Schwertlilie/II
Die Schwester Veritas hatte im Sprechzimmer des Klosters den Besuch des hochwürdigen Pater Gollermann. Der Jesuit hatte soeben von ihr den Bericht über ihre letzte Unterredung mit Polyxene von Leyen erhalten. Die Nonne, mit ihrer ausdruckslosen Sprechweise, schien dem gezwungenen Gaste des Hauses weder zu Liebe noch zu Leide reden zu wollen, aber das Ergebniß dessen, was sie mittheilte, war doch: von bußfertiger reumüthiger Verfassung sei bei dem Fräulein noch im geringsten nichts zu merken. Und daher scheine sie auch weit davon entfernt, durch ein Geständniß des Antheiles, den sie an dem Verschwinden ihres Vetters gehabt, den Erwartungen zu entsprechen, welche man um ihres Seelenheiles willen bei ihrem Eintritt in dies geistliche Haus gehegt habe.
Der hochwürdige Herr hatte schweigend zugehört, ohne daß sein langes Gesicht den gewohnheitsmäßigen Ausdruck der Milde verloren hätte. Jetzt seufzte er ein wenig oder vielmehr, er holte einen tiefern Athemzug, wie man etwa thut, wenn man Schwierigkeiten vor sich sieht. „Diese junge Person wird schwer zu beugen sein unter die Zuchtruthe des Herrn,“ murmelte er. „Wir dürfen der Nachsicht nicht müde werde, aber auch nicht ablassen – mit heilsamen Mitteln, bald des Zuspruchs, dann auch wieder gänzlicher Enthaltung von demselben. Die Abgeschiedenheit – ich meine die völlige“ – hier richtete er die Augen, was nur ausnahmsweise geschah, gerade auf die der Nonne – „ohne jede Unterbrechung durch Gottesdienste und dergleichen wirkt oft mehr als die liebevollste oder strengste Vermahnung.“
„Das Fräulein verläßt die Zelle nicht mehr,“ sagte darauf Schwester Veritas, den Blick zurückgebend, so daß nun gewissermaßen ein zweiter Verständigungsweg neben dem, den das gesprochene Wort bildete, hergestellt war. „Sie erhält ihre Kost durch den Schieber, sieht niemand von den Schwestern und hat keinen Verkehr mehr mit irgend einem. Auch ich habe mich enthalten, mich ihr zu zeigen.“
Der Pater Gollermann schob die beweglichen Lippen übereinander und lachte leise. „Und auch diese Absonderung hätte noch keine heilsame erschütternde Wirkung gehabt?“
„Bis jetzt keine,“ sagte die Nonne. „Im Gegentheil, das Mädchen ist wild und rastlos. Davon, daß sie die ihr vorgeschriebenen Uebungen vornähme, habe ich, wenn ich sie belauschte oder belauschen ließ, nichts vernommen. Sieht man sie beten, so ist es nicht in der Weise, die unsere heilige Kirche vorschreibt, sondern nach Art der Schwärmer und Neuerer. Vielleicht aber auch, daß dann wenn sie so wild die Arme emporwirft, die Gewissensangst aus ihr spricht,“ fügte die Nonne hinzu. Dabei sah sie den geistlichen Herrn nicht an, wohl aber streifte sein forschender Blick ihr nichtssagendes Antlitz. Es war bezeichnend, daß diese beiden sich absichtlich nie voll verständigten, darüber zum Beispiel nicht, ob die unglückliche Polyxene denn ohne einen Zweifel für schuldig an dem schnöden Morde zu halten sei. Dieser Punkt wurde nie berührt. Und das war auch nicht nöthig, weil ein anderer feststand: [450] daß man sich hier durchgängig den Anschein zu geben habe, als sei sie es.
Jetzt begann der Pater Gollermann wieder: „Ja, diese übermüthige Jugend widerstrebt, so lange sie kann, dem Heile, das in der Zerknirschung und Buße liegt, aber wir dürfen nicht nachlassen. Ich habe es von guter Hand: dem milden Herzen unserer gnädigen Frau Pfalzgräfin wäre nichts erwünschter, als wenn ein freiwilliger Eintritt in die Gemeinschaft Eueres Hauses, Schwester Veritas, den Makel auslöschte oder in Vergessenheit brächte, der sonst von jetzt ab an jenem altadligen Namen haften würde. Wie gesagt, wir dürfen nicht müde werden. Was ich fragen wollte: die Zelle ist doch gesund, in der das Fräulein untergebracht ist? Ich meine“ – mit einem raschen Blick – „sie bleibt bewohnbar ohne Nachtheil für die Gesundheit auch in der rauhern Jahreszeit?“
„Der hochwürdige Herr meint, ob es dort nicht zu kalt werde? Im Gegentheil,“ erwiderte die Nonne und sah nun ihrerseits den Pater Gollermann fest an. „Der Schornstein der Bäckerei geht hindurch, nebenan liegen unsere Räucherkammern. Da kann es kommen, daß nicht die Kälte, sondern Hitze und Dunst in dem Raume lästig werden für einen, der allzu zart gewöhnt ist. Aber Hochwürden können ruhig sein: gestorben ist daran noch keines, wenn je einmal das Gelaß, welches deshalb sonst leer steht, besetzt werden mußte.“
„Es ist wohl keine andere Zelle frei?“ warf Pater Gollermann hin.
„Nein, keine,“ sagte die Nonne. „So lange dies Fräulein uns durch ihren Mangel an Bußfertigkeit nöthigt, sie abgesondert zu halten, wird sie, fürcht’ ich, dort verbleiben müssen, auch wenn die Wand heiß wird.“
„Nicht zu heiß aber,“ mahnte Pater Gollermann mit Bedeutung.
„Sorgt nicht,“ beruhigte ihn die Nonne, wieder einmal die Lider von den farblosen Augen hebend. „Und wird dem Fräulein das Verweilen dort allzu beschwerlich, so dürfen wir vielleicht hoffen, sie alsdann fügsamer zu finden, zum Vortheil ihrer Seele.“
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Sowie Herr von Nievern aus dem Gemach der Méninville gekommen war, hatte er, der in einem entfernten Nebenflügel des Schlosses, dem sogenannten Kavalierhaus, wohnte, sein Pferd satteln lassen und war hinaus zur Herrenmühle geritten. Es drängte ihn, mit dem einzigen Menschen zu reden, der Polyxenen von Rechts wegen ein Schutz sein konnte. Wäre dieser eine, dachte er unterwegs, doch nur ein anderer als gerade jener alte Sonderling gewesen!
Der Oberjägermeister war nun in der Gegenwart des Obersten, in dessen Bücherei. Und er fand den Alten, wenn auch trocken genug, so doch traktabler, als er gedacht hatte.
Herr von Gouda hatte den stattlichen Hofherrn zuerst wunderlich angesehen, als er erfuhr, daß der Gegenstand seines Besuches die junge Polyxene war. „Zunächst einmal: was verschafft meiner Mündel diesen besondern Antheil von Euch, Herr Oberjägermeister?“ hatte er gleich zum Beginn mit seiner gleichmüthigen Stimme gefragt.
Der Kavalier hatte eine leichte Verwirrung bei dieser Frage überwunden und dann mannhaft geantwortet: „Nehmt an, Herr Oberst, es sei der Antheil eines Mannes von Ehre am Schicksal einer schutzbedürftigen Unschuld.“
Herr von Gouda neigte ein wenig den Kopf. „Ich will mir daran genügen lassen, Herr von Nievern, und Euch zugleich ein anderes nicht verhehlen: hättet Ihr eine andere Art von Theilnahme für meine junge und, wie ich nicht leugnen mag, dem Auge wohlgefällige Nichte, so würde dies wahrscheinlich nur zur Verwirrung ihrer Angelegenheit dienen. Ihr sollt Euch des Mädchens schon einmal gegen eine üble Laune unserer Pfalzgräfin öffentlich angenommen haben, und Kundige wollten es glaublich finden, daß durch diesen Vorfall dem Kinde Neider und Feinde erweckt worden seien.“
Nievern biß die Zähne aufeinander; die Worte des wunderlichen Mannes trafen ihn. Von einer großmüthigen Laune hatte er sich damals treiben lassen und sich nicht um die Folgen gekümmert. Wenn er damit nun wirklich in das Geschick des armen jungen Geschöpfes zum Unheil eingegriffen hatte! „Haltet mich für einen redlichen Freund Eueres Mündels und sagt mir alles, was Ihr wißt!“ konnte er hierauf nur um so ernstlicher bitten.
Der Oberst hielt auch nicht zurück. „Ich bin etwas von einem Menschenkenner und ich traue Euch,“ sägte er und nickte dem jüngeren Manne zu.
Herr von Nievern erfuhr nunmehr, daß der Vormund Polyxenens etwas wenigstens schon gethan habe: festgestellt nämlich, wie der Ursprung jenes unsinnigen Gerüchtes – so nannte es der Oberst, wofür der Herr von Nievern von Stund’ an lebenslang sein Freund wurde – nirgends anders als im pfalzgräflichen Schlosse selber und zwar in der nächsten Umgebung der Fürstin zu suchen sei.
„Dieses Weib also wirklich,“ murmelte der Oberjägermeister, wobei er despektierlicherweise die fromme Frau von Méninville meinte. „Oder – –“
„Die geistlichen Herren soll einer freilich nicht auf seine Fährte bringen, wenn ich mich so ausdrücken darf, und das hat die Polyxene gethan,“ fuhr der Oberst fort. „Habt Ihr überhaupt etwas über die ihr zur Last gelegten Delikte vernommen, so wißt Ihr auch, daß sie in den Augen der Kirche jetzt ein räudiges Schaf ist, weil sie sich der Ansteckung durch die Pest der Ketzerei ausgesetzt hat.“
Der Oberjägermeister zuckte die Schultern mit einer sprechenden Gebärde der Geringschätzung für diese Beschuldigung. Herr von Gouda hob warnend den dürren spitzen Finger. „Mißachtet diese Anklage nicht: ich glaube, sie ist allerdings der Kern der Sache. Jener andere abenteuerliche Verdacht –“
„Ist vielleicht nur ein schändliches Werkzeug, um das Fräulein zu schrecken und gefügig zu machen!“ fiel, als der Oberst überlegend stockte, der Herr von Nievern hastig ein. Bei aller siedenden Empörung, die er schuf, führte der Gedanke doch auch ein Etwas von Erleichterung mit sich.
Herr von Gouda gab zu, daß ihm Aehnliches auch schon durch den Kopf gefahren sei. Die beiden Männer wechselten noch eine gute Weile ernsthafte Rede und Gegenrede, aber besser zu Muthe war beiden am Ende dadurch nicht geworden. Es war, wie wenn ein Netz des Unheils über die unglückliche Polyxene geworfen worden wäre. Schien dasselbe hier lächerlich lose und leicht zerreißbar, so hingen sich dafür seine Maschen an anderer Stelle schnürend und lähmend fest, und so wußte man kaum, wo angreifen zur Rettung.
Frei mußte das Mädchen ja wieder werden, sie mußte – das schwur sich Nievern innerlich. Und was wäre ihm bisher im Leben mißlungen? Wie kam es aber dann, daß ihn bisweilen eine heiße Angst um sie packte, eine Empfindung, die der stolzen Sorglosigkeit seines Wesens so neu war? War es, weil hier die Jesuiten im Spiele waren, die besten Bundesgenossen und zugleich die zähesten und gefährlichsten Gegner, die ein Mann – oder ein Weib – haben konnte? Nievern nagte düster vor sich hinstarrend an der Unterlippe. Sollte er mit diesen Schwarzröcken jetzt kämpfen und gar am Sieg zweifeln müssen? Wie, wenn man den weltlichen Arm, die Justiz, gegen sie aufrief wegen Freiheitsentziehung? – Ziemlich aussichtslos, wie das auf der einen Seite war – denn die Väter waren vorsichtig und hatten sich meist den Rücken durch Vollmachten und Licenzen gedeckt – erschien es andererseits nicht einmal ohne Gefahr für Polyxene selber. Wer den schnöden Giftstaub jenes Verdachtes gegen sie zuerst in die Luft geblasen hatte, der würde auch den Weg finden zu dem anfangs freilich harthörigen Ohre der Justiz. Und war deren schwerfälliger Apparat erst einmal gegen Polyxene in Bewegung gesetzt, dann würde diese so schlimm dran sein wie jetzt, wenn nicht schlimmer.
Das alles erörterten die beiden Herren in sorgenvollem Wechselgespräch. „Und auf den armen Junker sind wir noch gar nicht gekommen,“ rief endlich der Oberjägermeister, „und was Euch von seinem Verschwinden dünkt, Herr Oberst!“
Dieser zuckte mit den spitzen Schultern. „Ich weiß nicht, wohin der Schlingel gerathen sein mag,“ sagte er trocken. „Es wird zur Zeit noch nach ihm geforscht ... man ist von seiten des Vormundes nicht müßig gewesen, Herr.“
„Das klingt nicht, als glaubtet ihr an ein Unglück!“ sagte Nievern lebhaft. „Käme der Junge wieder zum Vorschein – welcher Schlag ins Gesicht jener niederträchtigen Verdächtigung!“
Dazu meinte Herr von Gouda mit seinem unbewegtesten Gesicht: „Er braucht nicht im Mühlkanal zu liegen und es kann doch lange währen, bis er wieder zum Vorschein kommt ober Kunde von ihm, allzu lange für uns. Wenn er über die Grenze zu den holländischen Werbern gelaufen ist, so schifft er vielleicht jetzt auf einem ihrer Dreidecker nach Indien.“
„Heimlich davongegangen?“ Der Oberjägermeister runzelte die Brauen. „Solches Leid hätte er freiwillig über Fräulein Polyxene gebracht? Und sie war ihm doch wie eine liebe Schwester!“
„Sie glaubt es auch nicht,“ gab der Vormund zu. „Aber [451] die kecke Jugend ist gedankenlos und deshalb schon unbekümmert um das, was sie uns Aelteren anthut. Und wenn er nun hätte Nachricht geben wollen von seinem Verbleiben und Brief oder Botschaft wären nicht aus Ziel, das heißt bis zu uns, gelangt?“
„Der Sache müssen wir nachforschen,“ murmelte Nievern, der sich indessen erhoben hatte, denn es war Zeit zum Heimritt. „Zählt dabei auf mich, Herr Oberst – ich habe Vettern und gute Freunde nicht nur in diesem großmächtigen Lande Birkenfeld. Es müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir von diesem Unglücksjungen – dafern er über der Erde ist, was ich mit Euch von ganzem Herzen hoffe – nicht irgend eine Spur auffinden sollten!“
Ehe er sich verabschiedete, hart an der Thür, begann Nievern noch einmal, mit leiser Ueberwindung: „Daß das Fräulein im Kloster so abgeschieden von allen ihren Freunden ist, scheint hart. Meint Ihr wirklich, daß man auch Euch, dem Vormund, den Eintritt zu ihr wehren würde? Sonst würde ich Euch bitten, ihr zu sagen, daß sie mehr Freunde hat, als sie vielleicht denkt, damit sich ihr der Muth wieder stärke.“
„Das sagt ihr nur selber, wenn Ihr hineinzukommen vermögt,“ gab Herr von Gouda zur Antwort. „Ihr kennt die Geistlichkeit schlecht, wenn Ihr meint, das sei so leicht. Hätte ich nicht einen Bundesgenossen noch seltenerer Art mit Verlaub, als Ihr es seid, so wüßte ich über mein Mündel, das Fräulein, jetzt nicht einmal das Wenige, was ich weiß,“ Und dem hochaufhorchenden Kavalier erzählte er nun vom Strieger, und wie dieser alte Fuchs die Fahrt auf der Klosterkutsche mitgemacht habe.
Das gefiel dem Herrn von Nievern so gut, daß ihm dann während des Heimrittes der Gedanke an den schlauen Alten immer wieder kam und die Gestalt desselben, die er doch nie mit Augen gesehen hatte, sich ein paarmal zwischen seine Ueberlegungen drängte. Er ritt im Schritt fürbaß, in der frühen Dämmerung des Herbsttages, die ihm gerade recht war. Als er das Stadtthor hinter sich hatte, wollte der Braune den gewohnten Weg nach links zum Residenzschloß einschlagen, fand sich aber zu seinem unwilligen Befremden durch einen gelinden Zügelruck daran gehindert; sein Herr nöthigte ihn nach rechts. Das verwöhnte Thier schnaubte ein wenig, wie verächtlich, während sein Huf hier einen elenden steinigen und zugleich kothigen Weg betrat, Es war dies die entlegenste und ärmste Gegend des Städtchens, dessen Mauern einen viel größeren Raum einfriedigten, als es, durch den großen Krieg am Lebensmark versehrt, anzufüllen vermochte. So zogen sich hier Gärten und Aecker und dazwischen einzelne elende Behausungen hin. Nur ein stattliches Gebäude ragte seitwärts im Dämmer auf, mit vielen Fenstern, langgestreckten Schieferdächern und einem kleinen Glockenthurm. Es war das Haus der Ursulinerinnen, noch immer dicht an Stadtmauer und Graben gelehnt wie einst. Es war aber keine übersichtliche Fläche, die das Kloster vom Kerne der Stadt trennte, sondern ein Gewirr von buschigen Gärten, Heckenwegen und Zäunen.
Kein Mensch begegnete dem Reiter, der jetzt in einiger Entfernung das Nonnenhaus umritt, soweit dies möglich war, und dabei unverwandt nach den Fenstern desselben schaute, den vielen dunklen und den einzelnen matt erhellten. Wie trübe das Flämmchen sein mußte, das den Bewohnerinnen der Gelasse hinter jenen kleinen Scheiben abends leuchtete, und wie bänglich für ein junges, freies, Licht und Luft gewohntes Geschöpf der Aufenthalt zwischen jenen öden Mauern! Mitleid und Scham und noch etwas anderes packten den einsamen Mann im Sattel, daß er die Zähne aufeinander biß und unter dem unwillkürlichen Drucke der Schenkel sein Pferd sich hob und in Trab fiel. Er zügelte das Thier aber wieder, rauh, wie er sonst nicht mit ihm umging, und klopfte ihm dann den zitternden Hals in halber Reue. Jetzt hielt er an und blickte nach dem Hause drüben, als könnte er durch die Mauern hindurch sehen. Er sah auch, sah die weißen Glieder Polyxenens in ihrem herben Reize vor sich . . . die schönen Weiber dort in Arlon hatten sich ihm in die Arme geworfen beim wilden Tanz, und nicht nur sein innerstes Herz, sein Blut sogar war kalt geblieben . . . was war es, das ihm jetzt im Eingeweide brannte und ihm den Gaumen trocken werden ließ wie einem vor Durst Verschmachtenden, während er derjenigen dachte, welche hinter jene Mauern entrückt war?
Er kam mit einem Male zur Besinnung und zum Bewußtsein seiner nächsten Umgebung. Das Pferd war unruhig geworden, wie wenn es in dem engen Heckenpfade vor irgend einem Gegenstand scheute. Der Oberjägermeister blickte zur Seite, wo ein Weidenstrunk oder etwas Aehnliches ein weniges über das Heckengestrüpp herausragte. War es wirklich ein Baumstumpf? Nein! Mit eineln leisen Fluche hielt Nievern sein Pferd an, bog sich seitwärts aus dem Sattel und hob dann die schwere Reitpeitsche mit dem Knopfe, als wenn er untersuchend irgendwo aufklopfen wollte. „Holla, Freund!“ rief er unwirsch, „was zum Henker drückt Ihr Euch da herum – denn Ihr seid doch ein Mensch und kein Holzklotz . . .“
Der andere schob mit der Hand die Gerte zurück und sagte, auch nicht eben höflich: „Was zum Henker bringt Ihr einen Gaul hierher, wo ein Mensch kaum Platz hat, die Füße voreinander zu setzen. Ihr seid hier mehr im Wege als ich, dächt’ ich.“
Der Sprecher hatte sich allerdings tief in die Hecke hineinschieben müssen, um dem Pferde Raum zu geben. Aber augenscheinlich war doch auch seine Absicht gewesen, den Reiter vorüber zu lassen, ohne überhaupt bemerkt zu werden, Herr von Nievern faßte ihn jetzt um so schärfer ins Auge, soweit es das rasch sinkende Tageslicht zuließ, und ihm war, als müsse er den verwitterten Alten kennen, obwohl er ihn nie zuvor erblickt hatte. Er brachte sein Pferd so vor den Fußgänger, daß dieser keinen Schritt thun konnte, beugte sich aus dem Sattel und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mann – Ihr müßt der alte Strieger sein oder ich bin’s. Sprecht“ – er neigte sich noch tiefer herab und sprach leiser, obwohl sie beide zu dieser Stunde hier so allein waren wie etwa auf dem Meere – „Gut Freund von Fräulein Polyxene!“
Jetzt funkelten ihn die neunzigjährigen Augen des anderen an, und wie von einem leisen hohlen Lachen begleitet kamen die Worte: „Kennt Ihr mich, so kenn’ ich Euch auch, Herr Oberjägermeister, Ihr wundert Euch? Ha ha – der Waldkauz sieht den Jäger fünfzigmal, ehe der ihn einmal gewahr wird.“
Nievern glitt vom Pferde und nun standen die beiden Männer dicht beieinander. „Ihr streicht um ihretwillen hier herum, wißt Ihr etwas Neues?“ fragte der Kavalier den Alten, alle Umschweife verschmähend.
Der Strieger sah nun seinerseits seinen Mann an; er sah die schönen, sonst so heiteren vornehmen Züge verdüstert und konnte merken, wie jenem die Sorge dicht am Herzen saß. Doch antwortete er, nach seiner Art, nicht direkt. „Hier hinaus sieht ihr Fenster nicht,“ begann er zunächst, „wenn man das Fenster nennen kann, ein Loch in der Mauer, Es geht drüben auf den Graben; herauszuholen ist sie da nicht, Herr, von außen nicht. Aber“ – er schaute den anderen prüfend von der Seite an – „vielleicht will sie auch gar nicht. Sie will ja selber geistlich werden, wie?“
„Ich dächte, das wüßten wir beide besser“ erwiderte Nievern. „Laßt Euere Kniffe und Schliche, Alter; bei mir braucht es dergleichen nicht. Und jetzt sollt Ihr wissen, daß ich zu dem Fräulein zu stehen gedenke, offen und heimlich, je nachdem, und daß, wer auch immer ihr einen Dienst thut, an mir einen Freund hat . . .“
„Freunde kann sie brauchen, aber daß Ihr einer seid, rath’ ich Euch, nicht auf den Dächern auszukrähen,“ sagte darauf der alte Waldwart. Nievern kannte diese Jägervorsicht, die sich immer nur verstecken und Ziel und Wegspur verbergen und verwischen will. Nun, sie konnte hier nichts schaden. „Der beste Freund des Fräuleins wäre der, der aussagte, wo wir den Junker zu suchen haben,“ murmelte er jetzt vor sich hin. Der Strieger nickte. „Tot ist der Junker so wenig wie ich,“ setzte er mit Bestimmtheit hinzu.
„Und auch nicht zu den holländischen Werbern gelaufen?“
„Nein, der ist nicht davongegangen! Er war ja hier so vergnügt, wie der Tag lang ist. Ein frischeres und froheres junges Blut wie ihn, wenn er mit dem Fräulein auf dem Pirschgang war, habe ich meiner Tage nicht gesehen. und der hätte freiwillig hinter dem Unglück und einer fremden Trommel herlaufen sollen? Das macht mir keiner weis . . , Aber ich muß fort, Herr, der Waldwart gehört in sein Gehege. Wenn Ihr etwas von mir wollt –“
„Ja, sagt mir, wo ich Euch dann finde!“ erwiderte Nievern hastig. „Ich komme in Eueren Wald ... vielleicht daß Ihr mir einmal einen Botengang thut ... Und Ihr wißt mehr, als Ihr jetzt herauslaßt . . . hole der Henker Euere Vorsicht! Merkt Ihr denn nicht, daß ich für das Fräulein meine Hand ins Feuer legen würde?“
Der Strieger sah den schlanken Mann noch einmal rasch und forschend an, blickte in ein Gesicht, welches wohl jedem Weibe [452] gefallen mußte und nur ernster erschien, als man es zu sehen gewohnt war, und ein Licht mochte ihm aufgehen. „Was soll ich denn wissen?“ sagte er aber doch hartnäckig. „Wenn Ihr den Junker meint, daß der fort ist, als hätte ihn der Boden verschluckt – dabei steht mein Verstand ebensogut still wie der von gescheiteren Leuten. Denn daß er etwa desselben Weges gefahren wäre wie das Fräulein, das ist doch nicht zu glauben ... so einer wehrt sich, wenn sie ihn etwa hätten davonführen wollen, um ihr einen Possen zu spielen. Und nun gar ihn geistlich zu machen, das brächten alle Schwarzröcke der Welt nicht fertig!“
Nievern, stumm vor Betroffenheit, starrte den Alten an, die Gestalt, kräftig zwar, aber doch das hohe Greisenalter nicht verleugnend; und jetzt in der Dämmerung überkam ihn die wilde Seltsamkeit derselben mehr als zuvor. Selbst den aufgeklärten Hofherrn durchzuckte ein wunderlicher Gedanke. Dem gewöhnlichen Laufe der Natur nach hätte dieser Alte längst Staub und Moder sein müssen. Und da stand er, unverwüstlich, wie einer seiner knorrigen Waldbäume, denen er glich, und verrieth in Wort und Werken die Klugheit, die mehr als menschliche, eines Gnomen!
In das uralte Antlitz vor sich starrte Nievern oder vielmehr auf den kleinen, tief beschatteten Fleck unter dem Hute, der jetzt, da der Abend völlig hereingebrochen war, dies Antlitz vorstellte, und aus dem nur dann und wann die Augen aufleuchteten. „Bei Gott, Euch anzutreffen verlohnt sich,“ sagte er endlich. „Aber Ihr habt recht, hier ist nicht der Ort und die Zeit, um weiter zu reden. Bescheidet mich, wo ich im Forste mit Euch zusammenkommen kann . . . von heute ab in zwei Tagen, gegen Sonnenuntergang. Ihr haust am Heidenkopfe . . . habe ich recht sagen hören?“
Der Strieger murmelte ein paar unverständliche, unwirsch klingende Worte „Wo ich hause, kann Euch gleich sein,“ murrte er dann. „Kommt Ihr aber zu der Zeit, von der Ihr sprachet, von der Stadt her den Heidenkopf hinauf, nicht durch die Föhren, sondern hart am Bruchland vorüber, so geht bis zum dritten Markstein links und da wartet; kann sein, daß wir uns dann treffen.“
„Kann sein? Ich denke, es wird sein,“ sagte Nievern, nun auch herrischer, als er bisher gesprochen hatte. Doch fügte er hinzu: „Geschieht es doch um deretwillen, der Ihr, denke ich, ja auch treulich anhängt. Ho, ho, steh’ –“ Die letzten Worte galten dem Pferde, das eine Bewegung der Ungeduld gemacht hatte. Nievern klopfte seinem Thiere beruhigend den Hals. Als er es aber soweit hatte, daß es noch einmal stille stand, da fand sich, daß die Bemühung nicht nöthig gewesen wäre. Nievern, sich wieder zurückwendend, blickte sich betroffen um. Er war allein – die Stelle, wo der Alte gestanden hatte, war leer, als hätte ihn der Erdboden geschluckt. Und dabei hatte man auch nicht ein welkes Laub rascheln hören.
Den Oberjägermeister dünkte das so seltsam, daß er sich die Mühe gab, links und rechts zu spähen, auch jenseit der Hecke, an welcher der Strieger gestanden hatte. Da war ein verwilderter Garten, in dem niedrige, jetzt herbstlich dürre Beerenbüsche wuchsen. Wie einer aber, und noch dazu ein Neunzigjähriger, nur diese zur Deckung benutzend, sich so hatte davonmachen können, erschien ihm unbegreiflich und er schüttelte noch den Kopf darüber, während er nachdenklich aufsaß und von dannen ritt. Ihn beschäftigten die Worte, die der Alte eben über das Verschwinden des jungen Lutz sich noch hatte entlocken lassen; sie waren wie ebensoviel Funken gewesen, durch die ihm das Dunkel jener Angelegenheit, wenn auch flüchtig, so doch auf eigenthümlich versprechende Weise erhellt worden war.
Es ist nichts so schlimm, daß es nicht zu etwas gut wäre, auch die fürstlichen Launen. Frau Sabine Eleonore vergaß, wie sie gedroht hatte, ihrer lieben Méninville sobald nicht, daß diese ihr durch unzeitige Erwähnung der Angelegenheit Polyxenens gegen Herrn von Nievern den Spaß jenes Nachmittags verdorben hatte. Dabei kam aber mehreres zusammen. Einmal trug die kleine Dame wirklich hartnäckig und lange nach wie alle in engen Grenzen begriffenen Naturen. Dann mochte sie gerade bei dieser Gelegenheit sich bewußt geworden sein, daß sie der titellosen Méninville doch in der letzten Zeit recht viel eingeräumt habe. Und diese Stimmung kam der braven Obersthofmeisterin zugute, deren Dienste jetzt wieder mehr begehrt wurden und die auch einigemal wieder vertraulicher Ansprachen der Fürstin gewürdigt wurde – alles natürlich, um die Méninville zu ärgern.
Diese wählte den Weg, mit der Miene verkannter Treue sich eine Weile schweigend zurückzuziehen, sicher, daß die Fürstin sie auf die Dauer nicht würde entbehren können. Inzwischen durfte die gute Kallenfels wirklich einmal aufathmen und sich in frühere Zeiten zurückversetzt glauben. Eines Tages, als es der Dienst so fügte, daß sie mit der Pfalzgräfin allein war, brachte diese [470] die Rede auf das Fräulein von Leyen. Und da mußte sie denn an der Obersthofmeisterin, die sie als einen getreuen Spiegel der Stimmung des übrigen Hofadels kannte, gewahren, wie wenig das Vorgehen gegen Polyxene nach dem Geschmack eben dieses Adels war. Dabei war offenbar in den Hofkreisen nur die Rede von einer Untersuchung in Glaubenssachen. Nun begann die kleine Pfalzgräfin, auch hier innerlich getrieben durch eine gewisse Auflehnung gegen die Méninville, und machte ihrer alten Getreuen Andeutungen von dem furchtbaren Verdachte gegen das unglückliche Fräulein von Leyen, den man ihr eingeflößt hatte.
