Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Epiphanias 06

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Am sechsten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Evang. Matth. 17, 1–9.
1. Und nach sechs Tagen nahm JEsus zu Sich Petrum, und Jacobum, und Johannem, seinen Bruder, und führete sie beiseits auf einen hohen Berg. 2. Und ward verkläret vor ihnen, und Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden weiß als ein Licht. 3. Und siehe, da erschienen ihnen Moses und Elias, die redeten mit Ihm. 4. Petrus aber antwortete und sprach zu JEsu: HErr, hier ist gut sein; willst Du, so wollen wir hier drei Hütten machen. Dir eine, Mosi eine, und Elias eine. 5. Da er noch also redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach. Dieß ist mein lieber Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen habe, Den sollt ihr hören. 6. Da das die Jünger| höreten, fielen sie auf ihr Angesicht, und erschracken sehr. 7. JEsus aber trat zu ihnen, rührete sie an und sprach: Stehet auf und fürchtet euch nicht! 8. Da sie aber ihre Augen aufhuben, sahen sie niemand denn JEsum allein. 9. Und da sie vom Berge herab giengen, gebot ihnen JEsus und sprach: Ihr sollt dieß Gesicht niemand sagen, bis des Menschen Sohn von den Todten auferstanden ist!

 EIne der wunderbarsten Begebenheiten aus dem Leben unsers HErrn haben wir hiemit vernommen. Sie steht mit Recht auf der Gränze der Epiphanien- und Passionszeit; denn eine Epiphanie, eine Erscheinung und Offenbarung des HErrn ohne Gleichen und eine Ankündigung des Leidens und Ausgangs JEsu, wie wir sie auch sonst nirgends lesen, finden wir hier beisammen. Laßt uns, geliebte Brüder, zuerst der Geschichte Schritt für Schritt folgen und es für Gewinn achten, sie wohl zu faßen.

 Am Abend gieng unser HErr oftmals auf hohe Berge, um in der tiefen, ungestörten Stille eines solchen Aufenthalts zu beten. So wars auch dieß Mal. Denn Abend war es, da Er den heiligen Berg bestieg; das verräth uns nicht allein die ganze Gestalt der Geschichte, welche wir lesen, sondern auch bei St. Lucas 9, 32. die ausdrückliche Erwähnung des tiefen Schlafes, aus welchem Petrus und die beiden anderen Begleiter JEsu durch das himmlische Gesicht geweckt wurden. Tiefer Schlaf befällt wachsame Männer am hellen Tage nicht, am wenigsten in Gesellschaft, die man scheut und liebt. − Der hohe Berg, auf welchem die Geschichte geschah, die wir betrachten, lag in Galiläa; denn dort hielt Sich der HErr zu jener Zeit auf. Vielleicht war es der Berg Tabor, denn auf ihn deutet nicht allein fast das gesammte Altertum, sondern der Gipfel desselben scheint auch durch seine ganze natürliche Beschaffenheit vor allen andern Bergeshöhen Galiläas würdig gewesen zu sein, zum Schauplatz der Herrlichkeit Gottes zu dienen. − Als der HErr am Abend den heiligen Berg bestieg, that Er, wie auch in andern Fällen, wo es Dinge von besonderer Wichtigkeit wahrzunehmen und zu erfahren gab: Er nahm nicht alle Seine Jünger mit Sich, sondern nur eine Auswahl aus denselben. Auch unter den Zwölfen scheint ein Unterschied gewesen zu sein: nicht alle scheinen auf gleicher Stufe des inwendigen Lebens gestanden und gleich befähigt gewesen zu sein, die Geheimnisse des Himmelreichs aufzunehmen und zu bewahren. Die drei, welche den HErrn zu Seiner Verklärung begleiteten, scheinen den nächsten Kreis um JEsum Christum gebildet und ihre neun Mitjünger an Reife des inwendigen Lebens und Wesens überragt zu haben; denn wir finden sie nicht bloß hier, sondern öfters als JEsu auserwählte Begleitung. Mit diesen treuen Zeugen bestieg der HErr den heiligen Berg, und während sie entschlummerten, betete