Die Gartenlaube (1879)/Heft 15

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[245]

No. 15. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
3.

Die Majorin kehrte mit einem Achselzucken an den Küchentisch zurück.

„Mit dieser Art Leuten ist nicht viel anzufangen – sie sind gleich außer Rand und Band,“ sagte sie gelassen wie immer.

„Nun, den möchte ich doch sehen, der sein inneres Gleichgewicht behält, wenn er ungerecht beschuldigt wird und darüber auch noch sein Brod verliert!“ rief ihr Sohn tieferregt. „Sei nicht böse, Mama – aber auf dem Klostergute werden seit Jahrhunderten nur reiche, kluge Leute geboren – kein warmblütiges Menschenherz.“

„Wir backen ‚seit Jahrhunderten’ wöchentlich sechs Armenbrode, mag das Korn gerathen oder nicht,“ entgegnete sie, ohne auch nur eine Miene ihres ernsten Gesichts zu verziehen. „Wir unterstützen auch vielfach auf andere Weise, wenn wir das auch nicht an die große Glocke hängen. Aber wir sind bedächtiger Natur und rennen nicht mit jedem Kopf, der oben’naus will.... Du bist allerdings nicht auf dem Klostergute geboren“ – die gelassene, gleichmütige Stimme konnte sehr spitz werden – „Du bist auch so ein neumodischer Brausekopf, der den Einen in den Himmel hebt und dabei das gute Recht eines Anderen zertritt. Meinst Du wirklich, der Onkel solle öffentlich erklären, daß er um ‚das Geheimniß’ des Herrn von Schilling nicht gewußt hat?“

„Das durchaus nicht, aber –“

„Es würde auch dem wunderlichen Menschen, dem Adam, nichts nützen, so wenig wie dem alten Mann im Schillingshofe zu helfen ist,“ fiel sie ihm in’s Wort. „Die ‚brillante’ Heirath hat die verpfändeten Güter nicht so unbedingt an die Familie wieder zurückgebracht. Der Vormund der jungen Frau, ein schlauer Fuchs, hat einen Ehecontract aufgestellt, der den Schillings sehr viel zu wünschen übrig lassen soll – daher die grimmige Laune, die der Alte drüben nun an der Dienerschaft ausläßt.“

„Der arme, alte Papa Schilling!“ rief Felix bedauernd. „Da mag er freilich tief erbittert sein und um den gescheiterten Plan doppelt grollen – der Kohlenfund hätte ihm jedenfalls wieder zu eigenem Vermögen verholfen. Es thut mir unsäglich leid – er büßt doch zumeist für die Sünden seiner Vorfahren.“

Die Majorin räusperte sich vernehmlich – sie wußte es jedenfalls besser – aber sie erwiderte kein Wort; sie widersprach nur, wenn sie im eigenen Interesse mußte, dann aber auch energisch. Während ihr Sohn einigemal mit raschen Schritten die Hausflur durchmaß, schälte sie eine frische Gurke zum Salat.

„Wunderbar aber ist und bleibt es, daß zwei Köpfe fast zur selben Stunde den gleichen Gedanken hegen, einen Schatz zu heben, an welchem alle Vorfahren und sie selbst so lange Zeit ahnungslos vorübergegangen sind,“ sagte der junge Mann nach einem augenblicklichen Schweigen gespannt und trat wieder auf die Schwelle der Küchenthür.

„Hm – ich frage den Onkel sehr selten und lege mir alle Vorkommnisse selbst zurecht,“ entgegnete seine Mutter, ohne von ihrer Beschäftigung wegzusehen. „Der Onkel wird schon längst ebenso klug gewesen sein, wie der Herr Ingenieur, aber er hat wohl die Unruhe und das Risico des Unternehmens gescheut. Nun ist der kleine Veit angekommen – die Wolframs blühen wieder auf, und da wird jeder neue Erwerb zur Pflicht.“

„Mein Gott, soll denn dieses fieberhafte Erwerben bis in alle Ewigkeit fortgehen, Mama? Ich sollte doch meinen, Deine Familie hätte längst übergenug.“

Die Majorin fuhr wie entsetzt herum, und ein langer, unwillig überraschter Blick maß strafend den Sohn – es glimmte doch auch nicht ein Funke des Wolfram’schen Familiengeistes in ihm. „Uebergenug haben!“ Den vermessenen Gedanken hatte man auf dem Klostergute noch nicht gedacht, geschweige denn laut werde lassen – wie den Schlafwandelnden, so schreckt ja ein unbesonnener Anruf das scheue Glück vom Wege und macht es stürzen.

„Ueber die Vermögensverhältnisse spricht man in unserer Familie nicht – das merke Dir!“ wies sie ihn scharf und schneidend zurecht. Sie drehte an einem Hahn über dem Spültisch und ließ sich das frische Brunnenwasser über die Hände laufen.

„Dein spätes Mittagbrod ist fertig – gehe in die Stube! Ich komme gleich nach,“ sagte sie kurz über die Schulter.

Das war ein barsches Commando. Felix biß sich zornig auf die Unterlippe und schritt an seiner Mutter vorüber in die anstoßende Stube. Da hatte zu allen Zeiten der Eßtisch gestanden, und der tiefe Fensterbogen war der unbestrittene Platz der Hausfrau gewesen. Die Fenster gingen, wie die der Küche, auf den Hinterhof, den die Wirthschaftsgebäude und nach dem Schillingshofe zu eine Mauer umschlossen. Vor dem oberen Stockwerk der Gebäude hin lief ein bedeckter Gang; eine Reihe kleiner Fenster, von schmalen Thüren unterbrochen – einst die Mönchszellen – mündeten auf ihn; das waren jetzt die Heu- und Kornböden, die Obstkammern. Spreusiebe und Rechen hingen an den Außenwänden, [246] und auf dem Holzgeländer trockneten Getreidesäcke und Pferdedecken.

Der überhängende Gang verfinsterte den Hof und ganz besonders die Stube, vor deren Fenstern auch noch eine uralte Rüster ihren mächtig entwickelten Wipfel ausbreitete. In diesem grüngefärbten, ungewiß hereinfallenden Licht stand das Nähtischchen, und hier hatte die stille Frau Räthin die Erholungsstunden ihres an Liebe so karg bemessenen Ehelebens verbracht. Das Krähen und Gackern des Hühnervolkes auf der Düngerstätte, die Brummstimmen der Kühe von den Ställen her, die Hantirung der ab- und zugehenden Knechte und Mägde – das war das Lebensgeräusch für die Einsame gewesen.

Felix erinnerte sich noch, daß sie eines Sonntag-Nachmittags die Korbwanne mit ihrem schlafenden Töchterchen neben sich gestellt hatte, in der Meinung, ihr gestrenger Eheherr sei ausgegangen. Da war der Rath plötzlich eingetreten. Die Frau war jäh emporgefahren, die Gluth des Ertapptseins auf dem blassen Gesicht; Fingerhut, Scheere und Nadelbüchse waren auf die Dielen gepoltert, und der finstere Mann hatte mit einem halben Blick nach dem Korbbettchen beißend gesagt, hier sei sein Eßzimmer und nicht die Kinderschlafstube.

An diesen Vorfall wurde Felix beim Eintreten lebhaft erinnert; denn fast auf derselben Stelle schlief jetzt auch ein Kind, aber nicht in der primitiven Korbwanne, zwischen buntgewürfeltem Bettzeug – ein elegantes Wiegenbettchen stand da; grüne Seide spannte sich über das Verdeck, und ein langer grüner Schleier fiel über die kleine, flockenweiche und weiße Bettdecke. Und am Nähtisch, auf dem Platz der sanften, schlanken Frau, saß eine vierschrötige Person, mit dem bäuerischen Kopftuch über dem dummdreisten, strotzenden Gesicht, und strickte an einem groben Strumpfe. Sie erhob sich nicht von ihrem Sitze, als der junge Herr eintrat, und fuhr fort, mit der Fußspitze die Wiege zu schwenken – sie war sich wohl bewußt, daß die Amme augenblicklich die Herrschende auf dem Klostergute sei.

Felix hätte gern einen Blick durch den Schleier geworfen, um das Gesicht des kleinen schlafenden Vetters zu sehen, allein der Anblick des Frauenzimmers auf dem Platze der verstorbenen Tante empörte und verletzte ihn. Er setzte sich schweigend an den Eßtisch und zog ein Lederetui aus der Tasche, das er öffnete, um ein zusammengeklapptes Eßbesteck von Silber herauszunehmen.... Das war das einzige von den Lucians herstammende Stück, das die erzürnte, unversöhnliche Frau aus dem Königsberger Hausstand mit heimgebracht hatte, das Pathengeschenk des Großvaters, des längstverstorbenen Oberst Lucian, für seinen Enkel Felix, den er selbst aus der Taufe gehoben. Das Etui war seitdem in der dunkelsten Ecke des Silberschrankes droben im Giebelzimmer verblieben. Bei seinem letzten längeren Aufenthalt auf dem Klostergute aber hatte der junge Eigenthümer durch Zufall das geflissentlich verborgene großväterliche Geschenk entdeckt; er hatte es sofort mit heimlich aufjauchzendem Herzen wiedererkannt und, trotz des mütterlichen Protestes, als sein Eigen reclamirt.

Nun schob er das einfache, holzstielige Besteck des Hauses beiseite und legte das silberne auf die hingebreitete Serviette.

In diesem Augenblick trat die Majorin ein. Sie trug ein gebratenes Hähnchen und den Gurkensalat auf einem Präsentirbrett und war eben im Begriff, einen gewärmten Teller vor ihren Sohn niederzusetzen, als ihr Blick auf das Silberbesteck fiel. Sie wurde dunkelroth im Gesichte und blieb regungslos stehen.

„Nun, ist Dir unser Eßzeug nicht blank oder stolz genug?“ fragte sie kurz, wie mit zugeschnürter Kehle.

„Das nicht, Mama,“ versetzte der junge Mann und legte mit einem fast zärtlichen Gesichtsausdruck die Hand auf den Messergriff, der den groß eingravirten Namen Lucian trug, „aber ich bin so glücklich, etwas aus der alten Zeit im Gebrauch zu haben – von diesem Andenken trenne ich mich nie. Ich weiß noch genau, wie er aussah, mein schöner, stolzer Großpapa, obgleich ich nicht viel über vier Jahre alt gewesen bin, als er gestorben ist. Der Papa –“

Ein Schmettern und Klirren machte ihn emporfahren; zugleich erschrak er über sich selbst; denn zum ersten Male nach vieljähriger, von der strengen Mutter ihm auferlegter Selbstbeherrschung war ihm wie unbewußt das theure, seinem Gedankengang so geläufige Wort „Papa“ über die Lippen geschlüpft – und nun stand sie vor ihm, die Zürnende, mit funkelnden Augen; aus dem eben noch roth überflammten Gesicht war jeder Blutstropfen gewichen, und die jäh aufzuckende Hand hatte unwillkürlich den Teller zu Boden geschleudert. Die Amme kreischte auf, und das Kind in der Wiege stimmte aus Leibeskräften ein.

„Aber, Frau Majorin, wenn das jetzt der Herr Rath wüßte! Veitchen kann ja Krämpfe kriegen vor Schrecken,“ sagte die Amme in frech zurechtweisendem Ton und nahm das schreiende Kind aus dem Bettchen.

Zum höchsten Erstaunen des Sohnes erwiderte die stolze, strenge Frau keine Silbe. Sie half den Schreihals beruhigen; dann raffte sie die Scherben von den Dielen auf und ging hinaus in die Küche. Felix wußte, wie heiß sein Onkel und auch seine familienstolze Mutter einen directen Erben des Wolfram’schen Namens ersehnt hatten, aber er ahnte doch nicht, welche Macht dieser kleine Junge im Wickelkissen auf dem Klostergute war. – Der junge Mann starrte mit einem heimlichen Schrecken nach dem borstigen schwarzen Haarbüschel, der unter dem verschobenen Mützchen hervorkam.

Hätte die Frau Räthin, die ihre fünf kleinen Mädchen, eines wie das andere, mit kornblumenblauen Augen aus zarten Schneewittchen-Gesichtern angesehen hatten, in ihr irdisches Heim zurückblicken können, sie wäre jedenfalls sehr betroffen gewesen über das zigeunerhafte Kerlchen, zu welchem sich der mit ihrem Leben erkaufte Sohn entwickelte – ein braunes, faltig mageres Gesichtchen zwischen weit abstehenden Ohren, und lange, dürre Fingerchen, die wie Spinnenfüße auf dem weißen Steckkissen krabbelten – das war der Erbe des Klostergutes.

„Schlaf’, Kindlein, schlaf’ – schlaf’ sanfter als ein Graf!“ sang die Amme in rucksenden Tönen. Sie ging am Eßtisch vorüber, und den Tact auf das Steckkissen patschend, stieß sie eine Thür auf und marschirte in die anstoßende Stube. Das war das Geschäfts- und Arbeitszimmer des Herrn Rathes – es that sich auf wie ein weiter Saal, und sein mächtiges Bogenfenster ging auf den Vorderhof.

Das Kind war still, und die Amme schlug drüben den Fensterflügel zurück und rief den draußen beschäftigten Knechten plumpe Witzworte zu – das war nun etwas ganz Unerhörtes auf dem Klostergute. So schlicht bürgerlich auch der Zuschnitt des gesammten Hausstandes war – das Gesinde wurde in strenger Zucht, in sclavischer Demuth, fast wie Leibeigene, zu Füßen der Herrschaft niedergehalten; die Wolframs verstanden es, sich in Respect zu setzen.

Die Majorin, die inzwischen wieder hereingekommen war und einen anderen Teller auf den Tisch gesetzt hatte, streifte mit einem Seitenblick das Fenster, an welchem es so geräuschvoll zuging, aber sie sagte kein Wort. Die gleichmütige Ruhe, die ihr schönes Profil wieder angenommen, erschien dem Sohne heute zum ersten Male unnatürlich und unheimlich – er wußte seit wenigen Augenblicken, daß alle Nüchternheit und Besonnenheit, aller Schutt der Alltäglichkeit eine verstohlen glimmende Stelle in der Seele seiner Mutter nicht zuzuschütten vermochten; ein einziges Wort hatte Flammen aufschlagen lassen.

Dem Eßtisch gegenüber wölbte sich der plump gemeißelte steinerne Rundbogen einer Thür; hinter ihr, durch die klafterdicke Mauer hindurch, hatte einst eine Treppe nach dem erhöhten Parterre, in den Corridor des Säulenhauses geführt; sie war der Verbindungsweg zwischen der Klosterküche und den Speisesälen des Hospizes und überhaupt der einzige gewesen, der die zwei Häuser mit einander verbunden hatte. Bei der Theilung des Klosterbesitzes war der Thürbogen in seiner ganzen Tiefe massiv vermauert worden, die praktischen Wolframs aber hatten ein wenig Raum als flachen Wandschrank hinter der Thür belassen. Diesen Schrank schloß die Majorin jetzt auf. Die Haushaltungsbücher lagen drin, und auf dem schmalen Regal stand ein lackirter Blechkasten – da hinein floß der Erlös für Geflügel und dergleichen, sowie das Milchgeld.

Felix sah mit verfinstertem Gesicht zu, wie seine Mutter eine derbe Ledertasche vom Gürtel nahm und den Inhalt, lauter kleine Münzen, in den Kasten schüttete. Sie mußte also jetzt auch, wie vordem die arme Frau Räthin, am Schanktisch stehen und die Milch nöselweise verkaufen; sie mußte das verlangte Geflügel in Hühnerstall und Taubenschlag zusammensuchen und den fremden Köchinnen im Gemüsegarten Salat und Kohlrabi abschneiden und sich die Groschen und Pfennige dafür in die Hand zählen lassen. [247] Dem jungen Mann quoll der Bissen im Munde vor Verdruß; zudem kreischte in diesem Augenblick die Amme laut auf vor Vergnügen. Er warf Messer und Gabel hin und sprang auf.

„Ist es Dir wirklich möglich, so viel Gemeinheit in Deiner Nähe zu dulden, Mama?“ rief er entrüstet.

