Rosen-Monate heiliger Frauen/Christiana

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LVIII.
15. Dezember.
Christiana.


 An der Ostseite des schwarzen Meeres, dem Kaukasus entlang bis zum kaspischen Meere hin, wohnten am Anfang des vierten Jahrhunderts die Iberier, ein heidnisches Volk. Diese nahmen eine Frauensperson gefangen, welche unter ihnen ein so hohes Ansehen bekam, daß man sie „einen Apostel der Iberier“ nennt. Man weiß von ihren Verhältnissen, ihrer Geburt, ihrer Erziehung, ihrem Lebensgang nichts; nicht einmal ihren Namen weiß man; und wenn man sie „Christiana“ nennt, so ist das nicht ihr Eigenname, sondern es wird ihr die Benennung des Glaubens, welche sie mit Millionen gemein hat, in Ermangelung eines Eigennamens beigelegt. Diese Christiana, deren Wandel und Wirksamkeit unter den Iberiern aus dem Dunkel ihres Daseins hervortritt, wie manchmal der Mond bei wolkenbedecktem Himmel durch kurzen Schein sein Dasein kund gibt,| wandelte unter den Iberiern nicht bloß also, daß diese ihre guten Werke sahen und den Vater im Himmel priesen: sondern sie bekannte auch ohne Scheu den Namen Jesu und rief Ihn als ihren Gott und HErrn für sich und andere an. So betete sie auch einmal für die erkrankte Königin des Landes, und der HErr erhörte sie, wie Er sie öfter bei ähnlichen Gebeten schnell und wörtlich erhörte. Der Sinn der Königin wurde dadurch dem Christenthum offen, und sie drang in ihren Gatten, von Abgötterei und Aberglauben abzustehen und sich dem Gott der Christen zuzuwenden. Es gieng mit der Bekehrung des Königs langsam, aber neue Wunderwirkungen Christiana’s überwanden ihn endlich doch, so daß sie nun die Iberier nach Kräften im Christenthum unterweisen durfte, eine Kirche gebaut und Constantin der Große gebeten wurde, ihnen Bischöfe und Priester zu schicken. Diese Thatsache, welche Rufinus aus dem Munde eines iberischen Fürsten etwa fünfzig Jahre, nachdem sie sich ereignet, vernahm, machte auf die Kirche Gottes, namentlich im Abendlande großen Eindruck, so daß ihr Gedächtnis gefeiert wurde, und Christiana unter dem Namen Sclavin oder Magd im Martyrologium vorkommt.
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|  Wenn der heilige Petrus die Christen ein priesterliches Volk nennt, welches dem HErrn geistliche Opfer bringen und die Großthaten Deßen verkündigen soll, der sie von der Finsternis zu einem wunderbaren Lichte berufen hat; so schließt er in dieses Priesterthum gewis ebensowohl die christlichen Frauen als die Männer ein. Ist aber das der Fall, so können auch christliche Frauen in die Lage kommen, wo sie die Großthaten Gottes in Christo verkündigen müßen, wenn nicht statt ihrer die Steine schreien sollen. Man kann für solche Fälle nicht den Spruch anführen, daß die Weiber in der Gemeine schweigen sollen; denn in einer Gemeinde sind Hirten und Lehrer und Männer, die reden können, so daß keine Noth vorhanden ist, die natürliche Bescheidenheit des Weibes zu durchbrechen, und Frauen die Rede zu gestatten. Kommt hingegen ein christliches Weib zu einem heidnischen Volk, das keine Gelegenheit hat, Gottes Wort zu hören, so liegen die Sachen ganz anders. Noth bricht Eisen, und wenn ein christliches Weib unter den Heiden ist, denen sonst niemand predigt, so ist Noth vorhanden, daß sie rede, und die großen Thaten Gottes ihres Heilandes zur Rettung unsterblicher Seelen verkündige. Wie eine Prophetin, über| die der Geist kommt, nach der Regel des heiligen Paulus nicht fragt, sondern den Geist sich treiben läßt; so läßt sich im Nothfall auch ein demüthiges, bescheidenes Weib durch die Noth treiben, das Wort zu reden mit freudigem Aufthun ihres Mundes, und der HErr kann den Beweis des Geistes und der Kraft dazu thun. Das lehrt unter anderem auch das Beispiel der Christiana, der Sclavin, und wen es angeht, der denke daran, und halte es nicht für Tugend, blöde zu sein, wo der HErr geredet haben will, der ohne Zweifel nicht bloß Eine Magd und Christiana mit großem Erfolg krönte, sondern uns am Tage der Garben viele der Welt verborgene Mägde zeigen kann, die mit Thränen säeten, und mit Freuden ärnten.




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