Dr. Martin Luther im „Bären“ zu Jena
Dr. Martin Luther im „Bären“ zu Jena.
Am Tage der Fastnacht – dem 4. März – im Jahre des Heils 1522 zogen auf der großen Verkehrsstraße, die von Nürnberg gen Naumburg, Halle und Leipzig führte, zwei fahrende Studiosen einher, welche sich als abendliches Reiseziel die Stadt Jena ausgewählt hatten. Ein am Nachmittag eingefallenes Unwetter hatte die Wanderer genöthigt, unterwegs einen Unterschlupf zu suchen, und außerdem die Wege so aufgeweicht, daß das Fortkommen ein erschwertes war. In Folge dessen hatten die Jünglinge sich verspätet, und es war schon der Abend hereingebrochen, als sie das südliche Thor der Stadt, das Löbderthor, erreichten. In den bereits tief dämmernden Straßen herrschte indessen helles, fröhliches Leben. Vermummte zogen einzeln und in Haufen vorüber und trieben allerhand Kurzweil. Die Insassen der Häuser schauten neugierig aus den Erkern und Fenstern auf das Treiben hinab oder standen und saßen lachend und schäkernd unter den Rundbögen der Thoreingänge. Auch schrille Musik von Pfeifen und Trommeln oder aus dröhnenden Hörnern mehrte den brausenden Lärm. Die einwandernden Studenten waren indeß von dem langen und mühevollen Wege ermüdet und begehrten nach Herberge und Nachtruhe. Aber überall, wo sie in der Stadt darnach Umfrage hielten, ward ihnen eine abschlägige Auskunft zu Theil, und so standen sie jetzt rathlos an dem nördlichen Ausgange, in der Schloßgasse am sogenannten Pförtchen, entschlossen, die unwirthliche Stadt zu verlassen und auf einem der Dörfer außerhalb Nachtherberge zu suchen. Da trat aus dem Pförtchen ein ehrsamer Bürgersmann, der wohl in der inneren Stadt noch einen Nachttrunk zu nehmen begehrte, und frug sie, wohin sie noch so spät hinaus wollten. Sie würden vor Einbruch der Finsterniß sicher keinen Ort erreichen, und die Wege seien leicht zu fehlen. Er wolle ihnen daher rathen, allhier zu bleiben.
„Lieber Vater,“ entgegnete hierauf der Aelteste der Beiden, „wir sind in allen Wirthshäusern gewesen, allenthalben hat man uns abgewiesen und Herberge versagt, müssen also aus Noth fürbaß ziehn.“
Da meinte der Bürger, ob sie denn auch schon im Gasthause zum „Schwarzen Bären“ gewesen seien? Als sie dies verneinten, erbot er sich, ihnen dasselbe zu zeigen. Es läge ein wenig vor der Stadt, nur etwa hundert Schritt vor der Pforte.
Als sie nun dort ankamen, stand der behäbige Wirth unter der Thorfahrt und lüftete, als er die Ankömmlinge sah, freundlich grüßend seine Kappe. Auf ihre schüchterne Frage nach Labung und Unterkunft hieß er sie fröhlich willkommen und führte sie allsogleich in die Gaststube rechts von der Flur. Dort trafen sie bereits quer an der Wirthstafel einen Gast sitzen. Derselbe hatte vor sich ein Buch aufgeschlagen, in welches er sich lesend vertieft hatte. Gleichwohl war sein Aeußeres nicht das eines Gelehrten. Er trug Wamms und lange Hosen und auf dem Kopfe eine rothe Lederkappe, ganz nach Landesgewohnheit der Reitersleute. Die rechte Hand hielt er gestützt auf den Knopf eines kräftigen Schwertes, während er mit der linken das Heft umfaßte. Sein etwas breites Gesicht bedeckte ein dunkler Vollbart und unter den buschigen Augenbrauen blitzten ein Paar tiefschwarze große Augen hervor, „funkelnd wie die Sterne“, daß man sich schier scheuen mochte, in sie hineinzuschauen.
Die Anwesenheit des Fremden, der wohl ein Edelmann sein mochte, schüchterte die beiden jungen Gelehrten etwas ein. Zudem waren ihre Schuhe und Kleider von dem Straßenkothe gar arg befleckt, sodaß sie sich ihres Aufzugs schämten. Sie setzten sich deshalb abseits von dem Gasttische auf ein an der Wand befestigtes Bänkchen in der Nähe des großen grünen Kachelofens und studirten verlegen die Figuren der zwölf Apostel, welche in die Glasur eingebrannt waren. Der Fremde aber hieß sie alsbald sich zu ihm an den Tisch setzen und bot ihnen Bescheid aus der vor ihm stehenden Kanne. Das konnten sie ihm nicht wohl [575] abschlagen. Sie setzten sich also zu ihm und thaten ihm Bescheid, bestellten auch, um des Gegenbescheides willen, eine Kanne Wein, obwohl ihr Zehrgeld nicht darauf eingerichtet war.
