Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche/2. Kapitel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« 1. Kapitel Nikolaus Hunnius
Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche
Erstes Register
3. Kapitel »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Das andere Kapitel.
Das ganze Werk unserer Seligkeit bestehet in Erkenntniß der angeschaffenen Heiligkeit, des Sündenfalls, des gnädigen Willens Gottes, und der Mittel, dadurch er uns zur Seligkeit bringen will.

 41. Das ganze Werk unserer Seligkeit soll in diesem ganzen Kapitel ausführlich behandelt werden. Damit aber der christliche Leser auf’s allereinfältigste das Hauptsächlichste fasse, mag er Folgendes kürzlich vernehmen:

 Gott hat den Menschen, Adam und Eva, in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaffen, in welchem Stande, wenn er Gott mit heiligem Wandel und Gehorsam aller Gebote, die er ihm geben würde, gedienet hätte, Gott ihn wiederum unsterblich hätte erhalten und ihm alle Leibes- und Seelen-Wohlfahrt widerfahren lassen.

 42. Nachdem aber der Mensch durch des Teufels Verführung dahin gerathen ist, daß er wider Gottes Verbot von der Frucht des Baumes des Erkenntnisses Gutes und Böses genossen, hat er damit wider den Herrn gesündigt, ist ungerecht und unheilig geworden, hat also die anerschaffene Gerechtigkeit und Heiligkeit verloren, ist in göttliche Strafe gefallen, und in des Satans Dienstbarkeit gerathen.

 43. Diesen betrübten Zustand hat er auf seine Nachkommen vererbet; denn weil er und seine Kinder unheilig, und der Sünde und dem göttlichen Fluche unterworfen worden ist, und zwar nicht nur wegen angeerbter Ungerechtigkeit, sondern auch wegen Sünden,| die sie täglich begehen, so ist damit das ganze menschliche Geschlecht unter dem Gericht und Verdammniß Gottes, der seiner Gerechtigkeit halben nicht anders kann, als sie allesammt als Ungehorsame von seinem Angesichte in ewiges Verderben zu stoßen.

 44. Es hat sich aber Gott in seinem gerechten Zorn des armen menschlichen Geschlechtes erbarmet, sich aus großer unverdienter Liebe und Gnade vorgenommen, demselben wieder zu helfen und es in sein Reich zu versetzen.

 45. Solches konnte aber nicht geschehen, wenn nicht der göttlichen Gerechtigkeit ein Genüge geschehe. Aber kein Mensch oder Engel, noch eine andere Creatur im Himmel und auf Erden vermochte, für aller Menschen Sünde der göttlichen Gerechtigkeit genug zu thun. Es konnte also auf anderem Wege ihm nicht geholfen werden, als daß Gott selbst sich in’s Mittel schlug und sich die Menschen wieder versöhnte.

 46. Dieses ist denn also geschehen, daß der ewige Sohn Gottes, von dem Vater gesendet, menschliche Natur (jedoch ohne Sünde) an sich genommen hat, an Statt aller Menschen vor das göttliche Gericht getreten ist, den schuldigen Gehorsam, welchen Gott von uns fordert, dem Gesetze geleistet, die Strafe des göttlichen Zornes, die wir verdienet, auf sich genommen, an seinem Leibe auf dem Kreuze alle unsere Sünde geopfert, und für uns mit seinem Blut und Tod bezahlet hat, daß also die Gerechtigkeit Gottes keinen fernern Anspruch der Sünde halber an uns haben kann, sondern wir vor Gottes Gericht so rein und heilig erscheinen, als hätten wir keine Sünde jemals begangen.

