auch durch landschaftliche und Kunststudien genossen, doch nur halb befriedigt zurück. Ludwig von Baiern empfing mich zwar gütig, nachdem ich mit halber Gewalt mir den Weg zu ihm gebahnt und tapfer für dieses Ziel gekämpft; aber er gab mir doch einen nicht mißzuverstehenden Wink, daß er verjährte Dinge ungern aufgerüttelt sähe, daß er überdies von einer Gemahlin – er betonte es stark – einer Gemahlin seines Verwandten nie etwas geahnt oder erfahren habe. Damit war ich zu Gnaden entlassen. Meine Großmutter mütterlicher Seite in Schottland übergab mir unsere sehr kostbaren Familienpretiosen und sagte mir ein bestimmtes Jahrgeld zu; aber auch ihr schien es erwünscht, an verklungene Zeiten durch meine Person nicht ferner erinnert zu werden.

Ernüchtert und betrogen in meinen hochfliegenden Erwartungen, kehrte ich heim, in das Land wenigstens, das ich als mein Heim betrachten gelernt habe; aber den Glauben an künftige Größe, das sichere Vorgefühl, daß ich zu solcher noch bestimmt bin, kann mir Nichts mehr rauben!“

Die Prinzessin schwieg; ihre leuchtenden Augen waren wie im Seherblick in die Ferne gerichtet. Dann hub sie abermals lebhafter an:

„Von diesem Zeitpunkte beginnt mit meiner Selbstständigkeit – auch meine Unglückszeit. Ich trat von nun ab mit allen Ansprüchen meines Namens auf; wer fände da in Neidern nicht [71] falsche Freunde! Ich lebte fortan meinen eigenen Ideen und Principien. Ich schnitt mein köstliches Haar zu diesen kurzen Wellen, weil es mir ein Raub an der köstlichen Zeit bedünken wollte, die die Frauen bei diesem unnöthigen Putz vergeuden; ich wählte dies schmucklos schlichte Kleid, wie Sie sehen, damit in Beseitigung lästigen Flittertands bei männlicher Arbeit nicht wieder Minuten verloren gingen; ich beschränkte mich auf den Gebrauch dieses Männerhutes, um den Spiegel entbehren und jedem Wetter trotzen zu können. Ich warf meinem ganzen verwöhnten vergötterten Geschlecht, das mir wie Puppen oder Schooßhündchen des stärkeren durch eigene Indolenz erscheinen will, den Fehdehandschuh in’s Gesicht, indem ich öffentlich vom Katheder aus in Steinway-Hall die Nutzlosigkeit ihres Daseins, ihre Hohlheit, ihre Oberflächlichkeit angriff. Natürlich stand ich bald vereinzelt in meiner Ausnahmsstellung da, fand Widersacher und Freunde, wurde von den verschiedenen Organen der Tagespresse entweder in den Himmel gehoben oder in den Koth getreten, vertheidigt oder heftig angegriffen.

Zu meinen freien Vorträgen drängte man sich; über Nacht war ich eine berühmte Persönlichkeit geworden. Den Huldigungen der tonangebenden Salonhelden begegnete ich mit der Verachtung, die sie verdienten; einigen Unverschämten hatte ich sogar die Thür zu weisen, zu denen sich der sogenannte Prinz Eric zählt. In diese Zeit fällt meine Bekanntschaft mit den bekannten Frauenbanquiers in Wallstreet, und diese Freundschaft, der ich mich in Anerkennung weiblicher Energie und Tüchtigkeit mit all’ dem mir innewohnenden Vertrauen hingab, ward Veranlassung meines spätern Mißgeschicks. Bei Gelegenheit einer kurzen Reise übergab ich der Firma, ohne jede Bescheinigung, meine Juwelen und eine beträchtliche Summe zur Aufbewahrung. Bei meiner Rückkehr leugnete sie den Empfang desselben ab. Ich schweige über das moralische Leiden, das diese neue Täuschung in meiner Seele hervorrief. Nach langem Kampfe schritt ich gerichtlich gegen diese ehemaligen Freunde vor, um mein Eigenthum zu reclamiren. Ich erreichte nur, daß Jene nun mich selbst als Schwindlerin denuncirten, die auf erborgten Namen hier Betrügereien trieb.

