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Die Gartenlaube (1879)/Heft 32

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[529]

No. 32. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Die Baronin war, ohne sich umzusehen, in das Atelier zurückgekehrt. Und nun ging sie von Schrank zu Schrank; keine der Thüren war verschlossen; die meisten Schubfächer waren leer oder mit Zeichnungen und Entwürfen gefüllt. Sie suchte auf den Simsen und Borden – jedenfalls nach irgend einem achtlos liegengelassenen Brief.

Die Stiftsdame war an die Staffelei getreten. Anfänglich hatte sie in regungsloser Ueberraschung wie angewurzelt gestanden – aber nun entfuhr ihr ein Ausruf der Entrüstung. Sie rauschte um einige Schritte von dem Bilde weg.

„Ich bitte Dich, Clementine, lasse doch dieses widerwärtige Spioniren!“ rief sie in zürnender Ungeduld. „Komm lieber hierher und sieh, was Du durch Deine Indolenz verschuldet hast!“

„Mein Gott, was hast Du denn wieder?“ antwortete die Baronin ärgerlich über die Schulter hinüber. Sie hatte eben ein leeres Couvert in einem der Fächer gefunden und schien jeden Buchstaben der Adresse mit den Augen zu verschlingen. „Ist das nicht von Damenhand?“ fragte sie, eilig das Atelier durchschreitend, und hielt der Stiftsdame das Couvert hin.

„Ich berühre Anderer Briefe grundsätzlich nicht,“ entgegnete diese in herber Rüge und hob abwehrend die Hand. „Wozu diese häßliche Art von Indiscretion? Selbst wenn Dir der Inhalt einen eclatanten Beweis der Untreue in die Hände lieferte“ – eine Flamme innerer Erregung schlug bei diesen Worten über das Gesicht der Baronin hin – „er würde Deinen Mann bei den Unserigen weniger schuldig erscheinen lassen, als dieses Bild hier. Sieh her!“

Sie trat wieder hinter die Staffelei, während die Baronin unter einem Gemisch von Scheu, Verdruß und Widerspruch sich nicht von der Stelle bewegte.

„Ach was – ich mag nicht,“ versetzte sie störrisch. „Du berührst seine Briefe nicht, und ich sehe grundsätzlich seine Bilder nicht an. –“

„Ja, leider! Da rühmst Du Dich, weil Du noch nie das Atelier betreten hast, und jetzt weiß ich, daß Du stets und immer in dieser Werkstätte hättest zugegen sein müssen, um einen Weltskandal zu verhindern.“ Sie streckte die Hand gegen das Bild aus. „Das ist das abscheulichste Tendenzgemälde, das je in die Welt hinausgegangen ist,“ rief sie tief erregt. „Diese hier,“ – sie zeigte auf die herrliche Mittelgruppe – „die Abgefallenen, die Ketzer, die vor Gottes Angesicht Verstoßenen, sie tragen den Nimbus himmlischer Verklärung, und die Getreuen dort, die in Glaubensinbrunst die Waffen ergriffen, um den Fels der Kirche von dem hinaufkriechenden Gewürm zu säubern, sie kommen da hervorgestürzt als mord- und blutgierige Teufel. Und das konnte in seinem Kopfe entstehen, während Du an seiner Seite gingst! Es durfte ungehindert Form und Farbe annehmen, dieweil Du kein anderes Ziel verfolgtest, als den spröden Ehemann als schmachtenden und sclavisch unterwürfigen Liebhaber zu Deinen Füßen zu sehen.“

Die Baronin trat mit einer heftig unterbrechenden Bewegung auf sie zu; mit diesen zwei raschen Schritten aber stand sie auch vor dem Bilde, dessen Anblick sie bisher vermieden hatte. Einen Augenblick schwieg sie, offenbar vor Bestürzung, dann aber fuhr sie zornig mit der flachen Rechten, wie auslöschend, über die Mädchengestalt im Nachtgewande, deren wundervolle Büste der mitleidig übergeworfene schwarze Schleier nur halb verhüllte.

„Schändlich! Was für eine abscheuliche Phantasie er hat!“ stieß sie hervor. „Und da thut er so zurückhaltend und ascetisch und treibt doch insgeheim sündhaften Cultus mit solchen – Nacktheiten.“

Donna Mercedes beobachtete aus ihrem Versteck hinter dem Myrthenstrauch die beiden Frauen. Das kühne, kräftig geschnittene Profil der Stiftsdame hob sich scharf, in fast antiker Linie von dem Hintergrunde des Ateliers. Sie konnte deutlich jeden Zug erkennen, sie sah auch, wie die zwei brennenden, nachtdunklen Augen mit einem verächtlichen Blick die erbitterte Frau seitwärts streiften.

„Das sehe ich kaum,“ sagte sie kalt und achselzuckend. „Ich halte es auch für keine Sünde – die frömmsten Mönche haben den menschlichen Körper in unverhüllter Schönheit auf ihre Bilder gebracht. Hier sündigt allein die Tendenz. Mir kocht das Blut, wenn ich denke, daß auch von hier aus ein Schlag gegen den Katholicismus geführt werden wird, wie es jetzt überall in Wort und Bild aufrührerisch gegen Rom und seine Getreuen anstürmt; von hier, von dem Grund und Boden aus, den sie der Kirche gestohlen haben. Was frage ich nach den besiegelten Documenten der Schillings und der Ketzerfamilie drüben auf dem Klostergute! Der Fleck Erde, auf den die Kirche einmal ihren weihenden Fuß gesetzt hat, ist unveräußerlich – er bleibt ihr, und wenn sie auch Jahrhunderte hindurch der brutalen Gewalt und Willkür weichen mußte, einmal kommt sie wieder zu ihrem Rechte. Und ihr darin beizustehen ist die heilige Pflicht jedes eifrigen Katholiken.“

[530] Mit einer Geberde des ausgesprochensten Hasses wandte sie dem Bilde den Rücken, und ihr fester Tritt hallte auf dem Steinfußboden wider.

„O, daß mir hier die Rechte der Ehefrau, die Befugnisse der Eigenthümerin zustünden!“ fügte sie, noch einmal den Schritt hemmend, hinzu, und das Haupt ausdrucksvoll vorgeneigt, stieß sie die Fingerspitzen der Rechten gegen ihre Brust; „ich zerbräche dem Frevler die Pinsel vor seinen Augen; ich schüttete ihm die verrätherischen Farben vor die Füße – das Bild dort müßte verschwinden, und sollte ich jede Faser der Leinwand mit den Zähnen zernagen.“

Die gewaltige Kraft des Fanatismus, jeder Bewegung, jedem Blick dieser Walkürenerscheinung entströmend, mußte eine unwiderstehliche Gewalt über andere Seelen haben – die Baronin ging von der Staffelei weg wie eine Gestrafte. Sie nahm ihren schleppenden Gang wieder an und kehrte nach dem Schranke zurück; aber einen Schritt davon blieb sie stehen und preßte die Hand auf das Ohr – draußen ließ Pirat ein tolles Freudengebell hören.

„Ich möchte den lärmenden Hund da draußen vergiften,“ rief sie.

In diesem Augenblicke vergrub sich Donna Mercedes förmlich zwischen den schützenden Zweigen – ihr Herz schlug heftig. Sie hörte, daß Pirat losgekettet sein mußte und jenseits des Ateliers näher und näher kam. Es konnte nur Baron Schilling sein, welchem das freigelassene Thier drüben auf der in das obere Gelaß führenden Treppe voraussprang. Er war zurückgekehrt, und die Frau dort, die, noch das confiscirte Couvert in der Hand, vor dem eigenmächtig geöffneten Schranke stehen geblieben war, ahnte nicht, wie schnell sie von dem Beargwohnten in dieser compromittirenden Stellung werde überrascht werden.

Jenes schöne, echt weibliche Gefühl, welches die Niederlage Anderer nicht mit anzusehen vermag, wallte in Donna Mercedes auf – ein warnender Laut drängte sich auf ihre Lippen; aber schon war es zu spät – Baron Schilling trat auf die Gallerie heraus.




28.

Dem heimkehrenden Manne leuchtete ein Strahl der Wiedersehensfreude auf dem Gesichte. Er trug die kleine Paula auf dem rechten Arme und mit dem linken drückte er das Kind fest und zärtlich an seine Brust.... Pirat hatte sich neben ihm durch die Thüröffnung gedrängt und schoß über die Gallerie und die Wendeltreppe herab – wie ein Rasender stürzte er auf die Baronin zu, aus deren Händen das Couvert eben auf den Boden niederflatterte.

Sie stand wie schreckerstarrt, allein die Besonnenheit kehrte ihr rasch zurück – ihre erste Bewegung war, die Schrankthür verstohlen zuzudrücken; in dem Momente jedoch, wo sie sich scheinbar unwillkürlich hinüberbog, fuhr der Hund an ihr empor, als gelte es, einen Dieb von dem Eigenthume des Mannes da droben abzuwehren.

„Willst Du mich von dem Ungethüm zerreißen lassen?“ rief sie empört nach der Gallerie hinauf.

Ein kurzer, scharfer Zuruf von oben – und das Thier stürmte wieder die Treppe hinauf. Baron Schilling wies es mit einer Armbewegung in das Zimmer zurück und schloß die hinter der Gardine befindliche Thür.

„Es thut mir leid, daß ich Dich erschreckt habe, Clementine,“ sagte er, die Stufen herabsteigend. Noch trug er das Kind, das die Aermchen um seinen Nacken geschlungen hatte und sein kleines Gesicht so fest an seine gebräunte Wange schmiegte, daß sich die blonden Locken mit seinem Barte mischten. „Der Hund ist nur scheinbar gefährlich, nur plump und übereifrig, aber er beißt nicht – er ist ja der Spielgefährte der Kinder,“ fuhr er fort, indem er seiner Frau näher trat – sein Blick streifte das hinabgeflogene Couvert und den geöffneten Schrank, und ein Zug von Ironie ging durch sein Gesicht. „Ich konnte nicht ahnen, daß Du zurückgekehrt bist, noch weniger aber durfte ich voraussetzen, Dich hier, hier – es ist wirklich eine seltsame Ueberraschung, Clementine! – zu finden; ich würde sonst dem ungeberdigen Thier nicht gestattet haben, mich zu begleiten.“

Er neigte leicht und kalt grüßend den Kopf vor Fräulein von Riedt und reichte seiner Frau die freie Linke hin.

„So lange Du das Mädchen da auf dem Arme hast, fällt es mir nicht ein, Dir die Hand zu geben,“ sagte sie eisig. „Ich mag beim Wiedersehen keine Fremden um mich haben.“

Bei diesen Worten wandte er den Kopf zur Seite, und während sich seine Brauen zusammenzogen, fixirte er mit einem spöttisch-scharfen, sprechenden Blicke die Stiftsdame, die mit untergeschlagenen Armen schweigend und unbeweglich auf ihrem Platze verharrte.

„Adelheid ist keine Fremde“ – fuhr die Baronin auf.

„Und Lucian’s Kind, mein kleiner Liebling hier, steht mir sehr nahe,“ ergänzte er mit großer Ruhe. Er stellte die Kleine mit zärtlicher Behutsamkeit auf den Boden und nahm ihr Händchen fest in seine Linke – seiner Frau bot er die Hand nicht wieder. Ihre schwachen Füße trugen sie plötzlich nicht mehr – sie sank im nächsten Lehnstuhle zusammen. „Ich habe Beklemmung, Adelheid,“ sagte sie und drückte die verschränkten Hände gegen die Brust.

Die Stiftsdame trat näher und reichte ihr ein Flacon, das sie aus der Tasche zog, während Baron Schilling den dunklen, dichten Vorhang von einem der unteren Fenster wegschob und beide Flügel öffnete. „Man hat während meiner Abwesenheit schlecht gelüftet,“ bemerkte er gleichmütig.

„O, das ist’s nicht,“ entgegnete die Baronin und athmete den Geist der Essenz ein. – „Wie sollte es da mir Aermsten drüben im Hause ergehen, das mit häßlicher Krankenluft erfüllt ist? Um mich und Adelheid vor Ansteckung einigermaßen zu schützen, bin ich gezwungen, Tag und Nacht den erstickenden Dampf der Kohlenpfannen zu athmen.“

„Wie – hat José’s Krankheit noch einen bösartigen Charakter angenommen?“ rief Baron Schilling bestürzt.

„José? – Wer ist José?“ fragte die Baronin gleichgültig, mit einem matten Augenaufschlag. „Du mußt nicht denken, daß ich mir Zeit und Mühe genommen habe, so viel Einblick in Deine Beziehungen zu gewinnen, um mich mit den Namen vertraut zu machen.... Ich weiß nur, daß ich unser Haus in einem beispiellosen Zustande fand, als ich neulich Abends zurückkehrte. Die Dienerschaft war verwildert, ohne Disciplin, wie eine herrenlose Heerde, an ihrer Spitze diese stupide Wirthschaftsmamsell, die ohne Gnade nun endlich den Laufpaß erhalten wird – “

„So?!“

„Ganz sicher – diesmal werde ich ihre Entlassung durchzusetzen wissen – darauf verlasse Dich!... O, wie habe ich mich alterirt an dem Abend! Aus dem heiligen Frieden des stillen Hauses kommend, in welchem ich erzogen bin, berührte mich der trostlose Empfang doppelt niederschlagend. Der Herr Gemahl war verreist – “

„In Erfüllung einer unabweisbaren Pflicht – “

„Ach ja – Du mußtest der durchgebrannten Tänzerin nachreisen,“ fiel sie ein.

Er hatte offenbar eine niederschmettere Antwort auf den Lippen – er rang mit sich. Der Blick, den er auf diese tückische, schlaff zusammengesunkene Frau im Lehnstuhl heftete, sagte deutlicher als die schärfsten Worte, daß er ein tiefunglücklicher Mann sei, ob er auch neulich in Lucile’s Zimmer stolz versichert hatte, er finde an seinem Loos nichts auszusetzen.

„'Lucian’s Wittwe'“ willst Du sagen, Clementine,“ entgegnete er sich bezwingend. „Mit der Tänzerin Fournier habe ich nichts zu schaffen.“

„Ach mein Gott, auf einen so subtilen, haarfeinen Unterschied versteht sich mein schlichter Verstand nicht,“ sagte sie ebenso impertinent obenhin und eintönig wie zuvor. „Nun meinetwegen auch! Solch ein jugendliches Wittwenthum mag immerhin für manche Männer die Bühnenglorie an Anziehungskraft aufwiegen.... Apropos, diese Donna de Valmaseda ist ja auch Wittwe, wie ich höre. Du hast es nicht für nöthig gehalten, mir diese interessante Thatsache mitzuteilen – “

„Hast Du nicht stets jede eingehendere Mittheilung aus Lucian’s Briefen als langweilig abgewehrt?“

„Mein Gott, ja! Aber wer spricht denn von alten Zeiten?“

Die junge Dame hinter dem Myrthenstrauch kämpfte in diesem Augenblick einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, mit ihrem stolzen, wild aufflammenden Blut. Sie sah, wie ihm bei Nennung ihres Namens die Röthe heftigen Unwillens in das Gesicht trat, wie seine Augen sich verdunkelten. Es trieb sie, hervorzutreten, und doch verharrte sie wie gelähmt.

[531] „Hat diese Thatsache, daß Donna de Valmaseda Wittwe ist,“ fuhr der Baron fort, „irgendwie Bezug auf die Stellung der Dame zu mir? Ich habe versprochen, Lucian’s Kinder zu schützen, sie in meine Obhut zu nehmen; wer sie mir zu diesem Zwecke zuführt, das ist wohl Nebensache.“

„Für mich nicht,“ erwiderte die Baronin verdrossen. „Diese Pflanzermadame mit ihrem Sclaventroß ist mir ein Gräuel – sie sieht mir so recht aus wie eine von denen, die ihre Umgebung mit der Peitsche tractiren. Diese überseeischen Pflanzeraristokratinnen sollen wahre kleine Teufel an Hochmuth und boshaften Launen sein.“

Er schwieg und bückte sich über Paula, die mit beiden Händchen seine Linke umfaßt hielt und mit großen Augen unverwandt nach der zürnenden Frau sah – es war der kleinen Verwöhnten offenbar sehr verwunderlich, daß sie keines Blickes gewürdigt wurde. „Wollen wir Pirat fortbringen?“ fragte er. „Der unartige Bursche winselt droben und will hinaus. Deborah soll ihn an der Leine führen, und Du läufst mit.“

Das Kind schlang willig die Arme um seinen Hals, und er trug es wieder die Treppe hinauf.

