RE:Aerarium 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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populi Romani im Saturntempel mit dem Vermögen römischen Gemeinde
Band I,1 (1893) S. 667 (IA)–671 (IA)
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Aerarium. 1) Aerarium populi Romani (aerarium Saturni). Local: Seit die römische Gemeinde selbständig ihr Vermögen verwaltete, befand sich ihr Schatz in den Räumen des Saturntempels (im Keller oder in der Cella?) unterhalb des Capitoliums. Von der spätesten Ausgestaltung des Tempels sind noch der Unterbau und die Vorhalle mit 6 Säulen an der Front und 2 an den Seiten samt dem darüberliegenden Gebälk [668] erhalten. Jordan Röm. Topogr. I 1, 361f. Der Tempel ist nach der Überlieferung (vgl. Jordan Eph. ep. III p. 65f.) im J. 253 = 501 oder 257 = 497 erbaut worden, die Schatzkammer darin legte (nach Plut. Popl. 12) angeblich Valerius Poplicola an, und hier verblieb der senatorische Schatz auch in der Kaiserzeit (Jordan Topogr. I 1, 363, 71; daselbst auch die Belege für die Bezeichnung des A. Zeugnisse auch bei Ruggiero Diz. epigr. I 300). Die nötigen Kanzleilocale haben sich in der Nähe befunden (Jordan a. O. 365 ‚auf dem Platze hinter dem Tempel‘; vgl. Gilbert Gesch. und Topogr. Roms III 161, 3), seit der Errichtung des Tabulariums, von dem noch heute gewaltige Reste auf das Forum und die Achtsäulenruine herabblicken, teilweise wohl auch in diesem. Becker Handb. I 317. Jordan 147ff. Gilbert 166.

Inhalt des A. Schon der Name (‚Kupferkammer‘) deutet auf den hauptsächlichsten Bestandteil des ältesten Schatzhauses hin, der auch durch das übrige Detail, das wir von der ältesten Geldgebarung der italischen Gemeinden wissen, postuliert wird. Es entspricht dem Zurücktreten des Kupfers im Grossverkehr sehr wohl, dass schon lange, bevor Gold- und Silbermünzen geschlagen wurden, Silber- und Goldbarren in die Staatskasse gebracht wurden; vgl. Varr. de vit. p. R. III bei Nonius p. 520 nam lateres argentei atque aurei primum conflati atque in aerarium conditi und die Berichte über die bei den Triumphen aufgeführten Beträge in Wertmetallen. Die Einkünfte aus der nach der Lex Manlia (397 = 357) angeordneten 5% Freilassungssteuer (vicesima manumissionum) waren, wie es scheint, von vorne herein in Gold zu zahlen; denn im J. 545 = 209 belief sich dieses aurum vicesimarium, quod in sanctiore aerario ad ultimos casus servabatur (Liv. XXVII 10, 11), schon auf ungefähr 4000 Pfund Goldes (1310 kg.). Späterhin lag hauptsächlich Gold, dann auch Silber in der Staatskasse, so im J. 597 = 157 (Plin. n. h. XXXIII 55) 17 410 Pfund Goldbarren, 22 070 Pfund Silberbarren und 18 260 Pfund in Münze (6 135 400 Sesterzen), im J. 705 = 49 15 000 Goldbarren, 30 000 Silberbarren und in Münzen 30 000 000 Sesterzen = 89 2855/7 Pfund. Aber auch andere Stoffe, die in geringen, schwer verwüstlichen Stücken hohe Werte darstellten, wurden im A. deponiert; so entnahm ihm (Plin. n. h. XIX 40) der Dictator Caesar ausser jener Summe in Gold und Silber auch 1500 Pfund (491 kg.) von Laserpicium, dem eingedickten Safte des als Medicinalpflanze sehr geschätzten Silphion. Auch wurden während der Republik im A. die Feldzeichen der Legionen von den Quaestoren aufbewahrt (Liv. III 69, 8. IV 22, 1. VII 23, 3); ferner die die Geldforderungen und Geldschulden des Staates darstellenden Urkunden; so die Rechnungslegungen der Provinz-Statthalter (z. B. Cic. in Verr. act. sec. I 37. III 183; in Pis. 61. Tac. ann. XIII 28. Gell. IV 18, 9), die Contracte des Staates mit den Privaten (subsignare apud aerarium Cic. pro Flacc. 79), die Ausweise in Betreff der Besoldung und Reisediäten (Cic. ad fam. V 20, 7. SC von 743 = 11 bei Front. de aquis 100. Plut. q. R. 43. Modestinus Digest. IV 6, 32 u. a.; vgl. Mommsen [669] St.-R. II³ 545, 4), die von den Censoren angelegten Verzeichnisse der steuerpflichtigen Personen (Liv. XXIX 37, 12, vgl. XXXIII 42, 4), gewiss auch alle die Urkunden und Rechnungsbelege, die mit der Verpflichtung der Quaestoren, die Strafgelder einzuheben (SC vom J. 743 = 11 bei Front. de aquis 127. Mommsen a. O. 550f.), die Kriegsbeute vom Feldherrn zu übernehmen (Liv. XXXII 2, 2. XLII 6, 11. Cic. ad fam. II 17, 4; in Verr. act. sec. I 57, dort das Protokoll über die rationes relatae P. Servilii) und mit ihren sonstigen Kassenmanipulationen (Mommsen 551ff.) zusammenhingen.

