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Johann Karl August Musäus (Gartenlaube 1887)

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Textdaten
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Titel: Johann Karl August Musäus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 723
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[709]

Johann Karl August Musäus.

[723] Johann Karl August Musäus. (Mit Portrait S. 709.) Am 28. Oktober sind es hundert Jahre, seitdem in Weimar der liebenswürdige Erzähler dahingeschieden, der neben einem Goethe, Herder und Wieland freilich nur auf einem bescheidenen Piedestal stand, dessen Werke aber zum Theil jetzt nach hundert Jahren sich noch so frisch erhalten haben, wie die Werke der Klassiker.

Musäus war am März 29. März 1735 in der Universitätsstadt Jena geboren. Sein Vater war dort Amtscommissarius und Landrichter und selbst eines Pfarrers Sohn, wie auch seine Mutter die Tochter eines Geistlichen. Der junge Musäus lenkte in die Bahnen seiner Vorfahren ein, studirte Theologie, kam aber nicht dazu, eine Kanzel zu besteigen; denn die Dorfgemeinde, der ihn die geistliche Oberbehörde zugewiesen hatte, weigerte sich, ihn zu wählen, weil er einmal als Kandidat sich an einem Tanzvergnügen betheiligt hatte. So begab er sich nach Weimar, wo er 1763 Pagenhofmeister wurde und seit 1770 eine Professur am Gymnasium bekleidete. Die sittenstrengen Bauern, die ihn als Seelenhirten ablehnten, haben sich damit ein Verdienst um unsere Litteratur erworben: denn als Geistlicher würde er schwerlich die Werke verfaßt haben, die ihm einen Namen gemacht. Die Eingebungen seiner guten Laune, denen er in seiner freieren Stellung rückhaltlos folgen durfte, würden ihn in Konflikt mit einem kirchlichen Amt gebracht haben.

Musäus hatte eine satirische Ader; er verstand nach berühmten Mustern zu dichten und verkehrte Zeitrichtungen durch seine Parodieen zu geißeln. Da war damals von England die Mode der großen bürgerlichen Romane herübergekommen; Richardson war mit seinem „Grandison“, seiner „Pamela“ und „Klarissa“ der Held des Tages geworden. Diese weitschweifigen Romane hatten allerdings die Absicht, die Menschen zu bessern und zu belehren; aber es geschah dies im Ton einer so falschen Empfindsamkeit und affektirten Rührseligkeit, daß ein gesunder Sinn und Geschmack sich unangenehm davon berührt fühlen und dagegen Protest erheben mußte. Das geschah durch Musäus in seinem Roman: „Grandison der Zweite“ (2 Bände, 1760 bis 1762), in welchem er, sich an das Vorbild des Don Quixote anlehnend, den Roman Richardson’s parodirte. Und als der fromme Züricher Lavater mit seiner Physiognomik der Menschenkenntniß in stürmischer Weise neue Gebiete erobern wollte, wobei es nicht ohne abenteuerliche Auslegungen und den quacksalbernden Prophetenton selbstgewisser Weisheit abging, da geißelte Musäus die Auswüchse dieser neuen aufdringlichen Lehre in seinem Werke: „Physiognomische Reisen“ (1778 bis 1779), eine Schrift, die durch ihren schlagenden Witz dem Autor eine große Zahl von Freunden erwarb.

Diese Werke, so geistreich sie waren, so sehr sie in die damalige Zeit eingriffen, verschwanden doch wieder mit den Zeitrichtungen, die sie geißelten, und ließen ihre Spur nur in der Geschichte des deutschen Schriftthums zurück. Zu bleibendem Genuß aber auch für die Nachwelt erhielten sich „Die Volksmärchen der Deutschen“ (5 Bde. 1782 bis 1787), in welchen das graziöse Erzählertalent von Musäus seine unbestrittenen Triumphe feiert. Hier zeigt er sich als ein Jünger Wieland’s, dessen „Oberon“ er ein schön versificirtes Märchen von achtzehn oder mehr tausend Reimen nennt: das waren die anmuthigen Plaudereien, wie sie aus der Feder des schalkhaft lächelnden Meisters der attischen Grazie flossen. und doch war ein nicht unwichtiger Unterschied zwischen den Beiden bemerkbar: Wieland huldigte vielfach der orientalischen, noch mehr der französischen Dichtweise; davon wollte Musäus nichts wissen. „Reichthum an Erfindung, Ueppigkeit und Ueberladung an seltsamen Verzierungen zeichnet die morgenländischen Stoffe und Erzählungen; Flüchtigkeit in der Bearbeitung, Leichtigkeit und Flachheit in der Anlage die französischen Feeerieen und Manufakturwaaren, Anordnung und Uebereinstimmung und handfeste Komposition die Geräthschaft der Deutschen und ihre Dichtungen.“

So spricht sich Musäus aus, und damit entscheidet er sich für das deutsche Märchen.

Freilich, nicht für das Kindermärchen, wie es die Grimm’s und ihre Nachfolger geschaffen oder aus der Ueberlieferung des Volkes heraus in der ursprünglichen naiven Form dem Schriftthum angeeignet haben. Das einfach Herzige, Kindliche, Schlichte liegt den Märchen von Musäus fern; er selbst will ja nicht im Kinderton der Märchen „einer Mutter Gans“ erzählen. Gleichwohl lehnen sie sich an deutsche volksthümliche Stoffe an; die Darstellungsweise aber ist eine geistreiche; die freispielende und freischaffende Phantasie des Erzählers kommt zu ihrem vollen Rechte. Feine Ironie, schalkhafter Muthwille streuen ihre wechselnden Lichter darüber; immer aber wirkt die Fabel mit selbständigem Reiz, ohne sich in ein Sprühfeuer willkürlicher Phantasiespiele zu verflüchtigen, wie bei Ludwig Tieck und seiner Schule; die Legenden von „Rübezahl“, „Michilde“, eine Neudichtung des Märchens von „Schneewittchen“, „Die Nymphe des Brunnens“, „Der geraubte Schleier“ und viele andere dieser Märchen werden noch heute wie vor hundert Jahren die Leser erfreuen.

Und so sei das Gedenkblatt zur Säkularfeier dem bescheidenen Erzähler gewidmet, dessen heiter lächelnder Charakterkopf im Album unserer Litteratur immer seine Stelle finden wird. †