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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis

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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am Sonntage der allerheiligsten Dreieinigkeit.

Evang. Joh. 3, 1–15.
1. Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern, mit Namen Nikodemus, ein Oberster unter den Juden. 2. Der kam zu JEsu bei der Nacht und sprach zu Ihm: Meister, wir wißen, daß Du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen thun, die Du thust, es sei denn Gott mit ihm. 3. JEsus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4. Nikodemus spricht zu Ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5. JEsus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem Waßer und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6. was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. 7. Laß dichs nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müßet von neuem geboren werden. 8. Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Also ist ein Jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. 9. Nikodemus antwortete, und sprach zu ihm: Wie mag solches zugehen? 10. JEsus antwortete, und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht? 11. Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, das wir wißen, und zeugen, das wir gesehen haben; und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. 12. Glaubet ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage; wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? 13. Und niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist. 14. Und wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, 15. auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

 EIn Pharisäer, ein Oberster der Juden, ein Mitglied des hohen Rathes, Nikodemus mit Namen, kommt zu JEsu bei der Nacht. Wie er selbst in der Anrede an den HErrn zu verstehen gibt, haben die Wunder JEsu einen starken Eindruck auf ihn gemacht, JEsum bei ihm beglaubigt, wie sie auch sollten, ihn geneigt gemacht, des HErrn genauere Belehrung und Unterweisung zu suchen. Es mag wohl Furcht vor den Juden gewesen sein, was ihn bei Nacht zu JEsu kommen heißt und ihn abhält, ungescheut, am lichten Tage zu kommen. Aber er kommt doch, und die Furcht ist doch seiner nicht so mächtig geworden, daß sie den Zug des Vaters zum Sohne in ihm hätte ertödten können. Dieser Zug des Vaters zum Sohne offenbarte sich in ihm nicht bloß als ein unbestimmtes Verlangen nach Belehrung. Wie es bei inwendigen Regungen gereifter Männer zu geschehen pflegt, wird auch Nikodemi Drang zu JEsu sich zu bestimmten Gedanken und Fragen an ihn geklärt und gestaltet haben. Gewis wollte er des HErrn Meinung insonderheit über diejenigen Dinge vernehmen, welche damals ganz Israel und nicht wenige Heiden bewegten, über das Reich, das da kommen sollte, und über den König des Reiches, den HErrn Messias, auf den man wartete. Das erkennen wir weniger aus der abgebrochenen Eingangsfrage des Nikodemus selbst, als aus der Antwort Christi, der auch sonst so oft in holdseligen Gesprächen den Rath der Herzen, die kleinlaut vor Ihm schwiegen, sich vor ihm verhüllten, oder doch nicht völlig öffneten, geoffenbart und zum Besten gelenkt hat. Sollten wir aber auch aus der Antwort des HErrn zu viel auf die Fragen Nikodemi zurückschließen, das bleibt denn doch gewis, daß die Rede des HErrn an Nikodemus und sein Gespräch mit ihm nichts anderes enthält, als eine Belehrung von dem Reiche Gottes.

 Ueber das Reich Gottes redet der HErr mit dem| Pharisäer Nikodemus. Beßer, genauer würde ich mich ausdrücken, wenn ich sagte: „Der HErr gibt eine Belehrung über den Eingang in das Reich Gottes.“ Denn in dem ganzen Gespräche kommt keine Belehrung über das Reich Gottes selbst vor; es wird durchweg vorausgesetzt, daß der „Meister in Israel“ Nikodemus das Nöthige wiße, um die Reden des HErrn verstehen zu können. Es war nicht zunächst die Absicht JEsu, die Begriffe des Pharisäers vom Reiche Gottes zu läutern; sondern es galt vielmehr, ihn von falschen Gedanken über die Theilnahme am Reiche zu heilen. Wenn wir nun versuchen werden, den Gedanken des HErrn in diesem Gespräche nachzugehen, so werden wir wohl den Ausdruck „Reich Gottes“ richtig verstehen, wenn wir ihn gleichbedeutend mit „Reich der Seligkeit“ nehmen, und die Worte des HErrn werden am kräftigsten und heilsamsten in unsere Seele dringen, wenn wir sie als lauter Antworten auf die eine Frage faßen: „Wie wird man selig?“

 Nikodemus mochte aus dem Gedankenkreiße des Pharisäismus mancherlei Vorstellungen mit zum HErrn gebracht haben, welche der König der Wahrheit nicht dulden durfte. Vielleicht war er, wie andere seiner Sekte, noch zu sehr in dem Wahn gefangen, als läge es, wenn man das Reich Gottes ererben wolle, hauptsächlich an eigener Bereitung und an einer gewissen Gestaltung des bereits vorhandenen Lebens. Denn dagegen und gegen jede Art von Werkerei streben die Reden Christi in unserem Texte mit aller Macht. Nicht von irgend einer Umgestaltung des alten Menschen, sondern geradezu von einer neuen Geburt wird der Eingang in das Reich Gottes abhängig gemacht. „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen, kann er nicht ins Reich Gottes kommen,“ so spricht der HErr und bekräftigt es mit seinem erhabenen „Wahrlich, wahrlich.“