„Wenn ich unverständig wäre, dann empörte ich mich wahrscheinlich auch dagegen,“ sagte sie, gelassen den Schrank schließend. „Das Kind ist schwach und elend; sein Leben liegt in der Hand der ungeschliffenen Person; da heißt es, schlucken und schweigen.“

Ihr Sohn fühlte, wie ihm das Blut nach dem Kopfe schoß – welche große innere Opfer brachte diese Frau dem Kinde ihres Bruders, und ihr eigenes hatte sie vaterlos gemacht, weil sie nicht schweigen wollte! Er erinnerte sich noch der Scenen zwischen seinen Eltern; er wußte noch, daß die Mutter dem aufbrausenden Manne gegenüber kalt und unerbittlich stets das letzte Wort behauptet hatte, bis er wie rasend vor Ungeduld aus dem Zimmer gestürmt war.

Sie hatte schwerlich eine Ahnung von der unsäglichen Bitterkeit, die augenblicklich in ihrem Sohne aufwogte, sonst wäre sie wohl nicht so gleichmüthigen Blickes an ihm vorüber in das anstoßende Zimmer gegangen.

„Wir wollen doch lieber das Fenster schließen, Trine,“ sagte sie mit ruhiger Freundlichkeit, „die Zugluft könnte dem Kinde schaden.“

„Ach bewahre, es zieht nicht. Da müßte ich doch auch was spüren,“ entgegnete Trine impertinent. „Ich bin die Amme, Frau Majorin; unsereins muß doch wohl am besten wissen, was es zu thun und zu lassen hat.“

Sie mußte übrigens doch schon ihre Erfahrungen bezüglich der Entschiedenheit der Dame gemacht haben, denn während die Majorin, die grobe Antwort völlig überhörend, unbeirrt die Fenstergriffe fester zudrehte, kehrte sie brummend an die Wiege zurück, legte das Kind ist die Kissen und nahm ihren Strickstrumpf wieder auf.

Indessen war auch Felix ist das Zimmer des Onkels getreten, zu seiner eigenen Verwunderung mit derselben beklemmenden Scheu, die er als Kind empfunden. Diese holzbekleideten Wände schlossen stets dieselbe widerlich dumpfe, mit dem Geruch alter, lederner Büchereinbände erfüllte Luft und einen abgesperrten, gleichmäßig häßlichen Dämmerschein des Tageslichtes in ihr langgestrecktes Viereck. Zur Zeit seiner Amtstätigkeit – der Rath hatte seit einigen Jahren sein Amt als Oberbürgermeister der Stadt niedergelegt – war das Zimmer die sogenannte Amtsstube und damit ein Gegenstand der Furcht für alle Hausgenossen gewesen. Da waren oft bitterböse Worte zwischen heftig streitenden Männern gefallen; die leidenschaftlich gesteigerten Stimmen hatten draußen von den Wänden der Hausflur widergehallt, und Mancher war mit zornrothem Kopf fortgestürzt und hatte die Thüren schmetternd hinter sich zugeschlagen, denn der Rath hatte nicht gut mit den Bürgern der Stadt gestanden, er war verhaßt gewesen seiner herrischen Willkür, seiner oft bis zur Härte gehenden Unbeugsamkeit, seines beißenden Hohnes wegen.

Felix hatte das Zimmer als Kind fast nur betreten dürfen, wenn die Mutter ihn schickte, einen Verweis des Onkels in Empfang zu nehmen, und doch blieb er meist wie mit magischer Gewalt festgebannt noch einige Augenblicke nach Beendigung der Strafpredigt an der Schwelle stehen, bis ihn der Rath barsch hinausscheuchte.

An der ganzen Südseite – derselben Wand, welche einst drüben im anstoßenden Zimmer der Verbindungsweg zwischen Kloster und Säulenhaus durchbrochen hatte – lief nämlich eine Gallerie hin; ein hölzernes Treppchen von wenigen Stufen führte hinauf und theilte ihr geschnitztes, vor Alter schwarz gewordenes Geländer ist zwei Hälften. Die Wand war bedeckt mit Holzschnitzereien, plumpen, unkünstlerischen, in Felder eingetheilten Darstellungen aus der biblischen Legende. Aber nicht diese Heiligengestalten mit ihren verrenkten Gliedmaßen und der plumpen Scheibe des Glorienscheins hinter den Köpfen zogen den sehnsüchtigen Blick des Knaben auf sich – die Orgel war es, zu der die Stufen direct führten.

Sie war uralt und von der primitivsten Art; sie hatte nur wenige zinnerne Pfeifen und sehr breite Tasten; ein vollstimmiger Choral hätte nicht darauf gespielt werden können. Auch sie sollte ein Mönch gebaut haben, und zwar der Abt selber, dessen „Klause“ dieses weite, saalartige Zimmer einst gewesen. – Die Wolframs hatten die ganze raumversperrende Einrichtung dennoch unberührt gelassen – sie hatte heiligem Gebrauche gedient, und die Besorgniß, mit der Profanirung den Segen von ihrem Besitzthume zu verscheuchen, beseelte sie Alle, wie sich ja nur zu oft die Gottesfurcht in der egoistischen Menschenseele mit der Furcht, weltliche Güter zu verlieren, verbindet – freilich niemals eingestandenermaßen.

Jetzt sah der junge Mann auf den ersten Blick, daß die Orgel verschwunden war. Stumm vor Ueberraschung zeigte er auf das neue, braungebeizte Feld, das sich an Stelle der Orgelpfeifen zwischen die Heiligen geschoben und mit seiner ungeschmückten, glatten Holztafel seltsam genug aussah inmitten der krausen Schnitzereien.

„Ja, Du wunderst Dich,“ sagte die Majorin, die sich eben vom Fenster wegwendete. „Das war ein heilloser Schrecken . . . . Die Pfeifen hatten freilich schon lange verschoben gestanden, aber wir hatten das nicht weiter beachtet, und da brach sie am Tage nach Veit’s Geburt mit einem furchtbaren Poltern in sich zusammen. Sie war freilich immer eine spukhafte Mäuseherberge; aber es ging uns doch nahe, denn in Ehren haben wir sie Alle gehalten. – Die Trümmer sind auch von keiner fremden Hand angerührt worden; der Onkel hat die Ordnung selbst wieder hergestellt; auch nicht das kleinste Brettchen ist in’s Küchenfeuer gekommen.“

Der junge Mann stieg auf die Gallerie und öffnete das neueingesetzte Feld, das sich als eine Thür auswies. In der ziemlich tiefen dunklen Maueröffnung, die einst die Orgel ausgefüllt, waren in der That die Ueberreste sorgsam aufgeschichtet. Da lagen die zinnernen Pfeifen, die dickbäuchigen Holzengel, welche sie umringt hatten, die aus einander gesprengten Theile der Tastatur – es schien allerdings jeder Splitter so ängstlich aufgelesen worden zu sein, als hänge Unsegen und Verderbniß für das ganze Klostergut an seiner Verschleppung.

Wenn der Rath ganz allein die Ordnung wieder hergestellt hatte, dann rührten auch die Reparaturen an den beschädigten Innenwänden von seiner Hand her. Felix bog sich tief in den dämmernden Raum und betrachtete ein neues Stück Bretterverschalung. „Der Onkel hat ja trotz einem Zimmermann gearbeitet,“ rief er lächelnd seiner Mutter zu, die eben hinausgehen wollte.

In diesem Momente wurde die nach der Hausflur führende Thür geöffnet und ein fester Fuß trat auf die Schwelle. „Nun, was hast denn Du da oben zu suchen?“ scholl es scharf, in hörbar unliebsamer Ueberraschung herein.

Felix fuhr empor – dieser Ton in des Onkels Stimme berührte stets sein ganzes Nervensystem wie das plötzliche Schrillen von Metall. Er sprang nichts desto weniger rasch die Stufen herab und reichte mit einer leichten, eleganten Verbeugung dem Eingetretenen die Hand hin.

„Willst Du nicht die Freundlichkeit haben, zuvor den Schrank wieder zu schließen, den Du so wißbegierig durchstöberst?“ fragte der Rath abermals mit finsterem Blick, ohne die dargebotene Hand zu ergreifen. „Und seit wann ist es denn Sitte bei uns, daß Du mich in meinem eigenen Zimmer bewillkommnest?“

Der junge Mann war mit einem Satze wieder zurückgesprungen und bemühte sich, die verquollene Schrankthür zuzudrücken. „Seit Deine Dienstboten den Weg frei gemacht haben, Onkel,“ entgegnete er, nicht ohne Schärfe, über die Schulter und zeigte durch die offene Thür nach der Amme, die sich grüßend vom Stuhl erhoben hatte.

„Veitchen schläft immer nur drüben ein – der Herr Rath wissen’s ja,“ sagte die Person, ihres angemaßten Rechtes sicher.

Der Rath warf schweigend seinen Hut auf den nächsten Tisch. Hochgebaut, nicht breit von Schultern, aber ein Bild zäher Kraft in der ganzen Haltung, war er ein Mann, der, auf dem Hintergrunde der alterthümlichen Wandbekleidung, in Koller, Spitzenkragen und Federhut eine prächtige Wallenstein-Figur abgegeben hätte. Das starke, kurz verschnittene, leicht übergraute Haar bog sich als scharfgezeichnete Schneppe tief in die Stirn des geistreichen, schmalen Gesichts, das Luft und Sonne mit der gesunden, braunen Haselnußfarbe angehaucht hatten.

Er ging, den Schall seiner Schritte möglichst dämpfend, sofort hinüber an das Wiegenbettchen, hob mit vorsichtigem Finger den Schleier auf und bog sich horchend über das Kind. „Was ist das, Trine? Der Kleine athmet aufgeregt – das Köpfchen [248] scheint auch heiß zu sein,“ fuhr er wie athemlos vor Bestürzung empor – dieses Männergesicht voll Selbstbewußtsein war kaum wiederzuerkennen mit dem Ausdruck zitternder Angst.

„Veitchen hat sich erschreckt, Herr Rath,“ sagte die Amme, die Hände über dem Leib faltend, in anklagendem Tone. „Er kann eben gar keinen Spectakel vertragen, und die Frau Majorin hat vorhin einen Teller auf den Erdboden fallen lassen – ich war halbtodt vor Schreck und dachte mir’s gleich, daß Veitchen krank würde; er schrie zu fürchterlich, Herr Rath.“

Der Rath schwieg und streifte mit einem finsteren Seitenblick seine Schwester, die, ganz bleich vor Grimm und Aerger, langsam am Eßtisch hinging und zwecklos verschiedene Gegenstände aufnahm, um sie wieder hinzulegen. Jetzt trat sie rasch an die Wiege und legte die Hand prüfend auf die Stirn des schlafenden Kindes. „Du siehst Gespenster – dem Kinde fehlt nichts,“ sagte sie in ihrer kurzen, entschiedenen Weise, aber, wie man sah, selbst erleichtert durch das Resultat ihrer Untersuchung.

„Gott sei Dank!“ rief der Rath tiefaufathmend. „Ich weiß, Du verstehst Dich darauf, Therese. – Aber es wäre jedenfalls praktischer gewesen, Felix hätte oben in Deinem Zimmer gegessen. Trine hat Recht, Veit kann kein starkes Geräusch, nicht einmal lautes Sprechen vertragen; wir werden uns deshalb, so lange Dein Sohn hier ist, im vorderen Eckzimmer aufhalten. Für jetzt muß das Kind in seine Schlafstube – die Luft hier ist zu dick, voller Speisedunst.“

Er ergriff die Wiege am Kopfende und winkte der Amme, die entgegengesetzte Seite aufzunehmen, aber die Majorin legte selbst Hand an, und so trugen die beiden alternden Geschwister den neuen Träger des Wolfram’schen Namens – ihrem Familienbewußtsein und Dünkel nach ein Menschenkind, kostbar wie ein Königssohn – durch Küche und Hausflur, und die Amme folgte, hochmüthig das fette Doppelkinn präsentirend, breitspurig mit ihrem Strickstrumpfe.




4.

Die Thüren blieben offen, und Felix fühlte den lebhaften Wunsch, auch hinauszugehen und das „alte Falkennest“, aus welchem der klägliche, kümmerliche Sproß da drüben schon jetzt mit seinen Spinnenfingerchen jeden Insassen anderen Namens stieß, auf Nimmerwiederkehr zu verlassen. Von Neid und Mißgunst war keine Spur in der Seele des jungen Mannes; er hatte im Gegentheil laut aufgejubelt bei der Nachricht, daß ein Wolfram geboren sei; denn ihm war der Gedanke, einst auf dem Klostergute hausen zu müssen, immer ein verhaßtes Schreckgespenst gewesen. Freilich hatte er sich nicht träumen lassen, daß sich mit dem ersten Athemzuge des kleinen, mißgestalteten Burschen eine Wandlung vollziehen würde, die das Leben auf dem Klostergute geradezu unerträglich und ihn damit gewissermaßen heimatlos machte. Der Onkel hatte ihm eben noch die Rolle eines Ueberflüssigen zugewiesen, der in jede beliebige Ecke gesteckt wurde, wenn seine Anwesenheit den schwachen Nerven des Wickelkindes nicht zusagte. So hart und streng der Rath den phantasievollen Knaben einst behandelt, dem angehenden jungen Manne gegenüber war er doch in den letzten Jahren rücksichtsvoller, gleichsam vertraulicher gewesen. Felix stampfte in zorniger Scham mit dem Fuße auf – das hatte nicht ihm, seinem aufrichtig gemeinten Streben, seinen erworbenen Kenntnissen gegolten, wie er fest geglaubt; es war die Rücksicht für den Einzigen gewesen, in dessen Adern noch Wolfram’sches Blut floß, die Achtung vor dem späteren Besitzer des Klostergutes. Nun schüttelte der Rath „das nothwendige Uebel“, den Lückenbüßer ab – in der seidenbehangenen Wiege lag ja sein eigen Fleisch und Blut; er trat wieder brüsk und herrisch auf, wie er einst mit dem fremden, jung einfliegenden Vöglein, dem armen „Colibri“ verfahren.

Und die Mutter? Der Sohn zweifelte nicht an ihrer mütterlichen Liebe, wenn sie auch mit den äußeren Zeichen derselben kargte, wie beim Geldausgeben – sie verachtete jede lebhaftere Gefühlsäußerung als „geziertes Wesen“. Von dem Verstand und Charakter ihres Bruders hatte sie die höchste Meinung; seine unbeugsame Härte und Strenge gehörte zum Manne, wie der Ordnungssinn und die Häuslichkeit zur Frau – sie ging blindlings mit ihm. In Bezug auf das Haus aber, dem sie entstammt, sollte sie geradezu spartanisch hart denken; das Interesse ihres Sohnes käme erst in zweiter Linie, behaupteten die wenigen näheren Bekannten, die auf dem Klostergute verkehrten. Das vermeintliche Aussterben der länger als drei Jahrhunderte hindurch blühenden, hoch angesehenen Familie war ihr stets ein nagender Kummer gewesen; sie hatte die kleinen, flachshaarigen Nichten nie geliebt, und für die Mutter, die ihnen das Leben gegeben, eine Art Mißachtung im Herzen getragen. Das wußte Felix so gut, wie er stets den tiefen Schatten beobachtet hatte, der über ihre Stirn hinzog bei der Bemerkung Anderer, daß die Namen Lucian-Wolfram dereinst vereint dem Besitzthum ihrer Familie vorstehen sollten – die unversöhnliche Frau gönnte diese Auszeichnung dem Namen dessen nicht, der „sie unglücklich gemacht hatte“. – Sie war mithin am wenigsten geeignet, die schlimmen Eindrücke, die ihr Sohn eben empfangen, zu mildern, ihm im Hause des Bruders den Boden unter den Füßen wiederzugeben. Aber wozu denn auch? Er brauchte und wünschte diese ungastliche Heimath nicht mehr!

Der junge Mann, der eben noch in zorniger Aufwallung den Fuß zum Fortgehen auf die Schwelle gesetzt hatte, kehrte rasch zurück und trat an das Fenster der Wohnstube – trotzig und empfindlich durfte er jetzt nicht sein; er war ja nicht zu seiner Erholung, wie er fälschlich geschrieben, sondern zu einer dringenden Besprechung gekommen.

