Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung/Sechzehntes Buch

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Sechzehntes Buch.
Denkungsart der Griechen über Liebe und Geschlechtsverbindung, von der Zeit Alexanders des Großen an bis zu den Zeiten des Septimius Severus.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Es ist schwer, das Eigenthümliche in den Sitten der Griechen nach dem Untergange ihrer Freyheit zu entwickeln. Nur wenige Schriftsteller aus dieser Zeit sind in einem gewissen Grade von Vollständigkeit auf uns gekommen, und es sind besonders diejenigen verloren gegangen, welche über das Privatleben und die geselligen Verhältnisse der beyden Geschlechter unter einander einen befriedigenden Aufschluß geben könnten. Das Hauptsächlichste, was wir davon wissen, verdanken wir den Römern und spätern Griechen: Quellen, die allemahl höchst verdächtig sind, weil sie nicht ohne Rücksicht auf die herrschenden Sitten in ihrem Vaterlande und zu ihrer Zeit, nicht [232] ohne Bestrebung, die Sitten des verlornen Vaterlandes und der Vorzeit ins Außerordentliche zu heben, geschrieben haben.

Auch darin liegt ein Hinderniß zur Kenntniß der Gebräuche in dieser Periode, daß die Dichter, die darin geblühet haben, besonders solche Gegenstände zur Bearbeitung wählten, welche ihre Kenntniß des Alterthums an den Tag bringen konnten. Sie entlehnten oft ihren Stoff aus dem heroischen Zeitalter Griechenlands, worin dieses Land kaum die erste Stufe der Kultur erreicht hatte, und suchten in ihren Darstellungen die Rohheit der früheren Sitten, so weit es der ästhetische Zweck erlaubte, beyzubehalten.

Endlich, (und dieß ist unstreitig eines der Haupthindernisse, die sich der Beurtheilung der wahren Denkungsart dieses Zeitalters in Rücksicht auf den Gegenstand meiner Untersuchungen entgegensetzen:) durch ein größeres Verkehr unter den Völkern entstand ein allgemeinerer Geschmack, und dieser ward durch den Einfluß der ältern Meisterstücke, durch die Politur der Höfe, und durch die zunehmende Oberherrschaft der Vernunft über Herz und Phantasie bestimmt. Von nun an dienen die schönen Künste weit mehr zur Unterhaltung, als zum Einwirken auf das handelnde Leben. Man fängt immer mehr an, das Kostume der Kunst, die Sitten und Situationen im Reiche der Fiktion, von den wahren Gebräuchen, Lagen und Gesinnungen der wirklichen Welt abzusondern. Und wer mag nunmehro entscheiden, ob der Rhodische, Syracusanische, Pergamische, oder Alexandrinische Dichter seinen Stoff aus den individuellen [233] Verhältnissen seines Wohnorts entlehnt, und solche Sitten dargestellt habe, die ihm selbst, seinen Zeitgenossen und Landsleuten eigen waren, oder ob er sich nicht in eine ältere und fremde Weise, die aber im Gebiete der Künste allgemein geltend war, hineingedacht habe?

Der Philosoph fing gleichfalls an, den Bürger vom Menschen zu trennen, und ward dadurch veranlaßt, seine Ideen und Vorschriften über Sittlichkeit von den lokalen Verhältnissen, worunter er und seine Zeitgenossen lebten, unabhängig zu machen.

Aus diesen Gründen werde ich es weit weniger wagen, zu bestimmen, wie es der guten Sitte in Griechenland gemäß war, über Liebe und Geschlechtssympathie zu denken, als vielmehr wie diese oder jene Sekte von Philosophen verlangte, daß man darüber denken sollte, wie dieser oder jener Dichter sie darstellen durfte, um im Reiche der Fiktion seinen Zeitgenossen wahrscheinlich und interessant zu erscheinen.


Zweytes Kapitel.
Einfluß der veränderten Regierungsform und einiger andern mitwirkenden Ursachen auf die Denkungsart der Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Inzwischen treffen doch alle griechische Schriftsteller nach dem Untergange der Freyheit und Selbständigkeit der Staaten desjenigen Landes, dem sie [234] ihre Bildung verdankten, in gewissen auffallenden Zügen zusammen, die, verglichen mit denen der frühern Zeit, eine Veränderung in der allgemeinen Denkungsart voraussetzen.

Wenn der Bürger nicht mehr die nehmliche Thätigkeit, oder wenigstens nicht mehr die nehmliche Zufriedenheit in der Führung öffentlicher Geschäfte findet, so kehrt er sich mehr zum Genuß des häuslichen Lebens, und sucht Interesse in den Vorfällen der örtlichen Gesellschaft auf. Dadurch muß das Weib an Wichtigkeit gewinnen. Es hat die nehmlichen Ansprüche auf Menschenwerth: der Vorzug, den der Mann als Staatsbürger hatte, wird immer geringer. Die Gattenliebe erhält für den Hausvater, der viel zu Hause seyn muß, einen erhöheten Reitz. Der Müssiggänger sucht Beschäftigung in der Liebesintrigue und die örtliche Gesellschaft nimmt größern Antheil an verliebten Abentheuern, die ihr Stoff zur Unterhaltung gewähren.

Außerdem hängen die Republiken, die noch eine Zeitlang in eingeschränkter Freyheit hinschmachten, von der Macht benachbarter Monarchen und dem Glanze ihrer Höfe ab. Dort theilen sich das Ansehn und der Einfluß, deren die Gattin des Fürsten genießt, in gewisser Maße dem ganzen Geschlechte mit, zu dem sie gehört: dort vergöttern Hofpoeten und Hofphilosophen die Beschützerin des Talents: dort finden Liebesverständnisse um so häufiger Statt, je größer die Langeweile und der Luxus sind.

Während daß auf solche Art die Liebe zu dem Weibe steigt, fällt die Liebe zu den Lieblingen. Das Leidenschaftliche, was diese Liebe bisher von der [235] Freundschaft unterschieden hat, kann nicht mehr der Begeisterung für die Anlagen des hoffnungsvollen Jünglings, nicht mehr dem Stolze, ihn zu bilden, nicht mehr dem Partheygeiste zugeschrieben werden; es bleibt nichts als die Vermuthung übrig, daß gröbere Begierden dabey zum Grunde liegen. Die Ausbildung des Staatsbürgers zur Begeisterung und zur leidenschaftlichen Aufopferung für fremdes Wohl hat nicht mehr die nehmlichen nützlichen Folgen. Monarchen bedürfen ihrer nicht bey ihren Unterthanen. Ja, sie sind den engen Verbindungen nicht einmahl hold, und die zunehmende Aufmerksamkeit auf das Privatleben, sowohl von Seiten des Regenten als der örtlichen Gesellschaft, muß ihre Mißbräuche immer mehr offenbaren.

In der Periode, die ich vor Augen habe, treten noch zwey wichtige Umstände zur Bildung der herrschenden Denkungsart hinzu. Der Flor der verpflanzten griechischen Litteratur nach Alexandrien, und die Abhängigkeit Griechenlands von Rom. –

Vielleicht hat das Verkehr der Griechen mit den Morgenländern überhaupt Vieles in den Sitten des erstern Volkes modificiert. Aber gewiß scheint es zu seyn, daß die schmelzende, leidende Empfindsamkeit und Schwärmerey in der Liebe zu den Weibern, die vergötternde Anbetung dieses Geschlechts, der witzige Ausdruck überspannter Gefühle, kurz, der ganze Ton der verliebten Elegie, der in der Folge der Zeiten wieder die Galanterie erzeugt hat, von Alexandrien, von dieser reichen, luxuriösen Residenz und Handelsstadt, deren Einwohner durch Klima und Aberglauben so sehr zu dem Abentheuerlichen, Spitzfindigen [236] und Uebertriebenen hingezogen wurden, ausgegangen sind. Sie sind an die Stelle des rüstigen, wackern Enthusiasmus getreten, der die Liebe der freyen Republiken zu den Lieblingen auszeichnete.

In spätern Zeiten hat die römische Sitte, die für die letztgenannte Liebe einen Abscheu trug, dieses Verhältniß noch mehr in Discredit gebracht.

Griechenlands freye Verfassung ist indessen erst nach manchem harten Kampfe ganz verloren gegangen, und die frühere Sinnesart, so wie die Sitten, die darauf beruhten, sind nicht auf einmahl umgeschaffen. Selbst in den Zeiten, als Griechenland bereits eine völlig abhängige Provinz des römischen Reichs geworden war, dauerte bey den Edleren unter diesem Volke mit den Erinnerungen an den ehmahligen Flor des Vaterlandes die Anhänglichkeit an den veralteten Gebräuchen fort, die damit verbunden gewesen waren.


Drittes Kapitel.
Ideen der spätern Platoniker über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die Sekten der Philosophen mußten an Ansehn und Ausbreitung gewinnen, so wie die politische Partheysucht abnahm. Man räsonnierte mehr, seitdem man weniger handelte, und da es der Selbstdenker zu allen Zeiten nur Wenige gegeben hat, so bestimmten die Philosophen die Begriffe und Sitten [237] eines großen Theils unter denjenigen, die auf Wohlerzogenheit Anspruch machten.

Die Platonischen Ideen über die Liebe mußten bald mißverstanden werden. Es gehört der Schwung eines Geistes dazu, der in einer demokratischen Republik gebildet ist, um den uneigennützigen Enthusiasmus für das Unsinnliche zu fassen, den er an die Stelle der Liebe setzt. Nur derjenige Bürger, der gewohnt ist, in dem Mitbürger nicht das Individuum, sondern den Theil der mystischen Person des Staats zu sehen, und sich durch die Begeisterung für bürgerliche Ordnung und öffentliches Wohl für die Entbehrung mancher Freuden des Privatlebens schadlos fühlt; nur ein solcher Bürger, sag’ ich, ist im Stande, die Ahnung zu hegen, daß die Schönheit der körperlichen Gestalt ein Abglanz der Urschönheit sey: Nur er kann sich wirklich täuschen, daß seine Leidenschaft rein von allen materiellen Begierden, nur auf das Anschauen der ewigen Harmonie gerichtet sey.