„Ihr seid,“ sprach der Rittersmann dann weiter, „Schweizer?“ Er mochte das wohl aus der Mundart, welcher die Beiden sich bedient, schließen. „Woher seid Ihr aus dem Schweizerlande?“
„Von Sanct Gallen!“
„Und wollt –“
„Gen Wittenberg, um allda die heilige Schrift zu studiren.“
„Dort werdet Ihr gute Landsleute finden; den Doctor Hieronymus Schurf und seinen Bruder Doctor Augustin.“
„Wir haben Briefe an sie,“ fiel der Jüngere ein, der sich seither ziemlich schweigsam gehalten und dem Aelteren allein das Wort gegönnt hatte.
Im Scheine der hohen Zinnlampe, welche der Wirth jetzt auf den Tisch stellte, konnte man sehen, daß die Erscheinungen beider Jünglinge sich eigenthümlich gegenüberstanden. Der eine, um mehrere Jahre ältere war von brünetter Farbe, das Gesicht war blaß und ziemlich scharf geschnitten und von einem fast schon männlichen Gepräge; der andere, jüngere war blond, ein wahrer Johannes-Kopf, das Antlitz voll, frisch und rund, fast mädchenhaft. Jener getragen von einem frühzeitigen Ernste, dieser uns befangen und munter in die Welt schauend.
Der Erstere, dessen Wißbegier durch die räthselhafte Erscheinung des Fremden lebhaft angeregt schien, frug nach einer Weile weiter:
„Mein Herr, wisset Ihr uns nicht zu bescheiden, ob Martinus Luther jetzt zu Wittenberg, oder an welchem Orte er sonst sei?“
Darauf antwortete der Fremde mit verhaltenem Lächeln:
„Ich habe gewisse Kunde, daß der Luther jetzt nicht in Wittenberg ist; er wird aber bald dahin kommen.“
„Gott sei gelobt! Denn so Gott unser Leben fristet, wollen wir nicht ablassen, bis wir den Mann sehen und hören. Denn seinetwegen haben wir diese Fahrt unternommen, da wir vernehmen, daß er das Priesterthum sammt der Messe als einen ungegründeten Gottesdienst umstoßen will. Dieweil wir nun von Jugend auf von unseren Eltern dazu erzogen und bestimmt sind, Priester zu werden, wollen wir gern hören, was er uns für einen Unterricht geben will und mit welchem Fug er solchen Vorsatz zu Wege bringen wird.“
Der fremde Reitersmann schwieg auf diese Rede eine Weile, als ob er darüber nachdächte, dann fuhr er fort:
„Wo habt Ihr bis jetzt studirt?“
„In Basel.“
„Wie steht es zu Basel? Ist Erasmus Rotterdamus noch daselbst und was thut er?“
„Wir wissen nicht anders, als daß es dort wohl steht; auch ist Erasmus noch da, was er aber treibt, ist Jedermann unbekannt und verborgen, da er sich gar still und heimlich verhält.“
„Lieber,“ frug dann der Fremde weiter, „was hält man im Schweizerlande von dem Luther?“
„Mein Herr, es sind wie allenthalben mancherlei Meinungen. Manche können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit durch ihn geoffenbart und die Irrthümer zu erkennen gegeben hat; manche aber verdammen ihn als einen verruchten Ketzer. Das sind vor Allem die Geistlichen.“
„Ich denk mir’s wohl, es sind die Pfaffen.“
Während dieser Reden hatte der Jüngere voll Neugier das Buch des Reitersmannes heimlich aufgeschlagen und dabei wahrgenommen, daß es ein hebräischer Psalter war. Dann klappte er es schnell wieder zu. Der Reiter aber, der den Dieb wahrgenommen haben mochte, steckte es zu sich und ging hinaus, um, wie er sagte, nach seinem Rößlein zu schauen.
Inzwischen trat der Wirth an den Tisch heran und verrieth den Studenten, daß der, so bei ihnen sitze, der Martin Luther sei. Diese zweifelten jedoch daran und der Aeltere der Beiden wurde durch die Ritterkleidung und das Buch desselben zu der Ueberzeugung geführt, daß es der Hutten sei, der bei ihnen sitze, und so behandelten sie ihn denn hinfort auch als den Ulrich von Hutten.