 Von dem Ausdruck „neue Geburt“ oder Wiedergeburt müßen wir zuerst gestehen, daß er in der heiligen Schrift so oft nicht gebraucht wird, als in manchen Erbauungsschriften und Predigten des letzten Jahrhunderts. Die Schrift hat für denselben Gedanken auch andere, gleichfalls sehr beachtenswerthe Ausdrücke, durch welche der, von welchem wir jetzt reden, sein volles Licht und seine Begränzung erhält. Auch das muß zugestanden werden, daß der Ausdruck „neue Geburt, Wiedergeburt“ ein solcher ist, welcher das, was er andeutet, so wenig erschöpft, als andere Gleichnisreden des HErrn das, was sie meinen, in vollkommener Fülle darlegen. Das Gleichnis entlehnt ja seine Bilder von zeitlichen, irdischen Dingen, die keine vollkommenen Abriße der ewigen und geistlichen Dinge sein können. Die in einem Gleichnis dargestellte Wahrheit ragt über das Gleichnis selbst hinaus. So auch hier. Der HErr wollte dem Pharisäer bemerklich machen, daß nicht eine menschliche Bereitung und Neugestaltung des alten Adams, sondern eine gründliche Umänderung des Wesens selbst zum Eingang ins Reich Gottes nöthig sei, und dazu fand Er keinen geeigneteren Ausdruck, als den einer neuen Geburt, einer Wiedergeburt. Wer wollte nun leugnen, daß die wunderbare Umänderung, von welcher Christus spricht, die Gränzen des Ausdrucks „Neugeburt, Wiedergeburt“ weit überschreitet, daß der HErr, indem Er uns zur Wiedergeburt verhilft, ein über jede fleischliche Geburt weit erhabenes Werk an uns vollbringt? − Aber bei alle dem, wer kann, wer darf es wagen, diesen Ausdruck, der in keines Menschen Herz gekommen, zu verkleinern? Der HErr, der ihn erfand, hat ihm durch Anwendung auf das, was er bezeichnet, eine wunderbare Tiefe gegeben. − Gleichwie der Mensch in der Geburt seinen stillen Bergungsort verläßt, und in eine Welt hereintritt, die und deren Leben ihm völlig neu und ungewohnt ist; so verläßt auch der schon Geborene bei seiner Wiedergeburt auf unbegriffenen Wegen sein altes Dasein und tritt in ein völlig neues ein, das er nicht kannte. Und gleichwie das Kind, welches jetzt geboren wird, noch vieles an sich hat und eine Zeit lang behält, was an den vorigen Aufenthalt im Mutterleib erinnert, gleichwie es nicht auf einmal und wie mit einem Zauberschlage zur männlichen Vollkommenheit gelangt, sondern erst nach und nach sich an das neue Leben gewöhnt und für dasselbe erwächst und erzogen wird; so führt auch die Wiedergeburt nicht plötzlich aus dem Verderben des alten Adams in die Vollkommenheit des neuen hinein; es zeigen sich gar viele Stücke Finsternis auch an dem Wiedergeborenen, auch er ist nicht ein vollkommener Mann, sondern nur ein Kind, welches der Vollkommenheit fähig und zu ihr geboren ist. Gleichwie die leibliche Geburt den Menschen nicht an das Ende, sondern an den Anfang des zeitlichen Lebens| und Werdens stellt; so wird auch mit dem Namen Wiedergeburt nicht die höchste menschliche Vollendung bezeichnet, die im Reiche Gottes möglich ist, sondern nur der Eingang und Anfang, von welchem aus der Weg zum Ziele der Vollendung offen steht. Die Wiedergeburt ist ein zarter Keim, der Blüte und Frucht weißagt, − ein Funke, der zur Flamme werden, ein Quell, der zum Strome heranwachsen kann, − ein neues, göttliches Leben, welches der allmächtige und allweise Gott den Gesetzen eines stätigen, von innen nach außen strebenden Wachstums unterworfen hat. − Wahrlich, ein Ausdruck, der seines Meisters werth ist, der aber auch Gott und Seine Engel zur Wache um jede junge Wiedergeburt herbeiruft. Denn was kann der Satan an einem so zarten Anfang verderben, wenn Gottes Augen nicht offen stehen und der Engel flammende Schwerter dem Bösewicht nicht wehren? Gott sei allen wiedergeborenen Gotteskindern gnädig und erhalte ihnen ihr himmlisches Leben, um so mehr, als wir ja hören, daß unsere alte Geburt, unser eigener Fleiß und Eifer keine Gnade bei Gott findet, sondern schlechthin alles, ja alles an der Wiedergeburt und an dem Wachstum derselben zur völligen Vollendung liegt.

