RE:Egregiatus

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Würde zwischen ritterlichem u. senatorischem Rang
Band V,2 (1905) S. 20062010
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Egregiatus, eine Würde, die zwischen der ritterlichen und senatorischen in der Mitte stand (Cyprian. epist. 80, 1. Ephem. epigr. IV 298. CIL VIII 9616) und im J. 167 zuerst nachweisbar ist (Ephem. epigr. V 955. 1302). Auf Inschriften wird sie in der Regel durch V. E., d. h. vir egregius, bezeichnet, seltener umgekehrt E. V., und wenn der Betreffende schon tot ist, durch E. M. V., d. h. egregiae memoriae vir. Das griechische Wort κράτιστος, das ihr nach Hirschfeld (Untersuchungen I 272, 4) entspricht, wird nicht in so streng technischem Sinne gebraucht. Denn schon seit dem 1. Jhdt. werden die Procuratoren so angeredet (Act. apost. 23, 26. 24, 3. 26, 25), selbst wenn sie Freigelassene sind (Joseph. vit. 76, 430; c. Apion. 1, 1), und der Praefect von Ägypten heißt in den Papyrosurkunden meist ὁ κάτιστος ἡγεμών (BGU 112. 7 vom J. 60; vgl. [2007] 19, 6. 8. 11. 176, 8. 226, 9. 21. 420, 7. 459, 8 und sonst). Aber seit dem J. 162, wo ihm wahrscheinlich der Titel vir perfectissimus beigelegt wurde, nennt man ihn immer ὁ λαμπρότατος ἡγεμών (a. O. 198, 5; vgl. 139, 7. 159, 6. 266, 16. 347 I 4. II 2. 484, 5. 8. 525, 8. 614, 12 und sonst), obgleich er auch später Ritter blieb und λαμπρότατος sonst für das vir clarissimus der Senatoren gesetzt zu werden pflegt (Mommsen Röm. Staatsr. III 471). Wenn aber in derselben Urkunde des J. 215 neben dem λαμπρότατος ἡγεμών (BGU 362 VII 8. 20) der κράτιστος ἐπίτροπος auftritt (V 10. VII 24), wird man jenes mit vir perfectissimus praeses, dieses mit vir egregius procurator übersetzen dürfen. Vgl. CIG 1328. 2790. 2980. 2981. 3939. 3970. 4037. 4038. 4273. 4346. 4485. 4496–4499. Le Bas III 1677. 2606–2610. Perrot Explor. de la Galatie 20.

Unter Marcus, wahrscheinlich schon seit dem J. 162 (s. o.), erscheinen zuerst die Titel vir clarissimus in der sollennen Abkürzung V. C. für den Senator (CIL XIV 2070), vir eminentissimus, vir perfectissimus und vir egregius für die höchsten Beamten des Ritterstandes (Cod. Iust. IX 41, 11. CIL IX 2438. II 2015. VIII 2276. Ephem. epigr. V 955. 1302). Damit hängt es zusammen, daß er verfügte, die Nachkommen der eminentissimi und perfectissimi sollten bis zum Urenkel herab von der Folter und den gemeinen Körperstrafen verschont bleiben (Cod. Iust. IX 41, 11. Mommsen R. Strafr. 406. 1032), und später auch eine Verordnung über die standesgemäßen Ehen der Senatoren erließ (Dig. XXIII 1, 16. 2, 16). Er scheint also die Rechte der höchsten Stände des Reiches in weitem Umfange geregelt zu haben, wobei auch jene Fixierung ihrer offiziellen Titulaturen stattgefunden haben wird. Ähnliche, wenn auch geringere Privilegien, wie den beiden ersten Klassen der Ritter, wird er auch der dritten verliehen haben (vgl. Lact. de mort. pers. 21, 3). Namentlich wird angeführt, daß man personae egregiae, um sie zu vereidigen, nicht vor die Beamten zitieren durfte, sondern zu diesem Zwecke Abgesandte in ihre Wohnung schickte (Dig. XII 2, 15). Daß ihnen auch erbliche Rechte zukamen, wird man aus dem Vorkommen eines puer egregius schließen dürfen (CIL X 1815; vgl. τὴν κρατίστην γυναῖκα CIG 4346).