Eine heiße Angst machte ihm plötzlich das Herz heftig schlagen; er hatte sich in Berlin diese Unterredung bei weitem leichter gedacht; jetzt, wo er die zwei ernsten, verschlossenen Gesichter auf dem streng einfachen Hintergrund eines bürgerlich geregelten Hausstandes wiedergesehen, erschien ihm sein Vorhaben riesengroß an Schwierigkeit. „Lucile!“ flüsterte er aufseufzend, und sein Blick irrte durch das laubbeladene Geäst der draußen stehenden Rüster, das die Spätnachmittagssonne hier und da in prangendem Maiengrün transparent aufleuchten machte. Und wie auf seinen Ruf hergelockt, schlüpfte über diesen goldgrünen Grund hin die geschmeidige Gestalt mit den lang über den Nacken rollenden Locken, jeden Nerv voll prickelnden, siebenzehnjährigen Uebermuthes, die lieblich geschwungenen Lippen übersprudelnd von Tollheiten und Mutwillen. Er fühlte die weißen warmen Kinderarme um seinen Nacken verstrickt, fühlte das Wehen ihres Athems auf seiner Wange, und der ganze Rausch der Liebesseligkeit, der ihn seit Monden trunken machte, kam über ihn und gab ihm Kampfesmuth und die Zuversicht seiner jugendlich idealen Lebensanschauung zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Osternacht.


Im tiefen Schnee ruht Berg und Thal,
Die Nacht durchdämmert der Mondenstrahl.
Das ist die heimliche Wundernacht!
Von den Bäumen sacht

5
Fallen die thauenden Flocken,

Und die Lüfte wandeln so feucht, so schwer,
Vom Kirchhof dröhnt es und schwingt sich her:
     Es läuten die Osterglocken.

Drei Leute wandern die Kluft entlang,

10
Wo die Wasser schäumen am Bergeshang;

Der Priester trägt das heiligste Gut.
Bei der Leuchte Gluth
Schreiten sie sonder Stocken;
Des Meßners Schelle verloren tönt;

15
Nah schimmert der Hof, und die Bäurin stöhnt:

     Es läuten die Osterglocken.

In der frostigen Kammer der Bauer wacht;
Schwer drückt das Bett in der Fiebernacht,
Und er hat das Leben so lieb, so lieb,

20
Und er fühlt so trüb

Fliehende Freuden locken!
Verlöschend harrt er der letzten Qual –
Da reißt’s ihn empor mit einem Mal:
     Es läuten die Osterglocken.

25
Das klingt wie der Ruf vom jüngsten Tag,

Wie Wipfelbrausen und Finkenschlag,
Und im Herzen sprudelt’s ihm frisch und warm;
Und er streicht mit dem Arm
Selig die Stirn sich trocken:

30
„Gottlob, nun wird mir wieder frei

Und das Kind bekommt noch sein Osterei –“
     Es läuten die Osterglocken.

Die Thür springt auf, und die Tröster nah’n,
Und lächelnd sieht sie der Kranke an:

35
„Grüß Gott, Herr Pfarrer! es thut nicht noth;

Frau, bringe das Brod –
Trinket und eßt einen Brocken!“
Dann sinkt er zurück und schlummert ein
Und schläft sich in’s volle Leben hinein –

40
     Es läuten die Osterglocken.
Victor Blüthgen
[249] 

Osternacht. Motiv aus Alt-Finstermünz.
Originalzeichnung von Richard Püttner.

[250]
Zur Säcularfeier von Goethe’s Iphigenie.
Ein Erinnerungsblatt zum 6. April.


Mit dem 7. November 1775, dem Eintritt Goethe’s in Weimar, begann jener bedeutsame Zeitabschnitt im Leben unseres Dichters, welchen man mit dem Namen Genieperiode bezeichnet. Heute feiern wir die Erinnerung an die Entstehung der edelsten, herrlichsten Frucht jener Tage, der harmonisch-vollendetsten dramatischen Dichtung Goethe’s, seiner „Iphigenie“.

Unter überschäumenden Freuden und Tollheiten, unter vielfachen Hoffestlichkeiten und anderen Zerstreuungen, unter ernsten Amtsgeschäften, den „unzähligen Plackereien seiner Ministerschaft“, unter umfassenden Studien und mannigfachen poetischen Arbeiten waren die ersten drei Weimarischen Jahre verflossen, doch weder jenes Leben noch diese künstlerischen Productionen konnten dem Dichter, der in den Jahren der schönsten Entfaltung seines Genies stand, genügen. Beim Eintritt in sein dreißigstes Lebensjahr hatte er „wundersam Gefühl und Veränderung mancher Gesichtspunkte“ empfunden. Unter dem Einflusse der Frau, deren Beziehungen zu ihm so verhängnißvoll für sein Leben werden sollten, der Frau Charlotte von Stein, und mit eigener unermüdlicher Selbsterziehung hatte der leidenschaftlich stürmische Dichter allmählich mehr und mehr Mäßigung und Beruhigung gewonnen. Zu Mannesernst sich erhebend, that er, wie er in seinem Tagebuche selbst bekennt, stille Rückblicke auf das Leben, auf die Verworrenheit der Jugend, und erkannte, wie doch des Thuns und des zweckmäßigen Denkens und Dichtens so wenig gewesen sei. Die Pyramide seines Daseins, deren Basis gegründet war, so hoch als möglich in die Luft zu spitzen, diese Begierde überwog (wie er an Lavater schrieb) alles Andere, und er fühlte, daß er nicht säumen dürfe.

Auf den Standpunkt einer geläuterten Lebens- und Kunstanschauung getreten und, wie bei seiner genialen Dichtung „Proserpina“, in antiken Geist und antike Kunst sich vertiefend, schritt er zur Ausführung der Idee der „Iphigenie“, mit welcher er sich bereits seit einigen Jahren getragen. Jenes Monodrama „Proserpina“, welches er später (nach seinem eigenen Geständniß „freventlich“) in die Posse „Die Empfindsamen“ einschaltete, hatte er für die große Künstlerin des fürstlichen Liebhabertheaters, die reizende Corona Schröter, geschrieben, und sie hatte mit ihrer meisterhaften, tief gemüthvollen Darstellung der Proserpina-Mandandane die Intentionen des Dichters zur vollsten, schönsten Verwirklichung gebracht. Den jungen feurigen Dichter und die hellenisch-schöne Künstlerin verband ein von gemeinsamen Kunststudien und Kunstleistungen gefördertes inniges Verhältntiß, das im Jahre 1778 in täglichem Verkehr zu immer herzlicherer, gegenseitiger Liebe wurde. Indem jetzt in Goethe der Plan der „Iphigenie“ zur Ausführung reifte, gestaltete sich dieses neue Drama einerseits – um mich des treffenden Gervinus’schen Wortes zu bedienen – gleichsam zu einer symbolischen Dichtung, in welcher der Dichter, der die Zeit seiner titanischen Unruhe eben überwunden hatte, in der Versöhnung des alten Titanenhauses seine eigene Versöhnung und gewonnene Klarheit besang; andererseits wurde es zu einer poetisch-schönen Verherrlichung der sühnenden und versöhnenden Macht reiner, edler Jungfräulichkeit.

Bei keinem anderen Drama Goethe’s liegt Beginn und Fortschritt der Arbeit so klar vor uns, wie gerade bei „Iphigenie“. An der Hand des von mir („Vor hundert Jahren“, 1. Band, Seite 37 u. flg.) vollständig veröffentlichten Tagebuchs Goethe’s aus der Genieperiode und mit Hülfe seiner damaligen Briefe läßt sich die Entwickelung dieser Dichtung von Tag zu Tag, von Act zu Act verfolgen.

Am Morgen des 14. Februar 1779 begann Goethe dieselbe. „Früh ‚Iphigenie’ angefangen dictiren,“ bekundet seine Tagebuchsnotiz von diesem Tage. Den ganzen Tag brütete er über „Iphigenien“, „daß ihm der Kopf ganz wüst war“. Er ließ sich Musik kommen, „die Seele zu lindern und die Geister zu entbinden“. Unter den mannigfachsten Geschäften und Störungen suchte er in den nächsten Tagen die Dichtung zu fördern, indem er in der obern Etage seines Gartenhauses am Park bald dictirte, bald selbst an jenem einfachen, schmucklosen Stehpult schrieb, das ich als theuere Reliquie bewahre. Aus den Banden der Protokolle und Acten löste sich dort seine Seele nach und nach durch die lieblichen Töne der Musik; durch ein Quartett nebenan in der grünen Stube „rief er die fernen Gestalten leise herüber“. Während er aber „an ‚Iphigenien’ träumte“, mußte er in eben diesen Tagen der Kriegscommission und der Conseilsitzung beiwohnen, mußte die Aushebung der jungen Mannschaft zum Kriegsdienst besorgen und am 28. Februar zur Fortsetzung dieser Geschäfte und zur Straßeninspection eine Reise nach Jena, Dornburg, Apolda, Buttstädt und Allstädt antreten. Doch er nahm die angefangene Dichtung mit. Schon am Abend des 1. März, im Jenaer Schloß, konnte er sie still fortsetzen, und in den folgenden Tagen, bei seinem Aufenthalt in Dornburg,“ dem reizenden Punkte des Saalthals, „sperrte er sich in das neue Schloß, um an seinen Figuren zu posseln“, und freute sich, daß das Stück „sich formte und Glieder kriegte“. Während der nächsten Tage, bei Rekruten-Aushebung, Kinderlärm und Hundegebell zu Apolda, kam er aus aller Stimmung; dort war kein Heil, und an Freund Knebel, dem er die Rolle des Königs Thoas zugedacht hatte, schrieb er von dort den originellen Brief:

„Ehrlicher alter König, ich muß Dir gestehen, daß ich als ambulirender poëta sehr geschunden bin, und hätte ich die paar schönen Tage in dem ruhigen und überlieblichen Dornburger Schlößchen nicht gehabt, so wäre das Ei halb angebrütet verfault.“

Auch in Buttstädt wieder Mannschafts-Auslesung, dann aber stieg Goethe „in seine alte Burg der Poesie und kochte an seinem Töchterchen“, und in Allstädt, am 9. bis 11. März, war es ihm, nachdem die täglichen Straßenbesichtigungen und Rekruten-Aushebungen vorüber waren, am Abend vergönnt, die fertigen drei ersten Acte „zusammenzuarbeiten“. Nach Weimar zurückgekehrt, las er schon am 13. März dem Herzog Karl August und dem gemeinsamen Freunde Knebel diese drei ersten Acte vor und besorgte schon Tags darauf Abschrift der Rollen. Am 15. März sandte er an Knebel die drei ersten Acte, um sie Herder und von Seckendorf mitzutheilen. Er selbst ritt, abermals in Wege- und Militärangelegenheiten, am 16. März nach Ilmenau und besuchte die ihm so lieben Punkte der dortigen Umgegend. Auf einem der schönsten, hoch oben auf dem Schwalbenstein, weilte er am 19. März allein und schrieb in tiefster Waldeinsamkeit, bei Waldesrauschen und Vogelsang, den hochpoetischen, erschütternden vierten Act.

Nach der Rückkehr in sein trauliches Gartenhaus zu Weimar dichtete er dort den fünften Act und beendigte, während er laut seines Tagebuchs „diese Zeit her wie das Wasser klar, rein und fröhlich war“, am Abend des 28. März sein Drama „Iphigenie“.

Schon am folgenden Tage las er es in Tiefurt vor, und die Wirkung war eine tiefergreifende. War und ist es auch nicht im antiken Geiste der Euripideischen Iphigenie gedichtet, zeigt es vielmehr vielfach eine moderne, echt deutsche Gefühlsanschauung, ein Vorwalten der Empfindung, so leidet Goethe’s Drama doch andererseits auch nicht an den Fehlern des großen griechischen Dichters und ist menschlicher, sittlicher. Mit edler Kunst, die den Geist des Alterthums in idealer Reinheit und Schöne sich anzueignen sucht, feiert es die sühnende Macht reiner schöner Menschlichkeit in antik einfacher Handlung, in vollendetster harmonischer Einheit und ist, wie Schiller es bezeichnete, ein seelenvolles Product voll Milde und Friede. Und war auch diese wundervolle Dichtung damals in Prosa geschrieben, so floß doch diese Prosa so melodisch, daß bereits die Verse hindurchklangen; sie gefiel den weimarischen Freunden des Dichters sogar besser, als die spätere poetische Umgestaltung.

Rasch schritt man zur Vorbereitung der Ausführung. Goethe selbst übernahm die Rolle des Orest, Prinz Constantin die des Pylades, von Knebel die Rolle des Königs Thoas, Seidler die des Arkas; die Rolle der Iphigenie aber übernahm sie, die Meisterin in Darstellung heroisch-tragischer Rollen, die Künstlerin von echter jungfräulicher Hoheit, die den Dichter zum reinen Ideal der Priesterin Diana’s begeistert hatte, die ihm bei der Dichtung vorgeschwebt, die ihm Farben und Züge geliehen, für die er seine Iphigenie gedichtet hatte: Corona Schröter.

Schon am 6. April 1779, dem Osterdienstag, nur neun Tage nach Vollendung der letzten Scene, sollte die Aufführung in [251] Ettersburg stattfinden. Das Lustschloß Ettersburg und die dasselbe umgebende Waldung waren damals eine der Lieblingsstätten des fürstlichen Liebhabertheaters. „Es ist doch, das weiß Gott! ein schönes Leben so in Wald, Berg und Thal! Unsere beste Herzogin ist hier auch wohl und vergnügt“ – schrieb die Hofdame der Herzogin Amalie, Fräulein von Göchhausen, an Goethe’s Mutter.

In engen Hütten und im reichen Saal,
Auf Höhen Ettersburgs, in Tiefurts Thal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht,
Und unter dem Gewölb’ der hohen Nacht

wurde, wie Goethe singt, den Musen dramatischer Kunst gehuldigt. Im jungen Buchenwäldchen in der Nähe des Schlosses war eine in frisches Grün gehauene Bühne, der „Komödienplatz“ hergerichtet. Kurzverschnittenes Gebüsch bildete die Coulissen; Wiesen und Bäume waren die natürliche Decoration; ein hohler Baum stellte den Souffleurkasten vor. Dort auf der Waldbühne, unter freiem Himmel, bei Fackelschein, Gesang und Hörnerklang wurde in genialem Humor gespielt. Noch jetzt veranschaulicht ein im Ettersburger Schloß aufbewahrtes Gemälde mit Portraitfiguren von Goethe und Corona Schröter eine solche Vorstellung der Einsiedel’schen Zigeuner-Operette „Adolar und Hilaria“ auf der Waldbühne. Noch jetzt lassen sich Spuren der letzteren in der Waldung auffinden. Noch jetzt trägt in dem Buchenwalde die Rinde des Stammes einer einst prächtigen, später vom Blitz zerstörten Buche die eigenhändig eingeschnittenen Namen der Genossen jener fröhlichen Ettersburger Tage. Aber auch in einem Seitenflügel des Schlosses, in demjenigen Saale, in welchem sich jetzt die Waffensammlung befindet, war eine Bühne hergerichtet. Hier war es, wo am 20. October 1778 Goethe’s „Jahrmarkt von Plundersweilern“ zum allgemeinen Ergötzen aufgeführt wurde; hier, wo später, am 18. August 1780 Goethe’s Bearbeitung von Aristophanes’ Vögeln zu drolliger Aufführung gelangte. Dieser Saal, diese Bühne waren es auch, welche durch die erste Aufführung der „Iphigenie“ für immer geweiht wurden.

Am 6. April 1779 fand sie statt, und die Wirkung war eine gewaltige, ja geradezu überwältigende. Der Dichter selbst war außerordentlich erfreut über die „gar gute Wirkung davon, besonders auf reine Menschen“; man thue Unrecht, meinte er, an dem Empfindens- und Erkennungsvermögen der Menschen zu zweifeln. Goethe, der beim Bühnenspiel in Augen, Geberden und Ton, in Allem seiner lebhafter Mutter glich, zeichnete sich hier bei der Darstellung seines eigenen Helden durch wundervoll bewegtes, begeistertes Spiel aus. In seinem griechischen Costüm erschien er hinreißend schön; man glaubte einen Apoll zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit, wie damals an Goethe. Und Corona Schröter, mit ihrer schlanken, durch das griechische Gewand noch mehr gehobenen Gestalt, mit ihrem gemüthvollen, schön gemäßigten Spiel, ihrer meisterhafter Mimik und Declamation, mußte in Darstellung der hohen, edlen Seele der Jungfrau Jeden zur Bewunderung fortreißen; sie spielte nicht nur, sie war Iphigenie. Sie war die heilig ernste Priesterin, die innig fühlende Schwester, die klar besonnene, mild edle Jungfrau, die im erschütternden Conflict der Pflicht und Neigung nur der Stimme des reinen Innern folgt. In Bewunderung ihrer Schönheit und ihrer Kunst sang Goethe von ihr:

Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ist’s und stellt es vor;
Es gönnten ihr die Musen jede Gunst,
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.

