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Einsegnungsstunden 1916/8. Stunde

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Einsegnungsstunden 1916
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8. Stunde
am Dienstag, den 28. November vormittags 9 Uhr.
Lied 12, 4–7. Ps. 18, 2–20, 50, 51. Kollekte 226, 57.
Das persönliche Erleben der Gottesliebe.
In den Jahrhunderten vor der Reformation standen in der mittelalterlichen Kirche zwei Richtungen nebeneinander: die Scholastik und die Mystik. Es handelte sich bei diesen beiden Richtungen um die Frage, wie man zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. Die Scholastik sagt: Durch begriffliche Erfassung dessen, was die Kirche zu lehren darbietet. Die Mystik sagt: Auf dem Wege der eigenen Erfahrung. An jeder der beiden Richtungen ist| etwas Richtiges, wie sich auch Persönlichkeiten finden, die merkwürdiger Weise beide miteinander vereinten. An der Scholastik war anerkennenswert, daß ihr die Wahrheit der christlichen Lehre als ganz fest und unzweifelhaft galt und daß sie sich nur berufen fand sie in die einzelnen Begriffe auseinander zu legen, dem Verständnis nahe zu bringen und als wahr zu erweisen. Die Gefahr der Scholastik war dann freilich, daß man sich zu sehr mit dem begrifflichen Entwickeln und Erkennen begnügte. Wir fühlen uns alle viel mehr zur Mystik des Mittelalters hingezogen und wissen, daß dieselbe die schönsten Blüten christlichen Lebens im Mittelalter getrieben hat. Wir brauchen nur an Männer wie Heinrich Suso oder Johann Tauler zu erinnern. In den Kreisen der Mystik bereitete sich auch die Reformation vor, wie denn Luthers unmittelbarer Lehrer, dem er unter menschlichen Lehrern am meisten verdankte, Johann von Staupitz, auch aus der Mystik des Mittelalters hervorgegangen war. Aber auch für die Mystik bestand eine Gefahr, sobald sie nämlich ihren Grundsatz: „Nur durch Erfahrung wird die Wahrheit erkannt,“ loslöste von der Schrift und auf das eigene Erleben allein stellte. So sind tatsächlich Ausläufer der Mystik die Schwarmgeister, die neuen Propheten gewesen, mit denen Luther soviel zu schaffen hatte, die sich unmittelbarer Eingebung berühmten und sich darauf beriefen, daß sie den Geist hätten, während sie Luther einen Buchstabenknecht schalten und behaupteten, er habe aus der Bibel einen papiernen Papst gemacht. Andrerseits sind auch ungläubige Richtungen, an denen es der Reformationszeit gleichfalls nicht gefehlt hat, aus der ausgearteten Mystik hervorgegangen, die den Grundsatz hegte, der ganz der Stellung unserer jetzigen Modernen entspricht: nur das ist wahr, was man selbst erfahren hat. In Nürnberg besonders war diese Richtung vertreten durch die beiden Behaim und den Schulrektor Denk an St. Sebald. Als der letztere vor dem geistlichen Ministerium über seine kirchliche und theologische Stellung vernommen und ihm die Frage vorgelegt wurde, ob er Christum für Gottes Sohn erkenne, sagte er: „Das weiß ich nicht, das habe ich noch nicht erlebt.“. In der lutherischen Kirche hat die Mystik in ihrer edelsten Weise sich fortgepflanzt. Denken wir an Johann Arnd, denken wir an Lieder, wie: „O Lebensbrünnlein tief und groß,“ das ganz die Art gesunder Mystik an sich trägt. Wir müssen uns dabei scharf unterscheiden von der Stellung der Modernen. Sagen die letzteren: „Wahr ist nur, was man selbst erfahren und erlebt hat,“ so sagen wir: Die göttliche Wahrheit, die in der Schrift niedergelegt, im Bekenntnis der Kirche bezeugt ist und von der Kirche dargeboten wird, muß von uns erfahren und erlebt werden. Das bezieht sich nun ganz besonders auf das, was von der Liebe Gottes zu sagen war. Wir haben in unserem Gesangbuch ein Lied,| das von einem der edelsten Mystiker herstammt, von Bernhard v. Clairvaux, in der Uebersetzung Zinzendorfs: „Jesu deiner zu gedenken,“ dort heißt es im 5[.] Vers: „Schweigt ihr ungeübten Zungen..., was die Liebe Christi sei.“

 Wir haben gestern von der göttlichen Liebe geredet, die sich auf die einzelnen herabsenkt durch den heiligen Geist. Nun haben wir davon zu reden, wie diese Liebe Gottes von den einzelnen erfahren und erlebt wird. Wir reden vom

persönlichen Erleben der Gottesliebe

und wollen kennen lernen: 1. Die Erfahrung der göttlichen Liebe in dem Zug zu Jesu Christo, 2. das Ergreifen der göttlichen Liebe in der Rechtfertigung, dann 3. die dankbare Beweisung der göttlichen Liebe im Eifer zu guten Werken und 4. die volle Erkenntnis der göttlichen Liebe in der Vereinigung mit Christo.