„Er sieht nicht gut aus und hat eine unerträgliche Laune mitgebracht – bei dem impertinenten Ton seiner Stimme empört sich mir jeder Blutstropfen,“ sagte die Stiftsdame, nachdem er droben hinter der Thür verschwunden war.

Die Baronin antwortete nicht. Sie war aufgesprungen, hatte das Couvert in das Fach zurückgeworfen und die Schrankthür geschlossen. Nun lag sie wieder in den Fauteuil zurückgelehnt und stieß die Fingerspitzen spielend gegen einander, als habe sie nicht für einen Moment ihre Stellung verändert. „Mit dieser Laune will ich schon fertig werden,“ sagte sie anscheinend gleichmütig. „Mir dagegen kocht das Blut, wenn er wie eine Kindsmagd daher kömmt und solch einen unausstehlichen Flachskopf mit einer Zärtlichkeit an sich drückt –“

„Ich halte das für eine Demonstration – der Kinderlosen gegenüber,“ fiel die Stiftsdame ruhig, aber mit Nachdruck ein.

Die Frau im Lehnstuhl fuhr in die Höhe – ihr Gesicht sah ganz entstellt aus vor Grimm. Sie hatte augenscheinlich eine Fluth leidenschaftlicher Worte auf den Lippen, allein in diesem Augenblick rüttelte Baron Schilling draußen an der Thür des Glashauses. Er hatte jedenfalls Paula der im Garten wartenden Deborah wieder übergeben und wollte nun auf dem kürzesten Wege in das Atelier zurückkehren.

Die Baronin griff unwillkürlich und erschrocken nach dem confiscirten Schlüssel in ihrer Tasche, aber schon wurde eine andere, direct aus dem Garten in das Atelier führende Thür von draußen aufgeschlossen.

„Bist Du in das Haus geflogen, Clementine?“ fragte Baron Schilling eintretend. „Alle Eingänge, auch den nach oben, mußte ich aufschließen.“

„Ich habe mir Robert’s Schlüssel zu Deiner Atelierwohnung geben lassen,“ sagte sie nicht ohne Verlegenheit. „Ich meinte, während Deiner Abwesenheit doch einmal nach der Ordnung sehen zu müssen.“

Bei dieser erbärmlichen Ausflucht wandte sich Fräulein von Riedt so hastig ab, daß ihr Seidenkleid in jeder Falte rauschte.

„Du bist sehr gütig. Diesem Ordnungssinn zuliebe hast Du Deine tiefe Abneigung heroisch bekämpft,“ sagte Baron Schilling gelassen. „Nun, da wirst Du gefunden haben, daß man den Boden schlecht fegt, denn alte Couverts liegen umher, und daß die Bedientenseelen sich nicht scheuen meinen Geheimnissen in den Schränken nachzuspüren – ah, Du warst so freundlich, eigenhändig diese verdrießliche Zeugen einer verabscheuungswürdigen Spionage zu beseitigen?“ unterbrach er sich selbst mit einem über Schrank und Fußboden streifenden Spottblick.

Sie erhob sich schweigend. Es mochte ihr tiefgehen, auf einem ihrer dunklen Wege so compromittirend ertappt worden zu sein, aber diese Frau hatte offenbar große Uebung im Vertuschen, im verleugnenden Hingleiten über Geschehnisse, die ihr eine Blöße gaben. Sie ergriff mit hastigen Händen ihre Schleppe und schüttelte sie ab.

„Ach ja, es ist sehr staubig hier – Du bist schlecht bedient,“ sagte sie. „Uebrigens scheint es, als moquirtest Du Dich über mein Hiersein – ich werde selbstverständlich nicht wieder kommen. Aber es ist doch ganz gut, daß ich mich für einmal wenigstens überwunden und einen Blick hier hereingeworfen habe.... Das Bild dort – wirst Du es in die Welt hinausschicken?“

Sie zeigte nach der Staffelei.

„Gewiß – es geht in Kürze nach Wien, um ausgestellt zu werden.“

„Diese Verherrlichung des Ketzerthums? Du hättest wirklich die Stirn, sie als Deine Arbeit vor der Welt anzuerkennen?“

„Soll ich mein eigenes Kind verleugnen?“ Er lachte halb verwundert, halb spöttisch auf und trat unwillkürlich der Staffelei näher, als gelte es, profane Blicke von diesem Lieblingskinde abzuwehren.

„Ein ungerathenes!“ grollte die Baronin in unbeschreiblicher Erbitterung. „Frage Adelheid –“

„Wie – eine Kunstkritik aus diesem Munde? Du wirst begreifen, daß ich sie mir ganz entschieden verbitte,“ rief er mit vernichtendem Hohn, und sein flammendes Auge heftete sich durchbohrend auf die Stiftsdame, die sofort herangerauscht kam. Diese zwei Menschen waren Todfeinde, die sich im Grund ihrer Seele gegenseitig verabscheuten – davon zeugten die Blicke, mit denen sie sich maßen.

„Bilden Sie sich nicht ein, Baron Schilling, daß ich mich je anstrenge, in die Technik Ihrer Kunst einzudringen! Ich fühle mich zu Anderem berufen,“ sagte sie kalt – es waren die ersten Worte, die sie zu ihm sprach, seit er in das Atelier getreten war. Dieses dröhnende, sonore Frauenorgan klang machtvoll an den Wänden hin. „Ich habe für die Correctheit der Linien und die Schönheit des Colorits wenig Verständniß; es fesselt mich die bildliche Darstellung im Ausdruck wie in ihren Motiven überhaupt sehr selten – nur eine verderbliche Tendenz, die der Pinsel zu verewigen sucht, vermag mich zu erregen. Diese Abtrünnige hier“ – sie zeigte auf die Gestalt der greisen Hugenottin – „trägt die Märtyrerglorie – “

„Mit allem Recht. Oder soll ich dem Glaubensfanatismus einer Stiftsdame zuliebe die Weltgeschichte fälschen?“

„Als ob das nicht bereits die eclatanteste Fälschung sei!“ rief sie, den Arm gegen das Gemälde ausstreckend, in ausbrechender Leidenschaftlichkeit. „In jener heiligen Nacht, die man die Bartholomäusnacht nennt, war jede Hand, welche die Waffe auf ein Hugenottenherz richtete, die strafende Hand Gottes selbst – “

„Bitte, Fräulein von Riedt – ich dulde nie, daß in dieser meiner stillen Werkstatt der Confessionshader laut werde.“

„Und entfesseln Sie ihn denn nicht selbst in geradezu verbrecherischer Weise?“

„Ach ja, in unserer Zeit ist jeder Künstler, jeder Denker ein Verbrecher, sobald er nicht vertuscht, sondern an der Wahrheit festhält und das wahrhaft Gute und Edle will – man beschuldigt ihn der aufdringlichen Tendenz, mag er sie gewollt haben oder nicht. Aber ich habe bereits erklärt, daß ich mir Ihre kritischen Bemerkungen entschieden verbitte, mein Fräulein. Wo es Ihnen gelingt, den Fuß hinzusetzen, da wurzelt er auch sofort fest, wie eine verderbliche Schlingpflanze, und das Terrain ist erobert. Auf diese Weise habe Sie sich in meinem Hause eingenistet und einen Frauenwillen unterjocht, der sonst an Starrheit nichts zu wünschen übrig läßt. Von diesem Gebiete habe ich mich zurückgezogen – ich überlasse es Ihnen. Ich mag keinen Besitz, den ich täglich, stündlich immer wieder dem bis zum Wahnwitz gesteigerten Fanatismus abringen muß. Aber hier, um das edle Antlitz meiner Kunst, meiner Heiligen, der unermüdlichen Trost- und Freudenspenderin, sollen mir die Nachteulen und Fledermäuse ganz gewiß nicht flattern – “

„Arnold!“ Die Baronin stürzte auf ihn zu und ergriff mit beiden Händen den Arm des Sprechenden – es lag eine unbeschreibliche Angst in ihren Zügen. „Widerrufe, Arnold! Du willst nicht sagen, daß Du Deine Kunst über Dein Weib stellst, nein, das willst Du nicht sagen.“

Er stand unbeweglich.

„Ich habe gesagt, was wahr ist,“ versetzte er eisig. „Ich habe sie erwählt. Sie zeigt und führt stets nach oben; nie reißt sie mich hinab und zwingt mich, in die verhaßten, dunklen Schlupfwinkel zu blicken, als da sind Verstellung, Lug und Trug, Herrschsucht und boshafte Launen in der weiblichen Seele. Nie hat sie sich als treulos erwiesen – “

„War ich Dir nicht treu?“ fuhr die Baronin auf.

„Du cultivirst eine Freundschaft gegen meinen Wunsch und [532] Willen, die Unfrieden und Hader in unsere Ehe getragen hat.“ Er zeigte auf die Stiftsdame, die mit untergeschlagenen Armen, die Lippen festgeschlossen und kühne Herausforderung auf der Stirn, unverwandt die Augen auf ihn gerichtet hielt. „Sie mag es widerlegen, wenn ich Dich beschuldige, den Namen Deines Mannes fort und fort durch gehässige Anklagen und Mittheilungen verunglimpft zu haben.“

„Sind Sie so fehl- und sündenlos, daß Sie über jeder Anklage zu stehen vermeinen?“ fragte die Stiftsdame nach einem augenblicklichen Zögern.

Der Schatten eines verächtlichen Lächelns glitt über sein Gesicht.

„Das sprach die Diplomatin, der gutgeschulte Klostersendbote,“ sagte er. „Ich bin nicht fehl- und sündenlos; die Schilling’s sind gesunde Erdgeborene – und ich kann das Blut meiner Vorfahren nicht verleugnen. Sie waren sammt und sonders keine lammfrommen, unterwürfigen Ehemänner; ich glaube nicht, daß wir auch nur einen einzigen Pantoffelhelden zu verzeichnen haben. Diese Unlenksamkeit mag mancher Schilling’schen Ehefrau ein Dorn im Auge, ein Stein im Wege gewesen sein, allein die Annalen unseres Hauses nennen nicht eine Treulose, die durch bösartigen Klatsch hinter dem Rücken ihres Mannes seine Ehre angegriffen hätte.“

Er ging nach der Thür, durch welche er vorhin in das Atelier zurückgekehrt war, und öffnete sie weit; dann verbeugte er sich leicht gegen die Stiftsdame und schritt nach der Wendeltreppe, um sich in das obere Gelaß zurückzuziehen.

„Du weisest Adelheid aus unserem Hause?“ rief die Baronin wie außer sich.

Er blieb, die Hand auf das Geländer gelegt, an der untersten Stufe stehen und wandte das Gesicht zurück.

„Ich glaube das nicht zum ersten Mal zu thun,“ sagte er mit großer Ruhe. „Allein Fräulein von Riedt verfolgt ‚höhere Ziele’, die ihr verbieten, höflich angedeutete Wünsche zu verstehen und die Stimme des eigenen weiblichen Zartgefühls zu beachten. Jeder andere Mann würde nach so vielen mißglückten gütlichen Versuchen, einen unheilstiftenden, bösen Geist aus seiner unmittelbaren Nähe zu entfernen, von dem ihm zustehenden Recht als Hausherr energischen Gebrauch machen – das widerstrebt mir. Ich muß mich darauf beschränken, gegen jedes fernere Betreten meines Ateliers Protest einzulegen und mich hier zu isoliren – ich werde das Säulenhaus nicht mehr betreten, so lange Du Besuch hast.“

Festen Schrittes stieg er die Treppe hinauf und verschwand hinter der Gardine; man hörte, wie er auch die Thür kräftig hinter sich zudrückte.

Die Baronin starrte ihm nach, als erwarte sie, ihn jeden Augenblick reuig wieder hervortreten zu sehen – plötzlich nahm sie ihre Schleppe auf und eilte nach der Treppe, aber schon stand Fräulein von Riedt neben ihr – sie war dahingerauscht wie ein Dämon, der seine schwarzen Fittige über eine ihm verfallene Seele breitet. Sie sprach kein Wort; mit raschem Griff nahm sie die Hand, die eben das Geländer umfaßte, und zog sie herab. Und in dieser Berührung mußte eine seltsame Kraft, eine Uebergewalt liegen; denn die Frau mit dem eigensinnigen Gesicht, das jetzt in die dunkle Röthe aufgestürmter Leidenschaft getaucht war, zog den Fuß zurück, den sie bereits auf die untere Stufe gesetzt hatte – freilich unter allen Zeichen des Widerspruches und mit einem Ausdruck, als kämpfe sie Thränen des Zornes, der inneren Wuth nieder. Aber sie ging mit – sie rang ihre Hand ungeduldig los und schritt nach der offenen Thür.

„Da hinaus gehen wir nicht,“ erklärte Fräulein von Riedt fest, und der schneidende Hohn in ihrer Stimme besagte, daß sie durchaus nicht gewillt sei, den Weg zu betreten, auf den „der Hausherr“ sie gewiesen. „Schließe die Thür des Glashauses auf – der Schlüssel muß ohnehin wieder an Ort und Stelle!“

Sie traten in den Wintergarten, und die Baronin zog den Schlüssel aus der Tasche. Donna Mercedes hörte ihr tiefes Athmen – es kam aus einer vor Aufregung keuchenden Brust. „Reise ab, Adelheid!“ preßte sie flehend hervor.

„Ich bleibe!“ entgegnete die Stiftsdame kalt. „Der Erbärmliche soll mich nicht um eine Linie breit von meinem Weg ablenken. Mehr als je habe ich an meiner Aufgabe festzuhalten, da es ein so jämmerlich schwankendes Rohr ist, das ich stützen muß. Du hast unzählige Mal versprochen, Dich aus den entwürdigenden Banden zu retten. Sobald Du unter uns bist, geberdest Du Dich, als sei Dir alle sinnliche Leidenschaft tief verhaßt; Du spielst mit Vorliebe die Heilige. Und die treuen Führerinnen unserer Jugend glauben auch steif und fest, daß in Deine Seele nie ein unreiner Wunsch gekommen, daß Du einfach das bethörte Opfer des speculativen alten Freiherrn geworden seiest – sie hast Du zu überzeugen gewußt, mich aber nicht, mich niemals! Und wenn sie Alle denken, Schilling klammere sich an Deinen Reichthum, er verhindere immer wieder Deine endliche Rückkehr in den Orden, dessen Eigenthum Du eigentlich bist, so weiß ich am besten, daß Du nicht willst, daß sich Deine sündhafte Neigung an jedem Strohhalm festhält, den Dir die trügerische Hoffnung hinwirft. Aber unser Pact, nach welchem Du gelobt, mit mir zu gehen, sobald Schilling selbst all und jede Liebe für Dich leugnet, dieser Pact hat sich eben erfüllt – aus jedem Wort, aus jeder seiner Geberden sprach der entschiedenste Widerwille, sprachen Haß und Verachtung – er hat Dich nie geliebt – nie!“

Die Stiftsdame hatte während dieser ganzen Strafrede die Frau an ihrer Seite festgehalten. Die kräftig geformten, schönen, weißen Hände, die das hagere Gelenk und den Arm der Baronin umspannten, mußten wie Eisenstangen fesseln – wie hätte sonst die Frau der schonungslosen Bloßlegung ihrer verheimlichten Neigungen und Triebfedern gegenüber ausgeharrt?... Aber nun, bei den letzten Worten der Stiftsdame gelang es ihr, sich loszureißen – die Glasthür flog auf, und die Baronin eilte wie gejagt nach der Platanenallee, während ihr Fräulein von Riedt in unerschütterter Haltung und Ruhe folgte.




29.

Der Weg war frei. Tiefathmend, mit heftig pochendem Herzen und das flammende Roth des stürmisch kreisenden Blutes auf den Wangen, floh Donna Mercedes aus dem Glashause.

Draußen, zwischen den Fichtenstämmen, sah sie Paula’s helles Kleid schimmern. Die Kleine spielte dort, und Deborah war bei ihr; Pirat aber steckte schon wieder in seiner Klause; er bellte von dort den davoneilenden Damen wüthend nach.

Donna Mercedes ging in das Fichtenwäldchen. Paula jubelte ihr entgegen; das Kind entnahm einer großen Holzschachtel verschiedene reizende Spielereien und reihte sie auf einem Gartentische neben einander – „der gute Herr“ habe das dem Goldkinde aus Berlin mitgebracht, sagte Deborah. Von Lucile war nicht die Rede – Baron Schilling’s Mission hatte also, wie er vorausgesagt, nicht den gewünschten Erfolg gehabt.

