Einsegnungs-Unterricht 1909/10. Stunde
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Gebet: | O Herr Jesu Christe, der Du vor Deinem Scheiden für Deine ganze Gemeinde auf Erden gebetet hast, daß sie von Dir ungeschieden bleiben möge und hast in Kraft des Gebets die große und wirklich ernstliche Sehnsucht nach Dir in die Herzen Deiner Gläubigen gesenkt, verleihe uns allen, daß wir, die wir jetzt einmütig glauben und bekennen, dermaleinst einmütig loben und erkennen mögen, um Deiner ewigen Treue und Erbarmung willen. Amen. |
„Dieweil du hast behalten das Wort meiner Geduld, will Ich dich auch behalten“ spricht der Herr. Um dieses Wort haben sich, so oft eine große Entscheidung in seinem Reiche nahte, seine Christen immer wieder gedrängt, von diesem Wort Kraft genommen, so im Kampf wie zum Sieg. Darum wollen auch wir in dieser letzten Stunde des Einsegnungsunterrichts, mit allerlei ernsten und treuen Versprechungen zu dem nahen, der Versprechungen zwar kennt und über ihre Nichterfüllung trauert, aber sie doch auch will, damit Er an den Versprechungen sehe, Seine Gemeinde denke an Ihn.
Meine Schwestern in Christo, wollen wir vor allen Dingen von uns den Zahlenbegriff tun, der im Reiche Gottes so viel geschadet hat. Es heißt nicht: Denke an Deine Zahl, die große Herde, es ist nirgends der Zahl der Sieg verheißen, es heißt vielmehr: Fürchte dich nicht, du kleine Herde. Wenn in diesem großen Ganzen einmal eine doch auf die Jahrzehnte nicht verschiebbare Trennung stattfinden sollte, und sich die Ernsten von den Lauen scheiden, was in einer Frauengemeinde weit leichter vor sich geht, als in einer anderen, so soll man nicht darüber trauern, sondern wissen, es gibt Verluste, die Gewinne sind. Wie oft hat man in den letzten Jahren gesagt: So kann es mit der Größe, mit dem Wachstum nicht weitergehen, ohne daß man doch ein rechtes Mittel hätte angeben können, wie man dem Wachstum steuere. Ich zähle es auch zu den Freundlichkeiten,| mit denen Gott meinen Lebensweg angesehen hat, daß in den letzten fünf Jahren fast gar keine Austritte vorkamen. Ich glaube nicht, daß es die Macht der Gewohnheit war, die so viele bei uns bewahrte, oder daß wir in unseren Forderungen milder und beschränkt geworden wären, aber ich glaube, daß ein größerer Ernst in manchen Reihen spürbar war. Ich verkenne es auch nicht – und man kann so ruhig darüber sprechen, weil es ja Gottes Gnade und Gabe ist und war, – daß manches hintan gehalten und unterdrückt wurde, was, wenn es Spielraum gehabt hätte, stark genug gewesen wäre, in diesem Hause Zerstörung zu wirken. Ich weiß nicht, ob nicht allerlei Elemente sich herauswagen werden, unter denen man mehr geseufzt hat, als sie ahnen und wissen, aber den Einzusegnenden rufe ich zu: Schauet wohl hin, wer weg geht. Wenn es solche sind, von denen ihr Zeit eures Lebens den Eindruck hattet, daß sie den Herrn Jesum im Herzen trugen, dann ist im Hause ein großes Weh eingetreten und dann muß man freilich um die Zukunft des Hauses recht besorgt sein; aber wenn andere Elemente gehen, soll man nicht klagen, sondern sich freuen und den Rückgang der Zahl für einen Gewinn erachten.Zum Schlusse komme ich noch einmal mit der herzlichen und herzandringenden Bitte: Neuendettelsau, halte deine Blaue Schule in Ehren. Arbeite weit gründlicher, weit ernstlicher noch für die Blaue Schule! Nur daß dieses stille Heiligtum im Haus recht bewahrt werde, daß es sei ein verschlossener Garten und daß nicht hier eingegriffen werde, wo ein Werden dem Sein vorausarbeitet!