Man warf die Tochter eines Königs, ein Opfer elender Cabalen und Machinationen, in das Gefängniß!“ –

Sie schwieg – wir Alle – denn tief erschüttert war ich ihrem hinreißenden Vortrage gefolgt, den sie mimisch lebhaft unterstützte.

„Die Untersuchungshaft dauerte lange,“ nahm sie den Faden der Erzählung wieder auf, „jedes Kind hier würde Ihnen sagen können, wie sie sich in den Zeitungen meinethalben herumgestritten. – Ich kam endlich frei, und im nächsten Monate muß sich mein Proceß entscheiden, den nur die elende Handhabe der hiesigen Justiz zu Gunsten meiner Angreifer beenden könnte.“ –

Wir, die Prinzeß und ich, traten gemeinsam später auf die Straße hinaus. Dort bot sie mir in liebenswürdiger Zuvorkommenheit die Benutzung ihrer Logen in den verschiedenen Theatern und endlich ein Billet zu ihren eigenen Vorträgen an. Ich nahm das Anerbieten höflich dankend unter der Bedingung an, daß sie persönlich Ueberbringerin der Karten werden wolle, wobei ich ihr die meine überreichte, die meine Adresse enthielt. Wir tauchten alsdann in das Gewühl der Weltstadt, das aus den Broadway all’ seine Wogen mündet. Das befremdliche Starren der Passirenden, das nur theilweise durch die eigenartige Tracht meiner Begleiterin gerechtfertigt schien, ja endlich gar das vielsagende unzweideutige Lächeln auf manchem Gesichte berührte mich peinlich; es verletzte das weibliche Tactgefühl, das die allgemeine Aufmerksamkeit ungern auf sich hingelenkt sieht, und erleichtert athmete ich auf, als meine Begleiterin sich an der nächsten Querstraße verabschiedete.

„Ich komme bald zu Ihnen,“ waren ihre letzten Worte. Mit diesen kam mir der gelinde Zweifel, ob meine Einladung nicht etwa übereilt gewesen. So lange ich mich unter der Einwirkung ihrer eindringlichen Stimme befunden, war sie für mich unstreitig nur die Märtyrerin ihres Verhängnisses; jetzt wollte mir, beim Lichte nüchterner Ueberlegung betrachtet, das Ganze doch gar zu romanhaft und seltsam erscheinen.

Noch voll des Gehörten und Erlebten kehrte ich in mein einstweiliges Heim zurück. Meine Angehörigen schlugen bei meinen Mittheilungen die Hände über dem Kopfe zusammen. „Wie konntest Du,“ erschallte es in mißbilligendem Erstaunen rings im Kreise, „wie konntest Du Dich mit der verrufenen Schwindlerin am hellen lichten Tage auf dem Broadway sehen lassen? Zu Dir kommen will sie – bei Leibe nicht!“ Wo ich sondirend von der Prinzessin sprach, lachte man mir in’s Gesicht und warnte mich, nicht durch ihre Bekanntschaft mich zu compromittiren. Endlich, nachdem ich mich schon in falsche Hoffnungen gewiegt, kam dennoch der gefürchtete Augenblick, der mich für meine Uebereilung, oder eigentlich nur Unkenntniß von Land und Leuten, zu strafen hatte.