Er, wie St. Lukas ausdrücklich erwähnt. Wir wißen nicht, ob Er um die Offenbarung Seiner Herrlichkeit betete, die sofort geschah; aber das wißen wir, daß diese Offenbarung unter Seinem Gebete begann; denn auch das schreibt St. Lukas. Die Seele des Menschensohnes, ihr Dichten und Beten ist unserm betrachtenden Geiste zu wunderlich und zu hoch; aber himmlische Offenbarungen werden gern betenden Seelen gegeben, wie wir das an so manchen Beispielen der heiligen Schrift finden und auch hier an der betenden Seele des Erlösers offenbar wird. Wie mag der HErr gebetet haben! Werde ich irren, wenn ich von der Herrlichkeit der Verklärung einen Schluß auf die heilige Inbrunst des Gebetes JEsu mache? − „Da Er betete, sagt St. Lukas, wurde die Gestalt Seines Angesichts anders.“ „Er ward verklärt vor Seinen Jüngern, und Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,“ sagt St. Matthäus. Es war kein von außen her kommender Schein, von dem Er glänzte, sondern aus Ihm selbst hervor brach das Licht, von dem Er wie die Sonne leuchtete. Und dieß Licht verhüllte Sein Antlitz nicht so sehr, daß nicht die Jünger, als sie Gottes Hand vom Schlaf erweckte, deutlich bemerkt hätten, Seine Züge seien anders geworden, herrlicher, ehrfurchtgebietender und ohne Zweifel auch mächtiger anziehend, als wenn sie an Seiner Knechtsgestalt wahrgenommen wurden. Es war kein anderer, den sie sahen, Er war es Selbst, aber Seines Angesichts Gestalt war doch so anders und so hehr, und Sein Leuchten war so himmlisch! Was mag das in der stillen Nacht für ein Anblick gewesen sein! Die Ihn hatten, konnten wohl hernachmals sprechen: „Wir sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater.“ − Wir lesen wohl auch von Mose, daß die Haut seines Angesichts glänzte, als er vom Sinai kam; aber was konnte Mosis Klarheit gegen die Klarheit JEsu| sein? Wie der Sonnen Licht das Angesicht des Mondes beleuchtet, so beleuchtete der Glanz des HErrn Mosen und sein Angesicht. Was ist Mondschein gegen Sonnenglanz? Das ist Mosis Klarheit gegen JEsu Klarheit! So groß war das Licht, das aus JEsu hervorbrach, daß auch Seinen Gewändern die Farbe davor zu entfliehen schien; sie wurden sehr weiß wie der Schnee, daß sie kein Färber auf Erden kann so weiß machen (Marc. 9, 3.), wie ein Licht (Matth. 17, 2.), daß auch sie glänzten. − Es hat Menschen gegeben, welche diese ganze Begebenheit für ein inwendiges Gesicht der Apostel ausgegeben haben. Es wäre etwas durchaus Wunderbares, wenn drei Männer einerlei inneres Gesicht hätten; aber ganz abgesehen von dem Wunderbaren, welches ja in jener Zeit der Wunder auch leicht hätte Statt finden können, ist ja dennoch diese Ausdeutung der Geschichte durchaus nicht möglich, ohne daß man den Evangelisten gröblich widersprechen und sie Lügen strafen müßte? Diese stimmen alle überein und ein jeder von ihnen hat noch besondere Züge aufbewahrt, welche, mögen sie auch klein erscheinen, dennoch den Verlauf der Sache zu einem Grade von Anschaulichkeit erheben, wie er bei innern Gesichten nicht vorkommt. Ist es doch, als sähe man alles mit eigenen Augen vor sich gehen! Wahrlich, wenn man beim Lesen der Geschichte aus der Wirklichkeit versetzt, der Welt entrückt würde und in eine Entzückung fiele, daß sich in dem inneren Seelenauge, wie in einem Spiegel, noch einmal alles vergegenwärtigte: das wäre zu begreifen, das ließe sich erklären. Aber wie man zweifelnd an einer Geschichte mäckeln kann, die zu herrlich ist, um bloß ein inneres Bild zu sein, und sich einem jeden, der sie vernimmt, durch überirdische Schönheit als völlig wahr beurkundet: das wäre nicht begreiflich, das ließe sich nicht erklären, wenn wir nicht die sündenvolle Nacht des Herzens kenneten, aus welcher jener Mangel an Einfalt und jene bedauernswerthe Blindheit stammt, die sich freut falsch zu sehen und nicht zu sehen, als hätte sie daran Gewinn. −  Jedoch wir wollen uns den Blick nicht trüben, sondern auf Tabor bleiben und die „ehrliche Pracht des Königreichs Christi“ schauen. Zu dem HErrn, der von innerer Klarheit strahlte, kamen zwei himmlische Gestalten, gleichfalls in Klarheit. St. Lucas sagt wörtlich: „sie erschienen in Klarheit.