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RE:Ἴκριον

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Hölzernes Gerüst
Band IX,1 (1914) S. 992995
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Ἴκριον oder ἰκρίον, meist pluralisch gebraucht, ionisch-attischer terminus technicus für jede Art hölzerner Gerüste.

I. Schaugerüste (Tribünen) für Zuschauer, benutzt bei ἐκκλησίαι (Suid. ἰκρία, Schol. Aristoph. Thesm. 395) und besonders bei szenischen Aufführungen. Beschrieben z. B. als ὀρθὰ ξύλα, ἔχοντα σανίδας προσδεδεμένας οἷον βαθμούς, ἐφ’ αἱς ἐκαθέζοντο (Hesych. παρ’ αἰγείρου θέα). Solche Gerüste werden auch sonst erwähnt (Dion. Hal. ant. III 68, vgl. Cass. Dio XLIII 22), besonders aber in Athen, wo ἴκρια im 5. Jhdt v. Chr. schlechthin den Zuschauerraum des Theaters bedeutet (Aristoph. Thesm. 395. Kratinos frg. inc. 51 Mein.). Die verschiedenen Überlieferungen behandeln Wachsmuth Stadt Athen I 510. II 495. v. Wilamowitz Herm. XXI 1886, 597. Dörpfeld-Reisch Das griech. Theater 29. Judeich Topogr. v. Athen 65. 304. Foucart Mém. de l’Acad. des Inscr. XXXVII 2 (1906), 104. An folgenden Orten Athens gab es hölzerne Zuschauertribünen:

1. Auf dem Markt. Hier hat v. Wilamowitz mit Recht zwei Reihen von Nachrichten geschieden, die die Späteren (so besonders Maass De Lenaeo et Delphinio IXf.) wieder durcheinandergeworfen haben: A) Eratosthenes (frg. 3 bei Strecker De Lycophrone Euphronio Eratosthene comicorum interpretibus, 1884, 22; der Name genannt bei Hesych. παρ’ αἰγείρου θέα) teilte zur Erklärung einer Kratinosstelle (frg. 339 Kock bei Phot αἰγείρου θέα = Bekker Anekd. I 354, 25) folgendes mit. Vor dem Bau des θέατρον (d. h. des lykurgischen Steintheaters) wurden in Athen (stets nur Ἀθήνησι, ohne nähere Ortsangabe) ἴκρια aufgeschlagen, auf denen, das Volk saß; wer auf ihnen keinen Platz fand, schaute von der Gegend einer höhergelegenen, nahen ἀἰγερος her zu. Was das Volk sah (θεωρεῖν, θεᾶσθαι), wird nie gesagt. Quellen: Hesych. παρ’ αἰγείρου θέα, Phot. αἰγείρου θέα (= Bekker Anecd. I 354, 25), Hesych. θέα παρ’ αἰγείρου [993] (Phot. θέαν παρ’ αἰγείρου, Eustath. Od. V 64), Suid. αἰγείρου θέα (= Hesych. αἰγείρου θέα). Bei Suid. ἀπ’ αἰγείρου θέα wird statt ἴκρια ungenau θέατρον gesagt (ἐπάνω τοῦ θεάτρου). B) Wahrscheinlich auf den Lexikographen Pausanias (vgl. Eustath.) gehen die gleichlautenden Notizen Phot. ἴκρια = Eustath. Od. III 350 zurück: τὸ ἐν τῇ ἀγορᾷ, ἀφ’ ὧν ἐθεῶντο (τὸ παλαιὸν) τοὺς Διονυσιακοὺς ἀγῶνας πρὶν ἣ (κατα-)σκευασθῆναι τὸ ἐν Διονύσου θέατρον. Dabei ist zweierlei neu: a) die genaue Ortsangabe ἐν τῇ ἀγορᾷ b) das Ziel des Schauens sind die dionysischen Agone. Daß hier etwas nicht in Ordnung sei, hat v. Wilamowitz 598 erkannt. Er verwarf deshalb a) und dachte diese ἴκρια im Dionysosbezirk an der Burg. Doch das ist unwahrscheinlich (vgl. Maass a. a. O. Oehmichen S.-Ber. Akad. Münch. 1889 II 133. 135), denn daß am Markt eine einzelne αἴγειρος stand, wissen wir auch durch weitere Nachrichten (Hesych. ἀπ’ αἰγείρων; vgl. auch die zu den ἴκρια gehörige Orchestra Phot. s. ὀρχήστρα, Tim. lex. Plat. s. ὀρχήστρα und die ἰκριοποιοί der ἀγορά Pollux VII 125), und es ist kein Grund, mit Wachsmuth und v. Wilamowitz die Identität der beiden Bäume zu bezweifeln. So scheint der Fehler in b) zu stecken. Denn daß man auf dem Markt dionysische Agone veranstaltete, ist nur hier gesagt, während es feststeht, daß man mindestens vom 5. Jhdt. ab in den dionysischen Heiligtümern spielte (vgl. u. nr. 2 und 3). Daher wird man dem Pausanias hier den Glauben versagen, und dieser Irrtum ist leichter zu erklären als der von v. Wilamowitz angenommene, besonders wegen der Erwähnung des lykurgischen Theaters, das aber bekanntlich nicht nur den dionysischen Agonen diente. Die Marktorchestra mit ihren ἴκρια wird bestimmt gewesen sein für ἐκκλησίαι (daher sagt Tim. lex. Plat. ὀρχήστρα· τόπος ἐπιφανὴς εἰς πανήγυριν) und anscheinend einen Teil der panathenäischen Agone (vgl. Athen. IV 167 F); worauf Kratinos anspielte (s. o.), ist ungewiß. Die genaue Lage ist kontrovers (vgl. Judeich 306. Robert Pausanias als Schriftsteller 315). Für den Zusammenhang dieser Orchestra mit einem Heiligtum spricht nichts (trotzdem mehrere Gelehrte hier das Lenaion suchen, vgl. u. nr. 3); daher war ihr Zweck wohl meist ein profaner.