I.
 Die Liebe Gottes senkt sich auf uns herab durch den heiligen Geist. Wodurch der Geist in die Herzen kommt, davon haben wir gestern eingehend gesprochen: durch die Gnadenmittel, Wort und Sakrament. Wir haben auch schon davon geredet, was schließlich diese durch den Geist auf uns sich herabsenkende Liebe Gottes in uns wirken soll, ein neues Herz; aber nun wird besonders davon zu reden sein, wie die Wirkung der Liebe Gottes in den Herzen der Menschen vor sich geht, so daß es zu einem inneren Erleben, einer persönlichen Erfahrung der Liebe Gottes kommt. Der Herr sagt Joh. 6, 44 „Es kann niemand zu mir kommen... gesandt hat.“ Es stimmt das ganz mit dem Bekenntnis der Kirche im Katechismus überein, daß wir nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum... kommen können; nur ist dieser einleitende Satz Luthers nach der Natur der Sache mehr verneinend ausgedrückt, während jetzt zu fragen sein wird: wodurch kommen wir dann zu Christo? oder um an Christi Wort anzuknüpfen: worin besteht dieser Zug des Vaters? Der Herr will in diesem Wort vor allem die Einheit von seinem und des Vaters Werk bekunden. Der Sohn tut nichts, als was er den Vater sieht tun und der Vater richtet sein Werk in der Welt, das Heilswerk, aus durch den Sohn; der Sohn führt zum Vater; aber niemand kann zum Sohne kommen, wenn ihn nicht wieder der Vater zum Sohne zieht. Das tut der Vater durch den Geist, den er sendet, aber auch durch die Lebensführung. Wie gnädig und freundlich hat uns alle der Gott und Vater unseres Lebens geleitet und so geführt, daß wir zu Christo hingezogen worden sind. Am Anfange unseres Lebens| steht die heilige Taufe, die wir gestern das sonderliche Sakrament des Geistes genannt haben; das ist die erste Liebestat Gottes, die an uns geschieht auf dem geistlichen Gebiet, so wie die leibliche Geburt die erste Wohltat Gottes und das Grundlegende auf dem natürlichen Gebiet ist, wofür wir auch Gott vielmehr danken sollen, wofür zu danken wir durch manches Gebet angeleitet werden: ich danke dir, daß du mich nach deinem Ebenbild erschaffen hast. So ist die Taufe, die erste Liebestat Gottes an uns auf dem geistlichen Gebiet, das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes. Die Taufe ist wirksam und kräftig an sich, weil sie eine Tat des dreieinigen Gottes an uns ist und sie ist wirksam auch ohne Glauben; nur ohne den Glauben kann sie uns nichts nützen. Aber den Anfang des Glaubens wirkt sie selbst schon in uns, wie wir schon wiederholt betont haben, daß den kleinen Kindern auch in der Taufe die Gabe des Glaubens geschenkt wird. So faßt es wenigstens Luther aufs Bestimmteste auf, wenn er sagt: „Mein Glaube und der Christenheit Glaube bringt das Kind herzu, daß Gott ihm gebe seinen eigenen Glauben.“ Auch Melanchthon spricht von neuen Bewegungen, die in der Kindesseele in der Taufe durch den Geist hervorgebracht werden und der auf der Kinderstufe, der Stufe des unbewußten Seins, wie wir sagen möchten, von Gott dem Glauben gleich geachtet werden. Aber dieser noch unbewußte Glaube muß zum bewußten Glauben erweckt werden. Die Wege Gottes, die er mit den einzelnen geht, sind sehr verschieden. Luk. 9 am Schluß des Kapitels werden uns einige merkwürdige Beispiele solcher erzählt, die sich zu Jesu hinzufanden oder von ihm berufen wurden. Wie verschieden die gewesen sind an Anlage und Temperament – einige überaus freudig und entschlossen, andere dagegen zögernd hinter sich schauend –, der Herr gibt ihnen allen dieselbe Weisung, ob auch auf verschiedene Art, daß sie alles hinter sich lassen müssen, was sie aufhalten könnte. Den Begeisterten zeigt er die Schwierigkeit, denen die Einwendungen haben und Bedenken tragen, zeigt er die Notwendigkeit völliger Entschiedenheit. Die Menschen sind also ihrer Anlage nach auch in Beziehung auf die Erfassung des Heils sehr verschieden. Es gibt manche, deren natürliche Art dem Werk der Gnade besonders viel Hindernisse entgegenstellt; es gibt andere, die gleichsam von Natur nicht fern sind vom Reiche Gottes. Die Gnade aber gleicht diesen Unterschied aus. Wie verschieden sind nun die Wege, die Gott die einzelnen zu