 Für durchaus nöthig und unerläßlich erklärt der HErr die Wiedergeburt. Dadurch entsteht und rechtfertigt sich die unabweisbare Frage: „Wie soll sie geschehen, wie gelange ich zu ihr?“ Wenn Nikodemus V. 4 auf die erste Aeußerung des HErrn über die Wiedergeburt in die Worte ausbricht: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ so erkennen wir daraus, wie neu ihm die Lehre Christi in diesem Stücke noch war, wie sehr sie ihn überraschte und befremdete, wie ganz verlegen und ungeschickt er sich fühlte, sie zu verstehen. Noch nahm er die Worte Christi zu buchstäblich; in den ersten Augenblicken der Ueberraschung fiel ihm nicht bei, daß sie einen Sinn haben könnten, der, wenn gleich über den Wortlaut weit hinausschreitend, ihm dennoch vollkommen entsprechen konnte, ihn nicht im mindesten Lügen strafen mußte. Wenn er aber auch den Sinn des HErrn auf der Stelle völlig erkannt hätte, die Frage: „Wie soll das geschehen? Wie gelange ich zur Wiedergeburt?“ wäre ihm dennoch geblieben; ja sie würde sich ihm, je mehr er den HErrn verstanden hätte, desto mehr aufgedrängt haben. Je gewisser es angenommen wird, daß die Wiedergeburt zum Eingang in das Reich Gottes unumgänglich nöthig ist, desto größer muß das Verlangen werden, zu erkennen, wie man sie erlange. Die Berechtigung dieser Frage gesteht auch der HErr selbst zu, indem Er sie beantwortet, indem Er nicht bloß die Behauptung von der Nothwendigkeit der Wiedergeburt wiederholt, sondern die Wiedergeburt selbst als eine Geburt aus Waßer und Geist bezeichnet.

 Aus Waßer und Geist geboren werden, ist das Gegentheil unserer Geburt vom Fleische. Unsre Mütter haben uns Fleisch vom Fleische geboren, und diese Geburt vom Fleische bezeichnet der HErr selbst als unverbeßerliches Fleisch, indem Er spricht: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Nun kommt vom Fleische durch die Geburt nicht bloß der Leib des Menschen, der, indem er Fleisch genannt wird, keinen Tadel erleidet, sondern der ganze Mensch mit Leib und Seele, und wenn also der HErr spricht: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch,“ so benennt Er nicht bloß den Leib, sondern auch die Seele des von seiner Mutter kommenden Menschen mit dem Namen Fleisch, und dann liegt allerdings für die arme Menschenseele ein Tadel, über den sie, da er aus dem Munde der Wahrheit kommt, im Innersten erschrecken könnte. „Fleisch“ − die Seele sammt dem Leibe Fleisch! Sie war es doch nicht von Anfang; in der Schöpfung war sie doch der lebendige Odem des Allerhöchsten, durch welchen der ganze Mensch zur Ehre kam, eine „lebendige Seele“ zu heißen. Und nun Fleisch! Ist sie so heruntergekommen, hat sie sich so verändert und verwandelt? So ist eine Wiedergeburt desto nöthiger, desto wünschenswerther für sie selbst, die arme, im Fluche des Fleisches seufzende Seele! Und ein hohes Freudenevangelium ist es deshalb für sie und muß es auch sein, wenn der HErr von einer zweiten Geburt redet, welche Geist aus Geist ist und den Menschen wieder zu seinem uranfänglichen Stande zurückbringt. Und je größer einerseits die Noth unserer armen Seele, je reizender und lockender die von dem HErrn selber zugesagte Möglichkeit einer neuen Geburt ist, desto dringender erhebt sich die Frage, wie man zu dieser einzigen Hoffnung der Seele, zur Neugeburt kommen könne. Und zwar ist unser Wie nicht mehr die Frage grübelnder, fürwitzer| Geister, welche die Heimlichkeit der Wege und Werke Gottes ergründen wollen; sondern man fragt das Wie ganz praktisch, − wenn es erlaubt ist, an diesem Orte diesen Ausdruck zu gebrauchen, − man will nur auf den Weg zur Hilfe gestellt werden und ergibt sich gerne darein, ihn geschloßenen Auges zu gehen, wenn man nur auf ihm wirklich zu der sichern Hilfe kommt. Damit, daß wir wißen, die neue Geburt sei eine Geburt aus dem Geiste, ist sie uns noch nicht faßlicher und erreichbarer geworden, als zuvor. Denn wo ist, wodurch wirkt der Geist der Wiedergeburt? das wißen wir noch nicht, und grade das ists, was wir wißen müßen, wenn uns die Kunde von der Möglichkeit einer neuen Geburt nicht noch unglücklicher als zuvor machen soll. Denn was hilft’s, in höchsten Nöthen wißen, daß geholfen werden könne, wenn der Weg von der Möglichkeit zur Wirklichkeit verschloßen ist?

