Einer von den Alten Weimars

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Titel: Einer von den Alten Weimars
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 337–340
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[337]
Einer von den Alten Weimars.

Johann Christian Lobe.
Nach der Natur gezeichnet von Adolf Neumann.

Es giebt ein schönes Buch: „Aus dem Leben eines Musikers“, dessen erstes Capitel eine gar rührende Geschichte erzählt.

Ein elfjähriger Knabe, der brave Sohn armer Eltern, der durch fürstliche Huld Unterricht im Flöteblasen und Geigenspielen erhalten, sollte zum ersten Male im Hoftheater in einem Zwischenact mit seiner Flöte vor Hof und Publicum auftreten. Da war Beides groß, der Freudeschrecken vor der Ehre und die Angst vor dem Wagniß. Sein Lehrer, der ihn lieb hatte, redete ihm Muth zu und war doch selbst nicht ohne Bangen vor dem Erfolg, und fast mit Recht. Am Morgen vor dem wichtigen Abend war Probe im Theater. Da stand der arme Junge zwischen den dunkeln Coulissen, so zitternd vor Frost, denn es war tief im Winter, und vor Herzklopfen, als ob er auf die Bühne zu seiner Hinrichtung geführt werden solle. Endlich stellt der alte grämliche Orchesterdiener sein Pult knapp vor den Souffleurkasten und brennt die zwei Lichter desselben an. Nun muß er heraus. Das ganze Theater liegt zwar in Finsterniß, aber das Orchester ist hell und von jedem Pulte her richten sich die Augen auf ihn. Sein Lehrer tritt an das Dirigentenpult und ruft ihm zu: „Mach’ Dich fertig und gieb A an!“ – Dieser eine Ton, zum Stimmen des Orchesters, dieses A – ach Gott! das meckerte wie eine alte Frau, die in der Kirche singt. Da konnte ein höhnischer zweiter Violinspieler sich nicht enthalten, auszurufen: „Der hat schöne Angst!“ Und das war des Knaben Rettung. Das weckte den in ihm schlafenden Mann auf, sein tüchtiger Wille vollbrachte seine erste That. Konnte [338] er auch der zitternden Lippen nicht ganz Herr werden, so zwang er doch die Finger zum pünktlichsten Gehorsam. Und als der letzte Ton verhallt war, grüßten ihn freundliche Augen von allen Pulten und sein Lehrer sprach hochaufathmend ihm seine Zufriedenheit aus.

Da flog ein Glücklicher heim, doppelt glücklich, weil er ein paar Freibillets für seine Eltern mit heimbrachte: die sollten nun neben seinem Auftritt auch ein schönes Theaterstück sehen, ein Fest, das ihnen sonst nicht zugänglich war.

Der Nachmittag verging rasch. Um sechs Uhr begann die Vorstellung. Eine halbe Stunde vorher traten die Eltern, den Sohn in der Mitte, den schweren Weg an. Drei arme Menschenherzen pochten ungestüm in peinlichster Angst. Keines sprach ein Wort. Im Theater trennten sie sich. Die Eltern gingen auf die Galerie, der Knabe auf die Bühne, wieder hinter die Coulissen vom Morgen. Jetzt war Alles beleuchtet und voll Leben von dienendem und costümirtem Personal. Auch auf ihn rannte Einer zu: „Du bist ja noch nicht geschminkt, mein kleiner Virtuos. Komm, ich werde Dir die Rosen der Gesundheit auf Deine Wangen malen, die Dein Flötenblasen bereits verscheucht zu haben scheint.“ Und so strich er ihm ein gehörig dickes Roth auf die Backen und verließ ihn dann mit den Worten: „So, nun kannst Du Dich nicht blos hören, sondern auch sehen lassen.“ Unbeachtet stand nun der arme Junge in seiner abermals furchtbar aufsteigenden Angst von aller Welt verlassen da. Und wieder kam das Glück zu ihm, aber eine Engelsgestalt.