Christo führt. Das können wir aus dem Beispiel der zu Christo berufenen Jünger sehen. Die einen sind solche wie Nathanael, die innerlich schon viel erlebt haben; andere werden von ihm gesucht wie Philippus oder später Matthäus von Christo selbst rasch und unmittelbar, dieser vom Zoll weg, aus dem Weltwesen heraus berufen durch seine eigene freundliche Einladung: Komm und folge| mir nach! So hat es der Herr auch in den bekannten Gleichnissen dargestellt vom Schatz im Acker und von der köstlichen Perle. Der eine sucht nach guten Perlen und findet auf diesem Wege die köstliche, der andere findet es wie zufällig, wie man einen Schatz im Acker findet ohne gesucht zu haben; mitten im irdischen Beruf tritt ihm die Berufung zu etwas Höherem in den Weg. So verschieden sind die göttlichen Lebensführungen; aber der Zweck ist der gleiche, ein Verlangen nach Wahrheit in den Menschen zu wecken, manchmal schon durch vorbereitende Gnadenführungen, manchmal erst, wenn das Wort an die Herzen tritt. Es gibt eine vorbereitende Gnade, – wie die Väter gesagt haben – in der Lenkung des Menschenlebens und der menschlichen Geschicke. Man kann das bemerken an ganzen Völkern. Die deutschen Völker waren sichtlich vorbereitet durch ihre Geschichte auf die Zeit, da ihnen die Botschaft von Christus, das Heil, nahe gebracht werden sollte; sie waren losgelöst worden von ihren ursprünglichen Wohnsitzen und waren dadurch auch in ihrer Religion, die Naturreligion war, erschüttert worden, so daß gerade zur rechten Zeit und Stunde an sie der Ruf zu Christus durchs Evangelium erging. Und ähnlich verhält es sich mit den einzelnen Menschen. Aber dann eben kommt der Augenblick, wo die Gnade selber auf dem Wege der Heilsordnung den Menschen nahe tritt. Wohl allen deren Herz sich empfänglich zeigt! Wohl denen, die ihr Herz durchs Wort der Gnade auftun lassen! Die Geisteswirkung, durch welche die erste Erfahrung der göttlichen Liebe gemacht werden soll, ist die Berufung: „der heilige“Geist hat mich durchs Evangelium berufen.“ Wie hat der Herr selbst so freundlich die Menschen zu sich berufen durch sein Heilandswort. Gerade als er auf der Höhe seines Zeugnisses von sich selbst stand, seinen Jüngern bezeugte: „Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater und niemand kennet den Sohn denn nur der Vater und niemand kennet den Vater denn nur der Sohn“ – da spricht er auch die freundlichste, liebevollste Einladung aus: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Wie wußte in solch einem Wort die Liebe dessen, der gekommen war die Menschen zu suchen und selig zu machen, an die Herzen zu dringen! Später hat der Herr seine Jünger beauftragt den Ruf zum Heil weiter durch die Welt hinzutragen und wie haben auch die Jünger dessen sich so treulich erledigt! „Wir sind Botschafter an Christi Statt; denn Gott vermahnet durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!“ Dieser Botschaft, durch die das Wort von der Liebe Gottes an die Herzen dringt, ist des heiligen Geistes Kraft beigegeben. Wie wir schon gestern hörten, geschieht die Berufung äußerlich durch Menschen, in Wahrheit innerlich durch den heiligen Geist. Die Menschen, durch welche die Berufung an die| andern ergeht, reden und zeugen von Christus und ihr Zeugnis wird wohl in dem Maße dringend und erfassend sein, je mehr sie selbst von der Liebe Christi ergriffen sind. Aber der heilige Geist wirkt nun durchs menschliche Wort in den Herzen und gibt den Menschen einen Eindruck in Herz und Gewissen von der Liebe des Vaters, einen Eindruck davon, daß sie zu Christo kommen sollen, wenn sie Leben und volles Genüge haben wollen, wenn sie Ruhe finden wollen für ihre Seele. Nun sind ja freilich, wie der Herr sagt, viele berufen, aber wenige auserwählt; wir wissen schon, nicht im Sinn der falschen Gnadenwahl oder einer Vorausbestimmung einzelner Menschen zur Seligkeit und der andern zur Verdammnis. Auf alle geht diese Botschaft, auf alle bezieht sich der göttliche Gnadenwille freilich unter der Voraussetzung des Glaubens an Christus; denn nur in Christo hat Gott uns zur Seligkeit erwählt und eben dasselbe berufende Wort ermöglichte