Die Gemälde-Galerie des Grafen Schack − Kapitel 5

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Autor: Adolf Friedrich von Schack
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Titel: Kapitel V.
Untertitel: Allgemeines über die Grundsätze, die bei Bildung der Galerie massgebend waren
aus: Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. von Schack in München
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Dr. E. Albert
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Erscheinungsort: München
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[26]
V.


Nachdem so viele Gemälde in meinen Besitz gekommen waren, dass meine Wohnräume nicht mehr zu deren Aufbewahrung ausreichten, begann ich ein eigenes Gebäude zu diesem Zwecke zu errichten, das nachher noch mehrfach bedeutende Erweiterungen erfuhr. Da ich mich nun durch den Raum nicht länger beschränkt sah, nahmen auch meine Erwerbungen von Kunstwerken alljährlich zu. Ich hatte dabei bestimmte Grundsätze festgestellt, von denen ich nicht abwich. Der erste war, dass ich nur Werke neuerer, und vorzugsweise lebender Maler kaufte; denn ich wollte nicht bloss einer Liebhaberei fröhnen, sondern wünschte auch, soviel in meinen Kräften stand, die Kunst selbst zu fördern. Es ist mir immer als beklagenswert erschienen, dass gegenwärtig die Sammler von Gemälden in der Regel nur auf solche des 16. und 17. Jahrhunderts ausgehen. Sicher wäre die Malerei der alten Italiener und Niederländer nicht zu der Blüte gediehen, an der wir uns noch heute erfreuen, wenn die damaligen Kunstfreunde sich vornehm von den lebenden abgewandt und nur die Arbeiten verstorbener Meister gesucht hätten. In Brüssel und Amsterdam, in Mailand, Venedig und Rom machten zu Rubens’, Rembrandts, Leonardos, Tizians und Rafaels Zeit nicht allein die Fürsten und Grossen, sondern Alle, deren Mittel es ihnen gestatteten, vielfache Ankäufe von Gemälden gleichzeitiger Künstler, und nur dadurch konnte die Malerei jene Höhe erreichen. Aber das Sammeln alter Bilder führt noch, abgesehen von seiner Unfruchtbarkeit für die lebendige Kunst der Gegenwart, andere grosse Uebelstände mit sich. Nur öffentliche Staatsanstalten, die ganz ausserordentlich reich subventionirt sind, oder Privatleute, die über viele Millionen gebieten, können mit Erfolg Galerien von Werken der alten Meister anlegen, und in beiden Fällen ist es noch Bedingung, dass grosse Kenntnis und Einsicht die Ankäufe leite. Ein Privatmann von beschränkten Mitteln mag wohl hier und da unter günstigen Umständen ein gutes Bild erwerben, doch geschieht es selten, dass ein solches noch zu mässigem Preise käuflich ist; man täuscht sich daher arg, wenn man glaubt, dass man gegenwärtig noch Meisterstücke aus der grossen Zeit in bedeutenderer Anzahl zusammenbringen könne, ohne Millionen dafür auszugeben. Bei dem Besuche von derartigen Privatsammlungen befand ich mich meistens in der peinlichsten Verlegenheit. Selten, dass etwas Erträgliches mir erlaubte, einige mässig lobende Worte darüber zu sagen. Aber nun wurden mir, da jeder dieser Sammler natürlich die grossen Namen bei sich vertreten haben will, auch Werke von Correggio, Leonardo, Rafael, Van Dyck, oft in vielfachen Exemplaren, gezeigt, mit der [27] selbstverständlichen Aufforderung, ich sollte sie bewundern. Alsdann war es für mich schwer, einen Ausweg zu finden; wusste ich doch aus Erfahrung, dass der leiseste Zweifel an der Echtheit solcher vermeintlichen Juwelen genüge, den Besitzer in die gereizteste Gemütsstimmung zu versetzen. Glücklich, wer bei derartigem Anlass, und namentlich, wenn er auf sein Gewissen über sein Urteil befragt wird, mit einigen nichtssagenden Redensarten und der Versicherung seiner völligen Inkompetenz, die ihn im Falle allzugrosser Wahrheitsliebe bedrohenden Insulten von sich abzuwehren weiss! – Indessen