Der Titel vir eminentissimus bleibt den Praefecti praetorio vorbehalten (CIL IX 2438. VIII 9368). Als diese unter Severus senatorisch werden und damit das Recht auf das vir clarissimus erhalten, wird er vorübergehend auf die Praefecti vigilum übertragen (Ephem. epigr. IV 746. VII 1207. 1209), die ihn aber bald wieder verlieren (Ephem. epigr. VII 1210. 1211. CIL XII 2228). Seit den letzten Jahren Alexanders (CIL II 2664. VIII 15454) erscheint er dann ausschließlich bei den Gardepräfecten (CIL V 4323. VIII 4325. X 214. XI 1836. Ephem. epigr. VII 1211. Cod. Theod. VIII 7, 16. Cod. Iust. VII 44, 2 § 1), bis er gegen Ende des 4. Jhdts. verschwindet, nachdem die neue Anrede vir inlustris sich eingebürgert hat. Aber schon vorher erscheint er nicht gar zu häufig, weil sich die Praefecten oft auch als Senatoren V. C. statt V. EM. nennen. Die ritterlichen Würden, die seitdem übrigbleiben, [2008] werden zur Zeit Constantins d. G. in dieser Reihenfolge aufgezählt: perfectissimatus, ducena, centena, egregiatus (Cod. Theod. VIII 4, 3. X 7, 1. 20, 1. XII 1, 5). Doch scheinen die ducena und centena, die früher nur Gehaltsstufen bezeichnet hatten, erst spät den Rangstufen eingefügt zu sein. Jedenfalls wird vorher vir egregius ducenarius (CIL III 99. 6155. 8361. V 7870. XII 149. XIV 2939. CIG 4346) und vir egregius centenarius (CIL III 6155) nicht selten verbunden, was kaum geschehen würde, wenn jenes einen niedrigeren Rang bezeichnete, als diese beiden Worte. Doch dem Perfectissimat gegenüber erscheint der E. zu allen Zeiten als die geringere Würde (CIL II 1115. VIII 2661. 5367. Cod. Theod. VI 22, 1).

Daß jener unter Marcus schon bestand, ist durch Cod. Iust. IX 41, 11 sicher beglaubigt; doch läßt sich weder aus seiner Regierung noch aus der seines Sohnes irgend ein Beispiel des Titels nachweisen, wenn man nicht die Bezeichnung des Praefectus Aegypti als λαμπρότατος ἡγεμών, die J. 162 beginnt, in diesem Sinne anführen will. Ein Priesterverzeichnis aus den ersten Jahren des Commodus (CIL VI 2010) nennt neun viri egregii, aber keinen einzigen perfectissimus. Dieser Titel muß also höchst selten gewesen sein; vielleicht war er ebenso auf die Praefecten von Ägypten beschränkt, wie vir eminentissimus auf die Gardepraefecten. Erst unter Severus tritt er bei dem praefectus annonae (CIL VI 1603; vgl. XIV 131), bei dem a cognitionibus Augusti, d. h. dem juristischen Berater des Kaisers, und dem nah verwandten magister studiorum auf (CIL II 1085. V 8972. VI 1608. X 1487), unter Alexander bei einem Stellvertreter des Gardepraefecten (vice praeff. praet. CIL VIII 822. BuIl. arch. du comité des trav. histor. 1893, 209. 214), der vorher als Procurator noch vir egregius gewesen war (CIL XIII 1797). Doch scheint der Perfectissimat damals nicht mehr mit einem bestimmten Amt, vielleicht die Praefectura Aegypti ausgenommen, als stehendes Epitheton verbunden gewesen, sondern nur als persönliche Gunst verliehen worden zu sein, wie dies bei dem E. wohl schon von Anfang an der Fall war. Hierauf weisen folgende Tatsachen hin:

1. Ein Praefectus legionis ist um das J. 244 vir egregius (CIL III 99), ein anderer aus dem J. 267 noch nicht (CIL III 3424). Der procurator et praeses Sardiniae ist unter Claudius Gothicus und anfangs auch noch unter Aurelian vir egregius (Ephem. epigr. VIII 745. 775); von dem letzteren Kaiser wird er zum vir perfectissimus erhoben (Ephem. epigr. VIII 796), um unter Carus wieder zum E. zurückzukehren (Ephem. epigr. VIII 776). Auch bei der Praefectura vigilum (CIL IX 1595. XII 2228. Ephem. epigr. VII 1204–1206. 1210. 1211) und der Praefectura classis (CIL VI 1644. X 3336. 3343. 3344. Ephem. epigr. V 301. 514) erscheinen abwechselnd beide Titel.

2. Das V. E. oder V. P. steht zwar in der Regel unmittelbar hinter dem Namen, findet sich aber auch manchmal in den Cursus honorum eingeordnet, wie eine besonders verliehene, vom Amte unabhängige Würde (CIL VI 1624. 1641. VIII 1646. 2732. 4681. XI 5215. XIV 170).

3. Auf dasselbe Verhältnis deuten die Verbindungen [2009] sacerdotalis et v. e. (CIL III 4033) und egregius et sexagenarius (Ephem. epigr. V 942).

4. In der Urkunde über die Colonen des Saltus Burunitanus (CIL VIII 10570), die noch den ersten Jahren des Commodus angehört, führt der eine Procurator, Tussanius Aristo, den Titel vir egregius, der andere, Lurius Lucullus, nicht, obgleich er jenem in seiner Stellung gleich ist. Auch sprechen die Colonen in ihrer Eingabe nur von procuratores schlechthin, nicht von procuratores egregii viri, während doch in einer verwandten und fast gleichzeitigen Urkunde (CIL IX 2438) immer praefecti praetorio eminentissimi viri geschrieben wird. Dies kann man kaum anders erklären, als daß bei diesen der Titel zum Amte gehörte, bei jenen nicht.