Es war Donna Mercedes selbst verwunderlich, daß diese Gewißheit sie so merkwürdig kalt lasse. Die ganze Angelegenheit mit ihrem Gefolge von Aufregung und Befürchtungen erschien ihr in diesem Moment so abgeblaßt, wie etwas längst Vergangenes, halb Vergessenes neben den Eindrücken, die sie eben empfangen. Sie fühlte ein beängstigendes Schauern bei dem Gedanken, daß sie unmittelbar nach jenen Scenen mit dem tieferregten Mann verkehren sollte – Scheu vor ihm, Angst vor sich selber. Diese Bangigkeit vor irgend einem durch eigene Schuld heraufbeschworenen rauhen Worte hatte sie nie, auch in frühester Jugend nicht empfunden. Ihr sonst ziemlich willenskräftiger Vater, die unbeugsame Mutter hatten dem vergötterten, einzigen Lieblinge gegenüber niemals eine Rüge über die Lippen gebracht – im Gegentheil, jedes leichte Stirnrunzeln, jeder ärgerlich eigensinnige Blick waren begütigend hinweggekost worden.... Baron Schilling zürnte in unversöhnlicher Weise. Sein Anathema gegen die weiblichen Untugenden, die boshaften Launen, erstreckte sich auch auf die Amerikanerin, die neuerdings in seinen Gesichtskreis getreten, – das hatte sie wie einen Dolchstich gefühlt.... Seine Kunst sei die Erwählte seiner Seele, hatte er gesagt. Mit diesem Idealwesen, „das ihn nie zwang, in die dunkeln Schlupfwinkel der weiblichen Seele zu blicken“, konnten sich freilich die Sterblichen nicht messen – dachte sie erbittert. Sie hatten Blut und Nerven, und der Erdenstaub legte sich auf die Flügel ihrer Seele und ließ sie nicht hinaufflattern in die Regionen, die hoch über der bösen Zunge der Menschen schweben.

Nicht lange hatte sie gedankenvoll neben der spielenden Kleinen gesessen, als sie seinen Schritt hörte.

(Fortsetzung folgt.)
[533]
Die zweihundertste Auflage eines deutschen Schulbuches.
Von Adolf Ebeling.


Es war zu Anfang der dreißiger Jahre, als eines Tages ein junger Mann dem Buchhändler Dumont in Köln ein kleines Manuscript zum Verlegen anbot. Der Titel dieses Manuscripts lautete: „Praktischer Lehrgang zur schnellen und leichten Erlernung der französischen Sprache“, und der Name des Verfassers Franz Ahn. Der Verleger fand Gefallen an dem strebsamen und intelligenten jungen Manne, der mit großer Klarheit seine neue Methode kurz und bündig aus einander setzte und dessen Ansprüche, wie sein ganzes Auftreten dabei sehr bescheiden waren. Man einigte sich leicht. Es galt gewissermaßen einen Versuch, die veralteten französischen Lehrbücher, die fast durchweg mit dem abstracten theoretischen Theil, speciell der Grammatik, begannen, durch eine rein praktische Unterrichtsweise zu ersetzen.


Franz Ahn.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.


Der Erfolg des kleinen, kaum hundert Druckseiten umfassenden Buches war gleich bei seinem ersten Erscheinen ein ganz außergewöhnlicher und hat im Laufe der Jahre in so kolossalen Proportionen zugenommen, daß in diesem Jahre, also nach kaum etwas über vier Decennien, die zweihundertste Auflage erscheinen wird. Ein solches, selbst bei den bedeutendsten und weitest verbreiteten Schulbüchern fast beispielloses Resultat dürfte wohl ein hinreichender Grund sein, dem großen Leserkreise der „Gartenlaube“ den Verfasser und sein Werk in kurzen Umrissen vorzuführen.

Franz Ahn wurde im Jahre 1796 in Aachen geboren, also nur wenige Jahre vor dem Frieden von Campo-Formio und dem späteren von Lüneville, wodurch bekanntlich Belgien und das linke Rheinufer an Frankreich kamen. Aachen wurde die Hauptstadt des Roer-Departements und Ahn’s Vater zum Bureauchef bei der Präfectur ernannt. Die französische Regierung, oder richtiger der General Bonaparte, blieb auch hier dem alten Princip getreu, die tüchtigen Beamten der neuerworbenen Länder in ihren Stellen zu lassen oder zu höheren Aemtern zu befördern. Im Uebrigen wurde Aachen aber bald ganz französisch, so auch in Bezug auf die Schulen, in welchen die vorgeschriebene Unterrichtssprache die französische wurde, was in jenen deutschen Grenzländern, die im steten und directen Verkehr mit Frankreich gestanden hatten, nur auf geringe Schwierigkeiten stieß. Dieser Umstand wird jedenfalls nicht ohne Einfluß auf die Entwickelung des Knaben in Bezug auf die französische Sprache geblieben sein und erklärt zugleich seine Vorliebe für dieselbe und für das geistige Leben in Frankreich, obwohl er stets seinem deutschen Vaterlande aus vollem Herzen zugethan war. Soll er doch in späteren Jahren, wenn die Rede auf die Befreiungskriege kam, oft beklagt haben, wegen seines allzu jugendlichen Alters davon ausgeschlossen gewesen zu sein, und mehr als einmal hat er als Mann seine echt deutsche und patriotische Gesinnung an den Tag gelegt.

Auf den Wunsch seiner Eltern trat der junge Ahn bei einem Aachener Kaufmann in die Lehre, aber nur für kurze Zeit, denn sein innerer Beruf wies ihn auf andere Bahnen. Zunächst suchte er seine tüchtige Kenntniß der französischen Sprache zu verwerthen, und da gerade am Gymnasium seiner Vaterstadt eine diesbezügliche Lehrerstelle neu besetzt werden sollte, bewarb er sich um dieselbe und erhielt sie auch, obwohl er der jüngste unter den zahlreichen Concurrenten war.

Aber der enggezogene Wirkungskreis eines bloßen Lehrers der neueren Sprachen genügte ihm nicht, und er gründete einige Jahre darauf eine Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für junge Leute mit dem speciellen Zweck einer praktischen Vorbereitung derselben für den Handelsstand. Diese Anstalt, die bald bekannt wurde und florirte, ist schon insofern interessant, als man sie mit Recht „einen Vorläufer des späteren Realschulwesens“ nennen darf, denn schon gegen Ende der zwanziger Jahre stellte der junge Ahn für seine Schule fast ganz dasselbe Programm auf, das in den vierziger Jahren (und strenggenommen erst durch die neue preußische Schulordnung vom 6. October 1859) für die Realschulen in den Rheinlanden vom Unterrichtsministerium in Berlin festgesetzt wurde. Als später die Stadt Aachen die Ahn’sche Anstalt übernehmen, ihr aber, Gott weiß aus welchem Motiv, einen anderen Director und dem Gründer nur die erste Lehrerstelle geben wollte, ließ sie dieser, da sie ohne ihn nicht bestehen konnte, lieber ganz eingehen und folgte im Jahre 1843 einem Rufe nach Neuß als Lehrer der neueren Sprachen an der dortigen Realschule, wo er bis zu seinem Tode (1865) auf das Segensreichste gewirkt hat.

Wir haben indeß für unseren heutigen Artikel weit weniger jenen Wirkungskreis im Auge, als das bereits oben erwähnte Lehrbuch, das den Namen des Verfassers bald durch ganz Deutschland trug und später zu einem europäischen machte, ja mehr als das, denn das Ahn’sche Lehrbuch, oder richtiger die Ahn’sche Methode, ist so ziemlich in der ganzen Welt, wo es Schulen und Unterrichtsanstalten giebt, verbreitet. Wie neuerdings in Japan, so war schon früher in Peking die Ahn’sche Methode zur Erlernung fremder Sprachen in Anwendung gekommen, und Schreiber dieses hat noch in den letzten Jahren an der ägyptischen Kriegsschule zu Kairo den deutschen Unterricht nach dem arabischen Ahn geleitet. Doch davon weiter unten noch einige nähere Notizen.

Die Ahn’sche Methode könnte man wirklich mit dem Ei des Columbus vergleichen. Als sie da war und sich schnell und mit überraschend günstigem Erfolge bewährte, gab es nicht wenig Schulmänner, die über die Einfachheit derselben lächelten und fast geringschätzend sagten: „Wenn es weiter nichts ist – das begreift ja jedes Kind, was braucht es da groß Kopfzerbrechen?“ Gewiß, ihr Herren, und jetzt hattet ihr gut reden, wo das Ei auf der Spitze stand. Die neue Methode war auch nur für Kinder, aber sowohl für die kleinen wie für die großen, denn im Gebiete des Lernens ist jeder Anfänger, und wäre er [534] noch so alt, nur ein Kind. Dieser Gedanke ist auch die eigentliche Basis der Ahn’schen Methode. Wie die Mutter ihrem Kinde für die ersten kindlichen Begriffe und Vorstellungen die Wörter vorspricht, dann die Wörter zu kleinen Sätzen gestaltet, aus den kleinen Sätzen größere macht und, indem sie nach und nach den Kreis der Begriffe und Vorstellungen erweitert, das Kind auf diese Weise sprechen lehrt – gerade so verfährt die Ahn’sche Methode, und das ist ihr ganzes Geheimniß.

Der bisherige Schlendrian, dem die meisten Lehrer mehr aus Ueberlieferung als aus innerer Ueberzeugung anhingen und der eine möglichst gründliche Kenntniß der Grammatik als erstes Erforderniß bei Erlernung einer lebenden Sprache anstrebte, dieser Schlendrian wurde durch das neue Ahn’sche Lehrbuch gründlich beseitigt, und Lehrer und Lernende fühlten sich dadurch wie in einer neuen Welt. Hier war Alles so einfach und so klar, und dabei doch so durchdacht und in so richtigem Fortschritt geordnet, daß Unterricht und Lernen angenehm und leicht wurden. Dabei muß man aber ja nicht denken, daß die Ahn’sche Methode nur ein oberflächliches Wissen bezweckte und die Grammatik nur nebenbei behandelte oder gar vernachlässigte – alles Vorwürfe, die dem Verfasser schon deshalb sofort in Menge entgegen traten, weil sein Lehrbuch alle anderen verdrängte – im Gegentheil, gleich in den ersten Lectionen werden kurze grammatische Regeln gegeben, aber stets nur das Nöthigste und frei von jedem abstracten Wust. Natürlich gilt dies nur in Bezug auf den „Praktischen Lehrgang“, mithin nur vom sprachlichen Elementarunterricht; für das Weiterstudium speciell der französischen und englischen Sprache verfaßte Ahn noch eine außerordentlich große Anzahl anderer Lehrbücher, die wir hier unmöglich auch nur nach ihren Titeln aufführen können, da sie in den Katalogen eine ganze Reihe von Seiten füllen. Nur die in Mainz (bei Kupferberg) jetzt schon in der 36. Auflage erschienene französische Grammatik sei hier erwähnt, weil sie nach dem Urtheil bewährter Schulmänner zu den besten ihrer Art gehört und den Verfasser als einen gründlich gebildeten Philologen documentirt.

Der auffallend günstige Erfolg des „Lehrganges“ veranlaßte Ahn alsbald, dieselbe Methode auch umgekehrt und zwar zunächst für Franzosen zur Erlernung der deutschen Sprache anzuwenden, alsdann für Engländer, Italiener etc., und in allen Ländern fand die praktische Methode den größten Anklang, sodaß 30, 40 und 50 Auflagen auch von diesen Büchern noch bei Lebzeiten des Verfassers erschienen. Und da einmal der Anstoß gegeben war, so konnte die Methode leicht immer weiter und weiter ausgenutzt werden: französisch und englisch und umgekehrt; französisch und italienisch und umgekehrt und so fort, bis in’s Unendliche, möchte man fast sagen, da der deutsche Theil des Lehrganges in alle lebenden europäischen und auch in viele außereuropäische Sprachen übersetzt wurde. Rechnet man Alles zusammen, so kommen (es ist wirklich nicht übertrieben!) Millionen Exemplare heraus, auf denen der Name Franz Ahn als Verfasser steht. Von den vielen Nachahmungen, welche die Ahn’sche Methode in’s Leben rief, noch gar nicht zu reden. Sogar auf die alten Sprachen wendete man die neue Methode an und in den unteren Classen mit Erfolg, obwohl der Hauptzweck derselben, das sofortige Sprechenlernen, hier nicht in Betracht kommen konnte.

Als in Frankreich mit dem neuen Kaiserthum, und zwar nach dem speciellen Willen des Kaisers, das deutsche Sprachstudium wieder auf allen Staatsschulen obligatorisch wurde, entschied man sich in dem sogenannten „Conseil supérieur de l’Instruction publique“ alsbald für das Ahn’sche Lehrbuch, anfangs nicht ohne Widerspruch von Seiten der Universität, der, ähnlich wie manchem deutschen Professor, „Der kleine Ahn“ nicht gelehrt genug war. Schon früher hatte ich selbst Gelegenheit gehabt, eine Lanze für den Landsmann zu brechen, und ich freue mich noch heute so darüber, daß ich nicht umhin kann, den Vorfall kurz zu erzählen.

Beim mündlichen Examen zur Aggregation an der Sorbonne bekam ich zuerst ein Capitel aus Lessing’s „Laokoon“ zur französischen Uebersetzung und Erklärung. Die Herren Examinatoren, meist französische Akademiker, machten sich die Sache sehr leicht, weil sie die gedruckte französische Uebersetzung neben sich liegen hatten und mehr in diese, als in das deutsche Original hineinschauten; nur bei den grammatikalischen Fragen kamen sie manchmal in Verlegenheit, weil eben davon nichts in ihrem Buche stand. Als aber später wie zufällig die Rede auf die Declinationen kam (bekanntlich ein sehr heikles Thema der deutschen Grammatik), erklärte ich dieselben nach Ahn’s „Zweitem Cursus“ so kurz und bündig, daß ich, ob des leichten Verständnisses, allgemeine Zustimmung fand, die indeß von einigem Erstaunen begleitet war, als ich meinen Gewährsmann nannte. Dies führte uns zu einer Discussion über die Ahn’sche Methode, und ich hatte die Genugthuung, die gelehrten Herren, von denen damals gar viele von Ahn kaum mehr als den Namen kannten, so einstimmig dafür zu gewinnen, daß mir der Vorsitzende, der Generalinspector Duruy (der spätere Unterrichtsminister) versicherte, auch ihm erscheine diese Methode als die einfachste und am meisten praktische von allen anderen. Bald darauf wurde sie auf allen französischen Staatsschulen eingeführt.

Einen noch eclatanteren Beweis dafür sollte ich zwanzig Jahre später, noch dazu in einem fremden Welttheile, erleben, nämlich in Aegypten an der viceköniglichen Kriegsschule, wohin ich 1873 zur Leitung des deutschen Unterrichts berufen wurde.

Der Khedive hatte bekanntlich seinen zweiten Sohn, den Prinzen Hassan, zur militärischen Ausbildung nach Berlin geschickt und zugleich decretirt, daß seine Cadetten auch deutsch lernen sollten – alles in Folge der gewaltigen Machtstellung Deutschlands nach dem deutsch-französischen Kriege, wodurch das frühere Uebergewicht Frankreichs in Aegypten einen so harten Stoß erlitten. Jetzt galt es, „die Sprache Bismarcks“ auch der ägyptischen Jugend und zunächst der militärischen beizubringen. Ein orientalisches Decret muß sofort ausgeführt werden; um das Wie? bekümmert sich der Herrscher nicht weiter; das ist Sache der betreffenden Behörden, und im vorliegenden Falle hatte der Kriegsminister dafür zu sorgen.

Zum Unterricht gehören aber auch in Aegypten zwei Factoren: die Lehrer und die Lernenden. Die letzteren waren zahlreich vorhanden, sogar in allen Farbenabstufungen, vom dunkelsten Schwarz bis zum lichten Braun – aber die ersteren fehlten. Da half man sich, so gut es gehen wollte, und stellte allerlei Leute als „Lehrer“ an, die nur irgendwie etwas Deutsch wußten. So z. B. einen inländischen Apothekergehülfen, der einige Jahre in Wien conditionirt hatte; einen syrischen Dragoman, der „fließend“ deutsch sprach; sogar einen jungen Ungar oder Böhmen, der früher in einer deutschen Familie Kammerdiener gewesen. Die guten Leute versahen sich mit allerlei Lehrmitteln, der eine mit „polyglotten Gesprächen“, der andere mit einem Büchlein „in drei Monaten ein perfecter Deutscher zu werden“, der Apothekergehülfe hatte sogar als Hülfsbuch ein altes „Compendium über die gewöhnlichsten Krankheiten des menschlichen Körpers“ – und nun thaten sie ihr Möglichstes und „unterrichteten“ recht und schlecht, dieses aber weit mehr als jenes.