auch grosse Geldmittel, über die ein Freund alter Gemälde verfügt, leisten keineswegs immer Gewähr, dass er wirkliche Kunstschätze dafür erwerbe. Da selbst Solche, die durch das eifrigste Studium sich zur Kennerschaft zu bilden gesucht, oft sich in der ärgsten Weise haben täuschen lassen, wie sollte ein Geldmann, ein Banquier den richtigen Blick besitzen, der ihn vor Betrug sicher stellen könnte? Wenn er Andere, die vielleicht mehr als er selbst von der Sache verstehen, um Rat fragt – werden sie ihm immer nach bestem Ermessen, nicht bisweilen auch von ihrem Interesse geleitet, ihre Meinung sagen? Gibt nun ein solcher Krösus grosse Summen für wertlose Crouten hin, so ist dieser oft vorkommende Fall noch viel beklagenswerter, als der obige, wo die Rafaele und Tiziane für Spottpreise auf den Jahrmärkten gekauft sind; denn man denkt unwillkürlich, wie vielen Nutzen die so für ein Nichts verschleuderten Summen den Kunstbestrebungen der Gegenwart hätten schaffen können. Noch unlängst ist eine Auktion gewesen, über die ein Einsichtiger ausführlich berichten sollte, um die Welt vor Schwindel beim Verkauf, vor Unverstand beim Ankauf von Gemälden zu warnen. Eine Sammlung von grösstenteils nicht sehr wertvollen Bildern wurde in vielen Zeitungen als die herrlichste angepriesen, die je unter den Hammer gekommen; die gemachte Reklame bewirkte, dass von allen Seiten Liebhaber, und selbst Bevollmächtigte der Staatsmuseen, zu der Versteigerung zusammenströmten, und letztere ward so geschickt geleitet, dass ausserordentlich hohe Preise erzielt wurden. Die höchsten aber zahlte man gerade für Bilder, an deren Echtheit nur völlige Urteilslosigkeit glauben konnte. Wegen einiger derselben waren alle Kenner dahin einverstanden, sie seien moderne, in Absicht des Betruges gefertigte Nachahmungen. Diese waren nicht übel geraten, und ein Liebhaber hätte immerhin ein paar Tausend Franken geben dürfen. Nun aber kauften reiche Banquiers dieselben für eben so viele Hunderttausende. Es gibt förmlich Anlass zur Melancholie, wenn man erwägt, wie eine solche Summe, welche bei ihrer diesmaligen Verwendung die schlecht beratenen Käufer nur dem Gelächter aussetzte, die ganze Existenz vieler lebender Künstler hätte sichern können. – Wie sehr Privatleute beim Sammeln alter Gemälde der Gefahr ausgesetzt sind, wertlosen Plunder aufzuhäufen, geht aus der Betrachtung hervor, dass selbst öffentliche Galerien, bei denen doch meistens erfahrene Männer die Ankäufe leiten, höchst unglücklich in denselben gewesen sind. Die Gemäldesammlungen ersten Ranges, wie die von Florenz, Dresden, Wien, München, Paris und Madrid, bestehen, wenn sie sich auch früher an verschiedenen Lokalitäten befanden, schon seit Jahrhunderten, und sind bereits während der Blütenperioden der alten Kunst, oder doch in Zeiten gebildet worden, als deren Denkmale unter günstigen Umständen leicht zu erwerben waren. Jetzt ist das Ausgezeichnetste in festen Händen, und nur selten kommt ein Bild ersten Ranges noch zum Verkauf. Für ein solches enorme Summen auszugeben, ist gewiss gerechtfertigt. Die sistinische Madonna hat den für die damalige Zeit exorbitanten Ankaufspreis mit Wucher zurückgezahlt; denn ohne sie wäre Dresden, wäre das Königreich Sachsen nicht, was sie heute sind. Aber die Gelegenheit zu solchen oder ähnlichen Käufen wird jetzt so leicht nicht wiederkehren, und in diesem Fall würden die geforderten Beträge zehnfach höher sein. Man muss es nun zwar für sehr löblich halten, dass die grossen Städte, welche bisher keine bedeutenden Kunstschätze besassen, danach trachten, sich mit Sammlungen alter Gemälde zu schmücken; indessen selbst für Milliarden würde es nicht mehr möglich sein, sich in den Besitz von Kunstwerken zu setzen, wie sie z. B. der Palast Pitti in Florenz enthält. In unserem Jahrhundert sind in London, in