Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 17

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Trinitatis 16 Wilhelm Löhe
Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Sommer-Postille
Trinitatis 18 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 14, 1–11.
1. Und es begab sich, daß Er kam in ein Haus eines Obersten der Pharisäer, auf einen Sabbath, das Brot zu eßen; und sie hielten auf Ihn. 2. Und siehe, da war ein Mensch vor Ihm, der war waßersüchtig. 3. Und JEsus antwortete und sagte zu den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprach: Ist es auch recht, auf den Sabbath heilen? 4. Sie aber schwiegen still. Und Er griff ihn an, und heilete ihn, und ließ ihn gehen, 5. Und antwortete und sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, dem sein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt, und er nicht alsobald ihn heraus zieht am Sabbathtage? 6. Und sie konnten Ihm darauf nicht wieder Antwort geben. 7. Er sagte aber ein Gleichnis zu den Gästen, da Er merkte, wie sie erwählten oben an zu sitzen, und sprach zu ihnen: 8. Wenn du von jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht oben an, daß nicht etwa ein Ehrlicherer, denn du von ihm geladen sei; 9. Und so dann kommt, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: „Weiche diesem“! und du müßest dann mit Scham unten an sitzen. 10. Sondern wenn du geladen wirst, so gehe hin und setze dich unten an, auf daß, wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: „Freund, rücke hinauf.“ Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen. 11. Denn wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden.

 DAs Gastmahl des Pharisäers ein Bild der Welt und der Kirche:

 Dieß ist der Inhalt des heutigen Evangeliums.


|  1. Ein Oberster der Pharisäer lud unsern HErrn am Sabbath zu Gaste und es wurde zugleich veranstaltet, daß der HErr bei Seinem Kommen einen Waßersüchtigen finden mußte. Der Pharisäer und seine übrigen pharisäisch gesinnten Gäste wußten wohl, daß JEsus den Kranken gerne half, − vermutheten auch, ja wußten, daß dem HErrn der Sabbathtag kein Hindernis der Hilfe sein würde. Das wollten sie nun sehen; sehen, ob der gefeierte Rabbi wirklich ein Ketzer sei, denn nach ihrer Gesetzesauslegung war der ein Ketzer, der am Sabbath einen Kranken heilte. − Dagegen kam JEsus − kam mit der Freundlichkeit des Erlösers, mit der Ruhe eines Heiligen Gottes, sah den Waßersüchtigen, fragte: „Ists auch recht auf den Sabbath heilen?“ und gab Seine Antwort durch die That, denn ER „griff ihn an, und heilete ihn und ließ ihn gehen.“

 Da haben wir nun eine doppelte Gesetzauslegung. Die Auslegung des dritten Gebotes, wie sie von den Pharisäern gehegt wurde, hatte den äußern Anschein der Strenge und Heiligkeit: es sollte kein Werk, welcherlei Art es hätte, geschehen, die strengste leibliche Ruhe sollte herrschen. Wenn dann eine sonst lebhafte Stadt, ein sonst bewegtes Haus am Sabbath in tiefster Stille und Feier erschien, − wenn so zu sagen die Geschäfte der Welt, ihr Streit, ihre Unruhe mit dem Einbruch des Sabbaths wie mit einem Zauberschlag vertrieben, wenn sie zu einem Bilde jener Welt, wenigstens wie man sich diese träumte, geworden war, − wenn nur Gottes Wort, Lobgesang und Gebet laut hervortraten; da schien verwirklicht, was geschrieben steht: „Gott, man lobt Dich in der Stille zu Zion“; − das imponirte, das wirkte und man schwur, daß der rechte Gott sei zu Zion.