nun auch die Entscheidung für den einzelnen, ja drängt ihn dazu. Es ist freilich immer nur – das ist ein großer Ernst – eine kleine Zahl, welche persönlich die Entscheidung für Christus in sich vollzieht. So dürfen wir auch nie denken, daß wir wie von selber zur kleinen Zahl der Auserwählten gehören, etwa weil wir uns zur wahren Kirche bekennen oder weil wir zu den Positiven zählen oder weil wir Schwestern sind oder das Amt des Wortes tragen oder sonst unter die gerechnet werden, die man bewußte Christen nennt. Wie kommt es vielmehr zur inneren Entscheidung? Das geschieht schließlich nicht anders als durch die Erfahrung der göttlichen Liebe, daß wir innerlich etwas von der Liebe unseres Heilandes erleben. Luther hat das auch damit sagen wollen, daß er bekannte: „Der heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen,“ durchs Evangelium und nicht durchs Gesetz. Das Gesetz offenbart den heiligen Willen Gottes und damit den Zorn Gottes über die Sünde; das Evangelium aber ist die frohe Botschaft von der Liebe und Erbarmung Gottes und das allein kann das Herz innerlich erwärmen und überwinden. Es ist ja wohl bekannt die Geschichte von dem roten Indianer Nordamerikas, der erzählte: Erst kam ein Missionar zu mir und sagte: „Ihr roten Leute, ihr sollt nicht morden und rauben!“ Dem sagte ich: „Gehe zu deinen weißen Leuten und sage es denen; sie machen es gerade so.“ Dann kam David Zeisberger, setzte sich zu mir in meine Hütte und sagte: „Ich will dir von einem erzählen, der dich lieb gehabt hat, ehe du ihn kanntest.“ Und er erzählte mir von Christo; da sprach ich: „Sage mir das noch einmal, das muß ich hören.“ Aehnliches hat Ziegenbalg erlebt, als er bei der Uebersetzung des neuen Testaments ins Tamulische von einem eingebornen Schulmeister sich helfen ließ. Als sie an das Wort aus 1. Joh. kamen: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen“, da brach der Tamule in| Tränen aus und sprach: „Wie dürfen wir das übersetzen und in unsere Sprache bringen? Wenn es heißen würde, daß wir sollen seine Füße küssen, so wäre das schon viel und nun heißt es: daß wir Gottes Kinder sollen heißen!“ Das sind nur Beispiele davon, wie die Liebe Gottes in Christo die Herzen überwindet und erweckt. Und wozu? Zu ernstem Fragen nach dem Heil. Denn das ist die erste Entscheidung, vor die der Mensch sich gestellt sieht, wenn das Wort von der Liebe Gottes sein Herz erfaßt, ob er nun weiter fragen und forschen will nach dem Heil oder auch sein will ein vergeßlicher Hörer, der einen Augenblick fröhlich sein will unter dem Eindruck eines schönen Wortes, aber es nicht anwenden lassen will auf das eigene Herz. Wir sehen das ja schon am Tage der Pfingsten: die durchs Wort des Petrus, das geisterfüllte und vom Geist gewirkte, innerlich erfaßt waren: „Euer und eurer Kinder ist diese Verheißung und aller, die ferne sind,“ denen ging es durchs Herz und sie fragten: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ So ist der Kerkermeister von Philippi zu der Frage gebracht worden, der er wie man sagen darf, einen geradezu klassischen Ausdruck gab: „Was soll ich tun, daß ich selig werde?“ Ach, wie oft schon schlug die Botschaft von der Liebe Gottes in Christo an unser Ohr, wieviel Erfahrungen von der Liebe Gottes haben wir schon gemacht! Das empfinden Sie und überblicken Sie in diesen Tagen doch ganz besonders lebendig. Mit welcher Liebe und Freundlichkeit hat der Herr Ihres Lebens Sie geleitet und wie hat er Ihnen sein Wort in die Seele gegeben und Ihnen Erfahrungen seiner Liebe geschenkt! O daß wir stets das Trachten und Fragen nach dem Heil in uns tragen wollten! Ist das auch das erste, der Anfang nur, den der Geist Gottes in uns wirken will zur Erfahrung der göttlichen Liebe – dies Fragen nach dem Heil – und haben wir auch noch vieles weiter in uns wirken zu lassen, so muß auch dieser Anfang ebenso in uns bleiben, wie der Christ in steter Buße und stetem Glauben leben soll. Nie darf uns verlassen die Sorge und die Frage um das Heil unserer Seele und wenn wir dann wirklich suchen, dann werden wir auch finden; wenn wir anklopfen, dann wird uns aufgetan.


II.