Berlin und in Petersburg mit ungeheurem Kostenaufwand und auch gewiss mit vielem Erfolg, Galerien alter Gemälde angelegt worden, und sie werden jährlich durch neue Erwerbungen bereichert. Allein bei dem redlichsten Willen der Vorsteher dieser Anstalten, trotz der Einsicht und Umsicht, die dabei zur Anwendung kommt, kann es nicht ausbleiben, dass neben Trefflichem auch Mittelgut angekauft wird, ja dass hohe Summen für Falsifikate ausgegeben werden. Und wenn es nicht Falsifikate sind, wenn die Gemälde, die mit grossen Namen prangen und deshalb sehr teuer bezahlt werden, wirklich ursprünglich Originale gewesen sein mögen, wie oft sind sie mit dicken Schichten von Uebermalung bedeckt, unter denen die ursprünglichen Umrisse verschwinden! – Am weisesten handelten noch solche Museumsvorstände, welche die schlechten oder unechten Bilder, die von ungeschickten Agenten angekauft waren, gar nicht aufhängten, sondern aufgerollt in den sogenannten Depots liegen liessen. Dass auf diese Weise der beste Wille, Gutes zu erwerben, oft scheitert, kann Den nicht wundernehmen, der einerseits die Schwäche der menschlichen Urteilskraft, andererseits den Schwindel kennt, der seit lange im Kunsthandel herrscht. Es ist bekannt, dass im vorigen Jahrhundert, als Rubens besonders in der Mode war, in Polen förmliche Werkstätten zur Anfertigung von Bildern des grossen Niederländers vorhanden waren. In verschiedenen Städten Italiens habe ich Magazine von Kunsthändlern gefunden, in denen beständig eine reiche Auswahl von Michel Angelos, Correggios, Rafaels war. Der Handel erwies sich als sehr ergiebig; denn es fanden sich immer Reisende genug, die dergleichen für bedeutende Summen kauften und stolz in ihre Heimat, besonders nach England und Amerika, hinwegführten. In Sevilla sah ich einmal den ganzen Patio eines Hotels mit Murillos angefüllt, deren Anblick mich für den ganzen Tag verstimmte, wenn ich den Hof durchschritt, die aber nichtsdestoweniger ihre Liebhaber fanden. Der Maler Bernhard Fries hat mir erzählt, sein Hauswirt in Rom habe ihn vielfach aufgefordert, für ihn bald Ruysdaels, bald Claude Lorrains zu malen. Fries lehnte dies natürlich ab, obgleich er viel dabei hätte gewinnen können. Der Hauswirt dagegen, der grosse Geschicklichkeit besass, machte ein wahres Handwerk daraus, Bilder der verschiedensten alten Meister nachzuahmen, und Fries versicherte, später in mehreren öffentlichen Galerien die von dem ehrlichen Römer geschmiedeten alten Italiener und Niederländer wiedergefunden zu haben. Ein interessantes Beispiel von der Trüglichkeit vermeintlicher Kennerschaft ist folgendes, das mir der verstorbene Direktor Waagen in Berlin mitteilte. In Wien tauchte ein Bild auf, welches von Manchen für einen Correggio gehalten wurde und die Augen des Fürsten *** auf sich zog. Dieser war nicht abgeneigt, es zu kaufen, wollte aber, da ein hoher Preis gefordert wurde, zunächst der Authentizität desselben sicher sein. Er wandte sich deshalb an den Archäologen Hirt aus Dresden, der im ersten Viertel unseres Jahrhunderts für eine grosse Autorität in Kunstdingen galt. Hirt erklärte das Bild für echt, hielt jedoch, um seiner Sache völlig gewiss zu werden, für nötig, den Correggio noch speziell zu studiren. Obgleich er eine Anzahl von dessen Hauptwerken schon von Dresden her gründlich kannte, begab er sich doch zu diesem Zwecke noch nach Italien, speziell nach Parma. Von seiner Studienreise zurückgekehrt, unterzog er das fragliche Bild von neuem der sorgfältigsten Prüfung und erklärte es schliesslich für einen höchst vorzüglichen Correggio. So kaufte der Fürst dasselbe, und es [28] wurde als Werk des grossen Allegri viele Jahre lang im fürstlichen Palais von Einheimischen wie Fremden bewundert. Da fügte der Zufall, dass der Tiroler Maler U. die Galerie jenes Palastes besuchte, des Gemäldes