Hands off!

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Autor: Adolf Loos
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Titel: Hands off!
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aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 342–347
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1917
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Erstdruck unbekannt
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung:
Loos pflegte eine Kleinschreibung (außer bei Satzanfängen und Namen) auch bei seinen Titeln, wie den Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen ist (im Buch selbst sind die Titel in Versalien gesetzt). Um Irritationen zu vermeiden, werden die Titel in der gewohnten Groß-Kleinschreibung gegeben
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[342]
HANDS OFF!
(1917)

Glaubt mir, ich war auch einmal jung. So jung wie die mitglieder des deutschen werkbundes, des österreichischen werkbundes, des usw. usw. Auch mir gefielen, als ich noch ein knabe war, die schönen ornamente, die unsern hausrat bedeckten, auch ich berauschte mich an dem worte „kunstgewerbe“ – so hieß damals, was wir gestern „angewandte kunst“ nannten und heute „werkkunst“ nennen –, auch mich befiel eine tiefe traurigkeit, wenn ich meinen leib bis zu den füßen hinab besah und an meinem rocke, meiner weste, meiner hose und meinen schuhen so gar nichts von kunst, gewerbekunst, angewandter kunst, also kunst überhaupt, entdecken konnte.

Aber ich wurde älter und in meinen jünglingsjahren fiel mir dann doch auf, daß in früheren zeiten der rock sich mit dem schranke im einklang befunden hatte. Damals hatten beide ornamente, beide wiesen dieselbe kunstübung auf, und so blieb mir nur übrig, darüber nachzudenken, wer recht habe, der heutige, ornamentlose rock oder der heutige schrank mit seinen altherkömmlichen ornamenten des renaissance-, rokoko-, empirestils. Darüber waren wir uns einig, daß sowohl der rock wie der schrank dem geiste unserer zeit entsprechen sollten. Ich und die andern. Aber ich gab den träumen meiner knabenjahre den abschied, die andern blieben ihnen treu. Und von da an stimmten wir nicht mehr zusammen. Ich entschied mich für den rock. Ich sagte, daß er recht habe. Ich fand, daß er, und nicht der schrank, im geiste unserer zeit geschaffen sei. Er hatte keine [343] ornamente. Nun gut – es war mir hart, so zu denken, aber ich dachte es durch – unsere zeit hat eben keine ornamente. Wie, keine ornamente? Wo doch die ornamente aus allen zeitschriften, aus „Jugend“, „Deutscher Kunst und Dekoration“, „Dekorativer Kunst“ usw. nur so sproßten und blühten? Und ich dachte die sache wieder und wieder durch, und, so weh es mir tat, ich fand, daß diese neuerfundenen ornamente noch weniger mit unserer zeit zu tun hatten, als die falsche nachahmung alter stile. Ich fand, daß sie nichts anderes sind als krankhafte hirngespinste einzelner, die unseligerweise den kontakt mit der zeit verloren haben, kurz ich fand, was ich in meinem vortrag „ornament und verbrechen“ ausgeführt habe.

Also nochmals: der anzug, den ich trage, ist wirklich im geiste unserer zeit geschaffen, und ich werde daran bis an mein lebensende glauben, und wenn ich auf der welt der einzige mit diesem glauben bleiben sollte. Aber ich fand noch viele andere gegenstände, die diesen geist unserer zeit aufwiesen. Da gab es schuhe und stiefel, koffer und pferdegeschirre, zigarettenetuis und uhren, perlenschnüre und ringe, stöcke und schirme, wagen und visitkarten. Und daneben, zur gleichen Zeit, die arbeiten unseres kunstgewerbes, die einen ganz anderen geist aufwiesen. Ich suchte den grund dieses diametralen gegensatzes aufzufinden. Den fand ich leicht. Alle – für mich – unzeitgemäßen arbeiten waren von handwerkern erzeugt worden, die in die abhängigkeit von künstlern und architekten geraten waren, während die arbeiten, die zeitgemäß waren, von handwerkern geschaffen wurden, denen der architekt noch keine entwürfe lieferte.

Für mich stand der satz fest: Wollt ihr ein zeitgemäßes [344] handwerk haben, wollt ihr zeitgemäße gebrauchsgegenstände haben, so vergiftet die architekten.

Ich habe mich damals, es sind jetzt zwanzig jahre her, wohlweislich gehütet, diesen vorschlag auszusprechen. Ich war feige und fürchtete die folgen. Ich schlug daher einen andern weg ein. Ich sagte mir: ich will den tischler lehren, so zu arbeiten, als hätte noch nie ein architekt in seine werkstatt hinein gepfuscht.

Das war leichter gedacht als getan. Es war so, als sollte ein mann unser modernes männerkleid erfinden, nachdem durch ein jahrhundert alle leute wie auf einem maskenball in griechischer, burgundischer, ägyptischer oder rokokotracht herumgelaufen waren. Aber als ich die schneiderei betrachtete, konnte ich mir sagen: hundert jahre haben keine so großen umwälzungen hervorgebracht. Vor hundert jahren trug man einen blauen frack mit goldenen knöpfen, heute trägt man einen schwarzen mit schwarzen knöpfen. Sollte es in einer schreinerei wirklich ganz anders sein?