In dem Stück des Abends war eine Kinderrolle, die ein ebenfalls elfjähriges Mädchen spielte. Ihr Abgang nach einer Scene, die ihr rauschenden Applaus einbrachte, führte sie in die Coulisse des angstvollen Jungen. Sie stellte sich ihm gegenüber und heftete die Blicke neugierig auf ihn und sein Instrument. So betrachteten Beide einander und sprachen kein Wort. Im Herzen des Knaben sprach’s aber um so lauter: „Sieh, das ist nur ein Mädchen und spielt ihre Rolle so schön und furchtlos, und Du, ein Mann (!), stehst da und bebst?“ Der Muth erwachte, die Scham weckte ihn auf. Als nun aber der unerbittliche Vorhang fiel, der Orchesterdiener wieder sein Pult hinstellte und vor dem verhängnißvollen Augenblick nun kein Entrinnen mehr möglich war, da wollte selbst des alten Genast (nun haben wir doch verrathen, daß wir in Weimar sind), des Regisseurs Zuspruch nicht verfangen. „Kleiner, nur Muth!“ sagte er, „Du sollst ja in der Probe recht schön geblasen haben. Ich gebe jetzt das Zeichen zum Aufziehen des Vorhangs. Dann gehe nur beherzt hinaus, mache Deine zwei Verbeugungen, die erste vor der Hofloge, die andere vor dem Publicum, und dann fange in Gottes Namen an.“ Ach, das Zeichen erklang, der Vorhang rollte hinauf – und alle Schrecken der Welt fielen auf den armen Jungen. Da flüsterte die Kleine mit bewegter Stimme ihm zu: „Ich wünsche Glück“ – und der arme Knabe war gerettet! Die drei Wörtchen wirkten elektrisch auf ihn, wie das Geschenk eines Wunders belebte plötzlich ihn der Muth: sie hörte ihm theilnehmend zu, sein Auge sah nur sie und er blies nur für sie.

Es ging gut. Stürmischer Beifall rauschte ihm nach jedem Satz in die Ohren. Und als nun der letzte Ton verhallt, der letzte linkische „Diener“ für den letzten Applaus gemacht war, eilte das glücklichste Menschenkind dieses Augenblickes in die Coulisse zurück. Wohl umringten ihn Schauspieler und Schauspielerinnen, die ja Alle selbst die Angst des ersten Auftretens bestanden hatten, und überhäuften ihn mit Liebkosungen und Glückwünschen – aber sein Herz zog ihn vor Allem zu seiner kleinen Collegin. Sie stand noch auf ihrem Platze, und wenn sie auch kein Wort sagte, so sah sie ihn doch mit ein Paar blauen Augen an, aus denen die helle Freude strahlte. Wie das die Brust des Knaben hob! Er fühlte, sie achtete ihn, und das beglückte ihn erst vollständig.

Erst jetzt konnte er mit ruhigerer Theilnahme dem weiteren Verlaufe des Stückes zusehen, denn er behauptete natürlich seinen Platz in der Coulisse, die zweimal eine so schreckliche Marterstätte für ihn gewesen war. Die Kleine auch. Als aber der Vorhang wieder aufrollte, sagte sie, wie zu sich selbst, leise: „Ich muß nun in die andere Coulisse,“ worauf sie langsam fortging. Und im Knaben sprach’s: „Du mußt auch in die andere Coulisse.“ So stand er ihr wieder stumm gegenüber, und sie schien das ganz in der Ordnung zu finden. Plötzlich neigte sich ihr liebliches Lockenköpfchen, und auf ihr Stichwort zu lauschen, und als es kam, hüpfte sie hinaus auf die Bühne und spielte so herrlich, daß sie abermals rauschenden Beifall erntete; und nun war es an dem Knaben, ihr sein Entzücken mit funkelnden Augen entgegen zu leuchten. Im letzten Act mußte sie wieder in die andere Coulisse, der kleine Virtuos natürlich auch. Und nun fiel der Vorhang zum letzten Mal; Alles ging; auch die zwei Glücklichen nickten sich den Abschied zu. Sein Engel verschwand, denn sein Engel war sie gewesen, nur einmal, aber in tiefster Noth.