ansichtig wurde und erstaunt zu seinen Freunden äusserte, er sei höchst überrascht, ein von ihm selbst in früher Jugend gemaltes und als misslungen verworfenes Bild hier unter dem Schilde des grossen Italieners vorzufinden. Er zeigte ihnen hierauf an der durch den Rahmen halb bedeckten Rückseite seinen Namen; bald ward die Sache ruchbar und der herrliche Correggio wurde, nachdem sein Ruhm erloschen war, sei es beiseite geschafft, sei es mit der wahren Bezeichnung versehen. – Man darf sich übrigens nicht wundern, wenn das grosse Publikum sich dergestalt von Namen düpiren lässt, da selbst höchst geistvollen, von Enthusiasmus für das Schöne glühenden Männern das Gleiche begegnet ist. Einen bemerkenswerten Beleg hierzu gibt folgender Fall. In der ehemaligen Düsseldorfer Galerie befand sich ein „Johannes in der Wüste“, der für ein Werk des Rafael galt. Dieses Bild nennt der geniale Heinse das erste Meisterwerk der dortigen Sammlung und sagt in ekstatischer Weise davon: „O wie oft, heiliges Bild, hast du mich, am stillen Abend einsam unter deinem Einfluss sitzend, Alles in der Welt vergessen gemacht! In dir, und durch dich, bin ich in Tiefen versunken, und bin von ihnen verschlungen worden, wie ein Nichts; und bin mit Schrecken und Furcht wieder daraus erwacht, und ich habe in dir und durch dich wieder die Ruhe der Seele gefunden.

Stündest du in einer alten Kapelle, am Fuss eines waldigen einsamen Gebirgs, dann würdest du recht die Wallfahrt der Weisen sein.“

Noch viel überschwänglicher in seiner Verherrlichung dieses Johannes ist Georg Forster. Er sagt in seinen Briefen vom Niederrhein: „O du mit der Engelseele, aus deren Abgrund du diese entzückende Erscheinung heraufzaubertest und sie zugleich als Bild des Edlen dachtest, der sich noch nicht wert hielt, seines höheren Freundes Füsse zu berühren, – wer bist du, dass ich bei deinem Namen dich nennen mag, nicht bloss dich denken muss, als den ernsten Schöpfer dieses Johannes? Doch wer du auch seist, hier lebt ein Abdruck deiner Kräfte, in dem wir dich bewundern und lieben.

Wenn im Sturme wechselbringender Jahrtausende die jetzigen Einkleidungen des Wahren längst verschwunden und vergessen sind, und es eben so unmöglich sein wird, unsere Hieroglyphen, als es uns jetzt ist, die ägyptischen, zu entziffern; dann bliebe dieses Gemälde, falls ein glücklicher Zufall es bis dahin erhielte, jener späten Zeit ein Vereinigungspunkt mit der Blütezeit unserer heutigen Kunst; ein Spiegel, in welchem man die Bildungsstufe und den Geist des vergangenen Geschlechtes deutlich erkennen und ein lebendiges, solange es Menschen gibt, verständliches Wort, wodurch man vernehmen würde, wie einst der Sterbliche empfand und dachte, der dieses Zeugnis seiner Schöpferkraft hinterliess. Jeder Zug dieses Johannes bürgt für den Dichtergenius seines Urhebers, wenn nicht schon die eigentümliche Behandlungsart sein Verdienst erwiese. Nie zeichnete ein Florentiner richtiger und schöner; und bei dieser Wahrheit des Farbenschmelzes vermisst man Tizians magischen Pinsel nicht. Rafael, dem man hier das Gemälde zuschreibt, hat zu keiner Zeit den Grad der Vollendung im Kolorit gezeigt.“

Der „göttliche“ Johannes ist, nachdem er mit den sämtlichen Düsseldorfer Schätzen nach München gekommen und dort in der Pinakothek aufgehängt worden, mehr und mehr in der Achtung gesunken. Lange Zeit ward er mit dem Namen des Giulio Romano bezeichnet; dann fand man, dass er doch auch für diesen Maler zweiten Ranges zu gering sei, und jetzt gilt er für die Arbeit des mittelmässigen Salviati. Uebrigens könnte man geneigt sein, zu beklagen, dass er nicht noch für das Produkt eines grossen, wenn auch unbekannten Meisters ausgegeben wird; es ist wohl sicher, dass es ihm dann an gleich begeisterten Bewunderern, wie Heinse und Forster es waren, nicht fehlen würde.