 Ganz anders erscheint die Gesetzauslegung des HErrn. Seine Jünger reißen am Sabbath Aehren aus, körnen sie mit den Händen aus und eßen. Das war verboten. ER vertheidigt Seine Jünger. Ja, Er erklärt, der Mensch sei nicht um des Sabbaths willen, sondern der Sabbath um des Menschen willen gemacht, − des Menschen Sohn sei ein Herr auch des Sabbaths. − Er thut große, Menschen unmögliche Werke am Sabbath, ER heilt den Waßersüchtigen und läßt ihn gehen. Und das alles thut ER nicht heimlich, sondern öffentlich, wohl wißend, wie sehr ER anstoße, − und wenn man Ihn darüber angreift, spricht ER: „Sein Vater wirke bisher, und ER wirke auch.“ Während bei den Pharisäern kaum ein größeres Gebot, als das vom Sabbath gefunden wurde; geht dem HErrn die Liebe und Barmherzigkeit weit über die feierliche Ruhe und gemüthliche Stille eines Sabbathtages.

 Wer hat nun Recht? Wir antworten, ohne uns zu besinnen: der HErr hat Recht. Ja, ER muß Recht behalten in Seinen Worten und rein bleiben, wenn ER gerichtet wird. Wie sollte der Heilige Gottes irren können? Der Vater hat die ganze Welt an Ihn gewiesen und gesprochen: „Den sollt ihr hören“. Alle Pharisäer der Welt, auf einen Haufen versammelt, verdienen kein Vertrauen, wenn sie anders reden, als ER, da kann ein Kind Richter sein − denn hier brauchts keiner Rechtsgründe. Doch wollen wir ein wenig auf Rechtsgründe weisen − um der Ungläubigen willen, die da gerne glauben möchten. Die strengste Auslegung ist die leichteste, aber auch die ungerechteste und unbarmherzigste. Das Recht ist nicht mehr Recht, wenn es auf die Spitze getrieben wird, sondern es wird zum höchsten Unrecht. Die Pharisäer legten das Gesetz von der Sabbathsruhe aus, als gäbe es sonst keines, − bei Collisionen dieses Gesetzes mit andern war es das entscheidende, sie vergaßen dabei, daß die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist. Sie ließen die Kranken ohne Arzt und die Sterbenden ohne die letzte Unterstützung − und trösteten sich über solche Lieblosigkeit und Unbarmherzigkeit wie über nothwendige Uebel mit dem Bewußtsein, dem Sabbathtag sein Recht widerfahren zu laßen. Aber Barmherzigkeit ist beßer denn Opfer und Sabbathsruhe, und die Liebe ist über alles, sie ist eine Meisterin aller Dinge und vollkommen in ihrem Thun. Die Liebe aber heißt JEsus − das ist klar und die Liebe hat immer recht gegen lieblose, unbarmherzige Auslegungen des Wortes Gottes. Die Liebe heiligt den Sabbath und alle Tage durch Erfüllung des göttlichen Wortes − und behauptet, daß es recht sei, am Sabbath Gutes zu thun.