Dieß ist der Grund, warum die Nachfolger des Plato seinen Lehren einen ganz fremden Sinn untergelegt haben. Tyrius Maximus mag zum Beweise dienen.

„Die Quelle der Liebe, sagt dieser Philosoph, ist die Schönheit der Seele, die aus dem Körper hervorleuchtet. Man muß sich das Verhältniß der körperlichen Schönheit zur geistigen so denken, wie Blumen, die unter Wasser stehen, und durch dessen Wiederschein verschönert werden. Die Schönheit des Körpers ist weiter nichts, als die Blüthe künftiger Tugend, und gleichsam eine Vorahnung einer höheren [238] Schönheit. Denn so wie der glänzende Saum der Berge dem Aufgange der Sonne vorangeht, und den Augen in der Erwartung eines prächtigern Schauspiels wohlgefällt; so geht auch die glänzende Außenseite des Körpers dem Strahl der Seele voraus, und reitzt die Philosophen in der Erwartung künftiger Vortrefflichkeit. Der Liebhaber eines Jünglings sucht nichts als Gelegenheit, seine Tugend mitzutheilen, und er sucht dazu den schönsten als den fähigsten aus.“

Diese Erklärung der Anziehungskraft der Schönheit ist dem Plato völlig fremd. Nie hat dieser Philosoph behauptet, der schönste Mensch sey auch der fähigste zur Tugend: nie, daß die Schönheit des Körpers die Schönheit der Seele verkündige; Nein, er sagt nur: der Liebhaber des Schönen geht von der äußern Gestalt, woran er es erkannt hat, zur Erkenntniß des Schönen der Seele, und so weiter stufenweise bis zur Anschauung der Urschönheit, zur ewigen Harmonie, fort. Dieser Satz läßt sich vertheidigen; aber derjenige, den Tyrius Maximus aufgestellet hat, kann höchstens nur vom physiognomischen Ausdrucke gelten, der aber auch an Personen von sehr indifferenter Gestalt reitzend angetroffen wird.

Tyrius Maximus weicht gleichfalls darin von seinem Lehrer ab, daß er das Leidenschaftliche, die Begeisterung, von der Liebe ausschließt. Er nennt diese eine von Vernunft geleitete Zuneigung zum Schönen. Auch Cicero, dem man eine Vorliebe für das System der mittleren Akademie in der Moral beylegt, scheint die erlaubte Liebe auf Freundschaft [239] einzuschränken, und alle Leidenschaft zu verdammen. [1] Nichts war auch der Lage der mehrsten spätern Staatsverfassungen angemessener. Denn nach dieser konnte die Ausbildung des Bürgers zur Begeisterung und leidenschaftlichen Aufopferung seiner selbst theils wenig Nutzen schaffen, theils nur auf Rechnung gröberer Triebe gesetzt werden. Wir werden sehen, daß alle spätern Systeme in diesem Punkte zusammentreffen.

Die neueren Platoniker haben sich viel mit dem Schönen und mit der Liebe beschäftigt, und dabey die bilderreichen Ideen ihres Stifters auf mancherley Art erklärt. Allein sie konnten in ihren wahren Geist nicht eindringen, und ihre Untersuchungen beschäftigten sich daher nicht sowohl mit der Liebe zum Geschlecht, als mit jener allgemeinen Anziehungskraft, wodurch die Geschöpfe unter sich und mit Gott zusammenhängen. Da man Gott als den Urquell alles Schönen, ja, für das Schöne selbst ansah, und Liebe für die Neigung zum Schönen hielt; so gab dieß Gelegenheit, eine Menge mystischer Ideen über das Verhältniß der Kreaturen zu Gott, und den Vereinigungstrieb mit ihm einfließen zu lassen, wobey man zugleich einen reichen Gebrauch von den damahligen mangelhaften Kenntnissen in der Naturlehre und Astronomie machte.

Ich bin außer Stande, den Einfluß, den dieser Mysticismus auf die Ideen über die Verbindung mit dem zärteren Geschlechte gleich anfangs gehabt hat, zu beurtheilen. Aber gewiß ist es, daß er nach der Zeit, da die Neuplatonische Philosophie in die Mahumedanische [240] und Christliche Religion verwebt worden war, Vieles zur Bildung der Begriffe über die edlere und schönere Geschlechtsliebe beygetragen hat.


Viertes Kapitel.
Ideen der Stoiker über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Cicero [2] sagt uns, die Stoiker erlaubten dem Weisen zu lieben, und erklärten die Liebe für den Zug, mit dem der Glanz der Schönheit zur Freundschaft einlade.

Diese Behauptung ist auffallend. Die Stoiker sollen nach andern Zeugnissen die Weisheit für das einzig Schöne in der Welt erklärt haben. Ihre Moral setzte die Tugend und das Glück in den Besitz eines Gemüths, das gleich unempfindlich gegen Vergnügen und Schmerz, frey von allen Leidenschaften, erhoben über Furcht und Schwächen, kein anders Gut als die Tugend, kein anders Uebel als die Reue kennt. Wie paßte, darf man billig fragen, die Liebe, ja, nur einmahl die Freundschaft in dieß System?

Seneca wird uns hierüber die nöthige Aufklärung geben. In seinem neunten Briefe an den Lucil widerlegt er den Epicur, der behauptet hatte, die Stoiker kennten keine Freundschaft, weil sie sich selbst [241] genug seyn wollten. Er erklärt diesen Satz dahin; der Weise sey sich in so fern allerdings genug, daß er eines Freundes entbehren könne, und seinen Mangel mit Gleichmuth ertrage. Aber ganz ohne Freund werde er nicht seyn wollen, sondern den verlornen eben so bald ersetzen, als Phidias eine verunglückte Statue. Der Weise schafft sich also einen neuen an. Aber wie das? Er liebt, um wieder geliebt zu seyn. Nicht bloß der Genuß der erprobten Freundschaft, sondern auch der Anfang einer neuen, das Bewerben um Freundschaft, bringt Vergnügen. Der Philosoph Attalus sagte mit Recht: es sey angenehmer sich einen Freund zu machen, als ihn zu haben. Denn die Sorgfalt und die Beschäftigung, welche das Bemühen um die Zuneigung eines Andern gewährt, geben eine angenehme Unterhaltung. So ist es dem Mahler angenehmer, zu mahlen, als gemahlt zu haben.“

Mit einem etwas versteckteren Egoismus fährt er weiterhin fort: „Wenn sich gleich der Weise selbst genügt, so will er doch einen Freund haben, wäre es auch nur darum, damit eine so große Anlage zur Tugend in ihm nicht ruhe. Er hat aber nicht einen Freund dazu, wozu Epikur ihn hatte, nehmlich zum Beystande in Krankheiten, in der Gefangenschaft, in Armuth, sondern damit er Jemandem in seinen Gefahren beystehen könne. Wer auf sich sieht wenn er Verbindungen eingeht, der hat keinen Begriff von der Freundschaft: er treibt einen bloßen Handel, und wird seinen Freund verlassen, sobald er keinen Vortheil weiter von ihm ziehen kann. Ich aber, sagt Seneka, habe einen Freund, für den ich sterben kann, dem ich [242] ins Exilium folgen würde, und für dessen Rettung ich Alles wage.“

„Es ist nicht zu läugnen, sagt er weiter, daß die Freundschaft einige Aehnlichkeit mit der Liebe habe. Man kann sagen, diese sey eine wahnsinnige Freundschaft. Liebt aber wohl Jemand um des Gewinnstes willen? Aus Ehr- und Ruhmsucht? Nein! die Liebe vernachlässigt Alles, und entzündet durch sich selbst die Gemüther zur Begierde nach der Gestalt, unter Begleitung der Hoffnung einer wechselseitigen Zuneigung. Wie also? Kann aus einer edleren Ursach eine unedle Neigung entstehn? Du sagst: es kommt nicht darauf an, ob die Freundschaft um ihrer selbst willen, oder um eines weiter liegenden Zwecks willen zu wünschen sey. Genug, daß der Weise, der sich selbst genug seyn sollte, ihr doch nachstrebt. Freylich! Aber wie? Nicht angelockt vom Gewinne, sondern angezogen von der innern Schönheit der Sache, und nicht abgeschreckt durch den Wechsel des Schicksals. Der Mensch wird durch einen natürlichen Reitz zur Freundschaft hingezogen. Er kann ihrer entbehren und dennoch bestehen: aber er wird ihrer nicht entbehren wollen, und lieber sterben, als nicht in Gesellschaft der Menschen leben.“

Man kann nun freylich nicht mit Gewißheit behaupten, daß Seneka das System der Stoiker ganz rein und unvermischt von seiner individuellen Anschauungsart vorgetragen habe. Aber so, wie er es darstellt, trägt es ganz den Karakter des geistigen Stolzes an sich.

Der Stoiker war Freund, – weil seine Anlage zur Freundschaft eines von den edleren Vermögen war, die zur Ausbildung seines Wesens nicht ungenutzt in [243] ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war.

Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann.

Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes – weil er es ist, der ihn gebildet hat. [3] Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. [4] „Ich habe, [244] sagt er, meine Freunde immer so gehabt, als wenn ich sie verlieren könnte, und sie verloren, als ob ich sie noch hätte. Wer nicht mehr als einen Freund haben konnte, hat auch diesen einzigen nicht geliebt. Würden wir nicht denjenigen für thöricht halten, der nach dem Verlust seines Mantels lieber diesen beweinen, als sich nach einem andern Mittel zur Bedeckung seiner Blöße umsehen wollte?“ [5]

Der Stoiker konnte auf leidenschaftliche Liebe keinen Werth legen; und das erhellet auch aus der angeführten Stelle des Seneka, worin er die Liebe eine wahnsinnige Freundschaft nennt. Inzwischen hatte sie nach seinen Begriffen doch einen höheren Werth, als die grob eigennützige Freundschaft der Epikuräer, weil sie die Gestalt als etwas an sich Schönes, mit Vernachlässigung alles Gewinnstes, aufsucht.

