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Die Gartenlaube (1878)/Heft 48

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1878
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[785]
Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Längst hatte es Mitternacht geschlagen, und noch immer saß Nelly am Bett der fiebernden Mutter. Sie war die Einzige, die den Kopf oben behalten bei der grausamen Veränderung der Dinge. Sie hatte die erschöpfte, besinnungslose Mutter zur Ruhe gelegt und soviel wie möglich die Spuren der Vorkehrungen vernichtet, mit denen man gestern Abend die Schwiegertochter und Braut des einzigen Sohnes empfangen wollte; sie war leise durch den langen Corridor geschlichen und hatte an der Thür von Army’s Zimmer gehorcht; die Schritte des ruhelos auf und ab Wandernden waren tröstlich in ihr Ohr geklungen. Und nun saß sie wieder und lauschte dem Athem der fiebernden Mutter und hauchte dann und wann einen leisen Kuß auf die feinen Hände, die sich so fest gegen die rasch athmende Brust gepreßt hatten. Der graue Schimmer des erwachenden Tages brach durch die Vorhänge und färbte sich nach und nach mit mattrosigem Lichte.

Nelly trat zum Fenster: dort unten lag der Park; die Blätter der Bäume hingen naß und schwer auf den bereiften Boden; funkelnd schauten die rothen Kronen der Ebereschen aus dem herbstlich gelben Laube hervor, und über dem Walde schwebte ein feiner weißer Nebel, der in den Wipfeln der hohen Bäume des Parkes wie ein leichter duftiger Schleier hing, rosig durchwebt von der aufgehenden Sonne. Müde und übernächtig lehnte Nelly den Kopf an die Scheiben und schloß die Augen – da hörte sie ein Geräusch hinter sich, das Rücken eines Stuhles.

„Mama!“ rief sie, als sie die Mutter mit fieberhafter Eile ein Kleidungsstück nach dem andern anlegen sah.

„Ich habe so lange geschlafen Nelly, und habe nicht einmal den Army getröstet; es ist schon Morgen – nein, laß mich, ich muß zu ihm; er soll nicht den Glauben an die Menschheit ganz verlieren; er ist noch viel zu jung dazu. Halte mich nicht zurück, Nelly; er wird nicht schlafen; es schläft sich nicht so leicht nach solchem Kummer.“ Sie litt kaum, daß das junge Mädchen ihr ein Tuch umlegte, und eilte durch das Wohnzimmer hinaus.

Die Kleine wagte nicht ihr zu folgen; sie schlich sich an die Nebenthür und horchte; da plötzlich ein gellender Schrei! Hastig stürzte sie hinaus und flog durch den langen Corridor. Die Thür zu des Bruders Zimmer war geöffnet; drinnen stand die Mutter und hielt sich bebend an der Tischplatte.

Nelly übersah in einem Moment das Gemach – dort das alte Himmelbett, die Kissen zerwühlt, auf dem Tische eine halb geleerte Flasche Wein, daneben ein Glas, über dem Sopha die leere Tapete; das große Bild, das dort gehangen, lehnte mit der Vorderseite gegen die Wand; dort lagen die Epaulettes neben dem Degen auf dem Stuhle – aber Army – wo war Army –?

„Er ist fort!“ stammelten die bleichen Lippen der zitternden Frau, „er ist fort, Nelly – wenn er – wenn er wie sein Vater –?“

„Was denn, Mama? Was denn um Gotteswillen?“

„Wenn er, Nelly, wenn er – o, ich – Jesus Christus!“ sagte sie wie abwesend. „Eile, Nelly, such’ ihn!“ bat sie dann hastig, „ich kann ja nicht; sag ihm, er soll bei mir bleiben! Einmal hätte ich das Schreckliche erlebt – einmal, das ist genug; ein zweites Mal ertrüg’ ich’s nicht.“

„Mama,“ bat Nelly in Todesangst, „was meinst Du?“

„Rasch, rasch! So geh’, so eile doch! Er soll nicht sterben; er soll leben. Geh’, sonst bringen sie ihn mir auch so bleich und blutig –“ sie schauderte und wies hinaus zur Thür.

Das geängstigte Kind hatte die Mutter begriffen, und wie mit Geierkrallen faßte die Angst auch ihr Herz; sie floh aus dem Zimmer – wo, wo sollte sie doch zuerst suchen? Mechanisch lief sie die Treppe hinunter; die Pforte im Thurme stand angelehnt; in jäher Hast floh sie über den Schloßplatz, vorbei an den steinernen Bären, in den Lindengang. Des Bruders verzweifeltes Gebahren, die schreckliche Andeutung in Betreff ihres Vaters – dämmerte doch jetzt in ihr eine entsetzliche Gewißheit auf! Sie preßte die Hände auf die Brust und stand still. Wo konnte Army sein?

„Army!“ rief sie, aber es war, als wollte der Schrei nicht aus der Kehle. „Army!“ – es blieb ringsum todtenstill.

Feucht und naß lagen die welken Blätter ihr zu Füßen; ein paar kleine Vögel flatterten in den Aesten und schauten mit neugierigen schwarzen Augen zu dem geängstigten jungen Menschenkinde hinunter; „Army!“ stieß sie noch einmal mit Aufbietung aller Kraft hervor, und dann einen langhallenden Ruf – wie ein Jauchzen klang es; so hatten sie sich als Kinder immer gerufen; das mußte er hören.

Kein Laut gab ihr Antwort; nur ein Flüstern durch die alten Lindenbäume, als schüttelten sie verneinend die Häupter, um zu sagen: er ist nicht hier. Am Teich vielleicht, am Teich – dachte sie, und als sie durch die dichten Gebüsche eilte, da ergriff sie ein nie gekanntes Grausen in dieser Stille, dieser Einsamkeit. Wie, wenn sie ihn fände? Wenn er nicht mehr hören könnte, daß sie ihn rief? Wenn er bleich und butig –? Das Herz preßte sich ihr zusammen, aber sie schritt vorwärts.

Da lag das kleine dunkle Gewässer so ruhig, als gäbe es

[786] keine Stürme, kein Wetter in der Welt. Teichlinsen und welke Blätter schwammen bewegungslos auf der glatten Fläche, und die steinerne Ruhebank am Ufer stand leer. Wie erleichtert seufzte sie aus und schritt hastig weiter; die herabhängenden Zweige schlugen ihr in’s Gesicht und streiften den Thau auf die blonden Haare. Der Saum ihres Kleides schleifte schwer und feucht hinter ihr, und weiter, nur immer weiter! Sie blickte angstvoll nach rechts und links, und von Zeit zu Zeit rief sie den Namen des Bruders durch die stille Morgenluft. Da – Schritte – ! Wie gejagt flog sie weiter; dort lag das Gitterthor, der eine Flügel geöffnet; schon eilte sie hindurch – es war ein Arbeiter, der, die Mütze ziehend, an ihr vorüber schritt, die unerwartete Erscheinung verwundert musternd; dann blieb er stehen; sie hatte eine Bewegung gemacht, als habe sie etwas sagen wollen, da sie aber schwieg, fragte der Mann:

„Suchen Sie etwas, gnädiges Fräulein?“

„O nein, nein, ich wollte mit meinem Bruder einen Morgenspaziergang machen – haben Sie ihn vielleicht gesehen?“

„Den Herrn Officier meinen Sie? Ja, dem bin ich vorhin begegnet, ein Stückchen hinter der Lumpenmühle.“

„Danke!“ hauchte sie und schlug den Weg zur Mühle ein; in größter Hast schritt sie vorwärts. Dort blickte schon das Wohnhaus durch die Ellern; dort lag der Mühlensteg – vorbei, vorbei! Sie schliefen wohl Alle noch da drüben im Hause. Nur weiter! Da – allmächtiger Gott – da knallte ein Schuß; so deutlich, so furchtbar tönte es in ihr Ohr; sie schlang, mechanisch nach einem Halt suchend, den Arm um den ihr zunächst stehenden Baum; dann glitt sie zu Boden. Sie sah nicht mehr, wie eine alte Frau eilig, so rasch es ihre Füße erlaubten über den Mühlensteg daherkam, wie ein gutes ehrliches Gesicht, von einer weißen Haube umrahmt, sich so ängstlich zu ihr niederbeugte; sie hörte nicht den Hülferuf, der über die erschrockenen Lippen kam: „Jesses, Nelly, unsere Nelly! Was ist da wieder geschehen?“



11.

In dem Wohnzimmer des Schlosses waren die dunklen Vorhänge zugezogen, und dort, wo sonst das große altmodische Sopha seinen Platz gehabt, stand jetzt das Krankenbett von Nelly’s Mutter; sie war schwer erkrankt an jenem unglücklichen Morgen, als sie ihren Sohn suchte und nicht fand; das schwache Leben rang mit dem finsteren Engel, dessen unheilverkündende Nähe durch das Gemach zu wehen schien. Im fortwährenden Kreisgange drehten sich ihre Phantasien um jenen Tag, wo sie dem blutigen starren Körper ihres Gatten gegenüber gestanden; bald war er es, den sie erblickte, bald war es der Sohn, und in herzzerreißenden Tönen bat sie ihn, nicht auch zu sterben, sie nicht auch zu verlassen; sie könne ja sonst nicht leben.

Jetzt war es still in dem großen Gemach; eine schlanke Mädchengestalt, die jedesmal bange aufhorchte, wenn die wirren Fieberreden im bunten Durcheinander von den Lippen der Todkranken kamen, schwebte mit beinah unhörbaren Schritten über das alte Parquet, strich mit leiser Hand die Kissen zurecht und beugte sich spähend über die Leidende, um die leisen Athemzüge zu belauschen, wenn sie eingeschlafen schien. Ja – das Lumpenmüller-Lieschen leistete zum zweiten Male Samariterdienste auf Schloß Derenberg, und das war schon der zehnte Tag heute, den sie hier sorgend durchlebte. Es waren lange bange Tage und noch bängere Nächte; heut hatte das Fieber etwas nachgelassen wie der Arzt sagte, und jetzt war Schlummer über die erschöpfte Kranke gekommen. Lieschen nahm ein Buch von dem Tisch und setzte sich an das Fenster, durch dessen Vorhänge ein schmaler Streifen des Tageslichtes fiel; sie lehnte den kleinen Kopf in das Polster des Stahles und schloß die Augen. Wie wunderbar war es doch, daß sie jetzt hier oben im Schlosse saß, welches sie nie geglaubt hatte wieder zu betreten! Die Muhme hatte sie eines Morgens stürmisch geweckt, und in der Wohnstube fand sie Nelly, die in thaunassen Kleidern auf dem Sopha lag, ohne Besinnung. Wie war sie erschrocken gewesen! Es waren Stunden vergangen, ehe man das arme Kind wieder zum Bewußtsein gebracht, aber ehe es noch soweit gekommen, da – da hatte sich die Thür des Wohnzimmers im väterlichen Hause geöffnet, und – er hatte auf der Schwelle gestanden. Sie hatte aufgeschrieen vor Staunen und Schreck, ja vor Schreck, denn er, der da eingetreten war mit dem schmerzenstiefen Zug um den Mund, die Augen so ausdruckslos auf sie geheftet – er war der frühere Army nicht mehr, nicht mehr der lustige, übersprudelnde Army mit den stolzen schönen Zügen.

„Ist meine Schwester nicht hier?“ hatte er tonlos gefragt, und dann, als er diese erblickt, wie sie noch immer bleich und bewußtlos dagelegen, da war etwas wie tiefes Mitleid über sein Gesicht gezogen.

Was weiter geschehen? Die Muhme und er, sie hatten leise in flüsterndem Tone gesprochen, für Lieschen aber waren nur die Worte verständlich gewesen: die Mutter sei schwer krank, er brauche Hülfe, die Sanna sei so ungeschickt und die Großmama klage über Migräne; und nun auch noch Nelly, die arme Nelly!

„Ich gehe mit,“ hatte Lieschen erklärt. Und dann war sie, neben ihm, in tiefem Schweigen durch die herbstlich stille Natur geschritten. Kein Wort sprach er damals mit ihr, und kein Wort war bis heute über seine Lippen gekommen, so oft er auch leise in das Krankenzimmer trat und die Vorhänge des Bettes zurückschlug, um die Mutter zu sehen.

Und Lieschen wußte es, warum er so finster, so schweigsam war. Der blitzende Verlobungsring an seiner Hand fehlte, und die Phantasien der Kranken hatten die unglückliche Thatsache ja so unverschleiert ausgeplaudert. O, dieses schöne, falsche Geschöpf! Wie haßte Lieschen die Treulose! Wie recht hatte Nelly gehabt, als sie damals sagte: „Sie liebt ihn nicht.“ Aber er – wenn sie ihm doch ein paar tröstende Worte sagen könnte!

Da öffnete sich leise die Thür der Krankenstube, und Nelly trat herein.

„Wie sanft sie schläft!“ flüsterte sie, mit einem Blick auf die Kranke und setzte sich zu den Füßen der Freundin auf ein Bänkchen; „Gott sei Dank! Der Arzt meint, die Gefahr sei nun vorüber; ach, Lieschen, wie glücklich bin ich in dieser Hoffnung! Ich fühle mich auch jetzt wieder kräftig, und Du sollst diese Nacht schlafen, Du gutes Herz!“

„Nein, Du sollst es, Nelly. Keine Widerrede!“ sagte Lieschen bestimmt, „der Doctor will unter keiner Bedingung etwas davon wissen, daß Du wachst. Nachher nimmst Du Dir ein Tuch um und gehst ein wenig in die freie Luft; Dein Bruder begleitet Dich gewiß gern.“

Nelly schüttelte traurig das Köpfchen. „O ja, er kommt wohl mit – aber Lieschen. Du glaubst es nicht, wie schrecklich es ist, so allein mit ihm zu sein! Er geht finster neben mir her, und dann plötzlich fängt er lustig an zu pfeifen, wie ein Verzweifelter. Ach, bei Dir, Lieschen, ist mir am wohlsten. Wenn Du nicht wärst und die Muhme, und wenn Deine gute Mutter nicht so für uns sorgte, dann sähe es schlimm aus hier oben.“

„Aber, Nelly!“ flüsterte erröthend das junge Mädchen und legte die Hand auf den Mund ihrer Freundin. – –

Während die beiden jungen Mädchen im Krankengemach solche Worte tauschten, saß die alte Baronin grübelnd oben in ihrem Zimmer. „Einmal muß es sein,“ sagte sie endlich halblaut vor sich hin, „ich muß mit ihm sprechen, was nun eigentlich werden soll.“ Sie erhob sich und klingelte.

„Ich lasse meinen Enkelsohn bitten, zu mir zu kommen,“ befahl sie kurz und unfreundlich der eintretenden Sanna und nahm ihren Platz wieder ein.

Durch die rothen Vorhänge stahl sich nur ein mattes Licht in die Räume, denn draußen hatte sich der Himmel bezogen und ein scharfer herbstlicher Wind begann mit Macht die Blätter von den Bäumen zu fegen; im Kamine flackerte ein Holzfeuer und warf leuchtende Streifen auf die rothen Polster und Vorhängen die verblichenen Farben loderten fast in ihrer früheren Purpurgluth wieder auf, wenn solch ein züngelnder Reflex sie traf; finster sah die Baronin in die spielenden Flammen.

„Herein!“ rief sie, als jetzt ein rasches Pochen an der Thür erschallte.

„Ich wollte Dich eben um eine kurze Unterredung bitten, Großmama,“ begann Army eintretend nach einer Verbeugung und blieb hinter dem Stuhle stehen, den ihm die alte Dame mit einer Handbewegung anwies. „Es geht besser mit der Mama. Ich werde abreisen.“

„Wirst Du im Dienste bleiben können?“ fragte die alte Baronin tonlos.

Er blickte finster zu Boden. „Ich weiß es nicht,“ sagte er [787] dann, „vorläufig hängt es von der Stimmung meiner Manichäer ab. Freilich, sobald die Kunde meiner zurückgegangenen Verlobung offenkundig geworden ist, werden sie sich wohl auf mich stürzen, wie eine Meute Jagdhunde; die Sache kommt an’s Regiment; der Oberst wird mich fragen: ‚Bezahlen oder nicht?‘ Dann wird das Ende kommen. Mein Geschick wird mich ereilen, wie vor mir schon so Manchen.“

Die alte Dame hörte ihn so ruhig an, als ob er von einer Luftpartie spräche.

„Hellwig muß Rath schaffen,“ sagte sie entschlossen.