 Nun ja, sprecht ihr. Aber wie ist denn das Gastmahl des Pharisäers ein Bild der Welt. Das Bild, ja das Urbild der Kirche sehen wir wohl in JEsu; aber wienach sind denn die Pharisäer ein Bild der Welt? Die Welt ist ja eben gar nicht pharisäisch, denn sie unterläßt nicht bloß am Sabbath, wie alle Tage, Barmherzigkeit und Liebe, sondern sie thut| Böses. Der Pharisäer erlaubte sich gar nichts am Sabbathtage, − die Welt hingegen erlaubt sich am Sonntag alles, auch was sie selbst für unrecht und unzeitig hält. Sie macht aus dem Sabbathtag einen Tag des Fleisches, einen Trinktag, einen Spieltag, einen Tag des Streitens und Lärmens, einen Tag des Fluchens und Lästerns, − sie macht den Sabbathtag zu einem Sündentag, zu einem Tage des Fluches und Zornes Gottes. Wie fern ist sie denn also im Gastmahle des Pharisäers abgebildet? − Ich antworte: ihr habet ganz recht, daß die Welt so thut und daß das nicht pharisäisch ist. Aber die Pharisäer haben sich vielleicht bei ihren Gastmahlen auch dergleichen erlaubt, vielleicht war auch ihnen der Sabbathtag ein Tag des Fleisches − auch Pharisäer konnten fleischlich − und die fleischliche Welt kann pharisäisch sein. Sie erlaubt sich alles Fleischeswerk, aber sie übergeht keine Satzung. Ists nicht bei uns auch so? Frag die Dirne, ob sie am Sonntag spinne, so wird sie dir antworten: „So gottlos bin ich nicht, − ich nähe zwar, aber ich habe keinen Faden jemals gesponnen.“ Sinds nicht auch Satzungen, daß man nähen dürfe, aber nicht spinnen? Und gibts nicht dergleichen hundert Dinge? Die Kinder der Welt erlauben sich Fleischesfreuden, sie erlauben sich Trunk, Kartenspiel, Tanz, Geschrei, Geschwätz, Müßiggang und Hurerei ohne Gewißen und Bedenken, wenn sie nur in der Kirche ein oder zwei Male gewesen sind oder drin geschlafen und der Satzungen keine übertreten haben. Sie sind ganz Fleisch und ganz Pharisäer, aber Liebeswerke, Barmherzigkeit, wie sie Gott in Christus übte, üben sie nicht. Wenn man nur so viel Zeit auf Liebe und Barmherzigkeit wendete, als man auf Eitelkeit am Sonntage verwendet, es würde alles beßer stehen. Aber die Welt ist Welt und ist träg zum Guten, auch wenn sie im Christentume sich angesiedelt hat. Sie gleicht dem Gastmahl des Pharisäers. An ihren Sonntagen kann man alles, was sie ist und enthält, zusammenfaßen in die zwei Worte: „Gastmahl“ und „Pharisäer“. So ist die Welt − aber nicht die Kinder JEsu, das wird sich gleich greller zeigen, wenn wir

 2. den Eifer betrachten, welchen beide für ihre Schriftauslegung beweisen.

 Wenn wir zuerst den Eifer der Welt für ihre falsche Lehre erkennen wollen, so können wir ein kurzes Urtheil über denselben damit sprechen, daß wir sagen: „So falsch ihre Lehre ist, so falsch und groß ist ihr Eifer.“ Er ist eben so falsch; denn die Lehre ist der Same des Eifers und der Eifer die Frucht der Lehre, die Frucht aber ist dem Samen immer gleich. Der Eifer ist ferner so groß, als die Lehre falsch ist; denn bei der Verderbtheit des menschlichen Herzens läßt sich der Satz aufstellen: Je falscher die Lehre, desto größer der Eifer im Herzen desjenigen, der sie gefaßt hat. Man bezeichnet diesen großen Eifer der Welt für eine falsche Lehre mit dem Namen Fanatismus. Den nun sehen wir an den Pharisäern.

 Nehmen wir an, daß die Pharisäer des HErrn Lehre vom Sabbath zum voraus kannten; so war schon eine Wirkung ihrer falschen Lehre die Einladung JEsu zum Gastmahle. Die Freundlichkeit der Anhänger falscher Lehre ist deswegen nicht für baare Münze zu nehmen; sie gehört zum Eifer für das Böse, der sie beseelt, ist ein Heuchelschein, unter welchem sich dasselbe lauernde Auge zu verbergen pflegt, welches der HErr den Pharisäern zuspricht, wenn er gleich beim Beginne unsers Evangeliums durch Seinen Geist bezeugt: „sie hielten auf Ihn.“ Sie haben Ihm eine Grube gegraben und freundlichst mit Aehren und Trauben verdeckt, damit ER desto gewisser hineinfallen soll. Siehe da den großen und falschen Eifer der Welt für ihre falsche Lehre.

 Ferner haben sie dem HErrn eine Versuchung zum Guten bereitet, indem sie den Waßersüchtigen in den Weg stellten. Sie wußten, daß der HErr barmherzig sei und vor großer Liebe nicht gerne den Anblick des menschlichen Jammers ertrug, − wußten, daß Ihn der Anblick des Elends zur Hilfe reizte. Sie wußtens, darum brachten sie den Waßersüchtigen herzu und waren zum voraus in Hoffnung schadenfroh, wenn nun der HErr in der Versuchung fallen d. i. helfen und dadurch ihrer Meinung nach das dritte Gebot auf eine unverzeihliche Weise übertreten würde. Es war in ihren Augen eine Versuchung zum Bösen, ist ihnen auch so anzurechnen. Für den HErrn aber war es eine Versuchung zum Guten, in welcher Er fiel, d. i. bestand. Sieh, wie der falsche, große Eifer für falsche Lehre das Böse gut und das Gute bös macht! So lauert die Welt immer auf gute Werke der Kinder Gottes, welche dann flugs als Verbrechen gekleidet und vor aller Welt zum Beweis aufgeführt werden,| was für ein schädlicher Saame Gottes Kinder seien.

