Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Die verfluchte Jungfer
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Die verfluchte Jungfer.
In den dämonisch-mythischen Sagenkreis der Eisenacher Gegend gehört auch die „verfluchte Jungfer.“ Eine Felshöhle ziemlich hoch über der linken Wand des Marienthales wird vom Volke seit uralten Zeiten „das verfluchte Jungfernloch“ genannt. Einst soll zu Eisenach eine Jungfrau gelebt haben, von übergroßer Schönheit, aber auch von übergroßem Stolze, Hochmuth und prunksüchtigem Weltsinn. Stets putzte sie sich, und strählte, gleich der Lurelei am Rhein, ihr goldenes Haar mit goldenem Kamme, vergaß und versäumte darüber sogar des Gottesdienstes, denn sie wurde nicht fertig mit strählen, Zöpfe flechten, Geschmuck und Geschmeide anlegen, und da ihrer frommen Mutter dieses Thun ein Gräuel war, Bitten und Ermahnungen aber gänzlich fehl schlugen, so hat die Mutter diese Tochter in den Stein verwünscht, bis ihr Gott helfe. Dort ist sie nun in die Felshöhle gebannt, vor der kein Gras wächst, und läßt sich zu Zeiten sehen; manche sagen nur alle sieben Jahre, andere gar nur alle hundert Jahre. Zu Zeiten ist ein rothes Hündlein bei derselben erblickt worden. Man sieht sie droben sitzend oder stehend und immer weinend, auf Erlösung hoffend, die nur dadurch [208] bewirkt wird, daß jemand ihr, der zwölfmal Nießenden, zwölfmal hinter einander ein „Gott helf!“ zurufe. Dazu hat leider noch niemand die Geduld gewonnen. Ein Fuhrmann brachte es wirklich bis zu eilfmal, als sie aber zum zwölftenmale nießte, schrie er im Fuhrmannszorne: Ei, wenn Gott Dir nicht helfen will, so helf Dir der Teufel! – Da that die verwünschte Jungfrau einen lauten Schmerzensschrei und verschwand. Vielfach gehen noch andere Sagen von ihrer Erscheinung um. Eine Schaafheerde wurde von ihr so geschreckt, daß sie sich wild zerstreute und an vierundzwanzig Schaafe sich von den steilen und schroffen Felsklippen herab zu Tode fielen. Einer Hirtenfrau erschien die Jungfrau, und ließ sich von derselben das Haar strählen, wollte sie auch gut dafür belohnen, und hatte sie schon in ihre Höhle geführt, die voller Schätze war, gleich der Höhle im Schlosse Xara, aber da schreckte sie ein großer Hund mit feurigen Augen, daß sie laut aufschrie, weil sie glaubte, der Hund werde sie beissen – da verschwanden Jungfrau, Schätze, Hund und Höhle mit einemmale, und die Frau stak in einer Dornhecke, aus der sie sich mühsam befreien konnte. Ein im Walde verirrtes und durch ein Vöglein verlocktes Kind schirmte die verfluchte Jungfrau, gab ihm Nahrung und deckte es zu, wenn es schlief. Erst nach acht Tagen fand es der Vater wieder, und es war frisch und gesund. Eine weiße Jungfrau – sagte es, sei zu ihm gekommen, habe ihm zu essen und zu trinken gegeben, und es zugedeckt. – Hinter der Frauenburg, vor welcher am Bergesabhang die Jungfernhöhle liegt, quillt eine Quelle, aus dieser trank einmal ein armer Leineweber aus Eisenach, da warf das Wasser mit einenmale einen Klumpen Silber heraus, den nahm der Leineweber [209] und trug ihn in die Stadt zum Schlosser Rauchmaul, der zahlte dem Leineweber fünfzig Thaler für den Fund und bewirthete ihn noch obendrein, und schänkte ihm so lange zu trinken ein, bis jener den Ort ausplauderte, wo er das Silber gefunden. Nun gingen beide mit einander zu dem Silberborn, und siehe, es lag wieder so ein Klumpen da, und der Schlosser zahlte seinem Freunde die Hälfte des für den ersten gezahlten Geldes, aber heimlich dauerte und reute ihn das schöne Geld; er mochte das Silber gern umsonst haben, und wo möglich recht viel. – Daher verfügte er sich andern Tages bei guter Zeit ganz allein zu dem ergiebigen Brunnen, aber die verfluchte Jungfrau hatte den Quell mit einem seidenen Wams verstopft, und so floß er nicht mehr, und weder der Schlosser, noch andere, die dort herum hackten und schaufelten, fanden jemals wieder einen Gran Silbers. Nur dem tiefen Grunde, der sich von der Quelle des Silberborns absenkt, zwischen der Wartburg, der Viehburg und der Hollunder, blieb der Name: Die Silbergräben, weil man in selbigen niemals Silber ergrub. Lucus a non lucendo.