Ein Wort am Grabe Karl Gutzkow’s
Karl Gutzkow ist gestorben. Das Gefühl dieses unersetzlichen Verlustes wird der deutschen Nation am lebhaftesten in’s Gedächtniß zurückrufen, was der Todte für sie gewirkt und geschaffen hat. Die deutsche Nation wird sich ernstlicher als je fragen müssen, ob sie schon bei Lebzeiten des Dichters die Ehrenschuld an ihn abgetragen hat, die er zu fordern berechtigt war. Mag immerhin der Gutzkow-Fonds, der 1864 nach dem Selbstmordversuch des Dichters gesammelt wurde, ein Beweis dafür sein, daß Gutzkow nicht zu den Vergessenen gehörte. Aber stand der Antheil, den die Nation ihm schenkte, entfernt in dem rechten Verhältniß zu seinem Verdienst?
Keineswegs! Wir leben in einer Zeit der literarischen Moden. Gutzkow ist nie Mode gewesen, wie die kleinen artigen Talente, die man jetzt zu Classikern aufzubauschen sucht; immer rüstig voran im Kampfgewühle der Literatur, immer den alten Schlendrian, den Rückfall in die Romantik, die geistlose Lyrik der Miniaturpoeten, die akademischen Studien der Formtalente ohne jede Tiefe und Eigenart der Weltanschauung, den ästhetischen Schwulst der Krafttitanen bekämpfend, hat er mit seinen Kritiken eine Drachensaat ausgestreut, aus der ihm geharnischte Gegner erwuchsen.
Seit jenen Zeiten, wo Wolfgang Menzel ihn dem Bundestage denuncirte und das moralische Verdammungsurtheil über ihn aussprach, bis zur gehässigen und oft boshaften „Grenzboten“-Kritik und den fortwährenden Angriffen der literarischen Gothaner, bis zu den Injurien, mit denen die Hebbelianer ihn überhäuften: welch eine Reihe der böswilligsten kritischen Angriffe, Herabsetzungen, Beleidigungen! Und dafür entschädigte ihn keine Huldigung, wie sie oft geringen Talenten zu Theil wurde, es giebt immer ein großes Publicum in Deutschland, welches mit Behagen zusieht, wenn ein Pustkuchen an Goethe’s Lorbeer zerrt, und welches gelegentlich den literarischen Gamins und Lotterbuben zujauchzt, wenn sie mit schnöden Geberden ein echtes und bewährtes Talent verhöhnen.
Außer dem Festessen, mit welchem Leipzigs Schiller-Verein im Bunde mit der deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Componisten im Jahre 1875 den Dichter ehrte, ist ihm seit langen Jahrzehnten keine öffentliche Huldigung zu Theil geworden. In dieser Zeit der Preisvertheilungen, in welcher die poëtae laureati dutzendweise herumlaufen, ist ihm von keiner Instanz in München, Berlin oder Wien jemals ein Preis zugekommen: er hatte es sich freilich verbeten in jenem glänzenden Artikel, in dem er die Alfred Timpe der Zukunft verherrlichte. Nicht einmal das Capitel des baierischen Maximilian-Ordens, das in den verlorensten Winkeln des Vaterlandes nach einem „tragfähigen“ Lyriker suchte, hat ihn dieser Auszeichnung würdig gefunden; man hat ihn bei Seite geschoben bei jeder Gelegenheit, wo öffentlicher Ruhm von Staatswegen oder durch akademische Commissionen ertheilt wurde; seine literarischen Gegner, einflußreich nicht durch ihre Leistungen, aber durch ihre Stellungen, haben auf der ganzen Linie triumphirt.