2. Im Bezirk des Eleuthereus (ἐν Διονύσου) am Südabhang der Akropolis, an der Stelle des späteren von Lykurg vollendeten steinernen Zuschauerraums. Hier ist eine alte Orchestra gefunden (Dörpfeld-Reisch 26ff.), die Dörpfeld unbedenklich ins 8. Jhdt. v. Chr. datiert, die also wohl aus der Gründungszeit des Bezirks (vor 534, vgl. zuletzt Frickenhaus Arch. Jahrb. XXVII 1912, 72, 3) stammt. Daher hat auch Dörpfeld 29f. mit Recht die Möglichkeit erwogen, daß hier seit dem 6. Jhdt. ἴκρια bestanden und daß es diejenigen sind, die nach der Überlieferung um 500 (Suid. s. Κρατίνας) und angeblich auch später (um 458, Suid. s. Αἴσχυλος) zusammenbrachen. Weil der Lexikograph Pausanias (vgl. o. nr. 1) dionysische Agone auf der Marktorchestra bezeugt, so nimmt man gewöhnlich eine spätere Übertragung in den Eleuthereusbezirk an (Judeich 65. 276 und vorher Fleckeisens Jahrb. CXXXIII 1890, 745); schwerlich mit Recht, weil das Zeugnis verdächtig ist. Wielange [994] die ἴκρια bestanden, ist unsicher. Kratinos und Aristophanes (s. o.) erwähnen sie noch, und daher muß man den Nachrichten, die den Bau eines festen Theaters mit dem Einsturz um 500 in Verbindung bringen (Suid. s. Πρατίνας), wohl den Glauben versagen (W. Schmidt Philol. 1889, 573f.). Die Ausgrabung hat allerdings Erdanschüttungen erwiesen, deren unterste Schicht fast ausschließlich solche Vasenscherben enthielt, die älter als das J. 500 waren; nur vereinzelte Scherben reichten in das 5. Jhdt. hinein Dörpfeld-Reisch 30f.). Daraus schloß Dörpfeld 31 (vgl. auch A. Körte Rhein. Mus. LII 171), daß nach dem Einsturz der ἴκρια ein θέατρον aus Erde hergestellt und dieses erst später durch das steinerne ersetzt wurde. Aber ἴκρια ohne Aufschüttungen sind an dieser Stelle wohl überhaupt nicht möglich, und daher wird wirklich bis zum lykurgischen Bau mindestens noch ein Teil der Zuschauer auf ἴκρια gesessen haben, wie es die Komödie bezeugt. Das Vorhandensein verschiedener Aufschüttungen, die durch die Scherben datiert werden, erklärt sich gut durch ihre Verbindung mit den ἴκρια, die ja wegen ihres Materials von Zeit zu Zeit erneuert werden mußten, wenn sie nicht überhaupt zu jedem Fest neuaufgeschlagen wurden (vgl. die ἰκριοποιοί der Agora).