Aus mehreren Stellen erhellet, daß Seneka die Frau dem Manne nachsetzt. Indessen empfindet er für seine Gattin, Paulina, ungefehr die nehmliche Freundschaft wie für den Lucilius. „Was ist angenehmer, sagt er unter andern, als seiner Frau so theuer zu seyn, daß man sich selbst darum theurer werde!“[6] Er ist hier gleichfalls der Meinung, daß sich eine gute Frau leicht ersetzen lasse, wenn man nur bey ihrer Wahl mehr auf Sitten, als auf äußere Vortheile sehe. [7]

Es ist merkwürdig, daß in den Reflexionen des Kaisers Mark Antonin des Philosophen zwar Vieles [245] über den Zusammenhang des Menschen mit der menschlichen Gesellschaft überhaupt, kein Wort aber von den Pflichten vorkommt, welche engere Verbindungen auflegen.


Fünftes Kapitel.
Ideen der Epikureer über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die Moral des Epikur unterscheidet sich von der Stoischen durch eine Selbstheit, die mit der Sinnlichkeit in engerer Verbindung steht.

Der Stoiker setzt den Zweck des Lebens und den Wohlstand seines vernünftigen Wesens in das anhaltende Bewußtseyn der Oberherrschaft über sich selbst und alle Verhältnisse, worin er zur Sinnenwelt steht. Der Epikureer schließt diese Oberherrschaft keinesweges aus: aber er betrachtet sie nicht als Zweck, sondern als Mittel und Bedingung, um das gegenwärtige Leben besser zu genießen. Sein Zweck ist ununterbrochenes Gefühl einer so angenehmen Existenz, als die Rücksicht auf die Zukunft und die gegenwärtigen Umstände es zulassen. Zu dem Ende sucht er alle natürlichen Neigungen auszubilden, zu reinigen, zu leiten, und mit Vorsicht und Klugheit zu befriedigen. Er ist mäßig, um dem Schmerz auszuweichen und jedes Vermögen zum Genuß in seiner Stärke zu erhalten: er hütet sich vor ungeselligen und heftigen Leidenschaften, die dem Herzen Qualen bereiten, und die Vernunft verdunkeln: er überläßt sich gern sanften, zärtlichen Empfindungen, thut gern wohl, [246] erhält seine Seele rein von niedrigem Eigennutz, um die Wonne der Sympathie zu fühlen, sich vor Schande und innern Vorwürfen zu bewahren, und jede Freude zu genießen, welche die Erhebung des Geistes nach einer edlen Handlung mit sich führt.

Dieß System ist unstreitig geselliger als das Stoische, und engeren Verbindungen viel zuträglicher. Aber mit der Liebe ist es eben so wenig vereinbar. Der Verbündete ist immer nur ein Mittel, wodurch sich der Verbindende glücklicher fühlen will. Der Epikureer erkennt in der Person seines Freundes, seines Geliebten, keine Selbständigkeit an: er sieht nur in ihm ein Mittel, um angenehme Gefühle für seine Sympathie herbeyzuführen, wenn man ihm nicht einen noch gröberen Eigennutz Schuld geben will.

Cicero sagt uns, [8] Epikur habe die Geschlechtsliebe für etwas sehr Körperliches gehalten; und dies hängt auch mit seiner ganzen Lehre über die ersten Ursachen der Dinge, über die Dauer und den Zweck unsers Daseyns genau zusammen.

Lukrez war bekanntlich ein Anhänger und Bewunderer des Epikur. Er kann ihm manches Bild, manche Erklärungsart untergeschoben haben; aber in den Grundsätzen ist er wahrscheinlich seinem Lehrer getreu geblieben. Dieß scheint besonders auf seine Ideen über die Liebe zuzutreffen, und ihre Auseinandersetzung ist um so wichtiger, da sie nicht allein einen Aufschluß über die Art giebt, wie die Epikureische Schule die Denkungsart der Stoa und der Akademie, nach dem Zeugnisse des Cicero [247] und des Seneka, beurtheilen mußte; sondern zugleich das System einer großen Sekte in Rom, von der wir in der Folge noch mehrere Anhänger kennen lernen werden, ziemlich vollständig in sich faßt.

Lukrez hat nehmlich die Liebe völlig mit derjenigen Leidenschaft verwechselt, welche auf den gröbsten Trieben der Geschlechtssympathie (Venus) beruht, und Lieben für leidenschaftliches Streben nach Körperverbindung zwischen zweyen bestimmten Personen gehalten.

Diese Meinung ist nun freylich von jeher die gangbarste unter dem großen Haufen gewesen, und wird es auch wohl auf immer bleiben; denn ihre Faßlichkeit scheint für ihre Uebereinstimmung mit Natur und Wahrheit zu bürgen. Es wird daher wohl der Mühe werth seyn, das Unwahre, Unzusammenhängende in der Darstellungs- und Erklärungsart, die Lukrez uns von der Liebe giebt, zu zeigen, und dadurch zugleich zu beweisen, daß Bilder, die den Werth haben, eine sinnliche Anschauung zu gewähren, darum nicht immer die strengeren Forderungen des Verstandes und der Vernunft befriedigen.

Um die Gedanken des Lukrez über dasjenige, was er Liebe nennt, besser zu begreifen, muß man wissen, daß er die Art, wie Eindrücke und Reitze in unserm Innern entstehen, einer Emanationskraft anderer Körper zuschreibt, von denen sich gewisse Formen nach Art der Rinden, oder Hüllen, Schalen, ablösen, durch die Oberfläche unsers Körpers durchdringen, und in uns wirken. Diese Emanationen nennt er Bilder. (Imagines, Simulacra.)

[248] Dieß vorausgesetzt, erklärt er nun die Geschlechtssympathie und die Liebe auf folgende Art. [9] „Sie hängt von der Pubertät ab, und fängt an, sich zu äußern, wenn der unnennbare Stoff, der zur Reproduktion der Gattung dient, seine Reife erhält. Die zunehmende Lebenskraft bringt jenen Stoff in Bewegung, und verbreitet ihn durch den ganzen Körper. Wenn nun Bilder anderer Körper, die den Abdruck schöner Formen und Farben [10] an sich tragen, (und welche sowohl männliche als weibliche Personen abwerfen können,) [11] unser Innerstes durchdringen, so erhalten wir eine Wunde die in ihren Erscheinungen derjenigen ähnelt, die wir durch einen wirklichen Streich von einem fühlbaren, soliden Körper empfangen. Denn so wie unser Körper nach der Wunde zufällt, und so wie das Blut nach der Seite seine Richtung nimmt, woher der Streich kommt, und den nahen Feind überströmt; eben so wirkt auch das Streben dessen, was Lukrez als den letzten Grund der Geschlechtssympathie ansieht. Der Anstand verbietet mir, in die genauere Vergleichung beyder Erscheinungen, die er sehr weitläuftig auseinander setzt, hineinzugehen. Genug! dieß, sagt Lukrez, ist der Grund der Geschlechtssympathie; (Venus) Daher der Nahme Liebe; (amoris nomen,) daher das erste süße Gefühl, das sich in unser Herz ergießt, und auf welches hernach quälende Sorgen folgen.“

[249] „Denn selbst in der Abwesenheit des geliebten Gegenstandes bleibt doch der einmahl abgeflogene Abdruck seiner Gestalt uns gegenwärtig, und sein süßer Nahme (nach dem Systeme des Lukrez gleichfalls eine materielle Form,) schwebt unaufhörlich in unsern Ohren. Lukrez will daß wir diese Bilder, diese Nahrungsmittel der Liebe fliehen, und unser Gemüth anderswohin wenden sollen. Er räth, den angehäuften unnennbaren Stoff auf alle Körper zu richten, ihn nicht aus Liebe zu einem Gegenstande an uns zu halten, und uns dadurch einen dauernden Schmerz und Sorgen zu bereiten. Jemehr wir das Geschwür nähren, je mehr blüht es auf, und wurzelt ein. Täglich wird die Wuth zunehmen, und die kummervolle Sehnsucht drückender werden, wenn wir nicht dem ersten Eindruck durch neue eine Diversion machen, in wild umherschweifender Begierde die frische Wunde heilen, oder die Bewegung der Seele auf etwas Anders hinleiten.“

„Gewiß aber genießt derjenige die Freuden der Geschlechtssympathie viel vollständiger, der sich vor Leidenschaft hütet. Sie sind für ihn ohne Mischung herber Empfindungen. Gesunde und vernünftige Menschen sind viel fähiger zum Gefühl einer sichern und reinen Wollust, als Kranke und Verirrte. Der Eifer, zu genießen, bringt Liebende um den Genuß.“ –

Ich muß hier wieder einige Stellen übergehen, um des Anstandes zu schonen. Es wird hinreichen, zu sagen, daß Lukrez mehrere Aeußerungen der Lüsternheit durchgeht, welche die Begierde nach engster Körperverbindung andeuten, und zum Theil selbst den begehrten Körper beleidigen. Er leitet diese Erscheinungen aus einer Art von thierischer Wuth her, die in einer Mischung [250] von Schmerz und Lust besteht, und dem Zweck nachstrebt, die Flamme an der Quelle des Uebels zu löschen.