„Hellwig? Ja, wenn er Geld machen könnte! Er hat erst neulich die Unmöglichkeit eingestanden, mir zweihundert Thaler zu schaffen, eine Summe, die ich dem Wagenbauer an einem bestimmten Termine zahlen müßte. Der Mann wollte sich gedulden, bis ich – nun, bis Ende October,“ schloß er kurz. „O, sie wollten sich Alle gedulden; es hatte gar keine Eile – bewahre! Ich war ja Tante Stontheim’s Neffe und im Begriffe, ihre Nichte zu heirathen –“

„Auf wie viel belaufen sich Deine sämmtlichen Schulden?“ fragte die Großmutter.

Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Wozu das? Bezahlt können sie ja doch nicht werden –!“

Eine lange Pause entstand; Army betrachtete scheinbar mit Interesse eine der italienischen Landschaften in dem goldenen Rahmen. Draußen hatte sich der Wind mächtig erhoben; er fuhr heulend durch den Kamin und stäubte Funken auf den verblichenen Teppich und das schwarze Wollkleid der alten Dame.

„Army, es giebt nur ein Mittel, Dich und uns zu retten.“

Er wandte sich langsam um und sah sie fragend an.

„Du machst sobald wie möglich anderweit eine reiche Partie.“

„Wie, Großmama?“

„Es giebt Mädchen genug, reiche, hübsche Mädchen, die sich einen Mann kaufen, wie man so sagt –“

„Ah so, ich verstehe,“ erwiderte er leichthin.

„Ueberlege, Army! Es handelt sich nicht allein um Deine Existenz; es handelt sich um uns Alle.“

„Hast Du mir sonst noch etwas mitzutheilen?“ fragte er in einem Tone, der die alte Dame verstummen machte. „Nichts? Dann erlaubst Du wohl, daß ich mich verabschiede; ich möchte nachsehen, wie es unten steht.“ Er machte eine Verbeugung und ging.

Fast mechanisch lenkte er seine Schritte nach der Krankenstube; im Vorzimmer blieb er stehen; es war ihm, als ob er drinnen flüstern höre; dann schritt er zum Fenster und preßte die Stirn gegen die Scheiben.

Was seine Großmutter ihm da eben gesagt, das war wie ätzende Tropfen in die frische Wunde gefallen, die er trug; der heiße Schmerz trieb ihm das Blut in die Wangen; vor seinen Augen schwebte ja beständig ein lockendes verführerisches Bild, das ihn nicht lassen wollte, wenngleich er es tausendmal zu verbannen suchte; er sah sie immer wieder, wie sie ihm an jenem Tage nach der Testamentseröffnung erschienen, als es so ruhig, so einsam geworden in der prächtigen Villa; der Schwarm der Besucher hatte sich verlaufen, der Oberst war nach dem Essen im Nebenzimmer eingenickt, und er mit ihr allein – seit langer Zeit zum ersten Male. Wie wundervoll sah sie aus in der tiefschwarzen, mit Krepp garnirten Trauerrobe, die goldene Fluth der Haare von schwarzen Schleifen zurückgehalten! Sie lag wie träumend im Sessel, während er zu ihr sprach; von seiner Liebe sprach er, von seiner Sehnsucht, sie zu besitzen, von all’ der Seligkeit, die sein Herz erfüllte. Ob sie es nur gar nicht gehört hatte? Der Blick, den sie auf ihn richtete, als er ihre Hand ergriff, war ihm wie kaltes Eisen in’s Herz gefahren, hatte die erste schreckenvolle Ahnung in ihm heraufbeschworen; sie hatte sich im Laufe des Gespräches plötzlich erhoben, und er sah sie hinter der Portière verschwinden; die wundervollen goldenen Haare leuchteten noch einmal auf, als sich der Vorhang durch die Zugluft der geöffneten Thür hob; dann war er allein mit seinem übervollen, traurigen Herzen.

Sie habe ihn nie geliebt! ließ sie ihm sagen, sie habe sich ihm nur auf Wunsch der Tante verlobt! – Und da drüben jene falben wirbelnden Blätter im Lindengange, die hatten es gehört, wie sie ihm Treue schwur, wie sie so tausendmal versichert, daß sie ihn liebe, mehr liebe als Alles auf der Welt, und nun – nun war alles dahin. Verkaufen sollte er sich – verkaufen, wie Großmama gerathen. „Nein, lieber doch eine Kugel – eine Kugel!“

Er stöhnte auf und biß die Zähne auf einander; wo war doch das Glück geblieben, an das er so stolz geglaubt? Der alte Spruch fiel ihm ein: „Nur nit verzag’! Glück kumbt all Tag“. Lächerlich, wie hatte es ihn so schnell verlassen!

Da tönte ein leichter Schritt hinter ihm; er wandte sich – ein über und über erglühendes Gesicht schaute zu ihm auf. „Ihre Frau Mutter verlangt nach Ihnen, Herr Lieutenant,“ sagte halblaut eine klare Stimme. Er schritt an Lieschen vorüber in das Krankenzimmer, und sie trat an das Fenster, wo er bis jetzt gestanden. Draußen sprühte ein feiner Regen hernieder und hüllte die Gegend in feuchte Schleier; sie spähte hinab zu dem Hause der Eltern, aber sie konnte es in der dunstigen Atmosphäre nicht erkennen. „Was mögen sie jetzt thun dort unten, mein Mütterchen, der Vater und die Muhme? Der Vater ist wohl auf der Jagd? Ach nein, er mußte so viel im Comptoir arbeiten, seit Herr Selldorf so plötzlich abreiste.“ Wieder stieg ein dunkles Roth in ihre Wangen.

Nebenan war es anfänglich still geblieben; die Thür stand halb geöffnet; Army kniete wohl am Bette der kranken Mutter, und jetzt klang seine Stimme: „Mein gutes Mamachen, Du dachtest, ich wollte es machen wie der Junker von Streitwitz? O nein, nein, ich habe Dich ja noch und Nelly.“ So weich klang es, so tröstend, und doch als ob zurückgedrängte Thränen die Worte undeutlich machten. Und dann der Mutter schwache Stimme; Lieschen konnte die Worte nicht verstehen, aber aus dem Tonfall der abgebrochenen Laute wehte ein süßes Trösten, ein freudiges Danke, daß sie den Sohn in ihren Armen hielt, die ganze überschwengliche Fülle der Mutterliebe, die helfen, stützen, rathen wollte; so beruhigend, so versöhnend klang es, als gelte es ein krankes Kind in süße Schlummer zu wiegen.

Und da auf einmal – war es wirklich möglich? Das klang wie Weinen, gewaltsam unterdrücktes Schluchzen. Sollte Army –? Lieschen kehrte sich plötzlich um und lauschte mit erbleichendem Gesicht – weinen denn Männer auch? Sie eilte zur Thür; sie wollte fliehen; er durfte nicht wissen, daß sie gehört, wie er – Da trat er aus dem Zimmer der Mutter, das Gesicht ernst und die Lippen auf einander gepreßt, aber die Augen – ja, die waren noch feucht von den Thränen, die er geweint – um seine verlorene Braut.

Sie stand dicht vor ihm, die Hände auf die Brust gefaltet, als wolle sie ihn um Verzeihung bitten, daß sie ihn so gesehen. Auch er hemmte den Schritt; er schaute zu ihr hinüber und las das innige Mitleid in ihren Augen. Kam ihm die Erinnerung an die Zeiten wieder, als das kleine Mädchen den wilden Knaben oft so getröstet, wenn er im kindischen Spiele die Geduld verloren und im trotzigen Knabenzorne heiße Thräne geweint? „Lieschen,“ sagte er weich und dankbar und reichte ihr die Hand. „Army, lieber Army,“ klang es zurück, von Schluchzen halb erstickt; er fühlte einen Augenblick eine kleine Hand in der seinen; dann war sie verschwunden.



12.

Das einförmige Leben war wieder eingekehrt in Schloß Derenberg. Army war abgereist. Nun war es ganz still in dem alten Schlosse geworden. Der Kummer schritt durch die öden Räume und mit ihm – die Sorge.

„Sie müssen rathen, Hellwig,“ hatte die alte Baronin dem bewährten Helfer in der Noth halb herrisch, halb bittend gesagt, „Sie müssen! Nur auf kurze Zeit schaffen Sie Geld, nur damit das Verhängniß jetzt nicht über meinen Enkelsohn zusammenbricht! Das Weitere findet sich nachher; kommt Zeit, kommt Rath.“ Und der alte Mann hatte schweren Herzens das Versprechen gegeben, zu versuchen, „dem Teufelsbengel, dem Army, aus der Patsche zu helfen,“ und sich zu gleicher Zeit erkundigt, wie denn die Frau Baronin das „Weitere“ zu arrangiren beabsichtige? Und als sie dann in ihrer nervösen Art dem treuen Berather ihrer Familie einige Andeutungen gemacht, worin sie die Rettung zu finden hoffe, da hatte er beinahe wehmüthig gelächelt, und ein fragendes „Zum zweiten Male das gefährliche Experiment?“ war über seine Lippen gekommen. „Gott gebe,“ hatte er hinzugefügt, „daß es diesmal besser ausschlägt! Uebrigens, Frau Baronin, es ist heutzutage nicht so leicht mehr, wie Sie denken; die Welt ist [788] unangenehm praktisch geworden in letzter Zeit; Väter, die so einen adligen jungen Sausewind mit offenen Armen aufnehmen und es sich zur Ehre anrechnen, seine kolossalen Schulden zu bezahlen, werden immer seltener – das Geld ist knapp, Frau Baronin, sehr knapp, wer heißt aber auch, zum Donnerwetter! den Leichtsinn gleich Equipagen für das Fräulein Braut anschaffen und seidene Meubel? Das kam noch lange früh genug; man soll die Bärenhaut nicht verkaufen, ehe der Bär gestochen ist. Sie, Frau Baronin, die Sie so viel erfahren haben im Leben, Sie hätten den Jungen beim Ohrzipfel nehmen und ihn mores lehren sollen; er ist doch sonst leicht zu leiten gewesen.“

Die Augen der jüngeren Baronin hatten sich vorwurfsvoll auf die Schwiegermutter, bittend auf den alten Mann gerichtet; die bittenden Augen hatten diesen doch so weit bezwungen, daß er wenigstens versprach, sein Möglichstes zu versuchen. – –

Lieschen war längst wieder heimgekehrt in die elterliche Wohnung, begleitet vom innigsten Dank Nelly’s und ihrer Mutter. Sie kam beinahe täglich in’s Schloß, und ihr fröhliches Geplauder, ihre helle, freundliche Erscheinung brachte auf Stunden einen Sonnenstrahl in die stillen, hohen Gemächer; Nelly vergaß dann auf kurze Zeit ihre Traurigkeit, um sich freilich nachher doppelt elend zu fühlen.

Wie gut sie es hat! dachte sie, wenn die schlanke Gestalt der Freundin so leicht durch die Allee der jetzt entlaubten mächtigen Linden nach Hause eilte. Sie malte sich das behagliche Heim Lieschens aus und sah im Geiste, wie sie den Arm um den stattlichen Hausherrn schlang und ihn ihren Herzensvater nannte, auf den sie so stolz, so stolz sein könne – und dann flossen wieder Nelly’s Augen über vor bitterem Weh.

So war der November gekommen mit seinem düsteren Wetter; die Stürme brausten wieder um das alte Schloß, wie sie es schon Jahrhunderte gethan; feucht und schwer hingen die Wolken über der Landschaft, und Regen, untermischt mit Schnee, schlug prasselnd gegen die Fensterscheiben. Solch Wetter übt seinen Einfluß auf die Menschenseele, und nun gar auf eine kranke, der Erheiterung so sehr bedürftige, und es drängt sich unwillkürlich die Frage auf die Lippen: „Wird wohl je wieder die Sonne scheinen? Werden je die Stürme wieder schweigen?“ Wohl dem Menschenherzen, daß ihm die Hoffnung zugesellt ist auch in den Tagen des höchsten Schmerzes! Sie flüstert doch noch immer tröstende Worte in die verzweifelnde Brust und malt auf den gewitterdunklen Hintergrund leuchtende Arabesken und reizende Blumengewinde, zwischen denen allerhand glückliche, heißersehnte Zukunftsbilder hervorschauen; die thränenden Augen vermögen dann wieder fester aufzublicken und die bange Brust athmet neu; es kann ja noch Alles gut werden!

Und die Zeit verging; einförmig, langsam und bleiern verstrichen die Tage. Allwöchentlich kam ein Brief von dem fernen Sohn, den die Mutter mit heimlicher Angst und Herzklopfen öffnete; meinte sie doch jedesmal etwas Schlimmes daraus zu lesen! „Siehst Du nicht, Mama, wie unglücklich er ist, so zerfahren, so anders wie sonst?“ seufzte dann Nelly und las immer und immer wieder das Schreiben, hinter dessen Kürze sich ein tief bedrücktes Gemüth zu verstecken schien.

„Es geht ihm gut,“ pflegte die alte Baronin verächtlich zu sagen; „er hofft es von uns auch; er hat viel Dienst – voilà tout! Er ist kein Mann; sonst würde er Alles daran setzen, daß es nicht zum Aeußersten kommt. Himmel! wenn ich an seiner Stelle wäre, das Leben vor mir und so jung! O diese unselige deutsche Sentimentalität, die vor lauter Schmerz um etwas Verlorenes nicht den Muth finden kann, nach einem neuen Glück zu ringen – Orribile! Es ist unser Aller Unglück; ich hätte nie gedacht, daß auch er so sein könnte.“

Und vor Erregung zitternd setzte sich die alte Dame hin und schrieb einen Brief an den Enkelsohn, um ihm Muth zu machen, und einen andern an Hellwig, um ihn anzuspornen, die Schuldenangelegenheit möglichst hinzuhalten.

Der November verging, und der December kam mit seinen Stürmen; sie fuhren in die hohen Schornsteine und drehten kreischend die rostigen Wetterfahnen auf den Thürmen; sie bogen und schüttelten die alten Bäume des Waldes; der Regen prasselte wie sonst gegen die Fenster und weichte die Wege des Parkes auf, bis in einer funkelnden Sternennacht der Winter geschritten kam mit klingendem Frost und die Wege so glatt und fest gefrieren ließ wie eine Chaussee; er überzog den Teich mit einer spiegelblanken Eiskruste, und Frau Holle breitete den ersten feinflockigen Schnee über Weg und Steg.

„Nun wird es bald Weihnacht,“ sagten die Leute im Dorfe und freuten sich. „Nun wird es bald Weihnacht, Mama,“ sagte auch Nelly zu der kränkelnden Frau, die am Kamine saß und strickte, aber in ihrem Gesichte leuchtete kaum etwas von der holden Vorfreude des schönen Festes; „ob wohl Army kommt?“ setzte sie fragend hinzu, und die Arme um den Hals der Mutter schlingend bat sie: „Liebe Mama, ich will auch gar nichts geschenkt haben, wenn nur Army kommt.“

„Nun wird’s bald Weihnacht,“ jubelte Lieschen der Muhme zu, als sie am Morgen die leuchtende Schneedecke ausgebreitet sah – so herzensfreudig klang es, daß die alte Frau beinahe betroffen in ihr Gesicht schaute. War das Mädchen denn nicht vollständig verwandelt seit den letzten Wochen? Der alte neckische Uebermuth, der ihr so reizend stand, leuchtete wieder so herzgewinnend aus den großen blauen Augen; ihre Wangen blühten genau so rosig, wie früher, und dieses Wunder war offenbar geworden, als sie – ja, als sie aus dem Schlosse heimgekehrt war. Wie früher scherzte sie mit dem Vater und verübte allerlei kleine Schelmenstreiche, die selbst die Mutter herzlich lachen machten.

Und nun sollte es Weihnacht werden. Als die Alte sie anschaute, da flüsterte ihr schon der kleine Mund dicht am Ohre, und sie verstand etwas vom Christkindchen, von Weihnachtsbäumen, Weihnachtsarbeiten und für die Muhme so etwas Wundervolles, Schönes, wie sie es sich gar nicht denken könne.

Und all diesen Jubel, diese Freude hatte ein einziger Moment hervorgezaubert, das einzige Wort „Lieschen!“ in weichem, dankbarem Tone gesprochen, ein einziger flüchtiger Händedruck! – –

Und endlich senkte sich der heilige Abend über die weite Welt; er trug in jedes Haus einen Schein hellen Himmelslichts; er zündete die Kerzen an auf den grünen Bäumen in Palästen und Hütten, und sie warfen ihren Schein auf frohe Gesichter, auf kostbare und bescheidene Spenden; die Glocken der Kirchen klangen in die stille, kalte Winterluft hinaus und luden die Menschen ein zur Dankesfeier, und hoch über die frohe Welt spannte der Himmel seinen dunklen blauen Mantel; in schimmernder, funkelnder Pracht leuchteten die Sterne hinunter, und „Ehre sei Gott in der Höhe,“ scholl es zu ihnen hinaus, „und den Menschen ein Wohlgefallen und Friede auf Erden!“

Friede auf Erden! Es gab auch Wohnungen der Menschen, in die der milde Gast keinen Eingang fand, Herzen, in denen keine Festfreude aufkommen konnte vor Kummer und schwerem Leid, ach, gar viele! Und an keinem einzigen Tage fühlt so ein armes Menschenkind die Sorge tiefer, den Kummer mehr und heißer, als an jenem, wo sich Alle freuen, wo sich der Friede herniedersenken soll in alle Herzen, nur in seines nicht; wo sich die bange Frage regt: warum bin ich – warum nur sind wir ausgeschlossen von der Freude?