 In solcher listigen Freundlichkeit und Versuchung verharren die Kinder der Welt. Offenbar war die Frage JEsu: „Ists auch recht am Sabbath heilen?“ zu ihrem Heile gemeint. Sie hätten irre werden sollen an ihrer Meinung, sie hätten merken sollen, daß sie durchschaut waren, sie hätten für das, was der HErr ferner that, ein aufrichtiges, vertrauensvolles Herz bekommen sollen. Wenn sie keine Antwort auf die Frage JEsu gegeben hätten; so hätte doch die Ursache ihres Schweigens nur Schaam sein sollen. Aber sie schwiegen und ihr Schweigen war ein verhärtetes, schaamloses Schweigen. Sie wollten nichts sagen, sie waren nur auf JEsu Thun gespannt, − heilen sollte Er den Waßersüchtigen, das wollten sie, dann war Er offenbar ein Sünder, über dessen Thun keine Frage mehr zu erheben war. So verhärtet macht der Eifer fürs Böse den Menschen fürs Gute, so blind macht er ihn, daß er offenbare Wunder nicht mehr bemerkt, so taub, daß er Gottes liebevolle Sprache nicht versteht, so empfindungslos, daß er mit keinem Elend und mit keiner Gottesthat und Hilfe zur Empfindung und Ahnung Gottes gebracht werden kann. JEsum sahen die Pharisäer gerne fallen, für Ihn hatten sie Wünsche genug, nemlich daß Er verderben möchte − dieser blutgierige Fanatismus aber kleidet sich in ihnen in Freundlichkeit und lauerndes, stummes Harren.

 Ein Bild der Welt. Ihre Meinungen sind ihr über alle Zweifel erhaben. Gottes Wort ist ihr ein Wahn. Wer es annimmt, wird ihr zur Pestilenz der Erde, den rottet man aus, dem gräbt man Gruben, dem bedeckt man die Gruben, vor deßen Augen kleidet man das arge Herz in Freundlichkeit − und unter den lächelnden Lippen verbirgt man Otterngift, schweigend, nie gerichtet und nie geirrt eilt die fanatische Welt dem Ziele der Blutschuld zu. Ach, wie viele Beispiele bietet die Geschichte der Religion, der Völker, der Städte, Dörfer und einzelner Menschen! Ach, wehe, daß es so viele Beispiele finstern, haßenden Eifers für die falsche Lehre gibt!