Ebenso werden Documente nicht finanzieller Art, deren Erhaltung im Interesse des Staates nützlich erscheint, im A. hinterlegt, und dieses wird dadurch zum wichtigsten Staatsarchiv ausgestaltet. Ohne die Ausgestaltung des römischen Archivwesens genauer zu verfolgen, seien folgende Archivbestände des A. genannt: die Senatsbeschlüsse wurden unter der Aufsicht der Quaestoren, curulischen Aedilen und Volkstribunen hier aufbewahrt und controliert, seit 743 = 11 (Dio LIV 36, 1) blos von den Quaestoren; vgl. Plut. Cato min. 17. Joseph. Ant. Jud. XIV 219 δόγμα συγκλήτου ἐκ τοῦ ταμιείου ἀντιγεγραμμένον ἐκ τῶν δέλτων τῶν δημοσίων τῶν ταμιευτικῶν, Κοίντῳ Ῥουτιλίῳ … Κορνηλίῳ ταμίαις κατὰ πόλιν, δέλτῳ δευτέρᾳ καὶ ἐκ τῶν πρώτων; SC von Aphrodisias Le Bas III 1627 ἐκ τῶν ἀν[αγεγραμμένων κεφαλαίῳ … π]έμπτῳ ἕκτῳ ἑβδόμῳ ὀγδόῳ ἐνάτῳ τα[μιευτικῶν δέλτων … ταμι]ῶν κατὰ πόλιν δέλτῳ πρώτῃ (s. Acta oben S. 288 und Mommsen a. O. 548, 2). Die Lex Licinia Iunia 692 = 62 bestimmte, ne clam aerario legem inferri liceret, quoniam leges in aerario condebantur (Schol. Bob. 310), also bestand damals die Anmeldepflicht für Volksbeschlüsse; vgl. Cic. de leg. III 11. 46. Suet. Caes. 28. Serv. Aen. VIII 322, dazu Mommsen St.-R. II³ 546, 2; für die Zeit des Bundesgenossenkriegs Sisenna fr. 117 Peter (perseveraverunt, uti lex veniret ad quaestorem); Servius (a. O.) scheint diesen Gebrauch sehr hoch hinauf zu datieren. Im A. werden weiters die Eide der Senatoren und Beamten in leges protokolliert (Val. Max. II 8, 1 auf Grund einer Lex Maria [oder Marcia?]-Porcia de triumphis vom J. 692 = 62; Lex Lat. tab. Bantinae CIL I 197, 21. 24) und die Geschworenenlisten (Cic. Phil. V 15); anderes wie Wahlprotokolle, Aufzeichnung der Bundesgenossen u. ä. fügt Mommsen (547, 1–3) mit grosser Wahrscheinlichkeit hinzu. Ferner hat Kaiser Marcus (Hist. Aug. 9, 7) befohlen, apud praefectos aerarii Saturni unumquemque civium natos liberos profiteri intra tricensimum diem nomine imposito: per provincias tabulariorum publicorum usum instituit u. s. w., vgl. Hist. Aug. Gord. 4, 8 und Marquardt Handb. VII² 87, 2.