Es dauerte lange, bis die Obersthofmeisterin sie verstand. Ja sie that dies überhaupt nicht, bis die Fürstim jetzt widerwillig genug, ihr mit dürren Worten sagen mußte, es scheine glaublich, daß die Polyxene ihren kleinen Vetter hinterrücks in den Mühlgraben gestoßen habe, um ihn zu beerben. Da aber war das Entsetzen der Obersthofmeisterin so ungeheuer und zugleich ihre Entrüstung, obwohl immer in den Schranken der Etikette, so groß, daß die Pfalzgräfin von ihrer Kallenfels dergleichen nie für möglich gehalten hätte.
Und gerade in diesem Augenblick ließ sich Herr von Nievern in außerdienstlichen Angelegenheiten melden. „Sagt nur von dieser Affaire nichts,“ mahnte die Fürstin gerade noch, ehe man den Kavalier eintreten ließ. „Er wird sonst gar kollerig –“ Sie selber war aber unruhig und fast unsicher, und der Obersthofmeisterin konnte man trotz ihrer Selbstbeherrschung eine unerhörte Verfassung anmerken. Und wie mußte es nun beiden zu Muthe werden, als sich sofort enthüllte, gerade in dieser Angelegenheit des Fräuleins von Leyen habe der Oberjägermeister eine Audienz nachgesucht!
„Wir redeten eben davon,“ fuhr Frau Sabine Eleonore unmuthig heraus: „Da seht die Kallenfels an . . . der stockt noch immer das Wort im Munde über das, was sie eben von mir über die Polyxene vernommen hat.“
Nievern wandte den scharfen kühnen Blick auf das meist so ausdruckslose Vogelgesicht der Obersthofmeisterin mit der gerötheten Nasenspitze, und er sah, daß es unter dem leicht kupferigen Anflug erblaßt war in nie dagewesener Erregung. „Die hoch zu verehrende Dame scheint damit auch eine Neuigkeit erfahren zu haben wie ich jüngst,“ sagte er schneidend. „Ist es so?“
„Gestatten Pfalzgräfliche Gnaden, daß ich mich zurückziehe,“ begann darauf die Obersthofmeisterin mit zitternden Lippen. „Mir ist ganz übel geworden. Das ist, ich erkühne mich, es zu behaupten, ein himmelschreiendes Unrecht, das man begeht. Nicht viel schlimmer dünkte es mich, Gott verzeih’ mir’s, wenn einer aufstehen wollte und vorgeben, ich hätte Euerer Hoheit nach dem Leben getrachtet.“
„Hei des verkehrten Zeugs, das Ihr schwatzt, liebe Kallenfels!“ rief die Fürstin, nicht erbaut von dem Vergleiche, der die fürchterlichste Ausschweifung bedeutete, zu welcher es die sonst stets hoffähige Phantasie der Würdenträgerin zu bringen vermochte.
„Im Grunde muß ich der Frau Obersthofmeisterin recht geben,“ wagte dennoch Herr von Nievern zu sagen. „Und fragen möchte ich Pfalzgräfliche Gnaden aufs ernstlichste, wie Sie eigentlich über die Entstehung eines Gerüchtes denken, welches, wie Hoheit sich überzeugen müssen, dem Adel wie der Stadt so fremd wie fürchterlich erscheint! Wer hat es zuerst ausgesprengt? Als wessen Verdacht giebt sich die niederträchtige Anschuldigung aus?“
Die Pfalzgräfin, so in die Enge getrieben, wurde ärgerlich. „Wollte Gott, ich hätte das letzte davon gehört,“ rief sie. „Uebrigens – was ist denn der Leyen bisher groß geschehen? Sie sitzt bei den Ursulinerinnen, ja, aber es giebt arme adlige Fräulein genug, die sich gar nichts Besseres wünschen, und ich glaube nicht, daß es ihr die Nonnen an irgend etwas werden gebrechen lassen!“
„Wollen Pfalzgräfliche Gnaden ihren Freunden nicht gestatten, sich davon zu überzeugen?“ sagte Nievern rasch. „Und Euch dann Bericht zu geben? Als eine Waise hat das Fräulein an unserer allergnädigsten Frau bisher doch auch eine Art Mutter gehabt. Ist es der Geistlichkeit zuzulassen, daß sie sich anmaßt, die mütterliche Fürsorge Euerer Hoheit für dies Fräulein so ganz beiseite zu schieben?“
Sabine Eleonore stutzte leicht. Diese Auffassung war ihr nicht mißfällig. Und nun kam noch ein Gedanke – wie auch sie einmal ihrer lieben Méninville einen Streich spielen könnte! Den kleinen innerlichen Triumph darüber verbarg sie, so gut es gehen wollte, hinter der Würde, mit der sie jetzt sagte: „Keineswegs denken wir, Herr von Nievern, uns dieses Rechtes völlig zu begeben. Wir werden eine vertraute Person in das Kloster senden, die sich an Ort und Stelle davon überzeugt, wie das Fräulein dort logiert ist und wie man mit ihr verfährt. Unser Abgesandter hat sich, nach unserem ausdrücklichen Wunsch und Willen, deshalb nicht im Sprechzimmer abspeisen zu lassen, sondern er wird verlangen, daß man ihm das Gemach der Leyen erschließt, in dem sie sich bisher aufgehalten hat. Da sie weder Nonne noch im Noviziat befindlich ist, so ist dies zulässig, was man dort auch etwa einwenden möge. Ich vertraue, daß ich den rechten Mann getroffen habe, der den guten Nonnen, sollten sie sich etwa sperrig zeigen, gewachsen ist. Denn Ihr, mein Herr Oberjägermeister, sollt in dieser Sache mein Bevollmächtigter sein.“
Herr von Nievern verneigte sich tief, vielleicht um das Aufblitzen seiner Augen bei diesem unverhofften Auftrage zu verbergen. „Hoheit verfährt wie eine echte Landesmutter,“ sagte er dann leise, und sie gestattete, daß er ihr dankbar die Hand küßte.
Seine Wärme, die sie wohl merkte, that ihr so wohl, daß sie ein wenig roth wurde. Gegen Polyxene empfand sie in diesem Augenblick keine Eifersucht – jetzt, da das Mädchen im Unglück saß, erlosch mehr und mehr der Groll, den sie früher eine Zeitlang gegen dasselbe gehegt hatte. War derselbe damals doch auch künstlich in ihr genährt worden von jener Seite, die gerade jetzt bei ihr nicht in Gunst stand. „Seid Ihr nun besser mit mir zufrieden, Obersthofmeisterin?“ fragte sie dann. Die Kallenfels hatte aber ihre gewöhnliche Fassung noch nicht völlig wieder gewonnen. „Hoheit wollen gnädigst excusieren – mir ist immer noch, als hätte ich einen Schlag vor den Kopf erhalten,“ klagte sie. „Es müßte unser einem ja sehr erfreulich sein, daß Euer Gnaden sich dieser arg verleumdeten jungen Person von Stande annehmen. Wenn es aber nur nicht schon zu spät ist!“
„Wie meint Ihr das?“ fuhr die kleine Hoheit sie förmlich an, in begreiflicher Weise geärgert durch den derben Nasenstüber, den ihr ihre Getreue da eben verabfolgt hatte.
„Hoheit haben die Geistlichkeit sich hineinmengen lassen, und mit der Geistlichkeit ist nicht gut Kirschen essen,“ beharrte die Obersthofmeisterin. „Gott verzeihe mir – ich gedenke, stets eine gute katholische Christin zu sein und zu bleiben. Aber es haben sich Personen in das Vertrauen Euerer Gnaden eingeschlichen, die den Mangel an Stand und Namen durch ein geistliches Ansehen verdecken wollen, das sie sich geben. Ich rede nicht von Seiner Hochwürden, dem Pater Gollermann. Geistlich sein ist seines Amtes, ich habe nichts dawider. Ob er aber ohne eine Anstiftung sich so viel gegen das Fräulein vermessen hätte? Ich fürchte, ich behalte Recht, wenn ich von einer gewissen Person Trug und Arglist mich immer des Schlimmsten versehen habe.“
Die Anspielung war so deutlich, daß der Name der Frau von Méninville gar nicht mehr ausgesprochen zu werden brauchte.
Frau Sabine Eleonore, in dem Gefühl, daß sie ja ihre dergestalt angefeindete Vertraute jeden Augenblick völlig fallen lassen oder aber, ihrem Hofadel zum Tort, erst recht wieder zu Gnaden aufnehmen könne, war innerlich belustigt über den Eifer ihrer Würdenträgerin. Wieviel Aerger mußte diese die Zeit her schweigend geschluckt haben, wenn sie so aus ihrer steifen Zurückhaltung herausging! „Ich denke, Ihr könnt unbesorgt sein, liebe Kallenfels,“ sagte sie jetzt. „Zum Ueberfluß soll es der Herr Oberjägermeister von uns schriftlich haben, daß er von uns beauftragt worden ist, im Kloster nach dem Fräulein zu inquirieren und sich mit eigenen Augen von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen. Und dann wollen wir doch sehen; ob die Nonnen etwas dawider haben!“
Diese schriftliche Vollmacht wurde wirklich ausgefertigt und Herr von Nievern nahm sie etwas ironisch entgegen, da eine solche Unterstützung des ihm gewordenen Auftrages seinem Selbstgefühl nicht eben schmeicheln konnte. –
Es war gleich am Morgen nach seiner Audienz bei der Pfalzgräfin, daß der Oberjägermeister den Weg wieder ritt, den er vor kurzem im Abendnebel gekommen war, um sich nunmehr öffentlich an die Pforte des Hauses der Ursulinerinnen zu begeben. Er wurde alsbald vor das Angesicht der Aebtissin selber geführt und glaubte, gewonnenes Spiel zu haben. Denn diese, in ihrem vormaligen weltlichen Stande einer Raugräfin von Degenfeld, empfing den Oberjägermeister als Standesgenossen; das Gefühl [471] ihrer Herkunft und ihr altes menschliches Selbst schienen einmal wieder aufzuleben bei der unerwarteten Begegnung. Sie war eine korpulente Dame mit rasselndem Athem; sogar die Fastenvorschriften des Klosters hatten ihre Neigung zu beträchtlicher Körperfülle nicht aufzuhalten vermocht.
Als Herr von Nievern, nach allerlei Auskünften über alte Bekannte, die er ihr hatte geben müssen, zu seinem Auftrage kam, verbarg sie mit guter Miene eine leichte Betroffenheit und schickte nach der Schwester Veritas, der Subpriorin, die jede verlangte Auskunft geben werde. Ihre eigene Gesundheit, so bedeutete sie ihn, zwinge sie, einen Theil der Amtslast eben jener Schwester auf die willigen Schultern zu legen. Schon als er nun solchergestalt gewahr wurde, daß die Aebtissin selber Polyxene noch gar nicht gesehen habe, war Nievern wenig erbaut, und sehr geringes Gefallen nur fanden seine verwöhnten Augen an der jetzt eintretenden frommen Schwester Veritas, Ihr glattes Gesicht mit dem Ausdruck beschränkter Gewöhnlichkeit widerte ihn allsogleich an; es bildete allerdings einen starken Gegensatz zu dem vollen Adlerprofil der vornehmen Aebtissin, wenngleich diese auch um nichts klüger sein mochte.
Und in die Gewalt dieses Weibes war die stolze Schwertlilie gegeben – einer Person, der die Niedrigkeit ihrer Herkunft auf der Stirn stand und die – seltsam, daß das Standesgefühl sich gerade hier noch einmal bei dem Kavalier geltend machte – ohne dies schwarze Habit an Rang vielleicht nur einer Magd des unglücklichen Fräuleins gleichgekommen wäre! Aber Herr von Nievern nahm sich zusammen und erwies dem Gewande der geistlichen alten Jungfer die geziemende Ehrerbietung. Als er dann den beiden Klosterfrauen vortrug, die Pfalzgräfin wünsche von dem Zustand des Fräuleins von Leyen unterrichtet zu werden, war Schwester Veritas sogleich bereit, den Besucher mit einer erbaulichen Wiedergabe ihrer eigenen Beobachtungen in Betreff Polyxenens zu unterhalten. Er erfuhr, in merklich schonender Weise mitgetheilt, wie die klösterliche Obhut leider noch wenig Frucht bei der ihr Anvertrauten gezeitigt habe; wie weit entfernt das Fräulein noch sei von derjenigen Verfassung, die man doch ihres Seelenheils wegen ihr wünschen müsse. Aber die Geduld ihrer jetzigen geistlichen Vormünder sei groß und keineswegs erschöpft ...
Die des Oberjägermeisters war es aber, lange ehe die Nonne soweit gekommen war. „Ihr habt meinen Auftrag nicht ganz gefaßt, hochwürdige Frau Aebtissin, und Ihr, fromme Schwester,“ sagte er, sobald er zu Worte kommen konnte; es geschah höflich, aber doch schon mit einer gewissen schneidenden Deutlichkeit „Hoheit, llnfere gnädigste Frau, begnügt sich nicht damit, daß ich vom Hörensagen berichte: ich soll mich mit eigenen Augen von dem Befinden des Fräuleins überzeugen.“
„Unmöglich, Herr,“ erwiderte die Subpriorin kalt. „Die Klausur des Fräuleins darf ohne eine besondere Erlaubniß des Paters Gollermann, der ihre Bußübungen leitet, nicht unterbrochen werden. Ein Gang ins Sprechzimmer wäre für sie ganz unzulässig.“
„Wirklich? So streng haltet Ihr Eueren Gast ... das wird die Pfalzgräfin befremden,“ sagte Nievern mit funkelnden Augen. „Wie es sich trifft, wäre nun aber auch mein ausdrücklicher Auftrag durch eine Begegnung mit dem Fräulein im Sprechzimmer noch keineswegs erledigt. Ich bin hier in amtlicher Eigenschaft als Kommissar der Fürstin: meine Obliegenheit geht dahin, das Fräulein von Leyen in ihrer Zelle, ober wo sie sonst sich befindet, zu sehen, um berichten zu können, wie sie logiert ist und sonst bei Euch, ehrwürbige Frau, gehalten wird. Daß sie ein ihres Standes würdiges Unterkommen bei Euch gefunden hat, ist ja nicht anzuzweifeln. Aber das Gewissen unserer pfalzgräflichen Frau ist zart ... sie fühlt mütterlich gegen dies verwaiste Fräulein und wird sich nicht beruhigen ohne die Auskunft, die ich werde geben können.“
Jetzt war die peinliche Verlegenheit der Aebtissin nicht mehr zu verkennen. Sie bewegte sich auf ihrem Sitze und griff unruhig mit den fleischigen Händen umher; es war sogar, als wollten ihre Athembeschwerden sich einstellen, während sie hilflos nach der Subpriorin hinüberblickte. Diese aber war der Sache gewachsen. Sie sah ganz so nichtssagend wie immer aus, während sie erwiderte: „Eine begreifliche Fürsorge unserer gnädigsten Fürstin. Ich werde sofort darüber an Seine Hochwürden den Pater Gollermann berichten. Vielleicht läßt er alsdann zu, was eigentlich außer der Regel ist.“
„So, meint Ihr wirklich?“ sagte Herr von Nievern spöttisch. „Ihr versteht mich noch immer nicht. Heute muß ich das Fräulein sehen. Ich dächte, der ausdrückliche Befehl der Pfalzgräfin, Euerer Herrin, wiege die Licenz des hochwürdigen Herrn Paters auf. Uebrigens – hier ist meine Vollmacht,“ Er zog nun wirklich das Schriftstück aus dem Kollett, mit einer nicht eben respektvollen Bewegung; es wurmte ihn, daß er es nöthig hatte.
Die Aebtissin griff mit leicht bebenden Händen zu und nahm Einsicht in dasselbe; sie verwünschte in ihrem Herzen den Besuch, oder vielmehr, daß sie sich hatte verleiten lassen, ihn zu empfangen, statt auch das gleich der Subpriorin zuzuschieben, „Das ist allerdings eine eigenhändige Vollmacht der Pfalzgräfin,“ sagte sie, hilflos im Gesicht der andern Nonne forschend, während sie ihr das Papier hinreichte. „Doch wer zweifelte auch an Euerem adligen Worte, Herr Oberjägermeister ...“
„Und selbstverständlich sind wir in Demuth der Frau Pfalzgräfin in allem zu Dienste,“ fuhr die Schwester Veritas fort. „Sicherlich aber sind unserer gnädigsten Frau, als sie dies schrieb, die Maßregeln heilsamer Disciplin unbekannt gewesen, welche der hochwürdige Herr Pater in Betreff des Fräuleins für nöthig erachtet hat. Hoheit sollte erst mit denselben bekannt gemacht werden ...“
„Ja, ganz recht,“ fiel hier die Aebtissin, die nun wieder Fahrwasser merkte, lebhaft ein. „Und da der Pater Gollermann das Gewissen auch unserer gnädigsten Frau Pfalzgräfin als ihr Beichtiger leitet, so ist kaum anzunehmen, daß sie seinen trefflichen Gründen Widerstand entgegensetzen werde.“
Das hätte sie nicht sagen sollen! Nievern überlegte blitzschnell, wie sehr sie recht habe. Ließ man dem Jesuiten Zeit, Frau Sabine Eleonore zu bearbeiten, so war auch auf sie zu gunsten der armen Polyxene nicht mehr zu rechnen. Und hatte schon vorher sein Entschluß festgestanden, das unglückliche Mädchen heute zu sehen, so war er in diesen letzten paar Sekunden unerschütterlich geworden. Gerade das Sträuben der Nonnen zeigte ihm am besten, wie nöthig Polyxene von Leyen ihre wenigen Freunde haben mochte. So sagte er denn jetzt mit einer Ruhe, ja Behaglichkeit, welche den beiden Klosterfrauen am allerbedenklichsten vorkommen mußte: „Eueren Gehorsam gegen den Pater Gollermann in Ehren, würdige Mutter, aber ich setze demselben den Gehorsam gegen meine allergnädigste Frau entgegen. Mein Auftrag lautet, heute das Fräulein hier zu besuchen, im Namen der Pfalzgräfin. Weiter weiß ich nichts ... haltet Euch aber versichert, daß ich dies Haus nicht verlassen werde, bis er ausgeführt ist.“
Es gingen rasche Blicke zwischen den beiden Nonnen hin und her. „Dann hat der Herr wohl Zeit,“ begann die Schwester Veritas jetzt wieder, während Aerger und Bosheit ihr Gesicht verfärbten, „bis wir nach dem Pater Gollermann schicken. Ohne seine Erlaubniß vermögen wir ihm nicht zu willfahren.“
„Nein, ich habe keine Zeit!“ rief da der Oberjägermeister mit einem Male und sprang von seinem Stuhle so jäh auf die Füße mit den sporenklirrenden Reiterstiefeln, daß die Nonnen entsetzt zusammenfuhren. Besonders die Schwester Veritas; denn jetzt stand er unheimlich dicht vor ihr und die hohe sehnige Männergestalt überschattete sie wie drohend, sie, die nur weibliche Nähe oder höchstes die der geistlichen Herren mit ihrem friedlichen Wesen gewohnt war. War es denn Zufall und gehörte es zur weltlichen Ausrüstung, daß der ciselierte Kolben einer unhöflich langen Reiterpistole diesem Besucher da vorn aus dem Gürtel des Kolletts sah? Die fromme Seele wußte es nicht – sie wich zurück. Aber siehe, er folgte ihr und blieb ihr dicht auf den Fersen, als sie einige Schritte durchs Zimmer that.
„Wie, wollt Ihr uns hier vergewaltigen, Herr von Nievern?“ rief da die Aebtissin vorwurfsvoll klagend, während die Schwester Veritas sogar mit einem leisen Stich ins Keifende sich hören ließ: „Hochwürdige Mutter, wehrt dieser Ungebühr! Oder ich rufe mir zum Schutze den Gärtner und den Schaffner her, die auch kräftige Arme haben. Was wollt Ihr, Herr?“
„Nichts als Euch versichern, Schwester Subpriorin“ – dazu lächelte der Herr von Nievern ein wenig grimmig – „daß Ihr dies Gemach nicht ohne mich verlassen werdet. Denn wisset, Euer Behaben fängt an, mir sehr seltsam zu erscheinen, und läßt mich befürchten, daß es so wohl nicht mit dem Fräulein von Leyen stehen muß, wie zu wünschen wäre. Was? Ihr haltet sie versteckt und verschlossen wie ein Nönnlein in Pönitenz, sie, eine Dame von Stand, die nach meinem besten Wissen nicht daran gedacht hat, bei Euch Profeß zu thun? Wer, ich frage, giebt Euch das Recht [472] zu solchem Unterfangen? Euere Privilegien in Ehren, aber [hü]tet Euch! Es möchte sonst eine gemeine Justiz dieses Birkenfelder Landes Anlaß finden, sich mit der absonderlichen Sache zu befassen.
„Die gemeine Justiz zu scheuen, hätte vielleicht dies Fräulein mehr Ursache als wir,“ versetzte darauf Schwester Veritas giftig. „Und hütet Euch, Herr, Euere Zunge gegen Anordnungen zu gebrauchen, welche der Herr Bischof von Trier selber hat ausgehen lassen gegen das überhandnehmende Gift ketzerischer Lehren. Wegen der Neigung zu hochmüthigem Irrglauben ist dies Fräulein zunächst einmal in geistliche Zucht genommen. Sehe zu, wer sich ihrer so dreist annimmt, daß er nicht auch dieser Seuche verfällt! Vielleicht gar hat er sie schon, ohne daß er’s weiß!“
Nievern verharrte in verächtlichem Schweigen und seine Haltung und Miene zeigten kein Nachlassen seiner verwegenen Entschlossenheit. Die Aebtissin begann nun wieder, und durch ihren Ton klang es durch wie eine etwas weinerliche Berufung auf sein Kavaliergefühl: „Bedenkt, was Ihr thut, Herr von Nievern! Wir sind schutzlose Frauen hier, die Ihr zum Ungehorsam gegen den geistlichen Berather dieses Klosters nöthigen wollt.“ Und dann, nun auch ihrerseits zur Drohung übergehend: „Wir müssen, so Ihr Euch jetzt nicht willig von hier entfernt, gegen Euch vor geistlichen Oberen und weltlichem Gericht ernstlich Klage führen, und Euer Eigensinn könnte Euch übler bekommen, als Ihr denkt!“
„Verklagt mich, wo Ihr wollt, ehrwürdige Mutter, sobald Ihr mich glücklich los seid!“ sagte darauf Herr von Nievern kaltblütig. „Jetzt aber bedeutet diese treffliche Schwester mit ihrer feinen Nase für Ketzerei, daß sie mir unverzüglich zu dem Gelaß des Fräuleins von Leyen vorangehe und dasselbe erschließe; den Schlüssel verwahrt sie, darauf möcht’ ich wetten. Denn ich gebe Euch meine Kavalierparole, daß weder ich von hier weiche noch aber auch Ihr das Gemach verlaßt, bis mir willfahrt wird. Das heißt, wir gehen von hinnen, ja, aber zusammen: ich in Euerer ehrwürdigen Gesellschaft.“
Damit schwieg der Herr von Nievern; er stand gemächlich da, leicht in den Hüften ruhend, die Linke ebenso leicht auf dem Degenknauf, und so die ganze kräftige Anmuth seiner Gestalt zeigend, für welche die beiden Nonnen indessen schwerlich Sinn hatten.
Sie wurden inne, daß sie sich entschließen müßten. Und naturgemäß merkte das die schlauere von beiden, die Schwester Veritas, noch eher als ihre Oberin. Diese, mehr an der Form der Sache sich stoßend, war aufs äußerste empört über ihre verletzte Würde, und ein gerechter Aerger über diesen Verwegenen drohte ihr mehr und mehr den Athem zu rauben und wirklich einen Anfall ihres Asthmas herbeizuführen. Die Schwester Veritas dagegen hatte rasch das Für und Wider erwogen, mit einer nachhaltigen inneren Wuth, denn sie merkte, daß man sich in einer Falle befand. Sie hatte sich zuerst gefragt, was sie eigentlich hindere, das Kloster zu alarmieren, wonach dann diesem Menschen doch die Erreichung seines Zweckes sollte schwer geworden sein! Aber ein gewisses Etwas in seinem entschlossenen Gesicht, ein Zug fast von wildem Humor verrieth ihr, daß ihr Leben allerdings schwerlich gefährdet sei, wenn sie zu entkommen suche, daß er aber ganz der Mann dazu sei, ihr sonst auf unerhörte Weise mitzuspielen! Das hatte sie blitzschnell überlegt, auch schon, wie die, die es anging ihr später für diese Viertelstunde zahlen sollten, und jetzt sagte sie „Erregt Euch nicht ferner, ehrwürdige Mutter; wir fügen uns dem Begehr des Herrn. Die Verantwortung dafür mag er tragen. Denn es ziemt diesem Hause gottergebener Conventualinnen nicht, den Verdacht aufkommen zu lassen, als wollten wir etwa aus Menschenfurcht unser Verfahren mit diesem Fräulein heimlich halten. Der Herr folge mir und habe seinen Willen!“
Herr von Nievern ließ sich durch diese etwas überraschende Willfährigkeit keineswegs verleiten, weniger auf der Hut zu sein. Er behielt die beiden Klosterfrauen scharf im Auge, ob sie etwa durch heimliche Zeichen sich verständigten. Doch war nichts der Art zu merken, nichts als bei der Aebtissin eine aufrichtige Verblüffung. Ihre Mienen schienen zu sagen: warum dies lange Herumziehen? Soviel hätten wir gleich thun können. Sie faßte sich indessen mit leidlichem Anstand und nahm ihre Zuflucht zu dem salbungsvollen Tone, der ihrer Ordenskleidung ziemte. „So geht denn, Herr von Nievern, in Gottes Namen, und begleitet die Schwester! Und wir wollen Euerem Diensteifer für unsere allergnädigste Frau Pfalzgräfin das etwas unziemliche Drängen zugute halten, dessen Ihr Euch schuldig gemacht habt.“
„Wollt Ihr uns nicht begleiten, ehrwürdige Mutter?“ fragte Herr von Nievern höflich. „Wäre es nicht an der Zeit, daß auch Ihr Euch durch den Augenschein überzeugtet, wie der Gast Eueres Hauses untergebracht ist?“
Die Aebtissin blickte, hilflos und aufs neue geärgert, zu der Schwester Veritas hinüber. Diese, nicht ohne leise Schadenfreude bei der Noth der unbehilflichen und allzu bequemen Oberin, beantwortete deren verzweifelten Frageblick mit einigen raschen halblauten Worten, durch welche die Aebtissin offenbar erst erfuhr, wo eigentlich das Fräulein untergebracht sei. „Im Oberstock des Glockenhauses!“ rief sie klagend. „Unmöglich, Herr von Nievern! Ihr kennt meinen Zustand nicht. Es wäre mein letztes, sollte ich jene Stiegen hinauf! Ein tödlicher Fluß nach dem Herzen wäre mir gewiß. Ihr müßtet mich denn hinauftragen wollen, was Euch auch nicht zuzumuten wäre.“
Unter dem Schnurrbart des Oberjägermeisters zuckte es sonderbar, doch behielt er für sich, was er über diesen Zustand der Hüterin einer frommen Schwesternschar denken mochte. „Voran denn, ich bitte!“ sagte er nur zur Subpriorin, welche Bitte aber sehr nach einem Befehl klang. Und nun hinter der Schwester her, erst zu ihrer Zelle, wie er vermuthet hatte, wo sie ihm aber dicht unter seiner Nase doch noch einen Streich spielte, indem sie von dem Brette doch eine ganze Anzahl Schlüssel nahm und dann mit fast taschenspielerischem Geschick den, auf welchen es ankam, mit einem Male dazwischen hatte; sie hatte ihn aus ihrem Gewand gezogen wo er die ganze Zeit gewesen war; das Suchen an dem öffentlichen ehrlichen Schlüsselbrett war nur ein Scheinmanöver gewesen. Und jetzt weiter, über Treppen und durch Gänge, eine lange Wanderung, während deren er mit äußerster Abgunst das häßliche plumpe Nonnenhabit auf ihrer unansehnlichen Gestalt studieren konnte. Kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt, bis sie vor der wohlverwahrten Thür von Polyxenens Zelle anlangten.
Die Nonne, in bösartigen stummen Trotz verfallen, schob die Riegel zurück und öffnete die Schlösser; Nievern sah ihr zu, und Wuth, Entsetzen und ein rasendes Mitleid machten ihn sprachlos, er hätte die Nonne am liebsten erwürgt. War es nicht, als hielten sie da hinter der Thüre eine Verbrecherin?
Und nun – nie, bis zu seinem Todestage nicht, vergaß Nievern die Augen, die sich jetzt da drinnen in Angst und müdem Jammer auf ihn richteten, Auf ihn, nein . . . nur auf die sich öffnende Thüre . . . Augen, die verlernt hatten, auf irgend etwas, was durch jenen Eingang kommen konnte, zu hoffen. Auch als Polyxene hinter der zuerst eintretenden Nonne den Oberjägermeister erkannte, wich dieser herzzerreißende Ausdruck noch nicht aus ihrem Gesicht. Kam jener als Freund? Sie wußte es nicht und glaubte an nichts Gutes mehr. Das schnitt dem Manne in die Seele, Um [486] die Nonne kümmerte er sich nicht; er schritt rasch auf Polyxene zu, die vor dem Steinsitz an der Wand stand und sich noch nicht gerührt hatte. Er neigte sich vor ihr wie ehemals, was sie zu wundern schien. Mit einem Blicke hatte er gesehen, wie unsäglich sie gelitten haben mußte. Das holde Gesicht, das jungfräulichste, auf dem seine Augen je geweilt hatten, war schärfer geworden, ohne ihm aber weniger hinreißeud zu erscheinen – nein, nur noch mehr, weit mehr, jetzt nach der Trennung und dem Entbehren! Und die stolze Liliengestalt war es noch immer.
Er mußte sie berühren, daran sollte ihn keine spähende Nonne hindern. So griff er nach ihren Händen, die sie wie in Schmerz und Angst ineinandergeschränkt hatte, löste die eine sanft – Herr Gott, er fühlte, daß sie schmäler, magerer geworden war – und drückte einen sehnsüchtigen Kuß darauf.