 Wie wohl thut es einem da, den Eifer für die Wahrheit in JEsu und Seinen Jüngern kennen zu lernen. Siehe, wie redlich und aufrichtig, ohne Falsch gleich den Tauben und doch voll Klugheit der HErr unter die verschmitzte Rotte tritt. Er kennt den, welcher Ihn einlud, Er durchschaut ihn und seine Gäste, Er weiß, was der Waßersüchtige zu bedeuten hat, Er ahnt nicht bloß, Er sieht schon, was man will; daß man Ursache, an Ihn zu kommen sucht, das ist Ihm klar, daß man Ihn zum Gastmahle ladet, um Ihn da das Gift, daran Er sterben soll, auch Selbst bereiten zu laßen, − daß Er mitten in der Räuberhöhle ist und daß die Hölle durch diese freundlich lauernden Pharisäeraugen Ihn anblickt, das alles, das ganze Geheimnis der Bosheit ist vor Ihm ein aufgeschlagenes Buch. Wie ein Lamm Gottes tritt Er unter die Wölfe dieser Welt, wohlwollend und erkennend, daß der Fürst dieser Welt „kommt und hat Nichts an Ihm.“ Warum bleibt Er nicht weg? − Weil ER sich nicht fürchtet, weil ER nichts zu fürchten hat, weil die Wahrheit und der König der Wahrheit unangreiflich sind und von den Teufeln der Hölle nicht überwunden werden können, weil ER siegen, Kohlen auf ihre Häupter sammeln, Licht in ihre Finsternis werfen, todte Seelen erwecken und Leiber der Kranken mit Genesung segnen − durch Wunder beweisen will, daß des Menschen Sohn ein HErr ist auch über den Sabbath. Unschuldig, arglos, fröhlich, muthig, lächelnd ohne Falsch tritt ER unter Seine Feinde und fragt: „Ists recht, am Sabbath heilen?“ Dumpfe Stille statt Antwort mehrt seinen Eifer, − nicht mit Worten mehr, mit einer gewaltigen redenden That predigt Er ihnen und heilt vor ihren Augen in Einem Augenblick den Kranken. Sie haben, was sie wollen! Er hat gefehlt nach ihrem Wahn. Er hat, was Er will: Sein Licht, Sein Leben, Seine Liebe, Seine Hilfe ist kund geworden − und der Sabbath ist geheiligt! − So hat Ers immer gemacht! Sie haben oft auf Ihn gelauert und Er hat, ungeirrt von ihrem Geifer, Sein Werk vollführt. Er hat mit Weisheit ihre Klugheit, mit Güte ihre Bosheit überwunden. So ists geschehen am Ende − sie wollten, daß Er stürbe, − Er wollte es auch, Er starb, auf daß Er zur Herrlichkeit eingienge und Seine Glieder Sich nachzöge. Die Hölle ist eifrig und der HErr ist eifrig; aber weß Eifer behält den Sieg, der Eifer deßen, der scheinbar unterliegt, oder deßen, der scheinbar siegt? Gelobet sei der HErr − und gesegnet sind alle, die Ihm nachfolgen! Gesegnet ist die heilige Kirche, welche durch alle Jahrhunderte angefochten, verfolgt und doch im Siege gewesen ist! Die kein Blut vergoß als ihr eigenes| um JEsu und Seiner Wahrheit willen, die nicht wieder schalt, wenn sie gescholten wurde, nicht dräuete, wo sie litt, sondern ihren Eifer durch Demuth und Treue bewies! O laß uns Deine Jünger und Deiner Kirche Glieder sein!

 3. Wohl können wir aus dem Gesagten erkennen, was der Eifer für falsche und reine Lehre sei, welch ein böser Same die falsche, welch ein heiliger Same die reine Lehre sei. Nur allzu lange haben wir davon geredet. Aber wir wollen nun falsche und reine Lehre noch mehr an den Ausnahmen erkennen, die sie machen.

 Wenn man nach dem Gemeinsamen in der Lehre des HErrn und der Pharisäer vom Sabbath fragt (denn da sie beide das dritte Gebot anerkannten, so wird etwas Gemeinsames doch jeden Falls anzunehmen sein); so wird äußere Ruhe am Sabbathtage dem HErrn, wie den Pharisäern gemeinsame Lehre gewesen sein. Der HErr wird äußere Ruhe und Freiheit von den Dingen dieser Erde um des Wortes willen, als eine Bedingung, ohne welche diesem die nöthige Aufmerksamkeit nicht geschenkt werden konnte, verlangt haben, − also äußere Ruhe um des Menschen und seines Heiles willen, wie sie auch jetzt noch für den von der Kirche gewählten Feiertag in Anspruch zu nehmen ist. Der HErr wird äußere Ruhe um der Schwachheit des Menschen willen, der, wenn er Zeitliches besorgt, mehr auf dieses, als auf das Göttliche die Seele richtet, gefordert haben. Ganz anders die Pharisäer: sie verlangten völlige, arbeitslose Ruhe um des Tages willen, sie sahen die Ruhe nicht als eine Bedingung zur Heiligung des Tages durch das Wort an, sondern als die rechte Art der Heiligung selbst. Der Buchstabe des Gesetzes, nicht die Absicht des Gesetzgebers leitete sie in ihrem Thun. Daher auch die verschiedenen Ausnahmen.