Einkünfte: s. Tributum, Vectigal, Bona u. s. w.

Dispositionsrecht. Dieses steht während der Republik dem Senate zu und bildet die Hauptstütze seiner Machtstellung. Kein Beamter vermag anders als nach Bewilligung des Senats Gelder aus dem A. zu beheben (Willems sénat II 436ff.), und der Senat greift allenthalben, wo es sich darum handelt, die Interessen der Staatskasse [670] zu sichern, direct in die Executive ein (Mommsen St.-R. III 1141). Daran änderte das kaiserliche Regiment wohl zunächst nichts; die Einkünfte des Senats fliessen nach wie vor in das Α., und der Senat verfügt über sie nach eigenem Ermessen, während der Kaiser die ihm zufallenden Staatseinnahmen im Fiscus als in seiner Privatkasse vereinigt. Aber seit die Kaiser die Vorsteher des A. nicht mehr durch den Senat wählen oder auslosen liessen, musste factisch der Senat viel von seinem Rechte einbüssen, wenigstens gegenüber gewaltthätigeren Kaisern und in den so häufigen Zeiten grosser finanzieller Bedrängnis. Die Scheidung zwischen dem kaiserlichen fiscus und dem senatorischen A. bleibt also bestehen, allerdings so schwach, dass Dio (LIII 22, 3) von der augusteischen Zeit sagen kann: οὐ γὰρ δύναμαι διακρῖναι τοὺς θησαυροὺς αὐτῶν κτλ., und Kaiser Marcus bittet ganz formell (Dio LXXI 33, 2) den Senat um einen Beitrag zu den Kriegsvorbereitungen, freilich οὐχ ὅτι μὴ ἔκειντο ἐπὶ τῇ τοῦ κρατοῦντος ἐξουσίᾳ, ἀλλ’ ὅτι ὁ Μάρκος πάντα τῆς βουλῆς καὶ τοῦ δήμου καὶ αὐτὰ καὶ τἄλλα ἔλεγεν εἶναι. Die Juristen (z. Β. Ulp. frg. 28, 7. 17, 2. Callistr. Dig. XLVIII 20, 1, 1) scheiden consequent die Senatskasse und den fiscus; die vom s. p. q. R. ausgeführten Bauten und Chausseen, sowie das Recht der eigenen Kupferprägung verlangen eine wenigstens de iure unabhängige Kassengebarung des Senats im A. Das Detail darüber und über die Beteiligung des A. an den Ausgaben des Princeps s. bei Mommsen St.-R. III 1143ff. II 1012f. 1039. 1050. 1079; teilweise dagegen Hirschfeld Untersuchungen I 11. Allmählich flossen die meisten Einnahmen in den Fiscus, und die Senatskasse sank zu einer Communalkasse herab, einer arca publica mit localen Einkünften (vgl. aber Mommsen St.-R. III 1013, 3. 1026, 2); s. Arca publica.