Eine der tonangebenden Damen der dortigen Gesellschaft saß plaudernd bei uns im Salon (und das will etwas heißen in der Metropole der freien Republik, in der es möglichst noch exklusiver hergeht, als in unseren vaterländischen alten Adelskreisen). Es schellte an der Hausglocke – das amerikanisch unabhängige Dienstpersonal, das sich in den unteren Räumen aufhält, stellt meine deutschen Höflichkeitsgewohnheiten durch unerhörtes Zögern auf eine zu harte Probe, und ich eile, die Thür des Parlours halb anlehnend, dienstbeflissen an die des Hauses. Wäre mir beim Oeffnen Banquo’s Geist erschienen, ich hätte nicht mehr zurückprallen können, als vor der lebensvollen Gestalt der Prinzeß Editha.

„Ist Mrs. L. zu Hause?“ frug sie, von außen stehend, die mich im Morgenkleide, von dem Licht der Straße noch geblendet, augenscheinlich nicht gleich erkannte.

Dies kurze Zögern gab mir den Muth der Verzweiflung, mich aus meiner Verlegenheit auf die einzig mögliche Art herauszuziehen; zitterte ich doch vor dem Zorn meiner Schwestern, dem prüden Entsetzen und Naserümpfen der Dame der „guten Gesellschaft“. – Ich verleugnete mich selbst und führte meine Rolle, an allen Gliedern bebend, mit Aplomb und Consequenz, trotz ihres eindringlichen Forschens und, wie es schien, spätern Erkennens, eine volle Viertelstunde durch. Die „Tochter eines Königs“ ließ ich vor meiner Thür stehen, während das schallende Gelächter der höchlich amüsirten Damen aus dem Parlour zu uns herausdrang.

Sie mußte endlich die Absicht errathen und empfand den Schimpf. Wie eine entthronte Königin, in aller Majestät der beleidigten Würde, hob sich die stolze Gestalt.

„Leben Sie wohl, Madame!“ Sie rauschte von dannen. Fast überkam es mich wie Reue.

Hatte ich eine Betrügerin oder eine Selbstbetrogene von unserer Schwelle gestoßen? –

Die Zukunft muß es entscheiden.




Blätter und Blüthen.

Ein bischöflich Verfluchter im Elend. Wenn der Leser diesen Titel liest, wird er sich wohl darauf gefaßt machen, eine Leidensgeschichte aus längst vergangenen Tagen zu hören. Dem ist nicht so. Wir erzählen hier eine Geschichte der Gegenwart, und die Leser erfahren von einem mit ihnen Lebenden, wie ein Bischof seine volle Gewalt an einem armen Priester ausläßt. Die Redaction der Gartenlaube erhält nämlich folgende Zuschrift eines höheren bairischen Gerichtsbeamten:

„Ich wage, im Vertrauen auf das bekannte Humanitätsgefühl, Euer Wohlgeboren Folgendes vorzuführen:

Im Jahre 1856 wurde der katholische Pfarrverweser Thomas Braun von Holzkirchen in Niederbaiern deshalb seiner Stelle und seines Gehaltes entsetzt und, weil ohne entsprechendes Privatvermögen, dem Hunger und Elend preisgegeben, weil er den Muth hatte, das im Jahre 1854 von dem gegenwärtigem Papste Pius dem Neunten neu verkündete Dogma von der unbefleckten Empfängniß Mariens, der Mutter Jesu, zu bezweifeln und dem Bischof von Passau gegen die ihm zugemuthete Verkündigung dieser neuen Lehre Vorstellungen zu machen.

Für diese Aufrichtigkeit, dafür, daß dieser altkatholische Priester kein Heuchler wurde, wurde er aber hart gezüchtigt und seiner zeitlichen Existenz beraubt, mit dem Kirchenbann belegt, dem katholischen Volke von den Kanzeln als ewig Verfluchter und Verdammter geschildert und der fernere Umgang mit demselben als verpestend, als die schwerste Sünde geschildert, von der nicht absolvirt werden könne.