Vor der Thür erwarteten die Eltern den Sohn. Die Mutter küßte ihn mit einer Freudenthräne im Auge; der Vater drückte ihm die Hand und sagte: „Es ist gut gegangen. Du hattest wohl große Angst?“ – „Ach ja, lieber Vater!“ sprach der Knabe, aber die Mutter behauptete: „Meine Angst war doch noch größer!“ Wer glaubt dies nicht dem Mutterherzen?

Nun ging’s heim. Es war böses Stöberwetter, aber die Drei fühlten wenig davon; die Freude stürmte wärmend durch ihre Adern. Und splendid feierten sie den festlichen Abend, denn es wurde nicht nur warme Suppe gekocht, sondern es gab sogar noch Butter und Käse zum oft genug trockenen Brode.

Das ist die Geschichte. – Was ist aus diesem armen Knaben geworden? Ein Mann, hochgeehrt als berühmter Meister auf seinem Instrument, als fruchtbarer und geschätzter Componist und als einer der ausgezeichnetsten Schriftsteller für sein Fach, ein noch heute geistes- und herzensfrischer Greis, der auf ein Leben voll erhebender Erinnerungen zurückblickt und am nächsten 30. Mai seinen sechsundsiebzigsten Geburtstag feiert: der Professor Johann Christian Lobe in Leipzig.

Welche Gunst des Schicksals muß gewaltet haben, um ein Kind der Armuth auf so hohe Stufe der Bildung und des Wissens zu erheben? Ja, eine Gunst des Schicksal war’s, nämlich die, daß in dem schwächlichen Körper desselben ein so starker Wille herrschte, der es dem Knaben ermöglichte, durch sich selbst Das zu werden, was aus ihm geworden ist. Außer für die Fertigkeit auf seinen Instrumenten hat Lobe keinen andern Lehrer gehabt, als eben sich selbst. Dieses in unserer an Bildungsanstalten und Lehrern weit reicheren Zeit, als die damalige war, auch um so seltenere Beispiel von rastlos thätiger Willenskraft verdient es wohl, daß wir noch Einiges von ihren Wegen und ihrem Walten erzählen.

Lobe’s Vater war Illumineur für das Bertuch’sche Bilderbuch; aber er spielte auch mehrere Instrumente, namentlich Clarinette, Violine und Flöte, und gab sehr frühzeitig dem Sohne den ersten Unterricht. Das musikalische Talent desselben zeigte sich bald als ein ungewöhnliches. In einer kleinen Stadt wird so etwas leicht weiter verplaudert, und so erfuhr es auch die junge Erbprinzessin, die russische Großfürstin Maria Paulowna, die selbst eine treffliche Clavierspielerin war. Sie bestellte den Musikdirektor Riemann zu dessen Lehrer, und unter diesem geschah 1808 sein erstes Auftreten in seinem elften Jahre. Als bald nachher der ehemalige Cantor an der Leipziger Thomasschule A. E. Müller, als Hofcapellmeister nach Weimar kam, übergab man ihn diesem und als dessen Schüler trat er 1811 im Leipziger Gewandhaus auf. Rochlitz schrieb damals in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung: „Er spielte nicht wie ein Knabe, sondern wie ein Mann.“ So ist es nicht zu verwundern, daß derselbe noch als Knabe, das heißt unmittelbar nach seiner Confirmation, in der Weimarischen Hofcapelle angestellt wurde.

Hundert Andere hätten an Lobe’s Platz hiermit ihr Ziel erreicht gehabt, denn das ist ja in der Regel die Anstellung. Lobe fühlte sich dagegen wie der Vogel im Käfig. Sein Sinn stand hinaus in’s große Leben, seine wiederholten Gesuche um Entlassung waren jedoch vergeblich, und so hüpfte er denn auf seinen Paar Stäbchen im engen weimarischen Häuschen herum, aus purer Dankbarkeit für die in der Kindheit genossenen fürstlichen Wohlthaten, und bewährte diese deutsche Treue volle fünfunddreißig Jahre. Aber wie er diese lange Zeit für sich und die musikalische Welt ausgenutzt hat, das ist’s eben, was wir näher betrachten wollen.