 Ja, wenn die Frage ernstlich in uns erwacht ist nach dem Weg zur Seligkeit, dann werden wir weiter geführt zum Ergreifen der göttlichen Liebe in der Rechtfertigung. Wie der Glaube in dem Herzen zustande kommt, darüber wird zumal in der Gegenwart sehr viel gesprochen, weil die Gegenwart in ihrem wissenschaftlichen Denken zumal auf dem Gebiet des Erziehungswesens durch psychologische Beobachtung die innern Vorgänge klar legen will, unter denen es zu den wichtigen Vorstellungen und dann zu Willensentscheidungen| kommt. Ja, wie der Glaube zustande kommt im Herzen, darüber kann man viel reden; denn die Wege Gottes sind auch da verschieden. Bei manchen trägt das Verlangen nach dem Heil mehr die Art des Forschens nach Wahrheit; andere suchen mehr Freiheit, Befreiung von der Knechtschaft der Sünde; bei andern ist es mehr das Suchen und Verlangen nach dem Frieden der Vergebung oder nach Kraft; aber schließlich gibt es in Wahrheit nur einen Weg, auf dem man allein zu Christo kommen kann: es ist der Weg der Buße und des Glaubens, den uns der Herr Jesus selber gezeigt hat. Johannes begann vorbereitend die Heilsverkündigung mit dem Ruf zur Buße: Aendert euren Sinn. Der Herr schließt sich an diesen Ruf seines Wegbereiters an, vervollständigt ihn aber nach Mark. 1 durch das Wort: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Der Apostel Paulus hat dem Kerkermeister zu Philippi auf seine Frage nach der Seligkeit nur geantwortet – ebenso klassisch, ein für allemal klar und bestimmt ausgedrückt –: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst Du und Dein Haus selig.“ Die Buße hat er nicht genannt, weil sie bei diesem Mann schon in stärkster Weise gewirkt war; denn zitternd fiel er Paulus und Silas zu Füßen, die er als Boten einer höheren Wahrheit, als Boten des Friedens erkannte. Als der Apostel in Milet jenen beweglichen Abschied nahm von den Aeltesten der Gemeinde von Ephesus, bezieht er sich darauf, daß er ihnen nichts verhalten sondern deutlich bezeugt habe, „beide, den Juden und Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an den Herrn Jesum Christum.“ Nur durch Buße kann man zum Glauben kommen; nur dann kann man die Liebe Gottes im ganzen und vollen Sinn, in ihrer ganzen Tiefe erfahren und erleben, wenn nicht nur ein Fragen, sondern ein starkes Verlangen in uns erwacht ist nach Gnade und Vergebung. Die Berufung führt zur Frage nach dem Heil, die Antwort gibt uns die Erleuchtung. Da sehen wir warum unsere Kirche von einer Ordnung des Heils redet. Nur wer berufen ist, wer die Berufung an sich hat wirken lassen, kann erleuchtet werden. Solche die noch gar nicht gelernt haben zu fragen nach dem Heil, die sich noch gar nichts um ihrer Seelen Seligkeit kümmern, die können nicht erleuchtet werden, obwohl sie Jahr um Jahr das Wort und Zeugnis hören, obwohl sie es von Jugend auf schon wissen vom Weg der Buße und des Glaubens. Die Erleuchtung gibt die Antwort auf die Frage nach dem Weg zur Seligkeit und stellt uns zugleich auf diesen Weg. Sie will uns zeigen, was wir von Natur sind und wie wir allein zum Heil kommen können. So erleuchtet uns denn der heilige Geist zuerst mit dem Gesetz, das hier seine wichtigste Stelle im Verlauf der Heilsordnung hat. Was es in der Heilsgeschichte sein sollte für Israel – eine Vorbereitung auf Christum, ein Zuchtmeister auf ihn hin, daß es| das Verlangen nach der Erlösung wecken sollte, d. h. die Erkenntnis der Sünde, – das muß es auch den Einzelnen sein. Für die Heilsordnung kommt das Gesetz freilich nur nach seinem bleibenden Inhalt in Betracht; das, was nur der Vorbereitungszeit angehörte, das fiel dahin. Rein vorbildliche in Beziehung auf den Kultus gestellte Gesetze und auch die einzelnen auf das bürgerliche Leben hinübergehenden Anordnungen kommen hier in Wegfall; das ist das Vorübergehende im Gesetz, das auch in seiner Tiefe erkannt sein will, da überall der Gedanke der göttlichen Heiligkeit zu runde liegt und die Aufforderung: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott“ auch in den äußerlichsten Anordnungen zum Ausdruck kommt. Mit andern Worten: das Gesetz, als das ewigbleibende Sittengesetz, als der Ausdruck des unabänderlichen Willens Gottes an das Menschengeschlecht kommt hier in Betracht und darum muß das Gesetz, soll es wirklich etwas im Herzen wirken, sehr einheitlich gefaßt werden als das große Gebot: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele allen Kräften.