So fand ich die „deutschen Classen“ vor, in den Heften die seltsamsten französisch-arabisch-deutschen Dictate und in den Köpfen ein ähnliches dreifaches Mischmasch von Brocken und Phrasen – eine babylonische Verwirrung! Und doch hatten die intelligenten jungen Aegypter, deren Lernbegier und Folgsamkeit gar vielen europäischen Schülern zum Muster dienen könnten, von diesem bunten Allerlei schon viel profitirt, und die muthigsten, als sie mir vorgestellt wurden, radebrechten deutsche Begrüßungen und Versicherungen von Gehorsam und Treue. Der Minister hatte mir volle Freiheit gegeben, und so machte ich denn zuerst „rein Haus“.

Alle bisherigen Schulbücher wurden bei Seite und dafür einem Jeden der französisch-deutsche Ahn in die Hände gelegt. Zwei gebildete ägyptische Officiere, die vortrefflich französisch sprachen, dienten als Dolmetscher, und der Unterricht begann gleich in der erste Stunde. Die übrigen Lehrer, die man doch nicht wohl entlassen konnte, bekamen gleichfalls den Ahn, und nun ging Allen ein Licht auf. In kaum sechs Wochen hatte außerdem der eine Officier den ganzen ersten Cursus in’s Arabische übersetzt und wußte ihn zugleich fast vollständig auswendig, und schon am Schluß des ersten Semesters konnte ich mich mit ihm recht gut deutsch unterhalten. Im zweiten Semester wurde bereits der Zweite Cursus des Ahn’schen Lehrganges mit hinzugezogen, und im dritten konnten schon die älteren Cadetten die jüngeren neu aufgenommenen nach dem ersten Cursus vorbereiten.

Noch nie hatte ich in meiner langjährigen „Ahn’schen Praxis“, wenn man mir diesen Ausdruck zugute halten will, einen so schnellen und schlagenden Erfolg erlebt, aber auch noch nie lernbegierigere [535] und begabtere Schüler gehabt. Was könnte aus diesem Volke unter einer weisen und tüchtigen Regierung werden! Doch das gehört nicht in unser Capitel; der Umstand indeß, daß sich Ahn’s Methode bei zwei so heterogenen Sprachen, der arabischen und deutschen, praktisch so glänzend bewährte, dürfte wohl das beste Zeugniß für ihre absolute Vortrefflichkeit sein.[1]

Allerdings verlangt diese Methode, die äußerlich und auf den ersten Blick so „kinderleicht“ erscheint, ein ernstes Eingehen in die tiefer liegenden Absichten und Zwecke des Verfassers, und bei keiner anderen paßt vielleicht das Wort „der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig“ so sehr wie bei dieser. Indeß einmal von diesem Geiste durchdrungen, erzielt ein tüchtiger Lehrer geradezu staunenswerthe Erfolge. In Frankreich und in den übrigen Ländern romanischer Zunge ist die Ahn’sche Methode, wenigstens für den Elementarunterricht, noch immer die vorherrschende; in Deutschland ist sie im letzten Decennium durch verschiedene andere verdrängt worden, denen aber der Kundige sofort ansieht, daß sie sämmtlich mehr oder weniger auf der Ahn’schen begründet sind. Wir dürfen hier keine Namen nennen, schon um von unserer Arbeit, die einen verdienstvollen Todten ehren soll, jede Polemik fern zu halten, aber das dürfen wir immerhin sagen, daß gar manche unter Ahn’s Nachfolgern auf diesem Gebiete ihrem großen Vorgänger nicht immer die schuldige Pietät bewiesen haben. Warf man ihm doch von solcher Seite her schon bei Lebzeiten namentlich die Einfachheit seiner Phrasen und Beispiele, also seinen „beschränkten Ideenkreis“ vor, ohne zu bedenken, daß gerade diese Einfachheit principiell und wohlüberlegt war und daß er nur ihr seine großen Erfolge verdankte. Das Goethe’sche Wort: „in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister“, könnte man sehr gut dem Ahn’schen „Lehrgang“ als Motto voransetzen. Ob die Nachfolger mit ihren „inhaltreichen“ Beispielen, die unserer Ansicht nach das Anfangsstudium mehr erschweren als erleichtern, größere Erfolge erzielen, muß die Zeit lehren; wir wagen es zu bezweifen.

In rastloser Thätigkeit und mit seltener Geistesfrische wirkte Franz Ahn bis an sein Ende; er lebte nur seinem amtlichen Berufe, seinen schriftstellerischen Arbeiten und seiner Familie. In der letzteren fand er Erholung und stets neue Freude; seine zahlreichen Kinder hingen an ihm mit unendlicher Liebe, und es war täglich für sie ein Fest, wenn er zur bestimmten Stunde aus seinem Studirzimmer herüberkam, „um mit ihnen zu spielen“. Ueberhaupt war der Mann, der sein ganzes geistiges Schaffen und Wirken der Jugend gewidmet hatte, ein großer Kinderfreund, und seine Schüler bildeten gewissermaßen seine zweite Familie. Selten haben aber auch wohl Schüler mit größerer Verehrung an ihrem Lehrer gehangen, als die seinigen an ihm. Er strafte fast nie, denn sein ganzes Wesen war Sanftmuth und Milde, und doch hat es vielleicht kaum jemals einen Lehrer gegeben, der so schnelle und glückliche Erfolge erzielt hätte, wie er. Auch für die Armen und Nothleidenden hatte er stets ein warmes Herz und die aufopferndste Theilnahme. Noch heute erzählt man sich eine Menge kleiner Züge seiner Nächstenliebe, die wir aber, und sicher in seinem Sinne, hier nicht nacherzählen wollen, denn Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit waren Haupteigenschaften seines vortrefflichen Charakters. Gegen äußere Ehren und Auszeichnungen war er sehr gleichgültig; nur als ihn im Jahre 1857 die Universität Heidelberg zum Ehrendoctor ernannte, empfand er lebhafte Freude, weil speciell in dem Diplom seine Methode als „weltverbreitet“ und „nutzbringend wie keine andere“ bezeichnet war.

Die Nachricht von seinem Tode war das Signal einer allgemeinen Trauer für ganz Neuß, und seit Menschengedenken hatte die Stadt einen so großartigen Leichenzug nicht gesehen, wie den seinigen. Von nah und fern waren die Freunde und unzählige seiner früheren Schüler herbeigeeilt, um dem Todten, der in seinem langen, segensreichen Leben keinen Feind gehabt hatte, die letzten Ehren zu erweisen. Der rühmlichst bekannte Dombildhauer Professor Mohr fertigte später eine sehr gelungene Marmorbüste des Verstorbenen an, die auf dem neuen Kirchhofe in Neuß das Ahn’sche Grab zum dauernden Gedächtniß schmücken mag.




Die Wetter-Prophezeiung einst und jetzt.
Von Carus Sterne.
2. Sturmgesetze und Sturmwarnungen.

Die kühnen Träume der alten Meteorologie haben wir kurz in dem vorigen Artikel zu schildern gesucht, heute werden wir zunächst darzulegen haben, wie sie bescheiden wurde und von unten auf zu bauen begann. Im sechszehnten und siebenzehnten Jahrhundert hatte die Meteorologie zwei Instrumente erhalten, welche es ermöglichten, aus ihr eine Wissenschaft zu machen, das Thermometer und das Barometer. Schon früh hat man begonnen, mit dem ersteren regelmäßige Temperaturbeobachtungen anzustellen, und ebenso sind die Beziehungen des Luftdrucks zum Wetter früh erkannt worden. Bereits Pascal, der die Brauchbarkeit des Barometers für Höhenmessungen feststellte, glaubte solche Beziehungen wahrzunehmen, und Boyle sprach 1665 jene Regeln aus, die noch heute meist den ganzen Ballast der vulgären Barometer-Weisheit ausmachen, daß es nämlich im Allgemeinen bei schönem Wetter höher, als vor und bei Regen stehe, und im Allgemeinen bei östlichen und nördlichen Winden höher, als bei westlichen und südlichen. Dazu fügte 1660 der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke eine in Form einer Prophezeiung gemachte Beobachtung, die namentlich dazu beitrug, den Ruf des Barometers als Propheten zu entwickeln. Er sah nämlich sein Wettermännchen, eine auf der Flüssigkeit seines primitiven Barometers schwimmende Figur, eines Tages so plötzlich sinken, daß er als Ursache davon einen Aufruhr im Luftkreise annehmen mußte und einen Sturm voraussagte, der zwei Stunden später über Magdeburg dahinraste. Seitdem hat man das Barometer mit einer förmlichen Wettertaxe versehen, und da jeder Mensch von der launischen Witterung unserer Breite gezwungen wird, sich ein wenig auf Wetterprophetie zu legen, so ist es zum populärsten aller physikalischen Instrumente und zum fast unentbehrlichen Hausrath jeder wohleingerichteten Wohnung geworden. Freilich erwerben die aufmerksameren Barometer-Beobachter meist bald genug die Erfahrung, daß dem, was das Barometer schwarz auf weiß giebt, nicht sehr weit zu trauen ist, und in der That giebt es nur demjenigen Frager einigermaßen befriedigende Auskünfte, der seinen Bewegungen aufmerksam folgt und gleichzeitig eine Reihe weiterer Momente, als da sind: Temperatur, Windrichtung, Luftfeuchtigkeit, Jahreszeit und andere, zu berücksichtigen versteht.

Die Meteorologie ist dann durch langjährige Einzelbeobachtungen langsam aufgebaut worden, indem zahlreiche über die ganze gebildete Welt zerstreute Beobachter fortwährend die einzelnen Daten aufzeichneten und ihre Beobachtungsreihen durch den Druck einander zugänglich machten. Wir wollen hier von den älteren Beobachtern nur an die Familie Cassini in Frankreich, an Saussure in der Schweiz erinnern. Eine festere Organisation dieser Beobachtungen im Anschlusse an diejenigen des Erdmagnetismus verdankt man bekanntlich den Bemühungen Alexander von Humboldt’s, der im Vereine mit seinen Freunden Arago und Leopold von Buch und im Anschlusse an seine mit Gauß begründeten magnetischen Observatorien (vergl. [536] „Gartenlaube“ 1877, S. 280) eine große Anzahl unter einander austauschender Beobachtungsstationen in’s Leben rief. Indem Humboldt’s Ansehen das Ausland zur Nachahmung veranlaßte, wurde so von Deutschland aus der Grund zu der Neugestaltung der Meteorologie gelegt, die sich bald in dem am 4. April dieses Jahres verstorbenen Professor Dove zu Berlin dermaßen centralisirte, daß er mit Recht als der Schöpfer dieser nunmehr Früchte tragenden Wissenschaft betrachtet wird.

Dove war nämlich 1848 zum Director des zwei Jahre vorher begründeten königlichen meteorologischen Institutes zu Berlin berufen worden, welches mit dem statistischen Bureau in unmittelbarer Verbindung stand, einer Verbindung, die, so sonderbar sie auf den ersten Blick erscheinen mag, von segensreichstem Erfolge war. Dove wurde dadurch nämlich veranlaßt, die Meteorologie nach der sichersten und geeignetsten Methode aufzubauen die es für diese Wissenschaft geben kann, nach der vergleichend-geographisch-statistischen Methode, und seine umfassenden Combinationen der Beobachtungsreihen aus allen Zonen legten das Fundament einer Wissenschaft, die wir mit Stolz eine deutsche nennen dürfen.

Nach dieser vergleichend-statistischen Methode lernte man zunächst die Vertheilung der Wärme über die Erde kennen, welche auf den Karten durch Curven gleicher Monats- oder Jahreswärme (Isothermen) dargestellt wird und auf deren Verlauf das ideale Wetter beruhen würde, wenn die Wirklichkeit dem Ideal jemals gliche. Auch den beständigeren Unregelmäßigkeiten wurde übrigens von Dove durch Einführung seiner Isanomalen (Linien gleicher Abweichungen vom Mittel) für die einzelnen Zeiten Rechnung getragen, und die geistreiche Art, wie er regelmäßige Abweichungen (z. B. die Rückfälle der Kälte im Mai) und ganz unregelmäßige (harte Winter und heiße Sommer) zu erklären wußte, sichern ihm in dieser Wissenschaft, trotz aller Neuerungen, für immer einen ersten Platz.

Freilich interessirt uns mehr, als die von ihm begründete Kenntniß des idealen Wetters, das reale, wie es sich rücksichtslos über Gerechte und Ungerechte ergießt. Wir kennen als die Hauptursache unseres Witterungswechsels den Kampf der Passatwinde, der im Winter in Südeuropa tobt und gegen den Frühling in unsere Breiten fortschreitet, wir wissen, daß diese Winde dem Dove’schen Drehungsgesetze folgen und mit wenigen Ausnahmen stets in der Richtung der Uhrzeiger „herumgehen“, aber wir wissen die Hauptsache nicht, wann und wie lange wir in dem Bette des Einen oder des Andern oder auf dem Begegnungsplatze beider auszuharren haben.

Dennoch sind die Winde zuerst der Gegenstand einer geregelten Voraussage geworden, sobald man nur durch die Ausdehnung des Telegraphennetzes über den größten Theil der Erde die Möglichkeit gewonnen hatte, ihnen in jeder Richtung den Vorsprung abzugewinnen. Schon im Jahre 1842 machte Kreil in Prag einen darauf bezüglichen Vorschlag, und durch Redfield und Loomis wurde 1846 bis 1847 der Gedanke telegraphischer Sturmwarnungen in Nordamerika angeregt und bald zum großen Nutzen der Schifffahrt ausgeführt, sofern sich dort die Stürme fast regelmäßig von Südwesten her nordostwärts über das Land bis zur atlantischen Küste bewegen.

In Europa, dem Ursprungslande des Gedankens, gab erst der berühmte Sturm, welcher am 14. November 1854 das Lager der Alliirten bei Balaklava verwüstete und auf dem Schwarzen Meere mehrere Kriegsschiffe vernichtete, den Anlaß, die Frage telegraphischer Sturmwarnungen näher in’s Auge zu fassen. Jener Sturm hatte nämlich ganz Europa von Westen nach Osten durchzogen und war bereits am 10. und 11. November über Spanien und Frankreich dahingegangen, sodaß man sich sagen mußte, es wäre bei vollständiger Verbindung sehr leicht möglich gewesen, der Flotte wie der Armee eine rechtzeitige Warnung auf telegraphischem Wege zugehen zu lassen. Der damalige französische Kriegsminister Marschall Vaillant beauftragte den berühmten 1877 verstorbenen Director der Pariser Sternwarte Leverrier, die Frage untersuchen zu lassen, und das Ergebniß einer von Liais gelieferten Arbeit war einerseits die Erkenntniß, daß ein Wellenthal mit sehr vermindertem Luftdruck, ein starkes Minimum, wie wir jetzt sagen würden, über Europa hingegangen war, und daß es nützlich erscheine, in Paris fortlaufende Witterungsberichte aus möglichst vielen europäischen Stationen zu erhalten, um „von Fall zu Fall“ wenigstens gegen Stürme auf der Hut sein zu können. In diesen Arbeiten haben wir auch den Anfang der modernen Witterungs-Prognose überhaupt zu suchen.