“ Es waren Moses und Elias, der Gründer und der eifernde Erhalter des alten Bundes. Beide Männer, Moses und Elias, waren dem irdischen Leben auf eine außerordentliche Weise entnommen worden: Elias war lebendigen Leibes auf einem Wagen Gottes heimgeholt worden zu der ewigen Freude; Moses war zwar gestorben, aber von dem HErrn selbst begraben worden, und sein Grab ist verborgen bis auf den heutigen Tag. Daß Elias im Leibe der Unsterblichkeit erschien, unterliegt keinem Zweifel, weil er leiblich gen Himmel aufgefahren ist; dagegen wißen wir von Mose nicht zu sagen, ob auch er im Leibe der Auferstehung oder nur in sichtbarer Gestalt seiner heiligen Seele erschienen sei. Wie dem auch sei, verklärt, heilig, selig erscheinen beide in ihrem alten Heimathlande, und gewis keiner von beiden, so wonnevoll ihnen dieser Besuch auf Erden gewesen sein mag, kam aus nur eigener Wahl; gewis kamen beide als göttlich Gesandte, und ihre Anwesenheit auf Tabor beweist ohne Zweifel, daß der HErr zur Vollziehung himmlischer Geschäfte nicht allein die Engel, sondern auch die seligen Auserwählten gebrauchen kann. − Merkwürdig und besonders lieblich ist ein Umstand. Wir haben schon erinnert, daß Petrus, Johannes und Jakobus, während JEsus betete, eingeschlafen waren. Nun aber, da bereits die beiden himmlischen Gestalten vor JEsu standen, erwachten sie und erkannten nicht allein ihren verklärten HErrn und Meister, sondern auch die beiden Männer Mose und Elias, deren irdische, deren himmlische Züge sie nie gesehen hatten, deren Namen ihnen von niemand kund gethan wurde. Mose und Elias, obwohl im Himmel wohnend, kümmern sich um das Reich Gottes auf Erden, wißen davon, reden ja von Jerusalem, wie wir das noch besonders erwähnen werden, und von den wichtigen Dingen, welche in der nächsten Zeit in der heiligen Stadt geschehen sollen: es ist, als wären sie noch hier zu Hause, als wären sie mit allem bekannt. Und umgekehrt, Petrus redet von den himmlischen Boten zwar mit kindlicher, bereitwilliger Demuth, aber doch auch wieder so vertraut, als wäre er immer schon mit ihnen zusammengewesen. Hütten will er ihnen ja bauen: „Dir eine, spricht er zu Christo, Mosi eine und Elia eine.“ So sicher kennt und nennt er sie, so gerne will er bei ihnen sein und ihnen dienen! Damit ist uns ein Blick in die Ewigkeit aufgethan. Vom Tabor machen wir einen sichern Schluß auf die himmlische Stadt. Eben so wird es dort sein, alles| wird zutreffen. Was ewig, ja sogar was nur zeitlich zusammengehörte, wird sich dort kennen. Die sich nie gesehen, geschweige die sich hier gesehen und gekannt, werden sich dort beim ersten Anblick erkennen und miteinander bekannt sein. − Ich möchte gerne der sichern Spur nachgehen, die wir gefunden, und von der Gemeinschaft der erlösten Seelen im Himmel mehr, wozu uns dieser Theil unseres Textes Anlaß geben könnte, mit euch sprechen. Ungern trenne ich mich von der süßen Aussicht in die Ewigkeit; und doch dringt mich beides, der Fortschritt meines Textes, und die Sorge für den Eingang unsrer Seelen zur ewigen Stadt, lieber auf das zu horchen, was Moses und Elias auf Tabor mit Christus sprechen.