Ach, wie wenig zeigte Polyxene von der lieblichen Verwirrung des Mädchens bei solcher stummen Sprache! Wie in mühsamer Verwunderung sah sie ihn an und fragte, endlich die Lippen öffnend: „Wem thut Ihr das, Herr von Nievern? Ihr seid lange fort gewesen, lange, lange,“ fügte sie träumerisch hinzu, „Ihr wißt vielleicht nicht, daß ich indessen eine Mörderin geworden sein soll?“
Er biß die Zähne aufeinander in dem Versuch, Jammer und Wuth zu bemeistern. „Besudelt Euere Lippen nicht mit der niederträchtigen Verleumdung,“ sagte er, so ruhig er vermochte. „Nach Eueres Vetters Verbleib wird geforscht, das läßt Euch die Euch noch immer gnädige Frau Pfalzgräfi sagen ... sie schickt mich ...“
„Sie schickt Euch,“ wiederholte Polyxeue leise, und ihm war, als zittere ein kaum merklicher Hauch der Enttäuschung durch die Worte. Und dann, als werde sie jetzt erst aufmerksamer, hob sie den Kopf. „Nach meinem Lutz wird gesucht, sagt Ihr? Ach, Gott lohne es Euch! Ihr sprecht von ihm, als ob er lebte. Aber fragt doch die da“ – und sie zeigte auf die Nonne – „wofür sie mich hier halten!“
„Ich glaube, Ihr täuscht Euch.“ Mit Ueberwindung richtete Nievern, so direkt aufgefordert, den Blick nach der Nonne. Die aber stand da, als sei sie taub, mit unbewegtem Gesicht. „Ihr seid hier,“ fuhr er fort, „um wegen Eueres Glaubens befragt und unterwiesen zu werden. Daß es ernstlich, aber liebreich geschehen sollte, war die Meinung unserer gnädigsten Frau. Sie glanbte Euch hier Eurem Stande gemäß gehalten und ahnt nicht, daß man Euch in einem dumpfen Gefängniß hinter dreifachen Riegeln verwahrt. Nun, die das verschulden, werden sich dafür zu verantworten haben, so wahr ich ein Edelmann bin. Euch aber, werthes Fräulein, hoffe ich, in kurzem ein Ende dieser absonderlichen Haft ankundigen zu können. Euer Oheim wartet Euer und das Haus“ – er war ihr näher getreten und sprach leiser – „in dem ich Euch einst grüßte, Polyxene.“
Da rang sie die Hände ineinander in plötzlich ausbrechendem Jammer. „Ach, nach Hause komm’ ich nie wieder – ich seh’ es an ihren kalten Augen hier, daß ich verloren sein soll! Aber nicht hier will ich vergehen – sagt es der Pfalzgräfin, ich verlange mein Recht, Herr von Nievern! Sie soll sorgen, daß es mir werde, um meines alten edlen Namens willen. Hier sticheln sie mit halben höhnischen Worten auf mich, oder es umgiebt mich Schweigen wie der Tod ... in diesen Mauern soll ich ersticken oder bekennen, was sie hören möchten! Und mit mir im Moder soll der theure Name vergehen, den meine Eltern getragen haben! Ich aber will, daß man mit mir thun soll, wie recht ist, und öffentlich. Bringt mich vor ein Gericht des Landes, laßt nicht täuschende Reden von diesen hier mich länger umwinden und umschnüren wie tödliches Gewürm – fragt mich laut, damit ich laut mich verantworten kann! War ich so schnöder Missethat fähig, der allerschnödesten, an dem, der mich lieb hatte und den ich liebte, ach, wie nichts sonst auf der Welt – so ist der tiefste Keller nicht tief genug für mich. Bringt mich hinein, aber nur von hier fort! Da“ – sie streckte wild die Arme von sich – „legt mir Ketten an und führt mich damit über den offenen Markt, und glaubt Ihr mich schuldig, so nehmt, wenn es Gott zuläßt, mein Leben ... denn längst ist es mir verleidet!“
„Steht es so? Allmächtiger Gott!“ murmelte Nievern. Er war zur Schwester Veritas getreten und packte sie nicht eben sanft beim Arme. „Habt Ihr das gehört? Das ist Euer Werk! Was sagt Ihr dazu?“
Die Nonne, mit einem feindselig queren Blick nach Nievern, suchte sich von seinem Griffe loszumachen. „Ich sage, daß aus dem Fräulein böse ungebärdige Geister der Zuchtlosigkeit und des Aufruhrs reden, die der Niederhaltung durch strenge Disziplin noch gar sehr bedürfen. Und hütet Ihr Euch, dem Teufel der Hoffarth, der aus ihr spricht, nach dem Munde zu schwatzen; es könnte Euch übel bekommen!“
Jetzt gab Nievern den Arm der Schwester frei, das heißt, er ließ ihn so heftig fähren, daß sie ein weniges taumelte. Einer Antwort würdigte er sie nicht; er hatte sich zu Polyxene gewandt. Erschüttert stand er vor ihr und kämpfte gegen das übermächtige Verlangen, sie an sein Herz zu reißen. Aber durfte er jetzt, hier, um sie werben? Die sehnsüchtige Liebe selber wehrte es ihm, wenn es der unheildrohende Ort nicht gethan hätte. Polyxene würde ihn kaum verstanden haben. Hatte er nicht eben, mit einem leisen Schmerzgefühl, von ihr vernommen, daß sie den Knaben Lutz lieber gehabt als irgend etwas auf der Welt?
Aber Trost, so weit er vermochte, mußte er geben. „Ihr sollt von hier fort, aber mit nichten in einen anderen Kerker,“ raunte er ihr jetzt zu, fast heiser vor Bewegung. „Dafür, daß Ihr frei seid von aller Schuld, setz’ ich mein Leben ein. Und so denken alle Eure Freunde,“ fügte er ehrlich hinzu; „ich bin nicht der einzige. Aber am längsten denk’ ich Euer Freund zu sein – von jetzt ab bis zu meiner letzte Stunde. Habt Ihr mich gehört? Und glaubt Ihr mir, Polyxene?“
Da sahen ihn die trübe gewordenen blauen Augen an wie aus weiter Tiefe, und sie sagte wie jemand, der im Schlafe spricht:
„Als mich noch die Sonne bescheinen durfte, da habt Ihr einmal zu mir gestanden; ach, wie gering erscheint mir jetzt mein Kummer von damals! Und hier, im Jammer, haben meine Gedanken Euch oft gesucht als einen Freien und Glücklichen. Warum gerade Euch? Und warnm seid Ihr von allen zu mir gekommen?“
Da stieg es dem kräftigen Manne bis in die Kehle; sein Herz klopfte in wilder Seligkeit Antwort auf dies unschuldige Fragen und es überströmte ihn hier, an der tödlichen Stätte, wie Maienluft und ätherische Wonne. Ein höhnendes Wort der Nonne brachte ihn zum Bewußtsein des Ortes. „Endet Ihr noch nicht bald, Herr? Was Ihr wissen wolltet, dächt’ ich, hättet Ihr erfahren,“ sagte sie, an ihm vorbeiblickend.
In das gebräunte Antlitz des Oberjägermeisters stieg bei den doppelsinnigen Worten eine dunklere Gluth. Scharf erwiderte er: „Ja – ich habe weit mehr erfahren, als mir lieb ist. Und doch bin ich noch nicht fertig. Ihr müßt gestatten, daß ich dies Gelaß, höchst unwürdig des Fräuleins, wie es ist, etwas näher in Augenschein nehme ... Und dann noch einmal rasch zu Polyxene: „Weshalb gerade ich hier vor Euch stehe, das sollt Ihr, so Gott will, bald wissen Fräulein von Leyen. Vor allem haltet es im Sinne, daß ein Freund Tag und Nacht Euer Geschick im Herzen trägt wie sein eigenes – nein, mehr, weit mehr!“
Und nun durchschritt er die Zelle bis zu dem Fensterschacht in der dicken Außenmauer, und seine Augen wanderten den Weg, den die Polyxenens so oft schweiften, nach dem einen Stückchen Himmel draußen jenseit des kleinen Fenstervierecks.
Kaum Licht, keine Luft! Er wandte sich hastig in die Zelle zurück. Da stand Polyxeue hinter ihm und sagte, jetzt mit einem Zuge rührender Ergebung um den Mund: „Da, wo Ihr steht, ist die Zeit her mein Platz gewesen, bis die Füße mich nicht mehr tragen wollten. Denn wenn ich stehe, kann ich ein wenig mehr vom Himmel sehen. Der Himmel über unserem Wald am Heidenkopf ist es, ich weiß es wohl.“
Er fand keine Antwort; allzu sehr schnürte ihm, was er sah und hörte, das Herz zusammen Er zwang sich, das wenige, was die Zelle an Ausstattung enthielt, zu mustern; das harte Lager, ein Tisch und ein Stuhl und das Kruzifix an der Wand – das war alles. „Ich gehe, Fräulein, weil ich muß,“ sprach er endlich und sah Polyxene schmerzlich an. „Aber dies ist kein Abschied auf lange, Ihr müßt bald frei werden ... und doch ist mir, als sollte ich Euch nicht lassen.“
„Ihr seid gut,“ sagte sie. Und dann mit einem Male, als er sein Herz endlich gebändigt hatte und an der Thür war, hörte er hinter sich einen Angstruf, der aus tiefster Seele brach: „Ach, geht nicht!“
Das war zuviel für Fleisch und Blut. Nievern stürzte zurück und riß seine Lilie an sich, ihr Blumenhaupt ein seiner Brust bettend, ihre Augen und Lippen mit Küssen bedeckend. Da sie es litt, raunte er ihr hastig zu: „Wollt Ihr mich haben, Süße, zu Eurem Mann? Ich liebe Euch längst und Euch allein.“ Daß [487] sie mit Worten nicht erwiderte, brauchte er nicht übel zu deuten – sagte die hingebende Ruhe, mit der sie in seinem Arme lag, nicht genug?
Und nun wendete er, indem er Polyxene losließ, den Kopf über die Achsel zurück zu der Nonne und sagte: „Ihr mögt denn wissen, daß dieses Fräulein hier meine allverlobte Braut ist. Seht wohl zu, wie Ihr mit ihr verfahrt, denn, beim allmächtigen Gott, ich werde Rechenschaft darüber von Euch fordern.“
„Rechenschaft über das Fräulein sind wir nur Seiner Hochwürden dem Pater Gollermann schuldig,“ autwortete die Nonne kalt. „Die Bande weltlicher Verwandschaft oder gar fleischlicher Neigung kümmern uns nicht. Und nun macht ein Ende, Herr!“
Ein Ende, ja! Es kam dem Oberjägermeister mit einem Male, wie dies Ende am erwünschtesten, wenn auch sehr unerwartet für die Schwester Veritas, zu beschleunigen sei. Ein tolles Jägerstück wäre es gewesen, hart an der Thüre sein Liebchen mit sich heraus, die Nonne aber in die Zelle hineinzuschwenken und die Riegel hinter ihr zuzustoßen! Aber er gönnte sekundenlangen Raum der Ueberlegung, daß er sich und seine Braut durch eine solche That vogelfrei machen würde und aus dem heimischen Ländchen verbannen gleich zu Anfang ihrer gemeinschaftlichen Laufbahn. Und so überwand er die Versuchung und ließ es zu, daß die Thür verschlossen und verriegelt wurde zwischen ihm und Polyxene, die stumm geblieben war bis zuletzt, überwältigt von Glück und Jammer zugleich. Und bitter, bitter sollte er das bereuen.
Die nächste Aufgabe für den Oberjägermeister war, das verhehlte er sich nicht, die Pfalzgräfin mit dem veränderten Verhältniß zwischen sich und Polyxene bekannt zu machen. Hatte sie doch zur etwaigen Vermählung des minorennen Fräuleins sowohl wie auch ihres Kavalieres geradezu ihre Erlaubniß zu geben. Und ohne ihren guten Willen konnte dem Vorhaben manches Hinderniß erwachsen. Was aber diesem guten Willen entgegenstehen würde, das wußte Nievern. Verwünscht diese ihre Narrheit, wie er undankbarerweise das merkliche Wohlgefallen der kleinen Hoheit an seiner hübschen stattlichen Person nannte! Warum, bei allen Teufeln, heirathen die Weiber nicht wieder, wenn es ihnen denn doch unmöglich fällt, dem Spiel mit ihren Reizen – und mögen derer noch so wenige sein – zu entsagen! Im Falle der Frau Sabine Eleonore wußte er freilich den Grund wohl. Der kleine Satan – so hieß sie der Frevler in Gedanken – hat seinen eigenen Willen viel zu lieb. Einen Herrn will sie nicht wieder, wohl aber einen stets dienstbereiten und deshalb wenn möglich in sie verliebten Sklaven. Nun, sie suche sich jetzt einen andern! Uebrigens traute er sich trotz dem allem zu, die Fürstin sich geneigt zu erhalten ... er hatte schon Schwereres bei den Frauen fertig gebracht!
Zuerst brauchte er ihre Gunst jetzt für Polyxene. Dieser durfte er um keinen Preis das Mitleid der Pfalzgräfin verscherzen, damit ihre unwürdige Einkerkerung nicht länger währe. Ihm wurde immer wieder siedend heiß im Gedanken an ihr Elend. Wie wollte er sie dafür entschädigen, wie auf den Händen tragen nachher!
Er hatte sich vom Kloster aus sogleich nach seiner Wohnung im Flügel des Residenzschlosses begeben. Da fand sich, daß ein Berittener des Thurn und Taxis’schen Postdienstes indessen Briefe von dem Vetter Engelbert, dem Kanonikus in Malmedy, gebracht hatte. Obwohl wenig dafür gestimmt, erbrach und las Nievern das Schreiben seines Verwandten. Der geistliche Herr erging sich in behaglicher Erinnerung an den neulichen Besuch seines Vetters Viktor. Diesen Namen trage Nievern mit Recht, hieß es scherzend, denn die Batterien seiner hübschen Augen hätten hier allenthalben gesiegt, wohin er sie nur gerichtet. Die schöne Dalhem in St. Truyden schmachte diesen Augen ganz öffentlich nach, und jüngst sei es beinahe zu einem Duelle zwischen ihr und seiner eigenen Freundin, der goldhaarigen Magarethe de Wytt, gekommen, weil jede der Damen sich eines besonderen Vorzugs bei dem Herrn von Nievern habe rühmen wollen. „Ich hätte demnach einigen Grund, eifersüchtig auf meinen liebwerthen Vetter zu sein,“ neckte der Kanonikus. „Und daß ich es nicht bin, wird er hoffentlich meinem brüderlichen Gemüthe hoch anrechnen.“
Herr von Nievern hatte jetzt keinen Sinn für die Scherze des geistlichen Vetters, aber er konnte doch nicht hindern, daß seine Gedanken wieder flüchtig in jene Region gelockt wurden. Er stand an seinem Fenster, das Schreiben noch in der Hand, und ritt im Geiste mit dem Kanonikus über die wildreichen Moore des Hohen Veen und wo sonst ihre Jagdstreifereien sie entlang geführt hatten. Wie frei dies Schweifen, während damals schon enge Kerkermauern seine Süße umschränkt hatten! Aber damals war sein Herz noch ruhig und leicht gewesen und hatte wenig geahnt, daß über den Gegenstand seiner Liebe, mit der er noch spielen zu können meinte, der Fittich des Verderbens sich zu breiten begann.
Er war noch mit diesen Bildern beschäftigt, die der Brief des Domherrn heraufgelockt hatte, da fuhr es plötzlich vor ihm nieder wie ein Blitz – auch nur eine Erinnerung, aber diesmal eine, die ihn wie ein elektrischer Schlag traf. Er sah das Gitter der weitläufigen Gärten des Jesuitenkollegs von St. Menehould vor sich, an denen sie damals vorübergeritten waren, und dahinter die Knabengestalt, schmächtig erscheinend in dem schwarzen geistlichen Rock, und wie sie sich ans Gitter warf und gedankenschnell ein weißes Tüchlein schwenkte. Und was er damals nicht erkannt hatte, das glaubte er jetzt zu sehen, da es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel: so hätte der verschwundene Lutz von Leyen aussehen können, wenn man ihm das Blondhaar kurz verschnitten und ihn in den schwarzen Rock des Jesuitenschülers gesteckt hätte! Und doch, wenn man der Sache auf den Leib ging, was blieb für diese willkürliche Annahme zur Stütze? Mußte er sich nicht einen Thoren schelten? Nichts, was seine abenteuerliche Meinung begründen konnte, wollte mehr vorhalten bei ruhiger vernünftiger Erwägung.
Trotzdem beschloß er, Wahrscheinlichkeit hin, Wahrscheinlichkeit her, dem Ding nachforschen zu lassen. Er wußte auch schon, durch wen: hatte sich der alte Strieger nicht erboten, trotz seiner neunzig Jahre noch nach Trier zu laufen, wenn er dem Fräulein damit einen Dienst thun könnte? Diesen schlauen Spürhund dachte er auf jene Fährte zu setzen, und das sollte noch heute am Abend geschehen, wenn der Alte sich nur in dem Bereiche, den er angegeben hatte, betreffen ließ.
Das würde also das Geschäft des Abends sein; vorher aber galt es einen Gang zur Pfalzgräfin! Nievern glaubte keine Zeit verloren zu haben, als er sich nach der Mittagstafel, welche die Stunde zwischen zwölf und zwei Uhr einnahm, bei Frau Sabine Eleonore melden ließ. Allein er mußte erfahren, daß andere Leute geschwinder als er gewesen waren. Die Sonne des fürstlichen Antlitzes verbarg sich vor ihm hinter unheilkündendem Gewölk . . . die Pfalzgräfin empfing ihn nicht. Sie wußte also schon, was in der Zelle bei den Ursulinerinnen heute morgen vorgegangen war. Oder vielmehr, sie wußte so viel davon, als die giftigste Entstellung von der Wahrheit nothgedrungen hatte übrig lassen müssen. Nievern biß die Zähne aufeinander; von jetzt an mochte er sich nur ähnlicher Hindernisse bei jedem Schritt, den er würde thun wollen, versehen!
In seiner Wohlnung setzte er sich sofort hin und verfaßte einen gedrängten nachdrücklichen Bericht über die Angelegenheit, soweit sie lediglich Polyxenens unwürdige Haft betraf. Er stellte dieselbe mit entschiedenen Worten als ein strafwürdiges Uebergreifen der Klosterfrauen hin, welches das Einschreiten Ihrer Hoheit der Pfalzgräfin sofort und dringend fordere. Und dann nahm er ein neues Blatt. Er machte dasselbe als eine Privatmittheilung an die Fürstin in der vorgeschriebenen Weise kenntlich, faßte sich aber im Texte noch kürzer als in dem ersten Schriftstück. Er that darin seiner wohlgeneigten Fürstin kund, daß die Freiin Polyxene von Leyen sich ihm anverlobt habe und er dieselbe zu ehelichen gedenke. Er bitte daher die Frau Pfalzgräfin in schuldiger Ehrerbietung um allerhöchst ihre Zustimmung zu diesem Bündniß. Sollte dasselbe aber aus irgend einem Grunde der Fürstin mißfällig sein, so wolle er in diesem Falle hiermit zugleich um gnädigste Entlassung aus pfalzgräflichen Hofdiensten gebeten haben.
Ein düsteres Licht brach aus des Oberjägermeisters Augen, als er diese beiden Schreiben mit seinem Namen unterfertigt, gefaltet und gesiegelt hatte. Denn sie bedeuteten, wie sie da zum Abgang fertig vor ihm auf dem Tische lagen, einen folgenschweren Entschluß; er wußte, daß er sich damit von der glänzenden sorglosen Periode seines Lebens wahrscheinlich für immer schied. Hofgunst und Lust und das übermüthige Reiten über den Nacken gemeiner Sorgen gab er heute auf und tauschte Gefahr und Noth dafür ein. Und gerade dann zu werben, wenn jede Annäherung an die Geliebte ähnlich wie die Berührung einer Pestkranken die Mitverstrickung in ihr Jammergeschick droht – nicht jeder hätte es gethan. Daran dachte Herr Viktor von Nievern aber nun freilich am wenigsten.
[490] Er ordnete sorgfältig die sofortige Ueberlieferung seiner Briefe an die Pfalzgräfin an und begab sich darauf hinüber in die Amtsstuben der Forstkämmerei. Wenn er etwa bald seine Charge niederzulegen haben würde, so schien es angezeigt, hier erst Ordnung zu machen, soweit es nöthig war. Er blieb hier bis zur Abenddämmerung, nahm Einsicht in die Akten, in die Rechnungsbücher, wies noch einige Ausgaben an für die pfalzgräfliche Meute, beziehungsweise für Ausbau des Zwingers hochdieser Bestien, da er denselben in schlechtem Stande wußte, und lachte ein wenig ingrimmig in sich hinein, wenn er dachte, daß im Falle seines Abganges die Hunde wenigstens, wenn sie’s verständen, ihm zu danken haben würden.
Aber wohl nicht sie allein würden ihn alsdann vermissen, die Schreiber der Kanzlei und der alte Kammerrath waren ganz betreten bei diesen sonderbaren Anzeichen. Der glänzende Kavalier war niemals als ihr Schrecken hierher gekommen, nicht gehaßt oder gefürchtet. Im Gegentheil, sie wußten, daß er es trotz seiner spöttischen Art nicht schlecht mit ihnen allen meine; seine trockenen Scherze entzückten sie, seine schöne vornehme Gegenwart ließ, wenn er einmal hier geweilt hatte, gleichsam einen Glanz in den dumpfen Amtsstuben zurück. Und sie hatten es als einen Vorzug betrachten gelernt, gerade des Herrn von Nievern Untergebene zu sein. So bedrohlich für ihrer aller Existenz erschien ihnen daher die Ahnung seines Scheidens, die ihnen sein Wesen heute gegeben hatte, daß sie sich nicht enthielten, ihre Besorgniß laut werden zu lassen, daheim bei ihren Weibern und auch sonst unter guten Bekannten. Das Gerücht gerieth unter die niedere Hofdienerschaft, an die Zofen und Kammerfrauen, durch welche es die Obersthofmeisterin erfuhr. Und so war dafür gesorgt, daß die überraschende Kunde der kleinen Hoheit selber früher oder später gebührend kredenzt werden mußte. –
An der Stelle, die der alte Strieger dem Oberjägermeister zum Stelldichein genannt hatte, waren die beiden in der Abenddämmerung zusammengetroffen; sie hatten sich in das Waldgebüsch zurückgezogen und dort, doppelt und dreifach gedeckt durch die völlige Oede dieser Strecken, durch das gelbe Laub des Eichengestrüpps und durch die Abenddunkelheit, schon eine ganze Weile ernstlich verhandelt.
Der Strieger hatte sich genau den Weg bezeichnen lassen nach Malmedy. Dorthin sollte er dem Kanonikus von Wildenfels einen Brief des Oberjägermeisters bringen, in keine anderen Hände zu legen als in die des geistlichen Herrn in Person; und es war ihm angedeutet worden, daß der Brief jedenfalls soviel werth sei als seine, des Waldwarts, eigene alte Haut, die demnach unbedenklich daran zu setzen sei, um dies Blatt gegen etwaige Fährniß aus dem Wege und besonders gegen unberufene Augen zu vertheidigen. Der Alte hatte hohl in sich hinein gelacht. „Seid unbesorgt, Herr! So lange ich lebe, kriegt keiner das Blatt, dem ich’s nicht gebe, und wenn ich tot bin, erst recht nicht ... da fress’ ich’s lieber vorher.“
„Lieber ist mir’s aber, der Brief wird nicht geschluckt, sondern abgeliefert, Alter, darum gehe Euch Vorsicht vor Tapferkeit,“ hatte Herr von Nievern gemahnt. Das Anerbieten eines Pferdes, um seinen alten Knochen den Weg zu erleichtern, hatte der Waldwart sehr entschieden abgelehnt. Auf seinen drei Beinen, den zwei ihm leiblich angehörigen und seinem Hagebuchenstock, werde er weit rascher vom Flecke kommen als auf vieren, denn einmal sei er des Reitens nicht gewohnt und dann getraue er sich, Schleichwege zu finden, auf denen ihn ein Gaul nur hindern würde.
Der zweite Theil seines Auftrages war minder einfach als die Ueberbringung des Briefes und je nachdem später oder schon vorher auszuführen. Es galt, die Gärten von St. Menehould zu umschleichen und im glücklichen Falle die Zöglinge der frommen Väter während ihres Spazierganges zu beobachten, wenn möglich recht aus der Nähe. Der Strieger hatte nichts hören lassen als einen langgezogenen unterdrückten Pfiff, da er in aller Kürze vernommen, was den Oberjägermeister zu diesem sonderbaren Auftrag veranlaßte. Aber irgendwie mußte er sich doch Luft machen! Schade, oder vielleicht ganz gut, daß Herr von Nievern das kleine verwitterte Greisenantlitz jetzt nicht deutlich sehen konnte! Wie die Augen in ihren tiefen Höhlen funkelten und wie bösartig das Gesicht wurde! Gleich einem schlimmen Waldteufel grinste der Alte in die Dunkelheit hinein; war er doch auch aller Welt feind, nun die Magdalena tot war, außer denen vom Namen Leyen und was mit dieser Familie jetzt zusammenhing.
„Es ist vielleicht nur ein Hirngespinst von mir, daß ich glaube, den Junker Ludwig gesehen zu haben,“ sagte Nievern jetzt. „Wollt Ihr es trotzdem daraufhin dort wagen, Strieger? Schreckt Euch der Auftrag nicht? Ihr selber glaubt ja aber nicht an des Junkers Tod. Und – halt – hat nicht in Euerem schlauen Hirne schon der Gedanke gespukt, die Geistlichkeit könnte mit seinem Verschwinden zu thun gehabt haben?“
„Fällt Euch das jetzt erst ein?“ sagte der Strieger ein weniges verächtlich, „Eins weiß ich. Wenn ich gesehen hätte, was Ihr da sagt von einem, der Euch zugewinkt hat hinter dem Gitter – ich hätte nicht so lange gebraucht wie Ihr, um mir einen Vers darauf zu machen, Also wie war’s ? Von hier zunächst auf Ehrach, dann auf Reuland und St. Wit.“ Er murmelte vor sich hin die Namen der Ortschaften am Wege, die ihm Nievern genannt hatte; dann fuhr er laut fort: „Mein Wald mag sich indessen selber hegen ... und ich lasse ja auch einen zurück an meiner Statt, denselbigen schwarzen Kumpan, der abends, mit einem feurigen Schweife geziert, den Klößefressern von Keula, den dummen Tölpeln, des öfteren hier am Heidenkopf erschienen sein soll. Da werden sie das Holzmausen schon bleiben lassen.“
„Wenn er Euch statt dessen dorthin begleitet und Euch in Euerem Geschäft bei den Vätern in St. Menehould hilft, so habe ich auch nichts dagegen,“ erwiderte Herr von Nievern mit einem finsteren Lächeln auf diesen grimmigen Scherz. „Denn ich glaube, einen viel Geringeren braucht es nicht, um gegen die etwas auszurichten.“
Noch einige letzte Anweisungen gab der Oberjägermeister, denen er aber vorsichtshalber die Worte vorausschickte: „Wollt Ihr mich nun etwa wieder hier in der Dunkelheit stehen lassen gleich einem Narren wie neulich beim Kloster, so verzieht damit wenigstens, bis Ihr das Nothwendigste wißt.“ Der Strieger brummte einiges dagegen, schien es übrigens diesmal nicht so eilig zu haben, denn er heischte von Nievern immer noch einmal Auskunft über dessen Besuch im Kloster, von dem der Oberjägermeister ihm berichtet hatte. Dabei war es dem Waldmann aber weniger um Polyxenens innere Verfassung zu thun; vielmehr wollte er vornehmlich wissen, wie und wo das Fräulein bewahrt werde; Lage und Beschaffenheit ihrer Zelle ließ er sich beschreiben, so gut das der Oberjägermeister vermochte. Dann geleitete er den Herrn von Nievern einen kurzen Pfad durch das Gehölz, den nur ein Luchs- oder Eulenauge wie seines zu finden vermochte. Erst als sie die Landstraße dicht unter sich hatten, hielt er an; im letzten Augenblick fuhr er in sein Gewand und brachte etwas zum Vorschein, das er dem Oberjägermeister hinreichte.
„Ich wollte, Ihr nähmet mir dies ab, Herr. Es ist beschriebenes Papier, wie Ihr bei Tage sehen werdet“ – in der That fühlte Nievern, da er verwundert zugriff, eine dünne Rolle Papier in der Hand – „ich kann nicht verrathen, was drinnen steht, für mich ist alle Schrift Latein, bis zum Lesen habe ich’s selbst in meinen jungen Tagen nicht gebracht, Dieses hier fand ich bei der Magdalena, die das Fräulein auch besucht hat – und nicht zu eigenem Heile, fürcht’ ich – im Bett, als ich die Tote aufhob, um sie in die Erde zu legen. Sie muß es mit sich aus den Niederlanden gebracht haben. Und da sie, wie hieraus zu ersehen, dies Kauderwälsch auf dem vergilbten Papier gehegt hat, so hegte ich’s auch. Jetzt lege ich’s in Euere Hände, damit es nicht vergeht, ehe ein Kundiger es gesehen hat. Thut damit, was Euch gut dünkt!“
Der Oberjägermeister versenkte das Papier in seine Tasche, um es alsbald zu vergessen, und dann trennten sich die Männer.
Wahrlich, es war ein hinreichendes Tagewerk, das Nievern nun hinter sich hatte: am Morgen sich ein Weib gefreit, am Mittag mit der Pfalzgräfin gebrochen und am Abend begonnen, sich die mächtigste Kongregation der Christenheit zum Todfeind zu machen! Furcht, für sich, für Leib und Leben beschlich ihn dennoch nicht, als er jetzt, dies alles überdenkend, seinen Weg zurück zur Stadt nahm. Aber ruhelos war sein Herz freilich: das Verlangen wühlte darin nach den Lippen, die er heute geküßt hatte, und folternde Pein, wenn er an die dreifach verriegelte Thür dachte und das rohe geschwärzte Mauergestein, das soviel süßen Reiz umschloß. Der Schlaf, der ihm sonst treu war, floh in dieser Nacht sein Kissen fast ganz. Recht so! Er hätte sich geschämt, zu schlafen, während das unselige holde Geschöpf gewiß sich ängstlich wachend durch die langen Stunden quälte.
