Rosen-Monate heiliger Frauen/Odilia

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LVII.
13. December.
Odilia


ist die Tochter des Herzogs von Elsaß, Attich, und seiner Gemahlin Berswinda. Ihre Eltern hatten noch eine Tochter und vier Söhne. Sie selbst war einige Stunden von Straßburg zu Oberehnheim geboren, und zwar blind. Ihr Vater, überhaupt ein Mann von roher Art, war über der Geburt einer Tochter, die so wenig für diese Welt versprach, so ungehalten, daß die fromme Mutter, in großer Angst für ihr Kind, es heimlich einer treuen Dienerin übergab, und in einen Ort bei Schlettstadt schickte. Da wurde sie ein Jahr lang erzogen, bis die Leute auf den kleinen, vornehmen Gast aufmerksam wurden, und die Mutter sie deshalb nicht mehr für sicher hielt und sie in ein Kloster in der Nähe von Besançon zu einer befreundeten Aebtissin sandte. Hier, zu Baume-le-Nones, wurde das Kind getauft, und bei der Taufe erlangte es nach| unverwerflichen Nachrichten neben dem Licht für die Seele das irdische Augenlicht. Auch dann aber behandelte Herzog Attich Odilien nicht wie sein Kind; er hielt sie ferne von sich, so daß sie erzogen werden mußte, wo sie getauft worden war. Als sie heranwuchs, erwachte in ihr eine kräftige Sehnsucht, ihrem Vater nahen zu dürfen, und sie suchte daher mit einem ihrer Brüder, Hugo, schriftliche Gemeinschaft, die sie auch erlangte. Da Hugo seines Vaters harten Sinn nicht wenden konnte, so lud er seine Schwester ein, selbst zu kommen, in der Hoffnung, daß die liebenswürdige, fromme Jungfrau des Vaters Herz eher erweichen würde, als alle seine eignen Reden. Eben stieg sie nun mit ihrem Gefolge den Berg hinan, als der Herzog mit seinen Söhnen von seiner Burg herabkam, und diese über die Gesellschaft fragte, die ihm da entgegen käme. Als ihm nun Hugo sagte, daß es Odilie mit den Ihren sei, und daß er sie selbst in das Vaterhaus eingeladen habe, der Hoffnung, daß sie der Vater in Gnaden annehmen werde, gerieth der Herzog in einen sonderbaren Zorn, daß er nach seinem Sohne schlug und ihn – die Nachrichten sind verschieden – entweder tödete, oder doch schwer verwundete. Wunderlicher| Weise entfloh aber mit dieser verbrecherischen Gewaltthat alles Misbehagen an der Tochter aus dem Vaterherzen. Attich richtete Odilie, die sich in heißen Thränen zu seinen Füßen warf, mit väterlichem Erbarmen auf, schloß sie in seine Arme und legte sie dann der Mutter Berswinda an’s Herz, der er damit einen Trost für den Jammer gab, den sie durch ihn zu gleicher Stunde empfangen hatte. Sie mußte ja um Hugo’s willen eben so sehr trauern, als sie sich um Odiliens willen freute.
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 Schon im Kloster Baume, wo sie erzogen wurde, hatte Odilie den Stand der ledigen Jungfrauen lieben gelernt. Als nun ihr Vater sie verehelichen wollte, erbat sie sich ein anderes, nemlich von nun an sich dem unmittelbaren Dienste Christi widmen zu dürfen. Ihr Vater, der seit der Begegnung am Schloßberge der Tochter ebenso zugethan, als zuerst abgeneigt war, ließ sie gewähren, und bediente sich nunmehr nicht bloß in allen Fällen ihres weisen Rathes, sondern er that mehr, er gab ihr ums Jahr 680 sein festes Schloß Hohenburg und versah sie mit allen Mitteln, daselbst das erste Frauenkloster des Elsaßes zu erbauen. Hohenburg bekam von da an den Namen Odilienberg.| Während der zehn Jahre, die man an den großen Klostergebäuden arbeitete, sammelte sich ein Haufe großen Theils hochgeborner Jungfrauen zu Odilien, um mit ihr den Segen eines gemeinschaftlichen christlichen Lebens zu theilen. Anfangs dachten sie an keine Regel, wie denn überhaupt Odilie auch durch ihre klösterliche Erziehung nicht dahin gestimmt worden war, im eigentlichen Sinne Nonne zu werden. Allein es zeigte sich auch bald, daß ein Zusammenleben so vieler Frauen ganz ohne Regel nicht sein konnte, und die Notwendigkeit trieb daher Odilie und die Ihrigen dahin, sich über eine gemeinschaftliche Lebensregel zu vereinen. Die hohe Lage des Klosters brachte den Bewohnerinnen ohnehin Beschwerden genug, weshalb Odilie nur sich, nicht aber ihren Schwestern diejenige Strenge des Lebens auferlegte, welche andere Nonnen trugen. Es war in ihr ein Geist der Freiheit und des Erbarmens, durch welchen sie und ihr Kloster sich auf eine evangelische Weise vor anderen ihrer Zeit auszeichneten. Am Fuße des Berges gegen Mittag hin erbaute sie ein Hospital zur Aufnahme von Nothleidenden und Gebrechlichen. Diese sollten den beschwerlichen Berg nicht ersteigen müßen; sie aber fand es nicht beschwerlich,| tagtäglich in ihr Hospital zu gehen, ihre Leidenden zu trösten und sie zu bedienen. So reizend und schön war das Leben auf Hohenburg nunmehr geworden, daß Herzog Attich selbst Geschmack daran finden mußte. Und einen solchen Sieg gab nun der HErr der frommen Odilie über ihren Vater, daß er sich selbst neben dem neuen Kloster niederließ und da seine Tage beschloß. In seiner letzten schweren Krankheit wich die Tochter nicht von seiner Seite, sondern pflegte, tröstete, stärkte ihn unabläßig mit kindlicher Sorgfalt. Er starb am 20. Januar 690, und neun Tage darauf starb auch ihre Mutter Berswinda, während sie in der Kirche betete, eines plötzlichen Todes.