 Die Auffaßung der arbeitslosen Ruhe als Heiligung des Sabbaths ist eine äußerliche, wie sie der Mensch, auch der unbekehrte, gerne hat. Von äußerlichen Dingen ruhen kann ein Mensch auch durch eigene Kraft, durch Ausübung angeborener Macht über seinen Wandel. Auch ein Bösewicht kann äußerlich ruhen. Der Jude, welcher sich in Unglauben verhärtet, hält auf seinen Sabbath, ohne im Geringsten gebeßert zu werden. Auch unter den Christen gibt und gab es Ehebrecher, Mörder, Diebe, Betrüger etc., die alle äußerlichen Ordnungen des Sonntags und des Gottesdienstes festhielten und beobachteten, und beobachten wie ihr das selbst wißet. Aber sie thun das nur bis auf einen gewissen Punkt. Kommen sie bei dem an, so ist es zu Ende mit ihrem Formenwesen. Wißet ihr, wo dieser Punkt ist? wie der heißt? Der heißt Eigennutz. Wenn ein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt am Sabbathtage, da bricht auch der Pharisäer den Sabbath. Umkommen darf nichts. Ja, wenn Ochse oder Esel auch nur in Gefahr kommen, das reicht völlig hin, um Gottes Wort und der Seelen Heil zu vergeßen und für den Ochsen und Esel zu sorgen. Wenn man aus Erbarmen über das Vieh seinen Gottesdienst versäumte, das gienge noch an; aber so ist es der leidige Eigennutz. Man treibt sein Vieh auf die Weide zur Betstund-Zeit, zur Christenlehrzeit, zur Predigtzeit; man „kann schier nicht anders“, das muß sein!! Man lebt zum Theil vom Vieh, so muß man auch seinen Sabbath mindestens theilen zwischen ihm und Gott. Also der Eigennutz, der macht Ausnahmen und darf sie machen, seiner Meinung nach. Er macht sie auch nicht bloß beim Vieh, sondern wenn sonst etwas zu gewinnen ist, so streckt man seine Hand darnach aus und läßt Gottes Wort unangefochten sein, was es ist, nur daß man es weder thut noch hört. − Ach, wie viele einzelne Fälle könnte man da erzählen! Man erinnere sich an die Wirthe, die, auch gegen weltliche Gebote, unter den Gottesdiensten und Christenlehren ihre Nahrung suchen, − die den Sonntag feiern, aber bloß, wenn sie zur Kirche kommen, deren Häuser, Dienstboten und Kinder nichts vom Sabbath im Hause inne werden, sondern Gottes Wort in den Wind schlagen lernen, sobald es geredet ist! Man denke an die Handwerker, welche durch Eigennutz den Sabbath zu brechen sich selbst die Erlaubnis geben, − Arbeit austragen, Arbeit fertig machen, Arbeit anfangen, sich selbst hetzen und treiben, daß sie auch zu Hause an Gottes Wort nicht denken können! Man denke, man denke − ach, an was nicht alles, an wie viele, von euch selbst zu erkennende und zu strafende Beispiele zu der Behauptung, daß Pharisäer den Sabbath heiligen, so weit es ihr Eigennutz gestattet. Denn der, ja der ist ein Herr und Meister ihres Lebens.