Schiller, dem sie im Jahre 1787 Goethe’s Iphigenie nach dem ersten Manuscript vorlas, ward noch davon entzückt, und noch zur Zeit ihres Todes 1802 erinnerten sich die Kunstfreunde in Weimar ihres schönen Spiels als Iphigenie, des Junonischen in ihrer Gestalt, der Majestät in Wuchs und Geberden, welche sie zur Priesterin Dianens berufen hatten. Sie, die seit ihrer Darstellung der Iphigenie Allgefeierte, pflegte seitdem auch außer der Bühne eine dem griechischen Gewande sich annähernde Kleidung zu tragen.

Goethe und Corona Schröter feierten bei jener Darstellung vom 6. April 1779 den höchsten Triumph. Sie waren, wie Ad. Stahr sie treffend bezeichnet, das schönste Menschenpaar, das jemals zusammen auf den Brettern in einer so ganz dem Ideale angehörenden dichterischer Schöpfung zur Verkörperung großer Gestalten gewirkt hat.

Der tiefe Eindruck, welchen die Dichtung und deren Darstellung gemacht, spiegelt sich auch in den reizenden Briefen wieder, welche die Herzogin Amalie und ihre geistreiche Hofdame von Göchhausen darüber an die gute Frau Rath nach Frankfurt schrieben. In meinem Buche „Frau Rath“ habe ich diese in meinem Besitz befindlichen Briefe treu nach den Originalen und mit all der seltsamen Orthographie der letzteren mitgetheilt.

So schrieb am 12. April 1779 Fräulein von Göchhausen an Goethe’s Mutter: „Daß der Herr Doctor seiner Schuldigkeit gemäß seine treffliche ‚Iphigenie’ wird überschickt haben, oder noch schickt, hoffe ich gewiß. – Ich will mich also alles Geschwätzes darüber enthalten und nur so viel sagen, daß er seinen Orest meisterhaft gespielt hat. Sein Kleid, sowie des Pylades seins war Grigisch, und ich hab ihm in meinem Leben noch nicht so schön gesehn. Ueberhaupt wurde das ganze Stück so gut gespielt – daß König und Königin hätten sagen mögen: Liebes Löbchen (Löwchen), brülle noch einmal. Heute wird’s wieder aufgeführt, und so herzlich ich mich darauf freue, so glauben Sie mir, daß ich sehr seelig seyn würde, wenn ich den Mütterlichen Herzen meinen Platz geben könnte.“

Die Herzogin schrieb am 21. April 1779 nach Frankfurt. „Der dritte Feyertag ist glücklich vorbey gegangen, wovon Tusnelde Ihnen Beschreibung gemacht hat. Kurz darauf ist es wiederholt worden und mit dem nähmlichen Beyfall, ich dencke, daß er Ihnen das ganze Stück schiecken wird, und da werden Sie selbst ersehen, wie Schön und vortrefflich es ist und wie sehr seiner würdig;“ und Thusnelda (Fräulein von Göchhausen) schrieb am 21. Mai 1779 an Frau Rath: „Iphigenie“ würd doch nun endlich angekommen seyn? wenigstens hab ich den Doctor (Goethe) und Philipp (Seidel) tagtäglich dazu angemanth, und wie ich nicht anders weiß, hat sie schon lang ihre Wanderung angetreten. Das wird wieder einen seeligen Tag geben, wenn ihr so dazusammen sitzen und euch daran freuen werdet. Daß aber nur die Gesundheit vom Doctor in den besten und ältesten Wein dabey getrunken wird. – Er und seine ‚Iphigenie’ verdienens gewiß.“ Am 12. April wurde die Vorstellung mit derselben Rollenbesetzung wiederholt, und am 12. Juli 1779, beim Besuche des scharfsinnigen Kritikers und Freundes Merck, wurde das Drama wieder in Ettersburg gespielt, doch mit der Aenderung, daß statt des Prinzen Constantin dessen Bruder, der Herzog Karl August, die Rolle des Pylades übernommen hatte. – Das hatte ihm – bemerkte Goethe in sein Tagebuch – ein Vergnügen gemacht, die Rolle des Pylades zu lernen. Die beiden Busenfreunde, Dichter und Fürst, wirkten als Orest und Pylades auf der Bühne.

Des Riesenfortschritts, welchen Goethe und durch ihn die deutsche Poesie mit diesem Drama gemacht hatte, war man sich in Weimar wohlbewußt. Deshalb ließ man auch in Tiefurt bei der Aufführung von „Minervens Geburt, Leben und Thaten“, dem Festspiele zu Goethe’s Geburtstage am 28. August 1781, neben dem Namen „Faust“ den Namen „Iphigenie“ in Feuertransparent erglänzen. –

In Italien vollzog Goethe, erhöhter edler Kunstanschauung folgend, die Umarbeitung seines Dramas; er bildete dasselbe in schöne Verse um, ohne aber die Charaktere, den Gang der Handlung, überhaupt das Wesen seiner herrlichen Dichtung zu ändern. – Später wurde der Dichter an diese Zeit mit den sinnigen Versen erinnert:

„Italiens Lüfte weh’n Dich wieder an.
Du fährst auf’s Meer, in Gondeln von Venedig,
Und still am Ufer gehst Du Abends wieder,
,Das Land der Griechen mit der Seele suchend.’
Da steigen die Gestalten alter Welt,
Aus linder Nacht, im Geiste vor Dir auf.
Du siehst Orest, siehst Iphigenie
Sich freundlich Dir gesellen; Göttern gleich
Ist ihrer Rede Anmuth. Du vernimmst
Sie gern, zu Wechselworten froh gewendet.
So gehst Du, still beseligt, am Gestade,
Bis Dich des Fischers, des rückkehrenden,
Gesänge hold erwecken, wo Du bist.“

Sein Freund Eckermann war es, der ihm am Abend des 7. November 1825 diese Verse widmete. Es war Goethe’s goldener Jubeltag. Zur Festvorstellung in dem aus Schutt und [252] Asche eben neu erstandenen Hoftheater war vom Herzog Karl August die „Iphigenie“ gewählt worden. Als Goethe in seiner Loge erschien, lief die frohe Kunde. „Er ist da!“ durch alle Reihen, wirkte wie ein elektrischer Schlag auf Schauspieler und Zuschauer zugleich und rief den lautesten Applaus hervor, der sich endlos wiederholte, als der aufgezogene Vorhang statt des erwarteten Haines Iphigeniens einen festlich decorirten Saal und im Vordergrunde rechts Goethe’s Büste auf lorbeerumkränztem Postamente erblicken ließ. Frau Seidel sprach einen vom Kanzler von Müller gedichteten schwungvollen Prolog, der mit den Versen schloß:

„So schwebt auch uns ein neuer Tag hernieder,
Es grüßt die Kunst die heil’gen Bilder wieder,
Zu kühnstem Streben öffnen sich die Schranken,
Nur durch ihn selbst laßt uns ihm würdig danken!“

Und hieran schloß sich eine treffliche, begeisterte Aufführung des Meisterwerkes „ Iphigenie“ mit der talentvollen Karoline Jagemann in der Titelrolle.

Aber Karl August ließ es auch hierbei nicht bewenden. Er hatte einen zierlichen Festabdruck der „Iphigenie“ veranstaltet, ließ einige Prachtexemplare desselben dem Dichter überreichen und erfreute auch die Freunde des letzteren durch Zusendung von Exemplaren. Auch Goethe selbst gab dergleichen Exemplare an Freunde und Verehrer; dasjenige meines Oheims, seines Privat-Secretärs, liegt vor mir mit der eigenhändigen Widmung des Dichters: „ Herrn Bibliotheks-Sekretär Kräuter, in Erinnerung des 7. Novembers 1825. Goethe.”

So diente „Iphigenie“ zur Feier des goldenen Tages ihres Dichters, und in der That, das „Töchterchen“ war und blieb allezeit bis in sein höchstes Alter das Herzenskind ihres Vaters. Im Jahre 1817 schrieb ihm sein Freund Zelter von Berlin aus, unter dem frischen Eindruck einer dortigen Aufführung des Dramas, die schönen, sinnigen Worte: „Wer nicht wüßte, wie er Dich lieben soll, mag die ‚Iphigenie’ sehen; alle Wahrheit und Güte der Natur hat sich über dies Stück ausgegossen; es sind Menschen, an denen man die Menschheit, ja sich selbst verehrt, ohne sich geschmeichelt zu finden;“ und Goethe erwiderte ihm: „Durch die guten Worte, womit Du ‚Iphigenien’ so treulich ehrest, sei mir gleichsam gelobt und gepriesen.“

Als im Jahre 1827 der bedeutende Schauspieler Krüger nach Weimar kam und den Orest spielte, war es dem Dichter unmöglich, der Vorstellung, wie er wohl wünschte, beizuwohnen. „Was soll mir,“ schrieb er an Zelter, „die Erinnerung der Tage, wo ich das alles fühlte, dachte und schrieb?“ Doch er übersandte dem Künstler das Drama mit den Versen:

„Was der Dichter diesem Bande
Glaubend, hoffend anvertraut,
Werd’ im Kreise deutscher Lande
Durch des Künstlers Wirken laut;
So im Handeln, so im Sprechen
Liebevoll verkünd’ es weit:
Alle menschlichen Gebrechen
Sühnet reine Menschlichkeit.“

Unermeßlich sind die Wirkungen, welche dieses Hohelied echter, reiner Menschlichkeit auf die deutsche Dichtung und Literatur und selbst auf die bildenden Künste geübt hat.

Heute vollendet sich seit jenem 6. April 1779 ein volles Jahrhundert. Feiern wir den Gedenktag in Erinnerung an jene Zeit und mit dem Wunsche: möge Goethe’s reine, edle „Iphigenie“ auch im neu beginnenden Jahrhundert über deutsche Kunst und Literatur ihre Segnungen ergießen!

Weimar, den 6. April 1879.
Robert Keil.




Wie man dem Frantischek seinen Glauben nahm.
Eine Ostergeschichte.

Frantischek liebte die Stadt. Waren die Menschen auch überall dieselben, auf dem Lande und in der Stadt gleich hart gegen den armen Slovakenjungen, so waren doch die städtischen Hunde nicht so bösartig wie die Kettenhunde auf den Dörfern. Auch biß der Wintersturm zwischen den hohen, schützenden Mauern in den engen, heimlichen Gäßchen Prags nicht so grimmig, wie draußen auf freiem Felde. Frantischek liebte die Stadt.

Und einen so herrlichen Morgen hatte er noch nicht erlebt, seitdem er ohne den Tatinek (Väterchen) auf der beschwerlichen Wanderschaft war und allein sein helles „Drahtowat!“ erschallen ließ.

Was heute Morgen nur in der Luft liegen mag? Niemand geht geschäftig über die Straße; alle Leute blicken müßig darein. Und wie geputzt sie heute sind! Und wie gut! Er hat seit dem Aufstehen schon mehr an kleinen Geschenken erhalten, als der Erlös eines ganzen Tages für Mausefallen, Blechlöffel und geflickte Töpfe sonst auszumachen pflegt. Es ist heute freilich ein Sonntag, aber Frantischek weiß nur zu gut, daß die Menschen nicht an jedem Sonntage gut sind. Was das heute nur ist? Und der Himmel erst! Es ist zwar recht kalt in den geflickten Hosen, dem offenen Hemde, deren Größe nicht einmal für die zwölf Jahre des Slovakenjungen ausreicht. Aber dabei ist es so frisch, wie ein sommerliches Bad in den bräunlichen Wellen der Bistricza.

Es ist dem guten Frantischek so wohl um’s Herz; er möchte der Maminka (Mütterchen) von seinem Reichthume mittheilen. Warum er nur heute so viel an die Maminka denken muß? – Auf einmal weiß er’s. Zwei Knaben, wohl Frantischek’s Altersgenossen, gehen in Feiertagskleidern vorüber und beide halten – halten rothbemalte Eier in den Händen. Ostern!

Ostern! Jetzt wußte er’s. Ostern war’s, und Frantischek war nicht bei der Maminka, war fern, fern vom Hause und Niemand da, um auch ihm seine bunten Eier zu schenken.

Frantischek ging neidlos an den Herrlichkeiten der großen Stadt vorbei. Doch von diesen rothen Eiern konnte er kein Auge abwenden. Die beiden Knaben wurden ängstlich, als sie den zerlumpten Slovakenjungen bemerkten, der ihnen mit gierigen Blicken unablässig folgte. Sie beschleunigten ihre kleinen Schritte, und so war bald das Ziel erreicht. Es war eine Kirche, aus welcher tiefe Orgelklänge hervortönten. Ja, das waren Osterklänge, nur noch reicher, freigebiger, als draußen auf dem Dorfe, fern in der Slovakei. Diese Stadtmenschen waren Christen – sie konnten ihm kein Ei verweigern!

Hei, wie lustig waren die Ostern zu Hause in Trentschin! Die Ruthe schwang der Frantischek, sprang mit seinen Gesellen auf die Hausmutter zu und schlug mit wilden Fäustchen so lange auf die gutmüthig sich sträubenden Hausgenossen los und sang so lange sein klagendes Osterliedchen, bis alle die kleinen Stürmer ihr Osterei davon getragen hatten.

Hier mußte er es kürzer machen – das sah er ein. Mit dem Rufe: „Bitt’ ich Ei, junger Herr!“ sprang er auf die Knaben los, die eben auf der obersten Stufe der Kirchentreppe ihre wohlgebürsteten Hüte abnahmen. Flehend streckte er dabei die Hand aus. Die Knaben verstanden die Bewegung falsch und riefen um Hülfe.

Frantischek wußte, was ihm bevorstand. Was würde es ihm nützen, wenn er das Geschehene aufklären wollte; eine Tracht Prügel war ihm ja doch gewiß, und so lief er hinweg, was er nur laufen konnte. An der Kirchenthür warnte indessen ein erfahrener Mann die beiden weinenden Knaben vor Slovaken und anderen Vagabonden.

Als Frantischek wieder zu sich selber kam, war es mit seiner Osterstimmung noch nicht vorbei. In die schöne Kirche mit der mächtigen Orgel getraute er sich nicht mehr zurück. Er hoffte, in dem hundertthürmigen Prag eine andere zu finden. Da drüben stand schon wieder eine Kirche, ein großes vergoldetes Kreuz auf dem Firste ließ sie als solche erkennen. Andächtig nahm Frantischek den großen, schwarzbraunen Hut vom struppigen Kopfe und trat ein.

Was war das? Keine buntfarbigen Fenster, kein Heiligenbild, kein goldstrotzender Altar? Das konnte keine Kirche sein. Dicht bei einander standen die Reihen der Bänke; da saßen ernste Menschen, blickten in dicke Bücher und sangen zusammen. Auf erhöhtem Platz sah Frantischek einen Geistlichen, neben ihm ein schwarzes Brett, auf dem etwas geschrieben stand. So stellte sich [253] Frantischek nach einer dunklen Ahnung eine Schule vor. Aber eine Kirche war das nicht. –

„Was willst Du hier, mein Kind?“ fragte ihn eine alte Dame, indem sie sich heimlich umsah, ob man es auch bemerkte, wie herablassend sie mit dem Betteljungen sprach.

„Hab’ ich wullt in Kirchen, Babitschko (Großmütterchen), hab’ ich nicht wullt in Schulen.“

„Du bist wohl katholisch, mein Kind,“ sagte die Dame überlegen lächelnd. „Hier beten nur protestantische Christen. Geh’, kaufe Dir etwas!“

Sie ließ ihm eine kleine Silbermünze in das schwielige Händchen fallen. Das Geldstück freute den Frantischek. Aber der Gedanke, daß es Christen gäbe, die anders beten dürften, als er, quälte ihn. Hatte ihm doch die Maminka immer gesagt: alle Leute kämen in die brennheiße Hölle, die nicht genau ebenso zum Pambitschek (dem lieben Gott) beteten, wie die Gemeinde von Trentschin.

