RE:Censores 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Röm. Amt | |||
Band III,2 (1899) S. 1902–1906 | |||
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Censores (τιμηταί). 1) Die mit dem Namen des Königs Servius Tullius verknüpfte, für die Umgestaltung der römischen Bürgerschaft grundlegende Einführung des timokratischen Princips erheischte periodisch wiederkehrende Schatzungen: census (d. i. arbitrium Varro de l. l. V 81 und bei Nonius p. 519). Von der grundlegenden Bedeutung des Census für die bürgerliche Ordnung zeigt klar der metonymische Ausdruck condere lustrum (Liv. I 44. Censorinus 18, 13), der an condere urbem oder civitatem gemahnt.
Das Recht der Schatzungen war zunächst in der königlichen Machtsphaere gelegen, (Tullio) quater lustrum condere contigit, Val. Max. III 4, 3. Von den Königen ging diese Befugnis auf die Consuln über, die das 5. bis zum 10. Lustrum begingen (Dionys. V 20. 75. VI 96. IX 36. XI 63 und die capitol. Fasten), bis 443 v. Chr. (nach Mommsen 435) die Censur als eigenes ständiges Amt abgezweigt wurde, was zwar gewiss auch deshalb geschah, weil angesichts der plebeischen Bemühungen um den Zutritt zur höchsten Magistratur die Schmälerung ihrer amtlichen Competenz dem Zuge der patricischen Politik entsprach (vgl. Liv. IV 8, 5 und die Thatsache, dass die Consulartribunen niemals mit den Geschäften der Censur betraut worden sind), wahrscheinlich aber besonders darum nötig erschien, weil die Consuln immer seltener und [1903] schwerer die Gelegenheit fanden, neben ihren feldherrlichen Verpflichtungen auch noch die Aufgaben des Census zu bestreiten (Lücken in den Listen in den J. 459–443 oder 435).
Von allen ordentlichen republicanischen Magistraturen hat sich die Censur am schnellsten abgenützt, und in den letzten Decennien des Freistaates ist ihr Apparat fast ganz ins Stocken geraten. War schon unter Sulla das Streben unverkennbar, die Wiederkehr der Censur durch Aufteilung ihrer Geschäfte zu verhindern, so hat auch Augustus nur ausnahmsweise die Censur wieder erweckt, meist aber ihre Geschäfte als Consul und censoria potestate vollzogen. Nach Augustus hat noch Kaiser Claudius zusammen mit L. Vitellius J. 47/8 und dann noch ein letztesmal Kaiser Vespasian mit seinem Sohne Titus J. 74/5 die Censur bekleidet. Nach Domitian, der die Würde eines censor perpetuus annahm, hörte die Censur auf, als eine besondere Function neben den anderen höchsten Staatsämtern zu gelten.
Von den Jahresmagistraturen unterscheidet sich die Censur auch dadurch, dass sie nicht innerhalb eines bestimmten Wirkungskreises die Continuität der Verwaltung durch Entscheidung aller auftauchenden Fragen zu wahren verpflichtet ist, sondern eigentlich nur um eines einzigen selbständigen Rechtsactes willen geschaffen wird, und dass sich ihre Thätigkeit mit der Vollziehung dieses Actes erschöpft, wie dies sonst bei einzelnen ausserordentlichen Magistraturen der Fall war, z. B. den duoviri aedi locandae oder den quinqueviri agro Pomptino dividendo. Der Schlussact der censorischen Amtsleitung, die lustratio, wird durch die Aufstellung der Listen der zum Stimmrecht, zum Heeresdienst und zur Bezahlung des tributum Befugten, bezw. Verpflichteten vorbereitet; s. Census. Ausserdem ist den C. im Laufe der Zeit durch organische Fortbildung ihrer Thätigkeit