Inzwischen hatte sich die Zahl der Gäste um zwei weitere Ankömmlinge vermehrt. Es waren zwei Nürnberger Kaufleute, welche die Absicht hatten, nach Naumburg zur Messe zu reisen.
Nachdem sie sich ihrer Oberkleider und der großen Sporen an ihren Reitstiefeln entledigt, nahmen sie ebenfalls Platz an dem Tische, zu dem auch der Reitersmann, der angebliche Luther oder Hutten, wieder zurückgekehrt war. Der eine der Kaufleute zog hierauf ein ungebundenes Buch aus dem Wamse und legte es neben sich auf den Tisch.
„Was ist das für ein Buch?“ frug alsbald der Reitersmann.
„Es ist Doctor Luther’s Auslegung etlicher Evangelien und Episteln, erst neu gedruckt und ausgegangen. Habt Ihr die noch nicht gesehen?“
Da lächelte der räthselhafte Fremde und sprach:
„Sie werden mir, denk ich, auch bald zukommen.“
Darauf trat der Wirth wieder zur Thür Herrin und lud die Gäste ein, sich zum Nachtmahl zu setzen, das indessen eine Magd vorgerichtet hatte.
„Was bringt uns der Speisezettel?“ frug einer der Kaufleute.
„Fleischbrühe mit Brodschnitten, gepökelt Rindfleisch, süßen Brei und Lämmerbraten,“ zählte der Wirth an den Fingern auf.
Da nahm Johannes den Wirth zur Seite und bat, er möge mit ihnen Nachsicht haben und ihnen besonders auftragen. Es genüge ihnen schon ein bescheiden Süpplein.
Da erwiderte der Wirth:
„Liebe Gesellen! Macht Euch keine Sorge, setzet Euch nur zu den Herren an den Tisch. Ich will Euch anständig halten.“
Das hatte auch der fremde Reitersmann gehört. Da trat er heran und rief:
„Kommt nur herzu. Ich will die Zehrung mit dem Wirth schon abmachen.“
Vor dem Beginn des Nachtmahls sprach der Rittersmann ein Tischgebet vor. Dann erging er sich in allerlei herzgefälligen und gottseligen Reden, sodaß die Schweizer und Nürnberger Kaufleute wie andächtig saßen und weit mehr der Reden wie des Essens achteten. Da kam er unter Anderem auch zu reden auf den Reichstag zu Nürnberg, der zu jener Zeit dort versammelt war „wegen Gottes Wortes und der schwebenden Händel mit Rom und der Beschwerung deutscher Nation willen“.
Die Kaufleute erzählten, daß die dort versammelten Fürsten und Herren sich gar wenig Zeit nähmen zu ernstem Thun, sondern ihre Zeit ausfüllten mit kostbarem Turnier, Schlittenfahrt, Tänzen und dem Hoffiren schöner Frauen.
„Das sind also,“ brauste da der Ritter aus, „unsere christlichen Fürsten! Ich meinte wohl, Gottesfurcht und christliche Bitte zu Gott würde ihnen eher zu ihrem Vorhaben verhelfen. Ich bin indessen,“ fuhr er dann mit größter Ruhe fort, „der Hoffnung, daß die evangelische Wahrheit mehr Frucht an unsern Kindern und Nachkommen bringen wird, da diese nicht mehr von dem päpstlichen Irrthum vergiftet, sondern jetzt auf lautere Wahrheit und Gottes Wort gepflanzt werden, als an den Eltern, bei denen die Irrthümer so eingewurzelt sind, daß sie schwerlich ausgerottet werden.“
Da sprach der ältere der beiden Kaufleute:
„Ich bin nur ein einfältiger Laie, verstehe mich auch auf die geistlichen Händel gar nit besonders, das spreche ich aber, wie ich die Sache ansehe: der Luther muß entweder ein Engel vom Himmel oder ein Teufel aus der Hölle sein. Ich hätte Lust noch zehn Gulden ihm zur Liebe aufzuwenden, wenn ich ihm beichten könnte, denn ich glaube, er würde mein Gewissen wohl unterrichten.“
Als das Nachtmahl beendet war, sammelte der Wirth der Reihe herum bei jedem der Gäste das Speisegeld ein. Die beiden Studenten machten dabei etwas verlegene Gesichter und zogen schüchtern ihre ledernen Beutelchen. Der Wirth aber ging mit dem Teller an ihnen vorbei und sagte halblaut:
„Laßt es nur gut sein. Er hat’s für Euch mit berichtigt,“ und dabei zeigte er auf den Rittersmann.