Mit ähnlichen Organisationen, wie eine solche bald darauf in Paris geschaffen wurde, ging man nun auch in andern Ländern vor; seit 1860 bereits erließ die Centralstelle von Utrecht, die unter der Leitung des verdienten Meteorologen Buys-Ballot steht, auf Grund ihrer inländischen Berichte regelmäßige Sturmwarnungen für die Küstenstationen, und im Jahre darauf (1861) wurde dieser Sicherheitsdienst für Küste und Häfen in England durch den Admiral Fitzroy, mit dem einst Darwin seine Weltreise gemacht hatte, in ein heute an den meisten Seeküsten eingeführtes System gebracht. Auf den Küstenstationen, welche von einer Centralstelle aus die telegraphischen Sturmberichte erhalten, befindet sich ein Mast, an welchem ein oder zwei kegelförmige Körper respective Laternen (die aus der Ferne als Dreiecke erscheinen), je nachdem sie einzeln oder zu zweien und mit der Spitze nach oben oder nach unten aufgezogen werden, genau die Richtung signalisirter Stürme anzeigen, die an der Küste zu erwarten sind, wobei noch eine cylindrische Laterne, die aus der Ferne nach allen Richtungen als Quadrat erscheint, hinzugefügt wird, wenn der zu gewärtigende Sturm sehr stark ist. Die deutschen Küstenstationen erhalten ihre für Schifferei und Fischerei ungemein segensreichen Sturmwarnungen von der seit 1874 in den Besitz des deutschen Reiches übergegangenen Hamburger Seewarte, einem der bestversehenen und bestgeleiteten derartigen Institute der Welt, nachdem Hannover schon 1864 und Preußen 1868 solche Warnungen für ihre Küsten eingeführt hatten. Nordamerika folgte 1865 und Italien 1869 diesen Beispielen. Was die Sicherheit dieser Sturmwarnungen betrifft, so ist sie bereits auf mehr als 80 Procent gestiegen.

Seit der Herstellung des transatlantischen Kabels haben auch die Wirbelstürme, die uns meist von Nordamerika zugehen, einen Theil ihres Schreckens verloren, da unsere Westküsten nunmehr meist mehrere Tage im Voraus erfahren, wann sie diese unliebsamen Gäste zu erwarten haben. Es ist merkwürdig, daß gerade eine der unberechenbarsten Störungen im Luftkreise, die aus weiter Ferne kometengleich bis in unsere Kreise vordringt, durch diese Behandlung von Fall zu Fall völlig ihres überraschenden Charakters entkleidet werden konnte.

Der Schöpfer der modernen Meteorologie, Professor Dove in Berlin, erkannte bereits im Jahre 1821, daß die gefürchteten Cyclone oder Hurricane, die namentlich in den westindischen und chinesischen Meeren mit verheerender Gewalt toben, Wirbelstürme von einem oft ungemein großen Drehungsdurchmesser sind, und der englische Forscher Piddington, der Amerikaner Redfield und andere Meteorologen haben sich durch die nähere Erforschung der Gesetze dieser verheerenden Naturerscheinung um das Wohl der Menschheit, wie um die Wissenschaft sehr verdient gemacht. In der Mitte dieser Wirbel herrscht in einer Ausdehnung von oft drei bis sieben Meilen Windstille, und ein außerordentlich niedriger Barometerstand, der anderthalb bis gegen drei Zoll unter den früheren gegangen ist, zeigt an, daß hier eine gewaltige Luftverdünnung stattfindet. Rings um diese unheimliche Stille tobt ein Wirbelsturm, in welchem die Schiffer auf einem Durchmesser von oft 100 geographischen Meilen alle Segel einziehen müssen, während die äußersten Grenzen der ringförmigen Luftbewegung bis zu 250 geographische Meilen aus einander liegen können. Uebrigens ist die Bewegung der Luft streng genommen keine kreisförmige, sondern die Luft nähert sich in Spirallinien dem Centrum, wird daselbst nach oben gerissen und tritt dort in Form sehr zersetzter Wolken wieder aus dem erweiterten Wirbel heraus.

Auf den Antillen, wo diese Stürme besonders verheerend auftreten, beginnt der Vorgang in der Regel mit einem Ostwinde, der schnell zu einem Orkane mit furchtbaren Güssen und elektrischen Entladungen anschwillt, darauf folgt, indem sich das Centrum über den Ort fortbewegt, eine Ruhepause, worauf der entsetzlichste Weststurm einsetzt, und einige Stunden später lächelt die Sonne auf eine Stätte der Verwüstung hinab, welche aussieht, als ob ein Feuer über das Land gegangen wäre und Ortschaften und Wälder weggefressen hätte. Von der Wildheit dieser Naturerscheinung haben wir Europäer glücklicher Weise keine Ahnung, aber es mag erwähnt werden, daß solche Stürme Vierundzwanzigpfünder wie leichtes Spielwerk umhergeschleudert [537] haben und daß man nachher Seeschaum und Schiffstrümmer meilenweit von der Küste trifft. Der Ursprung dieser zuweilen in wenigen Stunden Tausende von Menschenleben und Millionen von Besitzthümern vernichtenden Wirbelstürme ist vor wenigen Jahren (1872) von dem Professor Reye in Straßburg auf so geringfügige Ursachen zurückgeführt worden, daß wir dieselben als bestes Beispiel der im Vorhergegangenen oft betonten Unberechenbarkeit des Wetters hier etwas näher betrachten müssen.

Reye erkannte als die Grundursache einen schwankenden, weil falschen Gleichgewichtszustand der Atmosphäre, wie er bei ruhiger, heiterer Luft leicht dadurch entsteht, daß die an der Erdoberfläche erwärmte und mit Feuchtigkeit gesättigte Luft, wenn die Temperaturabnahme nach oben nur etwa einen drittel Grad auf hundert Meter beträgt, nicht mehr aufsteigt, vielmehr sich, von der kälteren Luft der oberen Regionen zusammengedrückt und dadurch schwerer gemacht, unter ihr in großen Massen ansammelt.

In der Region der Windstillen, aus denen die Wirbelstürme meist ihren Ursprung nehmen, werden, eben wegen der geringen Luftbewegung, besonders häufig ungeheuere Massen wärmerer, feuchter Luft unter der kühleren und trockeneren Oberschicht in einem solchen schwankenden Gleichgewichtszustande erhalten. Nehmen wir nun an, ein Vogel steige dort senkrecht in die Höhe, oder ein Feuer werde auf dem Felde angezündet; an der betreffenden Stelle findet die unten in der Ausdehnung vieler Meilen angesammelte feuchtwarme Luft einen Ausweg; von dem auf ihr lastenden Drucke befreit, steigt sie, sich immerwährend ausdehnend, wie in einem Schlote mit zunehmender Geschwindigkeit aufwärts. Oben seitlich abfließend, zieht sie von unten her an der ihres Ueberdruckes entlasteten Stelle andere feuchte Luftmassen nach sich, und der Zug durch diesen unsichtbaren Schornstein, dessen Wandung aus Luft besteht, wird mit jedem Augenblicke heftiger. Nach der Luftverdünnung, die sich am Fuße desselben bildet, strömen von allen Seiten die benachbarten, ebenfalls zum beschleunigten Aufsteigen befähigten Massen herbei und werden, noch ehe sie die windstill bleibende Mitte erreicht haben, nach oben gerissen. In Folge der Erddrehung wird die unten herbeigezogene Luft, statt gerade und radial nach dem luftverdünnten Centrum hinzuströmen, genöthigt, in Spiralwindungen um dasselbe zu kreisen. Ist das luftverdünnte Centrum nördlich vom Aequator gelegen, so müssen die herbei gesogenen nördlichen Luftströmungen, welche aus Gegenden geringerer Umdrehungsgeschwindigkeit kommen, hinter dem rascher bewegten Centrum zurückbleiben, die südlichen dagegen ihm vorauseilen, und so wird hier ein Wirbel entstehen müssen, der wie die Zeiger einer auf dem Glasbauch liegenden Taschenuhr herumgeht. Auf der südlichen Halbkugel entstandene Wirbelstürme drehen sich aus derselben Ursache wie die Zeiger einer auf dem Rücken liegenden Taschenuhr. Die Geschwindigkeit der Luftströmung wird dabei nach mechanischen Gesetzen beständig beschleunigt, je näher der Wind dem Centrum kommt. Wenn man bedenkt, daß die von größeren Wirbelstürmen herbeigesogene Luft oft hundert Meilen weit herkommt, so kann man sich erklären, wie die anfangs vielleicht nur mit einer Geschwindigkeit von fünf Metern in der Secunde begabte Luft gegen das Centrum eine größere Geschwindigkeit als selbst die Geschosse unserer Riesenkanonen erreicht. Das erklärt die furchtbare Wirkung der Wirbelstürme und ebenso die Abnahme der Wirkung, wenn der Cirkel sich in Folge der Verminderung der saugenden Kraft allmählich erweitert. Diese Wirbel bewegen sich nun, nach einem Gesetze, welches Helmholtz in neuester Zeit festgestellt hat, welches aber hier nicht näher aus einander gesetzt werden kann, unter dem Einflusse der herrschenden Passatwinde in einer fast parabolischen Bahn von Amerika nach Europa. Zwischen dem zehnten und zwanzigsten Grad nördlicher Breite entstehend, nähern sie sich in der Richtung der Antillen der Halbinsel Florida und entfernen sich, ihren Umfang immer mehr erweiternd, fast in der Richtung des Golfstromes von Amerika, woher die Schiffersage entstanden ist, daß sie auf dem Golfstrome gleichsam reiten sollen.

Die Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung beträgt in der Nähe der Antillen vier bis fünf geographische Meilen in der Stunde, auf dem nordatlantischen Meere sechs bis acht Meilen, sodaß sie im Mittel zehn bis zwölf Tage brauchen, um von ihrer Ursprungsstätte aus unsere Küsten zu erreichen. Obwohl ihre Wuth sich unterwegs bedeutend abgekühlt hat, richten sie doch noch an unsern Küsten manchmal viel Unheil an, und die telegraphische Meldung dieser unliebsamen Gäste vermag uns daher großen Vortheil zu bringen. Ein Beispiel einer derartigen Anmeldung – welches aber nicht gehörig beachtet wurde – legte H. Parry am 1. Februar 1875 der Pariser Akademie der Wissenschaften vor. Er hatte am 13. Januar in französischen Zeitungen auf Grund von Telegrammen, die er von Boston und Saint Pierre Miquelon empfangen hatte, darauf aufmerksam gemacht, daß ein dort beobachteter Cyklon die Richtung nach Europa eingeschlagen und am 10. auf Neufundland gewüthet habe. Er hatte hinzugefügt, daß dieser Wirbelsturm, wie gewöhnlich, der Richtung des Golfstromes folge und in vier bis fünf Tagen in Irland zu erwarten sein dürfte. Er kam in der That mit der größten Pünktlichkeit am 15. Januar in Irland angerast, befand sich am 17. in Dänemark und setzte, beträchtlichen Schaden anrichtend, seinen Weg bis nach Asien fort, wie es schien auf dem besten Wege, eine Reise um die Welt zu machen. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr es sich empfiehlt, solchen Sturmwarnungen eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als es bisher geschehen ist.

Diese Wirbelstürme haben übrigens in ihrer Entstehung eine große Aehnlichkeit mit unseren Sommergewittern, denen ein ähnlicher Zustand des falschen Gleichgewichtes in der Atmosphäre vorausgeht, welche wir als sogenannte „Schwüle“ empfinden, bis mit einem Wirbelsturme in der Höhe und unter Blitz, Donner und Regen oder Hagel die Ausgleichung erfolgt. Daher können solche kleinere Wirbelstürme auch unter Umständen nicht blos vorausgesagt werden, sondern Jemand, der mit diesen Verhältnissen des durch ungemeine Schwüle sich ankündigenden gestörten Gleichgewichts näher bekannt ist, kann gleich einer mittelalterlichen Blocksberghexe und sicherer als ein afrikanischer Regenzauberer Unwetter und Sturm erzeugen. Reye giebt davon in seinem obengenannten Werke mehrere Beispiele, von denen wir eines der lehrreichsten mittheilen wollen. Der Capitain Alexander Mackay war während der regenlosen Monate April, Mai, Juni im Jahre 1845 bei einer Vermessung der atlantischen Küste in Florida beschäftigt, und er wußte aus den Untersuchungen des amerikanischen Meteorologen Espy, daß man in dieser Zeit leicht durch größere Feuer Sturm und Regen herbeiführen könne. Da sich nun in dieser Gegend viele ausgetrocknete Schilfweiher befanden, die der Vermessung ohnehin sehr hinderlich waren und unter dem frischen Schilf eine zwei bis drei Fuß hohe Schicht trockenen und sehr entzündlichen Schilfes enthielten, beschloß er, gelegentlich ein derartiges Experiment zur allgemeinen Erquickung anzustellen.

Als eines Tages die ganze Expedition sich in Klagen über die außerordentliche Schwüle und Hitze erging, feuerte der Capitain die Neger durch das Versprechen eines reichlichen Regenschauers und einer frischen Brise an, die Vermessung weiter zu führen. „Sie starrten empor, und rings herum – keine Wolke so breit wie eines Mannes Hand war zu sehen. Und sie blickten wieder mit gutmüthigem, ungläubigem Grinsen auf den Capitain

‚Hoho! Hehe! Capitain Wolken machen aus nichts! Hihi! – Bringen Capitain Wasser all diesen Weg von der See? Hoho! Hihi!‘

Der Capitain that über diese Zweifel sehr ungehalten, und die trockene Schilflage des Weihers wurde angezündet. Die Flammen erhoben sich sofort bis über die höchsten Bäume, eine dichte Rauchsäule stieg spiralförmig gewunden empor, und als die Rauchsäule verging und eine Wolke sich zu bilden begann, zog der Capitain einen weiten Kreis rings um sich im Sande und stellte sich in die Mitte, phantastische Figuren machend und aus gebrochenem Französisch kabbalistische Formen drechselnd. Noch blieb die Wolke unbemerkt; aller Augen waren auf den Capitain gerichtet, welcher dastand, auf die Erde starrend und dort Teufelsfratzen zeichnend. Da auf einmal ein Rollen fernen Donners; jeder Blick wandte sich augenblicklich nach oben: eine Wolke breitete sich dort aus. Der Donner nahm zu, die Blitze leuchteten lebhafter, die Kniee der Neger schlugen vor Angst zusammen; schon fiel der Regen, und in Strömen, obgleich nach allen Seiten der reine Himmel unter der Wolke sichtbar war. Der Capitain behauptete mittlerweile seine mystische Haltung und setzte seine wilden, seltsamen Evolutionen fort. Einige in den Schwank eingeweihte Weiße fielen auf die Kniee, und ihnen folgten die Neger, deren Furcht mit dem Sturme zunahm. Mit gefalteten Händen [538] richteten sie stiere Blicke der Scheu und Abbitte auf den Capitain. Kurz, die Scene stellte einen vollständigeren Triumph der Forschung über die Unwissenheit dar, als man irgendwo im neunzehnten Jahrhundert, zumal in unserer erleuchteten Republik, für möglich gehalten hätte.“

Mackay hat nachher noch oft die Schilfgrasfelder anzünden lassen, und jedesmal, wenn kein Wind sich regte, erfolgte ein tüchtiger Regenschauer, ja, in den ganzen drei Monaten dieser Vermessung mußte man sich ausschließlich mit solchem künstlichen Regen begnügen.

Carus Sterne.



Land und Leute.
Nr. 42. Im Schwarzwald.
Skizze von Dr. G. v. Seydlitz.
I.

Die „Gartenlaube“ hat bereits in früheren Jahren öfters Skizzen und Zeichnungen aus dem in so vielfachen Beziehungen anziehenden Schwarzwalde gebracht, sowohl von bemerkenswerthen landschaftlichen Punkten, wie auch von den Bewohnern und deren Treiben. Diesmal nun sei es uns gestattet, eine zusammenhängendere Uebersicht und Charakteristik des Ganzen zu bringen und daran die Schilderung einiger weniger beachteter, aber in erster Reihe interessanter Punkte zu knüpfen. Wir verfolgen dabei die Absicht, für die alljährliche Reisezeit möglichst Viele, welche vom Schwarzwald bisher wenig mehr als etwa Baden- Baden und Wildbad kannten, darauf aufmerksam zu machen, daß dem wahren Freunde der Natur hier eine Fülle von so hohen landschaftlichen Schönheiten geboten wird, wie in kaum einem unserer Mittelgebirge, und daß es hier noch „gemütlich“ reisen ist, ohne daß man zum Geldsack wird, den alle Welt auszupressen sucht.