“ Wenn dieser heilige Wille Gottes, daß wir schuldig sind Gott ganz und völlig anzugehören, ihn stets vor Augen zu haben, uns ins Herz und Gewissen hineingerufen wird, dann muß die Erkenntnis der Sünde dadurch in uns erweckt werden, die Erkenntnis, daß wir nicht getan haben, auch nicht einen Tag, auch nicht eine Stunde unseres Lebens, was Gott von uns fordert. Durchs Gesetz kommt also auch für den einzelnen die Erkenntnis der Sünde. Man kann zur Erkenntnis der Sünde durchs Gesetz gelangen, sagten wir schon, wenn man den ernsten Versuch macht, das Gesetz recht zu erfüllen; das ist der Weg, den Luther besonders geführt wurde. Wir brauchen diesen Umweg nicht zu machen, obwohl Christen auch im Stande der Heiligung immer wieder die gleiche Erfahrung machen müssen. Wir sollen uns ernstlich und aufrichtig prüfen nach dem Gesetz und uns fragen, ob wir diesen Willen Gottes recht erkannt und erfüllt haben. Das gewaltige „Du sollst“, das da an unser Herz und Gewissen herandringt, das soll zu Boden schlagen alle Liebe zu uns selber und alles Vertrauen auf uns selbst, das soll die eigene Gerechtigkeit darniederwerfen und in uns wirken Erkenntnis der Sünde, wahre Reue, daß wir die Liebe Gottes zu uns so wenig erkannt und gebraucht, vielmehr den beleidigt haben, der unser Vater, Herr und Schöpfer ist und daß wir unsern Heiland betrübt haben, der doch sein Blut an uns gewendet hat und daß wir des heiligen Geistes Wirken an uns so oft zunichte gemacht haben. Das kann im Herzen zustande bringen die wahre Reue. Und Buße tun heißt eben mit tiefer Reue erkennen, daß wir Sünder sind, und daraus erwacht dann und muß erwachen, wenn es aufrichtig ist, ein Verlangen nach Gnade und Vergebung und nur so kann der Glaube im Herzen erwachsen. Im Evangelium kommt dann die Botschaft von Christus| und seiner Gnade an das Herz. In dieser Gnadenbotschaft stimmt das Alte mit dem Neuen Testament zusammen; denn es redet doch immer wieder auch von der Erbarmung Gottes. Und das Neue Testament zeigt uns dann, wie uns Christus allein die Gerechtigkeit erworben hat, die vor Gott gilt und wie sein teueres Verdienst allein unsere Sünde vor Gott kann zudecken. Der heilige Geist, so sagten wir gestern, bringt uns dazu, daß wir die im Wort uns dargebotene Zusage annehmen als auch uns geltend, uns gehörend. So wird das Zeugnis der ewigen, unendlichen Liebe Gottes in unsern Herzen wirksam, wird von uns selbst erfahren und erlebt. „Niemand weiß, als der’s errungen, was die Liebe Christi sei.“ Ja fest und zuversichtlich können wir dann die Liebe Gottes erfassen. Wie kommt es also zum Erleben der Liebe Gottes? Nicht so, daß es nur eben ein subjektives, persönliches Erleben allein wäre; nein, es kommt auf diese Weise zu einem neuen Verhältnis zu Gott. Das ist in uns begründet schon in der heiligen Taufe; nun kommt es in uns zur Kraft. Die Taufe verleiht uns das Kindesrecht, der Glaube setzt uns in den Kindesstand. In der Taufe hat die Liebe Christi uns erfaßt, durch den Glauben erfassen wir die Liebe Gottes und lieben nun den, der uns zuerst geliebet hat: „denn darin stehet die Liebe zu Gott, nicht daß wir Gott geliebet haben, sondern daß er uns geliebet hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünde.“ Von uns aus betrachtet, ist das dann das Stehen im Gnadenstand, von Gott aus betrachtet, ist es die Rechtfertigung. Von der Rechtfertigung haben wir zu reden, wenn wir von dem Ergreifen der Liebe Gottes reden wollen und es soll kein Unterricht vergehen, der die Glaubenslehre der Kirche ganz oder in einzelnen Teilen darbietet, ohne von der Rechtfertigung geredet zu haben, dem Artikel, mit dem die lutherische Kirche steht und fällt. Was das Wortverständnis betrifft, so ist die alte Streitfrage zwischen römischer und evangelischer Anschauung, ob rechtfertigen heißt gerecht machen, wie es die römische Kirche auffaßt, daß der Mensch allmählich durch die eingeflößte Gnade zu einem Gerechten umgestaltet werden soll oder ob es vielmehr so viel bedeutet als für gerecht erklären. Die entscheidende Grundstelle ist schon im alten Testament (1. Mose 15) „Abram glaubte dem Herrn und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ Das klingt dann aus dem 32. Psalm wieder, wo es heißt: „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet“, und Röm. 3 und 4 legt es der Apostel Paulus, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ganz ausführlich auseinander. Der Herr selbst hat es angedeutet im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner und hat Luk. 17, 10 jenes Wort gesprochen, das jegliches eigene Verdienst vollkommen ausschließt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan,| was wir zu tun schuldig waren.“ Gott erklärt uns für gerecht. Sind wir gerecht? Nein wir sind Sünder. Sieht Gott nun etwa die Sünde nicht indem er uns Sünder für gerecht erklärt? Er sieht sie wohl, er kennt sie besser als wir selbst; aber er sieht sie nicht an und rechnet sie uns nicht zu. Und warum sieht er sie nicht an? warum rechnet er sie nicht zu? Weil er etwas anderes dafür ansieht, Christi vollkommene Gerechtigkeit oder sein teueres Verdienst. Das sieht er an, rechnet es uns zu, als ob es unser eigenes wäre. Es ist nun freilich nicht unsere eigene Gerechtigkeit, nicht unser Verdienst, aber Gott kann es uns wohl anrechnen, von Christus aus, weil er, der Versöhner, doch alles für uns getan hat und von uns aus, weil wir dieses teuere Verdienst Christi, seine vollkommene Gerechtigkeit im Glauben erfassen und uns aneignen und vor Gott bringen mit der Bitte, daß Gott nicht ansehen wolle unsere Sünde, sondern Christi vollkommene Gerechtigkeit und um derselben