Daß die Pfalzgräfin in jener Nacht ganz ebensogut geschlafen hätte wie sonst, darf bezweifelt werden. Bisher hatte es keine Sorge gegeben, die so dreist gewesen wäre, das Prachtlager der kleinen Dame unter dem silbergestickten blausammtenen Betthimmel heimzusuchen und ihren Schlummer zu stören. Was aber die Sorge nicht gekonnt, das hatte der Aerger fertig gebracht, der Aerger über das Schreiben des Oberjägermeisters.
In allerübelster Laune war sie denn auch am nächsten Morgen ihrem Bette entstiegen, frühe, trotz der schlechten Nacht. Eine Art Unruhe hatte sie herausgetrieben und das Bedürfniß, gegen irgend eine vertraute Person sich Luft zu machen.
Das letztere konnte Frau von Méninville nicht wissen; sie wußte nur von der bösen Stimmung der Fürstin, die schlecht geschlafen haben sollte, und sie bewies daher ihren ganzen Muth, [502] als sie sich dennoch melden ließ. In diesem Falle fand ihre Unerschrockenheit sich belohnt. Wäre die Obersthofmeisterin zufällig zuerst am Platze gewesen, so wäre sie die Vertraute der fatalen Verfassung der Hoheit geworden. So wurde es die Méninville; und wie wußte diese treffliche Frau das ihr seit einiger Zeit entzogen gewesene Selbander mit der Fürstin zu nützen!
Zunächst einmal war sie so klug, von alledem, was vorgegangen war, wenig oder nichts zu wissen. Niemand war in der Nähe gewesen, als sie gestern, ganz zufällig, auf einer Seitentreppe mit dem eben von der Fürstin kommenden Pater Gollermann zusammengetroffen war; nein, sie konnte sicher sein, daß die gedrängte, aber erschöpfende Mittheilung, die ihr der geistliche Freund da gemacht – nicht ganz dieselbe, welche die Pfalzgräfin von ihm erhalten hatte – daß dieses kleine Zwiegespräch also völlig ohne Zeugen geblieben war.
Die Méninville war demnach jetzt gleichsam ein harmlos weißes Blatt, auf welches Frau Sabine Eleonore ihre überraschende Verkündigung einschreiben konnte. Herr von Nievern wollte diese Polyxene heirathen! Lächerlich und unerhört! Hatte er denn überhaupt seinen Verstand noch? Jetzt freien zu wollen, wo die Polyxene Gott danken konnte, wenn sie heil an Leib und Leben sich aus dem bösen Handel zog! Das Begriffsvermögen der kleinen Hoheit versagte, sie konnte die ganze Sache nicht fassen. Aber ärgern konnte sie sich. Und sie ärgerte sich nicht zum mindesten darüber, daß sie den Oberjägermeister selber zu Polyxene ins Kloster geschickt hatte. „Hier bei mir nahm er wohl auch schon ihre Partei, aber mit Maßen und lange nicht so viel wie die Kallenfels,“ sagte sie fast kläglich, „so daß ich ganz ohne Arg blieb. Was ist denn nun in ihn gefahren, als er die lange magere Stange, die sie ist – und bei der Klosterkost wird sie wohl nicht fett und auch nicht schöner geworden sein – vor Augen gehabt hat! Sollte einem da nicht einfallen, was zuweilen das dumme Volk spricht, wenn es sagt: die und die müsse den und den behext haben! Wenn das nicht ein dummer Aberglaube wäre, der sich für unsern Stand nicht schickt, so spräche ich: viel anders sieht es nicht aus.“
„Wie schon so oft muß ich auch heute wieder die Arglosigkeit eines edeln Herzens bewundern, durch welche meine allergnädigste Fürstin ausgezeichnet ist,“ begann die Méninville bescheiden. „Noch vor kurzem hatte ich beinahe hochdero Ungnade zu erdulden, weil ich dem Herrn von Nievern eine Auskunft über sein Liebchen, die derselbe eifrig heischte, nicht vorenthalten hatte . . . der Oberjägermeister, alle schuldige Ehrfurcht gegen seine Fürstin bei seite setzend, hielt es dazumal nicht für der Mühe werth, die Angst und Trostlosigkeit zu bergen, dahinein ihn die Kunde von der Polyxene wohlverdientem Schicksal versetzten. Wegen seines offenbaren seltsamen Trübsinns erlitt ich da ein hartes Anfahren von Euerer Hoheit –“
Sie hielt inne, noch in der Erinnerung von jener unverdienten Kränkung wie überwältigt. Die Pfalzgräfin achtete dessen freilich nicht weiter; sie war jetzt auf der Fährte. „Ha!“ rief sie, „hätte der Liebeshandel da schon gespielt? Am Ende gar schon vor seiner Abreise? O der niederträchtigen Arglist und Falschheit der Männer! Schändlich, schändlich!“ Und Thränen der Wuth traten ihr in die kindischen Augen.
„Meine allergnädigste Frau wolle sich besinnen,“ begann die Méninville wieder mit der sanftesten Stimme, „daß dem ganzen Hofe das Gebahren des Herrn von Nievern schon vor geraumer Zeit auffällig war. Hoheit hatten dem Fräulein von Leyen, das uneingeladen bei der Hofjagd erschienen war, öffentlich einen Verweis ertheilt. Ebenso öffentlich nahm der Kavalier, von dem wir reden, ihren Part nicht sowohl mit Worten als durch die That, indem er sie am Arme davonführte; auch wollte es scheinen, als ob er es an tröstlichem Zuspruch nicht habe fehlen lassen. Am andern Morgen war er dann, wie sich Hoheit erinnern werden, verschwunden. Sein Urlaubsgesuch erhielten Sie zugleich mit der Kunde von seiner Abreise. Die Einwilligung Pfalzgräflicher Gnaden abzuwarten, hatte der Herr Oberjägermeister nicht für nöthig erachtet.“
„Nennt ihn nicht so – er wird es nicht lange mehr sein!“ rief die kleine Dame wüthend. „Ich will ihn nie wieder vor Augen haben ... gestern schon habe ich ihn, da er Audienz suchte, abweisen lassen. Und da wußte ich das Schlimmste noch nicht!“ Das Schlimmste war also in der dermaligen Verfassung der Frau Pfalzgräfin, daß Nievern das Mädchen, das er vor den Augen der Nonne geküßt hatte, zu seinem Weibe zu machen gedachte.
Frau Sabine Eleonore ließ in dieser Verfassung ihre getreue Méninville nicht sobald wieder von sich. Diese durfte sogar daran denken, die Arbeit an der Altardecke, die ihr lange Nachmittage in dem innersten Gemache der Pfalzgräfin sicherte, wieder zu wagen und sie brauchte nicht zu befürchten, daß es die Fürstin jetzt mit ihren Stichen oder mit dem Muster allzu genau nehmen werde. Und da mochte denn dem Herrn Viktor das Ohr klingen, aber das unrichtige, denn es ging ihm spottschlecht in diesen Stunden bei der Pfalzgräfin. Die Schale der Wage, auf welcher seine Verdienste um den Hof lagen, um gegen seine jetzige Missethat abgewogen zu werden, wurde durch die freundliche Fürsorge der Frau von Méninville so erleichtert, daß sie nicht gut noch weiter in die Höhe schnellen konnte ... sie wog gar nichts mehr. Und das war der erbosten Pfatzgräfin gerade recht.
Eine Erwiderung war dem Kavalier auf seine beiden Schreiben an die Pfalzgräfin nicht geworden. Als Frau von Méninville zu erinnern wagte, daß die Anmaßung des Oberjägermeisters, welche besonders aus dem an die Fürstin persönlich gerichteten Schreiben spreche, durch die sofortige Vollziehung seines Abschieds am allerwirksamsten zu bestrafen sei, da meinte Frau Sabine Eleonore: „Nein . . . ich halte ihn einer Erwiderung nicht werth. Wenn wir schweigen, als sei ein solcher wie er gar nicht vorhanden, so wird ihn das am meisten verdrießen!“
Und Frau von Méninville mußte sich für jetzt bescheiden, wenn ihr auch anstatt des in Ungnade gefallenen und mit schweigender Verachtung bestraften Oberjägermeisters ein Herr von Nievern, der gar kein Oberjägermeister mehr war, noch weit lieber gewesen wäre. –
Dieses Maulen, wie er es despektierlicherweise bei sich nannte, kannte Nievern an der erlauchten Dame gar wohl. Während er sich in heißer innerer Unruhe, in Sorge um Polyxene verzehrte, erfolgte von seiten der Pfalzgräfin nicht das Geringste. Der Jesuitenpater, glatt wie ein Aal, war ihm auch schon ein paarmal entschlüpft, wenn er ihn zu fassen gemeint hatte – es war zum Tollwerden! Zwei Tage vergingen ihm auf diese Weise ungenützt. Denn wenn es auch ein nothwendiger Schritt war, so konnte es doch kaum als eine Förderung seiner Angelegenheit angesehen werden, daß er inzwischen die Zustimmung des Vormundes, des Herrn von Gouda, zu einer Verbindung mit dessen Mündel erlangt hatte. Der Oberst hatte nicht ohne einiges Staunen die Entschließung des Landforstmeisters erfahren, welche ihn dieser gut zu heißen bat, sich dann aber vernehmen lassen: „Ich nenne Euch einen Mann von Ehre, von Herz und Muth, mein Herr Oberjägermeister. Und nun möge Euch nicht die Bundesgenossenschaft der Fortuna, des guten Glückes, mangeln, denn die braucht Ihr!“
Von ihm hörte Nievern ferner, daß er, der Herr Oberst, auch nicht müßig gewesen. Er habe sich an die Obervormundschaftsbehörde gewandt und dort sich beklagt über das Zurückbehalten seines Mündels im Kloster. Worauf ihm der Bescheid geworden, daß man in der Sache inquirieren werde. Ebendieselbe Behörde aber scheine plötzlich von einem lebhafteren Eifer in Betreff des anderen Mündels des Obersten, des Junkers Ludwig, dessen räthselhaftes Verschwinden ihr doch längst angezeigt gewesen, erfaßt zu werden. Sie habe aufs neue Auskunft verlangt über den in Dunkel gehüllten Vorfall. Und nicht zufrieden mit der von dem Herrn von Gouda schriftlich gegebenen Auskunft, hatte sie eine Kommission nach der Herrenmühle entsandt, welche an Ort und Stelle Erkundigungen einziehen sollte. Gestern waren die Herren dagewesen. Sie hatten mit undurchdringlichen Amtsmienen ein Protokoll aufnehmen lassen und außer einer langen Reihe von Fragen nichts von sich gegeben.
Nievern horchte auf mit leicht zusammengezogenen Brauen, während der Oberst dies erzählte. „Daß man sie vor ein weltliches Gericht bringe, war das letzte, was meine arme Polyxene jüngst verlangte. Vielleicht wird jetzt dafür gethan,“ sagte er düster.
„Die Schmach für den Namen wäre groß,“ murmelte unzufrieden der Oberst. Und dann wieder, in seinem gewöhnlichen gleichmüthigen Tone: „Und wenn ich dagegen thäte, indem ich mich ihnen stellte, als ungetreuer Vormund, der auf den Lutz besser hätte acht geben sollen oder der ihm gar am Ende selber hinübergeholfen hat, um sich mit seinem Gute zu bereichern, oder was weiß ich – viel wäre damit auch nicht gebessert für Polyxene. Der üble Wille könnte immer noch sagen, wir hätten zusammen unter einer Decke gesteckt.“
[503] Nievern blickte nicht ohne Bewunderung zu dem sonderbaren Ehrenmanne hinüber. „Eins wüßte ich, was der Niedertracht den Mund stopfte – aber freilich auch nur das eine,“ sagte er dann gepreßt. „Daß man vor sie hinträte, den totgeglaubten Junker an der Hand –“
„In Anbetracht der besonderen Umstände des Falles, wonach der Junker vielleicht jetzt auf einer holländischen Brigantine nach Indien segelt, müßte man dazu schon etwas von der berühmten schwarzen Kunst verstehen, deren Besitz sie mir nachsagen,“ meinte der von Gouda mit grimmigem Humor. Er konnte sich von dem Gedanken nicht los machen, es sei der Schlingel, der Lutz, davon und unter die Werber in Rotterdam gelaufen. Die Erfahrungen seiner eignen im Kriegsdienste der Generalstaaten zugebrachten Lebenszeit mochten ihm diese Vermuthung eher als eine andere nahe legen.
Der Herr von Nievern ließ ihn dabei; wenigstens hütete er sich, merken zu lassen, welch abenteuerlichen Gedanken er selbst im Innersten barg. Und so hatten sich die Männer getrennt, mit dem Vereinbaren, daß jeder dem andern, was er etwa von Belang erfahre, mittheilen solle, aber ohne große Hoffnung auf solche Mittheilungen und schwerer Sorgen voll.
Nun saß der Oberjägermeister, ganz gegen seine Art stundenlang vor sich hinbrütend, am Kaminfeuer. Die Dämmerung war hereingebrochen, dann die Nacht. Den Diener aber, welcher den Armleuchter mit Kerzen hereinbringen wollte, hatte er, der sonst gütige Herr, unfreundlich angefahren, er solle mit dem Lichte draußen bleiben. Und das Kaminfeuer, welches er sonst hell und prasselnd liebte, erhielt er nur eben, so daß es ärmlich glimmte und nur dann und wann einmal rasch ersterbende Lichter von dem letzten Aufflackern eines Scheites durch das Gemach fuhren.
Das kam daher: er war täglich, so auch heute, so nahe er konnte am Hause der Ursulinerinnen vorüber geritten. Er wußte jetzt, wo hinaus das kleine Fenster von Polyxenens Zelle liegen mußte. Und noch keinmal hatte er hinter irgend einem der Fenster des Glockenhauses, in dem sie verwahrt war, ein Licht gesehen. Da saß sein armes süßes Lieb heute wie alle Abende in der Finsterniß! Und so mochte auch er sich die freundliche Kerzenhelle nicht gönnen; Licht und Wärme, die sie vielleicht entbehren mußte, waren ihm zuwider. So saß er und warf Pläne zu Polyxenens Befreiung im Kopfe herum. Einmal hatte er doch wieder, kargend wie ein Geizhals, ein dünnes Scheit auf das Kaminfeuer gelegt, damit es nicht gar erlösche. Das Holz flammte lustig auf zu kurzer Helle und beleuchtete etwas Weißes, das auf dem Tische lag, war jedoch wieder erloschen, ehe Nievern, halb gedankenlos auf jenen Fleck starrend, den Gegenstand erkannt hatte. Nun besann er sich, wie man in müßiger Laune pflegt, was dort auf dem Tische liegen könne, und fand mit gleichgültiger Verwunderung, daß ihm nichts einfiel, worauf die flüchtig wahrgenommene Gestalt des Dinges passe. So bog er sich denn aus seinem Sessel vor, griff danach und hielt eine dünne Rolle in der Hand. Jetzt rief er nach Licht und sah dann vergilbte Blätter, mit krauser blasser Schrift bedeckt und wohl umschnürt. Verständnißlos betrachtete er sie und mußte endlich den Diener fragen, woher das Ding komme.
Der Mann schien erstaunt. Das habe ja der Herr Oberjägermeister selber bei sich getragen! Aus der Tasche des alten Lederkollers des gnädigen Herrn habe er es gezogen, ehe er das Gewand in den Schrein gehängt, in der Befürchtung, die Schriften möchten dort vergessen werden.
„Das wären sie, bei Gott,“ sagte Nievern, sich jetzt erst besinnend. Es mußte die Papierrolle sein, die der Strieger ihm gegeben hatte und die von jener im Kirchenbann Verstorbenen stammte, deren sich Polyxene zu ihrem Unheil angenommen hatte.
Er zog den Leuchter heran und löste die Schnur. Mehrere lose Blätter groben Papiers fielen ihm entgegen, die er mißlich ansah. Er versuchte hier und da zu lesen – eine ungeübte verworrene Schrift, der Inhalt schien geistlich zu sein, die Ergießung einer der Schwärmerei verfallenen Seele aus dem Häuflein der Abgesonderten wahrscheinlich. Nievern entzifferte hier und da ein Wort von Angst, Verworfenheit und Gnade, von Fürbitte der Brüder und Schwestern und dergleichen, und es muß gesagt sein, daß ihn dies alles erstaunlich wenig anmuthete. Aufs Gerathewohl blickte er noch einmal in die Blätter, nahm halb gelangweilt davon Notiz, daß die Schrift wohl einem Manne, aber keinem Kleriker oder eigentlichen Schreiber angehören möge, und schob die Papiere unmuthig von sich.
Wie kam es, daß er sie später, nach Stunden, lange nachdem er sein einsames Nachtmahl beendet hatte, doch wieder aufnahm? Er hätte es selber kaum zu sagen gewußt. War es ein halb unbewußter Griff müßiger Unlust gewesen oder vielleicht der heimliche Gedanke, nicht umsonst habe vorhin der Flackerschein des Feuers die Rolle so ins Licht gesetzt, daß sie seine Blicke auf sich ziehen mußte? Wie dem auch sei – der Oberjägermeister las jetzt, las, ohne sich anders zu unterbrechen, als daß er hastig suchend zwischen den Blättern umher fuhr, um allemal das anschließende zu finden, und das wurde naturgemäß je länger je leichter, da sich die gelesenen häuften, der anderen immer weniger zurückblieben. Und waren das wirklich die Ergießungen eines überreizten Schwärmers, nur ein Meer von Worten, gewidmet einer grübelnden Selbstbeschauung? Diese Lektüre, bei welcher ein Zug eiserner Spannung sich über die Stirn des Herrn Viktor legte, und zuletzt ein wilder Triumph ihm aus den Augen zu blitzen begann?
Gegen Mitternacht hatte er geendet. Er mußte zuletzt die Gegenwart vergessen haben, denn als er jetzt aufblickte, da schaute er sich in seinem eigenen Gemach um, als müsse er sich erst hierher zurückfinden. Dann schob er seine Blätter sorgfältig zusammen und hielt dabei fast liebevoll die Hand darüber, wie wenn er da einen Schatz hege. Er stand auf und schien zögernd zu überlegen, wahrscheinlich, wo er seinen Fund während der Nacht bergen solle. Die Rolle in der Hand trat er an den Seitentisch mit der Schatulle darauf, in welcher allerhand Urkunden, überhaupt was er Schriftliches von Werth besaß, aufbewahrt wurde. Aber – einige Besitztitel, seine Bestallungsurkunde mit Unterschrift und Insiegel der Pfalzgräfin und dergleichen mochte da sicher genug liegen, diese Blätter nicht! Es konnte in der Nacht Feuer auskommen, und da rettet man am leichtesten das, was im Bereiche der Hand liegt. Daher trug er die Papiere mit sich in sein Schlafgemach.
Noch einmal ehe er das Licht löschte, nahm er sie zur Hand, einer Stelle wegen, die er nicht ganz mühelos auffand in dem Wirrwarr von krausen abgeblaßten Buchstaben, mit denen ein Blatt wie das andere bedeckt war. „Für ein Glück erachtete ich es damals, in diesem Stande der Armuth, als mich die Väter der Gesellschaft Jesu, in deren Hände ich schmählich – so denke ich jetzt – meinen reformierten Glauben abgeschworen hatte, in Dienste zu einer adligen Herrschaft in eben jener Unglücksstadt Philippsburg brachten. Unglücksstadt nenne ich diese nicht nur, weil sie meine schändliche Abtrünnigkeit von dem für mich einst abgelegten Taufgelübde gesehen hat, sondern vielmehr noch dessentwegen, was ich in Diensten meines armen Herrn François von Méninville und seiner Gemahlin dorten erleben mußte.“
Das war es, das Blatt, auf welchem jener Name deutlich leserlich ausgeschrieben stand! Unschätzbar, denn es war das einzige; so oft auch im Verlauf der Aufzeichnung der von Gewissensbissen geplagte Urheber jenes Herrn François Erwähnung that, nannte er ihn nur immer „mein Herr“ oder „mein armer Herr“, das Weib aber, durch weiches er seinen Seelenfrieden unwiederbringlich eingebüßt hatte, wurde von ihm in eingemischter Gewöhnung unveränderlich als „meine gnädige Frau“ bezeichnet.
Als der Herr von Nievern im Verlauf jener langen Stunden gerade diese Thatsache sich klar gemacht hatte – daß der Name des Paares, dessen Diener, in ein Verbrechen verwickelt, auf diesen Blättern ein Bekenntniß seiner Mitschuld ablegte, nur jenes eine Mal genannt war – da dünkte sie ihn das allerwunderbarste von allem. Der Mann hatte wahrscheinlich gar nicht die Absicht gehabt, den Namen zu nennen. Derselbe war ihm unvermerkt aus der Feder geflossen. Denn bei denjenigen, in deren Hände er diese seine Beichte ablegte, kam es auf Namen und Stand nicht an, hatten sie doch nichts mit der schon hier auf Erden rächenden und strafenden menschlichen Justiz gemein. Es handelte sich, wie aus der Schrift deutlich wurde, um eine jener stillen Gemeinden in den Niederlanden, um ein Häuflein Leute, welche es ernst und schwer mit ihrer Seelen Seligkeit nahmen. Wer ihr verborgenes Leben innigster christlicher Brüderlichkeit und gegenseitiger Auferbauung theilen, in Gefahr und Noth einer der Ihrigen sein und bleiben wollte, von dem verlangten sie zuerst und zumeist: daß er sein Herz offen darlege vor Gott und den Brüdern. Doch sollte aus solchem Bekenntniß keine öffentliche Schmach für neu sich Anschließende erwachsen. [504] Wer sich daher schwerer Sünde schuldig wußte, den stießen sie deshalb nicht etwa zurück, sie gestatteten ihm vielmehr, seine Schuld und Reue zu ergießen in das Herz eines Bruders oder zweier, oder eine Niederschrift seiner Lebenswerke anzufertigen und in die Hände der Gemeindeältesten niederzulegen, auf daß diese dann danach thäten, wie ihnen gut dünkte.
Nicht, daß dem Oberjägermeister an diesem Aufschluß über das Wesen eines Häufleins flandrischer Quietisten viel gelegen gewesen wäre; er hatte denselben in der Schrift gefunden, ohne ihn zu suchen. Die Blätter aber, wohl eingehüllt, blieben in dieser Nacht neben seinem Bette liegen, und quer über die Rolle hatte er seine lange Reiterpistole gelegt.
Am anderen Morgen bei guter Zeit knöpfte Nievern die Papiere in sein Wams und begab sich hinüber in das Hauptgebäude des Residenzschlosses, wo er sich bei der Frau von Méninville melden ließ. Diese Dame war, trotz der frühen Stunde, doch schon zu der Hoheit befohlen gewesen, kam eben von dort zurück und hatte sonderbare Dinge erfahren. Nicht, daß sie Neuigkeiten gehört hätte – nur ihre Kenntniß von dem Charakter der kleinen Pfalzgräfin war um eine merkwürdige Erfahrung bereichert worden. Sie hatte Frau Sabine Eleonore in selten gesehener Aufregung gefunden. Und warum? Weil die Pfalzgräfin nun auch wußte, was ihre Dienerschaft schon seit zwei Tagen durchschwatzte: der Herr von Nievern sei auf der Jagdkämmerei gewesen und habe dort revidiert und resolviert wie einer, der einen Abschluß seiner Geschäfte voraussehe. Weiter nichts. Aber das zeigte ihr, daß er wirklich daran denke, seinen Abschied zu erhalten oder zu nehmen, daß er, mit anderen Worten, Ernst mache. Und nun war die Pfalzgräfin außer sich. Die Méninville hatte ein Unwetter über sich ergehen lassen müssen, einem Aprilschloßensturm vergleichbar, welchen ein Wind, der selber nicht zu wissen scheint, was er will, bald aus dieser, bald aus jener Ecke hervortreibt. Sie war bald scheltend für alles verantwortlich gemacht, bald weinerlich um Rath gefragt worden, ohne daß man beliebte, weder auf ihre ehrfurchtsvolle Vertheidigung noch auf ihre bescheidentlichen Vorschläge zu hören. Und endlich hatte sie sich in einer sehr pointierten Weise fortschicken lassen müssen, da die Obersthofmeisterin eintrat, zu welcher die kleine fürstliche Wetterfahne mit einem Male heftig herumgeflogen war, der lieben Méninville dabei den Rücken wendend.
Aber der Wind konnte ebenso rasch wieder umspringen; die kluge Frau von Méninville rechnete sogar darauf, daß es geschehen werde; sie wußte, die Pfalzgräfin konnte sie jetzt weniger entbehren als je, und legte sich daher ganz ruhig alles zurecht. Ihr war es gar nicht unwahrscheinlich, daß Nievern in verwegenem Trotz auf seinem Abschied bestehen werde, wenn sie auch eben bei der Pfalzgräfin diese Möglichkeit weit weggeworfen hatte. Im Grunde hätte ihr nichts willkommener sein können. Sie würde ihn zwar nicht gern aus ihrem Lebenskreis schwinden sehen, den Mann, der jetzt den Reiz des Hasses und zugleich immer noch einen ganz anderen auf sie ausübte. Aber brauchte er denn das auch – für immer verschwinden? Jetzt freilich mußte er scheitern in allen seinen Plänen, besonders in dem, der Polyxene betraf. War jedoch diese erst völlig aus dem Wege, dann . . . nur Zeit gewinnen, nur Zeit, und alles war noch möglich!
In diesem Augenblick traf die Botschaft, das der Herr Oberjägermeister um Gehör bei ihr bitte, die Méninville wie die Gewähr des Triumphes. Er kam, um ihre Vermittlung bei der Fürstin nachzusuchen, wozu sonst? Und er kam zu ihr!
Sie zögerte überlegend. Sehen und sprechen wollte sie ihn jedenfalls. Aber er sollte diese Gunst schätzen als etwas, was nicht so ohne weiteres zu erlangen sei. Deshalb schickte sie ihre Zofe, ein Ding, welches bei ihr gelernt hatte, nach Bedarf fremd und von oben herab zu thun wie die Herrin selber, mit dem Bescheid zu ihm hinaus, Frau von Méninville sei gerade verhindert; ob Herr von Nievern ein wenig verziehen oder später wiederkommen wolle? Das Mädchen kehrte zurück: ja, der gnädige Herr wolle warten. Dem scharfen Auge der Méninville entging aber nicht, daß sie ein wenig verdutzt aussah. Auf Befragen ihrer Herrin wußte sie freilich nur zu sagen, der Kavalier habe gelächelt bei der Antwort und gemeint, ob Frau von Méninville etwa bei der Andacht sei. Und dann noch etwas: er habe der Dame einen alten Gruß zu bringen, von einem guten Bekannten; dem schade es nichts, wenn er nun auch noch eine Viertelstunde älter werde.
Die Worte berührten Frau von Méninville mit einem leisen Mißton. Das mochte aber daher kommen, daß sie wie viele Menschen nicht gern unversehens auf die Spuren „alter guter Bekannter“ stieß. Das Vergnügen, welches die Wiederbelebung des einmal Abgethanen im Menschendasein abwirft, muß wohl in den meisten Fällen sehr fraglich sein.
Als Herr Viktor von Nievern endlich vor das Angesicht der frommen Witwe und fürstlichen Vertrauten kam, da geschah es, daß beide, die einander nun mehrere Wochen lang nicht gesehen hatten, sich einmal wieder mit raschen prüfenden Blicken maßen. Und was die Méninville sah, gefiel ihr überaus. Sie dachte dabei: was für ein Mann das ist; wahrlich, einem solchen begegnet man nicht leicht zweimal im Leben! Und das alles sollte nur für jene bettelstolze Einfalt gewachsen sein, die es nimmermehr zu würdigen weiß? Allzu dumm ginge es doch in der Welt her, wenn unsereiner nicht zuweilen eingriffe!
Leider war der Oberjägermeister in seinem Herzen so ungalant, beim erneuten Anblick der Dame keineswegs ähnliche Empfindungen gegen sie zu hegen. Sein ganzes Innere kehrte sich um in Widerwillen, nein, in Grauen vor der mattfarbigen Hagerkeit dieser Gestalt mit dem schmalen harten Gesicht, den langen Händen. Wo hatte er die Augen gehabt, daß er an ihr je irgend einen Reiz hatte entdecken können!
Mit gesenkten Wimpern und leiser glatter Stimme bat Frau von Méninville jetzt um Verzeihung, daß der Herr Oberjägermeister habe ein weniges harren müssen. Darauf er mit blitzenden Augen: „Laßt Euch meine verlorene Zeit nicht verdrießen, Madame! Wäre sie mir auch etwas lang geworden, so fällt unser Zwiegespräch dafür jetzt hoffentlich um so kürzer aus. Wollet Euch aber doch niederlassen, ich bitte! Hier ... so!“
Was war das für ein Ton und für eine Art, mit der er ihr hier im eigenen Gemach herrisch einen Platz anwies und sich dann den eigenen Sessel so rückte, als sei er nicht sowohl ihr Gast als vielmehr ihr Wächter! Mit dem sanften Befremden einer schuldlosen Seele hob die Méninville die verblichenen Augen zu dem Oberjägermeister auf, senkte dieselben aber rasch wieder, und ein Schrecken kroch durch sie hin, kalt und lähmend – die Angst vor einem ganz neuen Zuge in seinem düster entschlossenen Antlitz.
Herr Gott, wenn es doch keine Vergangenheit gäbe! – Aber sie war eine wahnwitzige Thörin gewesen, soeben zu fürchten! Dieser Gedanke der Erleichterung durchzuckte sie, als Nievern nun endlich begann: „Ich komme, um von der trefflichen Frau von Méninville einen Dienst zu erbitten. Meine Braut, das Fräulein von Leyen, wird im Kloster der Ursulinerinnen unter nichtigen Vorwänden in Haft gehalten. Euer Einfluß, Madame, ist groß, sowohl bei der Pfalzgräfin als bei dem Pater Gollermann. Und ich irre wohl nicht, wenn ich bezweifle, daß Ihr bisher denselben zum Heile des unglücklichen Fräuleins verwendet habt. Besinnt Euch jetzt eines Besseren, ich bitte! Das Fräulein muß frei werden, heute noch, und Ihr werdet mir dafür einstehen!“
Das Aufathmen der Dame war von kufrzer Dauer gewesen. Sie hörte aus dem seltsam sich verändernden Tone heraus, daß der Mann da vor ihr sie in der Hand zu halten glaubte.
