Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der Singerkrieg auf Wartburg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Sankt Georgs Panier Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Klinsors Zauber und Prophezeihung
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[152]
90.
Der Singerkrieg auf Wartburg.

Ludwig der milde war auf der Heimkehr von seiner Heeresfahrt nach dem heiligen Lande und kinderlos gestorben, daher fiel das Thüringerland, da der zweite Sohn Ludwigs des eisernen, Heinrich Raspe III. auch schon tod war, an Landgraf Hermann, welcher in zweiter glücklicher Ehe mit Sophie von Wittelsbach vermählt war. Damals stand in Deutschen Landen die edle Kunst des Minnesanges in hohem Flor, wurde selbst geübt von vielen Fürsten und Edlen, und das thüringische Herrscherpaar weihte ihm vollen Antheil und große Gunst, für welche Huld, die sie erfuhren, die Sänger dem Landgrafen und der Landgräfin hinwiederum sehr dankbar waren. Nun waren zu Anfange des dreizehnten Jahrhunderts sechs Minnesänger zugleich am Thüringer Landgrafenhofe auf Schloß Wartburg versammelt. Diese gehörten theils an diesen Hof als Dienstmannen des Landgrafen, theils waren sie Gäste. Die Dienerschaft war außerordentlich zahlreich; den Hofstaat der Landgrafin Sophie allein bildeten nicht weniger als 40 Frauen, darunter 8 Gräfinnen, der Gäste waren häufig so viele, daß die Wartburg deren Zahl nicht ganz fassen konnte, so groß und raumreich dieselbe auch war; die Ueberzahl mußte daher in Eisenach wohnen. Es war allda viel Glanz und Reichthum entfaltet, es strömte auf der Burg ab und zu, und so freigebig war Landgraf [153] Hermann der Sängerfreund, daß ein Sänger von ihm rühmte:

„Und gält ein Fuder Weines tausend Pfund,
Doch stünde nimmer eines Ritters Becher leer.“

Der das sang, war zu jener Zeit einer der Sängergäste auf Schloß Wartburg, Herr Walter von der Vogelweide, ein weitberühmter Minnesänger aus Franken, mit ihm zugleich waren noch auf der Burg versammelt: Wolfram von Eschenbach, der bedeutendste von allen, auch ein Franke; Heinrich von Ofterdingen, muthmaßlich ein Oesterreicher, doch nennen alte Nachrichten ihn einen Bürger von Eisenach. Leicht möglich, daß der Sänger sich in Eisenach eingebürgert hatte. Man nennt ihn als den Dichter des hochberühmten Nibelungenliedes, des bedeutendsten deutschen Gedichtes alter Zeit. Ferner Johannes Biterolf, ein Henneberger, welcher als Diener der Landgräfin genannt wird; Reimar von Zwetzen, ein Thüringer, und endlich Herr Heinrich, der Schreiber genannt, ein ritterlicher Diener des Landgrafen, sein Kanzlar. Nun lagen poetische Wettkämpfe und Preissingen vor erlesenen Zuhörerkreisen im Geiste der Zeit, und es vereinten sich zu einem solchen die auf Wartburg anwesenden Dichter. Die Aufgabe, welche sie sich gestellt hatten, war das Lob edler und freigebiger Fürsten. Das Singen wurde in dem noch vorhandenen Minnesingersaale in Gegenwart des landgräflichen Paares und dessen Hofstaates abgehalten. Heinrich von Ofterdingen sang das Lob des Erzherzogs Leopold von Oesterreich gegenüber seinen 5 Sangesgenossen, die sammt und sonders das Lob des Thüringer Landgrafen priesen, und sich nach der Zeitsitte des Gleichnisses und der Räthselreden bedienten, die bisweilen [154] sehr schneidend und herb waren. Durch den Widerstand von fünfen gegen einen erhitzte sich dieser eine, Heinrich von Ofterdingen, immermehr, bis, entweder wirklich oder scheinbar, das lyrisch-oratorische Drama dieses Singerkrieges zu einem Spiele um Tod und Leben wurde, und selbst die edle Landgräfin Sophie eine Rolle in demselben übernehmen mußte. Denn da Heinrich von Ofterdingen durch die von seinen Gegnern gesungenen Räthsel und Gleichnisse endlich verwirrt wurde, und jene ihn mit dem Tode von der Hand des Meister Stempfel, der als Statist mit Schwert und Stricken seitwärts der Bühne stand, bedräueten, so warf sich Heinrich von Ofterdingen Schutz erflehend zu den Füßen der Landgräfin, und diese legte nun mit wahrer Fürstenhoheit den Edelmuth einer herrlichen Frau an Tag, indem sie, ihren Mantel über den bedrohten Sänger breitend, obschon er gegen ihren Herrn und Gemahl gesungen, die herrlichen Worte sprach:

„Wem ich die Hand je bot
Der läßt ihn wol genesen!
Herr Wolfram von Eschenbach,
Walter, Reimar, Herr Schreiber laßt euch sagen
Wart je zuvor ich Eurer Eines Kummers Dach (Schirm)
So sollt ihr euern Zorn vertagen.

Da nun Heinrich von Ofterdingen auf einen Schiedsrichter sich berufen und angetragen hatte, so wurde ihm zugestanden, denselben herbeizurufen. Dieser war der berühmte Meister Klinsor aus dem Ungarlande, Magus, Astrolog, Arzt, Bergmann und Dichter, und da Ofterdingen Urlaub erhalten, hob er sich von dannen, und fuhr zunächst gen Oesterreich zum Erzherzog Leopold, und bat diesen um Rath und um Empfehlungsbriefe an Klinsor. Letztere brachte er nun dem berühmten Meister, der in Siebenbürgen [155] weilte, ward von ihm höchlich wohl empfangen, mit der Zusage, daß Klinsor selbst mit ihm gen Thüringen sich erheben wolle, und solle nur zuvor erst einige Zeit bei dem Meister verweilen, und so verging fast schnell ein ganzes Jahr, und endlich fürchtete Heinrich von Ofterdingen, er werde nimmer wieder nach Thüringen zurückkehren können. Als aber die Nacht vor dem Tage kam, an welchem Ofterdingen hätte wieder auf Wartburg sein sollen, berief Meister Klinsor seine Geister, und ließ sich mit Heinrich auf einem Zaubermantel durch die Lüfte gen Eisenach tragen. Das that er aber erst, als Heinrich von Ofterdingen eingeschlafen war.