willen uns unsere Sünden vergeben, uns für gerecht ansehen und erkennen und annehmen zu seinem Kindern. Die Rechtfertigung gehört mit zum Werke des heiligen Geistes, weil sie sich auf den Einzelnen bezieht. Die Erlösung und Versöhnung gehört in den 2. Artikel, denn das ist etwas was Christus einmal getan für alle Welt. Die Vergebung der Sünde, die Rechtfertigung werden dem einzelnen zuteil und der heilige Geist ist es, der uns zum Glauben bringt, zum Erfassen der Liebe Gottes zu uns und uns damit die Rechtfertigung ermöglicht. Er ist es auch, der uns unserer Gerechtigkeit vor Gott aus Gnaden ganz und völlig gewiß macht, wie wir gestern hörten, daß er Zeugnis gibt unserm Geist durchs Wort und durch die Besiegelung der Sakramente, daß wir Gottes Kinder sind. Wollen wir nur täglich aufs neue immer wieder unseres Rechtfertigungsstandes vor Gott recht gewiß werden, immer wieder erleben dürfen die Liebe Gottes in der Rechtfertigung des Sünders. Ja wollen wir stets leben in der Liebe Gottes; dann ist die Liebe Gottes ausgegossen auch in unser Herz durch den heiligen Geist. Wenn der Apostel (Röm. 5, 5) sich so ausdrückt, so ist auch hier wieder die Frage: Meint er die Liebe Gottes zu uns oder unsere Liebe zu Gott? Aber hier werden wir sagen dürfen: Das läßt sich beides unmöglich von einander trennen. Es steht uns fest: zuerst wird die Liebe Gottes zu uns durch den heiligen Geist in unser Herz ausgegossen, daß wir ganz gewiß werden, Gott hat mich ewig geliebt; damit aber senkt sich auch unsere Liebe zu Gott in das Herz ein. Denn wenn wir diese Liebe erfahren haben, wie könnten wir da anders als ihn wieder lieben?


III.
 Wenn wir darum vom persönlichen Erleben der Liebe Gottes reden, so müssen wir auch sprechen von der dankbaren Bewährung| der göttlichen Liebe im Eifer zu guten Werten. Wir kommen hier auf das Verhältnis von Glauben und guten Werken, oder von der Rechtfertigung und der Heiligung. Daß der Glaube Früchte bringen muß, lehrt die Augsburgische Konfession sehr bestimmt. Sie lehrt im 4. Artikel von der Rechtfertigung, lehrt im 6. Artikel von den Früchten des Glaubens als den guten Werken und hat dann im 20. Artikel noch eine längere Darlegung über beides; da wird deutlich die Frage beantwortet, ob gute Werke notwendig sind. Das wirft ja die römische Kirche der unsern immer vor, daß sie, weil sie die Rechtfertigung vor Gott nur auf den Glauben stellt, damit die guten Werke für gering achte. Wollen wir nie dazu beitragen durch Trägheit im Christenstand diesem Vorwurf einen Schein des Rechtes zu verleihen! Gute Werke sind notwendig – freilich nicht in dem Sinn, als ob wir durch sie die Gerechtigkeit vor Gott erwerben könnten; aber sie sind notwendig als Früchte des Glaubens, sind Beweise der Liebe oder Zeichen des Dankes und erwachsen aus dem Glauben wie von selbst. Buße und Glauben sind der Weg zur Seligkeit, als Vorgang im Herzen können sie zusammen auch genannt werden die Bekehrung; denn durch die Buße, durch ernste Reue über die Sünde wendet sich der Christ von der Sünde ab und durch den Glauben, der sich auf Christum stützt und im Vertrauen auf ihn zu Gott kommt, wendet man sich Gott zu. Und so muß Buße und Glauben als Abkehr von der Sünde, als Hinkehr zu Gott auch von selbst Früchte bringen. Die nächste innerliche Frucht der Buße ist Furcht vor Gott, die Frucht des Glaubens ist Liebe zu Gott. Habe ich wirklich mit Ernst und in wahrer Reue die Verdammlichkeit der Sünde erkannt, dann habe ich den Entschluß gefaßt: ich will ihr nicht mehr dienen, sondern in heiliger Furcht vor Gott meinen Weg gehen. Und bin ich im Glauben gewiß geworden, daß Gott mich ewig liebt, so muß doch die dankbare Gegenliebe dafür im Herzen erwachen und wer Gott lieb hat, der will tun was ihm gefällt, weshalb der Apostel sagen kann: „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten und seine Gebote sind nicht schwer.“ Furcht und Liebe zu Gott sind die Früchte der Bekehrung, die Früchte von Buße und Glauben und somit das ernste Bestreben nicht mehr der Sünde, sondern nur Gott zu dienen. Ist dann die heilige Liebe, die in Gott selber ist, nicht auch in uns zustande gekommen? Eine heilige Liebe muß es sein. Der Apostel Johannes sagt zwar: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe.“ Aber da hat er sicherlich nur die knechtische, die sklavische Furcht vor Gott im Auge. Heilige Furcht vor Gott muß immer im Herzen des Christen sein. Mit Furcht und Zittern muß auch der bekehrte Christ die Seligkeit schaffen, d. h. stets bedenken: die| Sünde ist nah, sie versucht uns allezeit, sie muß ernstlich von uns bekämpft und gemieden werden; das kann die Furcht vor Gott, die mit der Liebe verbunden sein muß. Wäre nun freilich nur Furcht vor Gott im Herzen und keine Liebe, dann wäre es ein sklavisches Verhältnis steter Furcht. Wiederum die Liebe zu Gott darf nicht ohne Furcht sein, ohne die heilige Furcht, daß wir stets in der Gefahr der Sünde bleiben. So ist die heilige Liebe in uns zu Bestand gekommen und sie wird sich nun auch im Wandel betätigen.