Ich bin weit entfernt, mit obigen Bemerkungen das Streben der Lenker öffentlicher Kunstinstitute, auch noch heute Gemälde der grossen Alten zu sammeln, für thöricht zu erklären. Nur Uebelwollen oder Unkenntnis kann leugnen, dass in mehreren der Sammlungen, welche im wesentlichen erst in unserm Jahrhundert angelegt worden sind, namentlich in der Nationalgalerie in London, dem Museum von Berlin und der Eremitage in Petersburg, viel Ausgezeichnetes zusammengebracht worden ist. Ich wollte nur darlegen, aus welchen Gründen ich zu keiner Zeit gesonnen war, mich dem mit dem Ankaufe alter Gemälde verbundenen Risiko auszusetzen. Wohl ist eine gewisse Gefahr auch bei der Acquisition von Bildern der Neuzeit vorhanden; aber Jeder sieht, dass, wenn einiges Verständnis dabei obwaltet, sie hier geringer ist. – Ein zweiter Grundsatz, den ich mir feststellte, war, mich (abgesehen von den Kopien) auf die Erwerbung der Arbeiten deutscher Künstler zu beschränken. So fern es mir liegt, die Leistungen der französischen und belgischen Malerei in unserm Jahrhunderte zu verachten, kann ich doch die schon seit Jahrzehnten gehegte Ueberzeugung nicht aufgeben, dass dieselben beträchtlich überschätzt worden sind, und ich glaube, dass die allgemeine Meinung mir hierin schon jetzt recht gegeben hat. Schwerlich würden die Bilder Gallaits, namentlich die spätern, oder gar diejenigen de Biefves, wenn sie sich von neuem bei uns produzirten, wieder mit einem solchen Weihrauchqualm begrüsst werden, wie ehedem. Als ich unlängst mit mehreren gebildeten Künstlern, die früher für Horace Vernet geschwärmt hatten, die Galerie von Turin besuchte, betrachteten wir lange ein grosses Porträt Karl Alberts zu Pferde, von diesem, ehemals so berühmten Franzosen, und konnten nicht fassen, wie die Produktionen eines Malers, der etwas so durchaus Geringes geliefert, je hatten Beifall finden können. Und doch haben die grössten Souveräne um das Glück gebuhlt, Mitglieder ihrer Familie oder Ereignisse ihrer Regierung von Vernet gemalt zu sehen. Freilich, das feine Kunstgefühl Karls V., der keinem andern, als dem Tizian zu Porträtdarstellungen sitzen wollte, oder Philipps IV., der das hohe Talent des Velasquez, schon als dieser noch Jüngling war, erkannte und ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte, sucht man auf den Thronen der Gegenwart vergebens! – In Frankreich scheint es übrigens wie in Deutschland gegangen zu sein; untergeordnete Talente usurpirten Jahrzehnte lang den Ruhm, der anderen bedeutendern, aber bescheidenern gebührte; z. B. ist Eugen Delacroix, der bei seinen Lebzeiten nur in engeren Kreisen verehrt wurde, oder doch, wenigstens in Deutschland, kaum neben Delaroche und Vernet genannt ward, seit seinem Tode zu einem Ansehen gelangt, das wahrscheinlich dauernder sein wird, als das der erwähnten. – Einmal teilte ich nicht die Bewunderung französischer und belgischer Kunst, die an der Tagesordnung war, dann aber missbilligte ich auch von jeher jene bei uns herrschende Sucht, das Ausländische vor dem Einheimischen zu bevorzugen. Kein anderes Volk hat sich dieser Untugend in solchem Grade schuldig gemacht, wie das deutsche, und leider währt sie noch heute, wo man so viel von Nationalgefühl spricht, in ungeschwächter Weise bei ihm fort. Noch heute ist es geneigt, das, was in Kunst und Litteratur in fremden Ländern produzirt wird, für besser zu halten, als die Leistungen inländischer Talente, welche es alle Bitterkeit der Verkennung kosten lässt.