Dieselbe stumme Frage schien aus den Augen des jungen Mädchens zu sprechen, das da am Fenster stand und in die funkelnde Nacht hinausblickte. „Dort unten in der Mühle flammen die Fenster in hellem Lichte auf; da brennt der Weihnachtsbaum!,“ flüsterte sie und preßte in kindlich heißem Schmerz die Hände gegen die Brust – welch ein Verlangen überkam sie nach seinen glänzenden, lichtergeschmückten Zweigen! Lieschen hatte gebeten, sie müsse kommen; sie sollte doch wenigstens die Lichter auf dem Baume brennen sehen, aber nein, wozu das? Was ging sie Müllers Weihnachtsbaum an? Es war ja doch nicht der ihre, und wozu sollte sie in Lieschens glückliches Gesicht blicken? Ihre finstere stille Heimath, sie wäre ja noch trauriger erschienen nach solchem Anblick. Sie wendete sich und schritt zu dem Sessel der Mutter, um ihre Wange an das liebe Gesicht zu schmiegen; sie tastete mit der Hand und fand nur das leere Polster. „Mama!“ rief sie leise – es blieb still. „Nun ist auch sie noch hinaufgegangen zur Großmama,“ flüsterte sie und sank in den weichen Stuhl. „Alle lassen sie mich allein, wenn sie doch erst wiederkämen! Die Mama und der Army, ach ja, Army ist da“ – das war doch gewiß ein süßer Trost. Morgen würde er gewiß nicht mehr mit Großmama so viel zu sprechen haben über Geschäftliches; was es nur Wichtiges sein konnte, das sie nun schon seit seiner Ankunft verhandelten? Immer noch Blanka? – –


(Fortsetzung folgt.)
[789]
Der „Held“ des bosnischen Aufstandes.

Der bosnische Aufstand wider den Einmarsch der österreichischen Truppen ist von den letzteren nach harten Kämpfen siegreich niedergeworfen; aber der Schürer und Führer dieser blutigen Volkserhebung, der fanatische Insurgentenhäuptling Hadschi Loja, gehört für immer der traurigen Geschichte orientalischer Wirren an und wird nicht blos seinen Landsleuten, sondern auch der Armee Oesterreichs noch lange in der Erinnerung bleiben. Dem als Officier bei der Expedition der österreichisch-ungarischen Armee betheiligten Maler Franceschini verdanken wir ein keck hingeworfenes Bildniß dieses unstreitig interessanten kraftvollen Menschen, das wir unseren Lesern obenstehend in getreuer Nachbildung bieten. Dem vom 6. October datirten Begleitbriefe unseres Gewährsmannes, welcher in aller Kürze eine vollständige Charakteristik des Helden bietet, mögen hier die nachfolgenden Hauptstellen entnommen sein:

„Die Gefangennahme Hadschi Loja’s ist dermalen der allgemeine Gesprächsstoff in Bosnien. Von seinen eigenen Leuten verrathen und verlassen, wurde er am 3. October in Preces, ungefähr drei Stunden von Rogatica entfernt, zu Tode verwundet aufgegriffen. Man kann wohl sagen, daß mit der Verwundung des Loja die Seele des Aufstandes verloren ging, und gewiß wäre es unseren Truppen unter anderen Umständen nicht so leicht gewesen, Tuzla, Zwornik etc. in die Hände zu bekommen, wenn Loja’s ungebrochene agitatorische Kraft noch thätig gewesen wäre. Namentlich Tuzla hätte bei ernstem Widerstande noch große Opfer und sehr viel Blut gekostet, denn es ist in Folge günstiger Terrainverhältnisse und geschickt angelegter Vertheidigungswerke ungemein widerstandsfähig. Ich hatte Gelegenheit, während der zwei Tage, die Hadschi Loja in Rogatica zuzubringen [790] gezwungen war, beständig mit ihm zu verkehren, und muß gestehen, daß mir der Mann ganz dazu geschaffen schien, ein Volk für irgend eine Sache zu begeistern, ja zu fanatisiren. Von seltener Körpergröße und Hagerkeit, verräth seine Gestalt eine enorme Muskelkraft. Als Beweis seiner merkwürdigen Zähigkeit mag es gelten, daß er mit seiner schweren Wunde am linken Fuße ohne Hülfe und Verband fünfzig Tage lang existiren konnte und dabei nicht zu Grunde ging, ja, daß er bei alledem nichts von seiner Geistesfrische eingebüßt zu haben scheint. Sein Gesicht zeigt viel Intelligenz, und wie alle Orientalen begleitet er seine Reden mit überaus lebhaftem Mienenspiele. Seine großen, hellblauen Augen sind im Ausdruck bald milde wie die eines Kindes, bald blitzen sie in unheimlichem Feuer auf. Er gebietet über ein seltenes Rednertalent und über ein ungewöhnlich starkes Gedächtniß - den Koran weiß er von der ersten bis zur letzten Seite auswendig.

Auf das Höchste erstaunt und erfreut war er über die menschliche Behandlung, die ihm von unserer Seite zu Theil wurde. Er hatte in dem verhängnißvollen Irrthum gelebt, daß wir, gleich den Insurgenten selbst, überhaupt keine Gefangenen machen, sondern Alles, was uns in die Hände fällt, ohne Weiteres niedermetzeln. Ueberhaupt haben die Irrthümer und falschen Anschauungen dieses Mannes uns sehr viel Blut gekostet, und er selbst sagt, daß wohl Manches anders gekommen wäre, wenn er und seine Landsleute uns früher so gekannt hätten wie jetzt. Ergriffen von der humanen Behandlung, bot er sein Leben als Sühne an; man solle ihn, sagte er, als den Urheber und Irreleiter, jede Strafe, die man nur wolle, erdulden lassen, dabei aber bat er zugleich um Schonung für seine Glaubens- und Leidensgenossen.

Nach Aussage der Aerzte hätte eine Amputation des Fußes bald nach der Verwundung ihn noch retten können, aber jetzt wäre auch dieses Mittel so gut wie hoffnungslos, und zum Ueberflusse weigert er sich auch mit aller Entschiedenheit, die Amputation an sich vornehmen zu lassen. Nach seiner Angabe hat er sich den Schuß am Tage vor der Einnahme von Serajewo durch eigene Unvorsichtigkeit, als er von einem Minaret herabeilte, selbst beigebracht. Durch vierzig Tage nahm er keinen Tropfen Wasser zu sich, weil man ihm sagte, daß der Genuß desselben seiner Wunde schaden könne. Man kann sich demnach vorstellen, wie sehr seine Constitution herabgekommen war. Seine Nahrung ist auch dermalen eine sehr bescheidene; er begnügt sich mit etwas Kaffee, Zwetschen, Brod und Käse. Geistige Getränke berührt er als strenggläubiger Türke nicht, und seine Gebete verrichtet er trotz der enormsten Schmerzen auf das Gewissenhafteste. Sehr schwer war es, ihn zu bewegen, sich portraitiren zu lassen, da auch dies gegen den Koran verstößt. Nur die Dankbarkeit für die ihm gewidmete Theilnahme und Fürsorge bestimmte ihn schließlich doch nachzugeben; seine Unterschrift setzte er selbst ohne vieles Zureden unter sein Bild. Erwähnt sei, daß er nach seiner bestimmten Aussage vorher noch niemals portraitirt worden ist und daß demnach alle von ihm früher erschienenen Zeichnungen reine Phantasiegebilde waren. Anzunehmen ist jedoch, daß nun, nachdem einmal seine Scheu überwunden ist, er noch oft abconterfeit werden dürfte.

Bis das beifolgende Bild veröffentlicht sein wird, dürfte die Aussage der Aerzte sich erfüllen und Hadschi Loja nicht mehr unter den Lebenden sein. Jedenfalls wird ein von der Natur selten begabter Mensch mit ihm zu Grunde gegangen sein, der unter anderen Verhältnissen vielleicht der menschlichen Gesellschaft von bedeutendem Nutzen hätte werden können.

Rogatica, den 6. October 1878.

F.F.

Es bedarf von unserer Seite kaum erst der Bemerkung, daß die Erwartung eines baldigen natürlichen Todes Hadschi Loja’s, welche unser Gewährsmann so bestimmt ausspricht, sich nicht erfüllt hat, daß der Insurgentenhäuptling im Gegentheil alle Aussicht hat, auch dem drohenden gewaltsamen Tode der Execution durch kaiserliche Gnade zu entgehen. Was die Facsimile-Unterschrift anlangt, so enthält sie (von rechts nach links gelesen) die drei Wörter Hadschi, Loja und Hafis. Zur Aufklärung verdient gesagt zu werden, daß nur „Loja“ Personenname ist, während „Hadschi“ den Mekkapilger, „Hafis“ den Gelehrten bezeichnet, welcher den gesammten Koran im Gedächtniß hat.




Die Tramps.
Eine neue Landplage der Vereinigten Staaten.

Die Vereinigten Staaten sind zu verschiedenen Malen von verheerenden Landplagen heimgesucht worden. Die Heuschrecken vernichteten in manchen Jahren die Hoffnung Tausender von fleißigen Farmern; der berüchtigte Coloradokäfer drohte der Kartoffel den Untergang; gelbes Fieber und Indianermetzeleien sind periodisch wiederkehrende, wie es scheint unvermeidliche Uebel, an die man sich nachgerade gewöhnt hat. Die schlimmste und gefährlichste aller bisherigen Heimsuchungen haben indeß erst die letzten Jahre entwickelt: die Landplage der „Tramps", der modernen Zigeuner Nordamerikas. Ja, noch schlimmer als die alten Zigeuner sind sie, diese neumodischen Tramps. Das Zigeunerwesen war doch noch wenigstens mit einer Art von poetischem Nimbus umgeben; das wild geheimnißvolle Treiben der braunen Vagabunden hatte noch eine romantische Seite, sodaß selbst der Dichter es nicht verschmähte, sie in das Gebiet seiner Phantasie zu ziehen. Aber dieser neuesten amerikanischen Auflage des Zigeunerunwesens fehlt auch jede Spur von Romantik; sie ist jeglichen poetischen Schmuckes vollständig baar; sie ist die gemeinste und gefährlichste Erscheinung des rohesten Vagabonden- und Verbrecherthums.

Die Tramps als allgemeine Landplage sind noch nicht viele Jahre alt. Landstreicher hat es selbstverständlich hier, wie überall, zu allen Zeiten gegeben, daß sie aber zu Tausenden von kleineren und größeren Banden anschwellen würden, die das Land stellenweise förmlich überschwemmen, ihren Weg mit Raub, Mord und Brand bezeichnen und Leben und Eigenthum der Bürger bedrohen würden, das hätte man kaum für möglich gehalten in einem Lande, dessen Verhältnisse es Jedem erlauben zu leben, ohne seinem Nachbar beschwerlich zu fallen. Und doch ist es in kurzer Zeit dahin gekommen: die Tramps sind im Verlauf einiger Jahre zu einem socialen Uebel herangewachsen, zu dessen Ausrottung die gewöhnlichen Mittel der Staatsgewalt nicht mehr auszureichen scheinen.

Die Geschichte ihrer Entstehung ist eine sehr einfache. Der Druck, der seit 1873 auf allen Geschäften lag, das Stillstehen der meisten Fabriken und die daraus folgende Arbeitslosigkeit Tausender, namentlich in den größeren Städten, erzeugte einen Nothstand unter der Arbeiterbevölkerung, der von Jahr zu Jahr sich steigerte. Nicht wenige dieser Leute suchten sich ehrlich durchzuschlagen, indem sie Arbeit annahmen, wo sie solche fanden, auch wenn sie nur kümmerlichen Verdienst abwarf; andere trieb die Noth in’s Verbrecherleben der größeren Städte hinein; ein großer Theil beschloß anderswo sein Heil zu versuchen und begab sich auf die Wanderung. So begannen diese Wanderzüge, meist in westlicher Richtung; sie wurden ursprünglich keineswegs nur von Vagabonden unternommen, sondern zum großen Theil von ehrlichen Arbeitern, die Verdienst und Brod auf dem Lande suchen wollten, namentlich in der Erntezeit, in der es den Farmern häufig an Arbeitskräften fehlt, um die schnell reifende Ernte einzubringen. Sie führten deshalb anfangs häufig den Namen: „harvesters" (Ernte-Arbeiter). Die Bezeichnung: „tramp“ (Vagabond) trat aber sehr bald an dessen Stelle.

Wie Alles hier zu Lande sich schnell zu entwickeln pflegt, so auch diese Bewegung. Ein Gährungs- und Scheideproceß trat bald ein. Die besseren Elemente suchten und fanden Arbeit und Brod und in manchen Fällen wohl auch eine Heimath, aber die Hefe blieb zurück und ging bald in totale moralische Fäulniß über. Waren diese Menschen schon vorher arbeitsscheu gewesen, so machte sie das anhaltende Vagabondiren zu ausgesprochenen Feinden jeglicher Arbeit, zu faulen, nichtswürdigen Strolchen, die schnell auf der niedrigsten Stufe moralischer Verkommenheit anlangten. [791] Verstärkt durch den Abschaum der Gesellschaft, durch Tagediebe und Verbrecher aller Art, die sich ihnen anschlossen, wurden sie zu dem, was sie heute sind, zu einer wahren Pest, die in manchen Landestheilen die Sicherheit der gesellschaftlichen Verhältnisse ernstlich bedroht und nur durch die härtesten, gleichviel ob grausam erscheinenden Mittel bekämpft werden kann.

Die Tramps ziehen meistens in kleinen Gesellschaften von zwei bis sechs Mann umher. Städte werden von ihnen gewöhnlich gemieden; das Land ist ihr natürliches Operationsfeld. Man darf nicht vergessen, daß es Dörfer im europäischen Sinne des Wortes eigentlich in Amerika nicht giebt; der Farmer wohnt meist allein, umgeben von seinen Ländereien, und kann daher im Falle der Noth nicht auf augenblickliche Hülfe von seinen Nachbarn rechnen. Darauf baut der Tramp seinen Plan. Er erscheint plötzlich am Farmhaus, dessen Besitzer vielleicht abwesend im Felde ist. Er verlangt von der Frau zu essen, und aus Furcht giebt diese ihm, was sie hat. Im besten Fälle verläßt er die Farm, wenn er sich satt gegessen hat, in vielen Fällen aber endet der Einfall weit trauriger, besonders wenn sich die Vagabonden stark genug fühlen. Dann wird der Frau Gewalt angethan, der zu Hülfe eilende Mann ermordet und das Gehöft in Brand gesteckt. Die Buben aber, welche die Unthat verübten, haben gewöhnlich Zeit genug, ihren Verfolgern einen genügenden Vorsprung abzugewinnen, um zu entkommen und ihr schändliches Handwerk anderswo fortzusetzen. Fallen sie den nacheilenden Nachbarn in die Hände, dann freilich wird nicht lange Gericht gehalten; Kugel oder Strick sind bereit, den Urtheilsspruch auf der Stelle auszuführen. Aber ein paar solcher Gesellen genügen ja, um auch Unheil in größerem Maßstabe auszuüben. Vor einigen Monaten – um nur ein Beispiel anzuführen – wurden etwa dreißig Meilen vom Wohnorte des Schreibers die Eisenbahnschienen von zwei Tramps nächtlicherweise aufgerissen; als der Zug in der Morgendämmerung herankam, bemerkte der Zugführer die losgerissenen Schienen eben noch rechtzeitig genug, um die Locomotive rückwärts arbeiten zu lassen. So traf sie die Unglücksstätte mit geschwächter Kraft; der Zug blieb theilweise auf dem Geleise, und nur die vordersten Wagen, die Locomotive und der heldenmüthige Führer lagen zerschmettert am Fuße des Bahndammes. Die Verbrecher wurden später eingebracht und erwarten ihr Urtheil.