|  47. Nun verhält es sich mit diesem Werke der Erlösung nicht anders, als wie mit gefangenen Leuten, deren Erledigung bereits mit Darlegung des Lösegeldes erkauft ist. Wenn diesen ihre Erlösung angekündigt und die Thür’ aufgethan wird, und ihrer etliche nehmen diese Erlösung an, glauben, sie seien also frei gekauft, gehen aus dem Gefängniß, und werden in der That auch frei, so genießen sie dieser Erlösung an Werk und wahrhaftig. Wenn aber die Andern entweder auf die thörichten Gedanken gerathen, als wären sie nicht gefangen, bedürften also keines Erlösers, oder bildeten sich ein, als ob sie sich selbst am besten loshelfen könnten, achteten also nicht, daß ein Anderer für sie bezahlet hätte; oder sie setzten ihr Vertrauen auf andere Leute, die ihnen aus dem Gefängnisse helfen würden, wollten also mit dem Erlöser, der sie los gekauft, nichts zu schaffen haben; oder sie meinten, es könnte ihnen besser nicht geschehen, als wenn sie immerdar in ihrem Gefängnisse blieben, wollten also die Erlösung nicht haben, noch wissen; oder gedächten, obwohl die Erlösung unsrer Etlichen, die bereits aus dem Gefängniß gegangen sind, geschehen sein mag, so gehet sie doch mich ganz und gar nichts an, ich habe mich derselben nicht zu getrösten; oder sie hielten die Botschaft von ihrer Erledigung für lauter Thorheit und Lügen, als hätte man ihnen damit nur eine vergebliche Hoffnung gemacht: so würden diese alle miteinander in dem Gefängnisse sitzen bleiben, darinnen verderben, und auch der Erlösung, die doch völlig geschehen ist, nimmermehr genießen.
.
 48. Also: Wenn der Herr Jesus für unsere Sünde bezahlet hat, und uns solches durch die Predigt des| Evangeliums verkündigen lässet, und es uns durch die h. Sacramente versichert, und etliche Leute meinen, sie seien heilig und ohne Sünde, bedürfen also nicht des Herrn Christi Lösegeld’s, oder wollten sich selber mit ihren eigenen guten Werken von Sünden loshelfen und Gott also bezahlen, daß sie ihm nicht das Wenigste schuldig bleiben; oder setzen ihr Vertrauen auf die abgestorbenen Heiligen, die Messe der Priester, das Klosterwerk und Verdienste der Mönche und Nonnen; oder finden ihr Gewissen nicht mit Sünden beschwert, leben in dem Sündenstand wohl und ruhig, achten nicht was von Christo gepredigt und geschrieben wird, begehren keine bessere Gerechtigkeit, als sie haben; oder gedenken, Christus habe wohl für etliche Menschen genug gethan, wollen aber nicht erkennen, daß solches sie auch angehe; oder verspotten die Lehre, weil sie ihnen eine Thorheit ist, und halten nicht für wahr, was von der Sünde, Gottes Gnade und Christo vorgegeben wird (wie die Werk-Heiligen, die Welt-Kinder und zaghafte Herzen zu thun pflegen), – diese alle, so lange sie in diesen Gedanken bleiben, können des Herrn Christi Verdienstes in der That nicht theilhaftig werden, und würden, wenn sie in solchem Mißtrauen und solcher Verachtung dahinstürben, der erworbenen Seligkeit nimmermehr genießen. Und das ist der Unglaube, dadurch auch die unter Gottes Zorn bleiben und in der Hölle verderben, welche mit Christi Blut und Tod völlig erlöset worden sind.
.
 49. Hingegen, wenn Andere die Predigt von Christo anhören und verstehen, daß, wie allen Menschen Vergebung ihrer Sünden angemeldet werde, diese Seligkeit auch sie angehe, und demnach nicht zweifeln,| Gott wolle, daß sie von Sünden los und selig werden, Christus habe ihre Sünde ausgetilget, trösten sich damit, und geben sich im Gewissen zufrieden, weil sie einen so gewaltigen Erlöser und gnädigen Gott haben, der ihnen nach diesem Leben die ewige Seligkeit geben wolle: so sind sie die Rechtgläubigen, die Gott liebet, bei denen er wohnet und die er, wenn sie in solchem Vertrauen zu ihm durch Christum von diesem Jammerthal abscheiden, der Seele nach in sein ewiges Reich aufnehmen, am jüngsten Tage den Leib vom Tode erwecken, verklären, mit der Seele vereinigen, und ohne Aufhören in Ewigkeit trösten und erfreuen wird.

 Dieß ist die Summa des ganzen christlichen Glaubens, darauf unsere ewige Wohlfahrt und Seligkeit beruhet, welche jetzt ausführlicher erklärt werden soll.





« 1. Kapitel Nikolaus Hunnius
Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche
3. Kapitel »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).