Die Kaufleute stunden denn auf und gingen in den Stall, ihre Rosse zu versehen. So blieben die Schweizer mit dem fremden Ritter allein in der Stube. Sie naheten diesem in Ehrfurcht und dankten dem „gnädigsten Junker“ für die Spende, indem sie ihm dabei merken ließen, daß sie ihn für den Ulrich von Hutten hielten.
„Viele Eurer Schriften, edler Junker,“ fügte Johannes an, „sind auch bei uns in der Schweiz verbreitet, so das Büchlein [578] über die römische Dreifaltigkeit und die Klag und Vermahnung wider die übermüthige Gewalt des Papstes.“
Da meinte er lächelnd:
„Ich bin diese Nacht zu einem Edelmann geworden, denn diese Schweizer halten mich für Huldreich ab Hutten.“
Da kam der Wirth an seine Seite und rief:
„Ihr seid es nicht, aber Martinus Luther.“
Da erwiderte er lachend:
„Die halten mich für den Hutten, Ihr für den Luther, bald werde ich wohl gar Markolfus werden.“
Markolfus, zu deutsch Grenzhüter, war aber der Name einer komischen Volksfigur jener Zeit.
Nach diesen Worten nahm er ein hohes Bierglas vom Tisch, um nach des Landes Sitte den Nachttrunk zu kredenzen.
„Schweizer,“ rief er dabei, „trinkt mir noch einen Freundestrunk zum Segen!“
Als nun Johannes das Glas von ihm nehmen wollte, um Bescheid zu thun, that er es zur Seite und nahm statt dessen ein Glas mit Wein.
„Euch Schweizern ist,“ meinte er dazu, „das Bier unheimisch und ungewohnt, trinket dafür den Wein.“
Und Johannes nahm den Wein und rief ihm den gleichen Segen zu. Das Gleiche that dann auch sein Genoß. Der Fremde aber warf seinen Waffenrock über die Schulter und bot den Jünglingen die Hand zum Abschied.
„So ihr nach Wittenberg kommet, grüßet mir den Doctor Hieronymus Schurf.“
„Wir wollen das gern thun,“ entgegnete Johannes, „doch wie sollen wir Euch nennen, daß er den Gruß verstehe?“
„Saget nichts weiter als: ,Der kommen wird, läßt Euch grüßen,’ so versteht er die Worte sogleich.“
Nach dieser Rede trat der Fremde zur Thür hinaus und ging zur Ruhe.
Dann kamen die beiden Kaufleute zurück in die Gaststube und begehrten vom Wirthe noch einen Nachttrunk. Auch die zeigten große Wißbegier, zu erfahren, wer der fremde Reitersmann sei. Und auch ihnen redete es der Wirth auf, daß es der Doctor Martinus Luther sei, obwohl er selbst dessen nicht ganz sicher war.
Da waren die Kaufleute voll Kummer und Aerger darüber, daß sie theilweis so ungeschickt geredet und ihn nicht genug geehrt hatten. Sie beschlossen daher, bald zu Bett zu gehen und am anderen Morgen früh aufzustehen, damit sie den großen und berühmten Mann noch anträfen, ehe er wegritt, und das Versäumte nachholen könnten.
Am anderen Morgen trafen sie ihn denn auch noch, wie er im Stalle sein Rößlein aufschirrte und sich anschickte, fort zu reiten. Er wich jedoch jeder Anrede und Nachforschung aus, indem er sprach:
„Ihr habt gestern beim Nachtmahl gesagt, Ihr wolltet zehn Gulden wegen des Luther’s ausgeben, um ihm zu beichten. Wisset, wenn Ihr ihm beichtet, werdet Ihr wohl sehen und erfahren, ob ich der Martinus Luther bin.“
Nach dieser schelmischen Ausrede saß er auf und ritt zur hintern Thürpforte hinaus auf die dort vorbeiführende Straße gen Halle und Wittenberg.
Die beiden Gesellen aus dem Lande Schweiz wandelten erst weit später die gleiche Straße. Als sie nach zwei Stunden Wegs im Dorfe Naschhausen unterhalb des Bergschlosses Dornburg ankamen, fanden sie, wie in Folge des gestrigen Regens der Saalstrom aus seinen Ufern getreten war und einen Theil der verdeckten hölzernen Brücke hinweggerissen hatte. Da konnten sie nicht weiter und mußten wider Willen im Gasthofe zum „Schieferhofe“ Herberge nehmen, obwohl sie gedachten, an diesem Tag noch bis Naumburg zu kommen.