 Wenn der Apostel 1. Kor. 13 sein hohes Lied von der Liebe anstimmt, nennt er eine Menge von Betätigungen der Liebe; er zeigt dort wie die Liebe alles übertrifft, alles überdauert und alles überwindet. Da ist es immer, wie auch an anderen Stellen, der doppelte Gedanke, daß die Liebe nie andere zum Bösen reizen kann, sich aber auch nie von andern reizen läßt; da kommt auch recht eigentlich die heilige Liebe, die in uns sein soll und sein kann zur Darstellung. Die Liebe bringt es dazu, daß wir anderer Verkehrtheit überwinden können, das Böse überwinden durch Gutes, wogegen die heilige Furcht Gottes uns davon abhält, daß wir andern etwas Böses antun und uns auch nicht von ihnen zum Verkehrten reizen lassen. So ist die heilige Liebe Gott gegenüber in steter Betätigung, aber auch dem Nächsten gegenüber. Möchte diese heilige Liebe Gottes auch in uns recht wirksam sein und sich betätigen in dem Werk der Heiligung, in dem ernsten Bestreben die Sünde immer mehr zu bekämpfen und Gott immer völliger und gehorsamer zu dienen. Dann werden wir auch allmählich wachsen in der Liebe und in guten Werken und werden dadurch zu dem schönen Ziele gelangen, daß wir die rechte volle Erkenntnis der Liebe gewinnen in der Vereinigung mit Christo, und das ist das letzte, was über das persönliche Erleben der Liebe noch gesagt werden möchte.


IV.
 Der Apostel Paulus unterscheidet eine Erkenntnis des Heils, eine Erkenntnis von Christo, die dem Glauben vorangehen muß und eine Erkenntnis, die dem Glauben nachfolgt. Ich muß wissen, an wen ich glaube, ohne diese Erkenntnis ist bewußter Glaube nicht denkbar. Es gibt somit eine Erkenntnis, die den Glauben ermöglicht, aber die höhere, vollkommene Erkenntnis Christi kommt erst aus dem Glauben. Das läßt sich besonders aus den Darlegungen des Apostels Eph. 1 und 3 entnehmen. Das ist es auch, was wir am Anfang aus dem Lied des Bernhard von Clairvaux hörten: „Niemand weiß, als der’s errungen, was die Liebe Christi sei.“ Ja, wenn wir den Herrn von ganzem Herzen lieb haben, dann erkennen wir immer völliger seine Liebe zu uns und dürfen auch manche selige Erfahrung davon machen. Es gibt ja Zeiten, es gibt Augenblicke im Christenleben, in denen die Liebe Christi in| uns alles überwindet, überwältigend sich in uns bemerklich macht, so daß unser Herz ist ganz dahin; auch das Liebesmahl, das wir preisen, ermöglicht uns das manchmal; auch Zeiten, wie die, die Sie jetzt durchleben, stellen auf eine innere Höhe, da man eine hohe dankbare Erkenntnis der Liebe Christi im Herzen hat. Freilich, es folgen auch wieder andere Zeiten, aber wir dürfen doch immer wieder uns emporschwingen zu der Erkenntnis, wie die Liebe Christi sich auch an uns betätigt hat. Die vollkommene Erkenntnis folgt freilich erst dann, wenn wir bei Christo sind.

 Dann werden wir auch die Liebeswege, die Gott mit uns gegangen ist, ganz und völlig erkennen. Jetzt müssen wir immer wieder sagen: „Ich liebe dich, doch nicht soviel, als ich dich gerne lieben will“ Dann dürfen wir Jesum sehen, Gott schauen, in seiner Liebe wahrhaft selig sein und darum soll unsere Bitte die bleiben: „Geuß aus auf uns den Geist, dadurch die Liebe fleußt in die Herzen!“ Amen!

Psalm 119, 89–104. Lied: 294, 1. 2. 4. 5. 8. 18.





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