RE:Indiges

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Alte lat. Stammesgötter ältester Sakralordnung
Band IX,2 (1916) S. 13321334
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Indiges. Unweit von Laurentum am Flusse Numicus lag ein Hain (Plin. n. h. III 56 oppidum Laurentum, lucus Iovis [ Hss. locus Solis, verbessert von Sabellicus] Indigetis, amnis Numicus, Ardea usw; daher heißt bei Sil. Ital. VIII 39 die accita stagnis Laurentibus Anna Indigetis castis contermina lucis) mit einem Heiligtume, das Dion. Hal. I 64, 5 ἡρῷον nennt und folgendermaßen beschreibt: ἔστι δὲ χωμάτιον οὐ μέγα καὶ περὶ αὐτὸ δένδρα στοιχηδὸν πεφυκότα [1333] θέας ἀξια (wenn Spätere von einem templum reden, so ist darauf nichts zu geben). Der Inhaber heißt in den Quellen teils Iuppiter Indiges (Plin. a. a. O., vgl. Liv. I 2, 6. Serv. Aen. I 259) teils pater Indiges (Dion. Hal. a. a. O. übersetzt die Inschrift πατρὸς θεοῦ χθονίου ὃς ποταμοῦ Νουμικίου ῥεῦμα διέπει; vgl. Solin. 2, 15. Origo gent. Rom. 14, 4) und erhielt alljährlich ein Opfer durch die römischen Consuln unter Assistenz der Pontifices (ad quod pontifices quotannis cum consulibus [ire solent sacri]ficaturi Schol. Ver. Verg. Aen. I 259); der Kult gehörte also zu den in der Inschrift des Sp. Turranius Proculus Gellianus CIL X 797 (aus der Zeit des Kaisers Claudius) erwähnten sacra principia p(opuli) R(omani) Quirit(ium) nominisque Latini, quai apud Laurentes coluntur. Über Wesen und Inhalt des Gottesdienstes und seinen Zusammenhang mit der Verehrung des Flußgottes Numicius läßt sich nichts Sicheres ermitteln, da die hierher gehörige späte Inschrift CIL XIV 2065 = Bücheler Carm. epigr. nr. 212 (in Choliamben) zu stark verstümmelt ist, um eine haltbare Deutung zuzulassen (vgl. O. Seeck Rhein. Mus. LXVIII 1913, 11ff.). Sicher ist nur, daß man etwa in derselben Zeit, in der man den Stadtgründer Romulus in dem alten Gotte Quirinus wiederfand (s. darüber Wissowa Religion u. Kultus der Römer² 155), den Gründer von Lavinium Aeneas mit dem pater indiges gleichsetzte, nachdem schon die älteste Annalistik erzählt hatte, daß Aeneas im Kampfe mit den Etruskern unter Mezentius am Flusse Numicus entrückt worden sei (non comparuit, vgl. darüber J. van der Vliet Mnemos. XXII 1894, 277ff. XXIII 1895, 116); aber keiner der auf Cato oder Cassius Hemina zurückgehenden Berichte (Serv. Aen. IV 620. IX 745. Solin. 2, 14) gedenkt der Identität des Aeneas mit Indiges (bei Solin. 2, 15 gehören die Worte patris Indigetis ei nomen datum deutlich nicht mehr zu dem Zitate aus Hemina), die überhaupt erst in der augusteischen Dichtung erscheint (Tibull. II 5, 44f. Verg. Aen. XII 794. Ovid. met. XIV 607f. CIL I² p. 189 elog. I. Liv. I 2, 6. Dion. Hal. I 64, 5. Paul. p. 106. Gell. II 16, 9. Arnob. I 36. Solin. 2, 15. Serv. Aen. I 259. XII 794. Schol. Ver. a. a. O. Origo a. a. O.), wir haben daher umsoweniger Anlaß, sie für einen ursprünglichen Bestandteil der Sage zu halten (wie es z. B. F. Cauer Jahrb. f. Philol. Suppl. XV 111 tut, nach welchem ‚die Aeneassage aus dem Indigeskult entsprang ganz wie die Romulussage aus den Kulten von Quirinus und Mars‘), als die ganz gleichartige Erzählung, daß Latinus ebenfalls in der Schlacht gegen Mezentius verschwunden und als Iuppiter Latiaris verehrt worden sei (Fest. p. 194), durch ihre ätiologische Verknüpfung mit der oscillatio der Feriae latinae ihren jungen Ursprung verrät.