Leitung. Die Oberaufsicht hatten die städtischen Quaestoren, (s. Quaestor), die auch die Schlüssel zum A. führten (Polyb. XXIII 14, 5 und Mommsen St.-R. II 132, 2), so dass sie zwar in keiner Weise frei über Kasse und Archiv verfügen konnten, dass aber zur wirksamen Controle der Oberbeamten nichts im A. ohne ihre Mitwirkung erfolgte. Das Bedenkliche, was darin lag, dass zwei junge, unerfahrene Männer die Leitung eines grosse Geschäftskenntnis erheischenden Amtes besorgten und am Ende ihres Amtsjahres eben solchen Nachfolgern überliessen, so dass die factische Leitung in den Besitz der subalternen Beamtenschaft kam, die von einem Collegium auf das andere überging, veranlasste Caesar zu Vorbereitungen für eine Reform des Kassen- und Archivwesens. Sie kündigte sich im iulischen Municipalgesetz in der Formel q(uaestor) u(rbanus) queive aerario praeerit (CIL I 206, 48) an. Da 709 = 45 die Wahl der Quaestoren unterblieben war, verteilte Caesar ihre Agenden unter verschiedene Beamte, τούς τε οὖν θησαυροὺς τοὺς δημοσίους δύο τότε τῶν πολιανομούντων διῴκησεν (Dio XLIII 48, 3). Im J. 726 = 28 brachte Octavianus den Senat dazu, aus den Praetoriern jährlich zwei praefecti aerarii Saturni zu wählen (Suet. Oct. 36. Dio LIII 2, 1. Tac. ann. XIII 29); statt dieser traten 731 [671] = 23 zwei der amtierenden Praetoren, die durch das Los hiezu bestimmt wurden, an die Spitze des Α., praetores aerarii oder ad aerarium (Tac. und Suet. a. O., dazu Tac. ann. I 75. Frontin. de aquis 100. Dio LIII 32, 2. LX 4, 4. 10, 3. CIL V 4329. VI 1265. IX 2845. 5645. X 5182. XIV 3607; ihr Verzeichnis Ruggiero Diz. epigr. I 303). Tiber bestellte eine dreigliedrige Senatscommission, welche, neben den praetores aerarii functionierend, die alten Akten vervollständigen und für die Zukunft sicher stellen sollte (Dio LVII 16, 2), curatores tabularum publicarum oder tabulariorum publicorum (CIL VI 916 – noch aus dem J. 46 n. Chr. – X 5082. Bormann Ungedruckte lat. Inschriften, Berlin 1871, 19); Kaiser Claudius setzte 42 eine andere dreigliedrige senatorische Commission zur Eintreibung der Rückstände ein (Dio LX 10, 4; ähnliche Commissionen Mommsen St.-R. II³ 642). Claudius ging 44 von dem Principe, das A. durch Praetoren zu verwalten, ab und kehrte zu den Quaestoren zurück; sie wurden von ihm auf drei Jahre bestellt, führten den Titel quaestores aerarii Saturni und erhielten für energische Amtsführung Belohnungen in Aussicht gestellt (Tac. ann. ΧΙΙΙ 29. Suet. Claud. 24. Dio LX 24, 1. 2. CIL VI 1403. Bormann a. O.). Nero setzte 56 zwei praefecti aerarii Saturni ein, die aus den Praetoriern genommen wurden (Tac. ann. XIII 28. 29) und längere Zeit hindurch im Amte blieben (CIL VI 1945 aus J. 60: praef. aer. Sat. ann(o) IIII; der jüngere Plinius und Cornutus Tertullus waren ebenso lange in diesem Amte; Mommsen Hermes III 90). Diese Ordnung wurde festgehalten (mit Ausnahme des J. 69?, vgl. Tac. hist. IV 9), daher sind die inschriftlichen Erwähnungen dieses Amtes (griechisch ἔπαρχος αἰραρίου τοῦ Κρόνου CIG 4033. 4034. ἔπαρχος τοῦ ταμιείου Plut. q. R. 43; Vgl. Ruggiero I 302f.) zahlreich. Dass die beiden praefecti aerari Saturni und die drei praefecti aerari militaris gewissermassen als ein Collegium angesehen wurden, folgert Mommsen (Hermes III 90; St.-R. II³ 1012) aus Plin. ep. III 4, 3; doch galt die Praefectur beim Saturntempel offenbar als höher, da Plinius und Cuspius Rufinus (CIL X 8291) zu ihr von jener aufstiegen.

Subalternbeamte. Die eigentlichen, sehr ausgebreiteten Kanzleigeschäfte besorgten die scribae librarii quaestorii ab aerario, den niederen Dienst die viatores quaestorii mit ihren tabularii, die praecones quaestorii, actores publici, publici a censibus (s. d.); ein publicus promotus ad tabulas quaestorias transscribendas CIL VI 2086 p. 551 Z. 64 (155 n. Chr.).

Litteratur in den Handbüchern der römischen Topographie und der Staatsverfassung, besonders bei Mommsen St.-R. II³ 544ff. 557ff. III 1143ff. Ruggiero Diz. epigr. I 300ff. Hottenrott Wem gehörte im röm. Staate das Bestimmungsrecht und die Verfügung über den Staatsschatz? Emmerich 1862.