 Gott Lob, daß wir mit unserm sehnlichen Verlangen nicht abgewiesen werden! Der HErr nennt die neue Geburt aus dem heiligen Geiste auch eine neue Geburt aus dem Waßer, und damit enthebt Er uns aller Verlegenheit. Denn was wir unter dem neugebärenden Waßer zu verstehen haben, darüber können wir keinen Zweifel haben: es ist das Waßer der Taufe, das gnadenreiche Waßer des Lebens, das Bad der neuen Geburt im heiligen Geiste. Dieß Waßer ist erreichbar − und weil wir nun wißen, daß der heilige Geist durchs Waßer wirkt, so wißen wir wo der Saum der Kleider Christi ist, der uns genesen macht von aller unsrer Krankheit. Oder wäre etwa die Waßertaufe nicht auch die Geistestaufe? Haben diejenigen Recht, welche auseinanderreißen, was Christus zusammenfüget, Geistestaufe und Waßertaufe trennen, jene abermals zur unnahbaren, diese zur völlig unnützen Sache machen? Oder umgekehrt: Der HErr sagt, man müße neugeboren werden aus Waßer und Geist: lehrt Er etwa hiemit einen doppelten Weg der Wiedergeburt, einen durch Waßer, einen durch Geist, so daß Er, was dem Geiste zugeschrieben wird, auch dem Waßer zuschriebe? Was für eine Lehre sollte das sein? Nein! Nicht eitel ist das Waßer, und auch dem Geiste nicht gleichgestellt; sondern der HErr setzt Waßer und Geist zusammen, weil das untergeordnete Waßer zum allmächtigen Geiste gehört, weil Waßer und Geist zusammen erst eine Taufe sind, d. i. ein gnadenreiches Waßer des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im heiligen Geiste. Suchen wir den Geist, der uns neugebiert: er ist beim Waßer der Taufe. Wo das Waßer, da ist der Geist. Nichts ist es mit der Scheidung zwischen Waßertaufe und Geistestaufe. Es ist nur Eine Taufe − aus Waßer und Geist. Wer wiedergeboren werden will, der laße sich taufen. Hiemit ist der Weg der Wiedergeburt deutlich beschrieben. Aus einem Menschen unmöglichen, verborgenen Geheimnis ist ein lieblicher, leichter Weg geworden; denn was ist für Menschen leichter, als die Neugeburt, wenn sie Taufe ist? Sie mag die größte Gottesthat sein, die alle Engel besingen: aber wie leicht kommen wir dazu? Wie lieblich, wie sanft zieht der HErr einher mit Seinem allmächtigen Waßerbade, gebiert damit neu, und weckt doch kaum ein schlafendes Kindlein damit aus dem leiblichen Schlummer!

 Aber freilich, so gut wir nun Bescheid wißen, auf welchem Wege man zur Wiedergeburt gelangt, begriffen, vom Verstande begriffen ist hiemit die Wiedergeburt nicht. Wie der Geist sich mit dem Waßer verbinde, wie Er durch das Waßer auf Leib und Seele des Täuflings wirke, wie drei Hände voll Waßer ein Kind aus einer Geburt, die Fleisch von Fleisch ist, in eine Geburt verwandeln können, die Geist aus Geist ist: wer begreift dieß Wie? Niemand begreift es, niemand kann es, niemand soll es begreifen; und wer nicht eher zu Ruh und Frieden kommen wollte, als bis er Gottes heimliches Walten in Seinem Sacramente begriffen hätte; der müßte auf Frieden und Ruhe verzichten. Der HErr Selbst weist die Frage Nikodemi „Wie mag das zugehen,“ sofern sie begreifen will, geradezu von Sich und erklärt es ohne Zögern für eben so unthunlich, ein neugeborenes Gotteskind, was seine Umwandelung anlangt, begreifen zu wollen, als wenn jemand den Wind, sein Kommen und Gehen begreifen wollte. „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, spricht Christus; aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geiste geboren ist.“ Jedermann nimmt den Wind wahr, wenn er weht; aber wie er in der Luft entstehe, wo er aufbreche, seinen Weg und sein Ziel, wie und wo er sich wieder lege, das weiß niemand; womit sich die Kundigen tragen, das sind lauter Beobachtungen und Wahrnehmungen, die am Ende doch das letzte Wie nicht erklären. Es gibt| in der Natur so viele unbegriffene und unbegreifliche Dinge, in deren Genuß kein Mensch sich durch den Mangel an Einsicht in ihren Anfang und ihr Ende irre machen läßt. Was sollte man sich also eine Unwißenheit derselben Art am Genuß und in der Freude der Wiedergeburt hindern laßen? Wenn man sie nur haben kann, so mag es mit der Art und Weise, mit dem Wie ihrer Entstehung immerhin sein, wie Gott es will. Die Wiedergeburt bringt uns ein Leben, das himmlisch und zugleich ewig ist, das nicht wieder aufhört, wie etwa der Wind sich legt und aufhört, wenn er geblasen hat. Dieß Leben gebe uns Gott, und nichts verkümmere uns dann den seligen Besitz.

 Bei alle dem dürfen wir uns nicht verhehlen, daß es manchem Menschen eine harte Aufgabe ist, das Unbegreifliche anzunehmen. Der Hochmuth, welcher nie ersterben will, sondern immer aufs Neue sich regt, bis der Tod kommt, läßt sich schwer zufriedenstellen, wenn er einmal darauf ausgeht, etwas zu begreifen und zu faßen. Alles, so Göttliches, wie Menschliches, soll sich dem Blicke seines Geistes in gleicher Weise und in gleichem Maße eröffnen und baar legen. Daher läßt es der HErr in unserem Evangelium nicht bei Seinen Belehrungen, sondern er schilt Nikodemi und unsern Unglauben und tritt uns (V. 11–13) mit der ganzen Kraft Seines vertrauenerweckenden Ansehens entgegen. Nicht wie ein anderer Mensch rede Er von der Wiedergeburt; Er rede als Besitzer der himmlischen Weisheit, als Mitwißer göttlicher Geheimnisse, als selbst vom Himmel gekommen, als noch im Himmel wohnend, wenn schon auch offenbar und sichtbar auf Erden verweilend, als der, welcher zum himmlischen Reiche den Weg wohl wißen müße, weil Er ihn selbst gekommen, weil Er des Himmels König sei. So rede Er vom Eingang ins Reich, und wenn Er wolle, sei es Ihm ein Kleines, auch noch ganz andere Dinge zu enthüllen, die nicht am Eingang des Reiches Gottes stehen, sondern die höchste Herrlichkeit der Himmel selbst betreffen. Ihm müße man daher Glauben schenken. Wenn man Ihm schon nicht glaube, so lange Er von dem Anfang und Eingang des Reiches Gottes rede, wie viel weniger man Ihm alsdann im Fortgang Seiner Unterweisungen, bei Seinen Offenbarungen himmlischer Dinge glauben werde!