Zuweilen erscheinen die Tramps in größeren Haufen, manchmal 2 bis 300 Mann stark. Dann bemächtigen sie sich der Eisenbahnen, überwältigen die Beamten, nehmen einen Zug in Beschlag und setzen ihre Reise herrenmäßig per Eisenbahn fort, bis es der Polizei mit Hülfe der aufgebotenen Bürger oder Milizen gelingt, sie zu vertreiben. Solche Haufen statten gelegentlich kleineren Städten einen Besuch ab, und bei der geringen Zahl der regelmäßigen Polizisten und der gänzlichen Abwesenheit von Militär ist ein solcher Besuch von einigen hundert verworfenen und verwogenen Vagabonden wohl im Stande, Schrecken und Furcht vor Raub und Brandstiftung einzuflößen. Im Staate Iowa, der zu den vom Tramp-Unwesen am schwersten heimgesuchten gehört, mußte der Gouverneur die Staatsmiliz auffordern, sich bereit zu halten, um die Bürger vor der überhandnehmenden Frechheit des Gesindels zu beschützen.

Dem deutschen Leser mag es sonderbar erscheinen, daß Zustände, wie die eben geschilderten, in einem wohlgeordneten civilisirten Staate stattfinden können, und daß nicht das Gesetz strenger gehandhabt wird, um das Uebel einzuschränken oder auszurotten. Viele messen eben dieses Land mit ihrem auf europäische Verhältnisse wohl passenden Maßstabe, der aber hier nicht immer angewandt werden darf. Erstens sind die räumlichen Verhältnisse ganz verschiedene. Die Bewohner der Ansiedelungen wohnen, wie schon erwähnt, selten dicht beisammen; die Ansiedelungen selbst sind meist durch größere Zwischenräume getrennt: ausgedehnte Waldstrecken und weite Prairien ziehen sich zwischen den bewohnten Gegenden hin, sodaß es dem Tramp leicht wird, sich schnell und sicher aus dem Bereiche seiner Verfolger zu bringen, wenn diese überhaupt im Stande sind, eine längere Jagd auf den Frevler anzustellen. Ferner darf nicht vergessen werden, daß wir kein Militärstaat sind, und daß die würdigen Beschützer des ruhigen Bürgers und der Schrecken der Vagabunden, die Gensd’armen, eine hier unbekannte Größe sind. Wer soll also die Ruhestörer einfangen? Wir haben wohl eine Miliz, aber sie erinnert stark an die alte vaterländische Bürgerwehr seligen Angedenkens und kann zu solchem Dienst doch auch nur verwandt werden, wenn es einen größern Feldzug gegen diesen innern Feind gilt. Die eigentliche Polizei dagegen ist in den kleinern Städten meist auf eine sehr geringe Anzahl beschränkt und existirt auf dem Lande gar nicht. Der Angegriffene ist demnach gegen die Trampsplage meist auf Selbsthülfe angewiesen, und diese wird von der öffentlichen Meinung als gerechtfertigt anerkannt.

Daß die Tramps mit der communistischen Bewegung, die gewisse Schichten der amerikanischen Arbeiterbevölkerung ergriffen hat, in Verbindung stehen, wird vielfach behauptet und ist auch höchst wahrscheinlich. Dasselbe Princip, welches den wilden Träumen dieses gemeinen Communismus zu Grunde liegt: leben wollen, ohne zu arbeiten – dieselbe Wuth gegen Jeden, der etwas besitzt, und das diebische Gelüst, das zu nehmen, was Andere sich mit Mühe und Arbeit errungen haben: all dies finden wir bei den Tramps wieder. Die Communisten arbeiten in ihren geheimen Verbindungen am Umsturz alles Bestehenden; die Tramps sollen ebenfalls ihre Organisation haben und sich allenthalben im Lande an Paßworten, Zeichen und Griffen erkennen. Im Falle eines Arbeiteraufstandes, wie er im vorigen Jahre versucht wurde, würden sie ein über das ganze Land verzweigtes, gefährliches Heer von Guerillas abgeben, um Telegraphen und Eisenbahnen zu zerstören und Raub, Mord und Brand, nach Indianerart, überall hin zu tragen. Ein anderer gemeinsamer Zug der Communisten und Tramps ist der Haß gegen Fabrik- und Maschinenarbeit, hervorgerufen durch das Geschrei der Demagogen, daß dadurch der Handarbeit Abbruch geschähe. Sie verlangen daher häufig von den durch sie heimgesuchten Farmern, daß diese ihre landwirthschaftlichen Maschinen zerstören, oder sie legen selbst Hand an und verbrennen sie. Ein Farmer in Minnesota traf zwei dieser Gesellen bei dem Geschäfte, Feuer an seine Maschinen zu legen; er holte seine Flinte und jagte jedem eine Kugel durch den Kopf, dann übergab er sich dem nächsten Gerichte, welches ihn auf der Stelle frei sprach. Wie wenig es übrigens diesen Vagabonden darum zu thun ist, die Maschinenarbeit durch ihrer Hände Arbeit zu ersetzen, erhellt einfach aus der Thatsache, daß die Farmer während der diesjährigen Erntezeit nicht im Stande gewesen sind, Leute genug zu finden, die für hohen Lohn gearbeitet hätten. In vielen Fällen weigerten sich diese Landstreicher, für zwei und drei Dollars den Tag eine Hand zu rühren.

Die Sympathie, die sich eine Zeit lang für die Tramps regte, als noch ein Theil derselben aus wirklich nach Arbeit suchenden Leuten bestand, hat aufgehört, seit dieses Element fast ganz verschwunden ist. Räuber und Mordbrenner, die der menschlichen Gesellschaft den Krieg angekündigt haben und als ausgesprochene Feinde aller socialen Ordnung das Land durchziehen, stellen sich auf dieselbe Linie mit wilden Thieren, die man nicht zähmen kann, sondern ausrotten muß. Die Tramps haben sich den Indianern ebenbürtig an die Seite gestellt, nur daß die Letzteren Wilde sind, die durch erduldetes Unrecht gereizt wurden, während jene zum größten Theil aus Menschen bestehen, die durch Geburt und Umgebung Gelegenheit gehabt haben, nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu werden.

Communisten wie Tramps, verwandt im Princip wie in ihrer Stellung gegen die übrige Gesellschaft, sind gleichzeitige Erscheinungen in der socialen Geschichte dieses Landes. Sie sind mit einander groß geworden und kämpfen beide gegen denselben eingebildeten Feind: Capital und Besitz. Es darf darum wohl mit Recht angenommen werden, daß ihre weiteren Schicksale ähnliche sein werden. Weil beiden jeglicher Rechtsgrund für ihr Dasein fehlt, werden sie auch beide mit einander untergehen. Die Tiraden der Einen, welche gegen die sogenannten „Capitalisten“ geschleudert werden, und die praktische Uebersetzung dieser Tiraden in Thaten gemeiner Diebe und Räuber durch die Andern, muß und wird dem ehrlichen Arbeiter, der sich von den hochklingenden Phrasen und Versprechungen demagogischer Marktschreier eine Zeit lang vielleicht bethören läßt, die Augen öffnen. Wir haben zu viel ehrenwerthe Arbeiter im Lande, die selbst kleine Capitalisten sind und die ihrer Hände Arbeit, ihre wohlerworbene Heimath nicht mit den Tramps zu theilen gedenken. Ebenso weiß es jeder, der es wissen will, daß Erfolg und Wohlstand hier am wenigsten an ererbtes Capital oder an Gunst gebunden sind, [792] sondern daß jeder freie Bahn hat, nach den höchsten Zielen zu streben. Es ist eine Thatsache, daß weitaus die Mehrzahl unserer bedeutender Männer in öffentlichen Aemtern und in Geschäftskreisen Leute sind, die sich von der untersten Stufe zu ihrer gegenwärtigen Stellung emporgearbeitet haben, nicht durch Geld und Gunst, sondern durch Geschick, Ausdauer und Energie.[1] Derselbe Weg hat jedem offen gestanden, der heute als Tramp das Land durchzieht und zum Verbrecher an der socialen Ordnung geworden ist, er hat sich selbst rechtlos gemacht, und an dieser seiner Rechtlosigkeit muß er untergehen. Zu hoffen ist nur, daß das Kapitel in der Geschichte der socialen Entwickelung der Vereinigten Staaten, in welchem der Tramp eine Rolle spielt, kein allzu langes und blutiges sein möge.

L–n.




Der Melonenbaum.
Etwas für die Küche der Zukunft.

„Wie weise ist doch die Natur eingerichtet, daß sie keine Kürbisse auf den Bäumen wachsen läßt!“ so ruft in einer bekannten Fabel ein naseweiser Weltverbesserer aus, nachdem ihm während seines Mittagsschläfchens eine Eichel auf die Nase gefallen ist und dieselbe blutig geschlagen hat. Leider hält die Parabel- und Schulweisheit in diesem, wie in so vielen ähnlichen Fällen nicht Stich, denn in der üppigeren Natur der Tropen giebt es genug hohe Bäume, deren Früchte mehr als genügend sind, einen Menschen todtzuschlagen wenn sie ihm auf den Kopf fallen. Wir dürfen nur an die harte, bis zu zwanzig Pfund schwere Sechellennuß erinnern, die man vordem um hohe Preise für die fürstlichen Curiositätencabinete erwarb, indem man fabelte, sie sei die Frucht einer mitten im Weltmeer wachsenden Palme, weil sie nämlich häufig auf demselben schwimmend angetroffen worden war, lange bevor man ihre Heimath kannte. Seit hundert Jahren etwa weiß man, daß der sehr hohe Baum, der diese Riesenfrüchte reift, in der That eine Palme ist, die an den Ufern der Sechelleninseln wächst, sodaß die Früchte leicht in’s Meer rollen und durch die Wellen an ferne Küsten getragen werden konnten. Noch bedenklicher müßte dem Weltverbesserer die als Obst sehr beliebte Frucht des indischen Duriobaumes erscheinen. Dieselbe erreicht die Größe der Cocosnuß und ist so dicht mit starken und scharfen Stacheln besetzt, daß sie beim Abfallen einen unter dem hohen Laubdache lustwandelnden Menschen sehr gefährlich verwunden, ja selbst ihm den Tod bringen könnte.

Aber als ob die Natur in ihrem unerschöpflichen Gestaltenreichthum ausdrücklich jenen salbungsvollen und hohlen Kürbißkopf, der sie zu verbessern trachtete, hätte verspotten wollen, so hat sie wirklich auch einen Baum hervorgebracht, der in der That Kürbisse trägt und den man, weit entfernt, ihm aus dem Wege zu gehen, vielmehr in allen heißen Ländern, wo er gedeiht, eifrig und dicht um die Wohnungen anpflanzt. Es ist der Melonen- oder Papawbaum (Carica Papaya L.), von dem man gewöhnlich angiebt, daß er aus Südamerika stamme, obwohl es, wie bei so vielen Culturpflanzen, nicht so ganz sicher zu sein scheint, ob er nicht schon vor der Entdeckung Amerikas in Indien und Afrika gezogen worden ist. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an den Mais, gewisse Tabaksarten, die Banane, Cocospalme etc. In Indien scheint man wenigstens den Melonenbaum schon seit älteren Zeiten als die Personification Wischnu’s zu betrachten und nimmt beim Schwören ein Blatt desselben in die Hand. Es geschieht das wahrscheinlich wegen der ungemein üppigen Lebenskraft dieses Gewächses, welches an Schnelligkeit seines Wachsthums den Pisang, wie auch die dieserhalb „Wunderbaum“ genannte Ricinusstaude unserer Schmuckplätze und Anlagen noch übertrifft.

Auf den eben genannten Wunderbaum, dessen in wärmeren Ländern gewonnenes Erträgniß, das bekannte Ricinusöl, kürzlich unter seinem alttestamentarischen Namen Kiki als wunderbares Cosmeticum („Haaröl der Königin Kleopatra“) empfohlen wurde, haben bekanntlich die Ausleger der Bibel und des Talmud jene andere, biblische Parabel von dem schnell aufschießenden und schnell absterbenden schattigen „Kürbis“ des Propheten Jonas bezogen; sollte aber der Melonenbaum schon im alten Asien angebaut worden sein, so würde er sich als schnell aufschießender Sonnenschirm besser als selbst der Wunderbaum zur Jonas-Parabel geeignet haben. Schon im ersten halben Jahre bildet sein umfangreiches, schöngezacktes Laubdach einen breiten Schirm von Mannshöhe, aber im vierten Jahre kommt in den inzwischen zwanzig Fuß hoch aufgeschossenen Säulenstamm „der Wurm“; er stirbt ebenso schnell, wie er aufgeschossen war, wieder ab.

Wohl mit Recht verglichen wir den Baum mit einem Sonnenschirm, denn der Stamm steigt senkrecht und gewöhnlich ohne alle Seitenäste, wie derjenige einer Palme auf, das die Spitze krönende Laubcapitäl als schlanke Säule immer höher in die blauen Lüfte emporhebend. Diese Wachsthumsart ist um so auffallender, als der Melonenbaum nicht, wie die Palmen, zu den mit einem Samenblatte keimenden Pflanzen (Monokotyledonen) gehört, die, wenn baumartig, in der Regel unverästelt bleiben, sondern zu der größeren Abtheilung der Zweiblattkeimer oder Dikotyledonen, deren baumförmige Arten fast stets eine verästelte Krone bilden. Uebrigens treibt der Melonenbaum nicht selten einen oder einige wenige Nebenäste, die dann aber, ebenso nackt und kahl wie der Hauptstamm, nahezu senkrecht emporstreben und gleich ihm blos am Gipfel eine Rosette langgestielter Blätter tragen. Diese schöngeformten Blätter gleichen im Allgemeinen denen des Wunderbaumes, das heißt, sie zeigen den Umriß einer gespreizten siebenfingerigen Hand, deren Finger wie bei einem Wasservogel durch eine Schwimmhaut halb verbunden sind. Ansehnlich und schön kann diese großblätterige Gipfelkrone nur so lange genannt werden, wie sie der Stamm noch nicht in höhere Regionen emporgetragen hat. Während nämlich die Gipfelknospe immer neue Blätter treibt, fallen die unteren beständig ab, und der von den Narben der abgefallenen Blätter dicht wie die Haut einer Schlange gefleckte oder geschuppte Stamm trägt seinen Blattschirm schließlich so hoch empor, daß er von unten unansehnlich erscheint und das Gewächs einen höchst fremdartigen Anblick darbietet. Die Blätter, wenn auch groß, sind doch nicht mächtig genug, um gleich den Palmenwedeln und -Fächern noch von oben herab majestätisch zu wirken.

Wenn der Melonenbaum die ersten Jugendmonate hinter sich und die Höhe eines Mannes erreicht hat, pflegen in den Blattwinkeln die ersten Blüthen zu erscheinen, und von da ab trägt er meistentheils jahraus jahrein Knospen, Blüthen, reife und unreife Früchte zugleich, und diese Blüthen und Früchte lassen keinen Zweifel darüber, daß der steife, senkrechte Sonderling wirklich in die Verwandtschaft unserer schlingenden, kriechenden und rankenden Gurken, Kürbisse und Melonen gehört. Es sind blaßgelbe Trichterblüthen, wie man sie in dieser Familie so häufig antrifft, meistens getrennten Geschlechtes, doch kommen zwischen denselben auch Zwitterblüthen vor, und daraus entstehen, wie der Leipziger Botaniker Otto Kuntze im vorigen Jahre zuerst beschrieben hat, Früchte von besonderm Geschmacke. Die erst grünen, dann gelben Früchte hängen aus der Blattkrone herunter und umkränzen an deren Grunde, ähnlich den meisten Palmenfrüchten, den Stamm. Dieselben werden bis zu fünfzehn Pfund schwer, stehen in der Form zwischen Melone und Gurke und sind wie diese mit Längsstreifen versehen.

Man schickt, wenn man von den höheren Stämmen Früchte haben will, einen Knaben hinauf, weil das leichte, schwammige Holz des Stammes einen Erwachsenen kaum zu tragen vermöchte, und zwar benutzt man die Früchte sowohl im reifen wie im unreifen Zustande. Die unreifen Früchte werden in Streifen zerschnitten und wie Gurken oder Melonen zum Einmachen gebraucht; die reifen ißt man roh mit Zucker oder mit Salz und Essig. Die auffallende Thatsache, daß der Geschmack der Früchte von einzelnen Reisenden gelobt und von andern verachtet wurde, hat

[793] durch Kuntze einen unerwarteten Aufschluß gefunden. Derselbe fand nämlich sowohl in Asien wie in Amerika, daß die ungestielten rein weiblichen Blüthen, welche durch fremden Blumenstaub befruchtet werden, roh eßbar und oft wundervoll von Geschmack sind, während die gestielten Zwitterblüten Früchte reifen, die erst eßbar werden, wenn man durch Kochen den scharfen Saft entfernt; sie geben dann ein ziemlich fades Gemüse. Es ist das eine eigenthümliche Bestätigung jenes in Nr. 3 dieses Jahrg. der „Gartenlaube“ erörterten Gesetzes, daß die Natur durch Kreuzbefruchtung der Gewächse vollkommenere Früchte und Samen erzeugt, als durch Selbstbefruchtung. Die eiförmigen Samen haben einen kräftigen Geschmack, den die Einen dem Kümmel, Andere der Kresse vergleichen, sodaß sie als Gewürze dienen könnten.