Es versteht sich von selbst, daß ein Knabe, welcher alle seine schulfreie Zeit mit musikalischen Uebungen verbringen mußte, selbst das bescheidene Maß von Kenntnissen und Fähigkeiten nicht [339] erwarb, welches damals die Volksschule zu bieten hatte. Und nun regt sich plötzlich in ihm der Drang, eigene Gedanken schriftlich niederzulegen, und nicht blos Componirtes meisterhaft auszuführen, sondern selbst zu componiren. Virtuosenruf, sonst wiederum eines der höchsten Ziele von hundert Anderen, erwarb er sich genügend auf Kunstreisen, die ihn nach Wien, Berlin und vielen anderen musikalischen Großstädten führten. Aber Lobe’s Streben war eben ein höheres, und er mußte bei seiner immerhin beschränkten Einnahme und Zeit seine eigenen Wege dahin einschlagen. Bücher wurden des Rastlosen Lehrer. Die weimarsche Hofbibliothek hatte keinen eifrigern Benutzer als ihn. Er studirte neuere Sprachen, Geschichte, Philosophie etc., anfangs bunt durcheinander, bald aber immer planmäßiger, wozu ihm, wie er selbst erzählt, der Umgang mit Gymnasiasten aus den höheren Classen und mit Studenten besonders fördernd war. Die damals gangbarsten Lehrbücher für musikalische Composition schaffte er sich selbst an. Bald versuchte der Käfigvogel die ersten Flüge im Freien; und wenn es ihm auch mit der Ausnahme der erstes Recension ebenso schlecht erging wie mit der Aufführung der ersten Composition, wie er mit beneidenswerthem Humor in dem Buche geschildert hat, das wir gleich abermals nennen müssen, so konnten ihn die schlimmsten Erfahrungen doch nur auf Augenblicke entmuthigen; die Spannkraft in der jungen Brust war zu gesund, um sich zusammendrücken zu lassen. So hatte er denn schon viel und Vielerlei studirt und gelesen, geschrieben und componirt, als er im Jahre 1818, einundzwanzig Jahre alt, den Entschluß faßte, an das erste große Werk zu gehen, an die Composition einer Oper.

Ich greife nun wieder zu dem „schönen Buche“, welchem ich die Geschichte von dem ersten Auftreten des elfjährigen Virtuosen nacherzählt habe. Es ist Lobe’s eigenes Werk,[1] und ich muß auch jetzt ihm nur nacherzählen, weil die Mittheilung des Originals nicht für die Raumverhältnisse dieses Artikels paßt.

Meine erste Oper“ ist die Ueberschrift des betreffenden Capitels. Auch für die Oper hatte Lobe es an Vorarbeiten nicht fehlen lassen; lagen doch beide Opernalmanache von Kotzebue vollständig von ihm componirt in vielen Partitur-Convoluten unter seinen Notenhaufen. Dennoch stand er jetzt vor einem Haupthinderniß seines Unternehmens: woher einen Text nehmen? Er selbst wagte sich mit einem solchen Antrage noch an keinen namhaften Dichter; ein befreundeter Student hatte ihm zwar sein poetisches Talent dazu zur Verfügung gestellt, war aber nur bis zum Titel des Stückes gekommen: „Wittekind“. Es blieb Lobe nichts übrig als der kühne Entschluß, sich den Text selbst zu machen.

Welche Arbeit für seine, wenn auch noch so strebsame, für solch ein Unterfangen doch völlig ungeschulte Kraft! Er verstand nichts von den dramatischen Bedingnissen, nichts von der Prosodie etc., hatte noch nie einen Vers gemacht, – das Alles, Alles mußte erst gelernt werden, ehe er nur an die Arbeit selbst gehen konnte. Er schloß sich vom Augenblicke dieses Entschlusses an von Allem ab und vor Allem ein, was nicht zu seiner Dienstpflicht gehörte; von früh bis Nacht kamen die Bücher und die Schreibfeder nicht aus seiner Hand; selbst zu Tisch nahm er ein Buch mit und genoß abwechselnd einen Bissen Speise und einen Bissen Geschichte, Dramaturgie, Prosodie. So studirte er Tag und Nacht; Tragkörbe voll Excerpte aus den haufenweise zusammengeschleppten Büchern ließ er später in die Papiermühle wandern, und dafür neues unbeschriebenes Papier zu erhalten, das schließlich wieder denselben Weg ging.