 Wie dem Nikodemus zu Muthe gewesen sein mag, als ihn diese Fluth von Zurechtweisung überwallte, als er mit jedem strafenden Worte, das er vernahm, neue Blicke in die göttliche Wahrheit und in die Ehre und Majestät Christi, des Königs der Wahrheit, that; was er gefühlt haben mag, als die ihm unbegreiflichen Erklärungen des HErrn von der Wiedergeburt nur wie geringe Anfänge nachfolgenden Offenbarungen himmlischer, über die Wiedergeburt der Menschen weit erhabener Geheimnisse gegenübergestellt wurden: das können wir uns vielleicht gar nicht einmal recht denken. Jeden Falls aber kamen ihm schon damals ganz andere Gedanken von Christo und Seiner Bestimmung und Seinem Reiche, als er erwartet hatte, und es wurde damals der Grund jenes Glaubens und jener Liebe gelegt, welche dem HErrn selbst am Tage Seines Todes, in der Stunde Seines Todes und bis in Sein Grab hinein Stand hielten.

 Hier, meine Freunde, möchte ich, wenn ich meiner Neigung folgen sollte, die Erklärung dieses Evangeliums beschließen und mich zum Schluße wenden. Aber ich strafe mich selbst um meiner Neigung willen, da ich, ihr folgend, zwei Verse meines Textes liegen laßen müßte, welche, scheinbar mit den vorausgehenden lose verbunden, im tiefsten Innern mit ihnen zusammenhangen. Die beiden Verse 14 und 15 deuten auf den Zusammenhang der Versöhnung und der Wiedergeburt. Unter keinem Bilde konnte wohl dieser Zusammenhang vollkommener enthüllt und dargelegt werden, als unter dem jener Schlange, die Mose in der Wüste von Erz machte und am Pfahle aufhängte, die durch des HErrn Segen die Kraft hatte, alle von den feurigen Schlangen gebißenen Israeliten gesund zu machen, wenn sie nur mit Glauben und Vertrauen auf die göttliche Verheißung angeschaut wurde. Die am Pfahle hangende Schlange weißagte auf Den, der auch am Pfahle und am Holze hieng, ganz zur Sünde und zu einem Fluche gemacht wurde um unsertwillen. Der Fingerzeig auf die Schlange erinnert an alle die segensreiche Arbeit, welche Christus am Kreuz in unserm Namen erduldete und vollbrachte, wie ihm unser Verdienst der Sünden zugerechnet wurde und Er unsere Strafen trug. Indes redet das Schlangenbild am Pfahle doch weniger von dem stellvertretenden Leiden, als von der Kraft, welche die Betrachtung desselben auf verlorene, verdammte Sünder ausübt. Der ganze Sinn des Bildes liegt in den Worten des Propheten: „Durch Seine Wunden sind wir geheilet.“ Gleichwie den leiblich Kranken in| der Wüste die Verheißung gegeben ward, daß alle leben und genesen sollten, die im Glauben das Schlangenbild ansähen; so ist uns allen, die wir Fleisch von Fleisch und darum für das Himmelreich todt geboren sind, die Verheißung einer Neugeburt und völligen Genesung zum ewigen Leben geschenkt, wofern wir in Christo unsern Stellvertreter im Gericht des Todes und in der Büßung unsrer Sünden erkennen und im Glauben faßen könnten. Solchen Glauben soll das Wort erwecken, die Taufe aber soll ihn vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen. Wort und Taufe erweisen sich als neugebärende Himmelskräfte, indem sie diesen Glauben, diesen Quell und Brunnen alles neuen Lebens, dieß neue Leben, − denn so dürfen wir ihn nennen, − im Menschen wirken. Wort, Taufe, Glaube, Wiedergeburt hangen unzertrennlich zusammen. Wo Wort, Taufe, Glaube vorhanden sind, da ist auch Wiedergeburt, und wer getauft ist und an Christum glaubt, braucht an seiner Wiedergeburt nicht zu zweifeln. Der Glaube trägt den Säugling zur Taufe, fleht für denselben um Glauben und empfängt ihn für denselben; die Taufe wirkt im widerstandslosen, von Gott und Christo für gläubig erkannten Täufling alles neue Leben im Keim und Anfang, und alles, was die Schrift von dem Segen der heiligen Taufe sagt, gilt auch von dem getauften Sünder. Denn Gott ist treu und bescheert solchen Säuglingen und Kindern, die zu Seinem Sohne gebracht werden, durch Sein Sakrament das Himmelreich, wie Er es den Kindlein Marc. 10 durch Handauflegung Seines Sohnes bescheert hat. Darum freue man sich getrost Seiner Taufe, Seines Glaubens, Seiner Seligkeit und laße sich das Geschwätz derer nicht irren, die den Glauben von der Taufe der Kinder trennen, nur einen Glauben der Erwachsenen erkennen, den Glauben über die Taufe, die Wirkung über die Ursache erheben wollen. Du bist getauft, du glaubst, im Glauben besitzest du das Pfand für die Rechtmäßigkeit deiner Taufe, und andere Kräfte, Pfänder und Beweise werden folgen. Es kann einer, der getauft ist und im Glauben steht, der