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 Als einst der HErr mit zweien Engeln zu Abraham auf Besuch kam und ihm und Sarah die Verheißung von Isaak gab, da konnte man ein köstliches Gespräch Gottes mit den Menschen hören, und überaus menschlich und leutselig erschien unser HErr. Aber als der HErr in Klarheit unter den himmlischen Boten stand und vor den Ohren noch sterblicher Menschen von dem gnädigen Rathschluß Seines Vaters sprach: da gab es Größeres zu hören, überaus göttlich erschien da der Mensch JEsus Christus, und dennoch auch überaus menschenfreundlich, barmherzig, gnädig der große Gott und Heiland JEsus Christus. Denn was sprachen die Boten mit Ihm und Er mit ihnen? Was ist die Botschaft der Himmlischen, und was der Gruß des Vaters an den Sohn? Warum kommen diese Seligen aus den Reihen der himmlischen Lobsänger auf Tabor herunter? Erlösung ist des Vaters Gruß, Erlösung des menschlichen Geschlechtes, − oder was ganz eins ist, JEsu Ausgang zu Jerusalem, JEsu Leiden, Sterben, Auferstehen, das ist der Gegenstand der himmlischen Gespräche. Wunderbar! In der Stunde der seligsten Verklärung sprechen sie von der tiefen Erniedrigung des Todes, von der dunkeln Nacht, die am Charfreitagsmittag Den umhüllen soll, der jetzt mit Seinem Glanze die Nacht zum hellen Tag verklärt. Ist das ein Gespräch für diese Stunde? fragst du. Du siehst wohl, ja, sonst würde es nicht geführt. Paßte doch der Gedanke der Erlösung durch den Tod des Hochgelobten auch in den Rath der seligen Dreieinigkeit! Ist er doch aus dem Schooße der ewigen Freude entsprungen! Das begreifen wir nicht, aber wir beten dafür an, wir danken dafür mit unaussprechlichen Seufzen, das der Geist vor Gottes Throne deuten möge! − Wie nur den Jüngern bei dem Anschauen und bei diesem Zuhören zu Muthe gewesen sein mag? Wir können nicht drüber urtheilen; wir haben keine Erfahrung von dem gewaltigen, hinreißenden, entzückenden Einfluß eines himmlischen Gesichtes und eines Gespräches, von unsterblichen Lippen über unsre Erlösung gesprochen. Aber wie vertieft in Schauen und Hören sie waren, die drei seligen Seher und Hörer, das geht denn doch deutlich aus dem Texte hervor. Nachdem die himmlischen Boten ihr Gespräch mit Christo vollendet hatten, geschah es, wie St. Lucas berichtet, daß sie von JEsu zur Seite „wichen“. Das sehend brach Petrus in die Worte aus, die wir schon kennen: „HErr, hier ist gut sein; willst Du, so wollen wir hier drei Hütten machen, Dir eine, Mosi eine und Elia eine.“ Wie wenn er das Auseinandergehen der heiligen Versammlung hätte verhindern, wie wenn er diesen Himmel auf Erden hätte festhalten wollen! Zwar war Petrus seiner nicht mächtig, als er das sagte; er war „bestürzt“ und außer sich und „wußte nicht, was er redete“; hinweggehoben aus dem gewöhnlichen, irdischen Dasein, im Zustande der Entzückung vermochte er nicht, zu erwägen, wie wenig sein wonniges Verlangen den Umständen gemäß, wie unstatthaft es war, wie ganz andere und schmerzliche Dinge bevorstanden. Aber ist nicht dennoch, das Wohlgefallen an der himmlischen Genoßenschaft und das laute, fast ungestüme Verlangen, sie festzuhalten, wunderbar, und ein Beweis göttlicher Wirkung in ihm? Sonst pflegt der Mensch vor jedem Hereinragen einer andern Welt in die hiesige zu verwelken und vergehen; hier ist davon nichts zu merken; nicht befremdend, sondern heimathlich wohlthuend wirkt das himmlische Gesicht auf die Jünger, und ob sie schon ein Zittern und Entsetzen befallen hat, ist doch ihre Wonne nicht geringer. Es ist dieser Zustand mangelhaft; es fehlt ihm an Klarheit, Ruhe, Harmonie; der überraschende Anblick, den sie genoßen, dauerte ja noch an, und so lange er andauerte, konnte das gewaltige Emporheben aller ihrer Kräfte nicht alsbald wieder in das stille Geleise sich fügen, in dem sonst ihr Herz und Sinn einherfuhr. Es ist auch nicht der höchste Zustand, den es gibt, nicht das Ziel der letzten unserer Wünsche: die göttliche Ruhe der erlösten Seelen, die das Angesicht JEsu schauen, das| tiefbefriedigte, wonnevolle Wohnen der Auferstandenen jenseits alles Wechsels zwischen Licht und Finsternis ist mehr. Aber gegenüber unsern gewöhnlichen Zuständen ist doch die selige Bestürzung der Jünger etwas Herrliches gewesen, und ich möchte nicht leicht irgend etwas Anderes auf Erden höher rühmen. Es war doch jeden Falls eine Stufe aufwärts zu der vollkommenen Ruhe und Freude, von welcher Mose und Elias kamen.

