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Ferienstudien am Seestrande/Fisch- und Laus-Asseln

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Textdaten
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Autor: Carl Vogt
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Titel: Ferienstudien am Seestrande/Fisch- und Laus-Asseln
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 838–841
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[838]
Ferienstudien am Seestrande.[1]
Von Carl Vogt.
4. Fisch- und Laus-Asseln.

„Gesund wie ein Fisch,“ sagt der Mund des Volkes;

„Ach! Wüßtest du, wie’s wohlig ist
Dem Fischlein auf dem Grund!“

singt der Mund des Dichters.

So schön das klingt, so falsch ist es. Gesund dürfte wohl kaum je ein Fisch zu nennen sein, wenn wir das Wort in der Bedeutung auffassen, welche wir ihm in Bezug auf den Menschen geben, und wohlig dürfte es ihm nur selten werden, denn ein von innen und außen geplagtes, verstochenes und angefressenes Thier, dem noch obendrein beständig nackte Vergewaltigung droht, dürfte doch kaum wohlig genannt werden können. Zwar jedes Thierchen hat sein Plaisirchen – aber ich fürchte sehr, dieses Plaisirchen möchte gerade den Fischen nur sehr sparsam zugemessen sein. Giebt es eine unleidlichere Situation, als nicht kratzen zu können, wo es juckt, nicht zutappen zu können, wo es beißt? Und doch schwimmen die meisten Fische in solch’ unangenehmer Lage umher. Vielleicht aber haben sie mehr Geduld als unser Einer.

Du hast dich am Meeresufer auf einem überhängenden Felsen niedergelassen und deine Angel ausgeworfen. Der heitere Himmel mit seinem feucht verklärten Blau lockt dich sehr wenig, denn du starrst nach dem Schwimmer, dessen Bewegungen den schnappenden Fisch verrathen. Ein Ruck, ein Schwung, und ein prachtvoller, mit gelben Arabesken gezierter, goldgrün glänzender Lippfisch (Julis) zappelt auf dem Boden. Wie wohlig muß es dem Thiere da unten sein, daß es sogar in Alltagswochen und nicht nur in dem jährlich einmal wiederkehrenden Hochzeitsmonate solches Staatskleid anzieht! Aber indem du dich bemühst, den Fisch von dem Angelhaken zu lösen, siehst du in der Nähe seines Auges einen grauen Höcker, mehr lang als breit, etwa von Eigestalt, aber mit Querringeln gezeichnet und einer breitgedrückten, zuweilen fast zolllangen Kellerassel nicht unähnlich. Neben diesem Ungethüm sitzt vielleicht ein zweites Wesen, kleiner, schlanker, manchmal wohl noch ein drittes, beide dem großen Thiere ähnlich gestaltet. Jetzt schaust Du genauer zu. Tiefe, gewundene Gänge sind in der Haut um das Auge, die fast speckig ist, ausgefressen – jedes der Thiere sitzt in einem solchen blutrünstigen Canale. Der arme Fisch! Erst war er bewunderungswürdig, jetzt ist er bedauernswürdig. Er hat gewiß große Schmerzen erduldet und Alles versucht, die ungebetenen Gäste los zu werden. Aber er kann weder mit den Flossen, noch mit dem Schwanze die zerfressene Stelle erreichen. Man sieht es seiner Schnauze an, daß er sich bemüht hat, durch scharfes Reiben an den Felsen und Steinen den Schmarotzer los zu werden; hat man so besetzte Lippfische im Aquarium, so stellen sie sich gar seltsam auf den Kopf und gleiten mit der leidenden Hälfte an dem Boden hin – aber Alles ist umsonst. Der Schmarotzer ist glatt, hart, sein Kopf heruntergebogen in die ausgefressenen Höhlungen, sodaß es dem Fische nicht möglich ist, trotz aller künstlichen Schwenkungen, ihn abzustreifen. Gelingt dies ja doch nur schwer dem Naturforscher, der mit Messer und Pincette sich bewaffnet. Hat er die Thiere losgelöst, so sieht er, daß das größte ein Weibchen, die kleineren Männchen sind; daß sie alle, beide Geschlechter, mit krummen Klammerbeinen in [839] großer Zahl bewaffnet sind, scharfe und schneidende Mundtheile besitzen und nur mit Gewalt sich losreißen lassen, so sehr sind sie mit den Klammerbeinen eingehakt. Aber dennoch können wenigstens die leichteren und kleineren Männchen mittelst ihrer flossenförmigen Schwanzklappe schwimmen, während die Weibchen nur langsam und mit Beschwerde kriechen können. Als schlanke Jungfrau freilich schwimmt das Weibchen lebhaft umher, mit der breiten Schwanzflosse sich durch das Wasser fortstoßend, später aber birgt es unter den Bauchschuppen die Eier, und dann hört die Beweglichkeit auf.