„Ich verstehe den Herrn Oberjägermeister nicht,“ sagte sie aus trockener Kehle. „Ich vermag in dieser Sache nichts, habe nichts damit zu thun. Warum wendet sich der Herr nicht an die ihm so günstige Frau Pfalzgräfin selber? Unbegrristich ist es mir, wie er sich jetzt gerade meiner bescheidenen Person erinnert.“ Sie hatte immer weiter gesprochen, weil er wie lauernd schwieg, ein finsteres Lächeln um die Lippen. Sein drohendes Schweigen reizte sie aber jetzt, so daß sie mit einem bösen tückischen Blicke fortfuhr: „Der Herr von Nievern vergißt auch wohl, wenn er sich über das Mißgeschick des Fräuleins beklagt, welche seltsamen Gerüchte sich an das Verschwinden des jungen Lutz von Leyen knüpfen.“
Das hätte sie nicht sagen sollen. Der Herr von Nievern legte den Arm aufs Knie und bog sich nahe zu ihr hinüber aus seinem Sessel, mit welchem er ihr jeden Ausweg aus ihrer Zimmerecke versperrte. „Ihr sprecht von diesen Gerüchten, Ihr wagt es, die Rede zu bringen auf diese niederträchtigen, aus der Luft gegriffenen Verdächtigungen des reinsten Wesens? Aber – daß ich das Fräulein hier nur nenne, möge sie mir verzeihen!“ Seine Stimme wurde schneidend wie ein Messer, als er fortfuhr: „Wo zuerst diese Verdächtigung entstanden ist, welche unserer arglosen Fürstin als ein allgemeines Gerücht zugespielt wurde, das wissen wir jetzt, Madame von Méninville aus Philippsburg! Andere könnten sich billig über soviel Erfindungsgabe in Euerem klugen Kopfe wundern, Leute, die nicht wissen, daß Frau von Méninville gar mannigfache Erfahrungen besitzt und selber vielleicht am besten demjenigen zu rathen wüßte, dem es um das Verschwinden eines Ueberlästigen zu thun wäre. Wie dünkt Euch, Madame?“
Aber Françoise von Méninville war keine gewöhnliche Frau, und Feigheit war ihr Fehler nicht. Sie schien ganz kalt zu bleiben, und so sagte sie, indem sie den Blick, wie nach einem Ausweg suchend, ungescheut durchs Zimmer schweifen ließ: „Was ich vorhin sagte, wiederhole ich jetzt: ich verstehe nicht, wo der Herr hinaus will. Aber ich bitte, daß Ihr mir Raum gebt, mich zu entfernen und Euch das Gemach zu überlassen, oder ich rufe um Hilfe. Euch bedauere ich, Herr von Nievern, da das Unheil, so über Euer Liebchen gekommen, Euch offenbar den Verstand verwirrt hat.“
Eins hatte sie erreicht: Herr von Nievern saß sekundenlang wie erstarrt über so viel Keckheit. Dann aber – und sie hatte noch nicht nach Beistand gerufen – war er dicht vor ihr, schlug die Arme übereinander und sagte, verächtlich auf sie niedersehend: „Jetzt ist es genug mit dieser Komödie! Soll ich Euch eine Geschichte erzählen? Von einem armen Teufel, Balthasar Gutzeil mit Namen, dem der Schutz und die Förderung durch die frommen Väter von der Gesellschaft Jesu an Leib und Seele so wohl gediehen ist? Den sie in Dienst brachten zu dem kränklichen Herrn von Méninville und der Betschwester, seinem Weibe? Der Mann hat mancherlei dort erlebt; bei Gott, es war eine Kondition, in der man etwas lernen konnte! Er sah seinen armen mattherzigen Herrn hinsiechen unter der Pflege der gnädigen Frau; er schloß Augen und Ohren gegen das, was er sah und hörte, um den Dienst nicht zu verlieren, denn er selber war ein ängstlicher Geselle, in hungernder Jugend verkümmert. Aber er hatte Unglück oder die andern waren zu dreist; zum völlig Blinden konnte er sich nicht machen, und so traf er einst das verbuhlte Weib in den Armen eines jungen Schwarzrockes. Und um den Plan, den Madame nun ausheckte, den armen Kerl unschädlich zu machen, könnte sie wahrlich der Schwarze in der Hölle beneiden! Er wurde der Wärter seines Herrn – er mußte ihm die Pülverlein einschütten, die sie bereitete und kraft deren der gute Herr in der That aller seiner Schmerzen ledig wurde. Sie zwang ihn dazu durch alle die Künste, die sie verstand; er war wie Wachs in ihrer Hand. Und als dann, nach einer Gabe, die ausreichte, der Herr von Méninville seine Glieder streckte und steif und blau wurde – da warf sie ihm den Mord in die Zähne! Sie drohte ihm mit peinlicher Anklage, wenn die Sache ruchbar würde – aber – sie ließ mit sich handeln! Gutherzig, wie sie war, wollte sie den armen Teufel nicht ins Unglück bringen. Schwieg er nur über alles, was vorgegangen war, so meinte sie dazu helfen zu können, daß das Versehen, wodurch ihr lieber Gemahl zu Tode gekommen, nicht ans Licht gelangte. Ein schwächlicher Herr war er ja immer gewesen, dessen mageren Gliedern die Ruhe im Grab zu gönnen war! – Und nun, Madame von Méninville, ehrbare Witwe des seinerzeit mit ein wenig Rattenpulver vergifteten, hoffentlich seligen Herrn François – wundert Ihr Euch nun noch, wenn derjenige, der dies alles weiß und durch den es in einer Viertelstunde Hof und Stadt wissen kann, Euch seine Bedingungen stellt?“
Tiefes Schweigen im Gemach. So still steht der Jäger über der Falle und lauscht, ob das gefangene Wild sich noch regen wird! Hatte dieser hier wirklich seinen Fang gethan? Die Méninville zitterte nicht und verrieth keinen Schrecken, keine Unruhe. Das, wogegen sie anzukämpfen hatte, war vielmehr ein Gefühl eisiger Kälte, das tief aus dem Innersten heraus lähmend durch alle ihre Adern kroch und sie zu erstarren drohte. Deshalb sprach sie jetzt langsam, mit schwerer Zunge, während der matte erloschene Blick ihn fast gleichgültig streifte: „Ich trotze Euch und Euern Drohungen, Geht hin und seht, wer Euch Euere schändlichen Verleumdungen glaubt! Hat jener Schwachkopf, mein Diener, etwa in einer Krankheit geschwatzt, aus alberner Todesfurcht, so hat er phantasiert, Beweisen könnt Ihr nichts – Euere veralteten schmählichen Lügen brauchen mich nicht zu kümmern.“
[519] Hierzu nickte Herr von Nievern, fast gemüthlich, als habe er nichts anderes erwartet. „Halten wir uns nicht lange auf mit dem, was Ihr zu sagen habt; es ist dies von wenig Belang,“ bemerkte er, und der unveränderte Ausdruck in seinen Zügen zeigte ihr, daß es in der That von keinem Belang war. „Hört mich lieber zu Ende! Habt Ihr gedacht, ich ließe mich etwa nur mit der Befreiung des Fräuleins abkaufen und Euch hier Euere Rolle weiter spielen, so irrt Ihr gründlich. Da sei Gott vor, daß ich mich der Niedrigkeit schuldig machte, die giftige Schlange wieder frei zu lassen zum Verderben der Menschen, nur weil ich und das Meine gegen ihren Biß gefeit sind! Ihr vollbringt, was ich von Euch verlange ... das Fräulein wird heute noch den Ihrigen zurückgegeben, und dann verlaßt Ihr sofort die Stadt – auf immer! Ihr seid aber frei und unbehindert, das Euere mit Euch zu nehmen, wohin Ihr wollt. Ist dagegen Polyxene heute, wenn es Abend läutet, noch im Kloster, so stehe ich für nichts ... die Pfalzgräfin erfährt dann heute noch, wen sie hier gehegt hat. Und die guten Birkenfelder – je nun, sie sind schwerfällig, dabei aber mir herzlich zugethan. Der Gedanke, daß der Giftmord etwa verjährt sei, wird nicht so leicht Eingang in ihre dicken Köpfe finden wie die fröhliche Ueberzeugung, man müsse Euch dafür gleich eins versetzen. Der Thurm ist Euch zum Nachtquartier gewiß, meine Kavalierparole darauf – nicht aber kann ich Euch versprechen, daß sie Euch nicht auf dem Wege dahin steinigen werden.“
„Es steht Euch wohl an, einem schwachen Weibe so zu drohen,“ sagte die Méninville, jetzt mit klappernden Zähnen.
„Einem Weibe?“ der unsägliche Hohn zerfraß das Wort fast, während er es hervorstieß. „Sagt lieber, einem Teufel! Aber gleichviel! Gebt Euch bald daran, zu thun, was Euch obliegt! Ihr habt neun Stunden Zeit dafür ... in neun Stunden bringt Eueresgleichen noch ganz anderes fertig. Was seht Ihr mich so an?“ Er konnte es nicht hindern, den kräftigen Mann trat ein leises Grauen an bei dem Blicke tödlichen Hasses, den sie ihm zuwarf. „Möchtet Ihr mir auch ein Tränkchen kredenzt haben?“
Die Worte waren ungroßmüthig; er fühlte es, sobald sie gesprochen waren. Das Weib aber verzog die Lippen zu einem cynischen Lachen. „Nein, um Euch wäre es schade gewesen; Ihr habt mir immer gefallen. Und deshalb, und da ich’s um Euch eigentlich besser verdient hätte, mein hübscher Herr von Nievern, haltet mir eine Frage zugute, eine Frage schierer Neugierde: wann und wo ist der dumme Tölpel in die Hölle gefahren, der mir das wohlgemeinte Legat dieser Beichte hinterlassen hat? Und hat er sich doch noch, ohne daß ich ihm weiter den Weg gewiesen, allein zu Galgen und Rad gefunden?“
„Ich kann Euch keine Auskunft über den Mann geben,“ erwiderte Nievern kalt. „Sein Bekenntniß liegt mir jedoch vor, schriftlich und wohl beglaubigt.“
„Ihr besitzt es?“ fragte sie, und ihm entging der lauernde Blick nicht, mit dem sie ihn streifte. So hütete er sich denn wohl, etwa mit unwillkürlicher Bewegung nach der Brusttasche seines Wamses zu greifen, in welcher er die Blätter trug; er zuckte mit keiner Muskel, während er entgegnete: „Das laßt Euch nicht kümmern. Die Schrift wird zur Hand sein, sobald wir sie gebrauchen, verlaßt Euch darauf! Ich gehe jetzt, aber glaubt nicht, daß Ihr unbewacht Euch selber überlassen seid! Ihr werdet gut thun, Euch zunächst gleich mit dem Pater Gollermann ins Benehmen zu setzen, der die Klausur des Fräuleins veranlaßt hat.“
„Eins nimmt mich wunder,“ höhnte Frau von Méninville, „warum Ihr erst zu mir kommt, anstatt gleich zu dem hochwürdigen Herrn selber zu gehen mit Euern Neuigkeiten. Gering muß doch wohl Euere Hoffnung gewesen sein, sie dort um den Preis, den Ihr verlangt, abzusetzen!“
„Mit nichten; ich wollte Euch nur die schmutzige Arbeit bei der Sache selber thun lassen.“ Und jetzt war er noch einmal dicht vor ihr. „Hofft nichts von den Jesuiten, wenn Ihr hier erst einmal Euern erschlichenen guten Namen eingebüßt habt. Aber was sag’ ich Euch das! Ihr wißt so gut wie ich, daß sie Euch fallen lassen werden, sobald Euch auch nur ein Verdacht streift. In dem Philippsburger Handel von damals ist ihnen nichts nachzuweisen, vielleicht hatten sie wirklich nichts damit zu schaffen. Aber Ihr kamet auf warme Empfehlung des Ordens hierher ... ich rathe Euch, den hochwürdigen Herrn Beichtvater ihrer Hoheit daran zu erinnern. Und nun: gedenkt Ihr zu leisten, was ich verlange? Sonst bliebe mir allerdings nichts übrig, als auf eigene Faust mit dem Pater Gollermann zu verhandeln. Dann aber ändert sich unser Pakt. Ich rufe die Obersthofmeisterin hierher, beantrage sofort Zimmerarrest für Euch und übergebe Euch ihr ...“
„Nein, laßt die langhalsige Gans fort – den Spaß soll sie nicht haben,“ sagte die Méninville. „Ich will thun, was Ihr verlangt – wenn ich es vermag. Ihr traut mir nichts Geringes zu. Wider Wissen und Willen legt Ihr damit noch Zeugniß ab für die gute Meinung, die Ihr von den Geistesgaben der Méninville hegt. Ha, ha“ – sie lachte schlimm vor sich hin – „wenn Ihr alles wüßtet, hättet Ihr vielleicht noch eine bessere. Euch dagegen hätte ich nicht für den gehalten, der sich so über Hals und Kopf in das bißchen Jugend vergaffen würde! Nun, habt Euern Willen – dann wird der Segen, den ich dieser Mariage wünsche, schon nicht ausbleiben!“
Sie war imposant in ihrer unverhüllten Bosheit. In den Abscheu, mit dem Nievern sie betrachtete, mischte sich jetzt etwas von widerwilliger Bewunderung, welche die eine rücksichtslos verwegene Natur der anderen abdrang. Zu sagen hatte er ihr freilich nichts mehr, und so verließ er sie mit gemessenem Gruße.
Sie, in der tauben Gleichgültigkeit, die dem Zusammenbruche eines ganzen Lebensgebäudes bei dem Betroffenen zunächst zu folgen pflegt, starrte ihm nach, und dann verzogen sich ihre Lippen zu dem Zerrbild eines Lächelns über eben jenen Gruß, welchen seine eingefleischte Courtoisie nicht einmal ihr, der Verbrecherin, verweigert hatte.
Die Fenster und Thüren im Hause des Kanonikus von Wildenfels in Malmedy waren an einem stürmischen Novemberabend, während draußen die Winde wie toll über die kahlen Gefilde fuhren längst verwahrt – bis auf das große Eingangsthor, aus welchem bis zu später Stunde noch gastlich der rothe Lichtschein auf die dunkle steile Gasse hinaus zu fallen pflegte. Herr Engelbrecht selber saß oben im wohlerhellten Gemach vor dem gedeckten Tische in behaglicher Laune. Ihm, der außer den Freuden einer guten Tafel keine höher schätzte als die der Jagd, war dies weiche Novemberwetter gerade recht, welches dem Wilde wie dem Weidmann zupaß kam, und er ließ sorglos und in guter Ruhe den schneefeuchten Weststurm um die Zinnen seines hochgelegene Hauses schnauben und an den Dachtraufen musizieren. Denn an der Art der Melodie hörte der Herr, wetterkundig wie alle Jäger, daß an einen Umschlag und harten Frost schwerlich so bald zu denken sei.
Der Sturm trieb es aber ein bißchen arg heute abend. Als die großen Saalthüren sich jetzt öffneten, um zwei schüsseltragenden Dienern, die gemessen einander folgten, Einlaß zu geben, da wurde dem dritten, einem kleinen Pagen, der eine mächtige Thürflügel krachend aus der Hand gerissen, von einem gewaltigen Windstoß, weicher von unten herauf durchs Haus fuhr, einen Theil der Kerzen auf dem Tische auslöschte und das Kaminfeuer in hochlodernder Flamme weit in den Schornstein hinauftrieb.
Anderswo hätte bei einem solchen Anlaß die Dienerschaft sich gewiß bekreuzt und geglaubt, es sei da eben der Gottseibeiuns näher, als einem lieb sein mußte, vorüber gesaust. Mit dergleichen gab man sich aber nicht ab in diesem aufgeklärten und ein wenig spottsüchtigen geistlichen Haushalt. Betreten waren die Diener jedoch darüber, daß ihnen der Windstoß die Beine beinahe unter dem Leibe weggerissen hatte, und dann wäre es um den köstlichen Rheinsalm wenigstens, den der eine trug, geschehen gewesen!
Der Domherr fuhr ein wenig scharf herum. „Was war das für eine Lotterei! Man muß bei einem solchen Sturm das Hausthor schließen!“ Sein ärgerlicher Blick traf gerade noch den alten Haushofmeister, der draußen stand und die Achseln hob, als wollte er für den unhöflichen Wind um Entschuldigung bitten. Die gewölbte Halle draußen erschien dunkel; der Luftzug mußte die Fackeln und Windlichter im Portal und auf den Treppen ausgelöscht haben.
Hatte so der Mahlzeit schon vor dem Beginn eine Störung gedroht, so schien es derselben auch nicht beschieden, in der unverbrüchlichen Ordnung und Ruhe wie sonst zu enden. Den Fisch zwar hatte Herr Engelbrecht unbehelligt verzehren dürfen, was schon eine geraume Zeit in Anspruch nahm, da der gute Herr den Moselwein, dessen Begleitung nach seiner Ansicht der Salm [520] am meisten liebte, in gehörigen Zwischenräumen und mit innigem Behagen dazu zu schlürfen pflegte. Und wenn im Keller die Lunte an einem Pulverfaß geglimmt und der Haushofmeister es gewußt hätte, er hätte seinen Herrn beim Fischessen nicht eher als im allerletzten Augenblick zu unterbrechen gewagt! Jetzt aber, da der Wildenfelser mit einem behaglichen Seufzer den Teller von sich schob, hatte sich der alte getreue Diener ihm respektvoll genähert und stand dicht an seinem linken Ellbogen.
„Hochwürden –“
„Nun?“ Das schöne heitere Gesicht des Domherrn mit dem ansehnlichen Doppelkinn wendete sich gelassen halb um. Da weiter nichts erfolgte, sah er den Haushofmeister an und dann fuhr sein Kopf schnell genug herum nach der Thür, um dasjenige zu entdecken, was sich in den Zügen des Dieners eben als maßloser Schrecken widergespiegelt hatte. Und da allerdings war auch er betroffen. Schon fast mitten im Gemach standen zwei fremde Figuren, von denen man nicht begriff, wie sie durch das stets wohlbewachte Haus und ohne Anmeldung bis hierher gekommen waren in die Gegenwart des Herrn.
Herr Engelbert runzelte leicht die Stirn über der kräftig gebogenen Nase. Er war Kanonikus, aber vor allem ein großer Herr, der es nicht liebte, wenn in seinem Hause jemand die Form mißachtete, und nun gar durch Schuld seiner Diener. Dem scharfen Frageblick begegnete aber auch sogleich die bittende Gebärde des Haushofmeisters, der hastig flüsterte. „Hochwürden, sie sind hereingekommen, unvermerkt, als bei dem Windstoß vorhin die Lichter verlöschten. Sie heischen Schutz von Euerer Hochwürden und so ernstlich, daß ich sie nicht abweisen mochte. Zudem kennt Ihr den Alten, er kam als Bote –“
„Ha, von meinem Vetter Nievern, ganz recht!“ sagte der Wildenfelser, ein wenig milder.
„Ich wollte sie draußen behalten, bis Ihr abgespeist hättet, obwohl sie drängten ...“
„Laß, es thut nichts,“ sagte der Domherr rasch aufstehend. Er hatte jetzt erst in der einen der beiben Gestalten, die dicht verhüllt war, aber eben wie ungeduldig ihr Kopftuch lüftete, ein schlankes Mädchen mit hellem jugendlichen Antlitz erkannt. Nun trat er hinzu, federnden Schrittes, der schöne Mann in der gefälligen geistlichen Haustracht, und sah voll Erstaunen und Antheil seinen räthselhaften Besuch genauer an, während aus einem der hübschesten Gesichter, die er je erblickt hatte, ein Paar scharfer Blauaugen mit einem ganz eigenen Gemisch von Scheu und trotziger Keckheit auf ihn gerichtet war. „Nun, Alter, was heißt das?“ fragte er endlich den Begleiter des Mägdleins.
Der, ein kleiner verwitterter Graubart, sagte halblaut: „Das ist nur für die Ohren Euerer Hochwürden; schickt, ich bitte Euch, Euer Gesinde hinaus; die Jungfer da ist gar scheu und ihr Schicksal wunderlich ...“
„Das scheint so, da sie in Euerem Geleite reist,“ lachte der Wildenfelser kurz, aber er winkte seinen Leuten zu, worauf sie sich sämtlich entfernten, der Haushofmeister aber nicht eher, als bis er die Schüssel mit den Feldhühnern sorglich zugedeckt und in der Nähe des Kaminfeuers niedergesetzt hatte.
„Kommt, mein Kind,“ sagte jetzt der Domherr gütig und griff nach der Hand des Mädchens. „Erwärmt Euch hier, während ich erfahre, welcherlei Beistand Euch frommt! Ihr seid in gar üblem Wetter unterwegs gewesen.“
Davon zeugte allerdings das feuchte Regentuch der Fremden und die perlenden Tropfen, zu welchen sich der Schnee in dem blonden Kraushaar über ihrer Stirn aufgelöst hatte. Sie ließ sich, wohl aus Schüchternheit, an steifem Arm in die Nähe des Marmorkamins mehr ziehen als führen und hatte noch nicht die Lippen voneinander gebracht. Ihr Begleiter sah zu und es zuckte wunderlich über sein Gesicht mit den tausend Runzeln und Fältchen, als der menschenfreundliche Hausherr jetzt mit drei Fingern dem fremden Kind unter das Kinn griff, um ihr Antlitz zu besserer Betrachtung ein wenig emporzuheben. Sie war ja so blutjung – er blickte angelegentlich forschend in dies reizvolle längliche Gesicht, das sich jetzt unter seiner Berührung mit Purpur überzog, während die Lider wie festgeleimt auf den Augen blieben, und sagte endlich ermuthigend: „Fürchtet Euch nicht; Euere hilflose Jugend spricht für Euch, noch ehe Ihr den Mund geöffnet habt. Schwerlich könnt Ihr Ernstliches verschuldet haben und gewiß nichts gegen unsere heilige Kirche –“
Dabei glitt sein Blick an ihr nieder, die, soweit er bei ihren Hüllen sehen konnte, von noch ganz unentwickelten Formen war, und das Kennerauge wurde eben durch den schmalen langen Fuß gefesselt, der so fest auf seinem Estrich stand, da – kaum wußte er, wie ihm geschah – da entzog sie sich mit einem kräftigen, ja ungebärdigen Ruck seiner Berührung und dabei stampfte der eben bewunderte Fuß den Boden, während sie ausrief: „So redet doch, Strieger, daß der hochwürdige Herr nicht länger betrogen werde! Das kommt von dem verwünschten Aufputz! Meine Schuld war es nicht, Herr von Wildenfels!“
Es klang wie scharfe kindische Ungeduld durch die helle Stimme, und dabei zerrte das Mägdlein befremdlich an ihrem Anzug, von dem das Regentuch abgeglitten war, als ob alles sie drücke und einenge. Das Gewand war ein halb ländliches; offenbar war sie, die ihrer herrischen Art nach einem ganz andern Stande angehörte, desselben ungewohnt. Das aber war es nicht allein, weshalb der Domherr sie jetzt so verständnißlos anstarrte, bis endlich der mit Strieger angeredete Moosbart sich vernehmen ließ. „Ihr seid leider im Irrthum, Herr, wenn Ihr annehmt, daß wir mit der Geistlichkeit nichts zu schaffen hätten. Mehr, als uns lieb ist – fragt den da!“
„Wen?“ schrie jetzt Herr Engelbert, an den Rand seiner Geduld gebracht durch alle diese Räthsel, hinter denen er nunmehr nur Ungelegenheiten witterte und allerlei, was seiner Ruhe bedrohlich schien. „Was für Gauklerpack habe ich hier?“
Da trat jener adlige Fuß mit einem Male fest vor ihn hin, ein Paar trotziger Blauaugen sprühte ihn an und von einer bebenden Knabenstimme – daß er sie jetzt erst erkannte! – kamen die Worte: „Keine Gaukler, Herr von Wildenfels, vielmehr einen, dessen Wappenschild so gut ist wie Eueres! Ich heiße Ludwig von Leyen – der da ist mein Diener, treu wie Gold, wenn auch wunderlich. Ihr seht den vor Euch, dem die schnödeste Unbill widerfahren ist, von der ihr je Kunde erhalten habt! Das habt Ihr wohl nicht gedacht, als Ihr so frank und frei vorbeirittet an dem Gitter unseres Gefängnisses mit dem Nievern, meinem guten Bekannten aus der Heimath, und ich Euch zuwinkte, weil zu rufen mir versagt war in meiner schändlichen Sklaverei –“
„Wo? Was schwatzt der Bursch? Wo soll ich ihn gesehen haben? Ich weiß von nichts!“ rief der sonst gütige Herr scharf, wie er selten zu sein pflegte.
„Ich sagt’ Euch schon, ich bin der Junker Ludwig von Leyen,“ wiederholte darauf das falsche Jüngferchen stolz. „Und die mich nach St. Menehould brachten, mit Zwang, und dort festhielten, das waren –“
„St. Menehould! Gott sei mir gnädig! Ich ahnte es! Ein entlaufener Jesuitenschüler!“ rief der Domherr und rannte wie unsinnig im Gemach auf und nieder. Der würdige behäbige Herr war nicht mehr zu kennen, „Und zu mir kommt man, bringt mir die Fährte ins Haus, hetzt mir die Väter von St. Menehould auf den Hals – tausend, zehntausend Gulden gäb’ ich dafür, daß dies nicht geschehen wäre!“
Lutz von Leyen, obwohl seinen Jahren voran an Gestalt und Muth, war am Ende doch noch ein Kind. Jetzt schossen ihm die Thränen heran und wollten sich nicht zurückhalten lassen bei dem Gegensatz dessen, was ihm der Strieger von dem Domherrn hatte hoffen lassen und was er jetzt erfuhr. Aber er schluckte sie tapfer; sie erhöhte nur den Glanz seiner Augen, als er jetzt mit klingender Stimme sagte: „Wollt Ihr mich meinen Kerkermeistern, den Jesuiten, wieder ausliefern, Herr? Versucht es, wenn Ihr’s übers Herz bringen könnt – aber eher springe ich hier zum Fenster hinaus oder thu’ mir sonst etwas an, ehe sie mich lebendig kriegen. Ich hätte mich tot gehungert dort, so sauer es mir geworden wäre – denn die Kost bei ihnen ist gut, das muß wahr bleiben – wenn ich nicht immer gedacht hätte: die Polyxene wird mich nimmermehr so im Stiche lassen. Und nun, da ich weiß, warum, da sie mein armes Bäschen ins Kloster gesperrt haben, wo sie sich gewiß tot grämt, nun will ich auch nicht einen Tag mehr länger leben, den ich nicht frei bin ...“ Seine Stimme brach – er wandte sich ab und drückte die Fäuste in die Augen.
Zur Ehre des Herrn von Wildenfels sei es gesagt, daß sein Anfall ärgerlicher, verzweifelt übler Laune schon vorüber war – einem Mann übrigens allenfalls zu verzeihen, dessen leckere Mahlzeit so jäh unterbrochen worden. Seine Feldhühner verschmorten und verdarben da am Feuer, und an ihrer Statt wurde ihm [522] hier eine Suppe eingebrockt, an deren Art manch einer schon sein halbes Leben lang zu würgen gehabt! Nun aber hatte er sich gefaßt, zu seiner gewöhnlichen vornehmen Anmuth, der ein Beigeschmack geistlicher Würde nicht übel stand, und indem er dem Knaben die Hand auf die Schulter lehnte und dabei sogar dessen Ohrläppchen zwischen die Finger nahm, sagte er: „Von Sterben ist hier keine Rede, und daß ich Euch den frommen Vätern von St. Menehould nicht wieder zusende, dafür ist ebenfalls gesorgt, wenn Ihr wirklich derjenige seid, von dem mein Vetter Nievern mir geschrieben, wie es denn allerdings den Anschein hat. Will ich es nicht auf ewig mit dem Viktor, meinem Herzbruder aus der Jugend her, verderben, so muß ich Euch sogar allen Vorschub leisten, damit Ihr heil nach Hause gelangt. Den Wunsch aber, daß die Herren von St. Menehould nicht gerade mich nach Euch zu fragen haben möchten, werdet Ihr ja wohl begreiflich finden. Schwerlich freilich wird er sich erfüllen, da meine Leute Euch gesehen haben ...“ Er stockte, in sorgenvoller Ueberlegung.