Melonenbäume
Aus „Loango“, dem eben erschienenen Werke der Deutschen Loango-Expedition.
(Leipzig, Paul Frohberg)

In Anbetracht der ungewöhnlichen Größe dieser Baummelonen und des unermüdlichen Reifens immer neuer Früchte, ist der Ertrag eines solchen Baumes ein verhältnißmäßig bedeutender, und man begreift daher leicht, daß man ihn mit Vorliebe in Süd- und Mittelamerika bis Mexico, in West- und Ostindien zieht, und daß sich seine Cultur über Aegypten und einen großen Theil Afrikas verbreitet hat. Einer besonderen Pflege bedarf er nicht, schießt vielmehr von selbst in der Nähe der vorhandenen Anpflanzungen auf und beginnt bereits im ersten Jahre Früchte zu reifen. Aber noch in manchen andern Beziehungen erweist sich der Melonenbaum als ein Hausfreund und wahrer Schatz für die Wirtschaft, sodaß ihn die rothen, gelben, braunen und schwarzen Hausfrauen der Tropen schmerzlich entbehren würden. Ich will nicht davon reden, daß die Blätter ein ausgezeichnetes Waschmittel hergeben sollen, denn in jenen Breiten ist die Seife mit ihren Surrogaten nicht mehr ein so hoch geschätztes Gut wie bei uns, aber eine andere Eigenschaft verdient auch unsere höchste Beachtung. – Schon ältere Tropenreisende haben mit großem Erstaunen davon berichtet, daß dieser Baum in fast allen seinen Theilen die unerhörte Eigenschaft besitze, alle Jagdthiere zu verjüngen, nämlich ihr Fleisch so zart und mürbe zu machen, wie dasjenige ganz junger Thiere. Gewöhnlich schlägt man das Fleisch frisch getödteter Thiere in einige Blätter des Baumes ein, und läßt es eine gewisse Zeit darin liegen, aber nicht zu lange, weil es darin viel schneller als sonst verdirbt, oder man thut es ohne weiteres in den Kochtopf und setzt etwas von dem namentlich in den unreifen Früchten reichlich enthaltenen Milchsaft der Pflanze hinzu; wie die meisten Gurkengewächse enthält nämlich das Gewächs in allen seinen grünen Theilen einen bitteren Milchsaft, der nebenbei die gute Eigenschaft haben soll, die Bandwürmer zu vertreiben, die in manchen heißen Gegenden viel schlimmer als bei uns auftreten. Nach der Mittheilung einzelner Reisenden soll es sogar genügen, altes und zähes Wildpret oder Geflügel 24 Stunden in die Blattkrone eines jungen Stammes hineinzuhängen, um es zart und weich zu machen.

Diese anfangs von unseren Sachverständigen mit einem ungläubigen Lächeln aufgenommenen Nachrichten haben in der Neuzeit mehrere Naturforscher und Aerzte, wie z. B. die Doctoren Holder und Roy, zu Versuchen veranlaßt, durch welche dieselben vollständig bestätigt werden. In jüngster Zeit ist eine solche Untersuchung durch Dr. Wittmack in Berlin wiederholt worden, über welche wir im Nachstehenden ausführlicher berichten wollen. Derselbe hatte sich aus Gewächshäusern Blätter und unreife Früchte des Melonenbaumes verschafft, mit denen folgende Versuche angestellt wurden. Ein Stück frisches Fleisch, welches 24 Stunden bei 15 Grad Wärme in einem Papaya-Blatte eingewickelt gelegen hatte, wurde mit einem gleichen, von demselben Thiere herrührenden Fleischstücke, welches ebenso lange blos in Papier eingewickelt gewesen war, gekocht und erwies sich bald als völlig mürbe, während das zur Gegenprobe dienende Stück noch ganz hart war. Damit war die Richtigkeit der von den Reisenden gemachten Angaben festgestellt.

Dr. Wittmack verdünnte ferner einen Theil des aus der unreifen Frucht erhaltenen Milchsaftes mit mehr als der zwanzigfachen Menge Wasser und kochte darin ein kleines Stück ganz frischen, mageren Fleisches fünf Minuten lang. Es zerfiel dabei gänzlich in lauter gröbere Fetzen, während ein zur Gegenprobe in reinem Wasser gekochtes Stück desselben Fleisches immer härter wurde. Zehn Gramm hartgekochtes Eiweiß, bei zwanzig Grad Wärme mit dem stark verdünnten Milchsafte aufgestellt, war nach vierundzwanzig Stunden durchsichtig geworden und am vierten Tage beinahe völlig aufgelöst. Weizenstärke, in ähnlicher Weise mit dem verdünntem Milchsafte behandelt, blieb unverändert. Aus diesem Versuchen zieht Dr. Wittmack den Schluß, daß der Milchsaft des Melonenbaumes ein Ferment enthält, welches, [794] ähnlich dem im thierischen Magen enthaltenen Pepsin, sehr energisch lösend auf stickstoffhaltige Stoffe einwirkt. Es unterscheidet sich aber von dem thierischen Verdauungsstoffe, außer durch sein Verhalten gegen einzelne Chemikalien dadurch, daß es ohne Zusatz von freier Säure – die indessen möglicher Weise in geringer Menge im frischen Milchsafte enthalten sein mag –, ferner selbst bei höheren Temperaturen (60 bis 65° C.) und dann in viel kürzerer Zeit wirkt. Gleich dem Pepsin bewirken unwägbare Theilchen des Milchsaftes das Gerinnen verhältnißmäßig großer Mengen Milch ohne Sauerwerden.

Ganz ähnliche Ergebnisse hatte früher Dr. C. Roy auch mit eingetrocknetem Milchsafte des Melonenbaumes, den er geschickt bekam, erzielt: gehacktes Fleisch wurde fast vollständig verflüssigt, und zwar in der Wärme schneller, in der Kälte etwas langsamer. Unter dem Mikroskope erschienen dann die Fibern des Fleisches völlig von einander gelöst und der Brei wimmelte von Vibrionen (?). Da der eingetrocknete Saft dieselbe auflösende Wirkung auch auf Eiweiß und Knorpelgewebe ausübte, so meinte Dr. Roy, man würde diesen eingedickten Pflanzensaft als ein Beförderungsmittel träger Verdauung und als Hülfsmittel der Kochkunst auch im Abendlande nützlich verwenden können, und empfahl dessen Gewinnung und Herstellung als Handelsproduct im Großen.

In der That wäre das eine schöne Sache; es würde besonders von den älteren Familienmitgliedern mit Entzücken begrüßt werden, wenn man kein hartes Fleisch mehr zu essen brauchte und das Wildpret, ohne es hängen zu lassen, bis es halb verdorben ist, sogleich genießen könnte. Magenleidende würden glücklich sein, statt des Pepsins, dessen Bereitung und Ursprung immer unangenehm bleibt, einen Pflanzenstoff zu erhalten, dem keine die empfindlicheren Mägen zu gewaltsamen Bewegungen zwingende Nebengedanken ankleben. Die Kranken könnten vielleicht ohne Furcht vor Bandwürmern gehacktes Rindfleisch essen, welches mit diesem Safte vorher vermischt würde; denn sollte das Fleisch Eingeweidewürmer enthalten, so werden sie wahrscheinlich mit verdaut, da der Melonenbaumsaft Alles auflöst, was Fleisch und Eiweißstoff enthält. Natürlich müßten die Aerzte noch vorher feststellen, ob der Saft auch wirklich an sich und nach jeder Richtung unschädlich ist und keine unangenehmen Nebenwirkungen hat.

Ueberhaupt bleiben dem Naturforscher noch manche Räthsel am Melonenbaum zu lösen. Zunächst muß man, wenn schon das Einschlagen des Fleisches in die Blätter oder gar das Aufhängen des Wildprets in der Blattkrone bewunderungswürdige Resultate erzielt, fragen, ob denn dieses Ferment am Ende gar flüchtig ist, was ein bis jetzt unerhörter Fall wäre. Eine andere nicht weniger fesselnde Frage wäre, wozu denn der Pflanze dieser in allen grünen Theilen enthaltene Verdauungsstoff nützt, ob er ihr vielleicht auch wie den Thieren zur weiteren Verarbeitung aufgenommener Nahrungstheile dient? In dem Artikel über die fleischfressenden Pflanzen („Gartenlaube“ 1875, Seite 169) wurde bereits erwähnt, daß die von den Blättern derselben ausgesonderten Flüssigkeiten einen solchen pepsinartigen Stoff enthalten, der die nahrhaften Theile der gefangenen Insecten auflöst. Diese damals noch halb und halb als Vermuthung ausgesprochene Thatsache ist seitdem von den berühmten Chemikern von Gorup-Besanez und H. Will durch den Versuch bestätigt worden, und der Erstgenannte hat außerdem beobachtet, daß auch in den keimenden Pflanzensamen ähnliche Fermente auftreten, welche den Eiweißstoff derselben in lösliche Verbindungen, sogenannte Peptone, überführen. Das Auffallende beim Melonenbaum ist also nur das fortdauernde und massenhafte Auftreten dieser Verdauungsfermente. Sollte derselbe demnach eine andere Ernährungsweise als die Mehrzahl der Pflanzen aufweisen? Man wird beinahe auf solche Vermuthungen gebracht, wenn man die Eigenthümlichkeiten einer andern Art des Melonenbaumes (Carica digitata), die auf der Landenge von Panama zu Hause ist, betrachtet. Moleschott hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß die Gerüche der Pflanzen den Auswurfstoffen der Thiere zu vergleichen seien. Jener mittelamerikanische Melonenbaum sondert nun, besonders wenn er blüht, Gerüche ab, die auf’s Täuschendste denen der vollendeten thierischen Verdauung und Ausscheidung gleichen, sodaß man in seiner Nähe leicht Uebelkeiten empfindet und ihm überall aus dem Wege geht. Diese Nebenbemerkung soll uns aber nicht den Appetit an dem Safte seines Verwandten im Voraus verderben, denn erstens haben jene Ausdünstungen wahrscheinlich nur den Zweck, gewisse die Befruchtung vermittelnde Insecten anzulocken, zweitens besitzt der in Aussicht genommene Wohlthäter alter und kranker Personen solche Ausdünstungen nicht, und drittens, wenn er sie besäße, würde es auch nicht schaden. Die oben erwähnte Durio-Frucht duftet – wenn man diesen zarten Ausdruck hier anwenden darf – ähnlich und gilt doch als das köstlichste Obst Indiens.

C. St.




Zum fünfzigjährigen Todestage Franz Schubert’s.
Von La Mara.

Fünfzig Jahre haben sich am 19. November dieses Jahres erfüllt, seit Franz Schubert, der große Meister des deutschen Liedes, sein Haupt geneigt zum ewigen Schlummer und sich seine sangreichen Lippen geschlossen. Vor der Zeit, in der Blüthe der Manneskraft, noch bevor er sein Tagewerk vollenden durfte, ward ihm sein Ziel gesetzt, zu früh für ihn selbst, den die Sonne des Glücks noch nie mit ungebrochenem Glanze beschienen, zu früh auch für die Welt, die ihn verlor, noch bevor sie wußte, was sie in ihm besessen. Keins der Güter, die das Schicksal seinen Lieblingen in den Schoos wirft, weder Geld, noch Ruhm, noch Liebesglück, ward ihm zu Theil. Der Beifall der Menge und die Gunst der Großen dieser Erde dankten ihm nicht für seine Wundergaben. Arm und unbeachtet ging er, der Tönereiche, dahin durch das Leben; nur sich selbst zur Lust sang er, weil er nicht anders konnte, bis der Tod ihm, dem Unermüdlichen, Schweigen gebot. In Wahrheit, den Vorwurf, der uns aus mehr als einem Grabe unsrer künstlerischen Größen entgegenklingt: daß unser Volk erst den Todten die verspätete Schuld der Dankbarkeit und Anerkennung zu entrichten pflegt, die es den Lebenden kargend vorenthielt, wir empfinden ihn in seiner ganzen Schwere an Franz Schubert’s Gruft. Heute freilich, wo sein Name in Aller Herzen, seine Lieder in Aller Munde leben, wo wir stolzen Blickes auf sein reiches Vermächtniß schauen als auf einen uns längst gesicherten unveräußerlichen Besitz, bedenken wir kaum, daß jedes einzelne der fünfzig Jahre, die seit des Meisters frühem Tod verflossen, daran mitwirken mußte, uns den Werth dieses Besitzes in’s Bewußtsein zu bringen, ja diesen Besitz selbst erst zum großen Theil an’s Licht zu fördern. Jahr um Jahr erwachen seinem Genius neue Freunde und Verehrer; Jahr um Jahr hebt man neue Schätze aus seinem Nachlaß. Und dennoch ist bis auf diesen Tag die große Erbschaft noch nicht ganz gehoben. Noch immer harrt ein Theil seiner Werke der Veröffentlichung, und kommenden Tagen erst bleibt ein vollständiger Ueberblick über die Gesammtthätigkeit dieses fruchtbarsten Künstlers vorbehalten.

„Wenn Fruchtbarkeit,“ sagt Robert Schumann, „ein Hauptmerkmal des Genies ist, so ist Schubert eines der größten.“ Aber nicht allein die Menge, viel mehr noch die Bedeutung seiner Gaben haben ihm den Platz neben den besten und größten unsrer Tondichter erworben, den man dem Todten wenigstens willig einräumt. Einer der ersten Meister der nachclassischen Periode, einer der vornehmsten Vertreter der romantischen Richtung, die, wie auf dem Gebiete der Schwesterkünste, Poesie und Malerei, so auch auf dem der Musik Leben gewann und im Gegensatz zum Classicismus in das Vorwalten des Inhalts über die Form, in den Triumph des Geistes über das Gesetz ihr Wesen setzt, trägt Schubert nichtsdestoweniger gar Manches vom Classiker an sich. Die lautere Naivetät seines Schaffens, die krystallhelle Klarheit seiner Gebilde, ihre Leichtigkeit und Freiheit von allem Erdendrucke gemahnen an die heitere Ruhe classischer Gestaltungsweise und lassen es nicht vergessen, daß seine Jugend mit dem goldnen Zeitalter der Tonkunst zusammenfiel. Seinem innersten Wesen nach freilich ist er echter Romantiker. Die Welt tief inniger, in sich geläuterter Empfindung ist es, in der seine Sangesweise heimisch ist. Die ganze Scala der Gefühle, vom Lächeln der Freude bis zum Ausbruch der Verzweiflung, beherrscht

[795] er mit sicherer Hand. Was die Menschenbrust bewegt an Last und Leid, das klingt er in Tönen aus. Zwar ist von den Sonnenstrahlen, die seinen Sang durchleuchten, wenig zu spüren in seinem Leben; ein um so treuerer Gefährte war ihm der Schmerz, und aus thränenreicher Saat sind ihm viele seiner unvergänglichsten Gebilde aufgegangen. Bekennt er doch selbst in seinem Tagebuch: „Jene meiner Erzeugnisse, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen die Welt am meisten zu erfreuen.“

Ueberblicken wir die reiche Fülle seiner Schöpfungen, so gewahren wir keine Kunstart, von der höchsten herab bis zur geringsten, deren Pflege er nicht aufgenommen hätte in sein künstlerisches Tagewerk. Einige seiner Compositionen für Kammermusik, wie die Quartette in A-moll und D-moll, die beiden Trios, das tiefpoetische Streichquintett, und seine letzte große Symphonie behaupten eine bleibende Stelle unter den Meisterwerken unserer Musikliteratur. Seine eigenste Sphäre aber bleibt das Lied; als Schöpfer desselben im modernen Sinne hat er seine höchste Bedeutung gewonnen. Sein eigentlichster Inhalt culminirte eben in lyrischen Gaben, ja seine kunstgeschichtliche Mission wies ihn auf die Entwickelung einer Kunstform hin, die in geringerem Grade als die andern Musikgattungen von der Hand der großen classischen Meister die Weihe der Vollendung empfangen hatte. Die Voraussetzungen zu einem musikalischen Liederfrühling hatten sich erfüllt. Einen Blüthenreigen ohne Ende hatte die lyrische Poesie unseres Vaterlandes im Anschluß an Goethe hervorgezaubert, welcher nur der Wiedergeburt in Tönen zu harren schien. Desgleichen war das geistige und technische Wesen des begleitenden Instrumentes, dank Beethoven, der dem Clavier bereits seine unsterblichen Sonatendichtungen anvertraut, zur Genüge ausgebildet und geschmeidigt worden, um das gesungene Wort durch den vollen Reichthum der Harmonie und Figuration zu unterstützen. So brauchte Schubert sich nur der vorgefundenen Errungenschaften zu bemächtigen, um die Tonkunst einer neuen Phase der Entwickelung zuzuführen und jene vorzugsweise lyrische Epoche einzuleiten, die sich in Musik und Poesie bis in die Gegenwart hineinzieht.