Es giebt Hunderte von Arten solcher Fischasseln, die an allen Theilen des Körpers verschiedener Fische sich festsetzen und in eine große Anzahl von Gattungen vertheilt worden sind, und man findet die mannigfaltigsten Uebergänge von stets frei schwimmenden, ja in sehr großen Tiefen sich aufhaltenden Formen mit Schwimmfüßen (Serolis), welche vielleicht nur zuweilen die Fische als bequeme Transportmittel benutzen, bis zu solchen, welche nur echte Klammerfüße im Alter tragen und einzig und allein auf die schmarotzende Lebensweise angewiesen sind. Alle gehören aber einer Gruppe von Krebsthieren an, welche in den Landasseln sich bis zu der höheren Bildung von luftathmenden Thieren erhebt. Die niedrigsten Formen mögen wohl von denjenigen Asseln dargestellt werden, welche bei anderen Krebsthieren schmarotzen.


Fig. 1. Garneele, (Palaemon serratus) vom Rücken aus in natürlicher Größe.
a. Die in der linken Kiemenhöhle sitzende Lausassel.


Wer während einer Badecur am Ufer des Meeres sein Frühstück einnimmt und sich die in zartem Rosenroth glänzenden Garneelen (Crevettes nennt sie der Franzose, Shrimps der Engländer) auftragen läßt, der wird fast immer unter der Menge einige finden, welche an dem Brustschilde einen seitlichen (Fig. 1) Buckel tragen; das Brustschild selbst ist aufgetrieben; ein weißlicher Ring, der einen schwärzlichen Mittelpunkt umgiebt, oder auch ein schwarzer Ring um einen helleren Mittelpunkt (die Färbung hängt von der Entwickelung der Eier ab) schimmert durch. Das Ding hat etwa die Größe eines Hemdknopfes. Um es abzulösen, muß man das Brustschild aufbrechen, denn es sitzt an der inneren Seite desselben festgehakt, in der Kiemenhöhle. Aber es ist gekocht, und nur wer frische Garneelen untersucht, wird sich überzeugen können, daß es eine Assel (Fig. 2) ist, aber nicht symmetrisch, sondern windschief, mit tief untergebogenem Kopfe, kurzen Stummeln statt Füßen und blattförmigen Anhängen unter dem Hintertheile, die vielleicht Kiemenblätter sind, jedenfalls aber durch ihre Bewegungen einen Wasserstrudel erzeugen können. Die braunschwarze Mitte ist ein Brutsack, vollgefüllt mit unendlich kleinen Eiern und Jungen. Sieht man genau zu, so findet man auch gewiß das sechs- bis zehnmal kleinere Männchen der Lausassel (Bopyrus) (Fig. 3), das an dem Hintertheile seines gigantischen Weibchens sitzt, ein schlankes, symmetrisches Thierchen mit niedlich ausgezackten Brustringen und länglicher Schwanzschuppe, das auf seinen kurzen, seltsam gleich Dachshundbeinen verdrehten Klammerfüßen noch ziemlich schnell läuft, wenn man es vom Weibchen losgelöst hat. Das hat noch eine dem Typus der Asseln entsprechende Form; das Weibchen, das immer an derselben Stelle in der Kiemenhöhle der Garneele sitzt und den Kopf nach hinten richtet, hat sich dem Wohnplatze angepaßt und die eine nach dem Bauche der Garneele gerichtete Seite ausgebuchtet, die andere eingezogen, je nachdem es auf der linken oder rechten Seite sitzt, sodaß es vollkommen unsymmetrisch geworden ist. Die Jungen (Fig. 4 und 5) haben beim Auskriechen aus dem Ei zwei große, gehäufte Augen, lange Schwimmfühler, drei Paar langer Klammerfüße und eine Unzahl von blattförmigen Schwimmfüßen am Bauche; die Männchen haben kleine, fast punktförmige Augen und vier kleine, kurze Fühler am Kopfe; die Weibchen haben gar keine Augen und keine Fühler, denn die Rudimente, die sie am Kopfe tragen, kann man kaum noch so nennen.

