Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Klinsors Zauber und Prophezeihung
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Klinsors Zauber und Prophezeihung.
Heinrich von Ofterdingen war in Siebenbürgen schlafen gegangen, und als er erwachte, hörte er den Thürmer den Tag anblasen, und den Schall einer bekannten Glocke an sein Ohr dröhnen. Er sprach: Ist mir doch, als wäre ich zu Eisenach, und höre die Glocke von Sankt Jürgen. Darauf sprach Klinsor: Besinne Dich, Dir träumet wol. – Aber als der Sänger sich erhob und aus dem Fenster blickte, da rief er freudig: Bei Gott, wir sind zu Eisenach. Das ist Heinrichs, des Hellegrafen Hof, linker Hand vorm Sankt Georgenthor! – Bald kam die Kunde hinauf zur Burg, daß Ofterdingen wieder gekehrt sei, und den großen Meister Klinsor mitgebracht habe. Da schritten die Sänger alle herab, die beiden zu [156] begrüßen, und fragten Ofterdingen, allwo von ihnen beiden die letzte Nachtrast gehalten worden sei? Darauf antwortete Ofterdingen: In Siebenbürgen legten wir uns schlafen, zur Zeit der Mette müssen wir hier gewesen sein; ich weiß es nicht zu sagen, wie mir geschehen ist. – Und Klinsor bewirthete die Sänger und behielt sie bei sich bis gegen Abend, da sie zum Theil wieder hinauf zur Burg gingen, dann saß er im Hellegrafen Hofe mit mehreren Bürgern, die zu Gaste kamen, im Gespräche, und blickte mit großer Aufmerksamkeit nach den Gestirnen. Die Bürger fragten ihn, ob er etwas heilsames im Stande der Gestirne lese? und er sagte ihnen: Ihr sollt wissen, daß heute Nacht meinem Herrn, dem Könige Andreas von Ungarn, ein Töchterlein geboren wird; diese wird man Elisabeth nennen, sie wird dem Sohne eures Herrn, des Landgrafen von Thüringen, vermählt werden, und der Ruf der Frömmigkeit und Heiligkeit dieses Paares wird durch alle Lande erschallen. – Ueber diese Rede erstaunten die Bürger, und als am andern Tage Klinsor mit Ofterdingen festlich eingeholt, und mit großem Gepränge auf der Burg empfangen ward, sagte ersterer auch dem Landgrafen und der Gemahlin desselben an, was er in den Sternen gelesen, und dieß wurde mit merklicher Freude vernommen. Klinsor hatte bei sich eine zahlreiche Dienerschaft, niemand wußte, woher sie gekommen war, und prunkte einher gleich einem Bischof; er war sehr reich, und hatte ein wenig mehr Gehalt, als die heutigen Hexenmeister, Sternseher, Propheten, Aerzte, Bergverständige und Dichter, selbst wenn einer das alles in seiner Person vereinigte, und obschon mancher König sehr freigebig ist; Klinsor hatte jährlich 3000 Mark Silbers. – Nach dem glänzenden Empfange [157] und dem Mahle ging Klinsor in das Ritterhaus (so heißt der vordere Theil der Wartburggebäude noch bis diese Stunde), die strittigen Sänger zu scheiden und zu versöhnen; solches gelang ihm auch, nur Wolfram von Eschenbach that sich noch hervor mit seinen Liederstrophen, die er im Widerstreit gesungen hatte. Und als in der That Klinsor nicht vermochte, diesen Sänger zu überwinden, bediente er sich der Hülfe eines Geistes, Nasias oder Nosion genannt, der mußte in Gestalt eines Priesters erscheinen und mit Wolfram kämpfen, doch mit hohen und gelehrten Worten und Redensarten, die über menschliche Vernunftbegriffe hinauszugehen pflegen. Der Geist war sehr kundig der Weltgeschichte und aller menschlichen Gesetze und Einrichtungen, aber Wolfram sprach gegen ihn von hohen und geheimnißvollen Dingen, von Christi Menschwerdung, vom Sakramente des Altars, von dem Worte, das Fleisch ward, und so hielt der Geist Wolfram für einen geweihten Priester, und kam noch einmal in dessen Wohnung, die sich bei einem Bürger in der Stadt Eisenach, Namens Gottschalk, befand, welcher nicht weit vom Sulzenborne wohnte, und versuchte Wolfram noch einmal, indem er ihn nach der Natur der Sphären fragte, nach Planeten und Sternen, und da von diesen Dingen Wolfram keine Kenntnisse hatte, so lachte ihn der Teufel höhnend aus, und schrieb mit feurigem Finger in einen Stein eine feurige Schrift: „Du bist ein Laie, schnipp, schnapp!“ Diese Schrift brannte und glühete lange in dem Steine und alle Welt kam gelaufen und wollte sie, wenn nicht lesen, so doch sehen, das ärgerte den Bürger Gottschalk, und er ließ alsobald den Stein aus der Wand brechen und ins Wasser werfen.
[158] Nach diesen Ereignissen wurde dahin gehandelt, daß durch Meister Klinsor die Sänger vor dem Landgrafen vertragen wurden, und zog derselbe nach dem Empfange reicher Gaben wieder nach Ungarland, obgleich ihn der Landgraf gern an seinen Hof gefesselt hätte.
Auch in diesem Wartburg-Sängerkriege ist der dämonische mythische Zauber, der über diese Gegend ein geheimnißvolles Netz gesponnen, und der auch noch in spätern Zeiten fortwirkend sich geltend machte zu erblicken.