Er ist ein herrlich Stück Land – unser durch Natur und Sage gleich schöner Schwarzwald. Bis zu nahe an 1500 Meter steigen gewaltige, schön geschwungene Kuppen empor und bauen sich hinter einander auf, die einen immer die anderen überragend, und hinabschauend theils in enge Thalschluchten, theils in breite Gelände, theils in bequem sich weitende Thäler. Kuppen und Hochthalsohlen sind hier von saftigen Alpenwiesen überdeckt, dort vom köstlichsten Walde. Häufig zeigen sich Felspartien von starrer Wildheit, ja stundenlang sich fortziehende enge Felsenschluchten. Durch diese Schluchten, diese Thäler eilen hellblinkende, immer rauschende Bäche und Flüßchen, welche manchen schönen Wasserfall bilden, unter denen der berühmteste und größte der Tryberger Fall ist, ein Gegenstück zum Schweizer Gießbach. Einige klarspiegelnde Seen bieten dem Auge angenehm fesselnde Ruhepunkte der Betrachtung. Ueppige Feldfluren ziehen aus den Thälern über die niedrigeren Höhen, Obst- und Weingelände umgeben zahllose Dörfer und kleine Städte in den wärmeren westlichen und südlichen Theilen. Aber Städtchen und Dörfer sind auch hoch hinauf über das ganze Gebirgsland zerstreut. Sie strecken sich bald lang hin in den Thälern, bald weit und breit in mehr vereinzelten Höfen über die breiten welligen Höhen fort. Und alle diese Wohnstätten der Menschen machen den wohltuendsten Eindruck durch ihre Gediegenheit, Sauberkeit und viele durch die in’s Auge springende Wohlhäbigkeit. Dazu überall verstreut altersgraue Mauern, geschicht- oder sagenreiche Burg- und Schloßtrümmer, während in den Ortschaften selbst vielfach architektonisch bedeutende Bauten hervortreten, sowohl alte wie neue, sowohl Kirchen, Rathhäuser, Schulen, wie auch Fabriken, Schlösser und Privathäuser.

Großartige Alpenpanoramen der Schweiz sowie der baierischen und österreichischen Alpen, welche in oft zauberischer Schönheit von allen Höhenpunkten des Gebirgs in den südlicheren Theilen bei geeigneter Luft erblickt werden, erhöhen den Reiz.

Diese verschiedenartigen, fesselnden Bilder bewegen die Seele des Wandernden mannigfach. Bald sind sie lieblich, bald ernst, bald wild, düster und schaurig, bald wieder rein, erhaben und großartig – immer aber weht um sie ein Zauber eigener Art, nur einem deutschen Herzen ganz verständlich. Wer zu träumen liebt, wo fände er geeignetere Stätten als in diesem wunderbaren, dämmervollen Zauberwald! Schon der Name des Gebirges deutet darauf hin, daß sich ein ausgedehnter Bestand an Nadelholz hier finden muß, und derselbe ist in seiner Größe und Vollkommenheit in der That eine Pracht an sich selbst. Aber dieser manchmal an Urzeiten mahnende (obwohl sehr sorgfältig bewirthschaftete) Wald weist vielleicht ebenso viel des köstlichsten Laubholzes auf. Der Schwarzwald hat eine üppige Kräuterflora, und an vielen Berghängen überzieht lauschiges Strauchholz den Boden. Farren, Moose und Flechten überwuchern große und kleine Felsbrocken. Hier ist gut ruhen und sich träumerisch lagern.

Aufwärtssteigend findet man bis zu 800 Meter den herrlichsten Laubwald, Buchen, Ahorn, Eichen vor Allem; darüber tritt der eigentliche „Schwarzwald“ dominirend auf, und auf den Hochebenen der Kuppen auch das Knieholz der Legföhre, und ganz oben grüßen uns die Alpenwiesen. Uebrigens steigt an vielen Stellen bei dem fruchtbaren Boden der ertragreiche Feldbau bis 1000 Meter hoch. Die Hänge des Gebirgs im Westen und Süden deckt köstlicher Weinbau, abwechselnd mit Obstzucht.

Ueber 120 Quadratmeilen etwa erstreckt sich das Schwarzwaldgebirge, ein gar nicht unbeträchtlicher Raum, zu langen Wanderungen Gelegenheit bietend. Davon gehören 28 Quadratmeilen zu Württemberg. Sie sind im Ganzen die weniger hervorstechenden Theile, obwohl Nagoldthal, Teinach und Wildbad, also drei Glanzpunkte, in ihnen liegen. Die 92 Quadratmeilen Badens umfassen im Uebrigen alle schönsten Punkte des Schwarzwaldes.

Beim ersten Blick erscheint das Gebirge als ein gänzlich systemloses Conglomerat von Formationen, und obwohl sich die ganze Masse, im Norden etwa 6, im Süden 10 Meilen breit, in südwestlicher Richtung von Pforzheim bis Basel gemessen an 27 Meilen hinzieht, so sind dennoch keine systematischen Kettenzüge vorhanden, sondern es läßt sich nur eine Wasserscheide verfolgen, während der Charakter des Gebirges der eines gewaltigen Hügellandes ist, das nach allen Richtungen durch Thäler zerrissen wird. Gerade diese scheinbar systemlose Zerfurchung des Gebirges bringt aber die reiche und wechselvolle Fülle von Landschaftsbildern hervor, die andere in parallelen Ketten streifende Gebirge, wie z. B. der Jura, nicht bieten. Aus dem den Schwarzwald bildenden Gestein: Granit, Gneis, Porphyr, an den sich nach Osten Buntsandstein (vereinzelt auch mitten im Gebirge zu finden) anlegt, erklärt sich die Formation seiner Höhen. Dieselben sind keine hochkegelförmig, dornig, zahnig aufragenden Spitzen, sondern runde, breite Kuppen, Belch oder Bolchen, Belchen genannt, welche oben mit dichtem Erdreich bedeckt sind; letzteres ist häufig von mooriger Beschaffenheit und setzt sich gleichartig in die Hochthäler als Torfmoor fort. Einst waren hier breite Seeflächen, von denen freilich in historischer Zeit nur noch kleine, dürftige Seen zurückgeblieben sind, an sich allerdings sehr reizende Stellen, wie Titisee, Mummelsee, Schluchsee, Feldsee etc.. Die genannten weiten feuchten Bodenstrecken sind übrigens ein Segen für das Land, denn ihnen entströmen, wenn auch im Sommer schwächer, die ausdauernden Bäche und Flüsse, welche die Industrie des Schwarzwälders sichern und bei richtiger Behandlung noch lange vor reichlicherer Verwendung der ungesunden Dampfmaschine bewahren können.

Doch entbehrt der Schwarzwald darum keineswegs etwa der compact und pittoresk hervortretenden Felsklippen. Nur ragen sie nicht auf den Kuppen, über die Bodenkrume gen Himmel hervor. Dagegen sind Klippen, Felswände, Felsnadeln ist großer Menge an den Abhängen der Höhen überall zu finden, und in einer Anzahl großartiger, scharf eingerissener Thäler treten sie so massenhaft und gewaltig auf, daß sie in stundenweiten Zügen den Charakter der Gegend bestimmen, ja die übrigen deutschen Mittelgebirge hierin weit hinter sich lassen.

So ist es vor Allem in den größten und wichtigsten Thälern der Fall, welche von der südnördlich ziehenden Wasserscheide nach allen Richtungen sich hinaus in’s Flachland öffnen. Die wichtigsten derselben sind das Murgthal bei Baden-Baden, das große Kinzigthal, das breit gegen Offenburg ausläuft und das die Schwarzwaldbahn zum Theil durchzieht, das Dreisamthal, [539] das sich gegen Freiburg öffnet. Alle drei verfolgen die Richtung gegen Nordwesten. Von Nord nach Süd gerissen sind vorzüglich das Wiesenthal, das Wehrathal, das Albthal, im höchsten Theile des Gebirges, dem südlichen – durchweg Glanzpunkte des Schwarzwaldes. Während alle diese Gewässer unmittelbar dem Vater Rhein zuströmen, bricht das schmale, lange Nagoldthal von Süd nach Nord zum Neckar durch, nachdem es sich mit der Enz vereinigt hat. Wiederum gegen Südosten zu senken sich die behäbigen Thäler der Breg und Brigach hinab, die durch ihren Zusammenfluß bei Donaueschingen die Donau bilden.

Von Westen oder von Osten gesehen, ist der Anblick des Schwarzwaldes ein ganz verschiedener. Von Westen, der Rheinebene, her erblickt man ein hochaufragendes, langhin kuppenförmig geschwungenes Gebirge; in Vorstufen, durch welche schöne Thäler sich gegen die Ebene öffnen, fällt es steil ab. Dagegen dacht sich der Schwarzwald gegen Osten so allmählich in das württembergische Hügelland ab, daß ein von daher Kommender ganz unbemerkt in den Schwarzwald versetzt werden kann und vorher von seiner Annäherung an ein so gewaltiges Gebirgsland keine Ahnung hatte. Es sind hier lauter breite, kaum gewölbte Hochplateaus, zwischen welchen tief eingerissene Thäler liegen. Letztere sind in diesen Theilen des Gebirges denn auch die Schönheiten desselben, während von Fernsichten hier wenig die Rede ist.

Von einer Linie, etwas nördlich von Rastatt gegen Pforzheim zu gezogen, leitet nach Norden ein Hügelland gegen den Odenwald hinüber, das Kraichgauer, das nicht mehr zum Schwarzwalde zählt. Ebenso wenig zählt dazu das vulcanische, etwa anderthalb Meilen breite und lange, sehr pittoreske Gebirge, das nordwestlich von Freiburg aus der Ebene, am Rhein selbst, aufsteigt und das der Kaiserstuhl heißt. Südöstlich heißen die letzten gegen Schaffhausen zu auslaufenden Bergzüge das Randengebirge; auch sie gehören nicht mehr zum Schwarzwalde; sie haben Juraformation. Nordöstlich davon schließt sich das ebenfalls vulcanische und wieder sehr pittoreske Hochland mit Kuppen von Basalt und Klingstein an, der Höhgau.

Die Haupterhebungen des Gebirges liegen im nordwestlichen Theile des südlichen Schwarzwaldes, und zwar nicht in der Wasserscheide, sondern westlich derselben. Sie sind von Freiburg bald zu erreichen. Die höchste Kuppe mit dem umfassendsten Rundbild ist der Feldberg mit 1495 Meter; um ihn legt sich eine ganze Gruppe von Kuppen, die ihm an Höhe ziemlich nahe kommen und unter denen der Belchen 1415 Meter, der wohl am steilsten aufgekuppte von Allen, der Schauinsland 1286 Meter, und der Blauen 1166 Meter hoch ist. Im mittleren Theile des Gebirges ist der Kandel bei Waldkirch mit 1243 Meter, und im nördlichen Theile die Hornisgrinde mit 1196 Meter Höhe (hier der geheimnißvolle Mummelsee) die bemerkenswerteste Erhebung, beide sind zugleich sehr beliebte Aussichtspunkte. So viel über die Natur unseres Gebirges!

Werfen wir nun einen Blick auf das Volk des Schwarzwaldes!

Seit anderthalb Jahrtausenden ist das Volk durchweg deutsch, und zwar auf alemannischem Grundstock. Nicht nur unterworfen, sondern offenbar gründlich vertrieben wurden die ursprünglich das Land bewohnenden Kelten, als in den letzten Jahrhunderten der Römerherrschaft hüben wie drüben am Rhein die siegreichen Alemannen vorstürmten. Im Norden wurde dann dem Vordringen der Alemannen von den Franken ein Ziel gesetzt, als diese Gallien erobert hatten. Die Franken drangen von Nordwest her, friedlich einwandernd, weiter in’s Gebirge vor, während im Süden und Südwesten die Burgunder den Alemannen eine Mauer entgegensetzten, hin und wieder auch auf das rechte Rheinufer übergriffen. So z. B. soll das Hauensteiner Völkchen von burgundischer Abstammung sein, während neben ihnen das Wiesenthal gerade als der Typus rein alemannischen Wesens betrachtet wird. Von Osten her kam über die Alemannen die Einwanderung der Schwaben. Sie sind zwar im Grundstock auch Alemannen, aber schon vermischt mit den nördlicher entsprungenen Sueven. Diese Einwanderung ließ die Rheinebene unberührt, gab aber gerade dem Gebirgsvolke noch ein besonderes Gepräge, sowie den heute allgemeingültigen Namen der Schwaben.

Daß aus diesen Mischungen sich eine Anzahl Dialekte ergaben, welche, wie in anderen Gebirgsländern sich manchmal nur auf ein oder ein paar Thäler beschränken, wird nicht verwundern dürfen. Der Fremde bemerkt natürlich diese Abweichungen wenig. Er hört überall die alemannische, schwäbische Mundart, nur daß sie ihm im Norden heller, im Süden dunkler, im Flachlande weicher, im Gebirge härter klingt. Er wird die drei Hauptelemente, Burgunder, Schwaben und Franken, vielleicht besser an ihren Häusern herauserkennen, wenn er sein Auge beim Durchwandern der Schwarzwalddörfer prüfend auf der Bauart derselben ruhen läßt.

Zunächst fallen freilich nur die großen sogenannten „Schwarzwaldhäuser“ auf, welche den durchgehend gemeinsamen Zug aufweisen: hohe Dächer von Stroh oder Schindeln, unter denen meist sehr umfangreiche Bauten geschützt liegen, je nach dem von der Gegend bequem gebotenen Material aus Stein, Holz, oder (und dies meistens) gemischt. Die Stellung des Hauses und die Anordnung der Räume macht aber den Unterschied, und derselbe läßt sich kurz folgendermaßen bezeichnen: Der fränkische, sowie der burgundische Bauer wohnt stets neben dem Stall, der schwäbische auf demselben. Ferner baut der Franke Haus, Stall und Scheuer derartig in die eine Hälfte des Vierecks, daß der Hof neben diesen Bauten liegt, während der Burgunder Haus, Stall und Scheuer in ein und derselben Flucht unter demselben Dache aufführt, und zwar an der Straße, sodaß der Hof hinter das Ganze zu liegen kommt. Dabei liebt der Franke gegen seine vorzugsweise breit angelegte Gasse das Haus mit dem Giebel zu stellen; Burgunder und Schwabe stellen gern die lange Front an die Gasse, und haben den Eingang also auch meist von der Straße, welcher dagegen bei Jenem meist vom Hofe aus stattfindet. Für den Schwaben ist es bezeichnend, daß, während er seine Wohnung eine Stiege hoch über den Stall legt, er neben sich in gleicher Höhe die Scheuer aufführt.

Die richtigen „Wälderhäuser“ zeigen über dem niedrigen Steinfundament den reinen Holzbau, fest und gediegen, selbst natürlich schön gefugt; er ist sauber, geräumig und je nach den Vermögensverhältnissen außen und innen mehr oder minder zierlich; Decken und Wände sind mit Holzgetäfel verziert oder zu Schränken eingerichtet. Hier liegen Stube, Kammern, Küche, Stallung, Scheuer, Schuppen, alles im Viereck unter einem Dache, das, manchmal Außengallerien beschirmend, hochaufragt und tief hinabreicht und in seinem Giebelraum auch meist noch Kammern, kleine Stuben etc. birgt. Das Dach pflegt von Schindeln oder Stroh zu sein. Letzteres, weil es Alles warm hält, hat die Regierung gesundheitswegen den Schwarzwäldern gestatten müssen. Die Wetterseiten der Häuser sind oft mit Holzschindeln oder auch mit Schiefer bekleidet, was sowohl Feuchtigkeit wie Kälte abhält. Vermöge dieser Anordnung hat der Bauer das ganze Anwesen unter seiner unmittelbaren Aufsicht und kann trockenen Fußes in alle Theile desselben gelangen.

Selbstverständlich hat nun Einer vom Andern gelernt, sich das oder jenes nach Bedürfniß, Laune, Bequemlichkeit angeeignet. Der Einfluß studirter Architekten ist ebenfalls hinzugekommen und hat Manches aus dem Alten in verfeinerte Form umgesetzt.

Der Charakter der Schwarzwald-Bevölkerung hat sich im Laufe ihrer Geschichte als ein höchst achtungswerther erwiesen. Es ist wohlthuend, sich mit dem einfachen Mann zu unterhalten. Ein gesunder, kräftiger Menschenschlag, voll ruhigen Selbstbewußtseins, dessen heller Kopf aber beständig lerneifrig und bereit ist, das Gute sich anzueignen, stets offen und freundlich im Gespräch, zu sachlich eingehender Unterhaltung sehr geneigt, voll patriotischen, echt deutschen Sinnes, bei aller Treuherzigkeit gern schalkhaft – so stellt sich der Schwarzwäldler dem Besucher seiner Berge dar.