Dieser edle Mann duldete seitdem vierzehn Jahre lang die ganze Härte solchen Kirchenbannes; an keinem katholischen Orte duldete ihn der hartherzige Bischof; er mußte nach Ortenburg, dem einzigen protestantischen Orte Niederbaierns, flüchten, um den bittersten Verfolgungen und Mißhandlungen seiner eigenen Glaubensbrüder zu entgehen, und hält sich auch zur Zeit noch an diesem Orte auf.

Thomas Braun wurde von keinem seiner bairischen Collegen, sondern nur von einigen katholischen Geistlichen im fernen Holland bisher kümmerlich unterstützt; wie er mir aber am 27. November v. J. schrieb, ist nun auch diese Unterhaltsquelle versiecht, und der nun sechsundfünfzigjährige, auch körperlich geschwächte Mann ist dem Hungertode unrettbar preisgegeben, wenn nicht bald eine genügende Unterstützung erfolgt.

[72] Meine innigste Bitte würde an Euer Wohlgeboren nun dahin gehen, womöglich von diesem wahrheitsgetreuen Zustande edle Menschenfreunde zu verständigen, damit Herr Thomas Braun wenigstens momentan eine kleine Unterstützung fände, welcher er nach seiner jammervollen Zuschrift dringend bedarf.

Nach eingezogener Erkundigung ist Herr Thomas Braun ein sehr achtbarer und aufgeklärter Geistlicher, der aber, weil er eben der römischen Curie keinen blinden, jesuitischen Gehorsam leistete, bei seinem Bischof in Ungnade fiel und wie ein unbrauchbares Möbel weggeschleudert wurde.

Ist aber Derjenige noch ein echter Nachfolger unseres Heilands, der seinen Bruder des religiösen Hasses wegen Hungers sterben läßt?! In Deutschland soll ja vom neuen Jahre an Eintracht und religiöse Duldsamkeit herrschen; Glaubens- und Gewissensfreiheit soll ein unantastbares Gemeingut des deutschen Volkes werden; ich glaube, der Geist Jesu Christi und der von ihm gestifteten heiligen Religion müßte aus Deutschland entschwunden sein, wenn wir einen Deutschen seiner Glaubenstreue halber verhungern lassen könnten.

In der Hoffnung, keine Fehlbitte gethan zu haben, und unter den herzlichsten Glückwünschen zum neuen Jahr, zeichnet mit Versicherung vollkommenster Hochachtung etc.“

Soweit unser Gewährsmann, welcher uns ausdrücklich erklärt, daß er für die Wahrheit seiner Aussage jeden Augenblick mit seinem Namen einzustehen bereit sei, und es bedarf denn auch wohl nur dieser Zeilen, um die thatsächliche Theilnahme unserer Leser für den Unglücklichen anzuregen.

Der Bischof von Passau aber hat in neuerer Zeit, wie selbst von seinem König anerkannt worden, einem milderen, versöhnlicheren Geiste gehuldigt, er gehört sogar zu den wenigen deutschen Bischöfen, welche die neuesten Dogmen des vaticanischen Concils vom Jahre 1870 noch nicht in ihren Diöcesen verkünden ließen. Vielleicht erinnert diese Mahnung der Presse den hohen geistlichen Herrn an seinen Gewaltact gegen einen Mann, der nicht mehr gegen den Papst verbrochen hat, als er selbst soeben begeht, und er findet sich hoffentlich bewogen, das so offen begangene Unrecht ebenso offen wieder gut zu machen.
D. Red.