Vollendung ermangeln, und wird es auch, so lange er hie wallet; es können ihm viele Dinge, die in und an ihm sind, misfallen und mit Recht; er kann viel zu gestehen, zu beweinen, zu kämpfen, zu erringen haben; aber todt ist er nicht mehr; er ist wiedergeboren, er lebt und ist auf dem Weg zur Vollendung, denn er glaubt und ist getauft. Das laße man sich von keinem nehmen, der die Schrift verkehrt, der Wiedergeburt und Heiligung verwechselt und vermengt. Das Auge des Bußfertigen und Weinenden ruhe auf dem Gekreuzigten, wie das Auge des von Schlangen gebißenen Israeliten auf der ehernen Schlange. Von dem Gekreuzigten weiche kein Auge: dorthin flüchte sich die gescheuchte Seele, dorther kommt Ruhe und Stärke. Dorthin flüchte sich, was nicht sterben will; dort fließt Leben: wer will, kann es erfahren. Der Gekreuzigte ist Leben und alles neue Leben der Menschen ist in seinem Anfang Glaube an Ihn und kein Fortschritt des neuen Lebens ist ohne Glauben!
 Geliebte Brüder! Wir feiern heute das Dankfest für die Offenbarung der allerheiligsten Dreieinigkeit, weshalb wohl mancher wünscht, es möchte statt des eben abgehandelten ein anderer Text verlesen und erklärt worden sein, der von der Dreieinigkeit an ihrem Feste auch etwas spräche. Und allerdings, der heute verlesene Text, so herrlich er ist, ist doch kein Text, welcher für dieses Fest gewählt worden ist, sondern ein Pfingsttext, welcher, wie bei allen hohen Festen des Kirchenjahres, am achten Tag die Feier beschließt und kräftig besiegelt. Er wurde auch zum Beschluße des Pfingstfestes viel eher gebraucht, als man ein Dreieinigkeitsfest zu feiern begann. Denn dieß Fest ist im Vergleich mit dem Alter anderer Feste noch jung und wird nicht viel über fünfhundert Jahre begangen; dagegen wurde dieß Evangelium am Sonntag nach Pfingsten schon in viel früheren Zeiten gelesen. Man könnte sich darüber wundern, daß bei Einführung des Dreieinigkeitsfestes nicht auf die Wahl eines andern Evangeliums Bedacht genommen wurde. − Indes möchte es doch, auch wenn man ein anderes hätte wählen wollen, schwer geworden sein, ein solches zu finden, welches die Dreiheit der Personen und die Einheit des göttlichen Wesens so ausgesprochen hätte, wie die Kirche, vom heiligen Geiste unterwiesen, beides lehrt. Die Lehre der heiligen Kirche von der heiligen Dreieinigkeit ist allerdings in der heiligen Schrift fest gegründet; die kirchliche Beweisführung für diese Lehre ist unwiderleglich und es heißt dem Menschen seinen ewigen Grund untergraben, wenn man ihn an dieser Lehre irre zu machen sucht. Es ist ja unleugbar, daß in der Schrift drei Personen, Vater, Sohn und Geist, deutlich unterschieden,| daß einer jeden göttliche Eigenschaften und göttliche Werke zugeschrieben werden, daß eine jede mit göttlichem Namen verehrt wird. Und eben so unleugbar ist es, daß die heilige Schrift behauptet, es sei nur ein einziges göttliches Wesen. Soll nun die Schrift nicht gebrochen werden, soll beides wahr sein, soll es drei göttliche Personen und doch nur Ein göttliches Wesen geben, so bleibt nichts übrig, als der Schluß des Glaubens: Also sind diese drei Personen Ein Wesen, also ist dieß Eine Wesen in drei göttlichen Personen. Wer in aller Welt, der die Schrift nicht Lügen strafen, der ihren Verfaßern nicht die thörichtsten Widersprüche aufbürden will, kann diesem gewaltigen Schluß des Glaubens entgehen; wer kann, wer darf sich ihm entziehen? Es ist ein Schluß, wie es in der Welt keinen zweiten gibt, wie ihn nur der heilige Geist die Kirche lehren konnte, ein Schluß göttlich kühner Kraft und Weisheit, den zu machen die von Gott gelehrte Seele sich im Staube freut, den wir gegenüber allen Widersachern, zum Trotz der ganzen Hölle, zur größten Ehre der allerheiligsten Dreieinigkeit machen; aber die vier Evangelien, so sehr sie die gläubige Seele zu dem Schluße zwingen, sprechen ihn doch nirgends selber aus, so wie es die Kirche thut, und wir lesen nirgends in ihnen Worte, wie die: „Drei sind, die da zeugen im Himmel, der Vater, der Sohn und der heilige Geist, und diese drei sind Eins.“ Vielleicht unterblieb schon deshalb die Wahl eines neuen Festevangeliums. Und ich denke, meine Freunde, es darf uns nicht gereuen, den alten Text voll Geruch und Erinnerung der Pfingstzeit behalten zu haben: er ist − so wie auch die herrliche Epistel des Tages zwar in anbetender Ferne von der heiligsten Lehre stehen geblieben, aber er lehrt uns doch Gedanken, welche die schönste Anwendung auf unser Fest zulaßen.