Ich habe Hunderte von Jungen unter dem Mikroskop an meinem Auge vorüber gleiten lassen – sie waren genau in gleicher Weise gebildet. Auch die Jungen von verschiedenen Weibchen glichen einander vollkommen. Da aber fast immer ein Pärchen in der Kiemenhöhle einer Garneele seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat, so muß man doch wohl annehmen, daß aus diesen gleich gestalteten Jungen zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen werden. Beide Geschlechter müssen verschiedene Umwandlungen durchmachen, bevor sie zu der Gestalt kommen, welche sie definitiv behalten werden. Wir kennen diese Metamorphosen nicht im Einzelnen; wir sehen nur die beiden Endpunkte, einerseits das Junge mit seiner kugelförmigen, dem Ei angepaßten Gestalt, andererseits hier das schlanke, geringelte Männchen, dort das breit geschwollene, zur Unkenntlichkeit umgestaltete Weibchen. Wie ist es möglich, daß von einer gemeinsamen Grundlage aus so verschieden gestaltete Formen sich entwickeln konnten? Der Contrast könnte nicht größer sein, wie zwischen jungen Mäuslein, die sich einerseits in Springhasen, andererseits in plumpe Elephanten umwandeln würden. Wer einen solchen Vergleich wagte, würde ausgelacht, weil es sich um Säugethiere handelt, aber bei Krebsthieren findet schließlich nur der Laie die Sache auffallend; der Naturforscher wundert sich höchstens, daß die Unähnlichkeit nicht noch größer sei.

Mit bloßen Worten ist es heutzutage nicht mehr gethan. Man muß in das Einzelne gehen, um die Einflüsse aufzudecken, welche bei den organischen Processen ihre Rolle gespielt haben.

Anpassung? Nun ja! Das Weibchen der Lausassel hat sich seinem Aufenthaltsorte angepaßt und ist dadurch windschief geworden. Das Brustschild der Garneele, welches die Kiemenhöhle nach außen abschließt und an welche das Weichen sich ansetzt, hat keine gleichmäßig gerundete Gestalt. Es läuft nach vorn spitz zu und krümmt sich stark nach innen auf der Bauchseite. Die Lausassel bewirkt freilich eine Aufwulstung an der Stelle, wo sie sitzt, aber diese Aufwulstung ist nicht bedeutend genug, um die Gestalt des Brustschildes im Ganzen zu ändern. Die Assel wächst also nach der Seite aus, wo sie freieren Spielraum hat, und krümmt sich auf der entgegengesetzten Seite ein. Nach von mir in Roscoff gemachten Zählungen sitzt die Assel häufiger auf der linken, als auf der rechten Seite der Garneele – acht Mal auf der linken gegen fünf Mal auf der rechten Seite. Von dreizehn Asseln sind also acht nach links eingebogen, fünf nach rechts. Wollten wir den Vorgang bis in die äußersten Einzelheiten verfolgen, so würden wir mathematisch nachweisen können, daß die Assel sich ebenso nach dem Widerstand des Brustschildes modelt, wie der Fuß nach dem Schuh. Sie muß dies um so mehr, als sie bei zunehmender Größe bald die ganze Kiemenhöhle ausfüllt und, einmal an ihrem Platze festgehakt, denselben nie wieder verläßt. Ich vermuthe, daß sie über ihren Eiern, die allmählich den ganzen Körperraum füllen, stirbt, wie die Schildlaus des Weinstockes über den ihrigen, die noch von der zu einem Blatte eingetrockneten Haut der Mutter gedeckt werden. Ich schließe dies aus dem Umstande, daß ich Garneelen gefunden habe, welche zwar einen etwas aufgetriebenen Buckel besaßen, in welchem aber keine Lausassel mehr saß. Das Männchen, klein, freier beweglich, hat immer noch in der Kiemenhöhle Raum und behält seine Gestalt, weil es nach Bedürfniß den Platz ändern kann.