Nicht Reflexion oder ästhetische Speculation führte ihn dazu, das Wesen des Liedes zu vertiefen, seinen Inhalt geistig zu erweitern, es nach der Seite der Charakteristik und lyrischen Dramatik hin auszubauen: ihn leitete dabei einzig der ihm eingeborene künstlerische Instinct. Eine unglaublich üppige, leidenschaftlich erregte Phantasie, eine eigenthümlich malerische Gestaltungsgabe drängten zum Ausfluß; sie verlangten so zu sagen die Inscenirung jedes Sujets; das Lied erweiterte sich unwillkürlich zur Scene, ohne darum doch seines lyrischen Grundcharakters verlustig zu gehen. Mit unerschöpflicher Sangeslust begabt, über einen Melodienschatz verfügend, dem sich an Unversiechlichkeit kaum ein anderer als derjenige Mozart’s vergleichen läßt, flossen seine Lippen über von Liedern ohne Ende. Jeder Vers, den seine Hände berührten, verwandelte sich zum fertigen Tongebild. Fast wahllos gestaltete er aus der Ueberfülle eines nahezu unbegrenzten Vermögens heraus, das ihn nirgends an Beschränkung mahnte. So schuf er rastlos auf inneres Geheiß, voll jener Naivetät und Unmittelbarkeit, die den Genius unbewußt das Rechte treffen, ihm Glück und Schmerz zum künstlerischen Segen, zum Gewinn für sich und die Nachwelt gedeihen läßt.

Was Wunder, da eben die Kunstart, der er seine Pflege vorzugsweise widmete, eine specifisch deutsche ist, daß seine Lieder vor Allem ihn zum Liebling des deutschen Volkes gemacht, daß er durch sie demselben an’s Herz gewachsen ist? Volksthümlicher als er ist kein andrer Sänger geworden. Oder wo fände sich ein Kunstlied, das sich an Popularität mit dem „Erlkönig“ oder dem „Wanderer“, dem „Ständchen“ oder den „Müllerliedern“ messen dürfte? Mußte er auf instrumentalem Gebiet noch einen Andern, Höheren, wenn auch keinen Geringeren als Beethoven über sich erkennen, im Bereich des Liedes hat er den höchsten Gipfel erklommen; nur neben und mit, nicht über ihm sind die nach ihm kommenden Liedergrößen, Robert Schumann und Robert Franz, zu nennen. Sie stehen neben einander als ebenbürtige Genossen – die reichste, ursprünglichste Musiknatur unter ihnen aber war gleichwohl der Erstgeborene. Der Einfluß ihrer Zeit, die moderne vielseitigere Bildung, philosophische Schulung und poetisirende Neigung wiesen die beiden Jüngeren in neue Bahnen und ließen sie, im Gegensatz zu ihm, dem das rein Musikalische als das Wesentlichste galt, das Lied mehr von der poetischen Seite erfassen, die dichterische Intention mehr in den Vordergrund stellen. Ihrer reflectirenden Art gegenüber tritt seine naive Unmittelbarkeit in’s hellste Licht. Mit ihm aber, so scheint es, kam der Tonkunst die Naivetät nunmehr für lange abhanden. Absichtslos und selbstgenügsam, geräuschlos und still wie die Natur selbst, waltete schaffend sein Genius; still und geräuschlos, selbstgenügsam wie sein Wirken stellt sich auch sein äußeres, persönliches Leben der Betrachtung dar.

Als schlichter Eltern Kind kam Franz Schubert am 31. Januar 1797 auf die Welt[2]. Sein Vater, der Sohn eines Bauern aus Oesterreichisch-Schlesien, leitete in Lichtenthal, einer Vorstadt Wiens, eine Trivialschule; seine Mutter, Elisabeth geborerne Fitz, hatte ehemals als Köchin gedient. Unter vierzehn Kindern, mit denen der Himmel, überreich für ihre dürftigen Verhältnisse, sie gesegnet hatte und zu denen dem Vater später in zweiter Ehe noch fünf hinzugeboren wurden, ward ihnen Franz als vierter Sohn geschenkt. Mangel und Sorgen zu Gefährten, wuchs er auf, und nur das Angebinde, das die Musen ihm in die Wiege gelegt, verklärte von früh an sein Dasein. Der Vater in Gemeinschaft mit dem älteren Bruder Ignaz machte ihn auf Clavier und Violine heimisch; dann nahm der regens chori Michael Holzer ihn im Gesang und Generalbaß, wie auf Pianoforte und Orgel unter seine Flügel. Mit Rührung versicherte der Lehrer, einen solchen Schüler noch niemals gehabt zu haben, der wie Franz „die Harmonie im kleinen Finger habe“, und frischauf begann der Knabe schon zu componiren. Elf Jahre alt, war er bereits als tüchtiger Sopransänger und Geiger auf dem Chor der Lichtenthaler Pfarrkirche thätig; bald darauf (im October 1808) trat er als Sängerknabe in die kaiserliche Hofcapelle und zugleich als Zögling in das Wiener Stadtconvict ein. Bei den vorhergegangenen Prüfung hatte er das Interesse der beiden Hofcapellmeister Salieri und Eybler derart erregt, daß seine Aufnahme sofort erfolgte. Schenkte er den übrigen Unterrichtsgegenständen nur geringe Aufmerksamkeit, sodaß sogar öftere Nachprüfungen nothwendig wurden, so war das musikalische Treiben im Convict seiner Entwickelung nach dieser Richtung um so förderlicher. Durch die daselbst alltäglich stattfindenden Aufführungen, bei denen er zuerst als Violinspieler, später als Dirigent mitwirkte, lernte er die Schöpfungen der classischen Meister kennen und seinen Tonsinn an denselben bilden, wie es denn vor allem die Werke Beethoven’s waren, die ihn mit Begeisterung erfüllten. Anderseits wurde ihm dort zugleich die willkommene Gelegenheit geboten, seine eigenen Compositionen zu Gehör zu bringen.

Als dreizehnjähriger Knabe hatte er sich bereits in allen Gattungen seiner Lieblingskunst versucht, und nie kehrte er im Elternhause, wo er seine Ferientage zu verleben pflegte, ein, ohne für die von Vater und Brüdern regelmäßig mit ihm betriebenen Quartettübungen eine Gabe in Bereitschaft zu haben. Seit ihn, den gänzlich Mittellosen, die Wohlthätigkeit eines Freundes mit dem unentbehrlichen Notenpapier versorgte, überließ er sich sorglos seinem jugendlichen Schaffensdrang. Ein glücklicher Zufall führte eins seiner Lieder: „Hagar’s Klage“, in Salieri’s Hände und bestimmte diesen, ihm in Musikdirector Ruczizka einen besonderen Generalbaßlehrer zuzuweisen. Aber auch der neue Meister erklärte nur zu bald, daß sein Schüler schon Alles wisse. „Der,“ meinte er, „hat’s vom lieben Gott gelernt.“ So übernahm denn Salieri fortan die Ausbildung des ungewöhnlichen Talentes in höchsteigener Person. Der Unterricht bei ihm ward noch Jahre lang fortgesetzt, selbst nachdem Schubert im Herbst 1813 das Convict verlassen hatte, damit er auf Wunsch des Vaters diesen im Schulhaus als Hülfslehrer unterstütze. Er hörte nicht auf zu schaffen und zu gestalten, selbst unter dem bleiernen Druck eines Berufs, den er nur unter härtesten Kämpfen auf sich genommen, um dem Gebot des Vaters und der Sorge für seine Existenz zu genügen. Gerade in jene Zeit bitterster Qual und opfervollster Entsagung fällt, wundersam genug, das quantitativ reichste Jahreserträgniß seines Künstlerlebens. Ueber die Productivität des Jahres 1815 ist keins der späteren hinausgekommen. Weist es doch beispielsweise mehr als hundert Lieder, darunter den „Erlkönig“, die Gesänge Ossian’s und die Mignonlieder, zwei Symphonien, zwei Messen, verschiedene [796] große und kleine Kirchencompositionen, Clavier- und Kammermusik und nicht weniger als sieben Opern und Singspiele aus. Die dramatische Erstlingsthat des jungen Meisters: „Des Teufels Luftschloß“, reicht noch ein Jahr weiter zurück. Einige andere Opern, mit ihnen die umfänglichsten: „Alfonso und Estrella“ und „Fierrabras“, entstanden einige Jahre später. Sie alle aber blieben, mit Ausnahme des vorletzt genannten Werkes, das Liszt auf der Weimarer Bühne für kurze Zeit in’s Leben rief, und der kleinen Operette: „Der häusliche Krieg“, die nach Schubert’s Tode hier und dort ohne sonderlichen Erfolg in Scene ging, sowie dreier bescheidenerer Arbeiten, deren Aufführung er selbst noch erlebte, zu ewigem Schweigen verurtheilt. Bühnengemäß geartet – das beweisen sie zur Genüge – war die Tonsprache des großen Lyrikers nicht, so dramatisch sie im engen Rahmen des Liedes erscheint. Aber wer sagt, ob er, hätte die Bühne sich nicht hartnäckig seinen Werken verschlossen, nicht vielleicht im Umgang mit ihr gelernt hätte, sich ihren Forderungen erfolgreich zu fügen?

Vier Jahre hatte Schubert selbstverleugnend das schwere Joch der Schulmeister getragen; da endlich kam ihm die Erlösung. Ein gastfreier Freund, Franz von Schober (er lebt gegenwärtig noch in Dresden), bot ihm Aufnahme in seinem Hause; bei ihm fand er hinfort, mit geringer Unterbrechungen nur, eine bleibende Zufluchtsstätte. In der heitern Tafelrunde der Genossen Schober’s – unter ihnen die Dichter Mayrhofer, Bauernfeld, Feuchtersleben, die Maler Schwind, Kupelwieser, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, die Musiker Franz Lachner und Hüttenbrenner – feierte er allabendlich seine frohesten Stunden. Hier überließ er sich, so tief melancholisch er zu Zeiten sein konnte, seiner natürlichen harmlosen Lustigkeit. Von weittragendstem Einfluß auf seine künstlerische Entwickelung aber ward der intime Verkehr mit Vogl, dem ersten Bariton der Hofoper, der sich ihm um diese Zeit erschloß. Die Liederschätze, die in der stillen Arbeitsstube des jungen Tondichters vergraben lagen, trug der gefeierte Sänger hinaus in Salon und Concertsaal und sorgte besser als ihr um seinen Ruhm unbekümmerter Schöpfer für ihren Weg in die Welt und das Bekanntwerden seines Namens. Von Franz selbst als der erste und ausgezeichnetste Interpret seiner Lieder geschätzt, ihm an Kenntnissen und umfassender wissenschaftlicher Bildung weit überlegen, wirkte der um fast dreißig Jahre Aeltere vielfältig belehrend und rathend auf den genialen Freund ein, dessen schlichte Erziehung ihn nicht über das Maß einer gewöhnlichen Durchschnittsbildung seiner Zeit hinausgeführt hatte. Der Eine singend, der Andere begleitend, waren sie Beide allenthalben willkommene Gäste, zogen sie im Sommer auch als fahrende Sänger durch Oberösterreich und das Salzkammergut, überall offene Thüren und Herzen findend.

Eben diese wiederholten Künstlerfahrten mit Vogl und einige wenige nähere Ausflüge zu oder mit Freunden abgerechnet, kam Schubert sein Lebtag nicht über Wien hinaus. Nur in Zelecz, dem ungarischen Sommeraufenthalt der gräflichen Familie Esterhazy, ließ er sich mehrmals monatelang fesseln. So gern seine schüchterne, in geselligen Formen unbeholfene Natur sonst dem Verkehr mit vornehmen Häusern aus dem Wege ging, so widerwillig er, der allem Zwange Abholde, im Uebrigen jede Aufforderung zum Unterrichtertheilen ablehnte, in diesem Falle entschloß er sich zu einer Ausnahme von der Regel. Er verkaufte seine goldene Freiheit um der Liebe willen, die er für Caroline, die jüngste Tochter des Grafen, gefaßt hatte und die ihn bis zur letzten Stunde seines Lebens als die einzig unwandelbare begleitete. Das Glück der Erwiderung freilich blieb ihm versagt, und sie, die das Feuer in der erregbaren Künstlerseele entfacht, ahnte wohl kaum die ganze Gewalt desselben. Wenigstens störte kein Bekenntniß seiner Leidenschaft das ruhige Gleichmaß der freundschaftlichen und künstlerischen Hochachtung, die sie ihm zollte, und wer mag sagen, ob ihr nicht auch die volle Bedeutung des Wortes verborgen blieb, das ihm einst entschlüpfte, als sie ihm scherzend vorwarf, daß er ihr nicht ein einziges seiner Werke zugeeignet habe, jenes: „Wozu denn? Ihnen ist ja ohnehin Alles gewidmet.“ Für sie ist unter Anderem eines seiner schönster Clavierstücke: die vierhändige Phantasie in F-moll (Op. 103) geschrieben. Aber auch mit andern seiner Compositonen, wie beispielsweise mit seinem reizenden Divertissement à la hongroise, verknüpft sich die Erinnerung an sie und das musikreiche Haus, das ihm die sonnigsten Tage und Stunden seines Lebens spendete.

Im Uebrigen ging sein Dasein nach wie vor in stiller Zurückgezogenheit und rastloser Arbeit dahin. Und doch, von dem, was man gemeinhin Arbeit nennt, von mühseligem Aufbauen, war bei ihm keine Rede. Fertig „wie ein holdes Wunder“ löste sich das Kunstwerk aus seiner Seele. Wo haben die Leichtigkeit und Massenhaftigkeit seiner Production in der Geschichte der Tonkunst ihres Gleichen? Von der „Schönen Müllerin“ wird uns erzählt, wie Schubert bei einem Bekannten die Gedichte Wilhelm Müller’s fand und eilig mit sich nach Hause nahm, um am andern Morgen schon dem erstaunten Freund die Composition der ersten fünf „Müllerlieder“ vorzulegen. Die übrigen Gesänge des ewig jungen frühlingsduftigen Cyclus wurden während einer Krankheit im Hospital vollendet. Den „Erlkönig“ schrieb der achtzehnjährige Jüngling nach mehrmaligem Durchlesen der Dichtung in einem Zuge nieder. Der „Zwerg“ entstand inmitten eines Gesprächs mit einem Freunde, das „Ständchen“ („Horch, horch“) wurde im Tumult eines Gasthauses auf’s Papier geworfen. Umfangreiche Kirchenstücke, Symphoniesätze, Opernacte waren das Resultat weniger Tage.

Die Früchte seines Schaffens zu ernten nur war ihm leider nicht beschieden. Seine Bewerbungen um eine öffentliche Anstellung in Laibach und Wien blieben erfolglos. Spät und spärlich nur gelangten bei seiner Lebzeiten einzelne seiner Werke zur Aufführung – er mußte bis zum Jahre 1819 warten, bis überhaupt eine seiner Compositionen, das Lied „Schäfers Klage“, zum ersten Mal in den Concertsaal eindrang. Ein einziges Mal nur in seinem Leben trat er auf Zureden seiner Freunde als Concertgeber vor das Publicum und führte einige seiner Compositionen den Wienern vor. Das glänzende Ergebniß forderte zu einer Wiederholung auf; aber sie kam erst nach seinem Hinscheiden zu Stande und lieferte die Mittel, ihm einen Grabstein zu setzen.

Auch die Verleger zeigten sich erst willig, seine Lieder in ihre Kataloge aufzunehmen, nachdem eine aus Subscription veranstaltete Herausgabe von zwölf Liederheften (der „Erlkönig“ als Op. 1) im Selbstverlag des Autors reißenden Absatz fand. Nichtsdestoweniger lohnten sie dem in jeder Art praktischer Geschäftsführung gänzlich unbegabten Künstler, der seinen Vortheil nicht wahrzunehmen verstand, äußerst kärglich für seine Gaben. Als er starb, hatten nur etwa hundert Lieder und einige Clavier- und Kammercompositionen den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden. Seine sieben Symphonien, seine Quintette und Quartette, seine Messen, das Oratorium „Lazarus“, seine Opern und Chorgesänge, seine zahllosen zwei- und vierhändigen Sonaten, Phantasien, Märsche etc. – wer kannte sie? Ist doch noch heutigen Tages der Instrumental- und zumal der Clavier-Componist Schubert über dem Lieder-Componisten wenn nicht vergessen, so doch vernachlässigt und nicht nach seinem Verdienste gewürdigt. Und gleichwohl ging er auch hier seine eigenen Wege. Ob auch, wie alle Nachkommenden, auf Beethoven fußend, steht er ihm doch in freier Selbstständigkeit gegenüber und verhält sich zu ihm wie die Richtungen, die sie vertreten, sich zu einander verhalten, wie die Romantik zur Classicität.

