RE:Antiocheia 1

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Am Orontes
Band I,2 (1894) S. 2442 (IA)–2445 (IA)
Antiochia am Orontes in der Wikipedia
GND: 4112544-7
Antiochia am Orontes in Wikidata
Antiochia am Orontes bei Pleiades
Bildergalerie im Original
Register I,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|I,2|2442|2445|Antiocheia 1|[[REAutor]]|RE:Antiocheia 1}}        

Antiocheia (Ἀντιόχεια). 1) Am Orontes (Steph. Byz. nr. 1. Strab. XVI 719. Plin. n. h. V 66 u. a. Ptolem. V 15, 16. Hieron. Onom. ed. Lagarde 147, 23. Itin. Ant. 124. 139 u. a. Itin. Hierosol. 581. 584. Tab. Peut. Not. Dignit. Or. XI 21. 22. Hierokl. Synekd. 711. Tac. hist. II [2443] 78; Annal. II 73. 83. Joseph. Antiq. XVII 24 u. a.; bell. Iud. II 18, 5 u. a.; contr. Apion. II 4. Polyb. V 59 u. a. Appian. Syr. 57. Dion. Perieg. 920. Plut. Lucull. 21. Mart. Cap. VI 680. Auson. ed. Peiper 145, 15ff. 362. 223. Iulian. Procop. de bell. Pers. Theophan. Chronogr. Malalas Chronogr. Euagr. Libanius oft), mit dem Beinamen ἡ ἐπὶ Δάφνῃ (Strab. XVI 719. Plin. n. h. V 79 Epidaphne) nach einem nahe gelegenen Dorfe und Haine dieses Namens (s. Daphne), die Hauptstadt von Syrien (Strab. a. a. O.). A. war die wichtigste der von Seleukos Nikator gegründeten Städte. Schon vorher waren dort griechische Kolonien angesiedelt (Iopolis und Pagus Bottia, s. d.). Seleukos erbaute die Stadt im J. 300 v. Chr. zur Verherrlichung des Sieges bei Ipsus und benannte sie nach seinem Vater (Appian. a. a. O.; schwerlich nach seinem Sohne, Iulian. Misop. 347. Synkell. Chron. 520. Chron. Pasch. 75 Dind.). Die mit der Gründung verbundenen Sagen s. bei O. Müller Antiq. Antioch. 24f. Die Bewohner von Antigoneia (s. d. Nr. 1) wurden sogleich nach A. übergesiedelt (Strab. a. a. O. Diodor. XX 47 irrtümlich nach Seleukeia), später wurden die älteren Kolonien und einheimischen Niederlassungen dazugezogen und ein zweites Quartier gegründet (Malalas Chronogr. 199ff. Dind.). Ein dritter Stadtteil, die Neustadt, auf einer Insel im Fluss, wurde von Seleukos Kallinikos, ein vierter, am Bergabhang des Mons Silpius im Süden, von Antiochos Epiphanes hinzugefügt. Jedes einzelne dieser Quartiere war besonders ummauert, Antiochos umschloss alle vier mit einer gemeinsamen Mauer; daher nennt Strabon die Stadt eine ‚Tetrapolis‘. Die Tyche von A. hatte Eutychides, ein Schüler des Lysipp, in einer berühmten Statue dargestellt, von der wir auf Münzen mehrfache Nachbildungen besitzen (Paus. VI 2, 4. Mionnet V 108. 156f. 175ff. 205f. Abbildung s. Baumeister Denkmäler I 519). Die Bürger der Stadt zerfielen in 18 Demen, die sich selbst regierten. Zu Iulians Zeit werden 200 Decurionen, später Duumvirn als verwaltende Behörde genannt (Iulian. Misop. 367). Unter den Bewohnern erscheinen von Anfang an zahlreiche Juden, die von Seleukos Nikator gleiche Rechte mit den Griechen dort erhielten. Ihre Gerechtsame waren auf ehernen Tafeln aufgezeichnet und blieben ihnen erhalten auch nach der Zerstörung Jerusalems (Joseph. Antiq. XII 119ff.; bell. Iud. VII 3, 3. VII 5, 2; contr. Apion. II 4).