Wenn mich der Wunsch, von dem genannten Fehler meiner Landsleute frei zu bleiben, bestimmte, nur Bilder deutscher Maler in meiner Galerie aufzunehmen, so stellte ich mir weiter das Axiom fest, mich bei der Wahl derselben nicht durch berühmte Namen bestechen zu lassen. Abgesehen davon, dass mich der Ruhm des Tages nie geblendet hat, schien es mir lohnender, [29] junge Kräfte zu entdecken, oder auch solche zu beschäftigen, welche, der Gunst des grossen Publikums entbehrend, brach lagen. Ich dachte, meine Galerie würde so einen eigentümlichen Charakter erhalten, während sie sonst nur Bilder von Malern aufgewiesen hätte, von denen man schon überall Werke sehen konnte. Jedenfalls meinte ich, der Kunst und den Künstlern auf diese Art mehr nützen zu können. Eines war dabei freilich vor allem nötig: Urteilskraft. Wenn ich mir dieselbe nun auch einigermassen zutraute, so verhehlte ich mir doch nicht, dass ich dabei auch der Irrung und Täuschung ausgesetzt sein würde; aber ich wollte lieber selbständig und nach meinem eigenen Sinne irren, als mit der grossen Menge. Ich wusste bestimmt, dass, wenn ich mit dem wechselnden Windhauche des öffentlichen Urteils segelte, ich Schiffbruch leiden würde; der Kompass dagegen, den ich mir selbst aufstellte, konnte mich möglicherweise vielleicht doch in den Hafen führen. Ueberaus merkwürdig sind die steten Wandlungen des Geschmacks; selbst die grössten Geister sind oft in den Meinungen befangen gewesen, die ihre ganze Zeit beherrschten. Und dies findet nicht allein statt in Bezug auf die Leistungen ihrer eigenen Periode, sondern auch hinsichtlich der Kunstschöpfungen früherer Jahrhunderte. In Goethes Jugend wurden die Bolognesen, die Caracci, Guido Reni, Guercino vor allen hochgeschätzt und dicht neben Rafael gerückt. Wenn der grosse Dichter in seiner italienischen Reise sich für ein Gemälde begeistert, so ist es fast immer eines von diesen Meistern; er stellt eine Pilgerfahrt nach Cento an, um dem Guercino an dessen Geburtsort seine Huldigung darzubringen, erwähnt dagegen bei seinem Aufenthalt in Venedig nur selten der grossen Venezinaner und dann immer in einer Weise, dass erhellt, wie er diese weit geringer geschätzt hat, als die Bolognesen. Ganz ähnlich urteilt Stolberg in der noch immer lesenswerten Beschreibung seiner Reise durch Italien. In einem Briefe aus Florenz sagt er, die dortigen Gemäldegalerien hätten unmöglich einen grossen Eindruck auf ihn machen können, nachdem er alle die herrlichen Meisterwerke in Bologna gesehen. Jetzt hat sich dieses Urteil völlig umgekehrt. Die Kunstverständigen halten es gegenwärtig für genügend, dass sie einige Stunden in der Akademie zu Bologna weilen, um doch vorzugsweise nur Rafaels heilige Cäcilia zu betrachten. Wenn sie dagegen in Florenz Monate in Bewunderung der florentinischen, venezianischen und anderer Meister verbringen, so erscheint ihnen diese Zeit noch zu kurz. Die Ueberschätzung jener eklektischen Schule hat übrigens lange gewährt. Noch Schelling in seiner berühmten Rede über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, preist Guido Renis Himmelfahrt der Maria in der Münchener Pinakothek in so enthusiastischer Weise, als wäre sie neben Rafaels sistinischer Madonna das erste Bild der Welt. Heute werfen nur noch wenige einen flüchtigen Blick auf sie, und manche urteilen, sie sei selbst für Guido Reni zu schlecht und höchstens eine mittelmässige Kopie oder Nachahmung seiner Manier. In England hat die Bewunderung Guidos bis auf die jüngste Zeit fortgedauert; er war dort gewöhnlich als zweitgrösster Italiener neben Rafael genannt, und im Palast Barberini zu Rom konnte man immer Scharen von Britten sehen, die sich um das angebliche Porträt der Beatrice Cenci drängten und es als eines der wundervollsten der Welt feierten; nunmehr scheint auch bei ihnen ein Umschwung in dieser Hinsicht eingetreten zu sein. Von den meisten deutschen Kunstkritikern wird besagtes Bildnis seit lange für ganz wertlos erklärt. – Auf die Ueberschätzung der Bolognesen, die jetzt unter Verkennung ihrer Verdienste zu gering geachtet werden, folgte bei uns eine einseitige Verehrung, ja Anbetung der Vor-Rafaelischen Maler; fortan war Fra Angelico der Einzige, Göttliche; Filippo Lippi, Perugino, Francia und andere sicher hochachtbare Meister sollten den Gipfel der Kunst erklommen haben, und Rafael ward nur noch in seinen Jugendwerken anerkannt. An des letzteren späteren, d. h. vollendetsten Gemälden tadelte man die zu grosse Sinnlichkeit; ja einige nannten ihn sogar einen Verderber der Kunst. Von den Venezianern wurde damals behauptet, sie suchten nur die Augen durch äusserlichen Reiz zu bestricken, und Viele hatten für sie nichts als Verwünschungen. Auch diese Periode des Geschmacks ist vorübergegangen; die unsrige glaubt das richtige Kunsturteil gewonnen zu haben; dass aber auch dieses in der Folgezeit sich vielfach ändern werde, lässt sich nicht bezweifeln.