Es ist auch eine ganz gewöhnliche Erscheinung im Thierreiche, daß festsitzende Thiere ihre Gestalt nach der Unterlage ändern. Keine Felsenauster, keine Lochmuschel (Anomia) gleicht der andern; die festsitzende Schale hat sich der Unterlage angeschmiegt. So ist also die Windschiefheit der Lausassel eine ganz gewöhnliche Anpassung, die uns nur deshalb auffällt, weil sie auf ein Gliederthier, auf ein Krebsthier eingewirkt hat, bei welchen strenge Symmetrie meist die Regel ist, und weil sie, je nach dem Sitze in der Garneele, bald in die eine, bald in die andere Seite beschlägt.

Aber damit ist es nicht genug. Woher die große Verschiedenheit aller dieser Asseln im Bau ihrer Füße? Die frei lebenden haben Schwimmfüße, die festsitzenden Schmarotzer Haken- oder Klauenfüße. „Der Schöpfer hat es so gewollt,“ ist die Antwort einer ganzen Partei, und wir müssen dann glauben, daß jeder Fuß der Gegenstand eines besonderen schöpferischen Willensactes gewesen sei. Daß mit diesem Glauben die wissenschaftliche Forschung ein Ende hat, ist klar; die Berufung auf den schöpferischen Gedanken gleicht etwa der Antwort meines Vaters, [840] wenn er auf kindliche Fragen antwortete, deren Lösung wir noch nicht verstehen durften oder konnten: Warum? Darum! Aber auch wenn wir uns mit dieser Hinweisung begnügen wollten, so würde damit die Frage nicht gelöst, warum diejenigen schmarotzenden Arten, welche in dem Alter Hakenfüße haben, in der Jugend an deren Statt Schwimmfüße besitzen? Warum? Offenbar weil durch eine Reihe von Häutungen, die wir von andern Arten kennen, diese Schwimmfüße nach und nach so umgewandelt werden, daß das Weibchen gar keine, das Männchen nur rudimentäre besitzt.

Das Junge der Lausassel giebt uns hier schon einige Aufklärung. Es hat drei vordere Fußpaare, die mit Doppelkrallen bewaffnet sind. Aber diese Füße sind lang, mehrgliedrig, während die Füße der erwachsenen Thiere, wie es zum Festsitzen paßt, nur sehr kurze, krumme Hakenstummeln sind. Die Krallenfüße des Jungen sind offenbar dazu eingerichtet, die Garneele gewissermaßen zu harpuniren, sich an dem glatten Körper dieses überaus behenden und unbändigen Schwimmers festzuhaken und dann erst weitere Metamorphosen einzugehen.

So leitet uns denn die Bildung der Füße nothwendig zu dem Schlusse hin, daß die Lausassel ursprünglich ein freies Thier war, welches die Garneele als Locomotive benutzte, wie die Serolis wahrscheinlich die Fische benutzt, und daß aus diesem Fuhrgast zuletzt ein Hausgast der Garneele geworden ist, welcher sich an einem bequemen Orte festsetzt, wo ihm diese nichts anhaben kann, und dort sich gemüthlich von dem Blute seines Hausherrn, vielleicht auch nur von den kleinen Thieren und anderen Dingen nährt, welche durch das Kiemenloch von dem Strome des Athemwassers ein- und ausgewirbelt werden.


