RE:Carceres

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Ablaufstände im röm. Circus
Band III,2 (1899) S. 15821586
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Carceres (in Prosa immer im Plural, Corp. gloss. lat. II 250, 51) sind die Ablaufstände im römischen Circus, thorwegartige Schuppen, in denen sich die Rennwagen aufstellten, um aus ihnen das Rennen zu beginnen, Varro de l. l. V 153. Über die Baugeschichte der C. im Circus maximus sind uns drei Data überliefert. Nachdem vorher vermutlich eine einfachere Vorrichtung, vielleicht nur ein quer vorgespanntes Tau, als Ablaufschranke gedient hatte, wurden zuerst im J. 330 v. Chr. eigentliche C. in diesem Circus aufgeführt, Liv. VIII 20. Im J. 174 v. Chr. [1583] liessen die Censoren Q. Fulvius Flaccus und A. Postumius Albinus eine Neuerung anbringen, über deren Art wir wegen der Verderbtheit der in Betracht kommenden Stelle (Liv. XLI 27) im Unklaren bleiben. Der Kaiser Claudius schliesslich ersetzte den Tuffstein und das Holz, aus dem die C. bisher bestanden hatten, durch Marmor, Suet. Claud. 21. Man muss annehmen, dass bei diesen Neubauten, deren Zahl damit gewiss nicht erschöpft ist, nicht blos mit dem Material, sondern auch mit der ganzen Anlage Veränderungen vorgenommen wurden; namentlich wird man die Breite der einzelnen Schuppen haben vergrößern müssen, als man über die gewöhnliche Vierzahl der vorgespannten Pferde hinausging und Rennen mit Sechsspännern (s. Seiuges) nichts Ungewöhnliches waren. Die C. brauchten nicht viel tiefer zu sein, als ein Rennwagen mit Deichsel lang ist. Weil sie eine Plattform zu tragen hatten, waren sie gewölbt (Apoll. Sid. carm. XXIII 319 carceres fornicati cod. Paris. 9551 F. Dionys. Hal. ant. Rom. III 68 ψαλιδωταὶ ἱππαφέσεις). Die einzelnen Stände, an Länge und Breite einander gleich, waren durch Zwischenmauern getrennt, an deren Stirnseiten, nach dem Innern des Circus zu, Hermen (s. Hermuli) angebracht waren. Die Schuppen waren auf der Bahnseite durch doppelflüglige Gitterthüren verschliessbar (cancelli, transenna, repagula, septa. Corp. gloss. lat. II 204, 25 valuae per u vocalem si scribantur, significant θύρας ἱππικοῦ, wobei es fraglich bleibt, ob nicht vielmehr die grossen Eingangsthore des Circus gemeint sind). Durch die Gitter hindurch konnte das Tageslicht auch von dieser Seite her den dunklen Raum erhellen. Ein sinnreicher, in seinen Einzelheiten nicht näher bekannter Mechanismus sorgte für gleichzeitige Öffnung sämtlicher Thüren, sobald das Zeichen zum Beginne des Rennens gegeben war. Dionys. Hal. a. a. O. ἱππαφέσεις ἔχει διὰ μιᾶς ὕσπληγος ἅμα πάσας ἀνοιγομένας. Cassiod. var. III 51, 4 ostia subita aequalitate panduntur. Ovid. amor. III 2, 77 und ars am. III 595 reserato carcere. Die Bedienung dieses Mechanismus mag sich im unteren Stockwerke der Türme aufgehalten haben, die die C. zur Rechten und zur Linken flankierten (s. Oppidum). Die C. waren ebenso wie diese Türme mit Malereien verziert, Enn. annal. 55, 11 Bähr. pictis e faucibus. Bianconi (s. u. Litt.) behauptet cap. VI p. 39, er habe Spuren dieser Malerei bei der Aufdeckung der Überreste des Circus des Caracalla mit eigenen Augen gesehen. Die C. bildeten die dem Halbkreisbogen gegenüberliegende Schmalseite des Circus, im Circus maximus die nordwestliche. In ihrer Mitte befand sich ein grosses Thor (ianua bei Apoll. Sid. a. a. O. 317), durch das der Festzug (s. Pompa) in die Arena einzog. Welche Bedeutung dieses Thor für die Rennen selbst hatte, s. unter Circus. Auf jeder Seite des Thores, das zwar breiter, aber nicht höher war als die Wagenschuppen, lag in der Regel die gleiche Anzahl Stände, im Circus maximus ursprünglich je vier, später, vielleicht seit Domitians Zeit, in der die Zahl der Parteien vorübergehend von vier auf sechs erhöht wurde, je sechs, Friedländer S.