Noch weit auffallender tritt hervor, wie trügerisch das Urteil einer Periode über die in ihr selbst zu Tage geförderten Erscheinungen ist, und wie oft es sich in kurzem in sein Gegenteil verwandelt. Als Berninis kolossale Statuen auf der Engelsbrücke in Rom aufgestellt waren, erregten dieselben die Bewunderung von ganz Italien, eine höhere, als je dem Michel Angelo zu Teil geworden war. Man wallfahrtete aus der halben Welt dahin, um sie zu betrachten, und im Strombett des Tiber wurden eigene Gerüste für die Künstler aufgeschlagen, damit sie von dort aus die hohen Meisterwerke studiren und zeichnen könnten. Gegenwärtig geht die Meinung der Meisten dahin, diese Statuen seien horribel, und es werde zur Verschönerung von Rom beitragen, wenn man sie von der Brücke in den Fluss hinabstürzte. – Die ungemeine Wertschätzung, deren der Landschaftsmaler Hackert im vorigen Jahrhundert genoss, liefert ein anderes hierhergehöriges Beispiel. Dass er bei Solchen, die nichts wahrhaft Gutes erblickt, Beifall ernten konnte, begreift sich; ja man kann zugeben, dass er für seine Zeit Tüchtiges geleistet hat. Dass aber Goethe, der einen Claude Lorrain, einen Ruysdael, einen Poussin kannte, ihn in der Art hochstellen konnte, wie er es wirklich gethan, dass er ein Buch über ihn schreiben und ihn darin für einen der Ersten in seiner Kunst erklären konnte, bleibt unbegreiflich; ebenso, dass der grosse Winckelmann alles Ernstes Mengs über Rafael zu stellen vermochte. – Schon die erwähnten Fälle zeigen, wie sehr Diejenigen auf Irrwegen gehen, welche bei Bildung von Kunstsammlungen den Geschmack ihrer Zeit zur Richtschnur nehmen oder sich von gefeierten Namen imponiren lassen. Selbst die ausgezeichnetsten Museen tragen die Spuren hiervon zur Schau. In der Dresdener Galerie sind ganze Säle mit Gemälden der Bolognesen angefüllt, die vermutlich enorme Summen gekostet haben; jetzt würde man sie allgesammt für das kleine Bild der Töchter Palmas hingeben. In Neapel, aber auch in Deutschland, sind die Wände mancher Schlösser mit Landschaften von Hackert behängt, die man heute kaum anders betrachtet, als um ihre Mängel zu kritisiren, und die Erwägung daran zu knüpfen, wie die Ankäufer derselben ihr Geld besser als auf deren Erwerbung hätten verwenden können. Mit den Bildern Davids und seiner Schule, die zu Anfang unsres Jahrhunderts eifrig gesucht wurden, verhält es sich ebenso. Im Louvre und Luxembourg zu Paris kann man besonders lehrreiche Studien über die Unzuverlässigkeit des Kunsturteils einer Zeit anstellen. Hier werden die Gemälde aufgehängt, welche die Regierung als die hervorragendsten, von der zeitgenössischen Malerei produzirten, angekauft hat, damit sie den folgenden Perioden in leuchtenden Beispielen Zeugnis von der Kunsthöhe der vorhergehenden gäben. Nun aber erscheinen der nächsten schon fast immer die gepriesenen Meisterstücke der früheren als geringfügige Werke: man kann sich den Beifall, mit dem sie aufgenommen worden, nicht erklären, und nur sehr Weniges rettet sich aus diesem allgemeinen Schiffbruche in die Unsterblichkeit hinüber. Als Beispiel solcher Hinfälligkeit des Ruhmes führe ich nur Gerards Corinna, die Harfe auf dem Kap Misen spielend, an, welcher noch der feinsinnige A. W. Schlegel einen eigenen Aufsatz voll begeisterten Lobes gewidmet hat. Man vermag diese affektirte und preciöse Figur kaum noch ohne Lachen anzusehen. Ein Bild dagegen, das wohl Aussicht hat, auch von der Zukunft noch bewundert zu werden, möchte in demselben Saale des Louvre „der Schiffbruch der Medusa“ sein, auf dessen [30] frühverstorbenen Urheber bei seinen Lebzeiten kaum ein Schimmer des Ruhmes gefallen ist.