auch noch die Pflicht erwachsen, die Senatsliste aufzustellen, s. Lectio senatus, und das Gemeindevermögen, inbesondere die Staatsbauten in Stand zu halten, zu ergänzen und auszugestalten. Sie verpachten an Dritte das nutztragende Staatseigentum und verdingen die zur Erhaltung des Staatseigentums nötigen Leistungen, und zwar ohne Unterschied seiner Art oder seines Ortes. Sie beginnen die Verdingungen (οἱ τιμηταὶ τὴν ἀρχὴν παραλαβόντες οὐδὲν ἄλλο πράττουσι ἢ τὴν τροφὴν ἀπομισθοῦσι τῶν ἱερῶν χηνῶν καὶ τὴν γάνωσιν τοῦ ἀγάλματος, Plut. q. R. 98, was Plinius für den ersten Teil n. h. X 51 cibaria anserum censores in primis locant und für den zweiten Teil XXXIII 111 a censoribus in primis Iovem miniandum locari bestätigt) und Verpachtungen (lacus Lucrinus in vectigalibus publicis primus locatur fruendus ominis boni gratia, ut in dilectu censure primi nominantur Valerius Salvius Statorius, Fest. p. 121) mit bestimmten Posten und wickeln zunächst die Ordnung und Ergänzung der laufenden Contracte ab (Liv. XLIII 16, 2–7 aus dem Census von 169/168), bevor sie neue eingehen (ebd. 16, 9f.). Dabei ist der Centralismus so stramm, dass italische Vollbürgergemeinden, selbst wenn sie bereit sind, aus Eigenem die Kosten zu decken, die Anordnung öffentlicher Bauten ganz von dem Befinden der Censoren abhängig machen müssen (Liv. XLI 27, 11 sieht [1904] der eine Censor im J. 174 es als seine Pflicht an, nihil nisi senatus Romani populive iussu se locaturum ipsorum pecunia). Die Verträge, welche der Censor mit den Parteien schliesst, erfolgen nach öffentlicher Licitation in Rom (vectigalia locare nusquam licet nisi in hac urbe, hoc ex loco, hac vestrum frequentia Cic. de leg. agr. II 55; censoribus vectigalia locare nisi in conspectu populi Romani non licet I 7) und schriftlich: leges censoriae (Plin. XXXIII 78. Varro de r. r. II 1, 16 u. ö.). Dem Censor obliegt es, im Interesse des Staates alles öffentliche Gut, Staats- und Tempelgut, das sich hiefür eignet, nutzbar zu machen. Er verkauft, wenn es zweckmässig scheint, selbst Grundeigentum des Staates, so Ackerland in Campanien (Liv. XXXII 7, 3. XL 27, 10) oder Verkaufsläden XL 51, 5. Er verpachtet die vectigalia (s. d.) und was sich diesem Begriff verwandt zeigt, also auch die Weidenutzung, den Fischfang, Salinen und Bergbau, Hafenzölle u. s. w.; er regelt die Abgabe von Wasser aus den öffentlichen Leitungen, Frontin. de aquis 95. 97. Auch verfügt er über das öffentliche Areal, indem er die Plätze für staatliche Neubauten anweist, insbesondere auch, indem er den Staatssclaven Wohnungsstätten abgiebt (lex Iulia mun. Z. 82). Andererseits gebührt ihm die Sorge für die Instandhaltung der bestehenden öffentlichen profanen und Tempelbauten, das sarta tecta aedium sacrarum locorumque publicorum tueri (Cic. ad fam. XIII 11, 1, der statt publicorum communium schreibt, s. Sarta tecta), wie er auch die Aufsicht darüber führt, dass kein aus dem Grundeigentum dem Staat resultierendes Recht von Privaten verkürzt werde, dass also die Wasserleitungen und die Strassenbauten nicht durch Anbauten u. a. geschädigt oder dass nicht öffentliche Plätze durch störende Bauten (am häufigsten werden Denkmäler in diesem Zusammenhange erwähnt, z. B. Liv. XL 51, 3. Plin. n. h. XXXIV 30. [Vict.] de vir. ill. 44) eingeschränkt werden. Eines der vornehmsten Rechte des Censors ist die Anordnung neuer Staatsbauten, bezw. Verdingung ihres Baues, locatio (operarum s. d.), die Übernahme der so fertig gestellten Bauten in das Staatseigentum (probatio, vgl. Frontin. 