 Es sollte aber freilich noch anders werden. Während Petrus die entzückten Worte sprach, kam eine lichte Wolke, und die heiligen Propheten giengen, wie St. Lucas erzählt, in die Wolke hinein, ähnlich wie einst Mose in den Tagen seines Fleisches nach 2. Mos. 24, 18. in Gottes Wolke hinein gieng. Mose und Elias wurden von der Wolke überzogen, auf die Jünger aber fiel ein leichter Schatten der wunderbaren Wolke. So lange JEsus mit Mose und Elia im hellen Lichte stand, so lange nur Menschen den Menschensohn umgaben, wenn schon selige, verklärte Menschen; so lange waren die Jünger eitel Wonne und Freude, und ihre Bestürzung war keine unangenehme. Als aber das dichte, schattenwerfende Lichtgewebe der heiligen Wolke zwischen sie und die Himmlischen trat und sie, wenn man so sagen kann, im lichten Dunkel standen, da wurde den Jüngern schreckenvoll zu Muthe, sie ahnten eine höhere Gegenwart und ihr Herz ward verwandelt; die Wolke der Herrlichkeit, die einst auf der Bundeslade geruht hatte, war über ihnen; staunend und erwartungsvoll standen sie; sicher kein leiser, eigener Gedanke regte sich in ihren Seelen. Da fiel aus der Wolke eine Stimme, die sprach mit Menschenworten: „Dieß ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ − „Mein lieber Sohn,“ − also redete der Vater, der hochgelobte Gott! „An dem ich Wohlgefallen habe,“ − also sprach einer, der Wohlgefallen auch diesem verklärten Sohne zutheilen konnte, der über dem Sohne nicht minder erhaben war, wie andere Väter über andere Söhne! „Den sollt ihr hören“ − wer soll ihn hören? Doch zunächst die, an welche die Stimme geschieht, Petrus, Jacobus, Johannes. Also waren sie von dem Vater erkannt, beachtet, gesucht, gefunden, angeredet; also sind sie in einem persönlichen Verhältnis zu dem Ewigen! Das ist so eben offenbar geworden; Gott hat sie selbst angeredet! Es ist nichts Neues, was sie hören; es ist ihnen bekannt; aber so haben sie es noch nicht gehört. Sie sind nun freilich dem Eingebornen ganz vereinigt, aber durch welchen starken, ausgereckten Arm! Gott hatte selbst sie Seinem Sohne vertraut. Kein Wunder, wenn in ihrem Herzen die Psalmenstimme vernommen wurde: „Ich fürchte mich vor Dir, daß mir die Haut schauert,“ − wenn geschah, was geschrieben steht: „Da das die Jünger höreten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschracken sehr.“ Anbetung und Furcht überfielen sie. Es geschah ihnen wie Jacob in der Wüste, wie Daniel, da er den HErrn sah (10, 8 f.), wie dem heiligen Propheten und Apostel Johannes (Offb. 1, 17.): es blieb keine Kraft in ihnen, wie Todte sanken sie in den Staub, sie wurden des Daseins Gottes inne, und ihr Nichts, ihr Elend vor Ihm wurde ihnen offenbar. − Ach, Brüder, was für eine Offenbarung war das für die drei Apostel! Je mehr man versucht, sich hineinzudenken, desto mehr verstummen beide, Zunge und Gedanken. Was können wir da sagen? Aber begreifen können wirs, daß diese Nacht der Verklärung einen unauslöschlichen Eindruck auf die Herzen der Jünger hervorbrachte. Es war lange hernach, daß St. Petrus seinen zweiten Brief schrieb, es war kurz vor seinem Tode, da er alt geworden war und nun gegürtet werden sollte, zu gehen, wohin er nicht wollte. Dennoch ist es das frischeste Andenken, das sich in seinen Worten (2. Br., 16–18.) ausspricht: „Wir haben nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund gethan haben die Kraft und Zukunft unseres HErrn JEsu Christi, sondern wir haben Seine Herrlichkeit selbst gesehen, da Er empfieng von Gott dem Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die zu Ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: ,dieß ist Mein lieber Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe‘ Und die Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit Ihm waren auf dem heiligen Berge.“ −