[533] Eine Weile blieb es still in dem üppigen Speisegemache des Wildenfelsers. Da endlich that der Strieger den Mund auf zu den Worten: „Wir gedenken Euch nicht lange zur Last zu fallen, Herr. Ich hätt’ auch gar nicht vorgesprochen, wenn nicht –“ jetzt schien ihm etwas in der Kehle zu stecken, was er aber überwand, in die einigermaßen gewaltsame Frage ausbrechend: „Wie wär’s, wenn Ihr uns beritten machtet, damit wir rascher vom Flecke kämen? Hierherzu war mir’s nicht ums Reiten zu thun, der Herr von Nievern weiß es. Aber jetzt ist es ein anderes. Um Euere Pferde brauchtet Ihr nicht zu sorgen, der Junker da versteht soviel davon wie nur einer. Und ich – je nun, ich habe zwar in meinem Leben nicht oft einen Gaul zwischen den Beinen gehabt, aber – sitzen bleiben werde ich wohl auch, denk’ ich.“
Der Kanonikus strich sich nachdenklich ums Kinn. Dann ruhten seine Blicke wieder prüfend auf dem wunderhübschen Jungen im langen Weiberrock und es zuckte verdächtig um Augen und [534] Lippen. „Und willst Du in dieser Kleidung zu Pferde sitzen, mein Sohn? Sie wird Dich beim Reiten hindern und das wird nicht das Einzige sein.“ Und nun brach das Lächeln wirklich durch: „Ein so schmuckes Mägdlein auf offener Heerstraße pflegt die Augen auf sich zu ziehen, mehr als Euch lieb sein muß.“
Lutz hatte ihn kaum ruhig zu Ende zu hören vermocht; er zerrte an dem langen Rocke, der ihn auf dem Leibe zu brennen schien, und rief: „Flehentlich bitt’ ich Euch, gebt mir ein Wams und Buxen, und wenn’s von Eurem letzten Stalljungen wäre! Zu verwünscht dünkt mich die Mummerei, wenn ich sie auch nicht schelten sollte, denn ohne sie wären wir schwerlich hier. Nicht fünfzig Schritte von der Mauer, über die ich geklettert war, trafen wir auf den ganzen Zug der Winzer, die unseren Vätern die Tage der Weinlese hindurch gefrondet hatten. Wir gingen hart an ihnen vorbei . . . für Landfahrer mögen sie uns gehalten haben, und ein frecher Gesell kniff mich in die Wangen, so daß ich ihm eins versetzte – aber mäßig, denn er lachte nur – und sie hatten alle kein Arg daraus. Doch wir verschwatzen hier die Zeit . . . wollt Ihr uns wirklich helfen, Herr, wie ich von Eurem adligen Sinn erhoffe, so schafft, daß wir heute noch weiter kommen!“
„Und unterwegs liegen bleiben, ausgehungert wie der Hase um Lichtmeß?“ fagte der Strieger. „Wir betteln nicht, Herr; hier –“ und er fuhr in sein Wams und wies dann in der verschrumpften Klaue mehrere große Silbermünzen – „der Herr von Nievern hat mir den Beutel gespickt, er hat es dem Junker gerne vorgestreckt – aber wir haben uns nicht unterstanden, einzukehren heute; der Boden schien uns allenthalben noch zu heiß, zum Mittagbrot und zur Vesperkost haben wir den Riemen nur immer ein Stück fester gezogen. Ich ausgedörrter Schlauch spüre das wenig, aber ...“
„Ich wollte, Ihr schwieget,“ schalt ihn der Junker, dem diese sehr deutlichen Winke die Schamröthe in die Wangen trieben. Doch der Domherr sagte gütig: „Das Geld soll Euch mein Hausmeister einwechseln gegen kleinere Münze, damit Ihr unterwegs keine Neugierde erregt mit Euerem schweren Gelde. Je weniger man Euch nachfragt, desto besser. Und nun, alter Fuchs – denn das müßt Ihr sein, dem dies Stücklein gelungen ist – setzt die Schüssel dort vom Kamin auf den Tisch ... so! Greift zu, mein Sohn, und auch Euer Getreuer möge sich letzen! Hunger thut weh in Eueren Jahren. Ihr versäumt nichts, denn vor der Nacht darf ich Euch nicht entlassen.“
Herr Engelbrecht selber setzte sich in seinen breiten Armstuhl in die Nähe des Tisches, so daß er den Wein zur Hand hatte, und machte in eigener Person den Mundschenk der beiden. Er war nicht karg, sah auch dem Verschwinden seiner Rebhühner mit bestem Humor zu. Einmal gab er ein leises Klingelzeichen, und richtig erschien auch anstatt der anderen der umsichtige Haushofmeister allein. Der Domherr nickte ihm zu – die beiden verstanden einander – und gab ihm eine halblaute kurze Weisung. Und nicht lange, so kehrte jener zurück, auf behenden leisen Sohlen, trotzdem er kein junger Mann mehr war, und setzte stillschweigend einen ansehnlichen Schinken auf die Tafel; auch köstliches Weißbrot fand sich dazu.
Der Haushofmeister schnitt auf und die Stücke verschwanden, wie die Feldhühner verschwunden waren. Der Kanonikus, so herzlich er auch besonders dem armen jungen Schelme da die Mahlzeit gönnte, konnte sich doch eines leisen Bedauerns nicht erwehren. Er empfand es gleichsam als eine Beleidigung der ungewöhnlich feisten und zarten Vögel, daß Junker Lutz in seinem Heißhunger von ihren Vorzügen offenbar nichts verspürt hatte und den zähesten und fadesten alten Hofhahn ganz ebensogern zwischen seinen gesunden Zähnen gehabt haben würde.
Indessen war der Haushofmeister hinter seinem Herrn stehen geblieben und sah wohlwollend mit zu, wie es diesen ungewöhnlichen Gästen schmeckte. Er war weiter nicht verwundert, als der Domherr alsbald noch einen vertrauliche Auftrag für ihn hatte, „Das Fräulein da“ – Herr Engelbert wies mit den Augen auf den tapfer kauenden Lutz, sah dann aber seinen Getreuen bedeutsam an und wiederholte, leise nickend: „Das Fräulein – wenn jemand im Hause fragen und schwatzen sollte – will in der Nacht noch weiter, da sie Nachstellungen von bösen Widersachern fürchtet. Sie ist aus edlem Hause, mir wohl empfohlen und ihr Schicksal derart, daß wir in christlichem Erbarmen unsere Hilfe ihr nicht weigern können. Du lässest alles im Hause zu Bette gehen, geleitest zuvor die Fremden zum Scheine nach dem Kloster der Grauen Schwestern, schwenkst am Brühl links ab und klopfst, ob er wolle oder nicht, den Jost Heinevetter, den Brauer, heraus. Ich hab dem Kerl abermals Frist gegönnt für Zinsen und Kapital; er selber schwört, ohne unsere Milde wäre er längst von Haus und Hof – dafür heisch’ ich nun auch einen Dienst von ihm. Der Jungfrau da wird ein Gelaß gegönnt, um sich der Kleidung, die sie trägt und die sie für gefährlich hält, zu entledigen; sie mag sich in ein Wämslein von des Jost ältestem Sohne staffieren. Zwei von seinen vier Gäulen, und das die besten, werden gesattelt und den Fremden überlassen. Heischt der Alte da Auskunft über Weg und Steg von Dir, so unterweis ihn, so deutlich Du vermagst, und wisse, es geschieht mit dem allem dem Herrn Oberjägermeister aus Birkenfeld ein Gefallen, an dem Du ja auch einen Narren gefressen hast. Daß der von Nievern nicht undankbar und kein schäbiger Filz ist, weißt Du ohnedies. Also mach’ Deine Sache gut! Für Kleider und Pferde komme ich dem Jost Brauer auf, das versteht sich. Er mag sagen, er hätte mit den Gäulen einen fortgeschickt auf den Hopfenhandel. Gäbe ich unsere Pferde her, so hätten wir morgen das Gerede darüber. Ich denke, es ist besser so.“
„Das gebe Gott, Hochwürden,“ sagte der Mann, der doch etwas bedenklich schien über den verwickelten Auftrag, und entfernte sich.
Als die Flüchtlinge ihre Mahlzeit vollendet hatten, heischte der Domherr von ihnen mit vorsichtig gesenkter Stimme einige Auskunft, nicht nur über die verwegene Flucht des Knaben aus dem Stifte, sondern mehr noch über die Umstände, die den jungen Ludwig zum widerwilligen Zögling der frommen Väter überhaupt gemacht hatten. Und da vernahm er seltsame Dinge. Die Entdeckung des jungen Herrn von seiten des Strieger, das Einverständniß der beiden, das Entkommen – abenteuerlich, wie das alles gewesen war, gab es ihm doch weit weniger zu denken als die sehr unvollkommenen Aufschlüsse, welche der Junker über den wunderlichen Schicksalswechsel, der ihn plötzlich zum Jesuitenzögling gemacht hatte, zu erzählen wußte.
Sollte man ihm glauben – und der Knabe sah nicht wie ein Lügner aus – so hatte er eines Tages im alten Grasgarten zu Hause am Wasser gestanden, als gerade die jenseitige, ganz in der Nähe vorbeiführende Landstraße entlang eine vornehme Kutsche mit zwei stattlichen Grauen gekommen war. Der Reisewagen irgend eines großen Herrn, wie es schien, denn nach Birkenfeld gehörte das Fuhrwerk nicht, noch einem von Adel aus der Nachbarschaft. Neugierig hatte der Junge, für den schöne Pferde zudem eine besondere Anziehungskraft besaßen, das Abenteuer näher betrachten wollen und war deshalb hastig auf den Steg gesprungen, der aber aus weiter nichts als einem quer über den Mühlgraben gelegten schlüpfrigen und dazu morschen Balken bestand. Und nun ergab sich eine große Lücke in seinen Erinnerungen. Daß der treulose Balken, den er schon hundertmal als Brücke benutzt, gerade dies eine Mal schmählich nachgegeben hatte, das wußte er wohl und auch, wie ihm zu Muthe gewesen, als derselbe drüben am anderen Ende absplitterte und sich unter ihm senkte. Sein Schrecken war nicht allzu groß gewesen – er hatte sogar in dem kurzen Augenblick Zeit gehabt, vornehmlich an seine nassen Kleider zu denken und wie Polyxene schelten würde, die ihm diesen Uebergang schon oft verwiesen hatte. Dann aber wußte er nichts mehr, als daß er, während das Wasser über ihm zusammenschlug, einen scharfen Schmerz am Kopfe gefühlt hatte, so heftig, daß ihm darüber wohl die Sinne vergangen sein mußten.
„Ihr seid auf den Balken im Wasser aufgeschlagen,“ warf der Domherr dazwischen, der dem Bericht mit ernster Aufmerksamkeit gefolgt war. Der Strieger, dessen ebenfalls scharf horchendes Gesicht er dabei mit den Blicken streifte, ergriff die Gelegenheit, ihm bestätigend zuzunicken; das war auch seine Erklärung für dasjenige, was Lutz sich noch kaum die Mühe gegeben hatte, zu begreifen, „Ich muß lange bewußtlos gewesen sein,“ erzählte der Junker weiter, „und als ich endlich wieder etwas von mir merkte, lag ich gar weich und das war mir gerade recht, denn ich kam mir wie an allen Gliedern zerschlagen vor. Einmal brachte ich die Hand an den Kopf, und so dumm war mir zu Muthe“ – trotz des Ernstes der Lage lachte hier Ludwig kurz auf bei der Erinnerung – „daß ich damals glaubte, ich sei es nicht, sondern ein anderer, weil ich statt meines Haarschopfs nur Tücher und Binden spürte. Sehen konnte ich auch nicht – nur hören, und das schlecht genug; der Kopf war mir dumpf wie in einem Schraubstock. Da haben sie an mir gedoktert und kuriert, [535] und nicht weiß ich, wo ich lag. Und daß ich dann fortgebracht worden bin in einer Kutsche, ist mir nicht minder wie ein Traum. War ich einmal halb wach, so entschlief ich doch immer bald wieder, und mein Schlaf war nicht wie sonst, sondern bleischwer lag es auf mir, und das Aufwachen und bis ich diese Schwere abgewälzt hatte, das war greulich“ – er schüttelte sich – „ich möchte es nicht wieder erleben.“
„Und wo erwachtet Ihr zu vollem Bewußtsein?“ fragte der Domherr gespannt.
Lutz lachte verlegen. „Nennt mich einen Schelm, wenn ich’s weiß,“ sagte er. „Wir fuhren, fuhren, fuhren und ich war so schwach im Kopfe damals, daß ich, bei Gott, ich glaube es, damals gedacht habe, es gebe gar nichts anderes auf der Welt. Neben mir in der Kutsche saß einer – er muß die Ordenstracht der Väter getragen haben, aber ich habe ihn später in St. Menehould nicht mehr gesehen.“ Es schien fast, als ob Lutz jetzt erst dazukomme, sich dieses Umstandes bewußt zu werden und sich darüber zu wundern. „Er versorgte mich gut, und als ich nun endlich zu fragen begann, da schien er erstaunt über meine Verwunderung. Wir seien nun nicht weit mehr von St. Menehould – damals hörte ich den Namen zum ersten Male, und als ich ihn danach fragte, sah er mich groß an: das sei ja doch der Aufenthalt, den meine Freunde für mich gewählt hätten, wie ich wohl wisse. Ich wußte nichts – mich schmerzte der Kopf, sobald man lange zu mir redete . . . ja, Herr, und bis heute weiß ich nicht mehr als damals. – In St. Menehould kam ich zuerst in den kleinen Krankensaal, und an Kraftbrühen fehlte es nicht, noch auch an Braten und Wein und dem schönsten Weißbrot, als mein Magen wieder ungebärdig wurde wie ein bellender Hund. Aber es fehlte an der Hauptsache. Ich hatte meine Freiheit verloren und zugleich die Heimath und meine Polyxene. Meinen Fragen darüber wichen sie aus – was geschehe, sei zu meinem Besten. Einmal sagten sie, mein Bäschen, der Vormund und andere Gönner wüßten um diese meine Reise, und daß ich geistlich würde, sei ihr Wunsch und Wille – aber nicht dem Erzengel Gabriel hätte ich das geglaubt – und dann blies der Wind auch wieder ganz wo anders her ... dann redeten sie so, als sei der Herr von Gouda ein ungetreuer Verwalter meines Erbgutes gewesen und man habe mich ihm fortgenommen, um zu verhüten, daß mir Schaden geschehe. Zuletzt verwiesen sie mir das Fragen ganz und niemand sollte mir mehr antworten, bei schwerer Strafe sogar, obwohl sie sonst milde genug waren. Was draußen, jenseit des Gitters sei, sollte uns nicht kümmern; wir hatten es ja auch nicht übel drinnen, und so, dachten sie, würde auch ich mich nach und nach an den Käfig und an das Futter gewöhnen. Aber, Herr, ich gewöhnte mich nicht“ – und Lutzens Blauaugen sprühten und füllten sich zugleich mit Thränen – „ich hätte nicht ein Leyen sein müssen, wenn ich’s gethan hätte! Vielmehr habe ich Tag und Nacht an nichts anderes gedacht, als wie ich mich wieder herausbrächte. Als ich den Herrn von Nievern vorbeireiten sah und merkte, daß er mich nicht erkannte, dachte ich von Sinnen zu kommen. In der Nacht habe ich mir mein Betttuch in den Mund gestopft und hineingebissen, um nicht zu schreien vor Jammer wie ein Weib ... am anderen Tage sagten sie, ich hätte das Fieber. Ich kam wieder in den Krankensaal und das war mein Glück. Der Doktor sagte, sobald ich wieder bei Kräften sei, müsse ich viel im Freien spazieren, mehr als die anderen. Der gute Bruder aber, der mich begleitete, war ein gelehrter Mann, vertiefte sich in die Reden des Cieero, die er stets in der Tasche trug und hervorzog, sogar wenn er draußen wandelte, und so kriegt’ ich die Botschaft des Alten hier zu Händem, wie wir Euch erzählt haben.“
Der Domherr nickte. Er war bei dem Bericht immer nachdenklicher geworden; wie er sich ihn jedoch zurechtlegte, davon ließ er nicht allzuviel merken. Jetzt sagte er: „Aber ist Euch denn gar keine weitere Erinnerung geblieben von der ersten Zeit nach dem Falle? Nichts, was Euch vermuthen lassen könnte, wo Ihr damals gelegen habt? Es war doch wohl in Birkenfeld? Denn schwerlich kann man Euch dazumal, schlimm verletzt, wie Ihr gewesen sein müßt, weit transportiert haben.“
Lutz dachte nach. „Ich sagte Euch schon, hochwürdiger Herr, sehen konnte ich damals, als ich gleichsam erwacht war, nicht, wohl aber hören. Und da ist mir’s –“
„Nun?“ mahnte der Domherr, nachdem er eine Weile geduldig auf ein weiteres Ergebniß gewartet hatte. „Ihr glaubt, eine bekannte Stimme gehört zu haben, nicht wahr?“
Lutz sah ihn an, erstaunt über den Scharfsinn, der vorwegnahm, was er sich selber kaum klar gemacht hatte, und fuhr zögernd fort: „Es war eine Frauenstimme, die ich da hörte, gewiß mehr als einmal, so daß mir endlich sogar ein Name dabei einfallen konnte – eine Frau von Méninville, dünkt es mich fast, müsse es gewesen sein, eine Dame unserer Frau Pfalzgräfin. Aber die wohnt im Schlosse; unsere Pfalzgräfin hält viel auf sie, und“ – er brach ab; wie einer, dem es überflüssig scheint, noch ferner etwas für eine an sich unglaubliche Sache beizubringen.
„Aber jene Dame – auch ich erinnere mich, von ihr gehört zu haben – könnte ja in das Haus, darin Ihr laget, besuchsweise gekommen sein,“ meinte der Wildenfelser. „Nun, sei dem, wie ihm wolle, jetzt liegt mir daran, Euch heil und so rasch, wie Pferdebeine laufen können, meinem liebwerthen Vetter Nievern zuzusenden. Denn zu ihm muß Euer Weg zuerst gehen, und zwar um jener Euerer Base Polyxene willen, an der Euer Herz zu hängen scheint. Ich verlasse Euch auf ein Viertelstündchen, um dem Herrn von Nievern ein Brieflein zu schreiben, welches Ihr, Alter, bei Euch tragen sollt, so wohl verborgen, wie man es Euch zutrauen mag nach allem, was meine staunenden Ohren kürzlich gehört haben. Bis dahin ist es dann auch Zeit, daß Ihr Euch auf den Weg macht.“
Die beiden waren nun eine Weile allein in dem schönen weiten Gemach, dessen anheimelnde Pracht dem Knaben sogar in diesen Augenblicken nicht ganz entging. Je länger je mehr aber behauptete die Erregung der Lage ihr Recht. Unruhig stand er bald und saß dann wieder. „Ach, wären wir erst so weit, daß wir den Heidenkopf sähen, Strieger,“ seufzte er ungeduldig. „Mir würde noch banger sein, als mir ist, wenn ich nicht eins wüßte: fingen sie mich auch wirklich wieder, sie behielten mich nicht lange, wenigstens nicht lebendig. Glaubt Ihr, daß sie uns verfolgen werden?“
Der alte Waldwart zuckte die Achseln. „Thun sie’s, dann glaub’ ich, daß der, der den Auftrag hat, an keinem glücklichen Tage von seiner Mutter geboren worden ist und unter einem Stern, der ein vorzeitiges Ende bedeutet.“ Dabei putzte er bedächtig an der langen Pistole herum, die er aus dem Wams gezogen hatte. Er betrachtete sie nur halb beifällig. „Wer seine gute Büchse gewohnt ist wie ich, dem kommt so ein Ding vor, als sollte man’s eher einem an den Kopf schmeißen denn damit schießen; auch dem, der uns etwa zu nahe käme, eine herzhafte Maulschelle zu langen, hier mit dem dicken Ende, scheint es handlich genug. Aber seid unbesorgt“ – und nun hob er die Pistole schußgerecht und die verschrumpfte Greisengestalt stand da wie festgewachsen und der Arm, der die Waffe hielt, war wie von Eisen, während die scharfen Angen das Ziel maßen – „fehlen thut der Strieger seinen Mann deshalb nicht.“
„Ich wollte, ich hätte auch eine Waffe,“ meinte darauf Lutz unzufrieden. „Tragt Ihr nichts weiter bei Euch, Strieger? Es ist, als hätte man keinen Arm, wenn man nichts spürt, womit man sich im Nothfall wehren könnte.“
Der schlimme Alte mochte gerade dieser Vorstellung zugänglich sein. Er griff in den Hosensack, zögerte, griff tiefer und brachte dann ein derbes Jagdmesser in einer alten Lederscheide zum Vorschein. Als aber Lutz mit einem kurzen Freudenruf danach greifen wollte, wich er aus: „Seit ein Jahrer fünfzig – es können auch sechzig oder siebzig sein – hat niemand die Finger an dem Griffe hier gehabt als ich. Der Griff ist in meine Hand gewöhnt und die Klinge zieht tüchtig Blut ... nicht jedem gäb’ ich’s – ich will’s Euch anvertrauen für unsere Reise, aber es bleibt mein“ ... und da der Junker hier eine stolze Bewegung machte, fuhr er dennoch ungerührt fort: „Denkt auch nicht, es sei mir jemals feil – nicht für sein Gewicht in Gold. Da, nehmt es wohl in acht!“ Unwillkürlich barg Lutz von Leyen die Waffe im Gewande, als jetzt der Domherr wieder eintrat, seinen Brief in der Hand. Auch der Strieger hatte sich in seinen Kleidern zurecht geschüttelt und dabei die Pistole außer Sicht gebracht; die beiden Reisenden sahen jetzt harmlos genug aus: eine Jungfer wie Milch und Blut und ein uralter Greis.
„Es ist Zeit,“ sagte Herr Engelbrecht von Wildenfels und seine Blicke ruhten nicht ohne Antheil auf dem seltsamen Paare, suchten auch noch einmal mit Wohlgefallen das schöne offene Gesicht des Knaben. „Ein schlechter Confrater bin ich den frommen Herren da drüben in [538] St. Menehould, wenn ich Euch jetzt wohl zu reiten wünsche und thue, was an mir ist, damit es Euch mit der Flucht gelinge. Dem Nievern mögt Ihr sagen, mein Junker von Leyen, daß er mir diesen Dienst heute schwerlich je wett machen wird; alles übrige, was ihm zu wissen frommt, steht in dem Briefe hier. Ich halte Euch nicht länger – geht mit Gott, obwohl Ihr ihm davonzulaufen scheint, mein Sohn! Und Ihr, Alter – seht Ihr mir auch nicht aus, als ob Ihr Euch allzu oft die Messe lesen ließet unter einem Kirchendach, Ihr habt vielleicht doch Euern Patron unter unseren vielen wunderlichen Heiligen – der möge ein Wort der Fürbitte für Euere Heimfahrt einlegen! Daß Ihr schweigt über Euern Besuch bei mir, daran brauch’ ich Euch wohl nicht zu mahnen!“ Und als Lutz unter warmem Danke nach seiner Hand griff, um sie an die Lippen zu führen, rief er: „Schon gut, schon gut!“ und legte seine Rechte zum Abschied auf des Knaben Schulter und blickte ihm ins Gesicht. „Seid Ihr auch jetzt ein so schmuckes Jungfräulein, wie man es sich nur an einem Feiertag zu sehen wünschen kann – ich glaube doch etwas vom Mann in Euch zu spüren! Das beweist, indem Ihr Euere Zunge hütet in Betreff alles dessen, was Euch mit dem Domherrn in Malmedy begegnet ist.“
Der Diener von vorhin war indessen unter die Thür getreten, und von dem Hausherrn entlassen, folgten ihm nun die Flüchtlinge. Trotz der späten Stunde schienen von dem Hausgesinde noch nicht alle zur Ruhe zu sein. „Es geht nach St. Annen zu den Grauen Schwestern,“ raunte der Haushofmeister einem Bedienten, welcher ihnen wie von ungefähr auf der Treppe begegnete, ziemlich vernehmlich zu. „Dorthin sendet Hochwürden die Jungfer zu ihrem Schutze – schade, daß wir sie nicht herbergen dürfen, wie?“ worauf die beiden lachten und der Angeredete nicht eben das ehrbarste Gesicht zog.
Gleich nachher aber war der Begleiter Lutzens und seines alten Gesellen wieder ernsthaft genug. Durch enge dunkle Seitengassen der ohnehin schon nächtlich stillen Stadt führte er sie. Es war als sie endlich an dem Gehöft jenes Brauers angekommen waren, der die Pferde stellen sollte, kein leichtes Stück, diesen aus dem Bett zu holen durch Rütteln und Pochen an Thür und Fenster, ohne zugleich die ganze Nachbarschaft auf die Beine zu bringen. Doch war der Mann am Fenster, ehe die Geduld derer draußen eine allzu harte Probe hatte bestehen müssen, und bald genug in den Kleidern und an der Thür, als er den Haushofmeister des Domherrn erkannt hatte.
Und dann ging alles glätter, als man hätte hoffen dürfen. Nachdem er sich erst hinter den Ohren gekratzt hatte, war Jost Heinevetter denn doch willig und zeigte sich als einen umsichtigen, um nicht zu sagen verschlagenen Gesellen. Niemand weiter im Hause wurde geweckt. Er selber kam nach kurzer Frist aus der Kammer mit einem Arm voll Kleider; und während zwei kräftige Gäule zu ihrem ungemessenen Befremden in aller Stille gesattelt und aus dem Stalle gezogen wurden, ging im Gemach neben dem großen Kachelofen die Verwandlung vor sich, welche aus dem anmuthigen Mägdlein einen jungen Burschen machte, der aufs Haar so aussah – zur schlauen Verwunderung des Brauers – als sei er sein Lebtag nichts anderes denn ein Junge gewesen.
Die Ehrfurcht des alten Strieger vor allem, was sich geistlich nannte, war stets gering gewesen. Wenn er aber jemals vor einem Menschen Respekt gehabt, so war es vor dem Domherrn von Wildenfels, und zwar in dem Augenblick, als der Alte gewahr wurde, was es mit dem Bündel, so der Haushofmeister vorhin mit sich genommen, eigentlich für eine Bewandtniß habe. Dasselbe zeigte sich jetzt als ein Quersack, bequem über den Sattel zu legen, und enthielt außer wackerer Reisekost für zwei, drei Tage – einem ganzen Schinken, dem Gefährten dessen, der abends auf dem Tische gestanden hatte – auch ein paar Krüglein Wein. Dies überantwortete ihm der Hausmeister nun und trat, nachdem der Strieger das Pferd erklettert hatte, an sein Knie heran und gab ihm Anweisung über den Weg. In den offenen Gegenden sollten sie lieber während der Nacht reiten, die, bei zunehmendem Mond, jetzt nicht allzu dunkel sein würde. Durch die engen Bergthäler aber und auf den abgelegenen Waldwegen, auf denen sie sich dann zuletzt der Heimath näherten, würde auch am Tage wenig Gefahr für sie sein.
Das Gehöft des Brauers stieß an die Stadtmauer und aus seinem Garten führte ein Pförtchen durch dieselbe, welchen Umstand der kluge Domherr nicht außer acht gelassen hatte. Also durch den dunklen Garten und unter dem Pförtcheu hinweg, das zu brechen vormals in ruhigen Zeiten einem Bürgermeister vergönnt worden, damit er leichter zu seinem Krautacker gelangte! Hier nahmen die zwei Fremden Abschied, mit kurzem Gruße. Der Junker ließ noch die von seinem harmlosen Standesgefühl erfüllten Worte vernehmen: „Den Dank, Ihr Leute, bleiben wir, will’s Gott, niemand hier schuldig!“
„Schon gut, edles Fräulein! Ihr reitet wohl nicht zum ersten Male bubenweis,“ murmelte Jost Heinevetter in seinen Bart und nickte ihnen nach.
„Nahmt Ihr des Alten wahr?“ meinte dagegen der Haushofmeister seiner Hochwürden ablenkend. „Ein wunderlichcr Kautz! Wie der im Sattel hockt!“
„Sagt lieber: wie er auf dem Gaul klebt – wie eine Schmeißfliege!“ meinte Jost.
Der andere lachte. „Wird wohl auch ebenso schwer abzuschütteln sein wie eine solche. Kommt, Jost – Zeit, daß Ihr wieder in die Federn kriecht! Ich bin’s eher gewohnt, einmal eine Stunde länger zu wachen. In eines vornehmen Herrn Dienste erlebt man mancherlei, wie?“
Frau von Méninville hatte wohl oder übel dem Oberjägermeister Wort halten müssen. Sie hatte eine Unterredung mit dem Pater Gollermann gehabt, eine Unterredung ohne Zeugen, in dem einfachen Gemach des geistlichen Herrn. Und wenn diese Zwiesprache theilweise sehr seltsamer Natur gewesen, so möge dabei der Umstand erklärend ins Gewicht fallen, daß es die letzte war, welche diese beiden Personen je miteinander halten sollten. Trifft man aber auf dem Punkte zusammen, wo die Wege sich noch einmal kreuzen, Um dann für alle Zeitlichkeit auseinander zu laufen, so pflegt, was einer und der andere spricht, weniger mit Höflichkeit verbrämt als gehaltreich zu sein, und wenn dieser Gehalt auch bittere Nieswurz wäre!
Der Pater war durch die Mittheilungen der frommen Witwe, seiner vormaligen Schutzbefohlenen, erregt, ja aufgebracht worden; das Weib hatte seine höhnische oder verstockte Ruhe bewahrt, dem Spieler von Handwerk ähnlich, der stets damit zu rechnen gehabt hat, daß das Glück sich auch einmal gegen ihn wenden könne.
„Ihr habt uns in eine mißliche Lage gebracht,“ sagte der Pater, im Zimmer auf und ab schreitend, wobei er es vermied, sie, die am Tische stand, anzusehen … „in eine mißliche Lage! Und schlecht wird dem Orden durch Euch gedankt, daß er, Euerer scheinbar aufrichtigen Reue vertrauend, Euch durch seinen erneuten Schutz hier eine Stätte bereitete, wo Ihr, wie die Väter hofften, zum Besten der Religion wirken solltet.“
Frau von Méninville verschmähte es, ein Wort zu erwidern. Aber der Zug des Hohnes, der um ihre Lippen lag, verrieth, was sie in ihrem innersten Herzen von dem Versuch des Paters dachte, auch in dieser Stunde noch an der erbaulichen Redeweise festzuhalten.