Genug und übergenug ist gesagt worden, um meinen Entschluss zu rechtfertigen, dass ich mich um den Geschmack der Zeitgenossen und die von ihnen gefeierten Namen gar nicht kümmern wollte. Da nun, was sich noch durch zahlreiche andere Beispiele beweisen lässt, das Urteil jeder Zeit über das in ihr Produzirte durchaus schwankend und unsicher ist, war ich, wie bemerkt, überzeugt, auch das meinige könne trügen. Dass ich jedoch im wesentlichen bei meinem Grundsatze nicht fehlgegriffen, hat sich schon jetzt thatsächlich bewährt: die meisten der Maler, deren Werke meine Sammlung bilden, waren, als ich sie kennen lernte, verkannt oder noch völlig unbekannt; sie haben sich aber seitdem eine Gemeinde von Verehrern gewonnen, die, anfänglich klein, mehr und mehr im Wachsen begriffen ist, wenn auf dem lauten Markt auch noch teils die alten thönernen Götzen teils neu creirte, hohler als jene, angebetet werden. Hat aber nicht jedes für mich vollendete Gemälde den von mir gehegten Erwartungen entsprochen, so liegt dieses in der Natur der Dinge. Selbst den tüchtigsten Künstlern gelingt bei aller Anstrengung die Arbeit nicht immer nach Wunsch; sollte ich nun aber Männer, die ich hochschätze, durch die schliessliche Zurückweisung eines Bildes, an das sie ihre beste Kraft gesetzt, kränken? Uebrigens habe ich mich hierbei auch von der Unzuverlässigkeit alles Urteils überzeugen müssen; denn was mir nicht ganz zusagte, fand bei Anderen lebhaften Beifall. Hängt aber an den Wänden meiner Galerie wirklich Einiges, dem ich von Anfang an keinen grossen Wert beilegte, so befindet sich hierin meine Sammlung mit jeder andern im gleichen Fall; der äusseren Anordnung wegen sind auch Lückenbüsser nötig, und zu diesem Zwecke wurden verschiedene Bilder, die gar nicht für die Galerie bestimmt waren, aus meinen Wohnzimmern herübergeschafft.

Immer habe ich es für eine ganz falsche Ansicht gehalten, dass eine Gemäldesammlung eine Art von Encyklopädie der Kunst sein müsse. Selbst für die öffentlichen Institute dieser Art scheint mir ein solcher Grundsatz ganz irrig; auch ist er in keinem derselben mit Erfolg durchgeführt worden: jedes hat dasjenige erworben, was ihm eine glückliche Gelegenheit zuführte, oder was seinem Stifter, seinen Direktoren besonders zusagte. Wenn man es darauf anlegte, alle möglichen Namen vertreten zu sehen, musste man sich mit Mittelgut begnügen. Der Stolz des Wiener Belvedere besteht in seinen zahlreichen herrlichen Venezianern; derjenige der Münchener Pinakothek in der unermesslichen Menge von wundervollen Rubens; der des Madrider Museums in seinen mehr als vierzig Tizians und eben so vielen Velasquez. So glaubte auch ich besser zu thun, wenn ich Bilder der von mir hochgestellten Künstler in beträchtlicher Anzahl erwarb, als wenn ich solche von allen möglichen um mich versammelt hätte. Daraus, dass man sehr viele Namen von Lebenden in meinem Kataloge vermisst, folgt noch im entferntesten nicht, dass ich sie gering geschätzt habe. Meine Mittel waren auch nicht schrankenlos; die mir zu Gebot stehenden Räume nicht unbegrenzt. Allerdings jedoch beruhte die Thatsache der Ausschliessung gewisser Arten von Bildern auf meiner Ueberzeugung, die Gattung, zu welcher sie gehörten, sei, wie sehr auch beim Publikum beliebt, eine verkehrte und habe nichts mit der echten Kunst gemein.