Ein stilles Hauptquartier nannten wir neulich Margency, das Hauptquartier der Maasarmee. Heute erhalten wir von unserm Feldmaler F. W. Heine von dort die Abbildung der Hauptstraße zugeschickt, mit einem ausführlichen, Anfang Januar, kurz vor Beginn des Bombardements geschriebenen Briefe, in welchem es unter Anderem heißt:

„Sie werden gewiß meine Zeichnung vielgestaltig und das Leben auf der Straße munter und bewegt finden. Und doch, an welcher entsetzlichen Langeweile leiden wir Alle, die wir um die Mauern von Paris liegen und nicht im Besitze jener Wundertrompeten sind, die einst die Mauern Jerichos zum Falle gebracht haben! Die sollte uns Jemand auffinden, das würde ein Blasen sein, wie es die Welt noch nicht gehört hat! Wenn nur erst das Bombardement losginge, wäre es auch nur, um in dieses endlose Einerlei unseres Lebens eine nachdrückliche Abwechslung zu bringen! Denken Sie sich, Margency ist ein kleines gewöhnliches französisches Dörfchen, das auf einem von Montmorency aus nördlich längs dem Oisefluß hingestreckten Höhenzuge liegt. Die meisten Einwohner sind geflohen und in ihren Häusern haben wir uns, so gut es eben ging, wohnlich eingerichtet; die wenigen Zurückgebliebenen sind arme Tagelöhner, Handarbeiter, Leute, die hier wie dort nichts zu verlieren haben und so den wirklichen oder vermeintlichen Bedrohnissen einer „Invasion“ ruhig entgegensehen konnten. Industrie und Speculation treiben indeß auch hier ihre üppigen Blüthen, und sie sind es denn auch, welche den Straßen von Margency einige Farbe, einige Bewegung verleihen.

„Fromage – beurre – cognac!“ (Käse – Butter – Cognac) rufen die Händler in langgezogenen Tönen und wollen oder können sich nicht entschließen, die deutsche Benennung zu gebrauchen, die dem „Prussien“ doch geläufiger wäre. So bleibt dem „Prussien“ eben Nichts übrig, als Französisch zu lernen, und so komische Scenen bei diesen Lectionen auf Markt und Straße sich ereignen, so wird man doch einst in Deutschland staunen, wie gewandt der heimgekehrte Krieger mit den Brocken, welche er der Sprache der „grrroßen Nation“ abgelauscht hat, um sich wirft. Jene Händler kommen von allen Seiten, sie ziehen von Dorf zu Dorf und erfüllen mit ihrem Geschrei die Straßen, deren lebhafteste in Margency jüngst von unseren Soldaten zur „Albertstraße“ umgetauft worden ist. Sie ist es auch, die das Dorf durchschneidet und zu dem Schlosse führt, das der Commandirende der Maasarmee, der Kronprinz Albert von Sachsen, bewohnt und dessen Abbildung ich Ihren Lesern bereits vorgelegt habe. Dadurch kommt es von selbst, daß sich hier der meiste Verkehr concentrirt, daß sich hier Alles zusammendrängt, was die Verhältnisse bildet und durch sie hervorgerufen ist: neben der Bäuerin, die auf trägem Esel Lebensmittel zum Markte schleppt, galoppirende Ordonnanzen; neben dem Postschaffner, der die ersehnte „Feldpost“ den harrenden Soldaten zuträgt, ein verkommener Junge vom Stamme Israels, der die letzte, allen Späherblicken glücklich entgangene, halb ausgehungerte Gans einem stämmigen Stabstrompeter aufzuschwatzen sucht, und neben dem mit reicher „Requisition“ heimkehrenden Soldaten vom dreiundneunzigsten Regimente, der „mit dem Stab in der Hand“ einer Heerde Ziegen und Schafe voranschreitet, der Wagen mit Fourage, von drei kräftigen nach französischer Sitte hintereinandergespannten Percherons gezogen. Von der „Albertstraße“, an der auch die Mairie liegt, führt eine Querstraße rechts ab. Sie heißt die „Mittelstraße“ und unterhält hauptsächlich die Verbindung mit Gonesse und Versailles. Die Thürme, welche hier in der Ferne sichtbar sind, gehören zu Montmorency.