Der Beiname Indiges kommt sonst nur noch einmal im römischen Götterkreise vor, und zwar bei dem zweifellos griechischen Kulte des Sol: der Stiftungstag des auf dem Quirinal gelegenen Tempels dieses Gottes (Wissowa Relig. u. Kultus² 316f.) wird in den Steinkalendern (CIL I² p. 324) in der Form verzeichnet: Soli indigiti in colle Quirinale, und denselben Namen meint vielleicht Lyd. de mens. IV 155 p. 172. [1334] 21 W.‚ wenn er den an dem Agonium des 11. Dezember gefeierten Gott δαφνηφόρος καὶ γενάρχης Ἥλιος nennt; jedoch muß angesichts der Tatsache, daß die drei erhaltenen Exemplare der Steinkalender sämtlich Indigiti bezw. Indigitis mit i in der vorletzten Silbe bieten, während sonst die Überlieferung einstimmig Indigetis usw. hat, die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, daß es sich hier um ein anderes, zu indigitare, indigitamenta (s. d.) gehöriges Wort handelt, wobei dann die Vergleichung mit dem Ἥλιος γενάρχης des Lydus hinfällig werden würde.

Ableitung und Bedeutung des Wortes I. tritt klar hervor in der pluralen Bezeichnung di indigetes, die außer für Rom auch für Praeneste (ibi erant pontifices et dii indigetes, sicut etiam Romae, Serv. Aen. VII 678) und Arpinum (CIL X 5779 Iovi aeris [?] et dis indigetibus) bezeugt sind. Sowohl in der Devotionsformel bei Liv. VIII 9, 6 (Iane Iuppiter Mars pater Quirine Bellona Lares divi novensiles divi indigetes usw.) wie in dem Treuschwur der Italiker für M. Livius Drusus (ἔτι δὲ τοὺς κτίστας γεγενημένους τῆς Ῥώμης ἡμιθέους καὶ τοὺς συναυξήσαντας τὴν ἡγεμονίαν αὐτῆς ἥρωας Diod. XXXVII 11 Dind., vgl. dazu O. Hirschfeld Kl. Schrift. 288ff.) stehen sie im Gegensatze zu den di novensides (s. d.), d. h. den di adventicii (Tert. ad nat. II 9) oder alienigenae (Augustin. c. d. III 12), sind also die di indigenae, die alten Stammesgötter der ältesten Sakralordnung (Wissowa Gesamm. Abhandl. 175ff.; Relig. und Kultus² 18ff.). Nur in dieser Bedeutung kennt der lebendige Sprachgebrauch das Wort (z. B. Dichterfragment, wohl des Ennius, bei Diomed. p. 476, 17. Verg. Geor . I 498. Ovid. met. XV 862. Lucan. I 556. Sil. Ital. IX 294. X 436. Claudian. bell. Gild. 131 u. a.), und wenn die römischen Grammatiker eine Menge teilweise ganz abenteuerlicher Erklärungen vorzubringen wissen (zusammengestellt von R. Peter in Roschers Lexik. II 132ff.), so gehen sie dabei entweder von verkehrten Etymologien (z. B. von in dis agere oder von indigere) oder von willkürlichen Parallelisierungen mit griechischen Begriffen (wie ἡμίθεοι oder δαίμονες) aus und haben keinen Glauben zu beanspruchen, da sie über kein reicheres Material an Tatsachen verfügen als wir. Über die Bildung des Wortes indigetes, dessen erster Bestandteil sicher indu (endo) = in ist, vgl. L. Meyer Vergl. Gramm. II 320. F. Bechtel Beitr. z. Kunde d. indog. Sprach. XXII 1897, 282i. Th. v. Grienberger Indog. Forsch. XXIII 1908, 351f.