Dort trafen sie auch die beiden Kaufleute aus Nürnberg, welche das gleiche Mißgeschick festgebannt hatte. Da kam denn auch hier wieder die Rede auf den vermeintlichen Dr. Luther, und da die Kaufleute sich gern einredeten, der Fremde sei es doch gewesen, so bezahlten sie in Freuden den beiden Studenten die Zeche und luden sie ein, auf ihrem Heimwege von Wittenberg sie in ihrer Heimath Nürnberg zu besuchen und ihnen da rechte Kunde zu geben über den Luther, falls sie in Wittenberg des Weiteren von ihm vernähmen.
Erst am Samstag trafen die Schweizer in Wittenberg ein und begaben sich alsbald zu Dr. Hieronymus Schurf, um ihre Empfehlungsbriefe abzugeben sammt dem Gruße Dessen, der da kommen werde. Da fanden sie in des Doktors Stube eine Anzahl Gelehrter beisammen in eifrigem und lautem Gespräche. Es waren dies Philippus Melanchthon, der treue Freund und gelehrte Beistand des Dr. Luther, der Professor Justus Jodocus Jonas, der den Mönch Martinus einst nach Worms begleitet, Nikolaus Amsdorf, auch ein wackerer Verfechter der neuen Lehre, und außer Hieronymus noch dessen Bruder Dr. Augustin. Mitten unter den Fünfen aber saß noch ein Sechster, und dies war kein Anderer, als der fremde Reitersmann aus dem Gasthofe „Zum Bären“ in Jena.
„Lasset Euch nicht stören, meine Freunde,“ wandte sich dieser zu seiner gelehrten Umgebung. „Wir sind“ – dabei meinte er die beiden jungen Ankömmlinge – „alte Bekannte.“
Und nun erzählten die Umsitzenden weiter, wie der blinde Eifer einiger Anhänger der neuen Lehre besonders auf Antrieb des Canonicus und Professors Andreas Rudolf Bodenstein, nach seiner Heimath genannt Karlstadt, zu allerlei Gewalt und Ausschreitungen geführt habe. So habe man nicht blos alle äußeren Bräuche des römischen Gottesdienstes jählings abgeschafft, sondern es sei auch eine Rotte Korah gewaltsam in die Kirchen eingedrungen, habe die Bildnisse der Madonna und der Heiligen von den Wänden herabgestürzt und hinausgeworfen, Altäre und Beichtstühle zerschlagen und an den amtirenden Mönchen Gewalt geübt.
Da erhob sich der Reitersmann zornesmuthig von seinem Sitze und rief mit gewaltiger Stimme:
„O über diese Unseligen, die das Heilige mit ihren unheiligen Händen besudeln und entweihen! Fern von uns sei Gewalt; das Wort allein muß es thun. Das Wort ist es allein gewesen, das Himmel und Erde geschaffen, und nicht wir armen Sünder. Also soll sich auch der Ritter des Schwertes wieder wandeln in den Ritter des Wortes. Ich will zur Kanzel steigen und solange nicht aufhören zu predigen, bis ich die entfesselten Gewalten beschwöre! Das walte Gott!“
Da wußten die beiden Studenten nun, daß der Fremde kein Anderer war, als der leibhaftige Doctor Martinus Luther. Dieser aber hielt Wort. Eine ganze Woche lang bestieg er Tag um Tag die Kanzel und predigte mit solcher Kraft, daß die Ruhe wieder einzog in die überreizte Stadt. Die beiden Schweizer aber blieben während des Sommerhalbjahrs in Wittenberg und studirten da fleißig. Im Herbste aber zogen sie wieder heimwärts, und da kehrten sie unterwegs auch wieder ein im „Bären“ zu Jena und bei den Kaufleuten zu Nürnberg, dahin die sichere Kundschaft bringend, daß es der wirkliche und leibhaftige Luther gewesen, mit dem sie am Fastnachtabend zusammengesessen in der Gaststube des „Schwarzen Bären“. Ja, der eine von ihnen, Johannes, der den Zunamen Keßler führte und später nach allerlei Fahrniß in seiner Heimath Basel zum Schulrathe emporstieg, brachte das denkwürdige Zusammentreffen und die geführte Unterhaltung jenes Abends zu Papier. Diese handschriftliche Auszeichnung davon liegt noch jetzt auf der Bibliothek zu Basel, ist aber auch schon mehrfach in Druck gekommen. Ihr sind wir denn auch bei unserer Skizze meist wortgetreu gefolgt.