So munter aber auch unter Umständen dieses Treiben in der Hauptstraße von Margency erscheinen mag, man kriegt es, wie ich schon am Eingang dieser Zeilen andeutete, zuletzt gründlich satt und ist ungeduldig, wenn man die eine und andere Compagnie schließlich nur ausrücken sieht, um eine Gewehrvisitation oder dergleichen vorzunehmen. Man bummelt durch die Straßen, kennt ein jedes Gesicht, ist von Jedem gekannt (weil ich halb und halb selbst einen integrirenden Bestandtheil der Staffage der „Albertstraße“ bilde, habe ich nicht umhin gekonnt, auch meine werthe Person Ihren Lesern bescheiden im Hintergrunde vorzuführen), und man verzweifelt endlich, von einem traurigen Kaffeehaus, das sich hier und dort mit schlechten Speisen und schlechtem Wein etablirt hat, zum andern wandern zu müssen und trotz aller Nachforschung und trotz allem Sehnen nichts „Neues“ zu erfahren. Die Frage darnach ist das erste Wort, das jeder Begegnende für den andern auf den Lippen hat. Da hört man denn auch wohl immer von einem Ausfall, den die Belagerten „ganz gewiß“ für die nächsten Tage vorbereiten; aber wie „die nächsten Tage“ beweisen, ist Alles nur eitle „Schiffernachricht“ gewesen. Wahrhaftig, in Paris selbst, dessen Häusermassen man auf der Höhe von Daumont deutlich sehen kann, mag es leicht unterhaltender sein als hier.

Bietet aber die Straße Nichts, was den gesunkenen Lebensmuth aufrichten und Einen vom Lebensüberdruß heilen könnte, so bietet die Wohnung, in welcher der Einzelne sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, noch viel weniger. Ein trostlos kahles Zimmer, kaum nothdürftig mit den allernöthigsten Meubles versehen, ein abscheulicher Kamin, der, geheizt, keine Wärme, sondern nur beißenden Rauch spendet, daß man das brennende Grünholz gern wieder aus seinem Schlunde zieht – das ist die Umgebung, in der man arbeiten, in der man mit kälterothen Händen zeichnen und „Text“ schreiben soll. Dabei fällt der Schnee, lang und langsam und hüllt Alles in seine weiße, unabsehbare, langweilige Schneedecke ein, bei deren Anblick Einem das Gähnen kommt. Einen Lichtblick in dieser Oede bildet allein die Ankunft der Briefe, der Zeitungen – und darum habe ich den wackern Schaffner, dessen spendender Hand wir diese Freuden verdanken, auch auf meinem Bilde nicht vergessen dürfen. Unter solchen Umständen ergriff ich neulich mit Vergnügen die Gelegenheit, eine Schleichpatrouille mitzumachen, Nachts, mitten durch den Schnee, immer auf dem Bauche und ganz nahe an den Feind heran. Ich schicke Ihnen die Skizze davon nächstens; heute aber lassen Sie mich mit dem Wunsche schließen, der gegenwärtig das Herz eines jeden Soldaten, eines jeden Malers, eines jeden Berichterstatters erfüllt: Wenn es nur endlich einmal zum Beschießen, wenn es nur zum Sturme käme!“

Dieser Wunsch ist inzwischen, wie unsere Leser wissen, wenigstens in seinem ersten Theile erfüllt.


Die Manesse’sche Sammlung, ein französisches Raubstück. Wer wüßte nicht, daß die Minnesänger – die deutschen Lyriker zur Zeit der großen schwäbischen Kaiser – eine der wichtigsten und zugleich glanzvollsten Epochen der deutschen Nationalliteratur bilden? Ihre Gesänge, die meist mit Cither-, Harfen- und Geigenbegleitung zum Vortrage gelangten, fanden nicht selten die größte Verbreitung, bevor irgend Jemand daran dachte, sie aufzuschreiben. Viele aber sind trotz späterer Aufzeichnung verloren gegangen, und in Deutschland besitzen wir daher nur noch wenige Ueberreste aus der Blüthezeit unserer mittelalterlichen Poesie in Handschriften auf den Bibliotheken zu Jena, Heidelberg, Stuttgart etc.