Und jetzt, wo er zum Abschluß seines Wirkens seine „Gesammelten Werke“ erscheinen ließ, jetzt, wo der Nation Gelegenheit geboten wurde, sich einer alten Schuld zu erinnern, es einem hervorragenden Autor am häuslichen Herde heimisch zu machen, jetzt verhielt sich unser Publicum zuwartend und ablehnend; wie dunkle Gerüchte gehen, hatte diese fleißig durchgearbeitete Ausgabe bisher keinen buchhändlerischen Erfolg. Noch ist es ist Deutschland nicht Ehrensache, die Werke der hervorragenden Schriftsteller in der Hausbibliothek zu besitzen – und doch sollte man meinen, daß ein Volk, welches auf seine Literatur etwas hält, sie nicht aus der Leihbibliothek bezieht und mindestens die Gesammtausgaben, das abgeschlossene Facit der Schöpfungen seiner großen Geister, als Privateigenthum zu besitzen den Ehrgeiz hat. Doch nein, wer nicht Mode war und noch nicht classisch ist, hat kein Recht auf solche Auszeichnung. Die Modeschriftsteller, auch wenn sie längst mit dem Pinsel Ming’s schreiben, wenn ihnen der Gott längst seine Mitwirkung entzogen und nur noch den erworbenen Ruhm gelassen hat, muß jede Dame auf ihrem Toilettentisch haben, mag die Mode auch noch so grausam sein und die schmerzlichste Langeweile über ihre zur Lectüre der Tagesgötzen verurtheilten Opfer verhängen; die Classiker, die bereits glücklich in den Hafen des Nachruhms eingelaufen sind, dürfen in den Privatbibliotheken nicht fehlen, aber die werdenden Classiker der Zukunft sind die Stiefkinder der Gegenwart.
Zu so trüben Betrachtungen und schweren Anklagen giebt gerade Gutzkow’s Tod besondere Veranlassung, denn gegen keinen Autor ist so ungerecht und undankbar vorgegangen worden, wie gegen ihn. Darf man sich da wundern über die krankhafte Gereiztheit des Dichters, von der selbst viele seiner Schriften angekränkelt waren, über die Geistesverwirrung, in die er einmal verfiel, sodaß er Hand an sich selbst legte, über den Verfolgungswahnsinn, der ihn längere Zeit erfaßt hatte? War er nicht ein Verfolgter? Bellte nicht hinter ihm eine literarische Meute, die den verschiedensten Racen und Mischgattungen angehörte, von dem zähnefletschenden Wolfshund bis zum kläffenden Bologneserhündchen? Darf man sich wundern, wenn er in seiner letzten Schrift: „Dionysius Longinus“, auf’s Höchste gereizt sich zur Wehr setzt und seinen Feind den Wolken zuschleudert, wenn er die glänzendsten Aperçus, die treffendste Kritik der Verirrungen unserer neuen Literatur in Manier und Schwulst durch die Heftigkeit beeinträchtigt, mit der er sich gegen seine literarischen Gegner wendet?
Es war eine innere Unruhe, die ihn von Stadt zu Stadt getrieben sein Leben lang; so war er auch zuletzt von Berlin nach Bregenz, von Bregenz nach dem Schlosse Waiblingen bei Heidelberg, von hier nach Sachsenhausen gezogen. Er selbst konnte nirgends Ruhe finden; er mußte ja daran zweifeln, daß ihm im Herzen seines Volkes eine sichere Stätte bereitet sei.
Und am Ufer des Mains, wo er seine ersten journalistischen Sporen sich verdiente, sollte die Unglücksnacht des 16. December ihn unserm Volke rauben – eine Unglücksnacht! Denn Gerüchte, daß er das Opfer eines schweren Unfalls geworden und im Rauch erstickt sei in seinem Krankenzimmer, gehen durch die Spalten der Zeitungen. Deutschland ist um einen großen Dichter ärmer geworden, [16] um einen Geistesgenossen jener Weimarischen Tafelrunde, welche allseitig gebildete, nach dem Höchsten strebende Heroen in sich vereinigte. Schon zweimal, 1854 (Nr. 26) und 1876 (Nr. 32), hat die Gartenlaube ein Gesammtbild der Leistungen des hervorragenden Autors mit Portrait desselben gegeben; wir verweisen auf die dort enthaltene Charakteristik und Analyse seiner Werke und heben hier nur noch einmal hervor, daß gerade die Summe seines Wirkens, der Reichthum seines Geistes, wie bei unseren Classikern, bei der Würdigung Gutzkow’s den Ausschlag geben muß. Denn nicht jeder Wurf ist ihm gelungen, und die Kritik hat leichtes Spiel, an vielem Einzelnen, das unser Dichter geschaffen, zu mäkeln, aber Alles, was er schuf, trägt das Gepräge eines eigenartigen und bedeutenden Kopfes, der nur in verschiedenen Formen nach dem Ausdruck für die Ideen sucht, welche die Zeit bewegen.