Die Einsicht, daß Alles, was für die Gemeinsamkeit geschieht, dem Einzelnen zum Nutzen gereicht, ist im Schwarzwald fast allerwärts die herrschende. Schulwesen, Kirchenbau, Wegebauten genießen die besonders in’s Auge springenden Früchte davon. Namentlich die Wegebauten bereiten dem Reisenden viele Freude. Denn prächtige Fahrwege, oft überraschend schöne Kunststraßen, gehen nicht nur von Ort zu Ort, sondern in die unbewohnten Wälder hinein, über die Kuppen des Gebirges fort, und erleichtern das Bergsteigen; ja, man kann fast zu allen höchsten Punkten, die besuchenswerth sind, selbst zum Feldberg hinauf, fahren.

Allerdings sind die Wegebauten auch von ganz besonderer materieller Bedeutung eben wegen des Holzreichthums im Lande, das aus diesem enorme Einkünfte zieht. Man darf den Werth

[540]

Bilder aus dem Schwarzwald.
ALPEN-PANORAMA HOECHENSCHWAND[WS 1].
ZAWELSTEIN. BAERENFELS.
SANCT BLASIEN. DIE TEUFELSBRUECKE IM ALBTHAL. DAS JAEGERHAEUSEL IM WEHRATHAL. TRYBERGER WASSERFAELLE.
EDELFRAUENGRAB.
MENZENSCHWAND. SCHLUCHSEE. FELDSEE. ALTGLASHUETTE.
Nach der Natur aufgenommen von Robert Aßmus.

[541] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.


 [542] der badischen Waldungen bei den heutigen Holzwerthen reichlich auf 450 Millionen Mark schätzen und die Einnahme jährlich auf 23 Millionen. Zur Ausbeutung und der überall sehr geordneten Bewirthschaftung dieses immer werthvoller werdenden Capitals sind jene Wegebauten unentbehrlich. Dies führt uns dazu, einen Blick auf die Arbeit des Schwarzwälder Volkes zu werfen.

Da treten uns zuerst alle die Gewerbe entgegen, welche sich an die Holzproduction anschließen, als Sägemühlen, Bretschneiderei, Parqueterie, Küblerei, Bürstenfabrikation und Holzschnitzerei. Letztere dient besonders der Uhrenindustrie. Diese, der in neuerer Zeit die amerikanische auf den auswärtigen Märkten Concurrenz zu machen beginnt, ist immerhin noch von höchster Bedeutung; sie ist eine dem Lande ganz ursprüngliche, nicht importirte. Reichlich 2000 Meister und etwa 7000 Gehülfen mag sie beschäftigen; dieselbe ist zum Theil eine Familienbeschäftigung, die im Winter getrieben wird, und zwar so, daß ein Arbeiter meistens nur einen bestimmten Theil fertigt. Zur höchsten Kunst ist die Spieluhren- und Orchestrionfabrikation erwachsen, von deren Leistungen in Tryberg eine permanente Ausstellung zu finden ist. Vielleicht ebenso bedeutend ist die Flechterei aus dem Stroh einheimischer Kornarten; ihre Verfeinerung ist so weit gediehen, daß gewisse Erzeugnisse mit den feinsten Florentiner Arbeiten concurriren dürfen. Beide Industriezweige vertreiben ihre Fabrikate durch sogenannte „Factoren“ in aller Welt. Spinnereien, Wollen-, Baumwollen-, Seidenwaarenfabriken treten überall hervor. Hüttenbetrieb und fast jede Art Fabrikbetrieb findet sich.

Viehzucht und Milchfabrikatebereitung nehmen selbstverständlich in diesem almenreichen Gebirge eine erste Stelle ein, und die Bienenzucht blüht erfreulich. Von der hoch entwickelten Weincultur, von den vortrefflichen Markgräfler-Weinen und denen aus der Ortenau brauchen wir nicht erst zu reden. Ebenso ist die Obstcultur in lebhaftem Fortschritt begriffen. Bisher legte man sich allerdings besonders auf die Kirschenzucht, welche einen großen Betrieb von Kirschbranntweinbrennereien nährte. – Wir wollen nicht unterlassen, hier noch auf zwei sehr anschauliche und belehrende Artikel mit Illustrationen hinzuweisen, welche die „Gartenlaube“ 1868 in Nr. 49 über das „Branden“ der abschüssigen Felder und das Holzflößen brachte.

Die malerische Trachten, welche die Bewohner des Schwarzwaldes früher auszeichneten, verschwinden leider von Jahr zu Jahr immer mehr. Dagegen greift das sogenannte „städtische“ Kleid, als das unvergleichlich billigere, immer mehr um sich. Der Reisende sieht die alten Trachten nicht gerade viel, etwa an Markttagen in den Städten und Sonntags. In einige Thälern hat sich die Landestracht allerdings noch mehr erhalten, ist aber – man muß es gestehen – keineswegs immer schön. So tragen in der Gegend um Waldkirch bis gegen Tryberg die Weiber an Schulter und Aermeln ausgepolsterte Puffen und einen hohen, rothgelb lackirten Cylinder. Andere Trachten mit dem bunten Mieder, den bauschigen, weißen Oberhemdsärmeln nähern sich allerdings den hübschesten Schweizertrachten, und manchem weiblichen Gesichte steht die in einigen Gegenden übliche Goldstoffmütze allerliebst. Eine nun fast ganz verschwundene, aber wirklich malerische Tracht ist übriges die der Hauensteiner. Ueber dieses Völkchen, seine Absonderlichkeiten und seine Tracht ist in der „Gartenlaube“ 1868, Nr. 23, Ausführlicheres berichtet worden. Soviel für heute; über unsere Illustration in der nächsten Nummer!




Aus vergessenen Acten.
Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.


Es war Johannistag. Die kleine Stadt in dem kleinen Fürstenthum feierte den Johannistag in eigenthümlicher Weise. Der Tag galt als der Tag der Todten. Schon von Tagesgrauen an strömte die Bevölkerung auf den Friedhof, um die Gräber zu schmücken, den geschiedenen Lieben eine stille Thräne zu weihen. Man konnte nichts Rührenderes sehen, als diesen kleinen Friedhof, der am Berge ruhte, wie das Städtchen selbst, in den ersten Morgenstunden des Johannistages. Aber sowie die Sonne dem Zenith sich näherte, war der Ernst der Feier in der Hauptsache vorüber; der Lebende war in sein Recht getreten. Die öffentlichen Wirthschaften füllten sich mit Besuchern. Die Ressource vereinigte die Honoratioren des Städtchens im „Blauen Hecht“ zur Mittagstafel, im „Ochsen“ zur Abendunterhaltung.

Im „Ochsen“ waren jetzt die Honoratioren bei einander. Es war gegen neun Uhr Abends, und die ernste Feier, die auch hier die Zusammenkunft einleitete, war vorüber. Im Saal saßen, an einzelnen Tische vertheilt, spielend und trinkend, plaudernd und rauchend die Mitglieder der Ressource. Das Gespräch war an allen Tischen in vollem Gange.

„Wollen Sie denn schon gehen, Meister Wolf?“ fragte verwundert der Bürgermeister am Vorstandstisch, als ein junger, etwa dreißigjähriger Mann sich erhob, den Ueberrock über den Arm legte, nach Stock und Hut griff und den Stuhl unter den Tisch rückte.

„Meine Mutter hat Besuch,“ erwiderte mit sanfter Stimme der junge Mann. „Ich muß ihr und ihrem Besuch doch noch Gute Nacht sagen, ehe sie sich zur Ruhe legen.“

„Sehr rücksichtsvoll von Ihnen, Meister Wolf,“ sagte lächelnd der Bürgermeister. „ Der Besuch Ihrer Mutter ist ja wohl Frau Steuerrath Martin aus der Residenz, nicht wahr? Und die Damen der Residenz muß man zart nehmen, da haben Sie Recht – besonders wenn eine zukünftige Frau Schwiegermama etwa darunter sein sollte – nicht wahr?“

Der junge Mann erröthete. Allgemeines Lachen folgte den Worten des Bürgermeisters.

„Na, na, brauchen sich nicht zu schämen, Meister Wolf. Nanette Martin ist ein sehr niedliches Mädchen, und Sie selbst – bieten einer Frau doch wahrhaftig alles nur Wünschenswerthe. Das schöne Kürschnergeschäft –“

„Gehört meiner Mutter,“ warf der junge Mann ein.

„Nun ja, aber alles Leugnen und alle Ausflüchte helfen Ihnen nichts, Wolf; wir wissen genug. Gehen Sie in Gottes Namen zur Frau Schwiegermama, und wenn Sie an’s Bräutchen schreiben –“

Kopfschüttelnd und abwehrend empfahl sich der junge Meister unter erneuter Heiterkeit der Tafelrunde. Das Lächeln, mit dem er Allen die Hand zum Abschied reichte, sagte deutlich, daß er die Anspielungen des Bürgermeisters durchaus nicht übel genommen habe, seine Verlobung aber noch als Geheimniß betrachtet wissen wolle. In diesem Gedanken drückten ihm auch Alle herzlich die Hand; denn man gönnte ihm allgemein sein Glück. Er war so bescheiden und tüchtig, wenn auch ein bischen schwächlich und zart in Gestalt und Wesen, wofür er übrigens nichts konnte. Das war Vaters-Erbtheil. Der Vater war seit einigen Jahren todt, und der Sohn hatte damals sofort eine sehr günstige Stellung in Leipzig aufgegeben, um der Mutter das einträgliche Kürschnergeschäft weiter zu führen, und seine Kenntnisse und Erfahrungen hatten dem Geschäfte großen Vortheil gebracht. Steuerrath Martin’s Nanette hielt man recht passend für ihn. Ihre Mutter hatte aus der Gegend in die Residenz geheirathet, und man kannte das brave häusliche Mädchen in der kleinen Stadt. Man wußte auch, daß es dem Meister Wolf nicht leicht geworden war, ihr Jawort zu erhalten. Sie sollte, wie man sich im Städtchen erzählte, eine Neigung zu dem etwas wilden und lockeren Fleischer Bahring – auch einem Stadtkinde – auf Zureden ihrer Mutter überwunden haben, ehe sie dem Meister Wolf im Stillen sich verlobte. Soviel wußte man im Städtchen – woher, das war natürlich allgemeines, tiefes Geheimniß.

Niemand an der Tafelrunde, an der Wolf gesessen, hatte bemerkt, daß während der Hin- und Widerrede zwischen dem Gehenden und dem Bürgermeister an einem der nächsten Tische ein junger Mann mit dunklem, wirrem Haar und Bart und einem unheimlich blitzenden, schwarzen Auge sich rasch und finster erhoben hatte. Er warf dem Kellner eine Silbermünze auf den Tisch, welche die geringe Zeche reichlich ausglich, griff nach der grauen Mütze und nahm, mit einem undeutlich gemurmelten Gutenachtgruß an die Zurückbleibenden, seinen grobwollnen Flausrock vom [543] Nagel und einen massiven Stock in die Hand. Während die Tischgenossen verwundert dem plötzlich Aufbrechenden ein „Gute Nacht, Meister Bahring!“ nachwünschten, war dieser schon fast am Ausgang. Hier sah man ihn stille stehen und in die Tasche des grauen Flausrocks greifen, den er angezogen. Er schien verwundert und kam zurück. Er suchte am Boden unter der Stelle, wo sein Rock gehangen, auch unter dem Stuhl, auf dem er gesessen, und ging dann rasch und mürrisch auf den Wirth los.

„Ich muß mein Taschentuch verloren haben,“ sagte er kurz. „Lassen Sie morgen ordentlich nachsehen. Es ist K. B. gezeichnet, weißleinen. Ich will jetzt die Gesellschaft nicht stören.“ Dabei wanderte sein Auge in der Richtung, wo Meister Wolf stand, um von seinen Tischgenossen Abschied zu nehmen. „Ich komme morgen, um nachzufragen.“ Damit ging er.

Als wenige Minuten später Wolf sich der Ausgangsthür näherte, fühlte er sich am Arm ergriffen und schaute in die ruhigen Züge seines Gesellen King.

„Meister,“ sagte dieser, „nehmen Sie sich vor dem Menschen in Acht!“

Die Worte waren laut gesprochen, wie in Angst, die um Hülfe ruft, sodaß die Nächstsitzenden sie wohl verstehen konnten.

„Vor wem meinen Sie?“ fragte Wolf lebhaft.

„Vor Bahring natürlich!“ entgegnete King mit verständnißvollem Blinzeln. „Er schien sehr aufgeregt und eilig, wie um vor Ihnen die Thür zu erreichen. Ich werde Sie begleiten.“

„Ah bah,“ erwiderte Wolf lächelnd. „Draußen ist es ja fast noch hell. Und dann bitt’ ich Sie – was sollte mir geschehen? Wie können Sie Bahring so etwas zutrauen?“

King zuckte die Achseln.

„Wie Sie wollen!“ sagte er. „Nur bis zu Ihrem Hause nehmen Sie mein Geleit an! Dann, wenn Sie mir’s erlauben, möchte ich allerdings noch ein Stündchen hier bleiben.“

Wolf war wieder etwas roth geworden. Er wußte, daß man ihm die höchste Potenz von Muth und Kraft nicht zutraute. Und der Geselle sprach so unvernünftig laut, gewiß nur in der lebhaften Fürsorge für das Wohl seines Herrn. Aber mochte kommen, was da wollte, Wolf durfte sich unter solchen Umständen nicht nach Hause begleiten lassen wie ein schwaches Frauenzimmer.

„Bleiben Sie hier, King!“ sagte er fest. „So lange Sie wollen. Sie haben ja einen Hausschlüssel. Und sagen Sie nie wieder so etwas über Bahring!“

„Wie Sie denken, Meister,“ erwiderte King. „Aber seien Sie vorsichtig! – Schließen Sie Alles!“ setzte er leiser hinzu. „Auch die Hinterthür. Ich werde längstens um elf Uhr zu Hause sein.“

Wolf ging. Er war durch die Mittheilungen des Gesellen doch etwas erregter geworden, als er verrathen wollte. Er nahm draußen den Stock mit dem Bleiknopf verkehrt in die Hand und spähte scheu in die fast nächtlichen Schatten der Höfe und Winkel, die er auf dem Heimwege passiren mußte; denn Karl Bahring hatte sich verschworen, „daß ein Unglück geschehen werde,“ als ihm Nanette den Absagebrief gesandt. So erzählte man sich, und es gab Leute, die solche Reden Bahring’s gehört haben wollten. Der wilde, verschlossene Mensch war wohl im Stande, irgend eine Gewaltthat auszuführen gegen den glücklicheren Nebenbuhler, gegen das Mädchen, das seine Liebe verschmäht, vielleicht gegen Beide. Aber Wolf traf unterwegs nicht auf Bahring. Er fand auch im Hause seiner Mutter durchaus nichts Verdächtiges. Er durchsuchte, nachdem er die Damen kurz begrüßt hatte, das ganze Haus. Am Tage zuvor war ihm eine große Partie werthvoller Felle zur Zubereitung gesandt worden, und es hatte daher nichts Auffallendes, daß er gegen halb zehn Uhr die beiden Lehrlinge aufforderte, ihm vor dem Schlafengehen noch einmal in die Werkstatt, das Verkaufslocal und in den Keller zu leuchten. Auch hier war Alles unverdächtig. Die Lehrlinge begaben sich dann sogleich zur Ruhe, in ihre Kammer in der zweiten Etage.

Wolf kehrte zu den Damen zurück, mit denen er bis nach zehn Uhr in traulichem Geplauder zusammenblieb. Zukünftiges und Vergangenes wurde mit der Mutter, mit der künftigen Schwiegermama, in Liebe und Glück durchsprochen – mit besonderem Behagen Zukünftiges. Die Hochzeit wurde auf Anfang August festgesetzt. Im Hause sollte soviel wie möglich unverändert bleiben; die Parterreräume zur Linken des Hausflurs sollte nach wie vor die Mutter Wolf’s bewohnen, wogegen die Räume des Erdgeschosses zur Rechten in alter Weise dem Geschäft reservirt bleiben sollten. Die erste Etage war dem Haushalt des jungen Paares bestimmt. Sie stand jetzt leer. Nur des jungen Meisters Schlafzimmer befand sich hier, in dem Seitengebäude links von dem offenen Flur, auf den die Treppe mündete; gerade über dem Schlafzimmer der Mutter schlief der Sohn. Auch dabei sollte es bleiben, wenn er verheirathet wäre. Die Bestimmung der übrigen Zimmer und Räume der ersten Etage wurde gemeinsam besprochen, auch ausgemacht, daß das Geschäft mit der Hochzeit an den Sohn übergehen sollte. Alles das und noch viel anderes mehr, was dem hoffenden Herzen des Bräutigams und dem sorgenden Sinn der Mutter wichtig erschien, wurde heute Abend beredet, beschlossen. Ueberglücklich suchte Wolf sein Lager auf. Die Damen hörten, wie er sein Fenster öffnete, vermuthlich um die milde Nachtluft vor dem Schlafengehen noch in vollen Zügen zu athmen. Sie lächelten, als sie ihn dann noch einmal durch all die obern Räume, welche die Heimstätte seines jungen Eheglückes bilden sollten, schreiten und jede Thür noch einmal auf- und zuschließen hörten – vermuthlich wollte er sich den Anblick dieses künftigen Paradieses noch einmal verschaffen. Dann vernahmen sie, wie er in sein Schlafzimmer zurückkehrte und das Fenster schloß. Sein Licht erlosch. Er war zur Ruhe gegangen.