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 Ueberhaupt machte die Freiheit, welche sich Odilie rücksichtlich ihres äußern Lebens vorbehalten hatte, ihr es möglich, mit den Gliedern ihrer Familie näher zusammenzuleben, auf sie einzuwirken, und die Herzen ihrer Angehörigen dem Guten zuzuneigen. Aus dieser innigen Verbindung mit den Ihrigen mag sich auch die große Fülle von Hilfsmitteln erklären, welche sie anwenden konnte, um ihre Stiftungen auszubreiten und möglichst segensreich zu machen. Sie baute eine Kirche und Kapelle nach der andern in der Nähe ihres Klosters,| neben der Hauptkirche eine Muttergotteskapelle und eine Kreuzkapelle, zum Dank für ihr wiedererlangtes Augenlicht eine Kapelle Johannis des Täufers, die Zährenkapelle, wo sie für ihren Vater zu beten pflegte, eine Engelskapelle, um der Verbindung mit den himmlischen Geistern zu gedenken. Schon die Namen dieser Kapellen alle deuten auf das innige und sinnende Gemüth der frommen Jungfrau. Eben darauf hin weisen auch Züge, wie der, daß sie gegen Morgen hin zu Ehren der allerheiligsten Dreieinigkeit drei Linden pflanzte, welche hernach dem Kloster einigen Schutz gegen die heftigen Winde boten und bis weit herauf in die Jahrhunderte standen.
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 So wie anfangs das Kloster Odilienberg ein Krankenhaus nach sich gezogen hatte, so wurde um das Jahr 700 auf Antrag von Odiliens Frauen neben dem Armen- und Krankenhaus ein zweites Kloster Niedermünster gebaut. Man hatte gefunden, daß die hohe Lage des älteren Klosters auf dem Berge den Frauen die Pflege der Armen und Kranken namentlich zur Winterzeit erschwerte; daher der Antrag. Beim Dienste der Kranken und Armen war Odilie allen vorangegangen, und ihr leuchtendes Beispiel hatte die| andern Klosterfrauen hinter ihr her gezogen auf demselben Wege. Auch die Art und Weise ihrer Kranken- und Armenpflege war ein Muster für ihre Zeiten. Sie vermochte es, allen Unannehmlichkeiten der Krankenpflege zu widerstehen, und dem Widerwärtigsten, was unsern Nerven begegnen mag, dem Geruch der Wunden und Krankheiten, mit entschloßener Liebe zu den Elenden entgegen zu gehen. Sie konnte die Aermsten und Elendesten zärtlich in ihre Arme schließen, sie speisen und tränken, sich mit ihnen gedulden und für sie beten, und ihr Gebet wurde zuweilen auffallend erhört, so daß der HErr und Seine Magd Odilie darob gepriesen wurden.
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 Ein Leben so voll Arbeit und Mühsal ist ohne Zweifel köstlich zu nennen. Odilie reifte dabei für den Himmel. Als sie einsmals mit ihren Frauen in der St. Johanneskapelle versammelt war, theilte sie ihnen mit, daß nun ihre Stunde nahe sei, ermahnte sie, den Eifer und die Liebe ferner zu bewahren, davon sie bisher beseelt gewesen wären, und wies sie auf den herrlichen Lohn, der nach dem vergänglichen, eitlen Leben folge; ihre Verwandten empfahl sie ihnen zum Gebet. Hierauf zogen die ergriffenen| Frauen in die Muttergotteskapelle, um Odilien ein seliges Ende zu erflehen, und während das geschah, war sie selbst wie entzückt zum HErrn. Sie entschlief dann wirklich am 13. Dezember 720 oder 722 in einem Alter von etwa 60 Jahren. Ihr Leib wurde in der St. Johanneskapelle beigesetzt. Ihre Stiftungen blühten unter Führung ihrer Nichten Eugenia und Gundelinde fort.
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 Es sind nur sechszig Jahre, welche Odilie auf Erden gelebt hat, und sie ist lange über ein Jahrtausend vom Schauplatz dieser Welt abgetreten. Die Frauen, welche mit ihr gelebt haben, sind ihr gefolgt und auch mit ihren Stiftungen ist es anders geworden. Aber vergeßen ist Odilie nicht und der Segen ihres Lebens ist noch nicht ausgetilgt. Weltlich große Thaten hat sie keine gethan, aber wie der HErr an jenem großen Tage nach den Werken der christlichen Liebe und Barmherzigkeit fragen und sie ewig ehren wird, so hat Er auch dafür gesorgt, daß schon in dieser Zeit der gute Geruch derjenigen, die Seine Liebe auf Erden fortsetzten, immer neu durch die Lande geht, und, selbst unsterblich, auch andere immer wieder zur Uebung derselben Liebe und desselben Erbarmens| erweckt. Selig sind die Barmherzigen, ihr Loos ist in Wahrheit aufs Liebliche gefallen, und der Allmächtige hat ihnen verheißen, daß sie Barmherzigkeit erlangen sollen.




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