 Todesschrecken war über die Jünger gefallen, wie über Daniel und Johannes; aber wie diesen legte auch ihnen der HErr Seine heilende, segnende Hand auf und unter den freundlichen Worten: „Stehet auf und fürchtet euch nicht!“ brachte Er sie zu dem gewöhnlichen, irdischen Leben zurück. Alles war vorüber; als sie ihre Augen aufhuben, sahen sie niemand als JEsum allein. Sie fanden Ihn allein, aber Er wird ihnen dennoch ein ganz anderer gewesen sein als zuvor; der Glanz| Seiner Verklärung wird Ihn in ihren Augen allezeit umgeben haben; die Ehrerbietung Mosis und Eliä, das Zeugnis des himmlischen Vaters selbst wird sie zu Ehrfurcht und Anbetung geneigt gemacht haben. Gewis brannte ihnen das Herz darnach, am hellen Tage und auf den Dächern predigen zu dürfen, was sie in stiller Nacht auf dem Berge Tabor geschaut hatten. Allein grade diese Sehnsucht blieb ungestillt. Der HErr verbot ihnen vor Seiner Auferstehung irgend jemand etwas zu sagen. Die Offenbarung auf dem heiligen Berge war eine Vorsorge für zukünftige Zeiten; zu seiner Zeit sollte sie durch die drei frommen Zeugen bekannt werden und die Herzen in dem Glauben stärken, daß der HErr allezeit, im Stande der Erniedrigung, wie im Stande der Erhöhung, einer und derselbe gewesen und geblieben, Gottes Sohn und Menschensohn, groß und hehr, menschenfreundlich und barmherzig. Jetzt aber sollten die Jünger schweigen und warten − und alleine für sich den Segen haben und benützen, der aus dem Anschauen der Verklärung ihnen so reichlich zugefloßen war.
 Liebe Brüder! Bei dem ersten Wunder, welches unser HErr verrichtet hat, nemlich bei dem zu Cana in Galiläa geschehenen, heißt es: „Er offenbarte Seine Herrlichkeit.“ Wir haben nun schon öfter Anlaß gehabt, zu bemerken, daß von jedem Wunder Christi ein Gleiches gelte, daß jedes eine Offenbarung Seiner Herrlichkeit ist. Doch hat der HErr bei keinem Seiner Wunder Seine Herrlichkeit in dem Maße geoffenbart, wie bei der Begebenheit, welche wir heute mit einander gelesen und näher betrachtet haben. − Als der Sohn Gottes sich im Mutterleibe Mariens mit der Menschlichkeit auf ewig verband, beschloß Er, Seine menschliche Natur nicht alsbald bei der Geburt in der Glorie erscheinen zu laßen, welche derselben vermöge der Verbindung mit der Gottheit gebührte. Er hatte menschliche Natur an Sich genommen, um gehorsam zu werden bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Er war nicht gekommen, daß Er Sich dienen ließe, sondern daß Er dienete und gäbe Sein Leben zu einer Erlösung für viele. Wie Jakob um Rahel, so wollte Er um Seine Braut, die heilige Kirche, dienen wie ein Knecht, und deshalb auch Sich Seiner Herrlichkeit entäußern und Knechtsgestalt annehmen. Die Verbindung der Menschheit mit der Gottheit war eine vollständige, aber die herrlichen Folgen und Wirkungen derselben waren aufgehalten; die Fülle der Gottheit wohnte in Christo leibhaftig, aber bis nach der Auferstehung waren Leib und Seele Christi mehr Hüllen über dem allerheiligsten Geheimnis, das in ihnen thronte, als Mittel der Offenbarung desselben. Niemand sah es dem Leibe Christi für gewöhnlich an, daß er ein Tempel des großen Gottes war. Dieß demüthige Erscheinen des Sohnes Gottes im Fleische nennt die Kirche auf Grund jener berühmten Stelle Philipp. 