Ich dachte: Vielleicht haben diese vermaledeiten architekten auch in der tischlerei irgend etwas übrig gelassen, woran sich für das heutige anknüpfen ließe, vielleicht ist in der tischlerwerkstatt etwas ihren verruchten händen entgangen und hat ohne ihre mithilfe den ruhigen gang der entwicklung genommen? Das dachte ich beim aufstehen und einschlafen, beim essen und trinken, beim spazierengehen, kurz immer und überall. Da fiel mein blick auf den guten alten wasserkasten mit seiner holzverkleidung, die die rückwand zum watercloset alten systems bildet. Da war, was ich suchte!

Welches glück! Sind doch auch alle anderen gegenstände, die zu unserer reinigung dienen, bad und waschtisch, [345] kurz alle sanitären artikel, von den „künstlern“ verschont geblieben. Wohl gab es vereinzelte geschirre unter dem bette, die von künstlerhand mit rokokoornamenten verziert waren, aber sie waren selten. Und so war auch jene einzige tischlerarbeit – als nicht nobel genug – der „angewandten kunst“ entgangen.

Was war nun das wesentliche an dieser holzverkleidung?

Da muß ich bitten, ein paar worte über tischlertechnik sagen zu dürfen. Der tischler kann auf verschiedene art hölzer zu einer fläche zusammenfügen. Eine davon ist das system: rahmen und füllung. Zwischen dem rahmen und der füllung wurde als übergang eine profilierte leiste eingeschoben, oder der rahmen, da die füllung fast immer vertieft lag, mit einem profil, einer kehlung versehen. Ganz abrupt saß die füllung einen halben zentimeter hinter dem rahmen. Das war alles. Vor hundert jahren war es genau ebenso gewesen. Nun hatte ich die gewißheit, daß sich an dieser form nichts geändert hatte und daß alle die versuche, mit denen uns die wiener Secession und die belgische moderne jählings überfallen hatten, verirrungen waren.

An die stelle der phantasieformen vergangener jahrhunderte, an die stelle der blühenden ornamentik vergangener zeiten, hatte daher die reine, pure konstruktion zu treten. Gerade linien, rechtwinkelige kanten: so arbeitet der handwerker, der nichts als den zweck vor augen und material und werkzeug vor sich hat.

Ein kollege (er ist heute ein führender wiener architekt) sagte mir einmal: „Ihre ideen mögen ja für die billige arbeit gelten. Was machen sie aber, wenn sie einen millionär einzurichten haben?“ Er hatte von seinem [346] standpunkt aus recht. Die phantastische form, die verzierung, war alles, was man an kostbarkeit kannte. Noch wußte man nichts von den wahren qualitätsunterschieden. Die aber hat es bei den vom architekten in ruhe gelassenen handwerkern immer gegeben. Kein mensch wunderte sich, daß für ein paar schuhe bei dem einen schuster zehn, bei einem andern fünfzig kronen bezahlt wurden, obgleich beide paare nach ein und derselben „zeichnung“ im schuhmacherjournal gearbeitet waren. Aber wehe dem tischler, der bei einer ausschreibung fünfzig prozent mehr als sein konkurrent verlangt hätte! Da wurde nach material und arbeit nicht unterschieden, und der teure mann, der die bessere arbeit liefern wollte, wurde als schwindler gebrandmarkt.

So gab dieser gute arbeiter es auf und lieferte so schlecht wie die andern. Auch das haben wir den künstlern zu verdanken.

Man bedenke, daß edles material und gute arbeit fehlende ornamentik nicht etwa bloß aufwiegen, sondern daß sie ihr an köstlichkeit weit überlegen sind. Ja, sie schließen die ornamentik aus, denn selbst der verkommenste mensch wird sich heute scheuen, eine edle holzfläche mit intarsien zu verzieren, das seltsame naturspiel einer marmortafel zu gravieren oder einen herrlichen silberfuchs in kleine quadrate zu zerschneiden, um damit ein schachbrettmuster mit anderem pelzwerk zusammenzustückeln. Vergangene zeiten kannten die wertschätzung des materials, wie wir sie fühlen, nicht. Da konnte man leicht – und ohne gewissenbisse – ornamentieren. Wir haben für die ornamentik früherer perioden herrlicheres eingetauscht. Das edle material ist gottes wunder. Gerne gebe ich für eine wertvolle perlenschnur alle kunstwerke [347] Laliques oder den ganzen schmuck der Wiener Werkstätte.

Was weiß aber auch der „künstler“, der am reißbrett sitzt, von der fanatischen besessenheit des perlenhändlers, der jahre seines lebens damit zubringt, eine perlenreihe zusammenzustellen, oder von den tiefen nöten des tischlers, der ein edles holz gefunden hat und nun eine bestimmte arbeit daraus verfertigen will?!

Im jahre 1898 wurde jedes holz rot, grün, blau oder violett gebeizt – der architekt hatte ja einen farbenkasten zur verfügung –, und erst, als ich in meinem Café Museum in Wien zum ersten mal bei einer modernen arbeit mahagoniholz verwendete, kamen die wiener darauf, daß es nicht nur phantastische formen und farben, sondern auch verschiedenes material gibt.

Und auch verschiedene arbeit. Weil ich dies wußte und achtete, leben einfache möbel, die ich vor zwanzig jahren geschaffen habe, heute noch und sind im gebrauch (so ein speisezimmer in Buchs bei Aarau). Die phantasieerzeugnisse des secessions- und jugendstils jener Zeit sind verschwunden und vergessen.

Material und arbeit haben das recht, nicht alle jahre durch neue modeströmungen entwertet zu werden.