Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Bürgertreue

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Sophias Handschuh Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Der Wangenbiß
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[190]
103.
Bürgertreue.

Bald wußte nach dem Sprüchwort im Thüringerlande niemand mehr, wer Koch oder Kellner war, so ging es darunter und darüber. Eines Tages kam die Herzogin Sophia wieder gen Eisenach, da wollte man sie nicht einlassen, und hatte das Georgenthor zugeschlossen; da trat sie dagegen, nahm eine Axt und hieb zwei Kerben in das Eichenholz, die man noch nach 200 Jahren sah. Da die Eisenacher solchen Ernst sahen, öffneten sie ihr Thor und ließen die streitbare Frau mit ihrem Gefolge einziehen. Ein Theil der Thüringischen Ritterschaft hing dem Markgrafen von Meissen an, hauptsächlich die reichslehenbaren Vasallen, ein anderer Theil nebst der Hessischen Ritterschaft [191] hielt zu Sophia von Brabant und ihrem Sohne. Andere hielten weder zu dem einen, noch zu dem andern, sie wollten am liebsten für sich sein, ohne Oberherren, Selbstherren, und wer es konnte suchte sich selbst zu schützen. Daher entstanden damals eine Menge neue Burgen und hohe Warten, zumal um Eisenach. So wurde von denen von Wangenheim auf dem Kalenberge hinter Fischbach ein Steinhaus errichtet, an der Werra erhob sich Burg Brandenfels. Die Bürger zu Eisenach, die nun mit ihrem Bürgermeister Heinrich Velsbach der Herzogin anhingen, schlossen die Wartburg ein, welche der Markgraf besetzt hielt; einestheils bemächtigten sie sich des Mittelsteins vor der Wartburg, und auf deren Rückseite legten sie eine Frau-Sophienburg an, die auch Frauenburg genannt wird, und die Eisenacher Burgen, dadurch wurden die Zugänge zur Wartburg beherrscht und abgeschnitten. Rudolph von Vargila, des Name später in Vargula sich umwandelte, hielt zu dem Markgrafen, und baute, von diesem unterstützt, den Rudolphstein gegen die Eisenacherburg, wodurch er wieder den Eisenachern die Straße nach Franken über den gehauenen Stein verlegte und absperrte. Sophia von Brabant hatte einen mächtigen Bundesgenossen an ihrem Schwiegersohne, der mit ihrer jüngsten Tochter Elisabeth vermählt war, Albert I. Herzog zu Braunschweig, welcher nun auch mit Heeresmacht in Thüringen einfiel und so viel als möglich von den Besitzungen Heinrich des Erlauchten verwüstete. Er soll auch hart an der Stadt die Burg Klemda erbaut haben, eine Klemme für die Bürgerschaft. Doch bekam solches Thun ihm endlich merklich übel, denn Rudolph von Vargila überfiel ihn, schlug und zerstreute sein Heer [192] und nahm ihn selbst gefangen. Zu derselben Zeit befand sich Markgraf Heinrich der Erlauchte auf der Wartburg, ließ in einer dunkeln Sturmnacht deren Thor öffnen, und zog mit einer Schaar tapfrer Mannen, welche zum Theil Sturmleitern und Pechkränze trugen, nicht in der geraden Richtung, sondern in der gegen das einsame Ziegenthal herab, klommen dann bei den Felsen, welche Mönch und Nonne genannt werden an der Rückseite des Berges, darauf der Metilstein thronte, empor, und erstiegen die gar nicht bewachte Rückmauer, nahmen die Besatzung gefangen, und stießen die Burg mit Feuer an. Wie nun die Flammen des brennenden Metilstein schrecklich durch die wilde Mitternacht leuchteten, stießen die Thürmer zu Eisenach in ihre Hörner und lärmten die Bürgerschaft auf – die wollten ihrer Besatzung zu Hülfe kommen, und öffneten das Predigerthor – unterdessen war der Markgraf mit seiner Schaar schon seitwärts herunter, und kam an die Stadtmauer, in deren Nähe das Barfüßerkloster gelegen war, dort hatte er heimlichen Anhang unter den Bürgern, welche des Kriegs und der Fehde schon herzlich müde waren, und die sprachen: Steiget herein in Gottes Namen, wie lange sollen wir dies Ungemach ertragen! – So gewann der Markgraf die Stadt Eisenach, nahm den ganzen Rath gefangen, und verfuhr mit nichten sänftiglich, denn er achtete die Bürger gleich Empörern. Am andern Tage zog er wieder zur Wartburg hinan, nachdem er einigen Herren des Rathes hatte die Köpfe vor die Füße legen lassen, das Oberhaupt aber, und der am treuesten an Sophia hing, den führte er auf die Burg. Droben stand eine Blide oder Steinschleuder, mit der von Zeit zu Zeit ein Felsbrocken hinab nach [193] dem Metilstein geschleudert worden war, die Burg zu speisen. Auf diese Blide ließ der Markgraf Herrn Heinrich Velsbach legen und durch die Lüfte schleudern. Da schrie noch, indem er dahin flog, der treue Mann: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant! – Hernachmals ist an der Stelle, wo Heinrich Velsbach zerschmetternd niederstürzte, ein Gedenkstein gesetzt worden; wer um denselben dreimal stillschweigend herumgeht, – geht die Sage – bekommt von unsichtbarer Hand einen Backenstreich.