 Ganz anders ist es bei dem HErrn. ER ist gewohnt, wie die Apostel ausdrücklich bezeugen, in die| Synagoge und in den Tempel zu gehen. Er freut sich des Worts, Er wohnt mitten unter den Lobgesängen Israels. Er ruht auch um des Wortes und Gottesdienstes willen und heißets die Seinigen thun. So gebietet auch Sein heiliger Apostel, daß wir nicht, wie etliche pflegen, unsre Versammlungen verlaßen sollen. Der HErr und Seine Apostel gebieten, das Wort Gottes zu predigen und zu hören. Auch gefällt es Ihm, wenn die Seinen sich selbst in den Häusern vermahnen mit Psalmen und geistlichen, lieblichen Liedern, wenn die Hausväter als Priester der Familien ihre Kinder und ihr Gesinde unterrichten in Gottes Wort. − Aber mehr als die stille Ruhe des Sabbaths, mehr als heilige Uebungen, Gottesdienst im allereigentlichsten Sinne ist Ihm nach unserm Texte − Uebung der Barmherzigkeit. Kranke heilen ist Ihm mehr, als feiern − Kranke pflegen, den Hungrigen das Brot brechen, Nackende kleiden, unabwendbare Arbeiten der Liebe vollenden ist Ihm Sabbathsarbeit. Die Liebe hat sogar Erlaubnis, an dem Ort der Predigt und Lehre, während Predigt und Lehre schallt, ja während die Sacramente verwaltet werden, vorüberzugehen. − Sieh da Ausnahmen der rechten Lehre, die nicht im eigenen Nutzen, sondern in dem des Nächsten ihren Grund haben. Nichts ist segensreicher, nichts ehrwürdiger, als das Geschäft, das wir hier besorgen, durch Wort und Lehre Seelen zum Himmel zu bereiten. Hier sollen wir, wenn nicht Krankheit und andere eigene unabtreibbare Beschwerden uns hindern, nie und niemals fehlen. Aber um deines Nächsten willen, wenn du als Arzt zu seinem Bette, oder als Pfleger, als Tröster etc. gerufen bist, − oder wenn du in Todesnöthen beistehen − oder wenn du andere Gefahren gerade zur Zeit des Gottesdienstes abwenden kannst und früher nicht, später nicht, oder doch nicht so gut etc. − um solcher Liebesgründe willen bist du ohne Sünde, wenn du in der Versammlung des HErrn fehlst. Sieh, so ist die Liebe Königin im Reiche der Wahrheit, − aber der Eigennutz im Reiche des Wahns. Dort macht Barmherzigkeit, hier nur der Genuß des Zeitlichen Ausnahmen − und du kannst daraus wieder deutlicher erkennen, welche Lehre am werthesten ist, ergriffen und umfaßt zu werden.

 4. Doch gibt dir die Geschichte vom Gastmahle des Pharisäers noch einen Blick mehr in die Beschaffenheit pharisäischer Herzen und des Herzens JEsu.

 Das Wunder war vorüber. Man beliebte, sich nicht darüber zu wundern, man trat näher zum Tische, zum Mahle. Da begannen nun die andern Gäste zu wählen, wer unter ihnen oben an und wo ein jeder nach Stand und Würden sitzen solle. Eine große Eitelkeit, und doch so wichtig! Man denke sich nur hinein in dieses Mienenspiel! Welch ein Schauspiel für den Menschenkenner! Welch ein traurig Schauspiel für den Menschenfreund! Welch ein Jammer für das Herz JEsu! Das sind nun diese heiligen Pharisäer, die es mit dem Arbeitsgebot des Sabbaths so genau nehmen, daß sie lieber gar nichts thun, als je einmal in die Gefahr kommen, es zu verletzen! Und diese genauen, ernsten Heiligen sind so voll Hochmuths, daß sie den Hochmuth auch da nicht bergen können, wo es doch so leicht sein sollte, demüthig zu sein. Ein wenig kühle Betrachtung reicht hin, es mit dem Platze nicht genau zu nehmen, über den Rang sich trösten zu können, − von Bescheidenheit, von Demuth nicht zu reden. Aber da siehe, wie mächtig in gesetzlichen Leuten die Sünde ist, − die grobe, große Hochmuthssünde! Schläge und Wunden verschmerzen sie leichter, als Zurücksetzung! − Hier ist die ganze Sache aufgedeckt. Willst du wißen, woher die leichte unbarmherzige Gesetzauslegung der Pharisäer, woher der fanatische Eifer für gesetzliche Kleinigkeitskrämerei, woher bei alledem offenbarer Eigennutz, − woher dieser Selbstbetrug der Sünde? Im Hochmuth ist es alles begründet, daher kommt alles. Sie erkennen nicht ihre falsche Lehre, nicht die Falschheit ihres Eifers, nicht die Sünde des Eigennutzes, die immer und immer wieder zum Vorschein kommt, − warum nicht? Weil sie vorn herein von ihrer eigenen Vortrefflichkeit eine unaustilgbare Ueberzeugung haben und als gute Pharisäer darauf schwören, daß sie nicht sind, wie andere Leute!