Er zeigt darauf die Unmöglichkeit dieser Hoffnung: „die Begierde ist unersättlich, weil sie sich nur von Bildern nährt, und diese immer Stoff in unserm Innern finden, in den sie eindringen, und den sie reitzen können.“

Lukrez nimmt nun seine ganze Beredtsamkeit zusammen, uns durch Darstellung der unseligen Folgen der Leidenschaft vor ihrer Entstehung zu warnen. „Selbst die glücklichste ist die Quelle der größten Uebel: die unglückliche ist gar das Verderben des Menschen. Gesetzt aber, wir sind einmahl gefangen, so bleiben doch noch Mittel zu unsrer Rettung übrig, wenn wir nur ernstlich wollen. Er räth, man solle sich die Fehler des geliebten Gegenstandes recht lebhaft vorstellen, und nimmt daher Gelegenheit, eine sehr launigte Beschreibung von der Verblendung der Verliebten zu machen.“

Den nehmlichen Grund, den er für die Geschlechtssympathie der Männer angegeben hat, findet er auch bey den Weibern. „Bey ihnen wirkt gleichfalls der unnennbare Trieb, und zwar durch das Andringen der unnennbaren Kraft. „Allein ob diese ebenfalls durch Bilder der Männerschönheit in Bewegung gesetzt werde; darüber äußert er sich nicht.

Am Ende gesteht er noch, daß Weiber, ohne schön und reitzend am Körper zu seyn, dennoch durch Sitten und anständige Sorgfalt für ihr Aeußeres den Mann nach und nach an ihren Umgang gewöhnen, und dadurch Anhänglichkeit erwecken können, die endlich in Liebe übergeht.

[251] Dieß ist das System unsers Dichters, von dem ich nichts Wesentliches verschwiegen zu haben glaube. Wer die Darstellung im Originale liest, wird ihre Schönheit nicht verkennen; und als Kunstwerk können wir ihr unsere Bewunderung und unsern Beyfall nicht versagen. Es ist gerade so viel Wahrheit, so viel innerer Zusammenhang darin, als erfordert wird, um in unserm Fluge im Reiche der Imagination nicht gestört und aufgehalten zu werden. Fern sey es also von mir, dasjenige, was ich über das System bemerken werde, zum Tadel des Dichters zu sagen. Aber wie man diese Rücksicht habe bey Seite setzen, und dennoch Wahrheit und innern Zusammenhang im Reiche der Wirklichkeit darin habe finden können, das ist mir unbegreiflich.

Offenbar schränkt Lukrez den Zug der beyden Geschlechter zu einander bloß auf das Körperliche ein, und sieht die Befriedigung des unnennbaren Triebes wieder als den einzigen Grund des Zuges der Körper zu einander an. Wie unrichtig dieß sey, ist in den beyden ersten Theilen dieses Werks gezeigt worden, worauf ich verweise. Allein gesetzt, man wollte diese Behauptung als richtig annehmen; so zeigt sich doch ein Sprung über eine nicht ausgefüllte Lücke zwischen der Behauptung: daß Bilder schöner Körper die unnennbare Kraft in uns reitzen, – und jener: daß diese Reitzung uns zur Annäherung an den reitzenden Körper auffordern. Das Bedürfniß, den Streich, den wir empfangen, abzuwehren, uns vor der Reitzung zurückzuziehen, ja! den Aufruhr durch Entladung zu beendigen, das Alles läßt sich aus dem Eindringen der Bilder in unsre irritable körperliche Masse folgern: Aber ein Anziehungs- Annäherungs- und Mittheilungsbedürfniß keinesweges. [252] Die Erscheinungen der Geschlechtssympathie bey dem zärtern Geschlechte werden dadurch noch weniger erklärbar. Hier bleibt also eine Lücke, welche das Bild, das von einer wirklichen Wunde hergenommen wird, keinesweges ausfüllt, vielmehr noch auffallender macht. Denn der verwundete Körper zieht sich gewiß nicht nach dem verwundenden hin, sondern von ihm zurück.

Weiter: Wie entsteht aus der bloßen Aufwallung des unnennbaren Triebes die Leidenschaft nach dem Besitze der Person? Auch hierüber ist nichts Befriedigendes gesagt. Lukrez nimmt an, alle schöne Gestalten können den unnennbaren[WS 1] Trieb in Aufruhr bringen. Wohl! Aber woran liegt es denn, daß nicht alle schöne Gestalten, wenn gleich der unnennbare Trieb bey ihnen seine Befriedigung nicht erhält, uns Leidenschaft einflößen? Lukrez antwortet, weil wir von einer Gestalt mehr Bilder einnehmen, als von einer andern zugegeben; worin liegt denn der Grund, daß wir geneigt sind, von einer schönen Gestalt mehr Bilder einzunehmen, als von einer andern? Lukrez kann hier entweder antworten: weil zwischen den Bildern, die sie abwirft, und unserer Fähigkeit, sie einzunehmen, ein genaueres Wohlverhältniß vorhanden ist; oder aber: alle schöne Gestalten werden uns in Leidenschaft versetzen, wenn wir uns muthwillig mit Bildern von ihnen anhäufen. Allein dem Ersten begegne ich mit der Frage: worin liegt das Wohlverhältniß zwischen den äußern Bildern und den Atomen meiner unnennbaren Kraft? Dem Zweyten mit jener andern Frage: warum versetzt mich denn nur eine bestimmte Person in Leidenschaft, warum nicht das ganze Geschlecht der schönen Gestalten, die mich doch noch weit mehr mit aufrührenden und reitzenden Bildern anfüllen, [253] und dem unnennbaren Triebe in mir noch weit weniger Ruhe lassen?

Hier sind überall Lücken, deren Anzeige ich noch unendlich vermehren könnte. Endlich widerspricht sich Lukrez selbst. Wird die Geschlechtssympathie bloß durch den Aufruhr des unnennbaren Triebes in Bewegung gesetzt, und verdanken wir diesen Aufruhr wieder nur dem Eindringen der Bilder schöner Gestalten: ist ferner dieser Aufruhr der Grund aller Liebe; wie ist es denn möglich, daß ein häßliches Frauenzimmer bloß durch gute Sitten und einen reinlichen anständigen Anzug Liebe in uns erwecken könne? Und doch behauptet dieß Lukrez. Er sagt, wir gewöhnen uns an seinen Umgang, und nach und nach entsteht daraus Liebe. Nun kann nur eines von Beyden richtig seyn, entweder die erste Behauptung: Schönheit von der einen, und der unnennbare Trieb von der andern Seite, sind der Grund aller Liebe; dann kann die häßliche Person diese nie erwecken: Oder, auch die Gewohnheit ohne Schönheit kann Liebe erwecken; und dann ist der erste Grund gar nicht hinreichend, den Zug der beyden Geschlechter zu einander zu erklären.

Ich beziehe mich zur völligen Abfertigung dieses Systems auf das achte Buch in diesem Werke, und bemerke nur noch, wie es ganz auf Eigennutz gebauet sey. Dieser ist nicht einmahl von der feineren Art. Die Person, die zur Aufreitzung und Befriedigung des unnennbaren Triebes dient, wird eben so sehr zu einem maschinenmäßigen Werkzeuge, als der Mensch, den sie reitzt, zum Thiere erniedrigt, das durch den Stich eines giftigen Insekts in Wuth gegen den Urheber seiner Leiden [254] geräth. Alles das paßt nicht auf Liebe, sondern höchstens auf die niedrigste Lascivität.

Es muß diese Darstellungsart der Liebe nothwendig auf den Grundsatz führen, in einer wildumherschweifenden Begierde, und in der größten Ausgelassenheit der Sitten ein Rettungsmittel gegen eine den Menschen so sehr herabwürdigende Leidenschaft zu suchen.

Das System des Lukrez hat sich inzwischen allen denen empfehlen müssen, die bereits einen Grund für gewisse Erscheinungen angegeben zu haben glauben, wenn sie nur dasjenige auffassen, was ihnen am nächsten zur Hand liegt: die Sinne, aber kein Herz haben, und in einer klugen Befriedigung ihrer Triebe die Bestimmung des Menschen suchen.


Sechstes Kapitel.
Ideen des Aristoteles über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Aristoteles trifft in seinen Ideen über diesen Gegenstand mehr wie jeder andere Philosoph unter den älteren Griechen mit denen unsers Zeitalters, und meiner Ueberzeugung nach, mit der Wahrheit zusammen. Seine Begriffe von demjenigen, was er Freundschaft, Liebe und Wohlwollen nennt, sind freylich etwas schwankend und unbestimmt; aber überall fühlt man doch die Ahnung des wahren Wesens der Liebe. Das weibliche Geschlecht und die Gattenliebe erhalten unter seinen Händen eine höhere Würde, und die Männerliebe hat bey ihm nicht das Ansehn, das ihr sein Lehrer Plato gegeben hatte.

[255] Irre ich nicht, so darf ich etwas von dieser Denkungsart eines Philosophen, der lange Jahre am macedonischen Hofe gelebt hatte, dort mit der Hochachtung, welche den Königinnen und wahrscheinlich auch den Gattinnen ihrer Unterthanen bezeugt wurde, so wie mit dem größern Ansehn, das die Weiber in monarchischen Staaten überhaupt genießen, vertraut geworden war, seiner besondern Lage zuschreiben.

Aristoteles handelt an zweyen Stellen seiner moralischen Schriften ziemlich ausführlich von der Freundschaft. (Φιλία)[12] Er begreift darunter sowohl die anschauenden und selbstischen Verbindungen, die auf Bewunderung, Werthschätzung, und im Werthhalten beruhen: Achtung für Tugend, Gefühl des Nutzens und des Vergnügens zum Grunde haben; als auch diejenigen, die wirklich liebend sind: in denen sich entweder die Person an die Person nur liebend anschließt, oder worin sich beyde Verbündete durch Zärtlichkeit zu einer Person vereinigen.