Das Dienstmädchen Margret meldete sich in den an einander stoßenden Schlafzimmern der Damen, um zu fragen, ob sie noch etwas zu befehlen hätten. Auch sie wurde entlassen. Sie prüfte, wie sie stets that, ehe sie in’s Bett ging, den Verschluß der Haus- und Hofthür und fand die erstere verschlossen, die letztere von innen verriegelt. Dann stieg sie die zwei Treppen hinauf in ihre Kammer, die rechts vom Dachflur lag. Zur Linken des geräumigen Dachflurs schliefen die beiden Lehrlinge. Neben der Lehrlingskammer, und nur durch diese erreichbar, wenn auch durch einen Bretterverschlag von derselben geschieden, stand die bis zur Stunde noch unberührte Lagerstätte des Gesellen King. Es schlug gerade halb elf Uhr, als Margret ihre Thür innen abriegelte und sich zur Ruhe legte. Im ganzen Hause herrschte jetzt tiefes Schweigen.




Josua King war nach dem Weggang seines Principals an den Tisch zurückgekehrt, an dem er zuvor gesessen. Er war der einzige Geselle, der in dieser Gesellschaft von Honoratioren geduldet wurde, und er durfte stolz sein auf diese Ausnahme, denn er hatte sie durch seine eigene Tüchtigkeit und sein ungewöhnliches geselliges Talent errungen. King war etwa seit anderthalb Jahren in Wolf’s Diensten. Er war ein überaus tüchtiger und fleißiger Arbeiter, der Wolf unentbehrlich geworden war und darum vom Meister in Lohn und in allen sonstigen Verhältnissen sehr warm gehalten wurde. Er genoß das Privilegium eines Hausschlüssels und aß mit am Familientische. Nicht selten wurde er mit dem Einkaufsgeschäft an anderen Plätzen betraut. In allen Berufsarbeiten bewies er die größte Sachkenntniß, die redlichste Treue. Er war weit herumgekommen in Deutschland und hatte überall Tüchtiges gelernt. Bei allen diesen Vorzügen war er sehr bescheiden und ergeben gegen Wolf und dessen Mutter. Beide hatten nie einen besseren Gesellen gehabt, und wünschten sich keinen anderen.

Josua King stammte aus dem Osten Preußens, war ein schöner Mann, groß, breitschulterig und doch schlank von Gestalt, gewandt in seinen Bewegungen. Um die breite Stirn ringelte sich das blonde Haar in natürlichen Locken, und ein mächtiger blonder Bart umrahmte das Gesicht. Lebhaft funkelten die großen grauen Augen. Das ganze Gesicht hatte etwas Löwenartiges. Er wurde auch der Löwe des Ortes, sobald man entdeckte, daß er ausgezeichnet tanzte, Schlittschuh lief, Komödie spielte und vortrefflich festliche Unterhaltungen anzuordnen verstand. Dieses seltene Maß von geselligem Talent brachte ihn zuerst in die Liebhabertheatergesellschaft, später auch in die aristokratische Sphäre der Ressource. Wolf selbst hatte den Gesellen hier zur Aufnahme vorgeschlagen und die Gesellschaft bisher noch nie bereut, ihn aufgenommen zu haben. Manche reifere Schöne rümpfte freilich auf dem ersten Ressourcenball, den King als Mitglied mitmachte, ihr Näschen darüber, daß jüngere Blüthen ihres Geschlechts mit dem Kürschnergesellen tanzen möchten, und beklagte gegenüber den ruhig dasitzenden Altersgenossinnen, wenn King mit seiner Tänzerin graciös vorüberflog, den Verfall der Würde der Gesellschaft, welche früher so [544] streng darauf gehalten habe, daß nur Bürger und Bürgerssöhne Mitglieder werden dürften. Aber die jüngeren Damen, die King zum Tanze engagirte, dachten viel freier über Standesunterschiede. Wäre Herr King selbstständiger Meister gewesen, so wären ihm wahrscheinlich längst einige geschickte Fallen von künftigen Schwiegermüttern gestellt worden.

Die große Popularität King’s aber hatte sich, wenigstens bei dem weiblichen Theile der Stadtbevölkerung, seit Pfingsten bedeutend verringert. Seitdem hatte sich nämlich das Gerücht verbreitet, daß King sich mit Natalie Becker, der Tochter eines Bürgers und Hausbesitzers des Städtchens, im Stillen verlobt habe. Das Gerücht bestätigte, wie alle derartigen Gerüchte, natürlich nur die bestimmten Ahnungen und Wahrnehmungen sämmtlicher Mädchen und Frauen der Stadt. Es kam nun heraus, daß Hulda schon längst zuvor ein Ballgespräch der Liebenden belauscht, Bertha ein Rendezvous beobachtet und Lina einen Kuß noch rechtzeitig verhindert habe.

Die große Gratulationskarawane, die unmittelbar nach den Pfingsttagen zum Becker’schen Hause wallfahrtete, fand Nalchen wunderbarer Weise verreist und erhielt von deren Eltern die kurze Antwort, daß ihnen von der Angelegenheit des Verlöbnisses ihrer einzigen Tochter gar nichts bekannt, das Ganze ein dummer Scherz irgend eines heimlichen Feindes oder einer boshaften Neiderin sei. Dasselbe versicherte Nalchen bei ihrer Rückkehr zu Ende der Pfingstwoche. Und bei allen Gelegenheiten, welche sie öffentlich mit King zusammenführten, zeigte sie sich diesem gegenüber bedeutend zurückhaltender und kühler als irgend eine andere Dame, und – nun hatte das Gerücht natürlich um so mehr Recht. Auch King, der sich ganz den Anschein gab, mit Nalchen nur auf Hofton zu stehen, wenn er mit ihr öffentlich zusammentraf, sowie die Eltern Nalchen’s nahmen fortgesetzt an diesem Versteckspiel Theil. Letztere besonders schienen die Verpflichtung übernommen zu haben, dem landfremden Kürschnergesellen zu zeigen, wie viel Vorrath von Bürgersinn, Geld- und Standesstolz das Haus Becker noch zur Verfügung habe. Aber das war natürlich auch nur Schein, wie das Gerücht versicherte. Im Grunde war, nach der allgemeinen Ansicht, das ganze Becker’sche Haus so einig mit King, wie der einzige Sohn des Hauses, Fritz Becker, der selten im Wirthshaus an King’s Seite fehlte und der, wie alle Welt wußte, nicht im mindesten die Gabe der Verstellung besaß.

Auch heute Abend saß er an King’s Seite. Die Beiden ließen etwas draufgehen, als Wolf fort war. Wenn der Wirth zum „Ochsen“ lauter solche Kunden gehabt hätte, er hätte bald das Geschäft des Couponabschneidens beginnen können. Die Augen der biertrinkenden Nachbarn richteten sich mit neugierigem Neide und mißbilligender Zurückhaltung auf die volltönenden Etiketten, welche auf Befehl der jungen Männer nach einander dem kleinstädtischen Weinkeller des Ochsenwirths entlockt wurden. Im Grunde mochte mancher von den Zuschauern dieses Weinturniers recht gut wissen, daß fast ein noch größerer Muth dazu gehöre, diese Säfte zu trinken, als die Namen ihrer Etiketten zu bezahlen.

Denn es war kein Geheimniß, daß der Wirth zum „Ochsen“ alljährlich kurz vor der Kirmeß von dem Weinhändler Gotthelf Bieder in der Residenz feierlich empfangen wurde. Der Inhaber der Firma begrüßte den ländlichen Kunden mit den Worten: „Ei, sieh da, Gevatterchen, was führt Sie denn hierher? Gerade sehr viel zu thun. Aber ein Frühstückchen nehmen wir unterdessen, nicht wahr?“ Damit wurde von dem alleinigen Inhaber der Firma Gotthelf Bieder eigenhändig ein Häring der salzigen Fluth entnommen und ein Glas landläufigsten Rothspohns eingeschenkt, und wenn das arglose Gemüth des Provinzialen, durch diese Verquickung von Salz und Säure begeistert, keiner Beredsamkeit mehr zu widerstehen vermochte, begann der Träger der Firma Gotthelf Bieder auf das Geschäft einzugehen.

„Ei, Gevatterchen, wir wollen doch die Kirmeß ausrichten, nicht wahr? Habe mir das schon lange überlegt, natürlich. Für den Anfang geben Sie dieses Weinchen – kosten Sie mal – ganz pique, ja, ja – aber es muß, unter uns gesagt, rasch weggetrunken werden. Lange liegen darf es nicht. Jahrgang verträgt’s nicht. Schade, hätte sonst eine Zukunft. Wenn dann die Köpfe etwas fidel werden – braucht nicht viel dazu, ha, ha! – so geben Sie von der Sorte hier, Gevatterchen! Wir nennen’s Jesuitengarten Hinterhäuser. Sie berechnen anderthalb Thaler die Flasche mit Spaß. Lasse sie Ihnen, Gevatterchen, aber nur Ihnen, mit zwanzig Silber. War einmal ein Pastor bei mir, hatte auch davon getrunken. Am andern Morgen kam er wieder und schrieb mir einen Bibelvers auf, den ich lesen und auf die Etiketten dieser Sorte drucken lassen sollte. Ich schlug ihn nach und fand: ‚Es gehet ein wie Oel, aber es beißet als eine Otter’. So schlimm ist’s natürlich nicht, Gevatterchen, ha, ha!“

King und Becker hatten von beiden Sorten getrunken: von derjenigen, die rasch weggetrunken werden mußte, und von der andern, die einging wie Oel, aber biß als eine Otter. King hatte eigentlich sehr wenig getrunken. Gleichwohl kämpfte er schon nach zehn Uhr Abends sichtlich mit großer Müdigkeit. Wiederholt gab er auf Fragen der Umsitzenden, selbst Becker’s, gar keine Antwort mehr, sondern nickte und träumte mit halbgeschlossenem Auge, den Kopf in die Hand gestützt, selbstvergessen vor sich hin. Mit einem Male schüttelte er sich und sprang auf.

„Wir wollen gehen,“ sagte er leise zu Fritz. Er zahlte die Hälfte der Zeche, er ließ nicht zu, daß Fritz zahlte; dann ergriffen die beiden jungen Männer Hut und Stock, um zu gehen.

„Halt,“ sagte King, fast schon an der Thür. „Es ziemt sich, noch dem Vorstand ,Gute Nacht’ zu wünschen. Komm!“

Er trat an den Vorstandstisch, Fritz hinter ihm, das Gespräch war aber gerade sehr lebhaft, sodaß sie nicht wagten, durch ihr Dazwischentreten die Herren zu unterbrechen. King schien immer noch sehr müde. Er lehnte sich an einen Pfeiler und hörte schläfrig dem Lauf des Gespräches zu. Die Augen fielen ihm fast zu.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


In Deutschland verschollen! Ein armer Fabrikarbeiter in Schweinfurt am Main bittet die Leser der „Gartenlaube“ um ihren Beistand bei der Nachforschung nach der Spur seines seit dem 16. Juni vermißten einzigen Sohnes. Bis zu diesem Tage befand sich der fünfzehnjährige Jüngling als Zögling in der Präparandenschule zu Arnstein im baierischen Unterfranken und ist seitdem spurlos verschwunden. Der Name des etwas schmächtigen jungen Menschen ist Otto Schaup. Wir brauchen unseren Lesern nicht zu schildern, mit welcher Herzensqual der Vater einer Enthüllung des dunklen Schicksals seines Sohnes entgegenblickt, und bitten recht dringend, jede Nachricht über den Vermißten uns eiligst zugehen zu lassen.




Anfrage. Besteht in Deutschland eine Bildungs- und Erziehungsanstalt, welche, vielleicht durch Stiftungen dazu ausgerüstet, wohlerzogene und gesunde Knaben gebildeter, aber mittelloser Eltern unentgeltlich aufnimmt?




Kleiner Briefkasten.

P. v. M. Sie fragen als Leser Luther’scher Schriften nach der Bedeutung der dort erwähnten Abendmahlsröhrlein („Ihr habt bedacht, daß man mit Röhrlein aus dem Kelche trinken solle, damit das Blut Christi nicht verheeret werde“). Wir sind im Stande, hierüber im Folgenden genaue Aufklärung zu geben:

Die Scheu des Priesters, beim Kelchgebrauche in dem Weine das Blut Christi zu vergießen, hat die Einführung der Abendmahlsröhrlein veranlaßt. Diese Scheu war so groß, daß, wenn aus Versehen dem Kelche ein Tropfen entfiel, derselbe mit der Zunge abgeleckt und die Tafel abgeschliffen oder abgehobelt werden mußte. Fiel der Wein zufällig auf ein Brett, so wurde dasselbe verbrannt und die Asche innerhalb des Altars aufbewahrt, der Priester aber mußte seine Unachtsamkeit mit drei Tagen Fasten büßen. Selbstverständlich galten diese Gesetze nur für den katholischen Priester, obschon, wie der allgemein eingeführte Gebrauch des Röhrleins beweist, auch in der evangelischen Kirche dieselbe Scheu vor derartiger Entweihung des Weines herrschte. – Schon vor dem neunten Jahrhundert waren die Kelchröhrlein in der lateinischen Kirche gebräuchlich und erhielten sich noch lange bei dem sogenannten „Spülkelche“. Selbst der Papst hatte sein „sanguisucchiello“, welches von Gold war und ein aus einem Sapphir geschnittenes Mundstück hatte. – In Spener’s „Theologischen Bedenken“ wird ebenfalls der Kelchröhrlein erwähnt, und hiernach müssen dieselben noch um 1698 in der Mark Brandenburg vielfach gebraucht worden sein. Spener will ihre Abschaffung, „da man nicht wisse, ob einer trinken möge oder nicht, oder es nicht verstehe“.

Almir C. B. Amorbach. Die Ballade „Des Hochländers Rache“ von Wilhelm Schröder finden Sie in Nr. 44, 1855.

C. H. in Zweibrücken. Auf Grund eingezogener Informationen müssen wir die bewußte Anstalt mit Entschiedenheit als eine solche bezeichnen, welche lediglich auf die Ausbeutung des leichtgläubigen Publicums abzielt. Wir werden nächstens eingehend auf den Gegenstand zurückkommen.

Ein Abonnent auf St. Pauli. Sie finden den gesuchten Artikel im Jahrgang 1864, Nr. 31.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Auch die vornehmen Haremsdamen, sowohl in Kairo wie in Constantinopel, werden manchmal im Französischen unterrichtet, und dann stets nach Ahn’scher Methode. Spaßhaft klingt es, was H. Bambéry in seinen „Sittenbildern aus dem Morgenlande“ darüber berichtet: „Mir war oft reichlich Gelegenheit geboten, das Haremsleben aus der Nähe zu beobachten; ja ich war sogar so glücklich, einer kaiserlichen Prinzessin in den Anfangsgründen der französischen Sprache Unterricht zu ertheilen. Es war dies allerdings ein sonderbarer Unterricht. Die Prinzessin F....., Tochter eines Sultans und Schwiegertochter eines Großveziers, saß in ihrem weißmarmornen Palaste zwischen Bebek und Emirgian stets hinter dem schweren Teppichvorhange ihres Gemaches, während ich im Vorzimmer, von grimmigen Eunuchenblicken bewacht, Ahn’s deutsch-französische Grammatik in der Hand, ‚mon père est bon‘ in den Vorhang hineindocirte, worauf die zarte Damenstimme ‚benim babam eij dir‘ respondirte. Lehrer und Schülerin hörten sich zwar, aber sahen sich nicht.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: HOEHENSCHWAND