Nach einigen genialen Würfen im Stil der Kraftdramatiker, nach mehreren Bühnenstücken mit psychologischen und socialen Tendenzen gelang es dem Dichter, in „Zopf und Schwert“ und „Das Urbild des Tartuffe“ zwei geschichtliche Lustspiele, die ebenso viel Humor und Geist wie Bühnentechnik verrathen und dauernde Bereicherungen unseres Repertoires sind, sowie in „Uriel Acosta“ ein Trauerspiel von gedankenvoller Haltung, eigenartiger Prägnanz des Stils und zündender Wirkung zu schaffen.
Ebenso hält sich sein Lustspiel „Der Königslieutenant“ auf der Bühne; denn das etwas skizzenhafte, anekdotisch zusammengewürfelte Stück bietet eine Glanzrolle für den Charakterdarsteller. Auch ein gegen das Standesvorurtheil gerichtetes Stück „Werner oder Herz und Welt“ ist nicht von den Bühnen verschwunden. Und wenn das nur die Treffer auf dem Theater wären, so ist damit nicht gesagt, daß alle anderen Stücke als Nieten in der Literatur zu betrachten seien. Dem intimen Genuß bieten sie vieles Werthvolle und Erfreuende, einige wie „Ella Rose“ haben anregend auf nachfolgende Dramatiker wie Lindau und Wilbrandt gewirkt und sie ermuthigt, die Theaterzustände selbst auf die Bühne zu bringen; andere sind Schätze, welche vielleicht die Bühne der Zukunft noch heben wird.
Und wenn die großartigen Zeitgemälde „Die Ritter vom Geiste“ und „Der Zauberer von Rom“ als Spiegelbilder der politischen und religiösen Kämpfe unserer Zeit dauernde Bedeutung beanspruchen dürfen, so ist damit nicht erklärt, daß ein philosophischer Roman wie „Maha Guru“, ein satirischer, wie „Blasedow“, ein historischer, wie der neuerdings umgearbeitete Roman „Hohenschwangau“, daß die ganze an interessant behandelten Problemen, feinen und glänzenden Schilderungen reiche Novellistik Gutzkows der Vergessenheit anheimfallen werde.
Die ausnehmende Fülle von Essais und Portraits aus dem politischen und literarischen Leben, von Kritiken und Charakteristiken, polemischen Schriften, autobiographischen Darstellungen wird noch lange Zeit manchen Leser erfreuen und für den Literaturforscher eine Quelle bleiben für die Kenntniß der Regungen und Strömungen der Gegenwart auf allen geistigen Gebieten; überall ist Gutzkow’s Streben mit ihnen eng verknüpft.
Und nicht wandelbar im Wandel der Richtungen, im Wechsel der Zeiten hat dieser Dichter sich gezeigt. Wie er schon früh Börne’s Partei gegen Heine ergriff, so war er stets ein Anwalt des Charakters in der Literatur, der dem Talente erst den festen Halt giebt. Gewiß hat er vielfach geirrt, aber nur im Streben nach Wahrheit, deren Schein er nie geborgt hat für eine schlechte oder gute Sache, an die er selbst nicht glaubte. Ueberzeugungstreue war sein Motto, weit hinaus über den Gesichtskreis der Synagoge gehen die Worte seines Amsterdamer Helden, sie sind des Dichters eigenstes Glaubensbekenntniß:
Die Ueberzeugung ist des Mannes Ehre,
Ein golden Vließ, das keines Fürsten Gunst
Und kein Capitel um die Brust ihm hängt;
Die Ueberzeugung ist des Kriegers Fahne,
Mit der er, fallend, nie unrühmlich fällt.
Der Aermste selbst, verloren in der Masse,
Erwirbt durch Ueberzeugung sich den Adel,
Ein Wappen, das er selbst zerbricht und schändet,
Wenn er zum Lügner seiner Meinung wird.
Und solch ein Lügner seiner Meinung ist der Dichter nie geworden, an dessen Grabe wir jetzt trauernd stehen. Er hat dem deutschen Volke ein reiches Vermächtniß hinterlassen: möge es nicht länger säumig sein, den seltenen Schatz zu heben!