„Wir hängen uns, sagt Aristoteles, entweder an das Gute an sich, (an die Tugend,) oder an das Nützliche, oder an dasjenige an, was uns Vergnügen macht. Nur die Verbindung mit dem Tugendhaften verdient Freundschaft im eigentlichen Sinne genannt zu werden.“

„Die Tugend, oder das Gute an sich, erweckt zugleich das Gefühl des Vortheilhaften, und Vergnügen. Der Verbündete wird dadurch angereitzt, selbst gut an sich zu seyn, und dem Geliebten Nutzen und Vergnügen zuzuführen. Der Trieb ächter Freundschaft beruht [256] darauf, das Wohl des Freundes zu befördern. Es muß aber Angewöhnung hinzu treten. Sie kann nur mit Wenigen eingegangen werden, und sie erhält ihren höchsten Reitz durch längern Umgang.“ –

Man wird leicht fühlen, daß hier etwas in den Begriff echter Freundschaft oder liebender Anhänglichkeit aufgenommen ist, was nicht schlechterdings hinein gehört: nehmlich das Band der Tugend: daß hingegen etwas fehlt, was eigentlich am mehrsten bindet, nehmlich das Herz, oder die Sinnlichkeit, es sey des Körpers oder des Gemüths. Denn die bloße Achtung für Tugend, verbunden mit Angewöhnung, erweckt noch nicht unbedingt liebende Anhänglichkeit oder Freundschaft. Auf der andern Seite giebt es unstreitig echte Freundschaften, die nicht auf Tugend beruhen.

„Afterfreundschaften, fährt Aristoteles fort, sind diejenigen, die auf bloßem Nutzen oder Vergnügen beruhen. Beydes sind relative Gefühle, zu denen wir nur zufällig aufgelegt sind.“

„Inzwischen lassen sich diese drey Gattungen von Anhänglichkeiten, nehmlich diejenige die auf dem Guten an sich, auf Nutzen, und endlich auf Vergnügen beruhen, jede wieder in zwey Hauptarten abtheilen. Die eine setzt wechselseitige Anerkennung der Gleichheit beyder Verbündeten, ihrem Wesen und ihren Verhältnissen nach, zum Voraus. Die andere besteht mit der Anerkennung der Superiorität des einen Verbündeten über den andern. Ungeachtet der anscheinenden Ungleichheit an Rechten und Lagen, kann dennoch ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt finden, wenn Jeder seiner Pflicht nachkommt, den Andern in seinen Ansprüchen nicht stört, und das, was Tugend an ihm [257] ist, anerkennt. Alsdann werden solche Anhänglichkeiten echt und dauernd seyn, wenn gleich die eine Person gegen die andere im Verhältnisse des Obern zu seinem Untergebenen steht.“ –

„In der Freundschaft zwischen Personen von ungleichem Ansehn, sagt Aristoteles weiter, muß der edlere mehr geliebt werden, als lieben: wenn aber ein richtiges Maß getroffen wird, so kommt demungeachtet ein gewisses Wohlverhältniß heraus, welches die Verbindung zum Range echter Freundschaft hinaufhebt. Sind die Personen zu weit auseinander, durch ihr Wesen und ihre Lagen; so findet keine Freundschaft zwischen ihnen Statt. Der Unterthan kann allenfalls noch der Freund seines Fürsten seyn; aber der Mensch kann einen Gott nicht als seinen Freund betrachten. Er kann weder dessen Wohl zu befördern streben, da er ganz vollkommen ist, noch ihn als ein Gut, das ihm durch die Verbindung vortheilhaft wird, betrachten, da der Gott ganz außer seinen Verhältnissen steht. Die Verbindung zwischen einem reifen Manne und einem Knaben kann wenigstens keine echte Freundschaft seyn; weil sie nur auf Vergnügen beruht.“

„Es giebt aber Menschen, die sich bloß an andere anhängen, um von diesen geliebt und angebetet zu werden. Dies sind keine wahren Freunde.[WS 2] Denn Freunde lieben unmittelbar um der Wonne willen, die das Lieben mit sich führt. Sie lieben, wenn gleich ihre Liebe nicht erkannt und erwiedert wird. Der Freund strebt nach des Andern Wohl nicht um sein selbst, sondern um dieses Andern willen. Freud’ und Leid müssen ihn unmittelbar rühren, weil sie dem Andern widerfahren.“

[258] „Freundschaft äußert sich durch unmittelbare Handlung, oder durch eifriges, angewöhntes Streben nach dem Wohl des Verbündeten. Sie unterscheidet sich dadurch vom bloßen Wohlwollen, (Εὔνοια) welches ein bloßer vorübergehender Wunsch ist, daß es einem Andern wohl gehe. Verträglichkeit (Ὁμόνοια) ist gleichfalls von Freundschaft verschieden. Denn jene setzt bloß ein Zusammenstreben Mehrerer nach einem Zwecke ohne Ausschließung und Hinderung zum voraus.“

Nach diesen Sätzen konnte Aristoteles die Verbindung zwischen Gatten allerdings unter den Begriff der echten Freundschaft bringen.

„Mann und Frau, sagt unser Philosoph in seiner Politik, [13] haben Jedes ihre ihnen eigenthümlichen Tugenden. Derjenige Mann würde feig seyn, der nicht tapferer wäre als die Frau: diejenige Frau wäre nicht sittsam zu nennen, die den sittsamen Mann nicht noch an Sittsamkeit überträfe. Bey der Verwaltung des Hauswesens haben Beyde ihre verschiedenen, jedem besonders angewiesenen Geschäfte. Der Mann erwirbt, die Frau hält zusammen. Die leitende Klugheit aber scheint dem Manne, als Führer, zuzukommen. Alle übrigen Tugenden sind unter ihnen gemein. Die Frau ist dem Manne untergeben: aber dennoch frey, und das Recht, einen guten Rath zu ertheilen, kann ihr nicht abgesprochen werden. Sie giebt den Stoff her, den der Mann verarbeitet.“

In Gemäßheit dieses Verhältnisses, das Aristoteles zwischen den Gatten annimmt, vergleicht er [259] nun[14] ihre Verbindung in der Ehe mit der aristokratischen Verfassung eines Staats. „Wenn sie wohlgeordnet ist, so wird der Gatte zwar den Vorrang behaupten, und in demjenigen, was ihm zukommt, regieren, aber die Frau in demjenigen Wirkungskreise, der ihr gebührt, nicht beschränken. Denn wollte der Mann in Allem allein herrschen, so würde die Verbindung, anstatt einer wohlgeordneten Aristokratie zu gleichen, sich einer tadelnswürdigen Oligarchie nähern, worin der Hervorragende seine Anmaßungen übertreibt, und die Uebrigen als Knechte behandelt. Dieß kann aber gar nicht gestattet werden. Die Frau ist durchaus nicht als ein bloßes Mittel zu selbstischen Zwecken des Mannes zu betrachten. Eben so unrecht würde es aber auch seyn, wenn die Frau, etwa weil sie reich und vornehm wäre, sich die Oberherrschaft anmaßen wollte.“

„Die Verbindung zwischen den Gatten verdankt ihren Ursprung der Natur. Bey Thieren hat sie nur den Zweck der Fortpflanzung. Aber bey dem Menschen geht ihre Bestimmung ursprünglich weiter. Die Gatten sollen gemeinschaftlich für ihren Unterhalt sorgen, und Jedem ist sein Geschäft dabey angewiesen. Sie greifen sich einander in die Hand, sie bringen ihr Eigenthum zusammen. Ihre Verbindung beruht auf gemeinschaftlichem Nutzen und Vergnügen. Sie kann aber auch auf Tugend beruhen, wenn sie Beyde bieder sind. Denn jedes Geschlecht hat seine ihm eigenthümlichen Vorzüge, deren sich das andere erfreuet. Kinder machen ein neues Band unter [260] ihnen aus, indem sie ein gemeinschaftliches Gut sind.“ –

So entwickelt Aristoteles den Begriff und die Pflichten der Gattenliebe in seinen Schriften über die Moral. Eine vortreffliche Stelle, die hieher gehört, steht noch in seinen Oeconomicis. [15] Er legt dem Mann die Pflicht auf, seine Gattin auszubilden, sie mit Gut und Blut zu vertheidigen, gemeinschaftlich mit ihr das Hauswesen und die Erziehung zu besorgen, und ihr treu und standhaft bis an den Tod anzuhängen. Sehr weitläuftig und sehr bestimmt legt er dem Manne gleiche Pflichten in Ansehung der Keuschheit des Ehebettes auf, und empfiehlt ihm vorzüglich der Gattin diejenige Achtung einzuflößen, die das Herz gewinnt, und sich vor derjenigen Strenge zu hüten, die zwar zur Folgsamkeit nöthigt, aber Haß und Abneigung hervorbringt.

Wenn nun gleich Alles dieß den Begriff der Zärtlichkeit nicht vollendet: wenn es Pflichten sind, die wir allenfalls auch dem Patron gegen seinen Clienten auflegen würden, wenn er diesen mit liebender Anhänglichkeit zu umfassen, und ihn eben so an sich zu schließen sucht; so läßt sich doch nicht läugnen, daß Aristoteles das Wesen der Liebe in dieser Art von Verbindung richtig gefaßt hat.

Leidenschaftliche Liebe scheint er zwar zu kennen, aber ihr keinen Werth beyzulegen. Der leidenschaftlichen Verbindung zwischen Männern ist er abgeneigt. Liebe, (ἔρως) nennt er Begierde, oder auch Leidenschaft. Er sagt, die Liebe fange da an, wo man [261] auch abwesend das Bild des Geliebten immer mit sich herumtrage. [16] Daß ihr Zweck dahin gehe, sich in den geliebten Gegenstand zu verwandeln, scheint daraus zu folgen. [17]


Siebentes Kapitel.
Ideen einiger Philosophen, die zu keiner bestimmten Sekte gehören: Cicero und Plutarch.