Befremdend vor allem erscheint die Thatsache, daß keiner von Schubert’s großen Kunstgenossen je in ein rechtes Verhältniß zu ihm getreten. Karl Maria von Weber hatte, als ihm der Wiener Meister die Partitur zu „Alfonso und Estrella“ vorlegte, kein anderes Urtheil als: „Ich sage Ihnen, daß man die ersten Hunde und die ersten Opern ertränkt.“ Selbst Beethoven, der dreißig Jahre dieselbe Luft mit ihm athmete und zu dem er schon von früher Jugend auf als zu seinem höchsten Ideal emporschaute, ging theilnahmlos an ihm vorüber. Eine schüchterne Huldigung des jungen Künstlers, die Dedication der vierstündigen Variationen Op. 10 blieb unbeachtet, wie es früher eine Sendung von Compositionen Goethe’scher Lieder an den Dichterfürsten in Weimar geblieben war. Erst auf seinem letzten Krankenlager lernte Beethoven eine Anzahl Schubert’scher Lieder kennen und beschäftigte sich eingehend mit denselben. „Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher Funke!“ rief er wiederholt begeistert aus und prophezeite, „daß er noch viel Aufsehen in der Welt machen werde.“ Die sieben Rellstab’schen Lieder, die jetzt Schubert’s „Schwanengesang“ zieren, aber ursprünglich Beethoven vom Verfasser zur Composition übergeben worden waren, sandte [797]

Ein frisches Kleeblatt.
Nach dem Oelgemälde von Ph. Fleischer auf Holz übertragen.




er nun mit eigenhändig hinzugefügten Bleistiftzeichen an Schubert, da er sich selbst zu krank fühlte, die Arbeit zu vollenden. Kurz vor Beethoven’s Tode besuchte Schubert den sterbenden Meister, der nicht mehr zu sprechen im Stand war. Als er wenige Tage später mit seinen Freunden vom Begräbniß zurückkehrte, füllte er die Gläser und leerte das erste auf das Gedächtniß des Heimgegangenen, das zweite auf den, der ihm zunächst folgen würde. Er feierte so sein eigenes Gedächtniß. Noch ehe sich ein zweites Jahr vollendete, ruhte er selber zur Seite der geweihten Gruft.

Eine sich bis an’s Ende steigernde und läuternde Production wird in dem kurzen Künstlerdasein Franz Schubert’s auffällig. [798] Meisterwerke wunderbarster Art reifen in seinen letzten Lebensjahren. So weist das Jahr 1826 das „Rondo brillant“ für Clavier und Geige, Op. 70 die Streichquartette in D-moll und G-dur, das B-dur-Trio und den ersten Theil der „Winterreise“, das Jahr 1827 den zweiten Theil der letzteren, das Es-dur-Trio und die „Deutsche Messe“, das Jahr 1828 endlich die große Symphonie in C, das Streichquintett in C, die Messe in Es, die drei letzten Claviersonaten und den sogenannten „Schwanengesang“ auf, als die letzten Vermächtnisse des Künstlers, mit denen er seine Mission hienieden vollendete.

Die „Winterreise“, ein Liedercyclus gleich der früher entstandenen „Schönen Müllerin“, unterscheidet sich von der rein lyrischen, mehr volksliedartigen Weise der letzteren durch eine ungleich größere Mannigfaltigkeit der Form und Kühnheit der Tonsprache, eine gesteigerte Leidenschaft und Dramatik und demgemäß eine lebendigere Betheiligung des tonmalerischen Elementes. In tiefste Schwermuth getaucht ist jeder einzelne der vierundzwanzig Gesänge. Der letzte Sonnenschimmer ist verglommen; aus der sanften Melancholie der „Müllerlieder“ ist hier Trostlosigkeit, friedlose Resignation und Verzweiflung geworden. Freundlichere Bilder machen sich in den „Schwanengesang“, die letzte Liederreihe, die nicht mehr von des Componisten Hand, sondern erst nach seinem Tode von seinem Verleger zusammengestellt wurde. Von hohem Werthe sind zumal die Heine’schen Lieder „Der Atlas“, „Die Stadt“, „Am Meer“, „Der Doppelgänger“, in denen Schubert jene mehr declamatorische Weise anschlägt, die Schumann zu weiterer Vollendung führte. Mit dem Schlußgesange, der „Taubenpost“, sagte er dem Lied für immer Lebewohl.

Als er im November 1828 die letzten Druckbogen seiner „Winterreise“ corrigirte, war auch für ihn der Winter herbeigekommen und der Sommer seines Lebens dahin. Müde lag der Sänger, der die schwermuthvollen Lieder wohl in Vorahnung seines nahen Abschieds gesungen hatte, auf dem Krankenlager, von dem es keine Genesung für ihn gab. Die Mittel, die er früher gegen sein altes Leiden, Kopfschmerzen und Schwindel, angewendet hatte: Bewegung in freier Luft und Zerstreuung in der Arbeit, fruchteten jetzt nichts mehr. Ein Nervenfieber war ausgebrochen. Er sprach noch von Opernplänen und rief in seinen Fieberphantasien nach Beethoven – die Musik in seiner Seele schwieg noch nicht. Aber bald darauf, am 19. November, ward es still in und um ihn – nun lauschte er himmlischen Harmonien.

Zwei Tage später, am 21. November bettete man ihn auf dem Währinger Kirchhof, in nächster Nachbarschaft seines Meisters Beethoven, wie er’s gewünscht hatte, in sein frühes Grab. Der Denkstein, der dasselbe schmückt, trägt seine Büste, um, gleich dem 1872 im Wiener Stadtpark errichteten Denkmal, sein Bild der Nachwelt zu überliefern. Es ist nicht schön, dieses Bild, auch an seinen Zügen wie an seiner Gestalt hatte das Schicksal seinen Segen gespart. Unter der Büste lesen wir außer dem Datum seines Geburts- und Sterbetages Grillparzer’s Worte: „Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen.“ – So durfte die Klage der Mitlebenden lauten, denen die Werkstätte dieses wundersamen Geistes noch ein unentschleiertes Geheimniß war. Wir aber wollen fünf Jahrzehnte nach des Meisters Tode nicht ungenügsam mehr sprechen von gestorbenen Hoffnungen, sondern in immer erneuter Dankbarkeit uns des Tonsegens freuen, den er in verschwenderischer Fülle über uns ausgestreut. Erfüllt, herrlich erfüllt, wir wissen es heute, hat der Frühvollendete seine Sendung, und Wahrheit geworden ist sein einstiger Ausspruch: „Wenn das Wort Kunst ausgesprochen wird, ist von mir die Rede.“



Nachdruck verboten.
Seeminen und Torpedos.

Die ersten Versuche mit Seeminen und Torpedos sind älter, als man gewöhnlich annimmt; sie datiren über hundert Jahre zurück. Der amerikanische Capitain Bushnel baute bereits 1776 ein unterseeisches Torpedoboot. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit desselben war jedoch von vornherein nicht groß, und als sich dieses Boot bei dem Angriffe gegen ein englisches Schiff nicht bewährte, ließ man damals die Sache gänzlich fallen.

Nachdem sich auch Anfangs dieses Jahrhunderts Fulton, der Erfinder der Dampfschiffe, vergeblich bemüht, seinen verbesserten Torpedos und Seeminen Eingang zu verschaffen, gerieth diese mörderische Waffe der Neuzeit fünfzig Jahre hindurch in völlige Vergessenheit; jedenfalls hörte man ihrer nur noch sehr selten Erwähnung thun. Von besonderem Interesse für uns dürfte es deshalb sein, daß gerade Deutschland es war, welches zuerst wieder 1848, im Feldzuge gegen Dänemark, Seeminen zur Verwendung brachte. Einem unserer jetzt hervorragendsten Männer, dem Dr. Werner Siemens, der damals preußischer Artillerielieutenant war, gebührt, in Gemeinschaft mit seinem Schwager, dem Professor der Chemie Dr. Himly, die Ehre dieses ersten erneuerten Versuchs.

Um das Naheherankommen dänischer Kriegsschiffe, und somit das von diesen beabsichtigte Bombardement der Stadt Kiel zu verhindern, sperrten beide den dortigen Hafen durch Seeminen ab. Wasserdicht verpichte Fässer, später mit Kautschuk überzogene Säcke, die eine Sprengladung von je 20 Centnern Pulver enthielten, wurden circa 20 Fuß unter die Oberfläche des Wassers versenkt und verankert. Durch Leitungsdrähte standen dieselben mit einer galvanischen Batterie auf dem Lande in Verbindung. Wenn nun auch diese Seeminen nicht zur Action kamen, erfüllten sie doch indirect ihren Zweck. Eine derselben explodirte aus Versehen, und zwar im Gesichtskreise des vor dem Hafen kreuzenden Feindes, und hielt durch ihre gewaltige, weithin vernehmbare Wirkung die dänischen Kriegsschiffe fortan von näherem Herankommen ab. Auch zum Absperren des Hafens von Venedig bediente man sich während des Feldzugs 1859 ähnlicher Seeminen. Doch erst in ihrer ursprünglichen Heimath, in Amerika, fanden sie im Laufe des Krieges von 1861 bis 1865 bleibende Verwendung- und fortgesetzte Vervollkommnung.

Es sei hierbei erwähnt, daß die stationären Vertheidigungsminen, welche zur Absperrung der Häfen, Landungsplätze etc. dienen und somit vor Anker liegen, allgemein als „Seeminen“ bezeichnet werden. Die anderen Zerstörungswaffen dieser Gattung, welche, sei es zum Angriff, sei es zur Vertheidigung, bewegende Kraft erhalten, also in beiden Fällen offensiv wirken, nennt man Torpedos; sie zerfallen, je nach ihrer Construction und Verwendungsweise, in Spieren-, Schlepp-, Fischtorpedos etc.

Die amerikanischen Südstaaten, bei Beginn des Krieges fast ohne Flotte, traten dem weit überlegenen Feinde vermittelst Torpedos erfolgreich entgegen und zwangen diesem schließlich dieselbe Waffe in die Hand. Beide Staaten überboten sich nun in Verbesserungen und neuen Erfindungen auf diesem Gebiet. Es kamen beiderseits neu construirte unterseeische Torpedoboote sowie Spierentorpedos zur Verwendung. Für letztere nimmt allerdings Rußland durch seinen Ingenieur General Tiesenhausen die Priorität der Erfindung in Anspruch (anderthalb Jahre früher), jedenfalls fanden die Spierentorpedos aber erst, wie bereits gesagt, im amerikanischen Kriege dauernde Verwendung.

Die Panzerschiffe mit ihrer gefährlichen Ramme verdanken ebenfalls jenen Kriegsjahren und den Amerikanern ihre Entstehung, aber auch sie zeigten sich den Torpedos nicht gewachsen. Fielen im Laufe des Krieges den verschiedenen Arten dieser Höllenmaschinen doch nicht weniger als sieben Panzerschiffe und elf andere Dampfer zum Opfer!

Die hölzernen ungepanzerten Fahrzeuge wurden gänzlich aus der Reihe der Schlachtschiffe gestrichen. Sämmtliche Flottenstaaten richteten von da ab in erster Linie ihr Augenmerk auf die Herstellung von Monitors und erprobten außerdem die Seeminen und Torpedos. Es begann ein vollständiger Wettkampf zwischen der immer stärker werdenden Panzerung und den immer kolossaleren Dimensionen der neu construirten Geschütze, deren Monstregeschosse schließlich auch die dicksten Panzerplatten durchschlugen. Besonders England und Frankreich betheiligten sich lebhaft an diesen Versuchen; aber auch kleinere Seestaaten nahmen von Anfang an daran Theil.

So war die zuerst ungestrafte Annäherung des dänischen Monitors „Rolf Krake“ im Feldzuge 1864 den preußischen

[799] Batterien unbequem, doch bald wandte sich das Blatt. Die Stahlspitzgeschosse der gezogenen Vierundzwanzigpfünder wirkten schließlich sehr störend auf den Monitor; seine Panzerung schützte ihn nicht mehr ausnahmslos gegen dieselbe.

1866 zeigte die Seeschlacht bei Lissa abermals die Mächtigkeit der Ramme im Nahgefecht; hierdurch wurde wiederum die Aufmerksamkeit der Seemächte eine geraume Zeit hindurch absorbirt und in etwas von den Torpedoversuchen abgezogen. Ganz aus dem Auge verloren hatte man diese aber keineswegs. Das bewies 1870 Deutschland, indem es in kürzester Zeit eine vollständige kleine Dampferflottille mit Spieren-Torpedos ausrüstete, welche aber gegen den zur See weit überlegenen französischen Gegner nicht in Action trat.

Das allgemeine Interesse neigte sich allmählich wieder den Torpedos zu. Im Jahre 1871 wurde seitens der deutschen Marine eine besondere Versuchscommission neu creirt (durch Cabinets-Ordre vom 28. Februar dieses Jahres aufgelöst), 1875 und 1876 Torpedoboote zur Verwendung auf hoher See, wie der „Ziethen“ und der „Ulan“, erbaut. Gleichzeitig fand die Errichtung eines Torpedocorps statt, dem die specielle Ausbildung der Torpedomannschaften obliegt. Wie in jedem großen geordneten Staate schon im Frieden alle eventuellen Fälle für einen Krieg in’s Auge gefaßt werden und demzufolge die Vertheidigungsmittel vorräthig sein müssen, so sind auch zur Vertheidigung der deutschen Küsten die genauesten Vorbestimmungen getroffen worden und die nöthige Anzahl Seeminen liegt an geeigneter Stelle zum Absperren der Häfen etc. bereit. Das Jahr 1877 kam heran und mit ihm der russisch-türkische Krieg zum Ausbruch. Die reichhaltigen Erfahrungen desselben gaben den Großstaaten einen neuen Anstoß zu den verschiedensten Versuchen und Verbesserungen ihrer Waffen und Kriegswerkzeuge. Das Minen- und Torpedowesen stand in Rußland schon bei Beginn der Feindseligkeiten auf einer verhältnißmäßig hohen Stufe. In der Türkei hatte man sich damit begnügt, die Häfen und günstigen Landungsstellen der Ufer theilweise mit Seeminen zu sperren; den Offensiv-Torpedos war dagegen gar keine Beachtung geschenkt, oder richtiger gesagt, es war dem intelligenten türkischen Admiral Hobart Pascha nicht gelungen, mit seinen Ansichten durchzudringen. Gerade die Wirksamkeit dieser Gattung aber auf russischer Seite, speciell die überraschenden Erfolge der winzigen russischen Torpedoboote gegenüber den mächtigen türkischen Monitors, zogen die vollste Aufmerksamkeit der Sachverständigen aller seefahrenden Nationen auf sich, und man begann allenthalben schon während des Krieges, sich ebenso hinsichtlich der geeignetsten Offensivtorpedos, wie der besten Schutzmittel großer Schiffe gegen diese unheimlichen Feind vorzusehen. Die glänzendsten Resultate in ersterer Beziehung wurden schließlich mit dem verbesserten Whithead-Fisch-Torpedo erzielt. Eine besondere Wichtigkeit erlangten aber alle Offensiv-Torpedos erst, als es in jüngster Zeit dem Schiffsbaumeister Thornycroft gelang, kleine Dampfboote herzustellen, welche, bei genügend fester Bauart, sämmtliche Schlachtschiffe an Schnelligkeit übertrafen, dieselben also unbedingt einzuholen im Stande waren.

Die Russen hatten den Whithead-Torpedo nur zweimal ziemlich zum Schluß des Feldzugs und mit wechselndem Glück angewandt. Das erste Mal in der Nacht vom 27. zum 28. December vorigen Jahres[3] bei Batum ohne jedes Resultat, das zweite Mal in der Nacht vom 25. zum 26. Januar dieses Jahres ebendaselbst mit desto glänzenderem Erfolg; eines der türkischen Schiffe ging vollkommen in Trümmer. Beide Male fand der Angriff durch die Torpedokutter des vom Capitain Malarow befehligten Dampfers „Constantin“ statt.