Immer inbrünstiger sehnte sich Frantischek nach dem Gebet in einer Kirche. Er mußte Ostern feiern und für die Maminka beten, und nun auch für die armen Seelen, die nur „protestantische Christen“ waren. Sinnend wanderte er weiter; seine großen Augen schickten zum ersten Male ernsthafte Fragen zum Himmel empor. Er kam vor ein großes Gebäude, das sah wieder aus, wie ein Gotteshaus. Durch hohe Fenster schimmerte der Schein zahlloser Flämmchen; drinnen tönte seltsamer, vielstimmiger Gesang. Ein goldener Zierrath, wie zum Spiele verschlungene Kreuze anzusehen schmückte das Dach. Der Gottesdienst mußte eben erst begonnen haben, denn eilig kamen noch verspätete Beter herbei, feingekleidete Herren, welche im Gehen laut und eifrig mit einander stritten, schöne, schwarzäugige Frauen in schweren seidenen Gewändern. Reiches Goldgeschmeide glitzerte vor Frantischek’s Augen. Er faßte endlich Muth, einen minder gut gekleideten Mann anzusprechen.

„Ise sich Pambitschek da drinnen?“

„Was soll da drinnen sein?“

„Bitt’ ich, frag’ ich, ise sich liebes Gott da drinnen?“

Der Mann lachte, daß es dem Knaben weh that.

„Das hab’ ich bisher noch gar nicht gewußt, daß es auch jüdische Slovakenjungen giebt. Ja, kleiner Drahtenbinder, das hier ist eine Synagoge, wo nur die Juden beten. Wenn Du auch beten willst, so komm’ nur mit!“

Frantischek wich entsetzt zurück. Die Juden waren in seiner Vorstellung schwarze Teufel, welche am Sabbath Christenkinder aufspießten. Und diese Gottesmörder sahen nun aus wie andere Menschen auch, hatten goldene Ketten und eine Kirche und durften am Ostersonntag darin beten. Sollte Maminka falsch berichtet sein oder gar ihn getäuscht haben?

Das waren heute schlimme, sehr schlimme Ostern. Von seiner Kirche hatte man ihn fortgescheucht, und er wollte doch beten. Sogar die Juden beteten, und der Frantischek sollte nicht beten? Ob das wohl derselbe Pambitschek war, zu welchem er und die Juden beteten?

Planlos irrte er in der Stadt umher. Er kaufte von dem geschenkten Gelde zwei Ostereier und aß sie auf. Aber helle Thränen liefen dabei über seine Backen; er wußte nicht warum. So gelangte er bis auf die alte „steinerne Brücke“. Unter ihm brauste die hoch angeschwollene Moldau in raschen Wirbeln dahin; dort glänzte das Kaiserschloß vom Hradschin herunter; darüber ragte der herrliche Dom empor. Ob dort wohl Christen oder Juden beteten?

Mitten auf der Brücke stockte Frantischek. Neben ihm stand die Bildsäule des heiligen Johannes von Nepomuk. Fünf goldene Sterne glänzten im Kreise um den Kopf des Heiligen; fünf goldene Sterne in einer Marmorplatte luden am Brückenrande ein, die Symbole zu küssen.

„Heiliger Nepomuk, bitt’ für mich armen Sünder!“ hörte Frantischek in diesem Augenblick einen Greis flüstern; eifrig sprach er nach:

„Heiliges Nepomuk, bitt’ ich armer Sünder,“ und zögernd blieb er stehen. Ob es nicht am besten wäre, hier unter freiem Himmel zu beten? Zwischen den verschiedenen Kirchen konnte er sich nicht mehr zurechtfinden.

Da hörte er hinter sich reden. Ein älterer Herr sprach zu einigen jungen Leuten. Frantischek begriff anfangs nicht, was der beredte Mann erklärte. Da war von langen Jahreszahlen, von Erzguß und von Künstlern die Rede. Der Knabe spitzte die Ohren.

„Was den Gegenstand dieses Werkes anbetrifft, meine Herren, so hat der Johannes von Nepomuk, der hier zu Lande als Heiliger angebetet wird – Sie sehen, meine Herren, mit welcher Schwärmerei dieser Slovakenjunge eben zu ihm aufschaut – wahrscheinlich niemals gelebt. Wo Sie jetzt Bildsäulen Johann’s von Nepomuk erblicken, da standen vor dreihundert Jahren noch Erinnerungsbilder an den großen Ketzer Johannes Huß, den das Volk als seinen nationalen Helden liebte. Die katholische Geistlichkeit, der die Verehrung ihres verbrannten Opfers natürlich ein Dorn im Auge war, erfand den Johann von Nepomuk und setzte seinen Namen allmählich überall an Stelle des von Johannes Huß. Der von Nepomuk hat nie auf Erden gelebt. Gehen wir weiter, meine Herren!“ –

Und sie gingen weiter, und Niemand achtete des armen Frantischek, dem sein Gebet auf der Lippe erstarrt war.

Svaty Jan (der heilige Johann) hat nix gelebt auf Erden“, rief er den Fremden nach, „jetzund is er nix im Himmel.“

Es trieb ihn unwiderstehlich, dem ernsten Manne und seinen Hörern zu folgen, die so fürchterliche Dinge wußten. Er ging bescheiden nebenher und horchte gespannt auf jedes Wort. Unter dem Gewölbe des verwitterten altstädter Brückenthurmes hinweg kam er so auf einen blumengeschmückten Platz. Da stand auf hohem Sockel ein herrliches Bildwerk. Eine Krone ruhte auf dem Haupte, das von schönen Locken und einem dichten Barte eingefaßt war. Milde wohnte auf den Lippen. Ein langer Königsmantel floß in reichen Falten bis auf den Boden nieder. Ob das wohl der Herrgott war? Schon erklärte der ernste Mann:

„Ihm verdanken wir Alles, was Sie rings umher sehen meine Herren. Ihm verdanken wir die Pracht der Paläste und Dome, die dort vom Hradschin auf uns herunterblicken ihm diese unvergängliche Brücke, ihm die Schönheit dieser Stadt, ihm den Wohlstand …“

Verklärt blickte Frantischek empor. Jetzt endlich hatte er seinen Pambitschek gefunden, dem er Alles zu verdanken hatte. Fromm legte er die klirrenden Hausirwaaren auf den Boden, kniete daneben hin und begann laut und innig ein „Vaterunser“ zu beten.

Gelächter weckte ihn jäh aus seiner Andacht. Schnell hatten sich die Vorübergehenden um das betende Kind versammelt und bildeten einen dichten Kreis von Lustigen und Neugierigen.

Frantischek stammelte:

„Hab’ ich nix ’than! Hab’ ich wullt beten!“

Die Leute lachten noch lauter. Da flammte der Zorn im Knaben auf.

„Darf armes Frantischek in Stadt nix bet’ ich zu seinem Pambitschek?“ rief er mit Thränen der Wuth im Auge.

Der beredte Mann, der Alles wußte, näherte sich ihm.

„Du irrst, liebes Kind. Du betest hier vor einem Menschen und nicht vor einem Gotte. Dieses Denkmal ist für den guten Kaiser Karl den Vierten errichtet worden, der ein Mensch war wie Du und ich.“

Frantischek schlich hinweg. Bis zum Abend irrte er müßig in den Straßen umher, kein einziges Mal rief er mehr an diesem Tage sein „Drahtowat!“ Es wollte ihm nicht aus dem Kopfe, daß dort ein Heiligenbild stand und daß der Heilige ein Mensch war wie der fremde Herr, der die fürchterlichen Dinge wußte, und wie er, der Frantischek. Erst als es dunkel geworden, kehrte Frantischek zu dem Bilde des Menschen zurück. Scheu blickte er um sich, als wollte er ein Verbrechen begehen. Dann lag er dort lange auf dem Boden und wollte weinen. Aber er konnte es nicht; er mußte über die Erlebnisse des Tages nachdenken.

Endlich erhob er sich und eilte, hart an den Brückenrand gedrückt, über die Brücke bis zum Heiligenbild. Dort schaute er sich noch einmal zitternd um; dann fuhr er mit der Rechten unter sein Hemd und riß eine blecherne Denkmünze gewaltsam von der Schnur los. Es war der heilige Nepomuk, den ihm einst die Maminka zum Schutze gegen Krankheit mit auf die Reise gegeben hatte. Mit starren, bösen Augen sah er den Heiligen an und warf mit raschem Schwunge die Münze über das Steingeländer hinaus in den Strom.

Eisig wehte die Nachtluft von Norden her und Frost durchschauerte den Knaben.

Fritz Mauthner.
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Die Berliner National-Gallerie.


„Kein unheiliger Fuß soll diesen Boden betreten.“ Dieses Wort sprach der kunstliebende König Friedrich Wilhelm der Vierte aus, als ihm der Gedanke vorschwebte, abseits von dem Getümmel des lärmenden Geschäftsverkehrs auf der von der Spree und dem Schifffahrtscanal gebildeten Halbinsel gegenüber dem Berliner Schlosse, der sogenannten Museumsinsel, den Künsten ein vielgestaltiges Heim zu errichten. So reihte er denn zunächst an das alte Museum, die Stiftung seines Vaters, das um das Doppelte größere neue an.

Im Dienste Friedrich Wilhelm’s des Dritten stand der größte Baumeister des Jahrhunderts, Karl Friedrich Schinkel, der jene grandiose, auf hohem Unterbau ruhende Säulenhalle schuf, deren einfache, aber mächtige Formen gegenüber den gewaltigen Verhältnissen des Schlüter’schen Schlosses ihre Wirkung behaupten. Es war eine karge Zeit: kostbare Baumaterialien standen dem Meister nicht zu Gebote. Die achtzehn Säulen der Vorhalle, die einundzwanzig Stufen, die zu ihr emporführen, und das Gesims wurden in Sandstein ausgeführt; im Uebrigen mußte für die Flächen Backstein herhalten, der einfach verputzt wurde. Als das neue Museum hinter dem alten erstand, wurden köstliche Marmorarten aus allen Theilen Europas herbeigeschafft, um das Innere zu schmücken, aber Schinkel hatte seine Augen längst geschlossen, und auf seinen Nachfolger Stüler war nur wenig von seinem Geiste übergegangen. Wohl schuf er in den Formen der hellenischen Renaissance, die Schinkel heraufgeführt hatte, aber sein Geist vermochte die Formen nicht zu beleben.

Mit der Anlage des neuen Museums war jenes Wort des kunstsinnigen Königs zu einem Theil erfüllt. Aber es gab noch mehr Terrain auf der in’s Auge gefaßten Stelle, das seiner Absichten harrte.

An der Nordspitze schneidet der Salzgraben in die Museumsinsel ein und bildet dadurch zwei Landzungen, von denen die eine, die südliche, wie es scheint, unwiederbringlich für die Zwecke der Kunst verloren ist. An sie dachte Friedrich Wilhelm der Vierte auch nicht mehr, als er jenes schöne Wort aussprach. Ein nüchterner Zweckmäßigkeitssinn hat diesen Raum für eine Anlage gewonnen, welche sich schlechterdings nicht mit dem Musenheim verträgt. Gegenüber der westlichen Seitenfront des neuen Museums, gegenüber dem Giebel seines Treppenhauses, der in Goldbuchstaben die stolze Inschrift trägt: „Artem non odit nisi ignarus! (Die Kunst haßt nur der Unwissende), erheben sich die rohen Ziegelgebände des Packhofes, einer steuerfreien Waarenniederlage.

Friedrich Wilhelm’s Augenmerk war auf die östliche Landzunge gerichtet, die er für Kunstbauten gewahrt wissen wollte. Die Angelegenheit beschäftigte ihn dergestalt, daß er selbst zum Stifte griff und in flüchtigen Zügen ein Gebäude entwarf, das seinen Platz zwischen der Spree und dem neuen Museum finden sollte. Er dachte sich eine Art von Platonischer Akademie, unsern klimatischen Verhältnissen angepaßt, ein auf allen vier Seiten von Säulengängen umgebenes Gebäude auf einem hohen Podium, welches gelehrten Versammlungen und Vorlesungen dienen sollte.

Das Project des Königs gelangte nicht zur Ausführung, wenigstens nicht in der von ihm gewünschten Gestalt.

Als der im Jahre 1861 verstorbene schwedische Consul J. H. W. Wagner in Berlin seine kostbare, in ihrer Art einzige Sammlung von Gemälden neuerer deutscher Meister dem damaligen König von Preußen testamentarisch unter der Bedingung vermachte, daß dieselbe ungetrennt erhalten bliebe und in einem geeigneten Locale in Berlin allen Künstlern und Kunstfreunden zugänglich gemacht würde, da erst erinnerte man sich wieder des hochherzigen Gedankens, den Friedrich Wilhelm der Vierte nicht vollendet hatte.

Wagner hatte in seinem Testamente seinen langgehegten Herzenswunsch, es möchte die Sammlung fortgeführt werden und zu einer nationalen Gallerie heranwachsen, „welche die neuere Malerei auch in ihrer weiteren Entwickelung darstellt“, angedeutet, ohne seine Erfüllung zu einer ausdrückliche Bedingung zu machen. Aber König Wilhelm machte, wie er sich in einem Erlaß an den damaligen Cultusminister ausdrückte, den Gedanken des patriotischen Stifters zu dem seinigen und verfügte, daß mit der Sammlung Wagner’s, dem „schönen Denkmal seiner treuen und uneigennützigen Liebe für die vaterländische Kunst“, der Grund zu einer vaterländischen Gallerie neuerer Künstler gelegt werde.

Am 22. März 1861 wurde die Wagner’sche Sammlung in den Räumen der Kunstakademie dem Publicum zugänglich gemacht, aber erst fünfzehn Jahre später, wiederum am Geburtstage des nunmehrigen deutschen Kaisers, wurde das neue stattliche Heim, welches die Wagner’sche Sammlung finden sollte, unter dem Namen „Nationalgallerie“ eröffnet. Der erlauchte Erbe hatte den Wunsch des Testators einer glänzenden Erfüllung entgegen geführt.

Der Erbauer des neuen Museums, Stüler, war beauftragt worden, die Pläne für das neue Galleriegebäude zu entwerfen. Noch war die Skizze Friedrich Wilhelm’s des Vierten für den Prachtbau vorhanden, den er sich als Mittelpunkt der ganzen forumartigen Anlage gedacht hatte. Diese Skizze legte Stüler seinem Entwurfe zu Grunde. Aber er unterzog sie im Aeußeren insofern einer sehr wesentlichen Umgestaltung, als er an Stelle des korinthischen Tempels mit ringsherumlaufenden Säulengängen, eine Bauform, welche die Griechen Peripteros nannten, einen Pseudo-Peripteros setzte. Statt der freistehenden Säulen, die allerdings den verfügbaren Raum erheblich beschränkt hätten, wurden mit der Wand zusammengewachsene Halbsäulen gewählt, und nur an der Front erhob sich eine von acht korinthischen Säulen getragene Halle. Das Innere mußte, der veränderten Bestimmung gemäß, völlig neu gestaltet werden.

Stüler starb kurz nach Vollendung der Pläne. Die Ausführung derselben begann im Frühjahr 1866 unter Leitung des jetzigen Geheimen Oberhofbauraths Strack und des seither auch bereits verstorbenen Geheimen Bauraths Erbkam. Es war inzwischen noch die Bedingung gestellt worden, daß der neue Bau Räume zur Aufstellung der Cartons erhalten solle, welche Cornelius im Auftrage Friedrich Wilhelm’s des Vierten für Frescomalereien in einer projectirten Begräbnißstätte für die königliche Familie gezeichnet hatte. Jahre lang hatten diese kostbaren Schätze, welche zu den werthvollsten und wichtigsten Materialien zur Geschichte der neueren deutschen Kunst gehören, zusammengerollt und in Kisten eingepackt auf den Bodenräumen der Kunstakademie gelagert. Jetzt sollten sie wiederum in dem „der deutschen Kunst“ geweihten Gebäude zu neuem Leben erstehen. So hat denn das erste Geschoß des Baues die Sculpturen und einen Theil der Gemälde aufgenommen, das zweite, das Hauptgeschoß, enthält in zwei großen Oberlichtsälen die herrlichen Cartons von Cornelius für den Camposanto der Königsfamilie und für die Münchener Gkyptothek sowie den Rest der Gemäldesammlung, während die Zimmer des obersten Geschosses, vor der Hand noch leer, wechselnden Gemälde-Ausstellungen neuerer Künstler dienen.