Ich glaube den Cicero zu den griechischen Philosophen zählen zu können, da seine Bildung offenbar mehr griechisch als römisch gewesen ist. Er hat keiner Sekte besonders angehört, sondern dasjenige, was ihm das Beste schien, aus den Lehrsätzen Aller zusammengetragen. Wir haben von ihm eine kleine Abhandlung über die Freundschaft, worin das Wesen derselben gut gefaßt ist, und brauchbare, praktische Regeln gegeben werden. Er nähert sich den Grundsätzen des Aristoteles, oder auch der mittleren Akademie, und bestreitet die Stoiker und Epikureer. Das Leidenschaftliche in der Freundschaft, das er Amor nennt, will er aber daraus verbannt wissen.

Gattenzärtlichkeit betrachtete Cicero als ein liebendes Patronat: Geschlechtsliebe aber sah er als eine [262] Leidenschaft an, die auf Sinnlichkeit beruhe, und die der Weise fliehen müsse.

Plurarch gehört ebenfalls zu denjenigen moralischen Schriftstellern, die ihre Grundsätze aus mehreren Systemen zusammengeborgt haben. Inzwischen scheint er sich doch am mehrsten zu den späteren Platonikern hinzuneigen. Zu gleicher Zeit wird der Einfluß monarchisch römischer Ideen bey der Art, wie er über Liebe zu den Weibern urtheilt, sichtbar.

Der Vorzug dieser Liebe vor derjenigen zu den Jünglingen scheint zu seiner Zeit, (er lebte im ersten Jahrhunderte nach Christo,) einen ziemlich gewöhnlichen Stoff zu Redeübungen geliefert zu haben. In seinem Buche von der Liebe, wird ein Wettstreit über diese Materie dargestellt, wobey die Anhänger der einen und der andern Art von Liebe ihre Meinungen mit vielen Gründen unterstützen. Der Liebhaber der Lieblinge wirft seinem Gegner vor, daß bey der Liebe zu den Weibern bloße thierische Begierde nach Körperverbindung zum Grunde liege. Dagegen erwiedert dieser, die Liebe zu den Lieblingen beruhe ebenfalls auf einer solchen Begierde, sonst würde sie nicht Liebe genannt werden können. Sey sie aber damit verbunden, so sey sie auch höchst schändlich und unnatürlich. Der Schiedsmann sichert darauf der Gattenliebe ihre Rechte, und nennt die Ehe eine Verbindung, die mit dem göttlichen Geschenke der Freundschaft nicht unvereinbar sey, und deren Festigkeit auf wechselseitiger Achtung beruhe.

Bald lenkt sich das Gespräch auf die Würde des Amors. Es war der Liebe der Vorwurf gemacht, sie sey eine Art von Wahnsinn. Allein es wird [263] dagegen behauptet, die Schwärmerey der Liebenden sey eine Folge göttlicher Begeisterung. Bey dieser Gelegenheit werden Beyspiele großer Thaten angeführt, die sowohl für Lieblinge als Weiber unternommen sind. Darauf folgt eine Entwickelung der Platonischen Ideen über den Abglanz der Urschönheit an der körperlichen Schönheit des Jünglings sowohl als des Weibes. Sie wird durch folgende Allegorie anschaulicher gemacht. „Iris und Favonius haben den Amor gezeugt. Iris ist der Schein, der entsteht, wenn die Sonne auf eine nasse Wolke trifft. Wir glauben dann, etwas Wirkliches an dieser Wolke wahrzunehmen, was doch nur dem Schein nach an ihr befindlich ist. Eben so erscheint edel Liebenden die äußere Schönheit wie ein Abglanz der Urschönheit, und erweckt Erinnerungen an jenes göttliche Schöne, das eben so sehr Liebe als unsere Bewunderung verdient. Aber die mehrsten gleichen den Knaben, die nach dem Regenbogen greifen: sie verfolgen an Jünglingen und Weibern das Bild der Urschönheit, das sich an ihnen abspiegelt, und wissen doch nur eine Wollust zu nehmen, die mit Schmerz verknüpft ist.“

Dieß ist das erste mir bekannte Beyspiel, daß die Platonischen Ideen auf die Liebe zu Weibern angewandt sind.

Die Folge des Gesprächs wird die Achtung für dieß Geschlecht und die Ehe, aber zugleich eine Vermischung des Systems des Plato mit dem Epikureischen zeigen.

„Die Ursach der Liebe ist in gewissen Bildern zu suchen, die bald auf den Körper bald auf den Geist wirken, und in diesem Erinnerung an die Urschönheit erwecken. Beyde Wirkungen können sowohl durch Lieblinge als durch Weiber hervorgebracht werden, wenn [264] ein keuscher und bescheidener Charakter aus der Blüthe der Jugend und der Schönheit hervorleuchtet. So wie ein gut passender Schuh die Schönheit des bedeckten Fußes offenbart, so sehen diejenigen, die dafür Sinn haben, in einer edeln Gestalt Spuren einer edeln Seele.“ – Diese Idee ist ein Zusatz der spätern platonischen Schule, den wir aber hier zum ersten Mahle auf das Weib angewandt finden.

Weiter: „Wenn Jemand auf die Frage: ob er Weiber oder Jünglinge vorzöge? die Antwort geben wollte: Beyde könnten ihn reitzen; so würde er seinen natürlichen Begierden gemäß sprechen. Aber eben dieß könnte auch der edle Liebhaber sagen. So wie die Liebhaber von Pferden und Hunden keinen Unterschied zwischen beyden Geschlechtern machen; so wird derjenige, der die Schönheit und Menschen liebt, nur einen Unterschied in der Bekleidung zwischen ihnen finden. Man behauptet: Schönheit sey die Blüthe der Tugend. Ist es denn nicht widersinnig, zu behaupten: die Weiber blühen nicht, und zeigen dadurch keine Anlage zur Tugend? Sieht man ihnen doch lasterhafte Neigungen an!“

Plutarch geht noch weiter: Er hält die edle Liebe, die Plato lehrte, mit der Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie in der Verbindung mit Weibern vereinbar. „Wer wird es ertragen, sagt er, daß bey den vielen edlen Thaten, die bey uns und bey den Barbaren von Weibern ausgeführt sind, die Venus geschmäht, und behauptet werde, sie könne mit Amor verbunden nicht zur Freundschaft werden!“ Er fährt fort, viel zum Lobe der Ehe, und viel gegen die Liebe zu den Lieblingen zu sagen. In der ersten, behauptet er, gehe die Leidenschaft nach und nach in ruhige Zärtlichkeit [265] über. Man habe viele Beyspiele von beständiger Liebe unter Ehegatten, wenige von einer solchen Liebe unter Lieblingen.

Eben dieser Philosoph hat uns in einem andern Aufsatze Ehstandsvorschriften geliefert, die eben diesen Geist der Achtung für das Frauenzimmer athmen, und voll von praktischer Lebensweisheit sind. Inzwischen sieht er doch das Verhältniß des Mannes zur Frau noch immer wie ein Patronat und Clientelarverhältniß an. Er verlangt große Eingezogenheit von der Gattin, große Achtung für den Mann, aber auch von Seiten des letzten liebreiche Behandlung. Er wünscht, daß die[WS 4] Frau selbst gelehrte Kenntnisse aus der Belehrung des Mannes schöpfe, und sich dadurch über die Sucht nach unnützem Zeitvertreib, und über Vorurtheile erhebe.

Endlich hat Plutarch über die Tugenden der Weiber geschrieben, und die Meinung des Thucydides, daß diejenige Frau die beste sey, von der man am wenigsten außer Hause höre, bestritten. Er sucht den Satz, daß die Weiber zu öffentlichen Tugenden geschickt sind, durch eine Menge von Beyspielen zu beweisen, nach denen sie durch ihren Muth, durch ihre Standhaftigkeit und Treue zum Wohl des Staats unmittelbar beygetragen haben.

[266]
Achtes Kapitel.
Denkungsart des Terenz über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Ich komme zu den Schriftstellern, die mehr für Unterhaltung als für Belehrung geschrieben haben.

Unter den Werken der Einbildungskraft, welche diesen Zweck hatten, hat sich die neuere Komödie wahrscheinlich am genauesten an die Schilderung wirklicher Sitten der Zeitgenossen gehalten: und da sie sich nach dem Verfall der Republik auf Darstellung häuslicher Scenen einschränkte, so würden wir gewiß die sichersten Data über den Gegenstand meiner Untersuchungen aus ihr schöpfen können, wenn uns nur mehr von ihr übrig geblieben wäre.

Inzwischen kann uns Terenz doch immer Vieles in den Sitten von Athen, nach dem Verlust der Selbständigkeit dieser Republik, aufklären. Von den sechs Stücken, die wir von ihm übrig behalten haben, sind viere nach dem Menander, zwey nach dem Apollodor bearbeitet: Schriftsteller, die Beyde in diese Periode fallen.

Wer den Terenz mit Aufmerksamkeit liest, muß den Glauben an eine ausgezeichnete Achtung, deren die Hetären in Athen genossen haben sollten, völlig fahren lassen.

In der Andria kommt ein Vater vor, der seinen Sohn darüber lobt, daß er sich mit den Hetären nicht abgiebt: ein Vetter einer solchen berüchtigten Person, der es sehr bedauert, daß seine Anverwandtin sich nicht lieber ehrlich und kümmerlich in ihrem Vaterlande habe [267] ernähren, als in Athen mit einem so unanständigen Gewerbe Reichthümer habe erwerben wollen: endlich ein anderer Vater, der seine Tochter einem jungen Manne um seiner guten, von aller Verbindung mit Hetären freyen Aufführung willen geben will, und sein Wort zurücknimmt, sobald er von einer solchen Verbindung seines künftigen Eydams hört. Es läßt sich schwer begreifen, wie man über dieß Alles so viel Aufhebens würde haben machen können, wenn die Hetäre die Billigung der guten Sitte auf ihrer Seite gehabt hätte.