 Dagegen sieh JEsum an. Wem gebührt Majestät, Sieg und Dank, wem Thron und Ehre, wem der erste Platz − zumal in einer Versammlung durchtriebener und doch blinder Pharisäer, wenn nicht Ihm?! Und hörst du Ihn etwa um den Rang streiten, oder steht geschrieben, daß Er auch von der elenden Wählerei ergriffen worden sei? Nichts davon! Im Gegentheil. Er wußte, daß es unter dieser blinden Rotte Schicklichkeit gewesen wäre, nichts von dem Getriebe des Hochmuths zu bemerken, fein höflich und freundlich in das niederträchtige Buhlen um eitle Ehre zu sehen.| Das wußte Er, aber Er begehrt unter diesen Narren keine Ehre, sondern Er predigt ihnen von der Klugheit des Untenansitzens, weil sie von der Demuth des Untenansitzens nichts begreifen. Er öffnet ihnen den Blick in ihre Herzen − und mit einem weißagenden Weheruf über die, welche sich selbst erhöhen, ohne Ursach, in Eitelkeit, − nimmt Er Besitz vom jüngsten Platze, Er setzt Sich hin, wohin Er nach Seiner heiligen Demuth als Stellvertreter und Sündenträger der Welt freiwillig allezeit und in allen Stücken trat. ER machte Sich ganz zur Sünde, weil ER unsre Rechtfertigung beabsichtigte. Ja, Du, Du bist nicht allein bei dem Gastmahle des Pharisäers sondern auch vor dem Gerichte Deines Vaters der gewesen, der Sich Selbst erniedrigt hat! Du hast Dich erniedrigt bis zum Tode, bis zum Tode am Kreuze, bis zum Tode unter Missethätern! Darum bist Du aber auch erhöhet zur Rechten des Vaters. Deine Niedrigkeit und Deine Hoheit, Deine Demuth und Deine Herrlichkeit beweisen für Deine Lehre, Deine Gesetzauslegung, Deinen Eifer, Deine Ausnahme. Du sprichst mit Recht auch in diesem Sinne: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig!“ Ihm, Brüder, sollen wir ähnlich werden in der Demuth. Unsere Demuth ist freilich von JEsu Demuth verschieden. Er liebt das Niedrige und Demüthige in unserm Namen; wir aber haben uns nicht um fremder, sondern um eigener Sünden, um eigenen Unwerths willen zu demüthigen. Unsre Sünden sind so groß, daß uns Rühmen und Rangstreitigkeit vergehen sollte! Wir sollten im Gefühle unsrer Sünden vor Gott so klein stehen, daß wir eine Erniedrigung vor Menschen leicht ertrügen, daß es uns um Platz und Ehre nicht mehr zu thun wäre. Ach, wir sollten uns, weil wir vor Gott so niedrig sind, auch selbst gern demüthigen, uns gern erniedrigen. Dann würde uns die Gnade bis zum Stuhle JEsu erhöhen, bis zu einem Platze, welchen die eigene Gerechtigkeit des Menschen, selbst des neugeschaffenen Adams nimmer finden kann. Bleiben wir auf unsern erträumten Höhen, in unserer lügenhaften Verläugnung der Sünde und Erdichtung eigener Gerechtigkeit, so bleiben wir ferne von rechter Lehre, rechtem Liebeseifer, rechter Höhe − sinken von Sünd in Sünde und endlich in die Hölle. Aber den Demüthigen gibt Gott Gnade − und aus Gnaden Licht, Liebe, ewiges Leben und einen Platz an JEsu Tischen beim ewigen Abendmahl! − − JEsu, JEsu, dahin hilf mir und allen Christen in der Welt, insonderheit dieser Gemeinde! Amen. Amen.




« Trinitatis 16 Wilhelm Löhe
Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
Trinitatis 18 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).