Rasch und grossartig blühte A. auf als Residenz der kunstliebenden Seleukiden, ein Centrum des Handels. Sie hiess ‚die grosse‘, ἡ μεγάλη, nächst Rom und Alexandrien galt sie als die grösste Stadt des ganzen Reiches (Joseph. bell. Iud. III 2, 4. Procop. bell. Pers. I 17. 87, 12ff. Chron. Pasch. 355 Dind.). Nicht mit Unrecht nannte man A. auch ‚die Schöne‘ (ἡ καλή Athen. I 75; orientis apex pulcher Ammian. Marcell. XXII 9, 14): prächtige Bauten schmückten sie, eine vierfache Säulenstrasse durchzog 36 Stadien lang (Dio Chrysost. II 134 Dind. Malalas Chronogr. 232f.) die ganze Stadt. Aber es fehlte der Hauch echten Griechentums; das Zusammentreffen von griechischen und syrischen Elementen ergab eine üppige und leichtsinnige Bevölkerung, die in politischer Beziehung durch charakterlosen Wankelmut, in [2444] religiöser Hinsicht durch Fanatismus und Aberglauben sich auszeichnete (Procop. bell. Pers. II 8, 186ff. Iulian. Misop. a. a. O. u. a.).

Als Syrien im J. 64 römische Provinz wurde, liess Pompeius den Antiochenern ihre selbständige städtische Verfassung (A. libera Plin. n. h. V 79. Chron. Pasch. 354f. Dind.). A. wurde Sitz der Statthalter von Syrien und Centrum der militärpolitischen Verwaltung. Caesar und Octavian, Agrippa und Herodes, Tiberius und Antoninus Pius und die andern Kaiser wetteiferten in der Verschönerung der Stadt durch grosse Prachtbauten trotz mannigfacher Empörung der Bewohner, da die Kaiser sich gerne dort aufhielten. Nicht weniger als 10 Erdbeben verheerten in den sechs ersten christlichen Jahrhunderten die Stadt, aber sie wurde stets herrlicher wieder aufgebaut (Malalas Chronogr. 207. 243. 246. 275 u. a.). Auch geistige Interessen fanden rege Pflege in A., Cicero rühmt die gelehrten und schönwissenschaftlichen Studien, die hier betrieben wurden (Cic. pro Archia 4).

Eine grosse Rolle spielte A. im Beginn des Christentums. Hier wurden zuerst die Glieder der neuen Gemeinschaft mit dem Namen Χριστιανοί bezeichnet (Apostelgesch. XI 26). Auch viele Märtyrer hatte die Stadt aufzuweisen (z. B. Bischof Ignatius). Die Tradition nahm nach Gal. II 11ff. an, dass Petrus sieben Jahre hier Bischof gewesen sei. Deshalb beanspruchte und behauptete der Patriarch von A., der Metropole des Orients, den Rang neben den Patriarchen von Rom und Konstantinopel. Das Patriarchat hat sich bei den orthodoxen und unierten Griechen und den Maroniten bis heute erhalten. Von 252–380 n. Chr. wurden hier 10 Kirchenversammlungen abgehalten. Auch die christlichen Kaiser, voran Konstantin, waren der Stadt gewogen und schmückten sie mit prachtvollen Bauten (berühmte Kirche des Konstantin). Am Anfang des 5. Jhdts. zählte die Stadt nach Johannes Chrysostomus 200 000 Einwohner (mit Ausschluss der Kinder und Sclaven und der Vororte), davon die Hälfte Christen (Joh. Chrysost. in S. Ignatium 3 T. II 597 ed. Montf.).

Aber von da an ging es abwärts. Zu verheerenden Erdbeben kam die Eroberung und Plünderung durch Chosrew Anuschirwân im J. 538 n. Chr. (Procop. bell. Pers. II 8f. Theoph. Chron. 147 c. Malalas Chron. 479f.). Die weggeschleppten Einwohner wurden eine Tagreise von Ekbatana in einer neuen Stadt angesiedelt, die den Namen Antiocheia des Chosroës erhielt (Procop. bell. Pers. II 14). Iustinian stellte die zerstörte Stadt unter dem Namen Theupolis wieder her, aber in kleinerem Umfang (Procop. de aedific. II 10 u. a.). Von 637–969 war A. im Besitz der Araber, die es 1084 wieder eroberten. In der Kreuzfahrerzeit wurde heftig um die Stadt gekämpft. A. war die Vaterstadt des Ammianus Marcellinus, des Libanius, des Joh. Chrysostomus und des Euagrius.

A. lag 120 Stadien vom Meer entfernt in der äusserst fruchtbaren und reizenden Ebene des unteren Orontesthales. Der jetzige See von A. wird im Altertum nicht genannt. Das heutige Antâḳije (6000 Einwohner), nimmt sich in der grossen Ruinenstätte höchst ärmlich aus (Eckhel Descriptio numorum Antiochiae Syriae, Wien 1786. K. O. Müller Antiquitates Antiochenae, Götting. [2445] 1839. Ritter Erdkunde XVII 1147–1210. Baedeker Paläst. und Syrien³ 416–420).