2. den Stand Seiner Erniedrigung. Diese Erniedrigung mußte aber als eine solche erkannt und offenbaret werden, damit sie nicht mit der natürlichen Niedrigkeit verwechselt würde, in welcher wir alle geboren sind. Wer niedrig ist, war nie hoch und kann nicht denken, daß ihm ein anderes gebühre; wer aber erniedrigt ist, der war hoch und ist von seiner Höhe heruntergestiegen. Der HErr mußte drum auch im Stande Seiner Erniedrigung zuweilen die Ihm gebührende Höhe und Herrlichkeit zeigen, damit Seine Demuth, Sein Gehorsam, Seine Knechtschaft recht erkannt und gewürdigt würden. Das that Er denn auch mit jedem Wunder, das that Er insonderheit auf Tabor durch Seine Verklärung. Da sah man mit Augen, wer Er war. Die verborgenen Brunnen Seiner Herrlichkeit öffneten sich, und Sein Licht und Leben brach hervor wie ein Strom. Zwar ist Verklärung des Leibes an und für sich selbst noch kein Beweis göttlicher Herrlichkeit; Mose und Elia erschienen auch in Klarheit, und dermaleins werden auch unsre Leiber dem verklärten Leibe Christi ähnlich werden, die Gerechten sollen alsdann in ihres Vaters Reich wie die Sonne leuchten immer und ewiglich. Aber alles Licht, worin die seligen Seelen schon jetzt und dereinst auch ihre Leiber glänzen, ist von JEsu her; es ist ein Meer, das aus Ihm gequollen und entsprungen ist; in Seinem Lichte wandeln Zions Kinder ewiglich. Sollte aber jemand Lust haben, das Licht, welches aus JEsu strömte, nicht für Sein eigenes, göttliches, sondern für ein fremdes zu halten, Ihn und die beiden himmlischen Propheten Mose und Elia in eine Reihe zu stellen; der achte auf das, was auf Tabor um JEsum her vorgeht. Da wird er sehen, wie der Menschensohn ein Mittelpunkt aller Wesen ist, und die Ehre, die Ihm von Himmel und Erde geschieht, wird ihn dann geneigt machen, den Sohn des Vaters zu erkennen, Ihn zu ehren, wie man den Vater ehrt, und zu begreifen, wie sich St.| Petrus und seine beiden Genoßen „Augenzeugen“ der göttlichen Größe und Würde JEsu nennen können.

 Sieh hin! Zu JEsu Rechten und Linken stehen die Fürsten des alten Testamentes, zu Seinen Füßen liegen, hingerißen in das Anschauen Seiner Herrlichkeit, die Fürsten des neuen Testaments, und Er selbst ist der Mittel- und Sammelpunkt beider. Beide Testamente, die alte und die neue Zeit berühren sich in Ihm, dem König der Zeiten und Testamente Gottes. Vor Ihm neigt sich der Gesetzgeber Moses, denn hier ist des Gesetzes Ende. Vor Ihm betet der Eiferer für das Gesetz des HErrn, der Prophet Elias, denn hier ist Der, welcher alle Gebote erfüllt, von welchem zugleich das stille, sanfte Sausen kommt, welches das Eis der Seelen schmilzt, und in ihnen den Frühling eines neuen Lebens und himmlischer Gerechtigkeit hervorbringt. Vor Ihm beugen mit Mose und Elia alle andern Propheten das Knie, denn Er ist Amen und alle Gottesverheißungen sind ja und amen in Ihm. Vor Ihm verschwindet der gesammte Glanz des alten Testamentes; durch Ihn werden alle Kinder Mosis und der Propheten zu Kindern des neuen Bundes verklärt; in Ihm wird Eins aus zweien, aus dem alten und dem neuen Bunde; zu Ihm sammeln sich die erwählten Seelen aller Zungen und Völker. Schon siehst du hier die drei Zeugen Petrus, Jacobus, Johannes: sie werden bereits des Trostes voll, des Friedens und der Freude, welche über alle Völker kommen sollen. Sie beten freudenvoll an, als die Erstlinge der Millionen, welche von ihnen und durch ihr Wort seit achtzehn hundert Jahren zu dem seligen Anschauen im Himmel gekommen sind und bis ans Ende der Welt noch kommen werden.