Nach fast einem Jahre solcher Vorübungen hielt er sich endlich für genügend ausgerüstet für die Arbeit selbst. Er entwarf den Plan und schritt zur Ausführung. Freilich ging da erst die größte liebe Noth los, der Kampf mit den Reimen und Versfüßen brachte ihn oft schier zur Verzweiflung – aber die Beharrlichkeit verließ ihn nicht, und nach abermals einem schweren vollen Jahre lag sein Text in einer schmucken Reinschrift fix und fertig vor ihm.

Nur einen einzigen Feiertag gönnte er sich dafür und verbrachte ihn, mit glühendem Kopfe und Herzen, größtentheils in Wald und Flur, und als er sich Abends selig ermattet zu Bett legte, sagte er: „Morgen geht’s an die Composition.“

Und wirklich und wahrhaftig ging am Morgen das Componiren los, und es dauerte ununterbrochen wieder ein Jahr, denn die Oper hatte drei Acte. Endlich schrieb er die letzte Note hin und dahinter „Fine!“ – Beinahe drei Jahre waren vergangen, seit er nach den ersten Hülfsbüchern auf die Bibliothek geeilt war.

„Die Oper,“ so erzählt Lobe, „wurde angenommen. Die Proben begannen, und eines Tages erschien als Ankündigung der nächsten Vorstellung im Theater: ‚Sonnabend, zum ersten Male: Wittekind, große Oper in drei Acten, Text und Musik vom Hofmusikus Lobe.‘ – ,Ach, das Leben ist doch schön!’ Das fühlte ich recht lebhaft, als ich die Ankündigung in unserem damaligen Wochenblatte immer und immer wieder las und nun auch den von mir gemachten Text, hübsch gedruckt, vor mir sah!

„Und doch schlich ich am Tage der Ausführung in großer Angst und Sorge in das Haus und drückte mich in eine dunkle Ecke auf der Galerie. Endlich ging’s los!

„Die Sänger wurden applaudirt, auf die Musik, das fühlte ich, kam wenig davon, und der Text – hatte wenig Interesse. – Freunde und Bekannte machten mir zwar Elogen, ich aber war auf’s Tiefste niedergeschlagen und herzlich froh, als das Werk nach der zweiten Aufführung zurückgelegt wurde. Ich glaubte überzeugt sein zu müssen, auch nicht das geringste Talent zu besitzen – und versank einige Zeit in Schwermuth und völlige Unthätigkeit. Welche Hoffnungen, welche ausdauernde Anstrengungen, und – welcher Erfolg!

„Es handelte sich,“ so schließt Lobe, „hier ganz und gar nicht darum, welchen Werth das Werk an sich hatte. Ich sprach nicht von den Thaten meines Talents, sondern von dem Produkte meines Willens und Fleißes, von dem Resultat der Beharrlichkeit. Ohne alle Vorkenntniß, Vorbildung, ohne Lehrer, ohne Hülfe eine so langathmige Arbeit in drei langen Perioden – Vorstudien – Text – Musik –, durchzusetzen, das ist Etwas, wie der finden wird, der’s versuchen will – und Jeder kann’s, wenn er will.“ –

Trotz alledem folgte jener ersten bald eine zweite Oper: „Die Flibustier“ mit Text von Ed. Gehe (Ouvertüre und Clavierauszug der ganzen Oper bei Breitkopf und Härtel). Sie fand Beifall, noch bedeutenderen aber die dritte: „Die Fürstin von Granada“, die Lobe in Leipzig unter Ringelhardt selbst drei Male dirigirte. (Partitur und Clavierauszug bei Schott in Mainz.) Zu dieser Oper hatte er, mit Ausnahme der Reimverse, die ein dichtender Freund ihm besorgte, den Text wieder selbst gedichtet. In Weimar wurden ferner ausgeführt: „Der rothe Domino“, Text von der Frau von Langen in Dresden, und „König und Pächter“, Text von Freiherrn von Biedenfeld. Außer diesen fünf Opern haben wir von ihm noch viele Ouvertüren, Concerte für Flöte, Clavierquartette und andere Kammermusikstücke.