Bis über die Mitte des 3. Jhdts. hinaus findet sich V. E. allerdings am häufigsten bei Procuratoren und ritterlichen Praesides. Die Beispiele sind sehr zahlreich; wir verweisen nur auf einige, die sicher datiert sind: unter Marcus, Ephem. epigr. V 1302. CIL II 2015. VIII 2276. Commodus, CIL VIII 10570. Severus, CIL VIII 1439. 5145. 7053. 8991. 9757. X 7585. Caracalla, CIL VIII 7001. XIV 154. Alexander Severus, Dessau 1356. CIL VIII 8812. 9367. XIII 1797. Maximinus Thrax, CIL III 1422. 1423. Gordianus CIL IX 4894. Philippus, CIL VIII 8809. X 7996. XIV 170. Ephem. epigr. VIII 739. 743. 798. Trebonianus Gallus, Ephem. epigr. VIII 773. Aemilianus, Ephem. epigr. VIII 781. 782. Valerianus, Ephem. epigr. V 953. VIII 751. 770. Doch wird schon seit dem Anfang des 3. Jhdts. der Titel auch Männern, die nur die ritterlichen Offiziersdienste geleistet haben, verliehen (CIL VI 1624. VIII 2732), außerdem Primipilaren (Ephem. epigr. VII 185) und ansehnlichen Municipalen (Ephem. epigr. V 521. VII 274. 721), namentlich flamines perpetui ihrer Provinzen (CIL VIII 2372. 1165. 1277. 1646. 2400. 2661. 2757. 4681. 5142) und Sacerdotalen (CIL III 4033. V 4333. VIII 7014. X 1805). Mit dem Perfectissimat ist man anfangs sparsamer und wählerischer; doch sinkt auch dieser Titel in seinem Werte. Im letzten Drittel des 3. Jhdts. wird er immer häufiger und endlich der ganz regelmäßige Titel der ritterlichen Praesides (CIL II 1115. 1116. III 1805. VI 1641. VIII 2529. 2530. 2643. 4221. 4222. 4578. 7002; seit Diocletian sind die Beispiele zahllos), der Duces (CIL V 3329. III 764. 3761. 3762. 3764 p. 1059. Ephem. epigr. V 752. Ammian. XXI 16, 2) und bald auch der Rationales (CIL VI 1587. III 17. VIII 7008. 7009. 7043. V 858. 6421). V. E. kommt seit den Philippi vereinzelt, später regelmäßig bei den Praefecti legionis vor (CIL III 99. 3469. VIII 2572. 2665. 2685), und findet sich seitdem bei Procuratoren höchst selten (unter Carinus CIL XII 110. Diocletian CIL XII 78. Constantius I. CIL X 8030), bei Praesides seit Diocletian mir ein einzigesmal (Ephem. epigr. V 956). Auch die Ducenarii erscheinen anfangs als V. E. (CIL III 99. 6155. V 7870. XII 149. XIV 2939), seit dem J. 265 als V. P. (CIL V 3329. III 1805). Im J. 317 wird dann verfügt, daß je nach Gunst und Laune sowohl der E. als auch der Perfectissimat den Primipilaren und den Caesariani nach [2010] beendeter Dienstzeit, den Decurionen, nachdem sie alle Munera ihrer Curie abgeleistet haben, verliehen werden können, aber nicht früher, da diese Würden von jenen Munera befreien (Cod. Theod. VIII 4, 3. X 7, 1. XII 1, 5). So finden wir denn auch tatsächlich, daß Decurionen omnibus muneribus functi in dieser Zeit anfangs mit dem Egregiat ausgezeichnet werden (CIL III 5111. V 4333. X 1805), mitunter auch Soldaten oder richtiger Unteroffiziere (CIL V 6998. XII 149). Aber da das Gesetz ausdrücklich erlaubt, Männern dieser Art auch den Perfectissimat zu gewähren, so wissen diejenigen, deren hohe Verbindungen ihnen das Erlangen einer Titulatur überhaupt gestatten, sich auch meist die höhere zu verschaffen. So erscheint denn der Perfectissimat im 4. Jhdt. bei Decurionen (Ephem. epigr. IV 297. CIL VIII 2403. IX 1683. X 1492), Officialen (CIL V 6182) und Soldaten der vornehmeren Truppenteile (IX 5649. III 4185); der Egregiat wird immer seltener und fällt zuletzt durch Nichtgebrauch in Vergessenheit. Mommsen Römisches Staatsrecht III 564. O. Hirschfeld Wiener Studien VI 123; S.-Ber. Akad. Berl. 1893, 429; Untersuchungen auf dem Gebiete der röm. Verwaltungsgesch. I 272. 295.