Fig. 2.                   Fig. 3.                   Fig. 4.                   Fig. 5.
Laus-Assel (Bopyrus squillarum).
Fig. 2. Das Weibchen von der Bauchseite, achtfach vergrößert. a Unterseite des Kopfes. – Fig. 3. Das Männchen von der Rückseite, fünfzigfach vergrößert. – Fig 4 und 5. Junge von der Bauchseite und im Profil, dreihundertfünfzigfach vergrößert.

Der Schmarotzer ist nicht ursprünglich geschaffen – er ist geworden.

Zu derselben Schlußfolgerung leiten uns die Augen und die Fühler, die einzigen bis jetzt erkannten Sinnesorgane. Groß und mächtig bei den Jungen, setzen sie dieselben offenbar in den Stand, die pfeilschnell durch das Wasser schießende Garneele, deren Körper im Leben fast so durchsichtig ist, wie das Wasser selbst, zu sehen und, sobald sie ihr genaht und sich mit ihren Harpunenfüßen angeklammert haben, den Ort auszutasten, wo sie sich festsetzen wollen. Hier also ist eine Ausrüstung mit Sinnesorganen vorhanden, wie sie die meisten Thiere derselben Sippe während des ganzen Lebens nicht besser haben. Wie ärmlich ist diesen Jungen gegenüber das Männchen ausgestattet! Die großen, gehäuften Augen sind zu kleinen Punktaugen verschwunden, die Fühler kaum vorragende Anhänge geworden. Aber es hat doch in diesen Rudimenten noch die Erinnerung an eine bessere Ausstattung, an einen reicheren Sinnesaustausch mit der Außenwelt, und die geringe Beweglichkeit, welche ihm geblieben ist, gestattet ihm wenigstens, die Organe zu benutzen.

Welchen Nutzen könnte aber das Weibchen von Augen und Fühlern ziehen? Es sitzt fest – für seine Lebenszustände ist es durchaus gleichgültig, ob die Garneele sich im Dunkel der Tangblätter und Felsengrotten birgt oder ob sie im hellen Wasser sich tummelt – seine ganze Thätigkeit ist auf Verdauen und Kinderzeugen reducirt; sein Organismus ist eine Maschine geworden, die nur im Innern arbeitet, nach außen aber keine Aeußerung dieser physiologischen Arbeit zu erkennen giebt. Ernährung und Stoffwechsel sind innere Arbeit; was an der Ernährung der Augen und der Fühler gespart wird, kommt der Erzeugung der Eier und der Jungen zu Gute. Fort also mit diesen unnöthigen Dingen! Sie gehen zu Grunde, weil sie nicht gebraucht werden.

Derselbe Einfluß der organischen Sparsamkeit, wenn ich mich so ausdrücken soll, zeigt sich im Verhältniß der beiden Geschlechter zu einander. Der Mann ist bei weitem kleiner, dafür aber auch weit beweglicher und empfindender, als das Weib. Der materielle Antheil, den er an der Erzeugung der Jungen nimmt, fällt weniger in das Gewicht, nimmt geringeren Raum ein, als der Antheil, welchen der weibliche Organismus durch die Bildung des Eies liefert. Bewegung aber ist Stoffverbrauch, und wenn das Weib mehr Stoff zur Eibildung nöthig hat, so wird es unbeweglich, während das Männchen immerhin einen Theil seines Materials in Bewegung abnutzen kann. Deshalb sehen wir denn auch allgemein in der Thierwelt das Weibchen ruhiger, seßhafter, als das andere Geschlecht, und wenn es sich um Schmarotzer handelt, bei denen ja auch die Seßhaftigkeit ein wesentliches Element ist, finden wir es mehr Schmarotzer, tiefer umgebildet als das Männchen. Bei den meisten Schmarotzern kommt aber noch ein anderes Element hinzu: die Nothwendigkeit der Vermehrung der Keime, die in directer Beziehung zu der Wahrscheinlichkeit der gesicherten Existenz steht. Viele Tausende von jungen Lausasseln mögen zu Grunde gehen, ehe es einer gelingt, eine Garneele zu haschen und sich an ihr festzuhaken. Es müssen also tausend und aber tausend Eier von einem Weibchen erzeugt werden, und um diesem enormen Stoffverbrauch zu genügen, wird der Körper desselben riesenhaft in dem Verhältniß zum Männchen, während die Eier so klein wie möglich werden, um dem Zahlenbedürfniß zu genügen. So erklärt sich das Mißverhältnis der beiden Geschlechter in Größe, Gestaltung und Rückbildung einfach durch das gebieterische Muß des Kampfes um das Leben.