„Zu groß ist jederzeit der weibliche Hang zu nutzlosen spielenden Ränken gewesen,“ klagte der würdige Herr zürnend weiter, „und zu groß die Schwachheit des Geschlechtes. Daß mir erst heute die Augen aufgehen mußten! Die äußere eitle Wohlgestalt dieses Herrn von Nievern ist es, die Euch verführt hat … Eifersucht hat Euch über das Ziel schießen, den ungeschickten, weil viel zu gewagten Zug thun lassen, diese Polyxene des Mordes ihres Vetters zu verdächtigen.“
„Ihr kennt das weibliche Herz. Hochwürden.“ sagte die Méninville darauf mit einem verzogenen Lächeln um die farblosen Lippen. „Dieser Nievern – möge es Euch nicht mißfallen, wenn ich es sage, und zwar in dieser Stunde – ist allerdings ein ganzer Mann, recht einer zum Verlieben, und keineswegs nur seiner hübschen langen Figur wegen …“
„Schweigt, Schamlose!“ herrschte Pater Gollermann sie an. „Ungeschickt war auch Euer Rath, den Junker, wenngleich die ärztliche Kunst der Unseren ihm damals das Leben gerettet hatte, im stillen fortzuführen, um ihn dem Einfluß des Irrglaubens seiner Base zu entziehen. Wenn dem Orden seine Vormundschaft verbleiben soll, so kann jene anfängliche Heimlichkeit nur dazu dienen, die Sache mißlich zu machen.“
„Damals schien Euch diese Heimlichkeit, wie so manche Maßregel des Ordens, des guten Zweckes wegen – alles in majorem Dei gloriam! – dienlich genug,“ höhnte sie. „Daß nun aber der Schlingel in Eueren Händen bleiben wird, jetzt, wo dieser Nievern wie ein Teufel für die Sache der Leyens ins Zeug geht, das scheint mir zum mindesten zweifelhaft. Und wäre Euch mein Rath nicht verleidet, so würde ich sagen: schafft den Buben auf der Stelle in eines Euerer Ordenshäuser in Spanien oder Italien – wenn es nicht schon zu spät ist.“
Pater Gollermann erwiderte mit Worten nichts auf diesen Vorschlag. Er schritt noch immer auf und ab, die Möglichkeiten ärgerlicher Verwicklungen in seinem Geiste erwägend. Und die Méninville schonte ihn nicht. Mit lauerndem Blicke begann sie von neuem: „Denn bedenkt, wenn der Junker zum Vorschein käme und man müßte sich einen Vers darauf machen, daß Ihr, hochwürdiger Herr, sehr wohl um seinen Verbleib gewußt habet, während Ihr die Polyxene, deren Hochmuth übrigens die Lektion verdient hat, wegen des an ihm begangenen Mordes in Haft hieltet – wie ständet Ihr da! Es sollte Euch dann, mein’ ich, doch einigermaßen schwer werden, wieder auf den alten Fuß bei der Pfalzgräfin zu kommen. Wie ich denn überhaupt guten Grund habe, diese Birkenfelderin für weit weniger von einer Gans zu halten, als sie mir anfangs scheinen wollte. Dabei hat sie ihre Tücken und Nücken – nun, der Herr, dem Ihr dient, wird sie Euch erleben lassen, um Euere christliche Geduld daran zu üben – dafern Ihr selber hier verbleibet.“
Der Pater sah die Dame jetzt endlich einmal an, und wenn Blicke Dolche wären, so hätte sie getroffen dahinsinken müssen. So aber weidete sie sich vielmehr an seinem stummen Grimm. Denn sie stand auf dem Boden, auf dem ein schlimmes Weib [560] auch einem braven Jesuitenpater überlegen ist – sie hatte verspielt, hatte nichts mehr zu verlieren, ihr blieb nur noch der Genuß an ihrer dämonischen Ueberlegenheit über alle diejenigen ihrer bisherigen Freunde, welche ihr gefährdetes Ansehen zu behaupten hatten.
„Ihr selber wißt, daß ich, als mir zuerst Kunde von dem Verschwinden des Junkers wurde, bei der Pfalzgräfin und gleich mit der Färbung, die Ihr der Sache zu geben für gut fandet, daß ich da von dem Verbleib des Knaben in der That noch nichts wußte,“ sagte er, als er sich endlich zu sprechen entschloß, mit tugendhafter Strenge. „Wäre es anders gewesen, ich hätte mich wohl gehütet, Euer verleumderisches Märchen auch nur mit einem Hauche meines Mundes zu fördern.“
„Da Ihr es sagt, muß es so sein,“ meinte die Dame mit einem beleidigenden Lächeln. „Schlägt überhaupt eine Sache erst einmal fehl, so erscheinen bei der plötzlichen Erleuchtung, die uns durch solchen Ausgang wird, alle Schritte verkehrt gethan, welche zum Ziele führen sollten. Hier nun hat der tückische Zufall eingegriffen und mir mein Spiel verdorben. Ich sehe es ein und lege die Karten nieder, obwohl ich wahrlich keine übeln in der Hand hatte. Oder wäre es kein schnöder Zufall, daß die läppische Beichte jenes Schwachkopfes gerade unserem Oberjägermeister hier in die Hände fiel? Jene Beichte, aus welcher zu ersehen, wieviel sündige Schwachheit in einem unwürdigen Gefäße“ – damit machte die Dame, leicht auf sich deutend, einen höhnischen Knicks – „der Orden noch mit dem weiten Mantel der Duldung zu decken vermag.“
Es war einer ihrer letzten Trümpfe, wenn nicht der allerletzte, aber gerade zu rechter Zeit ausgespielt, wie sie an den Mienen des hochwürdigen Herrn sehen konnte. Und in einem ganz anderen Tone, kurz und trocken, fuhr sie jetzt fort: „Enden wir nunmehr, Hochwürdigster, damit mein Anblick Euch nicht länger als billig ärgere. Noch haben wir genügend Zeit, aber nicht allzu viel. Das Fräulein muß frei werden vor Abend, will sagen, ehe es zur Vesper läutet, oder dieser Herr von Nievern ist zu allem fähig. Euch“ – wieder mit höhnisch verzogenen Lippen – „ist ja jede fleischliche Schwachheit fremd; glaubt daher mir, die ich etwas mehr davon verstehe, daß ein Mann, so verliebt wie jener, schon ganz andere Dinge gethan hat, als einen halben Birkenfelder Hof durch das unerhörteste Skandalum auseinander zu sprengen. Noch müßt Ihr mich schützen, Herr, so lange, bis ich mich in Sicherheit und leidlicher Ruhe davongebracht habe. Alsdann werdet Ihr mich fallen lassen oder Schlimmeres thun, dafern ich mich nicht hüte ... ha, ha, der Nievern kannte Euch wohl, da er mir dies sagte – hier preisgeben dürft Ihr die Person nicht, die auf Euere ausdrückliche Empfehlung in dies Nest gekommen ist. Doch was rede ich da! Als ob Euer Hochwürden so unbillig dächte und sich nicht vielmehr der Gelegenheit freuen würde, den Glaubenszustand jener schönen Unschuld alsbald gesund zu befinden!“
Sie schritt nach der Thüre, blieb aber noch einmal stehen und warf wie beiläufig die Mahnung hin: „Daß die Pfalzgräfin nicht umgangen werden darf, seht Ihr natürlich ein. Ihr Eigensinn könnte sonst alles verderben. Es ist fast Mittag – ehe sie speist, könnt Ihr sie nicht mehr sprechen, und jetzt, da ihr der Aerger über des Oberjägermeisters Entlassungsgesuch zu Kopfe gestiegen ist, pflegt sie ihre Vapeurs und zieht sich nach der Tafel zurück; das heißt, sie schläft oder mault in ihrem Kabinett. Ihr werdet aber doch gut thun, Euch dort Einlaß zu verschaffen, damit nicht allzu viel Zeit verloren geht. Wird ihr das Ding durch Euch mundgerecht gemacht, so wird sie sicherlich nicht anstehen, die Aufhebung der Klausur des Fräuleins ihrerseits zu bewilligen. War doch die ganze Sache ohnehin nicht recht nach ihrem Sinne. Wäre sie nicht selber eifersüchtig gewesen wie der Satan, sie hätte Euch und mir damals einen Strich durch die Rechnung gemacht.“
Mit diesen wenig erbaulichen Worten entfernte sich Frau von Méninville; den Abschiedsgruß sparte sie sich. –
Erst volle drei Stunden später war es dem Pater Gollermann gelungen, Zutritt zu Frau Sabine Eleonore zu erhalten. Denn selbst in ihrem letzten oder vorletzten Stündlein hätte diese Dame ihren Beichtiger schwerlich empfangen ohne einiges vorherige Zurechtstutzen ihrer Toilette. Und da man ihr etwa eine Stunde nach der Tafel in ihrem Kabinette, dahin sie sich zurückgezogen hatte, das ehrfurchtsvolle Ansuchen des hochwürdigen Herrn um eine Zwiesprache zu melden wagte, da wurde er allerdings nicht zurückgewiesen, wohl aber hatte der Pater von den Geduldsproben, auf welche die boshafte Méninville gestichelt, gleich hier eine abzulegen gehabt. Denn bis die Pfalzgräfin umgekleidet und theilweise sogar neu „aufgesetzt“ worden war – wie man das Herrichten des Lockenbaues nannte – war viel Zeit ungenutzt verstrichen, zu gelindem Aerger und wachsender Unruhe des Paters, welcher doch der fleischlichen Anfechtung der Ungeduld kaum noch zugänglich sein sollte.
Mit welcher nagenden Rastlosigkeit aber trieben alle diese langsam dahinschleichenden Stunden jenen anderen umher, der über Schritt und Tritt der heute an diesem Handel Betheiligten scharf Wache halten ließ! Vor allem in der Zeit, da der Fortgang des Rettungswerkes, an dem seine ganze Seele hing, bei den Brennscheren und Haarschleifen der pfalzgräflichen Gebieterin zu stocken schien. Doch auch diese Stunden – sie gehörten unter die schlimmsten in seinem Leben – nahmen für den jetzt wahrlich geprüften Liebhaber Polyxenens ein Ende. Herr von Nievern hatte, gestiefelt und gespornt und wie zu einem Ritt über Land ausgerüstet – auch die Pistole im Gürtel fehlte nicht – sein weites Gemach so unablässig durchmessen, daß die Bedienten sich zuraunten, er müsse nun die Dielen schier durchgelaufen haben. Immer wieder hob er dabei den hübschen, scharf geschnittenen Kopf, auf jedes Geräusch horchend. Und so oft er den Fenstern nahe kam, bestrichen die Jägeraugen den innern Schloßhof und das Portal, durch welches die Standespersonen ihren Weg zu nehmen hatten, die zu oder von der Pfalzgräfin kamen. So wußte er denn, wann die Audienz des Paters Gollermann bei der Hoheit ein Ende genommen hatte – der Besuch selber war schließlich ziemlich kurz verlaufen – und nicht lange darauf trug ihm sein Kundschafter auch die Nachricht zu, Frau Sabine Eleonore habe die alsbaldige Ruckkehr des Fräulein von Leyen aus dem Hause der Ursulinerinnen in die Herrenmühle verfügt, nachdem der Pater Gollermann in christlicher Milde zu erkennen gegeben, daß zu des Fräuleins fernerer Befestigung und Unterweisung in Glaubenssachen eine Abwesenheit vom Hause ihres Vormundes nicht mehr vonnöthen sei. Es war sogar ein plötzlicher Antheil für des Fräuleins Gesundheit entsprungen, der, wie man nun fürchten wollte, die Klausnr im Hause der frommen Schwestern nicht eben förderlich gewesen sei.
Nievern hatte ingrimmig gelächelt, als er dies alles erfahren. Es war übrigens kein Geheimniß, sondern die Nachricht durcheilte alsbald den pfalzgräflichen Hof auf Hinter- und Vordertreppen. Es schien fast, als habe die Pfalzgräfin ihr absichtlich eine gewisse nachdrückliche Verbreitung geben wollen, da sie sich gleich nach dem Abgang des Paters öffentlich und ohne Ruckhalt über den Zweck seines Besuches ausgelassen hatte.
Jetzt mußte der Herr von Gouda jeden Augenblick eintreffen. Der Oberjägermeister hatte ihm eine Botschaft zukommen lassen; nicht lange, und vor seine Thüre würde die schwere Kutsche rasseln, in welcher der Oberst sein Mündel nach der stillen Herrenmühle zurückführen sollte – nicht auf lange, wie sich Nievern im stillen gelobte. Die Kutsche sollte nachher, wenn die Zeit herankam, in der Nähe der Klosterpforte warten; er selbst wollte sich dort zu Pferde einfinden, eine halbe Stunde vor dem Abendläuten. Denn eher, das war jetzt schon zu merken, ließ sich auf das Erscheinen Polyxenens nicht rechnen. Und wenn der Oberjägermeister äußerlich seine männliche Fassung bewahrte, so ersehnte er doch diesen Augenblick mit seltsam bebendem Herzen, mit unaussprechlichem Verlangen! Dem kräftigen Manne schwindelte, wenn er sich das süße Weib, das holdeste für ihn auf Erden, in seinen Armen dachte, so bald schon! Wirklich so bald? Wirklich heute noch? Gewiß, und in wenig mehr als einer Stunde! Doch was war das für ein kalter Zweifel, der ihm durch die Glieder kroch, so ungewohnt diesem Günstling des Glucks, dem alles stets gelungen war? Er hatte ja jede Minute berechnet! Jetzt mußte der Pater im Kloster sein – weniger Worte nur würde es bedürfen, um die geistlichen Jungfern zu verständigen. Dann aber würde allerdings noch ein Aufenthalt entstehen, denn der Herr von Nievern kannte seine Leute. Dann würde das Kloster erst noch seinem so übel gehaltenen Gaste sein anderes Gesicht zeigen. Mit Speise und Trank, dem besten aus Küche und Keller, würde man sie pflegen wollen bis zum Ueberdruß, um im letzten Augenblicke noch den Eindruck der öden Kerkerzelle in etwas wenigstens zu verwischen.
Das alles zog Nievern herbei vor seine Phantasie und füllte dergestalt die langsamen Minuten aus. Dennoch wollte die Angst nicht [562] von ihm weichen. Die drei Tage waren lang, seit er Polyxene mit dem Bräutigamskusse verlassen hatte – doch wieder verlassen in ihrer Oede! Ach, daß er damals ohne sie ging! Die Last ihres Jammers war zu schwer gewesen vorher; spät, zu spät war er gekommen und flüchtig nur war seine Erscheinung, unglaubwürdig vielleicht für sie seine Verheißung der Rettung gewesen! Wie, wenn sie nach seinem Verschwinden doch noch zusammemgebrochen wäre?
Dem Herrn von Nievern drohte bei dieser Vorstellung das Herz stille zu stehen und er riß das Kollett auf, wie nach Luft ringend. So war es, gewiß – sein süßes Lieb war erkrankt und daher die Angst um sie, die ihm die Kehle zuschnürte. Aber Kranke können gesunden; sie gesunden meist, wenn kräftige reine Jugend der Natur hilft. Und wie sollte diese holde, diese unsäglich rührende Leidensgestalt gehegt werden! Nievern merkte plötzlich, wie sein Blick sich trübte bei diesen Gedanken. Seine Augen waren feucht geworden; bei Gott, zum ersten Male wieder, seit er als Knabe an den Knien seiner Mutter gestanden!
In dem Kloster der Ursulinerinnen ging es an eben jenem Tage vom frühen Morgen an nicht so stille zu wie sonst; eine verhaltene Unruhe, ein gedämpftes Hin und Her, hastiges Flüstern, erregte Mienen, hier offen, dort verkniffen, kaum verhehlter Triumph und hier und da etwas ehrliche Trauer waren an der Tagesordnung. Denn mit dem Asthma der Frau Aebtissin hatte es ganz plötzlich eine ernste Wendung genommen; sie lag schon den ganzen Tag im Sterben. Doch war vorauszusehen, daß Leib und Seele sich in diesem Falle nicht allzu leicht scheiden und der Todeskampf der armen Frau lang sein werde. Für die Nonnen aber war sie schon so gut wie tot. Einige wenige bedauerten sie und schickten sich an, sie zu betrauern; es waren die, welche Person und Umstände von jeder Hoffnung auf den Platz, der da frei werden sollte, und von jedem Einfluß auf dessen Besetzung ausschlossen. In dem Falle waren jedoch, wie gesagt, nicht viele, und die Mehrzahl der frommen Schwestern befand sich in nicht geringer Erregung.
Vor allem aber eine. Zum zweiten Male schon stand das Ziel der Herrschaft im Kloster der Schwester Veritas in berückender Nähe. Als Subpriorin trug sie die Last der Klostergeschäfte nun bereits unter zwei Aebtissinnen und jetzt sollte sie eine dritte die Stelle einnehmen sehen, die ihr gebührt hätte! Denn sie war klug genug, zu merken, daß sie wenig Hoffnung habe, an die Spitze der Gemeinschaft befördert zu werden. Diejenigen, welche ihr anhingen unter den Nonnen, waren in der Minderzahl und dazu nicht die allgesehensten der Schwestern. Weltlicher Rang und Herkunft spielten auch in diese gottselige Abgeschlossenheit hinein. So schlossen sich jetzt beim Abscheiden der gräflichen Aebtissin die Nonnen, welche vornehmen Familien des Ländchens angehörten, eng aneinander. Waren sie sonst nicht immer verträglich, so schossen sie nun zusammen wie Quecksilber, das gerüttelt wird. Sie waren fest gewillt, es abermals nicht zu dulden, daß die Schwester Veritas zur höchsten Würde im Kloster gelange, und hielten sich danach. Eine Stunde nach dem Ableben der bisherigen Aebtissin mußte, so verlangte es des Klosters Regel, schon die neue aus der Wahl der Nonnen hervorgegangen sein, um dann nur noch von dem geistlichen Obern, dem Bischof von Trier, bestätigt zu werden. Woraus erhellt, daß die frommen Schwestern, was sie nicht vorher gethan hatten, das heißt, ehe ihrer derzeitigen Mutter und Oberin der letzte Seufzer entfuhr, nachher zu vollbringen schwerlich Zeit fanden.
Und so war denn der Name der Nachfolgerin der Mutter Marcella ein offenes Geheimniß und schwebte auf aller Lippen, als ungefähr anderthalb Stunden vor dem Vesperläuten der Pater Gollermann sich im Kloster einfand, um dort anzukündigen, daß man das Fräulein von Leyen sofort zu entlassen habe. Obgleich aber sein Auftrag und Gebot dringlich war, fand es doch in diesen Augenblicken kaum die nothwendigste Beachtung, denn soeben war die würdige Aebtissin verschieden, und im Kloster wimmelte es durcheinander wie in einem Ameisenhaufen, in den einer getreten hat. Auf allen Gängen lebte unb raschelte es; aus allen Zellenthüren schlürften die Nönnlein, um sich im Refektorium zur Wahl zusammenzufinden; niemand hatte Zeit für etwas anderes.
Doch war Pater Gollermann nicht der Mann, der seinem Willen nicht den gehörigen Nachdruck zu verleihen gewußt hätte. Die Schwester Veritas mußte vor ihm im Sprechzimmer erscheinen; er ließ keine Abhaltung gelten. Und hier, Auge in Auge mit der Nonne, deren meist nichtssagendes Alltagsgesicht heute seltsam fahl war und nicht völlig die wüthende Erregung bergen konnte, in der sie sich befand – hier ließ er sie begreifen, um was es sich handle.
Natürlich ahnte er, was unter dieser Oberfläche vorging und daß es in der Subpriorin wie in einem Schlammvulkan brodle. Aber Aebtissinnenwahl oder nicht – die Schwester Veritas mußte Zeit finden, das Fräulein auf seine Befreiung vorzubereiten und zuvörderst in einem besseren Gelaß zu erquicken, um sie dann anständig entlassen zu können. „Es gilt die Ehre, nein, die künftige Sicherheit und Wohlfahrt dieses Hauses,“ hatte er ihr mit Bedeutung gesagt, „also rechne ich auf Euch. Ich lasse Euch eine Stunde Zeit. Kurz vor dem Abendläuten bin ich wieder hier, um das Fräulein, dafern es ihr Vormund an sich fehlen läßt, selber in Empfang zu nehmen.“ Damit entfernte er sich.
Die Nonne schickte ihm einen höhnischen Blick nach und – sie konnte es nicht hindern – ihre gelblichen Hände ballten sich und krallten dann ein paarmal auf unb zu, als griffen sie eine Beute. Die Ehre, die künftige Wohlfahrt dieses Hauses! Dieses Hauses, das ihr jetzt, in dieser Stunde noch, den größten Tort, den unerhörtesten Schimpf anthun würde! Ha, ehrwürdiger Herr Pater, klug seid Ihr, aber doch nicht klug genug! Recht wie ein Mann! Was kümmerte die Ehre dieses Hauses sie, die Subpriorin! Wenn jetzt in einer halben Stunde die einfältige, lange, durch die Nase psalmodierende Schwester Walburg – eine Tochter freilich aus dem edeln Haufe Büdingen – zur Aebtissin gewählt sein wird, dann mag diese die Verantwortung tragen für das, was geschieht! Und wäre nachzuweisen, daß die neue Mutter des Klosters nicht darum gewußt haben könne – nun, so ist ein kleines Versehen mit der begreiflichen Verwirrung der Nonnenschar in solcher Stunde wahrlich genügend zu erklären, ja zu entschuldigen und darf ihr, der stets mit Geschäften belasteten Subpriorin, nicht hoch angerechnet werden!
Und nun tritt die Nonne in den schmalen langen Gang hinaus, auf den das Sprechzimmer mündet. Sie steht und horcht, alles ist schon fast still geworden im Hause. Hier und da geht noch eine Thür, schlürfen Tritte – aber in ziemlicher Entfernung, und alles in der Richtung nach dem Refektorium, wo die Nonnen sich sämtlich einzufinden haben. Die paar Laienschwestern, welche als Mägde dienen, dürfen in dieser Stunde bei strenger Strafe ihre Kammern nicht verlassen; die männlichen Zugehörigen des Klosters, der Gärtner und der alte Schaffner, halten sich ebenfalls gesondert im Hofhause neben den Ställen – sie ist also völlig sicher, so sicher, wie sie in keiner anderen Viertelstunde jahraus, jahrein gewesen wäre.
Und so gleitet sie denn in entgegengesetzter Richtung den Gang hinunter, unhörbar, wenngleich kein lauschendes Ohr in der Nähe ist, einem grauen Schatten ähnlich. Gut, daß sie Bescheid weiß mit allen Thüren; die zum Kellergeschoß ist unbehilflich schwer, aber unverschlossen, und sie taucht die schwarze Treppe hinab. Hier unten ist es tief dämmerig; sie läßt den Gang, an dem die wohlverwahrten Weinkeller liegen, rechts und ein links in einen Bereich, der etwas mehr Licht hat. Hier schlägt ihr eine merklich wärmere, ja heiße Luft entgegen, und ihre Lippen verziehen sich boshaft, da sie es merkt. Sie braucht nur ein loses Gatterthürchen aufzustoßen und ist an Ort und Stelle: in einem niederen gewölbten Raum, in dessen Hintergrund eine kleine viereckige Oeffnung glimmt und glüht und, ehe man sich zurechtgefunden hat, phantastisch aussieht wie das offene Maul einer schnappenden Bestie. Es ist aber weiter nichts als das Aschenloch des mächtigen Ofens, welcher die Rauchkammer des Klosters mit beizendem Qualme speist und allwinterlich einer stattlichen Zahl von Schinken und Würsten zu Dauerhaftigkeit und kräftigem Geschmack verhilft. Jetzt im Anfang des Winters, da das Kloster wie andere gute Haushaltungen erst ein gewaltiges Schlachten abgehalten und seine Räucherkammer mit fast unvertilgbarem Vorrath ausgerüstet hat, jetzt ist dieser Ofen Tag und Nacht in Thätigkeit. Der Schaffner versieht ihn und hält ihn in mäßiger Gluth. Schwester Veritas überzeugt sich davon, indem sie mit dem bereit stehenden eisernen Haken seine geräumige Thür aufsperrt.
Alles in Ordnung. Wenn ihre Pflichttreue sie hierher getrieben hat, um sich zu überzeufen, daß während der nächsten Stunden kein Unfall geschehen kann, so mag sie beruhigt sich [563] wieder davonheben. Das aber thut sie nicht; ihr Gebahren ist vielmehr jetzt seltsam. Sie schießt noch einmal an die Thür und späht rechts und links in die Kellergänge hinein. Dann kommt sie zurück, schürzt ihr schwarzes Gewand, so daß unter dem kurzen Kamisol ein Paar platter Entenfüße zum Vorschein kommt, sie streift auch die weiten Aermel auf, nestelt den störenden schwarzen Schleier zurück und greift mit beiden Armen in den Holzvorrath, der scheitweis säuberlich aufgeschichtet die ganze eine Wand des Gewölbes einnimmt. Und nun schiebt sie Armvoll nach Armvoll in den Ofen hinein, so daß bald ein majestätisches Brausen der lohenden Flammen den Raum erfüllt, denn es ist kerniges gut getrocknetes Holz, mit dem sie die Gluth speist. Nach einer Weile aber läßt die Nonne den queren Blick umhergehen; sie sucht etwas anderes. Richtig da in der Ecke liegt es zu Hauf – das Fichten- und Wachholdergestrüppe, noch grün und qualmerzeugend! Sie schließt einen der Züge des Ofens, damit die Gluth nachlasse und die Feuerung, die sie jetzt einlegt, schwele und desto mehr qualme. Und dann füllt sie die ganze große Feuerhöhlung mit dem Nadelreisig. Sie arbeitet nicht nur im Schweiße ihres Angesichts, nein mit Gefahr beinahe, denn so groß ist nunmehr die Gluth, die ihr aus dem Ofen entgegenschlägt, daß die Tannenreiser schon dorren und glimmen, ehe sie nur im Ofen sind, und die Gluth der Schwester, bevor sie es nur merkt, die fahlen Wimpern versengt hat. Das läßt aber nach, je mehr grünes Reisig sie einschickt. Sie hat jetzt den Ofen damit vollgestopft; nun giebt sie ihm unten etwas Luft und gleich beginnt ein Ziehen und dumpfes Sausen – das Feuer will sich neu emporarbeiten.
Wie gut die brave Subpriorin Bescheid weiß! Eine jede Tugend belohnt sich und die meisten schon hier auf Erden! Daß die Schwester Veritas, wie Uebelwollende sagen, die Nase überall hat in Haus und Stall, in Garten und Keller, das kommt ihr nun zu statten. Als sie neulich die Räucherkammer visitierte, ob dieselbe zur Aufnahme neuen Wintervorraths wohl imstande sei, da hat sie an der Wand in der Nähe des Fußbodens eine kleine schadhafte Stelle bemerkt. Achtsam, wie sie ist, hat sie den Schaden untersucht, ihn aber doch nicht ausbessern lassen. Denn sie ist bescheiden und ordnet gerne ihre Einsicht derjenigen früherer Geschlechter unter. Als sie sich daher überzeugt hat, daß jener anscheinende Riß in der Wand eine nur dünn beworfene regelmäßige Oeffnung ist, ein wahrscheinlich durch die dicke Mauer hindurchgehender Spalt in der Breite eines halben Backsteins, welcher leicht verschlossen werden kann, sonst aber einem beträchtlichen Theile des Holzqualms den Austritt in die anstoßende, selten benutzte Zelle im Glockenhause frei läßt – da schweigt sie über diese kleine Entdeckung so vollständig, wie man es nur von einer braven Klosterschwester erwarten kann. Ihr steht kein Urtheil zu über den Zweck, welchen die Einrichtung gehabt haben mag! Allerdings war augenscheinlich diese Oeffnung lange verschlossen gewesen, durch Schutt und Kalk, der aber im Laufe der Jahre herausgerutscht sein mochte. Was noch davon vorhanden war, hat die sorgsame Subpriorin bei ihrer Untersuchung herausgeräumt; das Luftloch ist jetzt frei. Und dann hat sie einen schweren Kasten an diese Stelle geschoben, welcher die Oeffnung in der Wand verdeckt, ohne sie abzuschließen.
Das war vor zwei Tagen, und die Nonne trägt seit einer halben Stunde den Vorgang unablässig in Gedanken mit wildem Frohlocken. Jetzt ist sie hier fertig; sie hat alle Züge des Ofens bis auf einen geschlossen; der Qualm fängt an, auch hier sich unangenehm fühlbar zu machen, und beizt ihr die matten Augen roth. Rasch läßt sie ihr Gewand herab, ordnet den Schleier und entfernt sich mit etwas ungeistlicher Hast. Sie ist die letzte, die im Refektorium zu den versammelten Nonnen stößt. Ihrer Bescheidenheit gemäß nimmt sie einen Platz weit außerhalb des engeren Kreises der Nonnen ein, welche gleich einer Schar eifriger Dohlen ihre schwarz umhüllten Häupter gegeneinander neigen. Die Berathung, deren Ergebniß freilich kaum einer Anwesenden zweifelhaft ist, soll jetzt ihren Anfang nehmen. Doch aber sind die zunächstsitzenden Schwestern nicht so hingenommen von der Erregung der Wahl, daß sie nicht wiederholt mit fast befremdetem Nasenrümpfen und Schnüffeln die Köpfe nach der Thür, wenn nicht nach der zuletzt eingetretenen Subpriorin wendeten. Diese verwünscht sie im stillen, sowie manche andere der guten Schwestern, die jetzt in ein merkliches Hüsteln verfallen, zugleich aber auch ihr eigenes Uebersehen: das hat sie nicht bedacht, daß der vermaledeite Holzrauch sich in ihre Kleider und Haare hängen und sie wie eine besondere Atmosphäre heute noch stundenlang begleiten würde! – –
[575] Zu derselben Zeit, da im Kloster der Ursulinerinnen die neue Aebtissin gewählt wurde, trabten zwei Reiter von nordwärts am Hange des Heidenkopfes vorüber, in einem Hohlweg, der sie etwa zwei Büchsenschuß weit von der Herrenmühle auf die nach der Residenz Birkenfeld führende Landstraße brachte. Als sie diese Straße erreicht hatten, hielt der eine sekundenlang sein Roß an, wendete den Kopf links und schien gespannten Blickes die Dämmerung durchdringen zu wollen, die schon über dem Mühleugrund und dem alten Herrenhaus webte. Dann aber rückte er sich wieder im Sattel zurecht, griff in die Zügel und rechts ging es weiter, auf das Stadtthor von Birkenfeld zu.
Er war ein guter Reiter, dieser Reisende, so jung er war, denn selbst jetzt verleugnete sich die kräftige Anmuth seiner Haltung nicht völlig, da er allem Anschein nach todmüde auf einem abgejagten Gaule hing. Sein Genosse, klein und alt, zierte dagegen den Sattel nicht sonderlich: er hockte dem Pferde gar seltsam auf, schien aber weniger ermüdet als der Knabe neben ihm. Jetzt lobte er diesen: „Ihr habt brav ausgehalten, Junker, für ein so junges Blut, wie Ihr seid. Nun noch ein Viertelstündchen, dann sind wir bei dem Herrn von Nievern und da könnt’ Ihr Euch strecken, seit dreimal vierundzwanzig Stunden einmal wieder. Wahrlich, Ihr habt es verdient!“
„Ich schäme mich, daß ich so müde bin,“ meinte darauf Lutz und es lag allerdings wie ein schläfriges Behagen in den Blauaugen, mit denen er jetzt die wohlbekannte Umgebung grüßte. In Wahrheit schlief er schon halb, nach der übermäßigen Anspannung aller Kräfte bis vor kurzem, und fast wie ein im Traume Redender fuhr er fort: „Ihr, Strieger, müßt doch so was von einem Waldkobold sein. Ihr braucht kaum Speise und Trank, keinen Schlaf und keine Ruhe – Ihr seid über die Neunzig, wie Ihr selber sagt – ich glaube, es ist mit Euch nicht ganz richtig –“
„Ist das mein ganzer Dank?“ meinte der Alte. Aber er lachte in sich hinein bei den Worten, die ihm nicht weiter mißbehagten. Daß er kein Geist war, wußte er selber am besten. Weit weniger fehl wäre der gegangen, der ihn an Schärfe der Sinne, an fast unglaublicher Ausdauer der zähen Sehnen und Muskeln mit dem Gethier seiner Wälder, dem Fuchse oder kräftigen Luchs verglichen hätte. Jetzt, in diesem Augenblick witterte er in die neblige Abendluft und ließ die kleinen Funkelaugen scharf umherschweifen. Noch aber sah er nichts, er roch nur. Wer von dieser Seite nach der Stadt kam, gewahrte alsbald linker Hand vom Thore und hart hinter der Stadtmauer das vielgiebelige Haus der Ursulinerinnen. Heute war es schon zu dämmerig, um mehr als die undeutlichen Umrisse seiner Dächermasse zu erkennen. Sowie aber der Strieger diese im Auge hatte, sah er auch noch etwas und stutzte leicht. Das Bild des Klosters stand nicht grau in grau als ein ruhiger Schatten da, sondern schien sich zu bewegen. Das war aber eine Täuschung, erzeugt durch den Streifen schwarzen Qualms, welcher unausgesetzt aus einer seiner Essen quoll und Giebel und Dächer wallend umzog, von der dicken Luft erst niedergehalten, ehe er ins Weite zerfloß.