Wie edel, wie zärtlich erscheint dagegen in eben dieser Andria die Liebe des Pamphilus zu der Bürgerin Glycera! Pflicht, Freundschaft, und Liebe binden ihn an diejenige, die sein Herz gewählt hat, und nichts als der Tod soll ihn von ihr scheiden! Er hat sie – das ist sein Ausdruck – von ganzer Seele wie seine Gattin geliebt. Sie ist keusch und gut erzogen: sie hat ihm ihre Person nur mit ihrem Herzen überlassen, und die Dürftigkeit, die ihrer nach seiner Entfernung wartet, soll sie zu keiner unwürdigen Lebensart verführen!

Man lernt aus dem Terenz drey verschiedene Arten von Hetären kennen. Einige hielten eigen Haus von den Geschenken, die ihnen von den Besuchenden gebracht wurden. Sie waren zu gleicher Zeit Unterhändlerinnen verliebter Abentheuer, und suchten sich durch die Protektion angesehener[WS 5] Häuser Duldung zu verschaffen. So erscheint Thais im Eunuch.

Eine andere Art hing sich an einen Einzigen, und ließ sich von diesem unterhalten. So werden die Hetären im Heavtontimorumenos dargestellt.

Endlich gab es eine dritte Art Mädchen, die in Häuser gingen, wohin sie bestellt wurden. Die Sklavinnen, [268] die ein Kuppler hielt, waren von jenen drey andern Arten von Freudenmädchen, die alle frey gewesen zu seyn scheinen, noch verschieden.

Aber alle werden in keinem sehr vortheilhaften Lichte, in Vergleichung mit der Matrone und dem Mädchen, das Bürgerin ist, dargestellt. Eine gewisse Gutherzigkeit, verbunden mit kluger Einsicht ihres Vortheils, macht ihr höchstes Verdienst aus.

Parmenon im Eunuch giebt von der ganzen Gattung kein schönes Bild: „Wenn sie außer Hause erscheinen, sagt er, so sehen sie so reinlich, so geschmackvoll, so sorgsam gekleidet und geschmückt als möglich aus. Speisen sie mit ihren Liebhabern, so stellen sie sich äußerst lecker an. Aber man muß sie daheim sehen, um ihren Schmutz, ihre Armseligkeit und ihr schamloses Wesen kennen zu lernen. Wie sie da das schwarze Brot aus der Brühe des vorigen Tages schlingen! Wahrlich! kein beßres Warnungsmittel für junge Männer, als mit dem Allen früh bekannt zu werden!“

Im Heavtontimorumenos wird das eingezogen lebende Mädchen, das sein Brot mit Handarbeiten verdient, der reichen verschwenderischen Hetäre zur Beschämung gegenüber gestellt. Diese fühlt selbst den höheren Grad von Achtung den jenes verdient, und den Werth einer Verbindung, die unter Zustimmung der Herzen auf beständig geschlossen wird.

Die freye Bürgerin und die Matrone genießen ein großes Ansehn beym Terenz. Freylich kommt in dem Heavtontimorumenos eine Sostrata vor, der von ihrem Gatten ziemlich hart begegnet wird. Aber dieser ist ein überkluger Mensch, der alle andere übersehen will, ob er gleich in seinen eigenen Sachen blind ist. Dennoch [269] spricht die Frau ihr Wort mit, giebt Rath, und hat eine Stimme bey der Wahl eines Weibes für ihren Sohn.

Im Phormio spielt Nausistrata, die Gattin des Chremes, die Rolle einer Maitresse femme. Merkwürdig ist es, daß der Parasit Phormio sich als den guten Freund des Hauses ankündigt, daß Nausistrata verspricht, ihm in Allem, worin sie kann, nützlich zu seyn, daß er sich bey ihr zu Gast bittet, und daß sie, ohne den Mann zu fragen, ihn zur Tafel einladet.

In der Hecyra antwortet Sostrata auf die Vorwürfe ihres Gatten: „Es ist die größte Ungerechtigkeit, wenn die Männer unser ganzes Geschlecht auf einerley Art beurtheilen, weil es einige schlechte Weiber giebt.“ Laches gesteht dieß selbst ein: „Kann man mehr Vollkommenheit von den Weibern als von den Männern fordern, ruft er aus; sind wir denn selbst ohne Fehler?“

Ueberall findet man Spuren wahrer Zärtlichkeit in der Ehe, und den festgesetzten Begriff der Verbindlichkeit des Gatten zur Treue, oder wenigstens zur Verheimlichung seiner Liebschaften.

Es ist schändlich, sagt Demea in den Adelphen, die Buhlerin mit der Frau in einem Hause zu vereinigen.“ Nausistrata in dem Phormio will durchaus ihren Mann verlassen, weil er eine Tochter in einer Winkelheirath gezeugt hat, und dieser fühlt selbst, daß er nicht Recht daran gethan habe, und höchstens nur Nachsicht verdiene.

In der Andria, im Eunuch, in den Adelphen, im Phormio, in der Hecyra kommen theils leidenschaftlich verliebte Liebhaber, theils eben so leidenschaftlich verliebte und zärtliche Ehemänner vor. In dem letzten [270] Stücke erscheint sogar ein Gatte, der einen vermeinten Fehltritt seiner Gattin, so weit es mit seiner Ehre bestehen kann, zu verbergen bereit ist.

Merkwürdig bleibt der leichte Triumpf, den die Liebhaber über die Unschuld freygeborner Mädchen, Töchter von Bürgern, davon tragen, wovon sich sowohl in dem Eunuch als in den Adelphen Beyspiele zeigen. Sie deuten auf den geringen Begriff hin, den die Alten von der Gewalt des Weibes hatten, über seine Sinnlichkeit zu wachen, und den Angriffen auf seine Ehre durch sich selbst zu widerstehen.


Neuntes Kapitel.
Denkungsart des Plautus über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Ich bin sehr zweifelhaft darüber, ob die Denkungsart, die ich in den Schauspielen des Plautus über die Materie finde, die mich beschäftigt, herrschende gute Sitte unter den Römern oder unter den Griechen war. Es kommen viele Stellen bey ihm vor, welche auf Gebräuche hindeuten, die wir um so eher für römisch halten, weil wir bestimmt wissen, daß sie in Rom beobachtet wurden, und zu wenig von Griechenland wissen, um behaupten zu können, daß sie dort nicht ebenwohl eingeführt gewesen seyn können.

Dagegen aber ist die Scene beynahe in allen Schauspielen nach Griechenland, und besonders nach Athen verlegt. Hin und wieder muß der Autor sogar den [271] Anstoß zu heben suchen, den der römische Zuschauer an gewissen Sitten nehmen könnte, die mit den seinigen im Widerspruche stehen. Gebe ich daher gern zu, daß Plautus seinen griechischen Vorbildern auf eine freyere, mehr genialische Art nachgeahmt habe, als Terenz; so bleibt es mir doch immer höchst wahrscheinlich, daß er einen griechischen Stoff in den mehrsten seiner Schauspiele bearbeitet, und hauptsächlich griechische Sitten dargestellt habe.

Wir finden nun beym Plautus den Begriff der Liebe, als einer Neigung, sich selbst zu vergessen, und sich für das Wohl des Andern aufzuopfern, bereits fest gegründet.

In dem Schauspiele Cistellaria kommt ein freygebornes, äußerst liebendes Mädchen vor. Silenium, so heißt die Person, glaubt sich von ihrem Geliebten Alcesimarchus betrogen, der eine Andere heirathen soll. Demungeachtet widersteht sie dem Verlangen ihrer Mutter, ihm die Thüre zu weisen. Sie sagt vielmehr ihrer Freundin beym Abgehen: Sollte in meiner Abwesenheit Alcesimarchus kommen, o so schelte ihn nicht! Denn so wenig er es auch um mich verdient hat, so ist er mir doch theuer: so will ich ihn doch im Geheimen lieben. Drum sag ihm nichts, was ihn kränken könnte!“

In dem Amphytruo werden der Alcmena wirklich hohe Empfindungen der Liebe beygelegt. Ihr Gemahl hat sie nach einem kurzen Besuche wieder verlassen, um zur Armee zurückzukehren. „Jetzt bin ich wieder so allein, ruft sie aus, da derjenige entfernt ist, den ich über Alles liebe! Der Schmerz über seine Abreise überwiegt die Freude über seine Ankunft! [272] Aber mein Trost ist, daß er die Rebellen überwinden, und als Sieger nach Hause kehren wird. Laß ihn entfernt seyn! Er kommt zurück mit Ruhm beladen! Standhaft will ich seine Abwesenheit ertragen, wenn mir nur die Belohnung wird, daß mein Gatte sich im Kriege als Sieger auszeichne. Bravheit (Virtus,) ist das höchste Gut. Freyheit, Leben, Vermögen, Eltern, Vaterland und Kinder werden durch sie beschützt u. s. w.

Allein nicht bloß die Weiber erscheinen liebend beym Plautus, sondern auch die Männer. In dem eben angeführten Schauspiele hält Amphytruo seine Frau für untreu. Mitten in der Qual der Eifersucht wird ihm ihre glückliche Niederkunft gemeldet. „Ach! es freuet mich, ruft er aus: so wenig sie es auch um mich verdient hat!“ Eben so liebend sagt Argyrippus in der Asinaria zu der geliebten Philenium: „ich möchte von meinem Leben nehmen, und es zu dem deinigen zulegen!“

Außer diesen Spuren eines Begriffs wahrer Liebe finden sich beym Plautus andere von einer verfeinerten Geschlechtssympathie: von einem Genusse, der aus dem Umgange mit dem zärteren Geschlechte gezogen wurde, der eine gewisse Zartheit und Fülle der Empfindungen, so wie eine schmückende Phantasie voraussetzt. Ich beziehe mich zum Beweise auf den Brief, den Phönicium an den Kalidorus in dem Schauspiele Psevdolus schreibt, und worin sie ihm die süßesten Bilder einer Ueppigkeit zurückruft, die sowohl dem Körper als der Seele gehört. Dagegen erscheint an andern Stellen die Geschlechtssympathie in aller ihrer Rohheit und Ausgelassenheit. Doch [273] habe ich nur selten Spuren einer Bekanntschaft mit der Neigung zu Lieblingen gefunden. Im Curculio kommt eine solche vor, wo aber zugleich mit Mißbilligung davon als von etwas Verbotenem gesprochen wird.