96), und ihre Bezeichnung mit dem eigenen Namen: via Aemilia, Appia, Flaminia, basilica Porcia, Aemilia, Sempronia u. s. Aus dieser leitenden Stellung des Censors in der Verwaltung des öffentlichen Gutes ergiebt sich schliesslich auch das Recht, in allen aus dem Bodenrecht des Staates erwachsenden Streitigkeiten zwischen diesem und Privaten, auch mit den Steuerpächtern (s. o. und CIL VI 919. Ackergesetz Z. 35. 36. Liv. XXXIX 44, 4. XLIII 16. 4. Cic. de rep. II 60 u. a.) die Judication zu üben. Da die Lücken zwischen den Censuren und die Unregelmässigkeit in ihrer Abfolge die Continuität dieses Zweiges ihrer Amtsführung stört, wird die Aufsicht über die öffentlichen Bauten, ihre Verdingung und Übernahme erforderlichenfalls auch von den Consuln, Praetoren und Aedilen geübt, wie denn auch dieser Zweig der censorischen Competenz allein nicht in ihrem Wesen begründet ist und bezeichnenderweise allein anderen Magistraturen zugänglich ist. Zu der Frage, ob die Censoren gelegentlich auch mit der Leitung der Münze und speciell im J. 92 v. Chr. mit der Oberaufsicht über die [1905] allem Anschein nach fünfgliedrige Commission betraut worden seien, welche die häufig vorkommenden Denare mit dem Bild des auf dem Wagen kämpfenden Arvernerkönigs Bituitus (oben S. 547) geschlagen haben – ihre Namen sind M. Aureli, L. Cosco(ni) M. f., C. Malle(oli) C. f., L. Pomponi Cn. f., L. Porci Lici(ni), die der vermuteten Censoren sind L. Lic(ini) und Cn. Dom(iti) – vgl. Mommsen Röm. Münzwesen 368f. 374, 333; St.-R. II³ 640, 2.
Die Censur rangiert hinter dem Consulat, der Praetur und dem Amt des Reiterführers (bant. Gesetz Z. 15, das Ackergesetz vom J. 111 Z. 35), obwohl sie durch ihre Entwicklung weit über das Ansehen aller anderen Magistraturen hinausgehoben worden ist (Cic. pro Sest. 53. Dionys. IV 22. Plut. Paull. 38; Flam. 18; Cato mai. 16), und in der späteren Zeit des Freistaates nicht leicht andere als Consulare in dieses Amt gelangt sind. Die Collegialität (Cic. de leg. III 7 bini sunto; vgl. Liv. XXIII 23. Zonar. VII 19) wird so streng gefordert, dass, wenn beim Wahlgang nur ein Candidat die nötige Stimmenzahl gewann, comitiis censoriis nisi duo confecerint legitima suffragia, non renuntiato altera comitia differrentur, Liv. IX 34, 25, und dass späterhin im Falle des Ablebens oder Rücktritts des einen Censors – früher war Nachwahl gestattet, Liv. V 31, 6 – der überlebende abdicieren musste, Liv. VI 27, 4. IX 34, 17. XXIV 43, 4. XXVII 6, 19. Plut. q. R. 50; die Ausnahme des Appius Claudius, der nach Vollziehung des Lustrums nicht zugleich mit seinem Collegen zurücktrat und die Vollendung der öffentlichen grossartigen Bauten allein amtierend betrieb, hat Mommsen als eine Prolongation der Censur zu einem bestimmten einzelnen Zwecke erklärt, und da ihr Zweck mit der Censur streng genommen nichts zu thun hatte, ist dieser Fall als sui generis anzusehen; es ist aber um so bezeichnender, dass selbst dieser Ausnahmsfall von der Überlieferung als streng genommen unzulässig und als Bethätigung der der claudischen Gens eigenen Gewalttätigkeit und Überhebung angesehen wird.