 Und vergiß nicht: von wannen kommen die beiden hehren Gestalten zu Ihm, welche bei Ihm stehen? Mose und Elia sind nicht mehr sterbliche Menschen, sondern himmlische Boten, heruntergekommen aus der heiligen Stadt auf dem himmlischen Berge Zion. Es sind Fürsten der Ewigkeit, die bei Ihm stehen: aus ihrer ehrfurchtsvollen Gebärde kannst du erkennen, wie der ganze Himmel, die ganze Versammlung aller Geister und vollkommenen Gerechten zu Ihm stehen, von Ihm denken. Aus dem Inhalt ihres Gespräches kannst du abnehmen, wovon der ganze Himmel wiederhallt. Ihn, den Menschensohn, beten alle Seligen an, − und im Himmel wie auf Tabor ist der Ausgang JEsu, Sein Golgatha, Sein Kreuz, Sein Grab, Sein Auferstehen Gegenstand aller Gespräche, aller Lieder, aller Lob- und Dankgesänge. Tabor ist des Himmels offene Pforte: wie auf Tabor war es im Himmel: ist es noch. Noch ist ER, Seine Leiden und Sein Sterben, was sie gewesen, − eine Ursache der ewigen Seligkeit für alle die zu Gott gekommen sind und kommen. Dort nimmt man treuer wahr, hält man fester in Erinnerung, genießt und preist man inniger, was ewig selig macht, und wer sich im Himmel rühmen will, der rühmt sich noch heutiges Tages des Kreuzes unsers HErrn JEsu Christi, des Königs der Ehren.

 Wenn aber das alles nicht hinreicht, zu beweisen, daß auf Tabor aus JEsu Angesicht Gotteslicht und Gottesmajestät geleuchtet hat; so spreche aus Seiner heiligen Höhe der Vater selber und gebe Zeugnis, Preis und Ehre Seinem Eingeborenen, auf daß vor Ihm stille werde alle Welt! Das verständliche, deutliche, gewaltige Wort aus der Wolke wird doch Beweiskraft genug in sich haben, um auch uns in den Staub und aufs Angesicht hinzustrecken, wie die drei Apostel, auf daß auch wir den Sohn ehren, gleichwie wir den Vater ehren, und uns nicht selbst zu unserem ewigen Unheil von der Anbetung aller Creaturen und dem Beifall ausschließen, den alle Wesen JEsu Christo bringen. Aus den Wolken, den lichten, wunder- und schreckenvollen Wolken der Gegenwart Gottes auf Tabor redet es keine „klugen Fabeln“; dortherunter kommen Worte, die allem Streit ein Ende und es uns über alle Schwüre gewis machen, daß der am Kreuz auf Golgatha, unser Erlöser, allezeit, Er sei verklärt oder erniedrigt, der anbetungswürdige Gottessohn ist, auf den wir hören sollen.


 Heute schließt die Reihe der Epiphaniensonntage. Wir treten näher zur Gedächtniszeit der Leiden JEsu. Jeder Tag führt uns mehr in dieß Gedächtnis hinein. Bald werden wir so in dem einen Gedanken von JEsu Leiden leben, daß wir von unserm HErrn nichts mehr werden sagen noch hören können, ohne zugleich zu denken und zu sprechen: „Und das ist Der, welcher auf Golgatha gelitten hat!“ Da ists denn schön, wenn uns auch unabläßig das Gedächtnis Seiner Klarheit und der Ehre begleitet, welche Ihm der Vater und alle Seine Heerschaar gibt, wenn wir bei allem Leid| und Weh des HErrn, welches wir betrachten, zugleich den Gedanken hegen und pflegen: „Und dennoch ist das der Verklärte auf Tabor, der Sohn Gottes und Seines Wohlgefallens, die Freude und Anbetung der Himmel!“ Wir erkennen unsern HErrn nicht völlig, wenn wir Ihn nur in Verklärung, oder wenn wir Ihn nur im Leiden schauen. Die Verklärung wird heller auf dem dunkeln Grunde Seiner Leiden; die Nacht Seiner Leiden wird mehr bewundert und empfunden beim Lichte vom Tabor. Vergeßen wir keines von beiden! Laßen wir das Auge gerne zwischen Tabor und Golgatha hin und her wandeln. Wenn wir am Golgatha weinen, tröste uns Tabor; und wenn wir auf Tabor anbeten, geschehe es desto inniger, weil wir auf Golgatha gewesen. Der HErr sei uns gnädig und bereite uns durch die Betrachtung Seiner Klarheit und Seiner Todesnacht zu Seinem Anschauen. Er helfe uns heim zu den ewigen Hütten, wo man in unaussprechlichem Frieden mehr erkennt und schaut, als auf Tabor. Er helf uns gen Zion! Amen.




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