Da stieß der Strieger dem Pferde die Fersen unsanft in die Weichen und packte zugleich Lutzens Arm. „Seht dort – sieht es nicht aus, als wollte das Dohlennest, das Kloster mein’ ich, in Rauch aufgehen? Vielleicht ist Feuer ausgekommem –“
„Fast sieht es so aus,“ sagte Lutz, nicht ohne Antheil, doch noch ruhig genug. Da krächzte ihm der Alte ins Ohr: „Dort unter dem Dache, aus dem es gualmt, halten sie das Fräulein, die Polyxene – kommt mir nach, wenn Ihr könnt!“ und fort stob sein Pferd, dem er aufsaß wie eine Bremse. Halb toll vor Angst machte er das Thier; es ging mehr mit ihm durch, als daß es ihm gehorchte, aber doch kamen Mann und Roß richtig ins Stadtthor hinein, an dem Thorwart vorbei, der sich bekreuzte, und weiter, unter Reißen und Stoßen und Straucheln des Thieres bis vor das große Thor des Residenzschlosses, durch das eben eine schwere Karosse hereingerollt war. Dem wunderlichen Reiter aber, der nachwollte, legte der Wachtsoldat barsch die Hand an den Zügel. Ungehindert jedoch behielt er den in der Hand und behielt auch das Pferd, das an allen Gliedern bebte. Der Reiter war unter dem Thor durch – die Wache hielt dafür, es sei der Gottseibeiuns gewesen. Wenige Minuten später aber stob der Oberjägermeister wie von Furien gejagt die Treppe aus seinen Gemächern herunter. „Laßt wenden und kommt mir nach!“ rief er dem Herrn zu, der eben ein gelbes langes Gesicht mit pechschwarzem Zwickelbärtchen aus dem Kutschenfenster bog. „Euer Mündel, der Junker Lutz, lebt und ist hier – aber das Fräulein – jetzt steh' uns Gott bei, oder –“
Die letzten Worte verschlang schon der Hufschlag seines Braunen, der an der Stallthür bereit gestanden hatte. Nur Minuten vergingen, bis er das Kloster in Sicht hatte und zugleich noch einen Reiter, der etwa dreißig Schritte von der Pforte gehalten hatte und nun auf ihn zukam. Es war Ludwig von Leyen. Der brave Junge hatte noch einmal seiner Müdigkeit vergessen, da er begriffen, daß sein Bäschen in Gefahr schwebe, und hatte sich besonnen gleich nach dem Kloster gewendet, um derer zu harren, die der Strieger zur Hilfe herbeirufen würde. Sie reichten einander die Hände, aber flüchtig und sorgenvoll; kaum dachte Nievern daran, daß dies das Wiedersehen eines Totgeglaubten war; eine neue Todesangst verzehrte jetzt alles. „Euer Vormund kommt hinter mir; zu dem haltet Euch – zeigt Euch nirgends sonst,“ raunte er dem Junker zu. Seine Augen brannten, die feinen Nasenflügel bebten und mit heiserer Stimme setzte er hinzu: „Zu dem Gange, den ich jetzt thue, brauch’ ich keinen, ich habe, was noth thut“ – wobei er wie nebenher nach dem Griffe der Pistole fuhr, die ihm im Kollett steckte. Dem Knaben war dies alles später wie ein Traum, denn da er nun seiner Polyxene den Freund nahe wußte und doch unthätig harren sollte, übermannte ihn noch im Sattel der Schlaf. In der alten Karosse hatte er sich wiedergefunden, neben dem Oheim; wie er dahin gekommen war, wußte er nicht.
Indessen hatte der Oberjägermeister an der Klosterpforte die Glocke gerissen und die Minuten, welche vergingen, ehe der Schaffner herbeischlürfte, der heute hier Pförtnerdienste versehen mußte, waren die schlimmsten seines Lebens gewesen. „Euer Haus brennt, Mann,“ herrschte er den Alten an, der ihn anstierte und dann auch gleich zu jammern begann, daß er es längst gerochen aber der Gärtner, sein Genoß, habe ihm nicht glauben wollen. „Ich komme aus dem Schlosse der Frau Pfalzgräfin – bald wird die ganze Stadt auf den Beinen sein – hört Ihr, eben läutet der Thürmer Sturm,“ rief ihm Nievern in die Ohren.
Was nun kam, spielte sich rasch und wüst ab wie ein böser Traum. „Feuerjo – Feuerjo!“ durchhallte der unheimliche Ruf die Klostergänge – es war, als ob der gespenstige Feuerreiter hindurch schnaube – die Thüren des Refektoriums sprangen auf, die Nonnen kreischten verstört und in plötzlicher Todesangst durcheinander - keine zweifelte an der Schreckenskunde, hatten sie doch alle den brenzligen Geruch längst wahrgenommen! Der Mann aber, dessen hohe Gestalt, mit dem Schauer des Unirdischen umkleidet, manch einer von ihnen bis an ihr Lebensende im Traume vorkommen sollte, hatte eine unter ihnen gepackt, mit sicherem Griffe; seine Eisenfaust umklammerte, Schleier und Gewand mit zusammenpressend, ihre Kehle, während er hervorstieß: „Du hast Unheil im Sinne gehabt – den Schlüssel zu des Fräuleins Zelle, Weib, oder ich erwürge Dich hier auf der Stelle!“
„Die Schlüssel – hängen dort – laßt mich!“ keuchte sie. Aber er ließ sie nicht; er lockerte seinen Griff, schleifte sie mit an die Wand, auf die sie gedeutet hatte, raffte alles von Schlüsseln was dort hing, zusammen und dann ging es hinaus und hinauf – wie vom Geier ein Huhn wurde die Schwester davon gerissen von diesem Fürchterlichen – sie mußte mit, Treppen hinauf und Gänge hinunter, bis an jene Thür, welche die Nonne ihm einst erschlossen hatte. Fast von Sinnen, durchschüttelt und durchrüttelt wie vom Sturme des jüngsten Gerichtes, kostete sie durch, was sie für ihre letzten Augenblicke hielt. Gelogen hat sie diesmal nicht – die Riegel weichen, die Schlösser fliegen auf – ein erstickender Qualm dringt den beiden entgegen. Stöhnend wie ein todwunder Hirsch stürzt Nievern hinein; er ruft – keine Antwort; blind tappt er vorwärts nach dem Fenster zu, von welchem jetzt, da der Rauch durch die offene Thür Abzug findet, ein matter Schimmer des [576] Abendhimmels hereinfällt. Wie er ahnte – dürstend, schmachtend nach Luft hat das unselige süße Geschöpf hierher sich mit versagender Kraft noch geschleppt; sie lehnt halb kniend halb liegend unter dem Fenster mit der Stirn an der Mauer!
Daß sie nicht tot ist, nur todmatt und betäubt, weiß er; sie muß leben; rasch tödlich ist dieser Holzqualm nicht. Aber wie furchtbar, wie versengend fällt auch auf ihn die glühende Hitze des Raumes, nur während der Sekunden, die er braucht, um die kostbare Last in die Arme zu nehmen – ach, mit welchem unennbaren Erbarmen, mit welcher Zärtlichkeit! – und sie hinaus zu tragen.
Als er draußen an der Nonne vorüberkommt, die verstört neben der Thür am Boden kauert, zuckt sein Fuß; er möchte sie zertreten wie ein Gewürm. Oder ein Griff nur und er hat sie hineingestoßen in die höllische Gluth, der Riegel fliegt hinter ihr zu und sie mag da kosten, was sie einer anderen bereitet hat! Aber der Ekel hält ihn ab, sie auch nur zu berühren. Und während er Polyxene so trägt und an sich preßt daß er den matten, ganz matten Schlag ihres Herzens an dem seinigen fühlt, hat er da Zeit, kostbare Sekunden zu vergeuden, um sie auf eine Rache zu verwenden?
Im Sprechzimmer, wohin Herr von Nievern Polyxene trug, traf er mit dem Pater Gollermann zusammen. Daß dem Nonnenhause Feuersgefahr drohte, hatte diesen hochwürdigen Herrn aufs lebhafteste berühren müssen. Er war herbeigeeilt, zugleich mit ihm durfte aber auch die Beruhigung in die geängsteten Gemüther der Schwestern wieder einziehen: der Ruß im Schornstein der Räucherkammer hatte Feuer gefangen, dieses war jedoch alsbald in sich selber wieder erstickt worden. Dergleichen konnte in jedem Hause vorkommen, immerhin aber würde sich der Schaffner zu verantworten haben, obwohl oder gerade weil der greise Mann sich in die spärlichen Haare fuhr und unter Anrufung aller Heiligen betheuerte, daß er nichts versehen habe.
Mit unbewegter Miene, die auf wenig Nachsicht und Glauben schließen ließ, hatte ihn der Pater Gollermann angehört, nachdem er die verwirrten und wortreichen Berichte der Nonnen vernommen. Da trat der Oberjägermeister ins Gemach, die noch immer leblose Gestalt des Fräuleins von Leyen in den Armen, und nun konnte der geistliche Herr eine gewisse Bestürzung nicht verbergen. Ehe diese sich aber in werkthätigen Antheil an der Wiederbelebung der Schwerbetäubten umzusetzen vermochte, hatte ihn Nievern mit einer einzigen, jedoch eigenthümlich nachdrücklichen und sprechenden Bewegung von ihr abgewehrt. „Frisches Wasser und Luft hier im Gemach!“ bedeutete er über die Achsel ein Vierteldutzend neugierig und entsetzt herandrängender Nonnen, gegen welche er ebenso mit den Armen einen gleichsam bannende Kreis beschrieb, damit sie seiner blassen Lilie nicht zu nahe kämen. Dann aber trat er dicht an den würdigen Pater heran und sagte ihm, Auge in Auge mit ihm stehend, ein paar halblaute Worte.
Da verfärbte sich des hochwürdigen Herrn Angesicht in gerechtem Zorn: er erhob seine Stimme und ließ sich zu den Nonnen, denen noch nie ein Tag einen solchen Wechsel von ungewöhnlichen und mehr oder weniger angenehm grausenden Erregungen gebracht hatte, also vernehmen: „Ehe die unterbrochene Wahl einer Aebtissin zu Ende geführt wird, ist die bisherige Subpriorin, die Schwester Veritas, in ihre Zelle einzuschließen und dort ohne jeglichen Verkehr mit den Schwestern zu halten, bis ich im Einverständniß mit der neuen Frau Aebtissin Weiteres über sie verfüge. Sie hat sich einer groben Nachlässigkeit, wenn nicht gar böswilligen Ungehorsams schuldig gemacht, daraus schweres Unheil – ich meine die Leibes- und Lebensgefahr dieses Fräuleins – und damit dem Kloster kränkender Verdacht, gerechter Vorwurf und eine währende Schädigung seines Ansehens hätte erwachsen können.“ Und wie erklärend fügte er hinzu: „Das Fräulein von Leyen hätte nach meiner Anordnung, ehe die Schwester sich zur Wahl begab, ihrer Klausur entlassen werden sollen, dann wäre sie durch den unglücklichen Zufall dieses Brandes nicht so gefährdet worden, wie wir es nun mit Kummer wahrnehmen müssen. Von dem Amte der Subpriorin ist Schwester Veritas für jetzt suspendiert.“
„Euer Kummer mäßige sich, hochwürdiger Herr; laßt mir aber durch eine der werthen Schwesterschaft zukommen, was ich brauche – eine stärkende Essenz und Wasser – und hernach würde ich einem jeden danken, wenn er fortbliebe,“ sagte der Oberjägermeister darauf. Und er hatte die geistlichen Hausgenossen zu rühmen, daß sie ihm eilig willfahrten. Er hatte Polyxene in einen Sessel gelegt, das Fensterlein daneben geöffnet und war allein mit ihr, als nun unter dem Kusse der frischen Abendluft, nach der sie, ach wie jammervoll und wie lange, vergebens geschmachtet hatte, ein leises Regen über das rührende stumme Antlitz ging. Er küßte sie nicht, jetzt nicht, er hatte keine Zeit dazu. Mit verhaltenem Athem wartete er, während er sorgsam die belebenden Mittel anwendete; mit den Lippen wenigstens küßte er sie nicht, wohl aber mit den Augen, die sogar jetzt den süßen Reiz dieses Gesichtes entzückt mittranken, sobald nur die pressende Angst um sie ihn losgelassen hatte.
Jetzt endlich, endlich zuckten die blassen Lider, und dann hatte sie die Augen geöffnet, die ruhig, ganz ruhig in den seinen hangen blieben, ohne Verwundern, aber auch ohne Erinnerung – wie im Fortgenießen eines beglückenden Traumes.
Wie lange sie so Blick in Blick und Seele in Seele tauchten, das wußten sie beide nicht. Das Leben sollte diesen beiden vereint noch manche gute Stunde bringen; eine jede aber und ihr Glück gehörten der Erde an – diese stummen Augenblicke blieben unvergleichbar mit ihnen – sie waren ein Hereinragen des Himmels in den Raum irdischer Bedürftigkeit, ohne Zusammenhang mit dem Vor- und Nachher.
Sobald jedoch Polyxene voll zur Wirklichkeit erwachte und merkte, wo sie war, erschrak sie, ja sie blickte mit Entsetzen umher. „Bin ich noch hier?“ sagte sie leise wie in tiefer Muthlosigkeit und rührender Klage. Das war genug für ihn. Ohne ein Wort hob er sie auf und trug sie aus dem Gemach, zum Thore und ins Freie hinaus. Noch war die Verwirrung im Hause so groß, daß ihn niemand seines Vorhabens wegen auch nur befragte. Und so lag das Kloster der Ursulinerinnen hinter Polyxene wie ein böser Traum, und für immer.
Draußen gewahrte der Oberjägermeister, den die Liebe nicht hinderte, sich scharf umzublicken, in geringer Entfernung im Abendnebel den wohlbekannten Umriß der Kutsche von der Herrenmühle. Da fiel es ihm aufs Herz, daß der Freudenschreck über das, was ihrer jetzt wartete, Polyxene leicht gefährlich werden könnte. Er trat vor sie hin, ihr so jenen Anblick verdeckend, nahm ihre Hände fest in die seinen und sagte: „Das Gute pflegt so wenig allein zu kommen wie das Böse. Ihr seid Euerer Heimath wiedergegeben, Süße, und mir, dem Ihr das Licht der Augen seid – was wäre nun der höchste Wunsch Eueres Herzens? Denn vielleicht –“
„Ach, daß Lutz lebte,“ unterbrach sie ihn da, „daß Lutz lebte und froh wäre wie sonst und bei uns! Ach, Lutz – Lutz –“
Sie schrie auf – sie flog von ihm fort auf den zu, der sich ihr vom Wagen her entgegenwarf, und dann mußte der Herr von Nievern zusehen – und nicht ohne eine Regung leisen Neides auf den junge Schlingel that er das – wie die beiden Verwandten einander in den Armen lagen, wie das Fräulein am Halse des Knaben schluchzte vor Lust und wie sie ihn küßte, küßte – den Teufel auch, so leer dabei zu stehen! Aber er wußte doch nun, wie zärtlich sie küssen konnte, und diese Erfahrung sollte nicht an ihm verloren sein!
Uebrigens kam der wackere Junge jetzt auf ihn zu und sagte: „Mich dünkt, ich danke Euch zuerst meine Freiheit, Herr von Nievern. Ihr waret es, der den Strieger nach mir schickte und mir die Hilfe des Herrn von Wildenfels gewann. Das vergesse ich Euch nicht, so lange ich lebe.“
Da sah Polyxene ihren Verlobten nur an, aber dieser Blick schenkte ihm erst, was dieses kindliche und zugleich stolze, dieses zärtliche und doch scheue Herz nicht so leicht wie andere zu schenken vermochte: das hingebende Vertrauen eines ganzen Lebens. – –
Am folgenden Abend schien der niedere Speisesaal in der Herrenmühle mit seinem lastenden Gebälk und den dunklen Täfelungen und Wappen nicht düster wie sonst wohl. Denn von Fünfen, die um die Tafel saßen, umstrahlte drei wenigstens der Glanz der Jugend, und ein Schimmer seligen Glückes ging von ihnen aus. Angst und Jammer, die hinter ihnen lagen, trübten wie eine ferne dahinsinkende Wolkenwand den heiteren Himmel für jetzt nicht, wenn auch die dunkle Wand noch lange mahnend an ihrem Horizonte stehen sollte.
Der Herr von Gouda, der in gemessener Weise sich ebenfalls der Feier dieses Wiedersehens und Wiederbesitzens hingab und der [578] bewies, daß er durchaus kein schlechter Gesellschafter sei, war übrigens nicht der Aelteste der Anwesenden. Das war vielmehr der kleine hagere Greis im vertragenen Lederwams unten am Tische, nicht eben festlich aussehend, aber doch heute hier als keine unwichtige Person geachtet und werth gehalten von allen übrigen. Bis in die Neunzig hinein hat der Strieger gelangen müssen, ehe er seine beste Mahlzeit, nicht nur unter richtigem Dach und Fach wie Christenmenschen sonst, sondern sogar am Herrentisch hielt. Der Braten mundete ihm und der Wein noch besser. Daß sie ihn alle ehrten, benahm ihm keineswegs den Appetit noch konnte man sagen, daß der Niedriggeborene hier unter den Herren eine schlechte Figur spiele. Vielmehr schien er ganz an seinem Platze, wie denn das Tüchtige jederzeit und überall an seinem Platze zu sein pflegt. Und nun gar dieser, vom Waldhauch geheimnißvoll umwittert, er, den seine kernige Kraft von jeher aussonderte und feite, der in zäher Unverwüstlichkeit die menschliche Lebensgrenze längst keck überschritten hat, fast ein Wunder anzuschauen, und – dem die hier Vereinigten einen großen Theil ihres Glückes danken und dessen kein Hehl haben! Sich halten und hegen läßt er aber nicht, nicht einmal für eine Nacht. Er taucht ins Dunkel zurück, vor dem es den anderen fast graust, zurück in seinen Wald, den er noch lange zu hüten gedenkt, er, bei seinen Lebzeiten schon zum Märchen geworden.
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Das Abschiedsgesuch ihres Oberjägermeisters hat die Pfalzgräfin nicht bewilligt. Er erhielt dasselbe vielmehr zurück mit einer huldvollen eigenhändigen Randbemerkung von ihr, des Inhalts, daß sie auch nach seiner Vermählung mit dem Fräulein von Leyen, dem sie in Gnaden gewogen sei, noch lange seiner Dienste zu genießen hoffe.
Wie die Pfalzgräfin die allererste Kunde des Verlustes ihrer Vertrauten, der trefflichen Méninville, aufnahm, hat man nie recht erfahren. Wohl aber blieb es dem Hofe nicht verborgen, daß Frau von Méninville abgereist sei auf Nimmerwiederkehr, ohne Urlaub von ihrer Gebieterin und ohne Abschied zu nehmen. Daß alle Wohlgesinnten aufathmeten nach ihrer Entfernung, das ist leicht abzusehen. Die gute Obersthofmeisterin von Kallenfels fühlte sich wie verjüngt in jener Zeit. Daß sie aber ganz ebenso langweilig sei als zuvor und in dieser Hinsicht keinen Vergleich ertrage mit der stets so unterhaltsamen Méninville, ist leider ihrer fürstlichen Gebieterin unverrückte Herzensmeinung geblieben, Wie denn die hohe Frau ganz im stillen der Witwe des seligen Herrn François nachseufzte und sich sogar auf dem Wunsche ertappte, es möchte das sträfliche Vorleben dieser Unwürdigen, die ihr doch so gut wie niemand sonst die Weile zu kürzen verstanden hatte, gar niemals ans Licht gelangt sein.
Sie behielt sogar einen leisen Groll gegen den hochwürdigen
Pater Gollermann bei, als gegen diejenige Person, die ihr unter
allen Anzeichen heiliger Entrüstung die Entdeckungen mittheilte,
so der Orden jetzt erst in Bezug auf gewisse Lebens- und
Todesumstände des weiland Sieur François de Méninville gemacht
habe. Da er nun die Entfernung der bisherigen Vertrauten –
das Zertreten der Schlange, welche er, er selber, unwissentlich an
den Busen der hohen Frau gelegt habe! – willig und völlig auf
seine Rechnung nahm, so gestattete dafür die Pfalzgräfin sich einige
üble Laune auch gerade gegen ihn, und der würdige Beichtiger
der kleinen Hoheit sollte davon manches Pröbchen einzustecken
haben. Doch nicht für lange, da er schon wenige Wochen nach
den erzählten Vorgängen durch seine Obern von dem Posten am
Birkenfelder Hof abberufen wurde. Daß der Orden jeden
Anspruch auf den Junker Ludwig willig aufgab, war ihm nicht
allzu hoch anzurechnen und eine schwache Gegenleistung für die kluge
Enthaltsamkeit, mit der dessen Familie jedes allzu eifrige Forschen
nach den Umständen von Lutzens Unfall und was diesem gefolgt
war, unterließ.
Namentlich so lange der Pater noch in der Residenz verweilte, erhielten weder Hof und Stadt im allgemeinen noch die Pfalzgräfin im besonderen eine völlige Aufklärung über den Verbleib des Junkers Lutz von Leyen während jener Wochen, da man ihn tot geglaubt hatte. Denn der Mann, welcher außer dem Knaben selber und seinem wunderlichen Weggenossen auf dem Ritte von St. Menehould die beste Auskunft hätte geben können, der Oberjägermeister von Nievern, der schwieg – infolge einer kurzen und bündigen Unterredung mit dem Pater, als deren Ergebniß zugleich das einige Zeit nachher erfolgende Verschwinden des trefflichen Beichtigers selber anzusehen sein mochte.
Lutz von Leyen war, so erzählte man sich, damals wirklich durch eigene Schuld im heimische Mühlgraben verunglückt, für tot von gerade vorüberfahrenden Reisenden geistlichen Standes herausgezogen und erst unter ihrer sorgfältigen Pflege, behufs deren sie ihn mitgenommen hatten, langsam wieder genesen. Weshalb während dessen keine Nachricht über sein Verbleiben an die Seinigen gelangt war, das erklärten die einen so, die andern wieder anders, da es jedem überlassen blieb, sich seinen eigenen Vers darauf zu machen.
Erst als Frau Sabine Eleonore sich nach einem neuen Beichtvater umzuthun begann, für die Stelle desjenigen, der ihr Gewissen so sänftiglich in Hut gehalten hatte, da hatte der Oberjägermeister eine lange Audienz bei seiner Gebieterin, während der sie Dinge erfuhr, worüber man, wie sie selber schwur, hätte rücklings vom Stuhle fallen können. An diesem Tag athmete sie zum ersten Male wirklich auf, daß sie ihrer lieben Méninville ledig war. „Denn,“ folgerte die fürstliche Dame mit dem Scharfsinn, an welchem es ihr keineswegs gebrach, „wenn diese Schändliche dergestalt alles Trugs und aller Ränke voll war und unser vertrauendes Herz so arglistig zu bethören vermochte, so wäre am Ende unser Leben selber in solchem Verkehr mit ihr, wie wir ihn pflegten, nicht mehr sicher gewesen! Gesetzt insonderheit den Fall, sie hätte sich gar eingebildet, es stehe ihr unsere Person im Wege bei Euch, auf den ihr sündliches Gelüste geworfen zu haben sie nun überführt ist!“ Eine verfängliche Voraussetzung, auf welche Herr von Nievern nur mit einer wortlosen Gebärde respektvoller Abwehr erwiderte, einer Abwehr, die aber doch auch wieder nicht zu heftig sein dürfe, wenn sie die Pfalzgräfin nicht beleidigen sollte. Er mußte das richtige Maß getroffen haben, da die Gebieterin bei bester Laune blieb.
Um eben diese Zeit wurde dem Dekan Zindler von St. Aloysien sein Ansuchen um Enthebung von diesem Amte gewährt mit einer befremdlichen Randbemerkung auf dem betreffenden Schriftstück, die wohl auf die eigensten Worte der Landesherrin zurückzuführen war, da die Ausfertigenden selber sie nicht verstanden. Es wurde dem Pfarrer da von wegen einer in seiner Amtswohnung in christlicher Verborgenheit geübte Krankenpflege ein Lob ertheilt, das aber kaum ernstlich zu nehmen war, da im übrigen die Entlassung des gestrengen Herrn aus pfalzgräflich Birkenfeldischen Diensten einem höchst ungnädigen Abschied völlig ähnlich sah.
Von Erbauungsstunden war am Hofe der Pfalzgräfin nach Entfernung jener eifrigen Seelen, des Pater Gollermann und der Frau von Méninville, keine Rede mehr. Doch ist Frau Sabine Eleonore zeitlebens eine gute Katholikin geblieben, und es gehen diejenigen zu weit, welche ein Hinneigen zur Lutherischen Neuerung der zweiten Periode ihrer Regierung haben zuschreiben wollen. Wahr mochte dagegen sein, daß von dieser Zeit an auch andere Glaubensrichtungen sich größerer Duldung in Stadt und Land Birkenfeld zu erfreuen hatten. Denn unter den Vätern der Gesellschaft Jesu wählte die Pfalzgräfliche Hoheit sich ihren Beichtvater nicht wieder. – –
Heute aber ist die Frau Pfalzgräfin nicht sowohl Landes- als vielmehr Herrin eines stattlichen Hofes und nebenbei etwas von einer Brautmutter. Polyxene von Leyen hält Hochzeit mit dem Oberjägermeister von Nievern. Die volle Gunst der fürstlichen Dame hat sich dem tadellosen Kavalier, der Zierde ihres Hofes, wieder zugewandt und fließt heute über auch auf die, welche er erkoren hat, was von echt fürstlicher Gesinnung zeugt. Doch nicht die Pfalzgräfin allein ist bestrebt, das Fest zu einem besonders herrlichen und frohen zu machen; ihr ganzer Hofstaat und der sämtliche Birkenfeldische Adel wetteifern mit ihr und miteinander, wer dem Paare, besonders aber der Braut, mehr Liebes und Schönes erzeigen kann, und es ist, als hätten sie sich das Wort gegeben, an Gewändern und Schmuck, Karossen und Livreen alle Pracht zu entfalten, deren ein jedes nur irgend fähig ist – das alles zu größerer Ehre derjenigen, die so unverdient und so bitter hat leiden müssen.
Und so rauscht denn dieser Tag vorüber, von der stattlichen Kirchfahrt an mit ihrer fast endlosen Reihe von Galawagen und geschmückten Rossen bis zu der Brautcour im Spiegelgemach und dem reichen Bankett im schimmernden Prunksaal des Schlosses, [579] zu welchem die Fürstin selber eingeladen hat. Das gute Fräulein von Motz ist die erste unter den Jungfern welche den Bräutigam führen, und nie in ihrem Leben vorher und nie nachher ist sie so prächtig herausstaffiert gewesen wie an diesem Tage. Und ihre selbstlose Wonne ist so groß und steht ihr so gut, daß sogar das scharfe Zünglein der Frau von Bieberen kein schlimmeres Wort findet als das Bedauern, daß man die Cordula Motz nicht heute und hier auch gleich unter die Haube bringen könne, denn so hübsch werde sie schwerlich je wieder aussehen. Drommeten, Pauken und Zinken ertönen von der mit Purpursammet verhangenen Estrade des Saales herab; die Tafel glänzt und biegt sich fast unter der Last der Speisen und kostbaren Gerathe. Die Pfalzgräfin, mit dem Fürstenkrönlein von Edelgestein im hochgethürmten Lockenbau, sieht kaum minder prächtig aus denn eine römische Kaiserin und lst so wenig beweglich fast wie der Pfau, dessen Regenbogenrad und Gefieder gerade vor ihr die Pastete in der silbernen Schüssel ziert, letztere das Hauptstück der Schau- und Festgeräthe. Der Wein funkelt in kostbaren Kelchen, der Dunst der Hunderte von Kerzen durchzieht wallend das Gemach wie ein zartgrauer Schleier, in welchem all der Glanz wie in einem Wonnetraum verdämmernd schwimmt. Und der fürstlichen Frau gegenüber das Paar schöner edelgearteter Menschengesichter – sie neigen sich zueinander, unbemeckt in dem festlichen Tosen. Auf den zarten Wangen des Mädchens liegt bräutliche Gluth, gemildert zum Rosenschimmer; des Mannes stolzer Blick ist geschmolzen in Liebe und Sehnsucht.
„Seid Ihr jetzt froh, Süße?“ fragt er sie leise – zum wievielten Male! – in müßigem Spiele mit seinem Glück. „Und ist es Euch wirklich recht, daß Ihr mein, ganz mein werdet?“
Da sieht sie ihn an wie die Wahrheit selber und sagt in einfacher Weise: „Ich habe viel gelitten, Ihr wißt es – Angst und Kummer um Lutz, und im Kloster Schlimmeres, als ich dachte, daß man erfahren könnte. Aber all dies Leid soll mir lieb sein, da es Euch und mich zusammengebracht hat.“
Der Falkenblick des Herrn Viktor umflort sich sekundenlang, als er diese Worte hört, und in seinem Herzen thut er einen Schwur, dies Weib zu hegen, werther als seinen Augapfel, so lange Athem in ihm ist. Und er hat den Schwur gehalten.