In unserer Überlieferung wird nicht ausdrücklich angegeben, seit wann auch Plebeier für das Amt wählbar waren. Thatsächlich ist C. Marcius Rutilus (Liv. VII 22, 9. X 8, 8) der erste plebeische Censor gewesen; nur hat das publilische Gesetz 339 angeordnet, ut alter utique ex plebe, cum eo ventum sit, ut utrumque plebeium facere liceret, censor crearetur; dass beide Censoren der Plebs angehörten, traf zum erstenmale 131 ein, Liv. ep. LIX. Der plebeische College mag anfangs dem patricischen nachgestanden und deshalb auch nicht zur Vollziehung des Lustrums gelangt sein; der erste Plebeier, der das Lustrum begeht, kam 280 dazu (Liv. ep XIII). Die Cumulierung der Censur mit einem ständigen ordentlichen Amt wie Consulat, Praetur oder einem ausserordentlichen wie Dictatur oder Reiterführeramt ist wiederholt vorgekommen, Iterierung blos bei C. Marcius Rutilus 294 und 265 und ist auf seine Anregung weiterhin verboten worden (Val. Max. IV 1, 3. Plut. Cor. 1; vgl. [Vict.] de vir. ill. 32).
Gewählt werden die C. in Centuriatcomitien (Messalla bei Gell. XIII 15, 4); comitiis [1906] confectis, ut traditum antiquitus est, censores in campo (dem Marsfelde) ad aram Martis sellis curulibus consederunt, Liv. XL 45, 8. Gegen den augenblicklichen Amtsantritt lag umsoweniger ein Hindernis vor, als die Wahl der C. zu einer Zeit erfolgte, da es keine amtierende C. gab. Wenigstens im 6. Jhdt. der Republik fiel die Wahl und also auch der Amtsantritt ins Frühjahr und wird in den annalistischen Berichten unter jenen Geschäften erwähnt, deren Besorgung den Consuln noch vor ihrem Auszug ins Feld, in ihre provincia, oblag. Die Maximalfrist der Amtsdauer ist durch das Gesetz des Dictators Mam. Aemilius 434 (Liv. IX 33. IV 24. Zonar. VII 19; die antiken Schriftsteller nehmen für die Zeit vor diesem Gesetze unwahrscheinlicherweise die normale Dauer des Lustrums als normale Amtsdauer der Censur an, vgl. auch die Anordnung Cic. de leg. III 7: magistratum quinquennium habento) auf 1½ Jahre festgesetzt; doch sind nach Vollziehung des Lustrum ex instituto wiederholt ad sarta tecta exigenda et ad opera, quae locassent, probanda Prolongationen der Amtszeit bewilligt worden (Liv. XLV 15).
Der Censor hat einen Specialauftrag zu vollenden und ist in seiner Competenz den übrigen Magistraturen auch insofern nicht gleichgestellt, als er weder das ius agendi cum populo (irrig behauptet das Gegenteil Zonar. VII 19) noch das ius consulendi senatum noch das imperium hat; auch hat er zwar praecones und viatores, aber keine lictores (Zonar. a. O.); ihm gebührt ausser der toga praetexta auch der curulische Sessel (Polyb. VI 53, 9. Liv. XLV 5, 8); die Censorier werden sogar im Purpurgewand (ἐσθὴς πορφυρᾶ Polyb. VI 53, 7) bestattet.
Litteratur: Mommsens Darstellung St.-R. II³ 331ff. hat alle früheren (eine Aufzählung dieser bieten z. B. Schiller in Iwan v. Müller Handbuch IV² 2, 75 und Humbert bei Daremberg et Saglio Dict. II 990ff.) antiquiert und ist Grundlage der späteren geworden. Vgl. sonst noch besonders Herzog St.-V. I 754ff. und Ruggiero Dizion. epigr. II 157ff. Nicht gesehen habe ich Servais La censure, Luxemburg 1880 und Delavaud Le cens et la censure, Paris 1884. Das Verzeichnis der Censoren giebt de Boor Fasti censorii, Berlin 1873 und neu bearbeitet Ruggiero a. a. O. 168ff.