Wenn aber die Jugendbildung dieser schmarotzenden Asseln sowohl, wie die geringere Rückbildung des Männchens wie mit dem Finger darauf hinweist, daß dieselben ursprünglich frei umherschwimmende Thiere waren, welche erst nach und nach zu Schmarotzern sich umbildeten, so ist damit ein tiefer Einblick in die beiden großen Vorgänge gethan, in Folge deren die Organismen sich umwandelten. Wir folgen dieser Umwandlung durch Anpassung und Vererbung in allen ihren Stufen bei der Art und den sie darstellenden Individuen selbst – wir folgen ihr nicht minder in der Reihe der Asseln selbst, von welchen die einen freie Schwimmer, die anderen Fahrgäste, die dritten Außenschmarotzer und die letzten sogar Binnenschmarotzer sind. Jeder [841] dieser Typen hält bei der Stufe fest, die seinen Lebensbedingungen zukommt; der Schwimmer hat nur Schwimmfüße; der Fahrgast zeigt einige, der Außenschmarotzer die meisten Füße zu Klammern umgewandelt; der Binnenschmarotzer hat nur noch Hakenstummeln. Der Binnenschmarotzer durchläuft aber während seiner Entwickelung in seiner Rückbildung alle diese Stufen – die junge Lausassel hat die Bildung eines Fahrgastes mit ihren drei langen Hakenfußpaaren.

Kein Zweifel also, daß diese Stufen Wirkungen lange andauernder Anpassung an das Schmarotzerthum sind, und kein Zweifel auch, daß die einmal erreichten Vortheile, die nur für diesen Zweck Vortheile, für die Gesammtorganisation aber Rückschritte sind, auf die Nachkommen vererbt wurden und noch vererbt werden.

Gerade diese Rückbildung in Folge einseitiger Anpassung an einen beschränkten Lebenszweck aber leitet zu einem großen Gesetze, dessen Wichtigkeit bis jetzt noch nicht genügend hervorgehoben wurde und das ich das Gesetz der Freiheit in der organischen und speciell in der thierischen Welt nennen möchte. Nur bei dem freien Thiere, das nach allen Seiten hin um sein Leben kämpfen muß, nur bei diesem führen auch Anpassung und Vererbung zu stufenweiser Vervollkommnung der Organisation; wo diese Freiheit in irgend einer Weise beschränkt ist, die Anpassung also zu einer einseitigen Ausbildung nach einem engeren Ziele führt, da sehen wir auch als Resultat die Rückbildung derjenigen Functionen, welche nebensächlich werden, und damit auch das Zurücksinken des Gesammtorganismus.

Um aber dieses wichtige Freiheitsgesetz in seinem Ganzen näher begründen zu können, dürfte es nöthig sein, noch weitere Wirkungen der einseitigen Ausbildung und Anpassung dem Leser vor die Augen zu führen. Es ist ein bekannter Satz, daß wir die Wirkungen der Freiheit nur dann gehörig schätzen und würdigen, können, wenn wir die Folgen der Sclaverei erkannt und bis in das Einzelne erfahren haben.

  1. Siehe Jahrgang 1876, Nr. 16, 25 u. 48.