Die Vereinigung der Cornelius’schen Cartons mit den vom Consul Wagner gesammelten Gemälden schrieb genau die Richtung vor, in welcher bei einer Vermehrung der Sammlung vorgegangen werden mußte. Ein Gebäude, an dessen Frontispiz die Inschrift prangt: „Der deutschen Kunst“, hatte vor allen Dingen die Aufgabe, die Erinnerung an die kurze, aber herrliche Zeit der neuclassischen deutschen Kunst von Carstens bis Kaulbach in den Herzen späterer Generationen rege zu erhalten. Je vergänglicher der Stoff ist, auf welchen Cornelius, Carstens, Overbeck, Schnorr von Carolsfeld, Veit und Rethel ihre großen und erhabenen Gedanken hingeworfen, desto größer muß die Sorgfalt sein, die ihren geistigen Nachlaß hütet. Das Verständniß für die tiefsinnigen Conceptionen eines Cornelius wird immer seltener in einer Zeit, wo das künstlerische Handwerk, insbesondere die malerische das Auge bestechende Technik aller Orten den Gedankengehalt eines Kunstwerkes in den Hintergrund drängt. Als die Cartons unseres Cornelius nach mehr als zehnjährigem Verschollensein dem Publicum wieder zugänglich gemacht wurden, da erschienen sie in ihrer schier unfaßlichen Größe den Meisten wie eine fremde Welt. Es bedurfte eines Mannes, der mit Begeisterung für das theure Vermächtniß jener kurzen Blüthezeit der Kunst eintrat und der lebenden Generation die ihrem Verständniß entfremdete Welt [255] wieder näher brachte. Nur ein solcher Mann vermocht den Gedanken Wagner’s, aus der Gallerie ein Spiegelbild der Entwickelung der neueren deutschen Malerei zu machen, bis in seine letzten Consequenzen zu verwirklichen. Die königliche Staatsregierung fand die geeignete Persönlichkeit in dem Kunstgelehrten Dr. Jordan, der als Vorsteher des Leipziger Museums ein Verwaltungstalent bekundet hatte, welches die auf ihn gefallene Wahl rechtfertigte. In Schrift und Wort hatte er unermüdlich für die Kenntniß der neudeutschen Kunst gewirkt und viele ihrer Schätze durch Vervielfältigung zum Gemeingut des deutschen Volkes gemacht.

Der deutsche Volkscharakter und die deutsche Volksseele spiegeln sich gerade in der neueren deutschen Kunst, welche die grandiosen philosophischen Dichtungen eines Cornelius, die dramatisch bewegten Historiengemälde eines Alfred Rethel und die naiven, herzigen Familien- und Kinderbilder eines Ludwig Richter umfaßt, am schärfsten und deutlichsten wieder. Kleideten diese Maler zum Theil auch ihre Gedanken in eine antike, durch Carstens begründete Formensprache, so knüpften sie auf der anderen Seite an Albrecht Dürer an, und die kalte Glätte der antiken Kunst ertödtete nicht die Innigkeit des deutschen Gemüths, welches durch die anmuthigen und humorvollen Compositionen Ludwig Richter’s am verständlichsten zum Herzen sprach.

Ebenso reich, wie die Periode des Cornelius, ist eine zweite Epoche der neueren deutschen Kunst, deren Entwickelungsgang mit jener fast parallel läuft, in der Nationalgallerie vertreten: die Düsseldorfer Geschichts- und Genremalerei, wie sie sich unter Wilhelm von Schadow’s Leitung herausgebildet hat. Seit den dreißiger Jahren erregten die Gemälde der Düsseldorfer Meister auf den Ausstellungen der Berliner Kunstakademie ein Interesse, das von Jahr zu Jahr wuchs. Der Consul Wagner ließ kaum eine Ausstellung vorübergehen, ohne seine Sammlung mit diesem oder jenem besonders populär gewordenen Bilde eines Düsseldorfers zu bereichern.

Mit Rücksicht auf die Räumlichkeiten, über welche ein Privatmann verfügen kann, und wohl auch auf seine persönliche Neigung beschränkte Wagner seine Ankäufe vornehmlich auf den Kreis der Genremalerei. Bilder wie Hasenclever’s „Weinprobe“ und „Lesecabinet“, Jordan’s „Heirathsantrag auf Helgoland“, Hildebrand’s „Krieger und sein Kind“, Schrödter’s „Don Quixote“ sind durch Lithographien und Kupferstiche so weit verbreitet worden, daß man in deutschen Landen kaum ein Haus finden dürfte, in welches nicht das eine oder das andere dieser Gemälde, und wenn auch nur in der bescheidensten Photographie, Eingang gefunden hat. Nachdem aber erst der Gedanke gefaßt worden, der modernen deutschen Kunst ein Heim in großem Styl zu errichten, fand auch die Düsseldorfer Historienmalerei, die nunmehr ebenfalls der Vergangenheit angehört, die verdiente Berücksichtigung. Dem Zusammentreffen glücklicher Umstände verdankt die Nationalgallerie den Besitz einiger Hauptwerke der Schule, darunter Lessing’s weltberühmte Composition „Huß vor dem Scheiterhaufen“, welches in einem Umfange wie kein zweites Bild das gesammte künstlerische Glaubensbekenntniß der Düsseldorfer Schule enthält. Heute ist diese Richtung, wie erwähnt, bereits überwunden oder richtiger übertrumpft. Man empfindet diese Thatsache nirgends schärfer, als wenn man vor ein zweites Bild gleichem Umfangs tritt, vor Makart’s Riesengemälde „Venedig huldigt der Katharina Cornaro“, welches die Nationalgallerie als eine charakteristische Probe der neuesten Historienmalerei erworben hat. Wie Altmeister Lessing aber noch selbst über sein Werk hinausgewachsen ist, wie er sich die coloristischen Errungenschaften der Neuzeit noch zu eigen gemacht, zeigt eine fünfundzwanzig Jahre nach dem 1850 vollendeten Hußbilde entstandene Eifellandschaft, auf welcher der Künstler dieselbe großartige Auffassung der Natur bekundet, wie früher in der Schilderung eines bedeutsamen historischen Vorgangs. Wie sich die Düsseldorfer Historienmalerei nach seiner großen That weiter entwickelt hat, zeigt hinwiederum ein großes Gemälde Bendemann’s, „Jeremias bei dem Falle Jerusalems“, welches ebenfalls zu den Schätzen der Nationalgallerie gehört. Es versteht sich von selbst, daß die neueste Blüthe der Düsseldorfer Malerei, das Genre, wie es besonders von Knaus, Vautier und Karl Hoff gepflegt wird, von Seiten der Direction und der Commission, welcher die Entscheidung über die Ankäufe obliegt, eine nicht minder fürsorgliche Berücksichtigung erfährt. In gleichem Maße wird Sorge getragen, daß der Entwickelungsgang der Berliner Malerei in seinen charakteristischen Momenten ausführlich illustrirt wird.

Die Schätze der Sammlung wachsen von Jahr zu Jahr. Mit einer Unparteilichkeit, welche die vollste Anerkennung verdient, sorgt Director Jordan dafür, daß die deutsche Kunst in allen ihren Phasen und in ihren verschiedenen Ausdrucksformen eine angemessene Vertretung in der Nationalgallerie findet. Wenn er bisher noch ihre Pforten dem neuesten, schnell modern gewordenen Ultrarealismus verschlossen hat, so wird er in diesem Verfahren so lange auf den Beifall aller wahren Kunstfreunde rechnen dürfen, bis sich jene Richtung innerhalb der deutschen Kunst besser über ihre ästhetische Berechtigung ausgewiesen hat, als es ihr bisher gelungen ist.

Wer sein theuerstes und edelstes Besitzthum kennen lernen will, muß seinen Feind zu Rathe ziehen. Von jeher haben die Franzosen in den Schöpfungen eines Dürer, eines Cornelius, eines Overbeck, eines Rethel den Höhepunkt der deutschen Kunst gesehen, und stets haben sie mit Verachtung auf unsere coloristischen Bestrebungen herabgeblickt. Seit Cornelius’ Tod haben sie sich um die deutsche Kunst nicht gekümmert. Cornelius, Overbeck und Kaulbach sind todt, sagten sie höhnisch, als sich Deutschland aus Courtoisie in letzter Stunde entschloß, sein edelstes Gut, seine Kunst, auf dem Marsfelde der Kritik seiner Feinde zu exponiren. Was werden uns die Deutschen schicken? fragten sie weiter. Altmodische Bilder und armselige Püppchen! – Der große Erfolg der deutschen Kunst auf der Pariser Weltausstellung hat die beste Antwort auf diese Frage gegeben. Eine[WS 1] bescheidene Auswahl war nur möglich. Der Raum zwang uns, die bedeutendsten Schöpfungen der letzten Jahre zu Hause zu lassen und doch hat die deutsche Kunst durch ihre dem Idealen zugewendete Richtung einen Sieg errungen, dessen nächste Folge hoffentlich diejenige sein wird, daß dem schnöden, kunstwidrigen Realismus, der seit einigen Jahren auch in die deutsche Kunst eingedrungen ist, ein starker Riegel vorgeschoben wird.

Keine Nation kann sich des Besitzes so vieler gottbegnadeter Künstlergenies rühmen wie das deutsche Volk. Mancher dieser genialen Männer ringt freilich noch mit technischer Unbeholfenheit, die eine Folge des in Deutschland leider arg vernachlässigten Kunstunterrichts ist. Aber in der ganzen Summe der französischen Farbenkünstler, welche zweiundzwanzig Säle der Kunsthalle der Weltausstellung mit abenteuerlichen Mordgeschichten und niedlichen, geistreichen Miniaturbildchen gefüllt haben, steckt nicht so viel Genie, so viel Gemüthstiefe, so viel Humor wie in einem Knaus, einem Menzel.

Die Berliner Nationalgallerie darf sich den Hauptantheil an dem Erfolge der deutschen Kunst in Paris zu Gute schreiben. Waren doch aus ihren Schätzen diejenigen Bilder und Statuen genommen, welche in Paris das größte Aufsehen erregten . Knaus’ „Kinderfest“, A. Achenbach’s „Strand von Scheveningen“, Menzel’s „Eisenwalzwerk“, Gebhardt’s „Abendmahl“, Günther’s „Trauernder Wittwer“, Hoff’s „Taufe des Neugeborenen“, Henneberg’s „Jagd nach dem Glück“, Scherres’ „Ueberschwemmung in Ostpreußen“ und Spangenberg’s „Zug des Todes“.

Die letztere, tief ergreifende Composition schmückt in Holzschnitt-Wiedergabe diesen Artikel. Es ist ein gedankenvolles, hochpoetisches Werk, welches in Form und Inhalt an die Tradition eines Dürer und Holbein anknüpft und uns in jenen Ideenkreis einführt, dem die deutschen Maler des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts so viele fruchtbare Motive entlehnten.

Die deutsche Kunst machte sich kein Bild von der dämonischen unbegreiflichen Macht des Todes, wie es die Griechen und Römer gethan. Die naive Auffassung des Mittelalters nahm die Wirkung für die Ursache und dachte sich den Tod anfangs in der Gestalt eines verwesten Leichnams, dann als entfleischtes Gerippe. Die moderne Kunst vermochte sich den mittelalterlichen Vorstellungen, die zu tief in den Gedankenkreis des Volkes eingedrungen waren, nicht mehr zu entziehen. Das Gerippe blieb bis auf den heutigen Tag für die Kunst das Symbol des Todes. Auch Gustav Spangenberg, der sich wie nur noch wenige deutsche Maler in die Ideen des späteren Mittelalters und besonders der Reformationszeit eingelebt hat, bildete den Tod als Gerippe. Aber er hüllte ihn in ein weißes Mönchsgewand und gab ihm das Glöcklein des Meßners in die Hand, mit welchem er die Welt durchschreitet und Jedem seine Stunde läutet. In dem

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Der Zug des Todes. Von Gustav Spangenberg.
Nach einer Photographie aus dem Verlage der „Photographischen Gesellschaft in Berlin“ auf Holz übertragen.


langen, unabsehbaren Zuge, der seinem Rufe gehorcht, ist der Gedanke der mittelalterlichen Todtentänze insofern festgehalten, als alle Stände, Könige, Ritter, Geistliche, Krieger, Bürger und Bauern, blühende Bräute und lachende Kinder, in der Procession vertreten sind. Das Bild spricht in seiner ergreifenden Stimmung, in seiner erhabenen Einfachheit für sich selbst. Als es 1876 zuerst auf der akademischen Kunstausstellung in Berlin erschien, rief es in allen Theilen der kunstliebenden Bevölkerung einen so mächtigen, tiefgehenden Eindruck hervor, daß nur der allgemeinen Bewunderung Rechnung getragen wurde, wenn der Künstler mit der höchsten verfügbaren Auszeichnung, der großen goldenen Medaille, geehrt und sein Werk für würdig befunden wurde, einen Ehrenplatz in der Nationalgallerie zu erhalten.

Gustav Spangenberg, ein geborener Hamburger, hat das rein Technische seiner Kunst in Antwerpen und in Paris gelernt, freilich in einer Zeit, wo die Pariser Schule sich noch nicht so [257] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.


ausschließlich wie heute auf Farbeneffecte concentrirte, sondern noch etwas von dem großen Stile der Romantik hatte. Spangenberg bewahrte in seiner französischen Umgebung sein deutsches Gemüth. Dürer und Holbein waren seine Ideale, in deren Geiste er weiter zu schaffen strebte. Wie diese alten Meister, pflegt auch er die Farbe der Zeichnung unterzuordnen und in erster Linie nach charakteristischem Ausdruck der Köpfe und bedeutendem Gedankeninhalt zu ringen. Die an machtvollen Persönlichkeiten so überaus reiche Reformationszeit hat ihm eine Reihe dankbarer Motive geboten, die er in großen Historienbildern, wie in kleinen Gemälden verwerthet hat. Die Nationalgallerie besitzt von ihm ein solches Genrebild aus dem Leben Luther’s, welches den Reformator inmitten seiner wackeren Gehülfen Melanchthon, Bugenhagen und Justus Jonas darstellt, wie er, unterstützt von gelehrten jüdischen Rabbinen, an der Uebersetzung des alten Testamentes arbeitet. Ein figurenreiches Historienbild, „Die Ankunft Luther’s in Worms“, [258] hat der Meister im Auftrage der Verbindung für historische Kunst gemalt; es ist nächst dem „Zuge des Todes“ sein bedeutendstes Werk. Da Spangenberg erst im Anfange der fünfziger Jahre steht, also in einem Alter, wo der Künstlergeist sich erfahrungsmäßig erst zu vollster Blüthe entfaltet hat, dürfen wir noch manches reife Kunstwerk von seiner langsam, aber gewissenhaft arbeitenden Hand erwarten.

So ist denn die Museumsinsel der Reichshauptstadt wieder um einen glänzenden Schmuck reicher und dadurch die ihr zugetheilte schöne Bestimmung in erhöhtem Maße zur Wirklichkeit geworden. Ob es nicht möglich ist, dereinst, trotz der bestehenden Hindernisse, die volle Verwirklichung herbeizuführen? Wir können nicht von dem Gegenstande scheiden, ohne eines neuerdings aufgetauchten Projectes zu gedenken, welches diese Möglichkeit ernstlich in’s Auge faßt.

Ein genialer Architekt, Baurath Orth in Berlin, hat vor Kurzem einen kühn erfundenen Plan ausgearbeitet, der darauf hinausläuft, die ganze Insel wieder für Kunstzwecke zurück zu gewinnen. Die Gemäldegallerie im alten Museum hat sich längst zu klein erwiesen, das alte Gebäude der Kunstakademie entspricht den Bedürfnissen nicht mehr, und überdies fehlt es an einer Localität für die alljährlich in Berlin stattfindenden akademischen Kunstausstellungen. Nachdem sich den vorhandenen Hindernissen noch ein neues hinzu gesellt hat, die in der Anlage begriffene Stadtbahn, welche die Insel quer durchschneidet, ist der Architekt auf den Gedanken gekommen, einen großartigen Terrassenbau zu errichten, der in seinem Kerne die Räumlichkeiten für den Packhof und den Tunnel für die Stadtbahn und auf der Plattform die vereinigten Gebäude der Kunstakademie, Gemäldegalerie und Kunstausstellung aufnehmen soll. Es würde also eine Anlage im Großen entstehen, wie sie die Brühlsche Terrasse im Kleinen präsentirt.

