Selbst
2.
Selbst.
Ein Fragment.
Vergiß dein Ich; Dich selbst verliere nie.
Nichts Größres konnt’ aus ihrem Herzen dir
Die reiche Gottheit geben, als Dich selbst.
Was an der Mutter Brust, was an der Brust
Natur, von Elementen in dich floß,
Luft, Aether, Speis’ und Trank, und Regung, Bild,
Gedank’ und Phantasei, bist du nicht Selbst.
Du selbst bist, was aus Allem du dir schufst
Dir bist, dein Schöpfer selbst und dein Geschöpf.
Nicht was du siehest; (auch das Thier bemerkt.)
Nicht was du hörest; (auch das Thier vernimmt.)
Nicht was du lernest; (auch der Rabe lernt.)
Die in dir wirkt; die innre Seherinn,
Die aus der Vorwelt sich die Nachwelt schafft;
Die Ordnerinn, die aus Verwirrungen
Entwirrend webt den Knäuel der Natur
Das bist du selbst; die Gottheit ists, wie Du.
„Die Gottheit?“ Ja! denn denke, denke dir
Der Wesen Chaos ohne Sinn und Geist.
Ohn’ einen Allerfüllenden, der Sich
Den großen Unsinn der Sinnreichesten
Natur, und stürz’ unsinnig dich hinab
Ins öde Chaos, das sich selbst nicht kennt:
Denn wärest du, wenns nirgend ist, ein Selbst?
Bewußtseyn lebt ein sprechender Beweis
Vom höchsten Allbewußtseyn. – Sei ein Thier,
Verliere Dich; und wunderst dich, o Thor,
Daß du die Gottheit mit dir selbst verlohrst?
Ohn’ einen Hörer. Höre du sie tief
In deinem Herzen, und es nennt dein Herz
In tiefster Stille mit dem vollen Chor
Der Welten Ihn, das höchste Selbst, den Sinn
Wohlauf! In deinem Innern baue dann
Der Gottheit einen Tempel, wo sie gern
Mittheilend wohnt. In ihm erschallet laut
Und leise jener Wahrheit Stimme, die
Sei Priester dieser Wahrheit, diene dir
Am heiligsten Altar, und ehre dich,
Und pfleg’ in Dir dein göttlich Selbst, Vernunft.
Die häßliche Gestalt, die schaudernd du
Die Furie, die dich zu Neid und Haß
Und Eitelkeit anregte, sie, die dich
Von Deinen Liebsten trennete, und schloß
Mit Eisen dir das freundlichste Gemüth;
Dich selbst dir raubend. Hemmte sie dir nicht
Dein Fröhlichstes, das Wirken? stellte dir,
Dem Stolzen, größern Stolz entgegen, der
Dich überwältigend erbitterte,
Anhauchtest statt des süßen Wohlgeruchs;
Entzweiete dich mit dir selbst und schuf
Zur Truggestalt dich dir, die außenher
Du suchetest und liebtest, und nur sie
Betrogener Narcissus, bist denn Du,
Was du im Quell’ anlächelst? Sehnsuchtvoll
In allen Spiegeln suchst? dem Echo selbst
Abzwingest? Ist dein Schatte mehr als du?
Dem eignen ausgehauchten Athem lebt,
Wenn er von andrer Munde wiederkehrt, –
Du wunderst dich, daß du zum Schatten wirst,
Zum trocknen Quell, zum Grabe deiner selbst,
Wer sich verlohr, was hätt’ er ohne Sich?
Was in dem Herzen andrer von Uns lebt,
Ist unser wahrestes und tiefstes Selbst.
Was mit der weiten Welt uns einet, was
Uns Frevel übersehn, vergeßen lehrt,
Und mild’ erkläret, wie dann und woher
Der Thor ein Thor sei? ist ein großes Selbst.
Was ungereizt von außen unser Herz
Die Flügel weit und hält sie, daß im Sturm
Sie über Lüften wie im Neste ruhn,
Und frischer aufwärts schlagen; was in Ruh
Geschäftig macht und innrer Kräfte voll
Am Ziel der Laufbahn nur sein Auge weilt,
Wer ists? ein überschwenglich-großes Selbst.
Wer Tausende in seinem Busen trägt,
Sich ihrer Noth erbarmend; Finsterniß
Die große Regel aller Seligkeit:
„Was du nicht willst, daß dir geschehe, thu
Auch andern nicht; was Du willt, thu zuerst.“
Und hat Gefühl und Kraft, ein Menschengott,
Wer ist es? ein allmächtig-gutes Selbst.
Talent ist nicht der Mann. Die Spinne webt;
Die Wespe wie die Biene baut; (der Trieb
Zur Kunst ist bei Insekten.) Wähne nicht,
Daß was der Spieler spielet, er auch sei.
Ein Feiger schleicht, ein Schatte, durch die Welt;
Der Thor vergeudet sich; der Weichling zieht
Und schmeichelt sich hindurch; der Schwache bebt
Wer? als ein ewiges, unsterblich Selbst.
Ambrosia, Frucht der Unsterblichkeit,
Ihr amaranthnen Lauben, ewig blühend
Der Freundschaft und dem daurenden Verdienst,
Das nicht zum Moder sprach: „Du bist mein Vater!“
Zu Würmern, zur Verwesung nicht: „ihr seyd
Mir Brüder, Schwestern, Mutter!“ – Ruhig sah’s
Den Abgrund vor-den Himmel über sich,
Was in mir lebet, mein Lebendigstes,
Mein Ewges kennet keinen Untergang.“