So wird vielleicht die Diakonissenanstalt stillere Tage haben nach einer erregten und oft sehr stürmischen Fahrt. Und was könnte ich lieber wollen, als daß in diesen stillen Tagen, recht eingehende Pflege im Kleinen, recht ernste Arbeit für die großen kommenden Jahre geschehe. Was wollte ich lieber, als daß die Kirche unseres Bayernlandes von dieser stillen Arbeit aus auch eine Kraft der Stille herüberbekäme! Es muß in unseren erregten Zeiten Inseln des Friedens geben, es muß irgend ein Ort sein, da man, ohne Gefahr mißverstanden zu werden, seines Herzens Innerstes zur Geltung bringen darf. Es wird der Herr Neuendettelsau, wenn es Ihn nicht verläßt, immer wieder zu einem stillen Bergungsort machen, da man im Geist einkehrt, um sich von dem Herrn warten zu lassen und zum Herrn sich zu wenden. „Ringet darnach“, wenn die äußeren Erfolge zurücktreten, wenn manches kleiner und ernster werden wird, „ringet darnach, daß ihr stille seid.“ Die ganze Diakonissensache gleicht mir einem Kinde, das sich zu früh auf den Markt des Lebens gewagt hat und auf dem Markt des Lebens| ist es alt geworden und hat Runzeln und allerlei unschöne Züge bekommen, und nun denkt es der Tage seiner Jugend und kehrt zurück auf den Anfang seines Lebens. Es geht, wenn ich recht sehe, durch alle Diakonissenhäuser ein Zug von einem verlorenen Paradies, der doch unter Christen ein Zug nach dem kommenden ist. Es erheben sich die Stimmen, daß man das Außenwerk und die Beifragen zurücktreten lassen muß, damit das Bleibende und Ewige recht getrieben und sehr betont werde. Wir haben den Eindruck: So darf es nicht mehr weiter gehen: Es ist zu viel, das Spezialistentum und die Spezialitätenfragen und die Spezialfragen und all diese ermüdende Technik, die mit einem furchtbaren Aufwand von Zeit und Kraft herangenommen wird, und all diese Spezifika – das ist ein böses Ding. Nicht bloß die Spezialitäten, daß man sich in allen möglichen Betrachtungen über die Stellung der Johanniterin in einem Hause erregt, um nun in einem ungemein paragraphenreichen Elaborat die selbstverständlichsten Dinge gesagt zu haben, nicht das macht mich so ängstlich, daß soviel Papier verschrieben und so viel vergängliche Anweisung gegeben wird, die nicht ins Herz und Gewissen dringt, sondern auch das macht mich sehr sorglich, daß wir im Laufe der Jahre Spezifika, ganz bestimmte Sittenregeln, ganz bestimmte Sittengesetze von diakonissenhaft und nicht diakonissenhaft, von Diakonissensinn und nicht Sinn der Diakonissen herausgebildet haben; aber alle Ständemoral ist nur eine Abschlagszahlung gegenüber der großen Forderung Jesu: „Seid vollkommen, wie auch euer Vater vollkommen ist.“ Das ist nicht evangelische Art. Wenn aber jetzt durch unsere gesamte Diakonissensache, ich habe das wohl oft betont und habe von längst heimgegangenen teuren Vätern, von dem seligen D. Büttner, von Pastor Kuhlo, mehr als eine Zustimmung bekommen, wenn durch die jetzt vorhandenen Diakonissenhäuser und -Bestrebungen so ein müder Zug, so etwas Müdes und Grämliches geht und so viel Aeußerlichkeit sich findet, dann laßt uns wieder auf die Anfänge zurückgehen. Primitivität ist ja noch kein Zeichen der Echtheit und Ungeformtheit noch lange kein Zeichen der Wahrheit. Es gehört zu den alten satanischen Kunststücken, daß ein Mensch sich einbildet, er sei wahrhaftig, weil er herausschäumt – er ist nur unerzogen, aber nicht wahr. Wie es beim einzelnen noch lange kein rechtes Zeichen ist, so ist es auch ganz verkehrt, wenn in einer gewissen Biderbität die Echtheit im Diakonissenhause gesucht werden wollte. Nein, gegen die Veräußerlichung der Gesamtarbeit gibt es nur ein Mittel: Heiliget Gott den Herrn in eurem Herzen. Geht mit all dem, was euch bewegt, vor den Herrn, nehmt all die Möglichkeiten, die ein Gedanke zieht, und all die Folgen,| die von einem Gedanken ausgehen, in den Gehorsam