-G. II⁶ 352. Apoll. Sid. a. a. O. 318 senis carceribus. Cassiod. a. a. O. bis sena ostia ad duodecim signa posuerunt. [1584] Fea Anmerkung zu Bianconi X 84. S. auch Missus. Es war also die Möglichkeit gegeben, dass von jeder der Circusparteien entweder je ein oder je zwei oder (von vier) je drei Wagen liefen (certamina singularum, binarum, ternarum, Friedländer 500); im letzten Falle, oder bei sechs Parteien schon im zweiten, wurden dann alle zwölf Stände besetzt. Wenn in der Inschrift des Wagenlenkers Gutta (CIL VI 10047. Friedländer 498ff.), die in die Zeit des 2. bis 4. Jhdts. gehört, auch certamina quarternarum erwähnt werden, so muss man entweder annehmen, dass die Zahl der C. damals auf sechszehn vermehrt worden sei oder dass nur drei Parteien je vier Wagen gestellt haben. Auf dem interessanten circensischen Mosaik, das in den Ruinen der hispanischen Stadt Italica entdeckt und von de Laborde herausgegeben worden ist (s. u. Litt.), sind nur elf C. angegeben, auf dem linken Flügel sechs, auf dem rechten fünf; vielleicht wurde hier, der Raumersparnis wegen, bei einem Rennen von je drei Gespannen das Eingangsthor mitbenutzt. Man erkennt hier auch deutlich die Hermen und die Gitterthüren, ferner die Brustwehr über den C. mit elf vergitterten Bogenfenstern (zwei dergleichen Lunetten aus Marmor, unter den Ruinen des Circus Flaminius gefunden, werden noch im Palazzo Mattei zu Rom aufbewahrt, der auf dem Platze jenes Circus steht, Bianconi VI 36), in der Mitte über dem Eingangsthore die Loge, in der der Veranstalter der Spiele sitzt; ausserdem ist in horizontaler Projection das Thor angegeben, das in der Nähe des äussersten linken Schuppens durch die linke Langseite des Circus den Eintritt in die Arena gestattete. Ähnlich ist die Darstellung auf einem Bruchstücke, die bei Laborde Pl. XV nr. 7 und bei Bianconi (p. 5 vor dem Anfange der Abhandlung) wiedergegeben ist. Hier scheinen Sclaven damit beschäftigt zu sein, je einen Gitterthürflügel zu schliessen (von einigen der Leute sind nur noch die Füsse erhalten). Denn wenn die bei Panvinius (s. u. Litt.) p. 62 wiedergegebene circensische Darstellung auf einem Marmor in den farnesischen Gärten Roms richtig ist, wurden die Gitterthüren durch den Mechanismus nach innen zu geöffnet. Die Leute, die die Thüren von aussen wieder schlossen, liefen dann wahrscheinlich durch die beiden Thore, von denen eins eben erwähnt wurde, herein. Während des Rennens selbst nämlich waren die Thüren geschlossen, wie die Marmortafel bei Panvinius p. 185 zeigt. Auch auf einigen bei Panvinius (p. 64. 226) abgebildeten circensischen Münzen sind die C. erkennbar. Jenes spanische Mosaik ist aber auch insofern besonders wichtig, als man auf ihm deutlich erkennt, dass die C. insgesamt nicht eine gerade Linie bildeten, sondern einen Kreisbogen. Der Mittelpunkt des Kreises, zu dem dieser Bogen gehört, kann nicht auf der Längsachse des Circus liegen, sondern muss ein Stück rechts davon in die Bahn fallen. Denn der Kreisbogen liegt nicht symmetrisch zur ganzen Circusanlage, sondern ist schräg zwischen die beiden Langseiten des Circus eingespannt, so zwar, dass der am weitesten rechts befindliche Schuppen ein Stück hinter den äussersten linken zurückweicht, dass also die rechte Langseite des Circus