Noch ist über diese Pläne keine Entscheidung erfolgt. Wie alle großen und genialen Gedanken, die in kleinen Hirnen keinen Platz finden, hat auch dieser lebhafte Anfeindungen erfahren müssen. Bei dem lebhaften Interesse jedoch, welches der Kronprinz dieser Angelegenheit zuwenden soll, ist die Hoffnung noch nicht ausgeschlossen, daß Berlin durch eine Bau-Anlage verschönert werden wird, die, ein Nachklang der hängenden Gärten der Semiramis, in Europa nicht ihres Gleichen finden würde. Dann erst hätte das Wort des Königs, das wir an die Spitze unserer Schilderung gesetzt haben, in seinem ganzen Sinne eine glänzende Verwirklichung gefunden, und eine Stätte für die edelsten Güter der Menschheit wäre geschaffen, deren sich sonst keine Großstadt der Welt rühmen könnte.

Adolf Rosenberg.




Ein Traum.
Paraphrase zu Spangenberg’s „Zug des Todes“.


   Es war ein Traum, schreckhaft zugleich und süß –
Den brachte mir die laue Frühlingsnacht.
   Auf öder Haide, wolkenüberhängt,
Schritt einsam ich im Dunst der Morgenfrühe –
Ich war nicht ich – –
Auf allen Wassern wehten meine Flaggen,
Und was der Sinn vermessen je begehrt,
Ein Schloß am Meer und duft’ge Wundergärten
Und Rosse, die in goldnes Zaumwerk schäumen –
Mein nannt’ ich alle Schätze dieser Welt.
Doch über alles meinem Herzen theuer
War mir ein liebes Weib und traute Kinder,
Die mir am Lebenspfad wie Blumen blühten.
   „O süße Lust des Athmens, holdes Leben,“
Rief ich in meines Glückes Ueberschwang,
„Wie schön bist du!“
   Da plötzlich bebt der Boden unter mir,
Und durch die Lüfte rollt’s wie ferner Donner.
Der Nebel quillt und kocht und braut und brodelt
Und ballt sich zu Gestalten wunderbar.
Die zieh’n, ein bunt Gemisch, in langem Zuge
Die wüste Flur entlang, fernher, fernher,
Und deutlicher, indem sie näher zieh’n,
Gewahrt sie mein erstaunter Blick. Die Reihen
Durchschweift er fragend, bis er festgebannt
Auf einer schrecklichen Gestalt verweilt;
Er reißt sich schaudernd los und fühlt sich schaudernd
Auf’s neu gefesselt mit Dämonenmacht.
Ein Knochenmann ist’s, hohl das Aug’ und grinsend
Das leere, fleischlos knöcherne Gesicht;
In leichtem Tanzschritt wirft er gräßlich klappernd
Das dürre Bein; ein Mönchsgewand umschlottert
Ihm weiß und faltenreich den Leib, indeß
Den Schädel, nackt und kahl, ein Tuch umhüllt,
Das rabenschwarz im Wind, gleich Flügeln, flattert.
In hagrer Hand schwingt eine Glocke er,
Die, schaurig durch die weite Oede hallend,
Mit gellem Ruf sie alle lockt und bannt,
Der Haidewandrer ungezählte Schaaren:
Die rüst’ge Jugend fühlt sich fortgerissen
Vom halbgeleerten Taumelkelch der Lust;
Der müde Greis ergreift den Stab noch einmal
Und schließt dem Zug sich an mit schwankem Schritt;
Der König läßt sein Reich und seine Kronen
und folgt des beinernen Gesellen Spur;
Der Lahme trägt ihm ächzend seine Krücken
und seine Lumpen ihm der Bettler nach,
Und jede Zone sendet ihre Kinder –
Zum großen Heerbann stellen Alle sich,
So jung, wie alt.
Und dort – Entsetzen faßt mich eisig an – –
Der Bursche dort trägt meiner Jugend Züge –
So wehten mir um’s Knabenhaupt die Locken.
Und – jäh im Herzen stockt des Blutes Welle –
Mit meines Weibes Blick sieht jenes Weib
Mich an – so lächelte mir einst die Traute,
Als sie das erste Du mir sprach – und ach!
In dieses Kindes unschuldvollen Mienen
Find’ ich das eig’ne Kind, das theure, wieder.
Horch nun! beschleicht der flüchtg’e Haidewind
Mit Menschenstimme seufzend nicht mein Ohr?
„Das End’ ist Scheiden“ klingt es, „Tod die Summe
Von allem holden Erdenglück, und leben
Heißt leiden müssen.“
   Ich schaudere – in’s feuchte Haidekraut
Knie’ bebend ich und berg’ das Haupt im Sande
Und weine laut.
Still ist’s ringsum, und leise, kaum vernehmbar
Hör’ ich des Todes Zug vorübergleiten
Und fern verhallen seiner Glocke Schall.
Dann schweigt die Haide – Schweigen auch in mir!
Und ausgelöscht, wie Sonnengluth am Abend,
Ist in der Brust mir das Gefühl des Lebens.
   Auf einmal welch ein neues Bild! Zwei Augen,
Zwei liebe Augen leuchten über mir,
Und „Vater!“ tönt es mir von Kindeslippen –
Und in die Arme schließ’ ich meinen Knaben.
   „Der Erde Höchstes,“ ruf ich, „ist die Liebe;
Sie söhnt uns aus mit jedem Lebensleid,
Selbst mit dem Tode.
Was liegt an mir und meinem armen Glück?
Nichts ist der Mensch, und Alles ist die Menschheit –
Den rafft der Tod, doch diese bleibt und blühet,
Und das Gefühl, das zwischen Kind und Vater
Mit heil’ger Inbrunst seine Brücke schlägt,
Es schlingt den Liebesarm um die Geschlechter
Und eint Vergang’nes mit Zukünftigem.“
   Und wie ich’s denke, leuchtet durch’s Gewölk
Die Sonne auf – im Lichtglanz liegt die Haide,
Und eine mächt’ge Stimme ruft vom Himmel:
Der Menschheit Leben ist das ew’ge Leben.
Das war mein Traum, schreckhaft zugleich und süß –
Den brachte mir die laue Frühlingsnacht.

Ernst Ziel.




Blätter und Blüthen.

Adolf Strodtmann todt. Am 17. März, eine Woche vor seinem fünfzigsten Geburtstage, erlöste der Tod den in Steglitz bei Berlin lebenden Dichter von schwerem körperlichen Leiden, das ihm in kaum minder schmerzlicher Weise als Heinrich Heine, dessen Leben und Wirken er uns so vortrefflich geschildert, die letzten Jahre seines Lebens getrübt hat. Er erlag einem Nierenleiden. In Adolf Strodtmann ging wieder Einer hin von jenen opferfreudigen, kampfesfrohen Geistern, welche in trüber Zeit, meist unter Hingabe ihres Lebensglückes, mit der Feder und, als es galt, mit dem Schwerte für die Ideale politischer Freiheit und Einheit in Deutschland eintraten. Er war Einer von jenen Dichtern, die „den einsamen Botenläufern gleichen, welche des Morgens in aller Winterfrühe, wenn noch kaum die Hähne gekräht haben, auf den des Nachts [259] vom Schnee verschütteten Wegen die ersten Fußstapfen wieder eindrücken müssen“. „Ihr habt Mittags gut spazieren wandeln,“ ruft Gutzkow aus, von dem dieses Bild stammt. „Gedenkt der Botenläufer, die zwischen Feld und Wald im ersten Morgengrauen auf unübersehbarer Schneefläche die Wege wieder aufsuchen müssen!“ In diesem Sinne sei auch unseres Dichters gedacht, der mit vielen Gleichstrebenden in seiner Jugend das Geschick zu theilen hatte, auf solch muthvoll angetretene Wanderung in einen Lebenspfad voller Enttäuschungen, Mühen und Bitterkeiten gelockt zu werden, und der trotzdem den Glauben an seinen Leitstern, an seine Ideale niemals aufgegeben hat. Die Erfahrung lehrte ihn nur, daß das Licht in weiterer Ferne geleuchtet hatte, als seine jugendliche Begeisterung gemeint.

Am 24. März 1829 zu Flensburg, als Sohn eines ebenfalls um die Literatur verdienten Geistlichen geboren, ward er schon als Gymnasiast von der radikalen Bewegung der Zeit erfaßt. Zunächst wandte sich sein oppositioneller Unabhängigkeitssinn gegen das dänische Joch, unter dem sein deutsches Geburtsland stand. Als Kieler Student folgte er im Frühjahr 1848 der Fahne des Aufstandes, schon im Treffen bei Bau (9. April) traf ihn jedoch eine feindliche Kugel, die ihn schwer verwundete und so in dänische Gefangenschaft brachte. Auf einem dänischen Kriegsschiffe wurde er eingekerkert; die Gefühle, welche ihn dort theils quälten, theils erhoben, schildern seine „Lieder eines Kriegsgefangenen auf der ,Dronning Maria’“. Ausgewechselt, bezog er die Bonner Universität. Das nahe Verhältniß, in das er hier zu Professor Kinkel und Karl Schurz trat, entzog ihn bald auch dort dem ruhigen Studium. Wie er bei des Ersteren Verhaftung dessen zurückbleibende Frau, die berühmte Johanna Kinkel, in der Redaction von Kinkel’s Zeitung unterstützt, wie er auf die Nachricht, daß sein verehrter Lehrer im Zuchthaus zu Naugard Wolle spinnen müsse, sein leidenschaftliches „Lied vom Spulen“ verfaßt hat, welches seine Relegation veranlaßte, hat er uns selbst in seiner Biographie Kinkel’s angedeutet, die er im elterlichen Hause zu Hadersleben schrieb. Im Herbste 1850 suchte er Paris auf, woselbst er den Winter zubrachte.

Nach Hamburg zurückgekehrt wurde er leider in die Verhältnisse der Baronin von Bruiningk verwickelt, deren Flucht er vermittelte und der er als Erzieher ihrer Kinder nach England folgte. In London traf er mit seinen Freunden wieder zusammen, doch den in seinen schönen Liedern ersehnten stillen Hafen ruhigen Glückes ließ ihm das Schicksal auch hier nicht zu Theil werden. Der Sommer 1852 sah ihn nach Amerika übersiedeln. Nicht zu seinem Heile. Eine von ihm in Philadelphia gegründete Buchhandlung sowie die von ihm herausgegebene Zeitschrift gingen, nachdem sie sein Vermögen verschlungen, nach zwei Jahren ein. Zwei weitere Jahre hindurch – wohl die trübsten seines Lebens, welchen jedoch seine glänzende Dichtung „Rohana“ entstammte – führte er ein romantisches Wander- und Schriftstellerleben im Westen. Erst nach seiner Rückkehr nach Hamburg (Herbst 1856) ordneten sich seine Verhältnisse wieder, wenn sie auch fast niemals glänzende geworden sind. Er, in dessen Gedichten ein so inniges Liebesbedürfniß sich ausspricht, hatte in seinem Liebesleben kein Glück. Sein „hohes Lied der Liebe“, die mit Mädchennamen überschriebenen Liedercyclen in seinen „Gedichten“ (die dritte Auflage erschien soeben bei Reclam) sprechen es aus. Auch sein späteres Leben wurde durch eine bittere Erfahrung in dieser Hinsicht getrübt; Ruhe fand er erst an der Seite seiner nun zur Wittwe gewordenen letzten Gattin.

Bis 1870 in Hamburg, dann, nach Beendigung des großen Kriegs, den er als Correspondent mehrerer größerer Zeitungen miterlebte, in Steglitz bei Berlin wohnend, ist er unermüdlich im Dienste der Literatur und ihrer hohen Aufgaben thätig gewesen, selbst dann noch, als ihm sein Leiden bereits jede Anstrengung eigentlich verbot. Seine Gesammtausgabe der Werke Heine’s, die Briefe Bürger’s, vor Allem die vorzügliche Biographie des Sängers des „Buchs der Lieder“, „Das geistige Leben in Dänemark“ und seine jüngst erschienenen „Dichterprofile“, eine Sammlung tiefgreifender und geistvoller literarischer Essays, sind die Früchte der einen Seite seiner Thätigkeit, der literarhistorischen. Nicht mindere Verdienste hat sich Strodtmann als Uebersetzer, oder sagen wir besser Uebersetzungskünstler erworben. Denn die Kunst des Dichters ist es, der Technik nach wie nach der dabei aufgewandten Empfindung, welche sich in seinen Uebersetzungen von Shelley’s, Byron’s, Tennyson’s und den Gedichten Anderer, von Engländern, Skandinaviern, Franzosen offenbart hat. Viel haben wir seinem Geist, seinem rüstigen Fleiß zu danken. Uns raubte ihn der Tod, ihn trat er als Erlöser an. Sein Andenken sei uns theuer! Ein selten weiches und dabei tiefes Dichtergemüt ging mit ihm zu Grabe.
Johannes Proelß.




Ein Centralverein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen. Auf diesen vor Kurzem in Berlin begründeten und bereits in reger Thätigkeit begriffenen Verein glauben wir die Aufmerksamkeit lenken zu müssen, weil er mit seinen wissenschaftlichen Tendenzen zugleich praktische, das heißt handelspolitische Aufgaben von großer Tragweite verbindet und diese mit Rücksicht auf die Streitfragen verfolgen will, welche augenblicklich in unserem wirthschaftlichen Leben so viel leidenschaftlichen Kampf und lähmenden Zwiespalt erzeugt haben. Hauptzweck des Vereins ist es, einem Grundleiden unserer Industrie, jener unheilvoll gewordenen Zersplitterung deutscher Arbeit und deutschen Capitals entgegen zu wirken, wie sie unablässig von der planlosen Auswanderung in fremde Staaten herbeigeführt wird, die sodann unter dem massenhaften Beistande der uns entwichenen Kräfte unsere Rivalen und Concurrenten auf dem Weltmarkte werden. Man will also von dem Vereine aus die Auswanderung möglichst zu hemmen suchen. So weit aber der Strom nicht aufzuhalten ist, will man sich bemühen, ihn in Gegenden von vorwiegend landwirthschaftlichem Charakter zu lenken, wo sich in geschlossenen deutschen Niederlassungen ein deutsches Volksbewußtsein zu erhalten vermag und mit Hülfe solcher Colonien neue Absatzgebiete für unsere heimische Industrie gewonnen werden können. In Ländern dagegen, die zu einer solchen Colonisation sich nicht eignen, soll durch Errichtung von Handelscompagnien, Factoreien, Schifffahrtsstationen etc. für die Erweiterung deutschen Absatzes gesorgt werden.

Zur Unterstützung dieser Absichten wird in Berlin ein handelsgeographisches Museum gegründet, während in den überseeischen Ländern durch Ausstellungen brauchbarer deutscher Produkte neue Beziehungen angebahnt, bestehende unterhalten und erweitert werden sollen. Auch dem Rechtsschutze der Deutschen im Auslande wird der Verein eine besondere Sorgfalt zuwenden, und die Mitgliedschaft hochgestellter Reichsbeamten bietet ihm hierzu eine Gewähr guten Erfolges.

Selbstverständlich ist der Verein auf Ausbreitung und Verzweigung berechnet. Schon ist in Leipzig ein regsamer Zweigverein entstanden, der sofort an’s Werk gegangen ist und es sich angelegen sein läßt, die Beschickung der im Herbst dieses Jahres in Sydney stattfindenden internationalen Ausstellung mit Mustern deutscher Erzeugnisse zu veranlassen. Auch in anderen Städten des Reiches soll die Errichtung von Zweigvereinen schon beschlossen sein.