des Kreuzes Christi. Stellt euch ganz unter den Ernst seines heilsamen Wortes und seiner heiligenden, läuternden Liebe. Schließt euch ganz an den an, der da die Echtheit des Jüngers in der Wahrheit heiligt. Dann werden am Ende des nächsten Geschichtsverlaufs, vor dem all die kirchlichen Gebilde wie Asche zerfallen werden, die Diakonissenhäuser Bergungsorte werden, stille Ansätze zu einem ernsten Heiligungsleben und werden auch Gegenstücke, Gegenbilder auf männlicher Seite heraufbringen, nicht zwar all diese Brüderhäuser, die eine ganz andere Reform brauchen, nicht zwar dieses eigentümliche Konglomerat, Zusammenschließung von Weltlichem und Geistlichem, wie es jetzt die Brüderhäuser darstellen, sondern den Ernst des Zusammenschlusses von Familienhäuptern, von Familiengestaltungen, die ganz dem Worte Gottes gemäß leben wollen. Es wird eine Zeit kommen, da man gegründete Aufgaben, Gebautes allein lassen, Errichtetes hingeben und zwar in die Hand derer geben muß, gegen die man es erbaut hat. So spricht der Herr zu Seinem Propheten: Was ich gepflanzt habe, das reute ich aus und was ich gebaut habe, das werfe ich weg samt diesem meinem ganzen Land und du begehrst dir große Dinge, siehe zu, begehre sie nicht. Aber deine Seele will ich dir zur Beute geben, an welchen Ort du ziehst. Das ist ja schließlich die Hauptsache, auf die ein armer Mensch sein Letztes und sein Liebstes wagt: Deine Seele will ich, dir zur Beute geben, an welchen Ort du ziehst. Haben wir den Mut, auf alles zu verzichten, ist es uns ein rechter Ernst, in die Enge des Krankenzimmers verbannt zu werden, vermögen wir es, von uns als von Toten und Abgeschiedenen reden zu hören, werden wir es tragen, wenn wir nicht einmal mehr Mitläufer bei einer Bewegung sein dürfen, geschweige denn, daß wir tonangebend bei ihr sind? Zwar bei den Menschen ist es unmöglich, aber alle Dinge sind dem möglich, der da glaubt. So wie der Herr die Kirche gestaltet, so ist es recht, und so wie Er führt, so sei es allewege gut. Wir wollen keinen Gerichtstag beschleunigen, nicht einmal ihn heraufbeten, wir wollen auf den Dämmen stehen bleiben und sie ausbessern, wo es nur geht. Wir wollen glauben, daß auch die Dämme, so arm sie sind, ihr Recht haben und daß, was wir ihnen tun, endlich und letztlich doch einer großen Sache geschieht. Aber wir wollen wohl auch darauf unser Augenmerk richten, daß über ein Kleines die Dämme fallen, und daß dann nur der den Strom teilt, der von Jugend auf gewohnt war zu rufen: Herr, hilf mir. Es ist – und damit gehen wir zum Schluß – dieser ganzen Unterweisung Erstes und Letztes, daß wir einander zurufen: Seele, du bist| berufen. Berufe eilen dahin, Berufe sinken zur Erde; wir wissen, es kommt ein Tag, wo wir auch den liebsten Beruf hinlegen müssen, wo sie unsere geschäftigen Hände zusammenlegen, mühelos und lächelnd, und diese Hände nicht mehr dagegen sich wehren, daß man ihrer sich entäußert. Wir denken oft an die Stunde, wo eine ganze Welt von Gedanken wie ausgetan ist und dem großen Schweigen eines vielberedten Lebens das Schweigen der Ewigkeit folgt. Unsere Berufe fallen dahin und zwar läßt sich der Herr nicht vorschreiben, ob und wie Er Ersatz habe, für Ihn ist es ganz unwesentlich, daß und woher Er Ersatz bekommt. Er kann aus Steinen wieder Helden erwecken, wie Er Helden zu Steinen wandelt, und aus dem Staub wiederum Leute hervorholen, wie Er seine Menschen zu Staub macht. Die Berufe fallen dahin und der Erdenberuf, dieser Beruf der mittelbaren Seelsorge fällt auch dahin. Zwar hat Mancher in seinem Grab eine bessere Seelsorge geübt als die war, da er lebte und durch den Glauben redete mancher, obwohl er gestorben war. Es weht um die Grabstätten Seiner Bekenner immer etwas wie Gottesfrieden und die Unvergeßlichkeit eines Namens, der im Himmel angeschrieben ist. Aber das sind eben dann nur rein innere Wirkungen, zu