Der Fischtorpedo war bereits 1867 von dem Ingenieur Whithead erfunden, konnte sich aber nicht gleich Eingang verschaffen, weil durch ihn in seiner ursprünglichen Gestalt die eigenen Schiffe gefährdet wurden. – Nach und nach fand der Erfinder Abhülfe gegen diesen Uebelstand; jetzt kann derselbe in seiner Fabrik in Fiume kaum die Aufträge der verschiedenen Regierungen bewältigen. – Deutschland und ebenso England erhielten von dort je 200 Stück; letzteres hat nunmehr in den Werkstätten von Woolwich eine Extra-Abtheilung zur Selbstanfertigung eingerichtet; die Herstellungskosten belaufen sich auf circa 350 Pfund Sterling pro Stück. Auch Rußland und Italien fertigen ihren Bedarf selbst an. Was über die Construction des Whithead-Torpedos bekannt ist, lasse ich hier kurz folgen, wobei ich bemerke, daß die allerneuesten Vervollkommnungen von dem Erfinder sehr geheim gehalten werden.

Der Torpedo hat, bei einer Länge von 14 bis 19 Fuß, 14 bis 16 Zoll größten Durchmesser und Cigarrenform. Sein Körper ist aus eigens bereitetem 1/16 Zoll starkem Stahl hergestellt und zerfällt in drei Hauptabtheilungen. Die vordere, der Kopf, nimmt die Ladung (25 bis 30 Kilogramm Schießbaumwolle) nebst dem Zündapparate auf, der mittlere Raum die treibende Maschine. Das Endstück ist für die comprimirte Luft, den Motor der Maschine, bestimmt, welche die sichtbaren, an einer Achse befindlichen Schrauben in Bewegung setzt und bei 40 Pferdekraft nur 35 Pfund wiegt. Hinter der Schraube befinden sich fischflossenähnliche, zur Vertical- und Horizontalleitung bestimmte Ansätze.

Vermittelst einer besonderen, mit dem Horizontalsteuer verbundenen Vorrichtung kann man den Torpedo in beliebiger Tiefe unter Wasser fortlaufen lassen. Für seine Fortbewegungsgeschwindigkeit tritt aber als wesentlicher Factor der Wärmegrad des Wassers hinzu, der auf die comprimirte Luft einwirkt. Ein auf das „Ueber Wasser Lanciren“ dieses Torpedos eingeübtes Personal vermag mit ziemlicher Sicherheit selbst ein in voller Fahrt befindliches Schiff auf 200 bis 250 Meter Entfernung zu treffen. Bisher mußte nämlich das Lanciren vermittelst Luftdruck durch das Lancirrohr unter Wasser stattfinden. Der neue Apparat ist einem Geschütze ähnlich, aus welchem der Torpedo über Wasser durch die comprimirte Luft herausgeschleudert wird und dann erst untertaucht; man bezeichnet diesen Apparat auch mit „Torpedokanone“.

Ueber die Construction der sogenannten Torpedo-Widder, mit welchen England seine im Baue begriffenen Schlachtschiffe versieht, ist bis jetzt noch nichts Definitives in die Öffentlichkeit gedrungen. Dagegen hat man mit den allerneuesten Versuchen zur Herstellung eines schützenden Torpedonetzes befriedigende Resultate erzielt. Die ersten Kettennetze wurden bei ihrer Steifheit leicht von dem Fischtorpedo durchgeschlagen; eine Art Matte aus Drahttau vermochte ihn aber vermittels ihrer großen Elasticität aufzuhalten, respective zurückzuwerfen. Ein solches, je nach der Größe des Schiffs 10 bis 20 Fuß hohes Drahtnetz hängt an circa 30 Fuß langen Spieren rings um das Schiff herum und kann gehißt oder gestrichen werden. Wiederholten Proben zufolge ist auf diese Entfernung die Explosion eines Torpedo für den Schiffskörper bereits wirkungslos; man kann deshalb auch an einzelne etwas über das Netz herausragende Spieren selbst Torpedos anbringen, um einem dicht heranfahrenden Feinde einen warmen Empfang zu bereiten. Wir finden somit hier eine Verbindung des Netzes mit sogenannten Schlepptorpedos, welche schon 1870 von Harvey vorgeschlagen wurden, nur ein Schiff gegen den Angriff des feindlichen Sporns zu schützen.

Lange Zeit hindurch konnte man sich nicht über die Vorkehrungen einigen, welche ein Schlachtschiff auch im Dunkel der Nacht gegen plötzliche Ueberfälle bewahren sollen. Deutscherseits kam man schließlich zu dem Resultate, außer den Netzen Holm’sche Sicherheitssignale zu verwenden, da hierbei der Schiffskörper in voller Dunkelheit bleibt, während die ganze Umgebung hell erleuchtet ist. Die Kugel, welche das Licht enthält, wird aus Mörsern geworfen; sie ist so leicht, daß das Wasser sie trägt, welches gleichzeitig den eine halbe Stande lang brennenden Leuchtstoff entzündet, der auch dem stärksten Winde widersteht. Durch gleichzeitiges Abschießen mehrerer Kugeln nach den verschiedenen Seiten hin würde also rings nur das Schiff eine helle Lichtzone entstehen, welche von dem dunkelen Schiffe aus leicht zu übersehen wäre und erst vom Feinde passirt werden müßte.

Gelingt es, den unterseeischen Torpedo auf noch weitere Distancen als bisher mit vollster Treffsicherheit abzulassen, so genügt auch dieser Schutz nicht mehr; vorläufig ist das jedoch noch nicht geglückt.

D.
[800]

Blätter und Blüthen.

Noch einmal die Unglücklichen des Zillerthals. Aus Augsburg gehen uns die nachfolgenden Zeilen zu, welche wir in warmer Theilnahme für den Unglücklichen, mit dem sie sich beschäftigen, unsern Lesern nicht vorenthalten wollen:

„Schon oft hat Ihr geschätztes Blatt wahrhaft Bedürftigen Hülfe gebracht. Gestatten Sie mir, Ihnen aus der entsetzlichen Katastrophe im Zillerthale einen Einzelfall mitzutheilen, wie er schrecklicher nicht gedacht werden kann, um zugleich für den armen Betroffenen die Mildthätigkeit der Leser der ‚Gartenlaube‘ anzurufen.

Jacob Wechselberger hatte vor etwa zwei Jahren nach dem Tode seines Vaters dessen Anwesen, ein Wirthaus nebst Alpe, mit Hypotheken belastet, übernommen. Durch eisernen Fleiß und Bravheit ist es ihm gelungen, sich nicht nur Achtung im ganzen Zillerthal zu erwerben, sondern sich auch eine Summe zur Tilgung seiner Schuld zu ersparen. In jener schreckensvollen Nacht, welche für so Viele verhängnisvoll wurde, hört er Geräusch und findet sein Haus derart umfluhtet, daß Entfliehen unmöglich. Er rettet sich, Frau, Kind und Mutter in den oberen Stock. Kaum nach einer halben Stunde bricht dieser zusammen, und die ganze Familie stürzt in die mit Wasser gefüllten unteren Räume. Er selbst liegt unter Balken und kann sich nur schwer frei machen. Als dies endlich gelungen, tappt er im Dunkeln um sich, erhascht einen Gegenstand - es war seine junge Frau, die in seinen Armen verscheidet. Er legt sie an eine erhöhte Stelle, sucht in Todesangst weiter und findet sein Kind sterbend. Nachdem er es zu seiner Frau gelegt hat, gelingt es ihm, seine Mutter noch lebend aus den Fluthen zu ziehen. Er holt ein Kleidungsstück, um die Erstarrende zuzudecken - als er zurückkehrt, ist sie weggeschwemmt, mit ihr die Leichen seines Kindes und seiner Frau. Letztere wurde eine halbe Stunde entfernt an einem Baume hängend gefunden, die beiden anderen unterhalb Zell sechs Stunden entfernt aus dem Schlamme ausgegraben.

Da das Haus ganz einzustürzen droht, flieht er verzweifelnd auf einen Felsen, an welchen das Haus angebaut ist; zuvor hat er noch seine Brieftasche mit 600 Gulden gefunden. Dort nun erwartet er den Tag. Seine Nachbarn werfen ihm ein Seil zu; er hascht mit der Hast der Verzweiflung nach demselben - da entfällt seiner Hand die Brieftasche mit dem letzten Reste seiner Habe, und als er gerettet ist, muß er mit ansehen, wie sein Haus vom Erdboden verschwindet, wie sein Feld mit Steinen und Geröll überschüttet wird, und bald erhält er die Nachricht, daß seine Alphütte ebenfalls weggeschwemmt sei. - Und nun, da die Katastrophe vorüber ist, kommen die Gläubiger und belegen, was ihm geblieben, mit Beschlag - er ist ein Bettler und hat Alles verloren was ihm lieb und theuer war.

Muß es nicht jedem Wohlhabenden eine Freude sein, in solchem Falle sein Scherflein zur Linderung des Jammers und zur Begründung einer neuen Existenz für den Unglücklichen beitragen zu können?

Ich für meine Person werde den Betrag von 100 Mark an Herrn Oberförster Hochleitner in Mayerhofen, Zillerthal, absenden, an welche Adresse auch eventuell Beiträge am besten zu adressiren wären.

Indem ich mir erlaube, Ihnen die Angelegenheit des armen, braven Mannes recht dringend an’s Herz zu legen, bin ich Euer Wohlgeboren ergebener

O. F.




Ein frisches Kleeblatt. (Zu dem Bilde S. 797) Wen überkommt nicht unwillkürlich ein Lächeln, wenn er die von Gesundheit strotzenden, wohl im Sonntagsstaat prangenden heiteren Landschönen von jenseit der Mainline in’s Auge faßt, welche auf unserer Abbildung eine intime Conferenz abhalten? Es ist mutmaßlich ein Stück unfreiwilligen Humors, welchen der Brief zusammt dem Riesenbouquet repräsentirt; das Lachen der sitzenden Schönen hat etwas so sieghaft Triumphirendes, daß man versucht ist, auf das Unterwerfungsschreiben eines zur Capitulation genöthigten Männerherzens zu rathen, welches vielleicht nicht einmal die Genugthuung erfährt, nun auch dem Scepter der Siegerin wirklich unterstellt zu werden. Daß der Inhalt des Schriftstücks Beziehung auf jenen heimlichen Guerillakrieg hat, der seit Adam und glücklicher Weise überwiegend zum Heil der Menschheit zwischen Männer- und Weiberherzen geführt wird, darf umsomehr mit Gewißheit behauptet werden, als er uns unerfindlich scheint, welcher andere Stoff in Briefform drei jugendliche Repräsentantinnen der Haute-volée irgend eines Dorfes in so außerordentlichem Maße interessiren sollte, wie das hier offenbar der Fall ist. Wie dem auch sei - der talentvolle Schüler Gussow’s, dem wir das Bild verdanken, hat mit dieser Composition einen glücklichen Griff gethan. Ernst Philipp Fleischer ist ein Breslauer Kind; seine Studien hat er in Dresden und Weimar, endlich in Italien gemacht, von wo er Gussow, dem Meister seiner Wahl, nach Berlin folgte. Er zählt hier zu den entschiedenen Jüngern jener Richtung, welche auf treue und genaue Wiedergabe der Natur den Hauptnachdruck legt und dadurch in so hohem Maße befruchtend auf die deutsche Malerkunst der Gegenwart eingewirkt hat.




„Abseits vom Wege“, Gedichte eines Laien mit Illustrationen von Paul Thumann (Berlin, Alexander Dunker). Wir beginnen unsern Hinweis auf dieses Bändchen Lyrik mit einer Anklage, indem wir den Verfasser einer sträflichen Unwahrheit zeihen: unser Anonymus ist nicht der „Laie“, für welchen er sich ausgiebt; er ist in des Wortes ganzen Umfange - ein Dichter. Frisches, warmes Empfinden, eine keck fabulirende Phantasie und jene echt künstlerische Feinfühligkeit für die Musik dichterischer Formen, welche erst eigentlich den Poeten macht, geben seinen Gedichten den Duft wirklicher Blüthen vom Baume der Poesie. Nächst dem Liede ist die Ballade, nicht selten mit Heine’schen Reminiscenzen verquickt, die eigentliche Domäne unseres Ungenannten. Paul Thumann hat dem auch äußerlich ansprechend ausgestatteten und darum für den Weihnachtstisch sehr geeigneten Buche neun meisterhafte Illustrationen beigefügt. Poet und Zeichner sind verwandt geartete Geister: Beiden ist der Zug zum Sinnig-Zarten und zugleich ein vornehm feiner Kunstsinn eigen, sodaß der Bund des Dichters mit dem Illustrator dem gemeinsamen Werke trefflich zu Statten gekommen ist. Mögen diese „abwärts vom Wege“ tagesüblicher Lyrik gepflückten Liederblüthen Eingang finden in die Herzen Vieler!




Kleiner Briefkasten.

B. P. in L. Allerdings! Der in unserm Artikel Seltsames Phänomen aus dem Leben der Wandervögel (Nr. 42, Blätter und Blüthen) als Verfasser der „Reisen im Orient“ erwähnte H. Petermann ist nicht, wie dort irrthümlich angegeben wird, der berühmte Geograph, sondern der im Jahre 1876 verstorbene hervorragende Orientalist Professor Heinrich Petermann in Berlin. - Was übrigens das berichtete Phänomen selbst betrifft, so schreibt man uns aus Ostpreußen, daß dort eine ähnliche Ansicht, und zwar speciell bezüglich der Bachstelze, ganz allgemein verbreitet ist, was wohl als Bestätigung des in unserem Artikel Ausgesprochenen gelten darf.




Als Weihnachtsgeschenke empfohlen!

Verlag von Ernst Keil in Leipzig.

Gottschall, Rudolf, Janus. Friedens- und Kriegsgedichte Prachtband. 4 Mk. 50 Pfg.
Horn, Georg, Bei Friedrich Karl. Bilder und Skizzen aus dem Feldzuge der zweiten Armee. 2. Bände. Eleg. brosch. 9 Mk.
Marlitt, Gold-Else. Volks-Ausgabe 12. Auflage. Eleg. brosch. 3 Mk.
Marlitt, Gold-Else. Salon-Ausgabe. Illustriert von P. Thumann. 2. Auflage. Eleg. geb. mit Goldschnitt 10 Mk. 50 Pfg.
Marlitt, Das Geheimniß der alten Mamsell. 8. Auflage. 2 Bände brosch. 6 Mk.
Marlitt, Reichsgräfin Gisela. 5. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 8 Mk.
Marlitt, Haideprinzeßchen. 4. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 9 Mk.
Marlitt, Die zweite Frau. 4. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 7 Mk. 50 Pfg.
Marlitt, Im Hause des Commerzienrathes. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 8 Mk.
Marlitt, Thüringer Erzählungen. Inhalt: Die zwölf Apostel - Der Blaubart 4. Auflage. Eleg. brosch. 4 Mk. 50 Pfg.
Prutz, Robert Buch der Liebe. Gedichte 4. Auflage. Prachtband. 5 Mk. 25 Pfg.
Rittershaus, Emil Neue Gedichte. 4. Auflage. Prachtband. 6 Mk. 50 Pfg.
Scherenberg, Ernst Gedichte. Prachtband. 5 Mk. 25 Pfg.
Scherr, Joh. Goethe’s Jugend. Eleg. geb. 4 Mk. 50 Pfg.
Traeger, Albert Gedichte. 12. Auflage. Prachtvoll geb. mit Goldschnitt 5 Mk. 25 Pfg.
Werner, E. Gartenlaubenblüthen. Inhalt: Ein Feld der Feder. - Hermann. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 6 Mk.
Werner, E. Am Altar. Roman. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 6 Mk.
Werner, E. Glück auf!. Roman. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 7 Mk. 50 Pfg.
Werner, E. Vineta. Roman. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 7 Mk. 50 Pfg.
Werner, E. Gesprengte Fesseln. Roman. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch. 7 Mk.



  1. Als Beleg hierfür mag die gegenwärtige Staatsregierung von Illinois angezogen werden: Gouverneur Cullom ist der Sohn eines Farmers und verdiente seinen ersten Thaler als Districtschulmeister; Vice-Gouverneur Schuman war zuerst Apothekerlehrling; Staatssecretär Harlow war ein Tischler von Profession; Staatsschatzmeister Rutz diente als Gemeiner in der regulären Armee; Staatsauditeur Needles war Ladenjunge in einem Dorfladen, und der Staatssuperintendent des öffentlichen Unterrichts Etter war einst ein armer Bauernjunge im Staate Ohio.
  2. Ausführlicheres siehe: La Mara, Musikalische Studienköpfe. 1. Bd. 4. Aufl., Leipzig, Schmidt u. Günther.
  3. Es waren gleichzeitig zwei Torpedos gegen das dicht an der Küste vor Anker liegende türkische Schiff abgelassen worden. Whithead brachte die beiden Torpedos später an sich; der eine war gänzlich unversehrt, der andere ohne Kopf (explodirte an einer Ankerkette) auf den Strand gelaufen. Whithead veröffentlichte den eigenen Ausspruch Hobart Paschas, laut welchem beide unmittelbar an dem Schiffe vorbeigegangen waren, jedoch ohne es zu berühren.