3. Im Lenaion. Allerdings sind hier ἴκρια nicht direkt bezeugt Aber wir wissen, daß im Lenaion Agone stattfanden, die nach dem Bau des lykurgischen Theaters in dieses verlegt wurden (Etym. M. s. ἐπὶ Ληναίῳ. Bekker Anecd. 278 s. Λήναιον. Phot. s. Λήναιον. Hesych. s. ἐπὶ Ληναίῳ ἀγών). Dementsprechend spricht Pollux IV 121 von einem Ληναῖκὸν θέατρον, dessen Zuschauerraum wohl nur aus ἴκρια bestehen konnte. Die ursprünglich im Lenaion aufgeführten Agone waren naturgemäß nur die Lenäenspiele; die Überlieferung sagt das zwar nicht ausdrücklich, doch hat v. Wilamowitz 618 Anm. mit Recht vermutet, daß in der Quelle von Hesych s. ἐπὶ Ληναίῳ ἀγών statt des letzten Wortes in dem Satze ἐν ᾧ ἐπετελοῦντο οἱ ἀγῶνες Ἀθηναίων vielmehr Ληναίων gestanden habe. Wenn übrigens A. Körte Rhein. Mus. LII 171 die Verlegung der Lenäenspiele in den Eleuthereusbezirk bereits auf den Anfang des 5. Jhdts. datiert, so scheint das nicht richtig, vgl. nr. 2. Der Ort des Lenaion ist noch strittig; vgl. zuletzt Frickenhaus Arch. Jahrb. XXVII 1912, 80ff. und 72. Berl. Winckelmann-Programm (1912), wonach es außerhalb der Stadt zu suchen ist. Diejenigen Gelehrten, die es im Innern der Stadt ansetzen, identifizieren zum Teil das Ληναικὸν θέατρον mit den Markt-ἴκρια (Dörpfeld Athen. Mitt. XX 1895, 369; vgl. vorher XVII 1892, 257. Foucart 104); andere suchen es beim Dionysion ἐν λίμναις; (Judeich 263; weitere Literatur Athen. Mitt. XXXVI 1911, 114 Anm.).

II. Andere Bedeutungen. 1. Schiffstechnisch, mehrfach bei Homer und dort schon im Altertum zum Teil verschieden erklärt, vgl. den Art. Navis.

2. Dauernde Schranken, z. B. um eine Statue herum. IG IV 39, 5 ἴκρια περὶ τὸ ἕδος im Inventar, das die attischen Kleruchen im Aphaiabezirk von Aigina aufnahmen; in der Ruine noch nachzuweisen an vier quadratisch die Kultbildbasis umgebenden Löchern (Furtwängler Aegina, [995] das Heiligtum der Aphaia 43 Taf. 81. 82). IG I 319, 22 ἰκριῶσαι περὶ τὼ ἀγάλματε im Hephaistieion von Athen (vgl. u. nr. 3). Dittenberger Syll. 550 (Michel 77), 28 im Neleion von Athen: die Inschrift war aufgestellt im Bezirk παρὰ τὰ ἴκρια. Die Deutung ist unsicher (Judeich 346); am wahrscheinlichsten ist Dittenbergers Vermutung, daß es sich um irgendwelche Schranken (vielleicht um das Heroon?) handelte. Große Konfusion bei Foucart 106; er identifiziert das in der Inschrift genannte Dionysion mit den λίμναι, diese wieder mit dem Lenaion, und so sollen die ἴκρια gleich dem θέατρον Ληναϊκόν sein. Aber jenes Dionysion ist der Bezirk des Eleuthereus (Judeich 131, 15), und da die genannten ἴκρια innerhalb des Neleion lagen, sind auch Foucarts weitere Vermutungen falsch.

3. Baugerüste (auch ἰκριωματα), die während der Arbeit an hochliegenden Stellen aufgeschlagen und nachher wieder abgebrochen werden. Beispiele: IG I 324 a 14. 21 II 32. Dittenberger Syll. 587, 178. So erklärt auch Reisch Österr. Jahresh. I 1898, 57 die unter 2) erwähnte Inschrift IG I 319, 22.

4. Pfahlhäuser oder die sie tragenden Balken: Herodot. V 16. Strab. XII 549.

5. Martergerüst (= σταυρός, Kreuz): Hesych. Suid. ἰκρίον.

6. Über das angebliche ἴκριον auf dem Grabe des Thukydides (Marcell. v. Thuc. 31) vgl. v. Wilamowitz Herm. XII 1877, 350 und Unger in Fleckeisens Jahrb. CXXXIII (1886) 152 (wo S. 153f. im allgemeinen über ἴκρια gehandelt wird).