denen der nichts mehr beiträgt, von dessen Nichtsein sie ausgehen. Es sind dann nur göttliche Ausbildungen von Gedanken, die unter der Erde schlafen. So fällt auch der irdische Beruf dahin, aber die Berufung bleibt: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Und dieses Wort hebt über die ganze große Ernstlichkeit des Entscheides und des Scheidens hinaus. Man weiß, daß Er jetzt noch mit der Seele weiter handelt, wenn ihr Erdenhaus hingelegt und ihre Erdenarbeit beendet ist. Von Ihm berufen, trägt man nur die einzige Sorge, daß man dieses Berufes und dieser ewigen Berufung eingedenk und teilhaftig bleibt. Es liegt auf dem Menschenleben eine tiefe, heilige und gesegnete Wehmut. Der Mensch, auch der wiedergeborene Mensch ist in seinem Leben wie Gras und die Werke, die er getan hat, sind wie des Grases Blüte.Es ist, wenn ein Letztes in irgend einer Unterweisung, in irgend einer Tätigkeit in Seinem Reiche eintritt, nicht sowohl der Wehmut das letzte Wort zu gönnen, als der Freude, daß auf ein Letztes hier in dieser Beschränktheit der Zeit eine ewige und unvergängliche Herrlichkeit folgen werde. Es gehört, wenn Zelte abgebrochen und Arbeiten niedergelegt werden müssen, mit zu den größten Gedanken, daß man sich sagen kann: das Bleibende bleibt und was nicht bleiben kann, wird fallen je früher, je besser.
Der aber, der alle, die hier sind, mit einem ewigen und seligen Ruf berufen hat und in dieser Stunde seinen teuren Ruf wiederholt, der uns dazu befähigt hat, daß wir in Seinem Reiche unter Ihm leben und Ihm dienen, helfe aus Gnaden dazu, daß der stille, ernste, wortlose Dienst an dem hiesigen Ort nicht ersterbe, nicht zu Ende gehe und daß, wenn es nicht zu kühn gegriffen ist, diesem Ort vielleicht in ganz anderer Weise nach Jahrzehnten und Jahrfünfzigen der Ruhm werde: Hier dient man dem Herrn.
| Damit ist diese Unterweisung, ist meine Unterweisung überhaupt zu Ende gekommen und ich beschließe sie mit dem Wort Augustins: Was von mir und dem meinen war, das, o Herr, wollest Du und die Deinigen mir verzeihen; was aber von Dir und dem Deinigen war, das wollest Du an den Deinigen segnen. Er segne Neuendettelsau in diesen 35 Schwestern, Er segne die Kirche unseres Landes, die arme, einsame, verlassene Kirche unseres Landes in ihrem Neuendettelsau, Er segne die lutherische Kirche der ganzen Welt in der Kirche unseres Bayernlandes, Er segne in der gedrückten, geschmähten, verlassenen und verachteten lutherischen Kirche die ganze evangelische Kirche auf Erden, Er schenke in der evangelischen Kirche und in der Ohnmacht des Evangeliums Seiner armen sündigen Welt das Salz, das sie vor der letzten Zersetzung bewahre, und das Licht, das ihr an einem dunklen Ort leuchte, alles um Jesu Christi willen. Amen.
Gebet: | Herr Gott himmlischer Vater, der Du uns noch eine Weile auf dieser Erde arbeiten heißest, damit wir für Dich erobern, was Dir gehört und Dir das Opfer unseres Lebens bringen, verleihe aus Gnaden, daß unter diesen Christinnen keine Deines Sohnes Art verlasse, verleugne und verrate, und schenke, daß aus ihrem Dienst, aus der Echtheit ihres Schweigens, aus der Kraft der Demut, aus dem Reichtum des Gehorsams Dein Christus geehrt und Seine Majestät hoch gepriesen werde. Sende Deinen heiligen Geist, Schutz und Schirm wider alles Arge, Kraft und Willen zu allem Guten und verleihe diesem Haus bis in die Ferne Klarheit des Bekenntnisses, Ernst des Dienens, treue Oberen, gut Regiment, gute Freunde, getreue Nachbarn, viel Gnade, Sonne am trüben Tag und den Sturm, wenn die Sonne verwöhnt hat, alles um Deiner gnadenreichen Erbarmung willen. Amen. |
Der Herr segne euch und behüte euch, der Herr lasse Sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig, der Herr erhebe Sein Angesicht über euch und gebe euch Seinen Frieden. Amen. |
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