 Unser Evangelium redet von der Wiedergeburt unsrer Seelen, betheuert uns deren Möglichkeit, zeigt auf das Waßerbad hin, durch welches sie vollzogen wird; aber wie der Geist durch Waßer die Wiedergeburt bewirke, davon spricht es nicht. Die Wiedergeburt empfangen und ihre Kraft im Kampfe des Lebens täglich mehr erfahren, das wird uns als vollkommen genügender Beweis für sie gesetzt, als Beweis, zu dem ein jeder gelangen kann, und welcher alle andern überflüßig macht: begreifen, wie Gott in uns wirkt, das ist uns verweigert und verwehrt. Aehnlich ist es mit der Lehre von der allerheiligsten Dreieinigkeit. Sie steht wie wir bereits vernommen, unerschütterlich fest auf den Gründen göttlicher Worte; sie wird uns geoffenbart, auf daß wir wißen, wer Gott sei und wie wir Ihn anbeten sollen; aber die Möglichkeit, die Art und Weise, wie drei Personen Ein Wesen, wie Ein Wesen in drei Personen und in einer jeden ganz und vollkommen sein könne, − diese wird uns verhüllt und alles, was wir davon und dafür sagen können, steht an Werth hinter dem anbetenden Schweigen frommer Seelen weit zurück. Nicht zum Begreifen, sondern zu wahrhaftiger Anbetung Gottes dient uns die hohe Lehre von dem dreieinigen Gott, und wir lernen sie kennen, auf daß die Liebe Gottes, des Vaters, die Gnade unsers HErrn JEsu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes uns dreifach stark zu dem Einen Gotte ziehe und wir in desto unauflöslicherer Liebe mit ihm verbunden seien.

 In der Unbegreiflichkeit des Wie erinnert also der Inhalt unsers Textes an den Gegenstand unserer Festfeier, an die Offenbarung der allerheiligsten Dreieinigkeit. Es ist aber noch etwas aus dem Texte auf dieses Fest anzuwenden. Der HErr nennt in unserm Evangelium die Wiedergeburt ein irdisches Ding und redet sodann von himmlischen Dingen, welche weit über die irdischen Dinge, die er zuvor gemeint, also auch weit über die Wiedergeburt erhaben seien. Meine Brüder, was sollen wir zu den himmlischen Dingen rechnen, wenn nicht vor allen das Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit? Ohne Zweifel dachte man an diese Verweisung Christi von den irdischen auf die himmlischen Dinge, als man das alte Pfingstevangelium für das Dreieinigkeitsfest behielt. Bei aller Bewunderung des Geheimnisses, in welchem der Christ lebt, nemlich der Wiedergeburt, fühlte man doch, wie weit erhaben über unsere Wiedergeburt die Offenbarung eines dreieinigen Gottes ist. Anbetend blieb man vor dem Allerheiligsten stehen, − man fühlte seine Kleinheit und sein Nichts und doch auch wieder, daß dieß Anbeten aus der Ferne, diese unsre kleine Erkenntnis des Vaters, Sohnes und Geistes eine Wonne mit sich führt, deren kein Mensch theilhaftig werden kann, der nicht wiedergeboren ist. So ist es − besonders mit Rücksicht auf den gesunkenen Zustand des Christentums unserer Tage − in der That eine große Weisheit zu nennen, daß man bei dem alten Pfingsttexte blieb, der an das| himmlische Geheimnis der Dreieinigkeit nur erinnert, hingegen über das irdische Geheimnis, deßen Erfahrung allen nöthig ist, die den Dreimalheiligen im Geiste und in der Wahrheit anbeten wollen, eine genauere Belehrung ertheilt. − Im Geist und in der Wahrheit will der Allerheiligste, der Drei in Eins ist, angebetet werden. Wer will Ihn also anbeten, so lange Er nur Fleisch von Fleisch geboren ist? Wie kann der arme Mensch, der da Fleisch ist, Ihn anbeten, wenn er nicht erst Geist aus Geist geboren ist, auf daß der Geist in ihm das Abba schreie und das Lob des ewigen Bräutigams entzünde?!