Alle diese handelsgeographischen Vereine jedoch werden auf heimischem Boden zu einer gedeihlichen Wirksamkeit nicht gelangen können, wenn sich ihnen die Deutschen des Auslandes nicht in großer Menge anschließen und an den Berliner Centralverein wahrheitsgetreue Berichte über die wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Länder senden, in denen sie leben. Mitglied des Centralvereins kann Jeder werden, der einen jährlichen Beitrag von mindestens sechs Mark an die Casse desselben zahlt, die Zweigvereine des In- und Auslandes dagegen haben für jedes ihrer Mitglieder jährlich nur drei Mark in diese Hauptcasse zu entrichten. Unentgeltlich wird den Mitgliedern das Vereinsorgan verabfolgt, das unter dem Titel „Geographische Nachrichten für Handel und Volkswirthschaft“ in Berlin erscheint. Anmeldungen und Berichte sind an den Vorsitzenden des Centralvereins, Dr. R. Jannasch in Berlin SW., Wartenburg-Straße 13, zu richten.

Bei der Unzulänglichkeit deutscher Berufsconsulate in überseeischen Ländern beklagen sich unsere dort wohnenden Landsleute seit lange sehr schmerzlich und mit vollem Rechte über den Mangel eines organischen Zusammenhanges, eines vermittelnden und von pecuniärem Vortheil absehenden Bindegliedes zwischen ihnen und ihrem Vaterlande. In dem neuen Vereine, wenn er durch angemessene Leitung und zahlreiche Betheiligung zu einer wirksamen Entfaltung sich herausbilden sollte, würde ein solches Organ aus dem Volke heraus und auf dem Wege der Selbsthülfe erwachsen können. Bei starker und weiter Ausbreitung würde er vollaus im Stande sein, den Deutschen im Auslande die Segnungen unserer nationalen Machtstellung in längstgewünschtem Maße zu vermitteln.




Die Disciplinarstrafen auf der nordamerikanischen Marine sind so eigenthümlicher Art, daß es manchen Leser interessiren dürfte, etwas darüber zu erfahren.

Um Vergehen gegen die Schiffsordnung zu ahnden, gebraucht man in vielen Fällen Handschellen und Fußfessel, und werden diese Zwangsmittel auf sehr verschiedene Weise angewendet. Ungehorsam, Lässigkeit im Dienst wird meistens damit bestraft, daß der Delinquent ein oder mehrere Tage lang Hand- und Fußfessel zu tragen hat. Haben nämlich Schiffsjungen irgend welchen Unfug getrieben, so werden dieselben (oftmals drei, vier und noch mehr) mit Handschellen an einander geschlossen, und diese Strafe giebt oft zu recht lächerlichen Scenen Anlaß, da die auf solche Weise zusammengeketteten Knaben gezwungen sind, bei manchen Verrichtungen, wie z. B. beim Essen, die komischsten Manipulationen vorzunehmen.

Schlugen sich zwei Matrosen ernstlich mit einander, so werden dieselben in der Weise gefesselt, daß die Hände des Einen auf dem Rücken des Anderen zu liegen kommen. In dieser umarmenden Stellung müssen nun die beiden Raufbolde sich oft stundenlang in die Augen sehen; sie boxen nach ihrer Befreiung gewöhnlich nicht wieder.

Für das zu späte Erscheinen beim Frühappell haben die mit ihren eigenen Hängematten und Matratzen beladenen Faulenzer eine mehrstündige Promenade auf dem Verdeck zu machen, wobei dieselben von einem Soldaten escortirt werden.

Da bekanntlich viele Seeleute die üble Angewohnheit des Tabakkauens haben, so sind auf jedem amerikanischen Kriegsschiff zahlreiche Spucknäpfe vorhanden. Sollte nun ein Matrose statt ihrer das Deck benutzen, so wird ihm einer der Näpfe umgehangen, und es bleibt Jedem von der Mannschaft unbenommen, denselben auch ferner noch zu benutzen.

Schiffsjungen müssen für Lässigkeit im Dienste mit einem umgestülpten Wassereimer auf dem Kopfe und einer Handspake in der Hand Wache stehen.

Zu den härteren Strafen, als die bisher erwähnten, gehört das Aufhissen (to trice). Die Delinquenten werden mit ausgespreizten Beinen und Armen am Fuß- und Handgelenk an einander geschlossen und ihre Hände sodann an eine über ihren Köpfen aufgespannte Leine befestigt. Sehr oft werden die auf solche Weise Büßenden von Ohnmacht befallen.

Das stundenlange Stehen im Takelwerk ist für die hierzu Verurtheilten auch keine leichte Aufgabe, da die als Strickleiter benutzten Wanten schräg laufen und der Sträfling an der Innenseite dieser Wanten zu stehen oder zu hängen hat.

Am allerübelsten ergeht es auf einem amerikanischen Kriegsschiffe aber demjenigen, dem die Strafe des Schwitzkastens (sweat-box) zugetheilt wird; man muß diese Procedur barbarisch nennen und deren Beseitigung dringend wünschen. Ein Holzkasten, so groß, daß ein Mensch aufrecht darin stehen, aber durchaus keine Bewegungen machen kann, befindet sich zwischen Küche und Maschinenraum, also im heißesten Theil des Schiffes, und hat in der Thür ein ganz kleines Loch, durch welches allein der Gefangene frische Luft zu schöpfen vermag. Zum Schwitzkasten verurtheilte [260] Matrosen halten diese Strafe in seltenen Fällen länger als eine Stunde aus, da gewöhnlich schon früher eine vollständige Erschöpfung eintritt.

Man sieht hieraus, daß die meisten Strafen in der U. S. Navy mehr oder minder darauf berechnet sind, den Delinquenten, gleichviel ob Schiffsjunge oder Matrose, zum Zielpunkt des Spottes und Witzes seiner Cameraden zu machen, ihn moralisch zu demüthigen. Das „Für und Gegen“ eines solchen Strafverfahrens zu erörtern, mag jedem Leser selbst überlassen bleiben.

Eugen Lehmann.




Unsere hungernden Waldleute! – Lange bevor das Brausen der städteverheerenden Theiß und der Hülferuf von Szegedin die menschliche Theilnahme und Mildtätigkeit in ganz Deutschland erweckte, waren die Klagen der Waldbewohner aus dem Spessart hervorgedrungen. Niemand kann ein Vorwurf deshalb treffen, daß vor dem fernen Aufschrei Tausender, die mit den furchtbarsten Schrecknissen in einer Nacht massenhaft in Noth und Tod gestürzt wurden, das Klagen der Hungernden im eigenen Vaterlande überhört worden ist. Es liegt in der menschlichen Natur, daß das Gewaltige eines Ereignisses die Seele fesselt und ein plötzlich hereinbrechendes Unglück rascher Herz und Hand zur rettenden That bewegt, als das leise heranschleichende Elend.

Jetzt aber, wo das Bild dieses Elends einer ganzen Gebirgsbevölkerung in seiner Größe vor uns steht, muß auch für sie, unsere Landsleute, die Hülfe sich zu der entsprechenden Höhe erheben. Nach der Veröffentlichung der königlichen Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg sind nicht weniger als drei Viertheile der Familien im Spessart in der hülfsbedürftigsten Lage, abgesehen von den armen Waldleuten der Rön und des Fichtelgebirgs, die bereits von derselben Noth hart bedroht sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese armen Menschen ihr kümmerliches Dasein von einer Kartoffelernte zur andern fristen, und daß schon eine Mißernte dieser ihrer alltäglichen Nahrungsfrucht sie zu den bittersten Entbehrungen zwingt, auch wenn nicht, wie jetzt in allen diesen Gebirgsgegenden, das Darniederliegen der Industriezweige, auf die sie mit ihrer Existenz angewiesen sind, schon Noth und Jammer genug über sie verhängte.

Die Schilderungen von dem Nothstand im Spessart laufen längst durch alle und namentlich die süddeutschen Zeitungen. Wenn wir dennoch wenigstens einige Züge des entsetzlichen Bildes hier mittheilen, so geschieht dies für unsere zahlreichen Leser jenseits der Meere, zu denen andere Blätter nur selten gelangen. Auch ihre Hülfe nehmen wir in Anspruch; – ihre Gaben kommen nicht zu spät, den hier gilt es nicht, für den Augenblick oder für wenige Wochen, sondern auf ein ganzes Jahr und länger hinaus zu sorgen und zu schaffen, um die Lebensmöglichkeit von Tausenden für die Zukunft zu sichern.

Man glaubt sich in die schlimmsten Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs versetzt, wenn man vernimmt, daß nicht einzelne, in Gutherzigkeit die Darstellung der Noth leicht übertreibende Privatpersonen, sondern daß die Glieder „einer hohen Regierungs-Commission“, die Wahrheit der Zeitungsberichte bestätigend, in den unglücklichen Districten Haus bei Haus „kein Brod, keine Kartoffeln, kein Salz“ fanden, sondern „eine Bevölkerung, welcher der Hunger zu den Augen heraussieht und die in stummem Kummer vor sich hinstarrt, entkräftet, muthlos und schon zu schwach zur Arbeit geworden“.

„In der Gemeinde Altenbuch,“ schreibt man, „gilt crepirtes Wild als ein Leckerbissen, und sogar vergrabene Wildschweine werden wieder ausgescharrt und verzehrt.“ Das ist zufällig nur von dieser einen Gemeinde bekannt geworden; wie wird es in vielen anderen aussehen! Und welche Gefahren für den Gesundheitsstand müssen für ganze Districte aus solcher Nahrung und Entbehrung erwachsen!

Es ist dankbar anzuerkennen, daß die königliche Regierung selbst auf die Gegenstände hingewiesen hat, welche zur Stillung des Hungers und als Hülfsmittel bei ausbrechenden Krankheiten zunächst nothwendig sind, und wir theilen deshalb das Betreffende aus dem öffentlichen Erlaß mit. Es heißt daselbst:

„An Nahrungsmitteln sind hauptsächlich erforderlich: Erbsen, Bohnen, Linsen, Kartoffeln, Weißmehl, Salz, Reis, Getreide, Schmalz, Speck, Kaffee und Zucker, Rothwein, geräuchertes Fleisch, überhaupt gut aufzubewahrende und transportfähige Nahrungsmittel.“

Neben letzteren sind aber auch Kleidungsstücke und Leibwäsche willkommen, denn namentlich die armen Kinder haben in ihren Lumpen in dem harten Winter unsäglich gelitten. Und wenn auch die nun endlich aufgegangene Sonne des Frühlings von den beiden Hauptfeinden der Armuth, Hunger und Frost, den letzteren vertreibt, so wollen wir doch daran denken, daß der Winter wiederkommt und Alt und Jung dort für ihr langes Leiden die Freude ganzer und schützender Kleidung verdient haben.

Das Haupterforderniß aber bleibt immer – das Geld. Denn wenn auch die Hungersnoth überwunden und die Bevölkerung vor verheerenden Krankheiten bewahrt ist, so würde sie doch mit leeren Händen vor ihren Aeckern stehen und weder Kartoffeln noch Getreide zur Aussaat haben. Dazu müssen vor Allem die Mittel beschafft werden.

Mit Freude können wir es aussprechen, daß sich die Theilnahme für unsere hungernden Waldleute im Spessart bereits kräftig geregt hat, wenn sie auch mit der für Szegedin noch in keinem Vergleich steht. Um so mehr muß hervorgehoben werden, welche edlen Züge von Opferfähigkeit sich dabei bemerkbar gemacht haben. Die Soldaten der letzten Compagnie des 17. baierischen Infanterieregiments „Orff“ in Germersheim darbten sich 75 Laib Brod am Munde ab, um es den Nothleidenden in Unterfranken und Aschaffenburg zuzusenden. Ebenso schickte das 4. baierische Infanterieregiment „König Karl von Württemberg“, zur Zeit in Metz, 100 Mark für die Spessartdörfer, und das Musikcorps des 4. baierischen Jägerbataillons in Landshut 200 Mark mit derselben Bestimmung nach Aschaffenburg.

Mögen solche ehrenwerthe Beispiele in allen Bevölkerungsclassen Nachahmung finden! Auf mehr Dankbarkeit können wir bei unseren armen Landsleuten sicher rechnen, als bei all den Wohlthaten, die wir bis jetzt dem Auslande erwiesen haben. Die deutsche Nation hat sich jedoch noch durch keine Erfahrung des Undanks abhalten lassen, dem Drange des Herzens zu folgen, wo die Noth um Hülfe rief, ob dies an der Theiß oder an der Rhone geschehen. Um so mehr aber ist zu erwarten, daß sie gegen die eigenen Landeskinder ihre volle Schuldigkeit thue.

Da die „Gartenlaube“ nicht ohne höhere Genehmigung selbst Sammlungen dieser Art unternehmen darf, die Zeit aber drängt, so bitten wir unsere Leser, ihre Gaben, mit Vermeidung des Umweges über Leipzig, sofort an das „Centralhülfscomité in Aschaffenburg“ zu richten.

Wir schreiben heute den zweiten April. Vierzehn Tage vergehen, ehe diese Nummer in die Hände der Leser kommt. Es könnte deshalb leicht möglich sein, daß bis dahin der äußersten Noth abgeholfen wäre. Wünschen wir dies sogar von ganzem Herzen! Aber lassen wir uns dadurch nicht abhalten, in dem Sammeln der Gaben fortzufahren, und auch künftiger Noth vorzubauen! Das Schicksal der Bevölkerung darf nicht wieder von der ersten Kartoffel-Mißernte abhängen. Wenn die Mittel so reichlich flössen, daß noch ein Uebriges möglich würde: die Verpflanzung nährender Beschäftigung in diese Walddistricte, z. B. die Benutzung eines Theils des Waldreichthums zu einer einträglichen Holzindustrie, als Ersatz für die darniederliegende Eisenindustrie – erst dann würde ein ganzes Werk auch für die Zukunft des Spessart vollbracht sein.




Familie von Poellnilz. Vor einiger Zeit suchten zwei fremde Damen das Gemeindebureau von Stötteritz bei Leipzig auf, um sich nach Verwandten des Hauses von Poellnitz zu erkundigen, die zugleich mit den Namen Baldamus und v. d. Horst in Beziehung ständen. Jenen unbekannt gebliebenen Damen hiermit die Kunde, daß sowohl bei dem genannten Gemeindebureau, wie bei der Redaction der „Gartenlaube“ sich zwei Söhne jenes verstorbenen Herrn von Poellnitz gemeldet haben, über welche ihnen nähere Auskunft zu Gebote steht.




Kleiner Briefkasten.

Vielen Fragestellern wiederholt zur Antwort! Mit anonymen Einsendungen und Anfragen wolle man uns verschonen! Offenes Visir auf Seiten des Publicums; strengste Discretion auf unserer Seite – das war von jeher unsere Parole. Wir beharren entschieden auf unserer altgewohnten Praxis, anonyme Zuschriften der Regel nach unberücksichtigt zu lassen.

Abonnent in Düsseldorf. Wir werden demnächst das beregte Thema in einem Aufsatz aus berufener Feder beleuchten.

E. F. H. in Z. Ihren Wunsch wollen wir erfüllen. Ein bekannter Vogelkundiger hat das Material für den Artikel seit vielen Jahren gesammelt.

E. B. Im Ganzen talentvoll, aber für uns ungeeignet.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig.

Robert Blum.
Ein Zeit- und Charakterbild für das deutsche Volk
von Hans Blum.
Mit R. Blum’s Portrait in Stahlstich und einem Facsimile.
8°. Eleg. brosch. Preis 6 Mark.

Wie weit auch die Zeit vor 1848, in Folge der großen Ereignisse der letzten zwölf Jahre, hinter uns liegt, so darf der Verfasser doch mit Recht behaupten, daß das deutsche Volk dem Namen Robert Blum’s als des Repräsentanten der Idee einer freiheitlichen Gestaltung Deutschlands ein treues Andenken bewahrt hat. In den letzten Jahren hat sich die Socialdemokratie bemüht, Blum als einen der Ihrigen darzustellen. In dieser Beziehung ist denn das Buch, in welchem der Sohn das Bild des Vaters nach den zuverlässigsten Quellen zeichnet, von actueller Bedeutung. Das Leben, welches sich hier vor uns entrollt, ist ein einziger Protest gegen die heutige socialdemokratische Anschauungsweise. Vor Allem die reine und innige Vaterlandsliebe, welche Blum auszeichnete, bedingt eine himmelweite Kluft zwischen diesem echten deutschen Volksmanne und den Agenten der Internationale. Im Uebrigen ist das vorliegende Buch zugleich von nicht zu unterschätzendem Werthe für die Geschichte der deutschen Bewegung vor und in dem Jahre 1848.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Ein“