„Im Jahre 1846,“ schreibt uns Lobe in einer selbst-biographischen Skizze, „wurde ich durch Vermittelung des guten edeln Franz Liszt pensionirt.“ Der Großherzog ernannte den verdienten Mann zum Professor der Musik, und Lobe siedelte nun nach Leipzig über und übernahm die Redaction der Breitkopf-Härtel’schen Allgemeinen musikalischen Zeitung, die er bis zum Schluß des fünfzigsten Bandes, 1848, führte.

Von dieser Zeit an war er ein ganz freier Mann und konnte nun an die Ausführung lange gehegter und vorbereiteter Pläne zu seinen theoretischen Büchern gehen. Wenden wir uns gleich zum wichtigsten derselben, dem Hauptwerke seines Lebens, seinem vierbändigen „Lehrbuch der musikalischen Composition“ (Leipzig, Breitkopf und Härtel). Der erste Band, enthaltend die Harmonie- und Formenlehre, erlebte bereits die dritte, die zweite, die Lehre von der Instrumentation, die zweite Auflage. Wie im ersten Bande die Harmonielehre auf ganz einfache und bestimmte wenige Grundprincipien zurückgeführt ist, so stellt der zweite als Grundprincip der Instrumentation den Contrast auf, weil alle Farbengebung auf glücklicher Contrastirung beruhe. Ganz besonderes Gewicht ist auf den dritten Band zu legen, welcher die „Lehre von der Fuge, dem Canon und dem doppelten Contrapunkt, mit besonderer Rücksicht auf Selbstunterricht“ enthält und die Ehrenbezeichnung eines reformatorischen Werkes verdient. Wie kein Anderer hat er es verstanden, die ganze Lehre einfach und klar, wie man Alles von ihm gewohnt ist, neu aufzubauen, während die Theoretiker [340] seit Jahrhunderten bis in unsere Tage eine nicht unbeträchtliche Zahl theils unnützer, theils zu beschränkter, theils geradezu falscher Regeln einander nachgeschrieben, dadurch aber den Ruf der Mühseligkeit und Schwierigkeit dieses Studiums auf das Abschreckendste vermehrt hatten. Auch der vierte Band, die Oper, enthält viel Neues, Eigenthümliches, namentlich psychologische Analysen von Arien etc. Diesen letzten Band vollendete Lobe bereits als Siebziger, gewiß auch ein seltenes Glück, daß Leib und Seele bis zu diesem Ziel (sein nächstes ist über’s Jahr seine goldene Hochzeit) ihm so treu zusammengehalten.

Neben diesem Hauptwerke haben wir von ihm einen „Katechismus der Musik“ (bei J. J. Weber, dreizehnte Auflage), einen „Katechismus der Compositionslehre“ (ebendaselbst), „Vereinfachte Harmonielehre“ (Leipzig, bei Siegel), auch Dilettanten zugänglich; ferner „Musikalische Briefe eines Wohlbekannten“, zweite Auflage, „Fliegende Blätter für Musik vom Wohlbekannten“, zwei starke Bände. Außerdem zahlreiche Aufsätze in Fachzeitungen und anderen periodischen Blättern, namentlich der „Gartenlaube“, „Illustrirten Zeitung“, „Europa“, in den „Signalen“ etc. Von letzteren erschien eine Sammlung als „Consonanzen und Dissonanzen“ (Leipzig, bei Baumgärtner), ein Buch, das, wie sein „Aus dem Leben eines Musikers“, uns auch den Menschen und Mann Lobe kennen lehrt, eine Bekanntschaft, deren sich Jeder freuen wird, der das Glück hat, sie gemacht zu haben.
Fr.
  1. Aus dem Leben eines Musikers. Leipzig, J. J. Weber. 1859.