ein Stück länger sein muss als die linke. Die Schuppenwände liefen demnach [1585] nicht parallel, sondern convergierten nach der Bahn zu etwas, weil sie alle nach ein und demselben Punkte, eben nach dem Mittelpunkte jenes Kreises, gerichtet waren. Bianconi hat durch Messungen an den Überresten des Circus des Caracalla, die in ihrer Art zu den besterhaltenen zählen (Panvinius p. 243, 2), die Lage jenes Punktes gefunden; er liegt ein Stück rechts von ungefähr der Mitte der Verbindungslinie zwischen der inneren Meta (s. d.) und dem Eingangsthore, oder mit anderen Worten, der Halbmesser des Kreises verhält sich zur Verbindungslinie der beiden äussersten Schuppen, d. i. zu der über dem Kreisbogen der C. gespannten Sehne, wie 5 : 4. Freilich stimmen die Angaben Bianconis (cap. VI 37) mit den auf Tav. I gegebenen Massen nicht überein. Diese merkwürdig unsymmetrische Anlage der C., die wir auch für die übrigen römischen Circi annehmen müssen, hatte offenbar den Zweck, die Bedingungen für die Inhaber der einzelnen, durchs Los (Symmach. relat. IX 6. Apoll. Sid. a. a. O. 315) erhaltenen Stände möglichst auszugleichen. Näheres darüber s. unter dem Artikel Circus. Bei einer Vergleichung der in gewissem Sinne entgegengesetzten Startanlage im olympischen Hippodrom (s. unter Ἄφεσις) kommt man zu dem Schlusse, dass die Römer die Aufgabe des Bedingungsausgleichs in einfacherer Weise gelöst haben als die Griechen, wenn sie sich auch bei der künstlichen, nach mathematischer Berechnung ausgeführten Einrichtung der C. an diese angelehnt haben mögen. Stellen: Ovid. amor. III 2, 9 sacro de carcere. 66 aequo carcere; epist. XVII (XVIII) 166; trist. V 26. Horat. sat. I 1, 114. Verg. georg. I 512. III 104; Aen. V 145. Cic. Brut. 47. Übertragen wird C. vom Anfange und Ausgangspunkte gebraucht; s. die Stellen unter Calx oben S. 1422f. Im Griechischen entspricht dem Worte der Ausdruck ἱππάφεσις Corp. gloss. lat. II 97, 52 (so auch zu lesen III 11, 1 für ιππαφυτης, 84, 34 und 302, 55 für ιππαφιδες, 173, 50 für ipparis) oder ἀφετηρία II 97, 41. 250, 51. 537, 28. 549, 43. Zu den Glossen III 240, 23. 67. 372, 9, wo C. mit καμπτῆρες, καμπτός, νύσσα erklärt wird, vgl. Pollack Hippodromica (Leipzig 1890) 29f. Wenn Apollinaris Sidonius den Fusswettlauf aus carceris antro (carm. V 171) beginnen lässt und II 494 vom carcer circi spricht, wo der Wettlauf der Atalante mit ihren Freiern erwähnt wird, so beweist das, dass man in dieser späten Zeit vom Wettlaufe der Stadiodromen keine richtige Vorstellung mehr hatte; die umgekehrte Verwechslung findet sich bei seinem Zeitgenossen Quintus Smyrnaeus (Posth. IV 195 und 550). S. die Artikel Ostium und Mappa.

Litteratur: Onuphr. Panvinius De ludis circensibus 1600 p. 59ff. 71. 228. 235. 242. J. C. Bulengerus De Circo Romano ludisque circensibus 1626 cap. X–XIV (beide in Graevii Thes. antiqu. Rom. IX. Index!). Salmasius Exercitat. Plin. p. 635. Bianconi Descrizione dei Circhi etc. ed. Fea (Rom 1789, Ausgabe mit französischer Übersetzung. Index!). De Laborde Descripción de un pavimento en mosayco descubierto en la antigua Itálica (Paris 1806) 33ff. A. Nibby Dissertazione del Circo volgaremente detto di Caracalla 27–30 (Rom 1825 gedruckt auf Kosten des Banquiers Torlonia, Herzogs von Bracciano, und [1586] als Manuscript unter Freunde verteilt). Hirt Geschichte d. Baukunst II und III. Polenus Exerc. Vitruv. Bähr in d. Encycl. v. Ersch und Gruber unter Circus XVII 288 (Litteraturangaben!). Schulze Die Schauspiele z. Unterhaltung d. röm. Volkes, 1895 (Gymnas.-Bibl. XXIII) 50.