 Meine Brüder! Was unser Text von der Wiedergeburt lehrt, habe ich euch nach dem Maße, das mir beides der Reichtum des Evangeliums und meine kurze Zeit gebot, vor Augen gelegt. All der Inhalt des Textes geht euch näher an, als ihr vielleicht augenblicklich denket. Seid ihr doch alle als Kinder in eurer Taufe wiedergeboren und habt den Glauben und damit das neue Leben in euch getragen, das Gott in seinen jungen Täuflingen schafft. Aber den göttlichen Funken der Wiedergeburt haben zuerst, wie es zu gehen pflegt, die meisten Eltern vernachläßigt und ihn nicht, wie sie sollten, durch das Wort Gottes zu einer großen, das ganze Wesen läuternden Flamme erzogen. So gewöhnt, habt ihr hernach selbst des göttlichen Feuers nicht geachtet, das in euch war, und die heilige Glut mit der Menge eurer Sünden so zugedeckt, daß man unter dem Aschenberge, den ihr aufhäuftet, dieselbe kaum mehr merken konnte. Aber sie ist bei euer keinem völlig erloschen und erlischt auch wohl bei keinem ehe er stirbt. Das Werk der Taufe ist, als ein Gotteswerk, durch kein Menschenwerk ungeschehen zu machen: der HErr, der Bundesgott der Taufe, wacht darüber, so lange die Gnadenfrist währt, − und im Bewußtsein dieser großen Treue unsers Gottes, in Seinem Dienst und Auftrag erinnere und ermahne ich euch hiemit, daß ihr die in euch noch vorhandene Glut, die noch klimmenden Kohlen eurer Wiedergeburt nicht länger misachtet, sondern euch ihretwegen belehren laßet und durch sanftmüthige Aufnahme des göttlichen Wortes sie fortan erwecket, nähret und zur hellen Flamme anfachet. So wie ihr euer Ohr dem Worte zukehret, werdet ihr inne werden, daß Gottes Wort zu euch redet, als zu Geistern, die ihm von der Taufe her zugehörig sind; es wird euch je länger, je heimathlicher klingen, je länger je mehr euch zum Bewußtsein eurer Wiedergeburt zurück und zu demüthigem Danke bringen für alle die Treue, die euch euer Bundesgott gehalten, nach welcher er euch behütet hat vor einem bösen Tode und euch, bevor ihr stürbet, die Pforten eurer Jugend, eurer Taufe, eurer jugendlichen Seligkeit, ja einer ewigen Jugend weiter öffnet.

 Laßet mich diese Worte der Ermahnung nicht umsonst zu euch gesprochen haben. Es ist nichts Schweres, wozu ich euch zunächst vermahne. Das Wort annehmen und walten laßen, das ist alles! Ihr sollt stille sein, und der HErr wird euch ändern. „Ihr sollt von eurem Thun laßen ab, daß Gott sein Werk in euch hab.“ Das sollt ihr − und daß ihr Gehorsam leistet, dazu reize euch auch der Sonntag der allerheiligsten Dreieinigkeit. − Auch die himmlischen Geister, auch Cherubim und Thronen erforschen die Tiefen des göttlichen Wesens nicht. Die Gottheit ist − daß ich in winzigem Vergleiche von dem Allgegenwärtigen rede − gleichwie im Mittelpunkte eines Kreises, und wie des Kreises Umfang nach allen Seiten hin von dem Mittelpunkte gleichweit absteht, so ist aller Creaturen Aug und Verstand gleichweit von Gott entfernt. Der Unterschied in den Stufen der Gotteserkenntnis verschiedener Creaturen ist vor Gott selbst wie ein Nichts; der Cherub, der Mensch − sie sind beide Geschöpfe und kommen mit ihrer Erkenntnis nicht über den Umkreis und das Gehege hinüber, hinter welchem alle Creaturen Gott schauen. Aber ist gleich vor dem Auge des Allerhöchsten der Unterschied creatürlicher Erkenntnis nur ganz klein; die Creaturen selber haben ihn dennoch hoch und groß anzuschlagen. Ja, es muß der Mensch nicht bloß den Unterschied, der zwischen seiner Gotteserkenntnis und derjenigen der Engel ist, groß achten; sondern er hat auch Ursache, den Unterschied zwischen der Gotteserkenntnis, die er selbst hienieden und hernachmals im ewigen Leben hat und haben soll, so groß und hoch zu halten, daß er nach dem Maße der Erkenntnis in jener Welt von Grund der Seelen sich ausstrecke und verlange. Verlangt ihr nicht darnach? Die Gotterkenntnis jener Welt ist ein Schauen, die in dieser Welt nur ein Glauben: wollt ihr Gott nicht schauen, wie Ihn Menschen in jener Welt schauen können? Ihr müßtet völlig todt sein in Sünden, wenn euch| die Hoffnung, Gott vollkommener zu erkennen, zu schauen, nicht ergreifen, beleben und eifrig machen könnte. Ists aber anders, begehret ihr zum Anschauen des dreieinigen Gottes zu kommen; so achtet eure Wiedergeburt und laßet sie in euch erneuen. Nur die Wiedergeburt, − ich wiederhole, − nur das Wachstum des neugeborenen Menschen in uns verleiht uns Aug und Vermögen, die Herrlichkeit des HErrn im Himmel zu schauen; nur das befähigt uns einzutreten in die seligen Chöre der Engel und Auserwählten, die ohn Ende singen: „Heilig, heilig, heilig ist Gott, der HErr Zebaoth!“ − So helf uns denn Er Selbst, der allein alles vermag und dem alleine gebührt Ehre, Lob und Dank! Er laße uns nur nicht, bis wir, erneut im heiligen Geiste, angethan mit den weißen Kleidern unserer Taufe, zu Seinem Throne und Seinem Anschauen kommen! Amen.




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