Die werthvollste noch erhaltene Sammlung aus jener Zeit, und das eigentliche Denkmal einer großen Periode deutscher Geistesentwickelung, wurde bekanntlich vom Ritter Rüdiger Manesse hergestellt, der 1384 als Bürgermeister in Zürich starb. Sie enthält außer dem Wartburgkriege noch vier Lehrgedichte, sowie namentlich die Lieder von nahezu 200 Dichtern, von Heinrich von Veldeke bis zum Anfange des 14. Jahrhunderts.

Diese werthvolle Sammlung wurde Eigenthum der Heidelberger Bibliothek, aus welcher sie im dreißigjährigen Kriege von den Franzosen geraubt wurde, die sie mit nach Paris nahmen, – dem „Räuberneste“, wie es Fr. Rückert in „des heimkehrenden Kriegers Schmachlied“ nennt. Erst 1726 wurde der Schatz wieder in der kgl. Bibliothek zu Paris entdeckt.

Welch herrliches Zeugniß giebt diese Sammlung von den deutschen Minnesängern, mit denen sich doch die Troubadours nicht im Entferntesten messen konnten! Wie zeigt sie den Werth einzelner groß erkannter Dichter, z. B. (I. 102–142) des reichsten und vielseitigsten Poeten jener Tage, Walther von der Vogelweide, jenes Glücklichen, der den Ruhmeskranz noch auf lebendem Haupte tragen durfte!

Obwohl wir von dieser Sammlung bedeutende Theile durch Breitinger und Bodmer (Zürich 1748 und 1758), sowie durch Tieck (Berlin 1803) und namentlich von der Hagen eine kritische Ausgabe mit Lebensbeschreibungen der Dichter haben, so muß doch jeder Deutsche wünschen, daß das uns gehörige Erbgut nicht in fremden Händen bleibe, die keinerlei Begeisterung und eine Anerkennung unseres Geisteslebens höchstens nur mit nachweisbarem Neide an den Tag zu legen im Stande sind.

Im Jahre 1815 war Gelegenheit geboten, die Manesse’sche Sammlung zurück zu fordern. Man hat diese Gelegenheit versäumt! – Ohne Zweifel wird man bei dem jetzigen Friedensschlusse von deutscher Seite die früher geraubten Denkmäler der Kunst und Wissenschaft von den Parisern zurückfordern – und zwar mit Fug und Recht. Daß man dabei die Manesse’sche Sammlung nicht vergessen möge, dazu möchte der Unterzeichnete durch die vorstehende Erinnerung eine Anregung gegeben haben.

Dr. C. Beyer.



Kleiner Briefkasten.

L. in Lpz. Die „deutsche Zeitung am Rio de la Plata“ hat sich mit ihrer Leipziger September-Correspondenz einfach lächerlich gemacht. Würde der sonderbare Mitarbeiter noch einige Wochen gewartet haben, so hätte er sich leicht aus den Quittungen überzeugen können, daß die Redaction der Gartenlaube seine Angaben jetzt schon um das Fünffache übertroffen hat. – Der bezeichnete „Urdemokrat“ ist übrigens kein Achtundvierziger. Schon im Jahre 45 stand er auf der Liste der Ausgewiesenen und bereits im Jahre 1847 war er zu dreizehn Wochen Gefängniß verurtheilt. Auch in dieser Beziehung schlußfolgert die Correspondenz einfach – albern.

M. D. Ihre Wünsche werden schon demnächst Erledigung finden. Wir haben nun auch noch unsere alten Mitarbeiter F. Gerstäcker und Fr. Hofmann nach dem Kriegsschauplatz gesandt; dieselben beabsichtigen zunächst, Orleans und Versailles zu besuchen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Aus der demnächst erscheinenden Neuen Sammlung der Märzroth’schen „Bilder aus dem alten Wien.“ Die Redaction.