Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Seejungfrauen

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Die Sibylle Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Rothe Sechse
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59.
Seejungfrauen.

Bei der Stadt Salzungen liegt ein kleiner aber sehr schöner See, und in der Umgegend sind ebenfalls einige noch kleinere Seeen gelegen, und es ist in der ganzen Umgegend die Nixensage heimisch. Im Salzunger See, der auch alle Jahre sein Opfer verlangt, nämlich einen Todten, welches ganz sprüchwörtlich geworden, soll eine Wasserfrau wohnen, die ist früher bisweilen herausgekommen und durch die See’spforte zu den dicht an derselben befindlichen Fleischbänken, die jetzt nicht mehr vorhanden sind. Das Haar dieser Wasserfrau war grünlich und der Saum ihres Gewandes war immer handbreit naß. Einst hackte ein böser Metzger, der es merkte, daß sie die Wasserfrau war, mit seinem Fleischermesser ihr einen Daumen ab – da ist sie schreiend wieder hinab zum See geeilt, und niemals wiedergekommen, in des Metzgers Bank begann aber alsbald alles Fleisch zu faulen, und immer roch es darin, wie faule Fische, so daß niemand mehr von ihm kaufte, und er zuletzt als armer Bettler sich in dem See das Leben nahm. Andere sagen, die Wasserfrau habe einstmals in den Fleischbänken ein Kind zurück gelassen, und sei dann niemals wieder gekommen. In den „hünischen Hof,“ ein steinernes Burghaus dicht am See, das von dem ausgestorbenen Adelsgeschlechte der Herren von Hun oder Haun [94] den Namen noch immer trägt, kamen einst zwei Seejungfern zum Tanze, weilten zu lange, und wurden dann zum Opfer ihrer überseeischen Freude, denn nachdem sie zu spät in den See zurückgekehrt waren, färbte sich derselbe blutroth. Wenige Schritte vom Salzunger See ist noch ein tiefes Wasserloch befindlich, das früher viel größer war, und für unergründlich galt. Dasselbe heißt die Teufelskutte. Dort hinein fuhr häufig der fliegende Drache, wahrscheinlich um ein abkühlendes Bad zu nehmen. Eine Strecke weiter aufwärts nach Barchfeld zu liegt der Erlensee mitten in den Thalwiesen des Werragrundes, ein Tummelplatz hüpfender Irrlichter und geistender Feuermänner; in ihm badet sich die weiße Jungfrau, die von dem Trümmerberge der Burg Frankenstein herabwandelt, aber nur alle 7 Jahre erscheinen soll. Südwärts von Salzungen nach Wildprechtrode zu liegt der Buchen-oder Büchensee, ein gefüllter Wasserkrater ohne Zufluß und ohne Abfluß, an dessen Stelle stand einst ein stattliches Schloß. Zu diesem Schlosse kamen in stürmischer Gewitternacht zwei Wanderer, die baten flehendlich um Obdach und um Trank und Speise, allein obgleich es hoch herging im Schlosse, und alle Fenster erleuchtet waren, so wurde dennoch den Wanderern nicht aufgethan, sondern man wieß sie mit rauhen Worten ab. Im Schlosse wohnten drei junge Fräulein, die waren mild und gut, aber sie vermochten nichts gegen die Härte des Burgherrn, und baten ihn vergebens um Einlaß der Armen. Die Wanderer aber waren keine irdischen Menschen, sie waren Götter oder doch Zauberer und verwünschten das Schloß und da sank es in die Erde viel hundert Klaftern tief hinab mit Mann und Maus, und an seine Stelle trat der [95] stille See, und um den See wuchs ein Buchenwald, und gab ihm den Namen, und jetzt ist auch von diesem Walde längst keine Spur mehr vorhanden, sondern der See liegt mitten in einer Ackerflur – so lange ist es schon her. Da nun leider auch die drei guten Fräulein mit versunken waren, und die Unschuldigen mit den Schuldigen, wie so häufig geschieht, leiden mußten, so wurden sie begnadigt, Nixen zu werden, und durften alle Jahre einmal nach dem nahen Dorfe Wilbrechtrode zur Kirmse fahren. Dort machten sie durch ihre Schönheit großes Aufsehen, und man glaubte, sie seien vornehme Stadtjungfern aus Salzungen. An einem solchen Kirmsentage kam ein Jäger aus Salzungen noch spät von der Jagd, sah die Fräulein in der Mitternachtstunde in ihren ganz altmodischen Wagen steigen, und setzte sich hinten auf, um schneller heimzukommen. Da hörte er es plötzlich rauschen und fühlte, wie Wasser zu ihm heraufspritzte, sprang schnell vom Tritt, und hatte Mühe, zum See’srande emporzuklimmen – hinter ihm sank der Wagen in den See hinab, und die Wellen schlugen rauschend über ihm und den drei Fräulein zusammen. Später haben sich diese Jungfrauen des Buchensee’s auch einmal verspätet, wie insgemein die Nixen der Sage thun, und haben ihre Tanzlust mit dem Leben büßen müssen.

Weiter hinab im Werrathale, bei Merkers, blitzt auch ein ziemlich umfangreicher See, und eine Stunde weit zur rechten hinüber nach dem Walde zu liegt ohnweit dem bedeutenden Frauensee, ehemaliger Klosterort, der kleine Hautsee beim Dörfchen Dönges – mit schwimmender Insel. Auch dort die allverbreitete Nixensage heimisch – einem Nixenpärchen, das nach Dönges zum Tanze kam, [96] raubte ein Bursche des Dorfes die Handschuhe. Ueber dem ängstlichen suchen danach verspäteten sich die Nixchen, stürzten in Hast nach dem See, der sich, nachdem er sie aufgenommen, alsbald blutroth färbte. Dieser in fast allen Nixensagen wiederkehrende Zug findet leicht seine Erklärung in einer physikalischen Erscheinung, ebenso wie das sogenannte Grünblühen des Salzunger und anderer Seeen. Auch eine Wehmutter aus Dönges wurde einst, und zwar reitend, in den Hautsee geführt, um ein Nixenkind zu bringen, und reich beschenkt an ihren Ort zurückgebracht, doch ward ihr tiefes Schweigen auferlegt. Erst auf dem Sterbebette beichtete sie ihrem Seelsorger, was ihr widerfahren. Nicht gar weit vom Hautsee, und nur wenige Stunden von Salzungen liegt der schöne Lustort Wilhelmsthal, mit romantischen Parkhainen und einem See, durch den ein kleines Flüßchen, die Ellna fließt. Auch hier die Nixensage, und eine Ellnanymphe, die ein junger Jäger liebte, der sich mit ihr verlobte, aber ihr treulos ward. Da rächte sich die Nixe, zog ihn in ihr nasses Bette, küßte ihn tod, und warf seinen Leichnam in Unkerode aus, allwo er an die Kirchhofmauer begraben wurde.