Die Meretrices, die Hetären, werden beynahe alle als eigennützig, unzuverlässig, ausschweifend in ihrer Prachtliebe, und zügellos in ihren Sitten dargestellt. Mit den stärksten Farben werden sie im Truculentus gemahlt. Nur in der Mostellaria kommt eine Philematium vor, die mit Treue und Uneigennützigkeit an ihrem Liebhaber hängt. Sie liebt Wahrheit, hält auf ihren Ruf, schmückt sich nur für ihren Geliebten, und kennt keinen andern Willen als den seinigen.

Auch im Pönulus kommt eine gutgesinnte Hetäre vor, aber sie ist eine Freygeborne.

Die Matronen, die Bürgerinnen, werden beym Plautus sehr achtungswerth vorgestellt. Freylich geben sie ihm auch zuweilen Gelegenheit zur Satyre. Er wirft ihnen ihre Schwatzhaftigkeit, und den reicheren, Herrschsucht und Prachtliebe vor. Aber im Ganzen sucht er doch immer die freygeborne Bürgerin der Sklavin und der Hetäre entgegen zu stellen, und jene ins Schöne zu heben. Wie er über die Vorzüge einer guten Hausfrau und die Pflichten der Gattin dachte, zeigt besonders folgende Stelle im Stychus, die zugleich einen hohen Begriff von Sittlichkeit in sich faßt.

Zwey Schwestern haben Männer geheirathet, die arm sind, und eine Reise übers Meer angetreten haben, um ihre Umstände zu verbessern. Die beyden [274] Gattinnen leben auf Kosten des geitzigen Vaters. Da diese Lage nicht angenehm ist, und die Männer lange ausbleiben, so beklagt sich die eine Schwester darüber gegen die andere. „Wie, sagt diese, kann es dich schmerzen, daß sie ihre Pflicht nicht erfüllen, so lange du der deinigen getreu bist? Daß ich nie wieder dergleichen von dir höre! Der Weise muß seine Pflicht erfüllen, unbekümmert, ob der Andere sie gegen ihn erfülle.“ Die Schwester gesteht es ein: „Glaube nicht, spricht sie, daß ich meines Mannes vergessen konnte!“

In einer andern Scene fragt der Vater die Tochter: wie eine gute Frau gesinnt seyn müsse. „So, antwortet diese, daß, wenn sie durch die Straßen wandelt, sie jedem Spötter den Mund verschließe.“ „Woran, fragt der Vater, erkennt man am leichtesten die gutgeartete Frau?“ „Daran, antwortet die andere Tochter, daß sie bey völliger Gewalt, Uebels zu thun, sich zu beherrschen weiß, und es unterläßt.“ – „Woran erkennt man die weiseste?“ – „Daran, daß sie im Glück sich selbst nicht vergißt, und ihr Unglück mit Gleichmüthigkeit erträgt!“ – Der Vater dringt in der Folge noch in die Töchter, daß sie ihre Männer verlassen sollen. „Wie, ruft er aus, ich sollte dulden, daß ihr bey meinem Leben an Bettler verheirathet wäret?“ Allein die eine Tochter antwortet ihm: Dieser Bettler gefällt mir, wie der Königin ihr König. Ich liebte ihn, wie er reich war; auch arm werd’ ich ihn lieben!“

[275]
Zehntes Kapitel.
Denkungsart des Theokrit, Bion und Moschus über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die eigentlichen Hirtengedichte des Theokrit beweisen nichts über die Denkungsart seiner Zeitgenossen. Der Dichter hat sich in eine frühere Welt, und in einen andern Stand hineingedacht, als diejenigen waren, in denen er lebte. Er wollte die Einfalt der rohen Natur schildern: die Liebe erscheint bey ihm gemeiniglich mit aller Heftigkeit, aber auch mit allem Schmutze einer bloß sinnlichen Leidenschaft. Zuweilen vergißt er den angenommenen Charakter. Polyphem, der seiner Geliebten die Hand küssen will, gehört an den Hof zu Alexandrien.

Wichtiger zu meinem Zwecke sind die Gelegenheitsgedichte des Theokrit. In der funfzehnten Idylle [18] beschreibt er das Begräbniß des Adonis, das von Arsinoe, der Tochter der Berenice, in Alexandrien gefeyert wurde. Fremde Griechinnen erschienen dabey: eine Dichterin hielt einen Lobgesang, worin zugleich Vieles zum Ruhme der Arsinoe gesagt wurde. Es war also schon Mode, daß die Hofpoeten den Fürstinnen öffentlich ihre Huldigungen darbrachten.

In der siebzehnten Idylle findet sich das Lob der Berenice. Die wechselseitige Liebe zwischen ihr und dem Ptolomäus wird gepriesen, und sie selbst wird vergöttert. Nach der acht und zwanzigsten Idylle sendet Theokrit der Theogenis, Gattin seines Arztes Nicias, [276] einen Spinnrocken zum Geschenke, und nennt sich dabey ihren Freund. Ein Beweis der immer wachsenden geselligen Freyheit unter beyden Geschlechtern in einer Residenz und Handelsstadt, wie Alexandrien war.

Dem Theokrit wird ein Epigramm auf eine Statue der himmlischen Venus zugeschrieben, welche eine Gattin in dem Hause ihres Mannes zum Dank für ihr häusliches Glück aufstellte. „Sie hatte, heißt es darin, Kinder und Leben mit ihm gemein, und mit jedem Jahre mehrte sich ihre Zufriedenheit unter dem Einfluß der Göttin!“

Bion und Moschus sind eben so wie Theokrit zu beurtheilen. Alle drey verwechseln in ihren Hirtengedichten leidenschaftliche Begierde mit Liebe. Noch findet man bey ihnen Anspielungen auf die ausgelassene Liebe zu den Lieblingen. Aber man trifft auch deutliche Spuren des Werthes an, der auf Gattenliebe gesetzt wurde, und der anerkannten Abhängigkeit von dem geliebten Weibe. In dem lieblichen Gespräche, das sowohl dem Theokrit als dem Moschus beygelegt wird, sagt das Mädchen: „In der Ehe herrschen Beschwerden.“ Der Liebhaber antwortet: „Hymen, Stifter der Freuden, giebt weder Verdruß noch Gram.“ – „Aber man behauptet, erwiedert das Mädchen, das Weib sey des Mannes Sklavin.“ – „Sag lieber, seine Gebieterin, versetzt jener. Wann lernten die Schönen gehorchen?“

[277]
Eilftes Kapitel.
Von den verliebten Elegien und den Heroiden der Griechen.

Schon Solon soll Elegien verfertigt haben, und ich wage es nicht zu behaupten, daß das Versmaß, das diesen Gedichten eigen ist, zuerst nach dem Verfall der griechischen Republik aufgekommen sey. Inzwischen scheint mir das Wesen dieser Dichtungsart mehr in die Zeiten der unterdrückten Freyheit zu gehören. Es ist der Stimmung eines Volkes angemessen, das mehr in sich, als außer sich wirkt, und seine Aufmerksamkeit mehr auf das Privatleben als auf das öffentliche richtet.

Ich will inzwischen diese Hypothese nicht weiter verfolgen. Ich mag auch nicht behaupten, daß nicht schon früher verliebte Elegien verfertigt seyn sollten. Aber daß die Begebenheiten einer Intrigue mit einem Weibe den Stoff zu Gedichten hergegeben habe, welche den Ausdruck leidender, hinschmelzender, üppiger Empfindungen zu ihrem Hauptgegenstande machen, darüber finden wir bey den Griechen vor der Zeit des Flors ihrer Litteratur in Alexandrien keine Spur.

Ich halte mich zu der Behauptung berechtigt, daß die Athenienser zu den Zeiten des Flors ihrer Republik solche übertriebene Lobeserhebungen, solch eine wichtige Behandlung kleiner Vorfälle, solch eine Unterwürfigkeit unter den Willen des geliebten Weibes, solche hinschmachtende Klagen, und dabey einen solchen Witz im Ausdrucke, wie wir sie in der Elegie des Callimachus auf Berenicens Haarlocke, in einigen Idyllen des Theokrit, und in den Nachahmungen des Properz antreffen, [278] entweder lächerlich gefunden, oder mit wenig Interesse angehört haben würden.

Die verliebte Elegie ist höchst wahrscheinlich das Produkt der Residenz und Handelsstadt Alexandrien. Hier mußte die Intrigue, das dauernde Liebesverständniß unter nicht verheiratheten Personen entstehen, weil hier ein Hof war, weil hier wenig öffentliche Thätigkeit dagegen viel geselliges Verkehr, und viel Luxus herrschte: weil endlich hier das Ueberspannte und Gernwitzige im Geschmack des Volks war.

Die Heroide ist wahrscheinlich hier gleichfalls zuerst versucht worden. Im Grunde liegen bey Beyden Liebesbriefe und verliebte Selbstgespräche unter, deren sich der ästhetische Sinn, und die Phantasie bemeistern, um schöne Kunstwerke der Poesie daraus zu schaffen. Erhebt sich der Schwung der Empfindungen und der Ausdruck nicht zu sehr über die Situationen und die Sprache des gemeinen Lebens, so sind diese Kunstwerke Elegien. Der Ausbruch verliebter Gefühle bey ausgezeichneten Personen unter ungewöhnlichen Lagen giebt der Heroide den Charakter.

Eine vollständige Entwickelung dieser Dichtungsarten läßt sich zwar aus griechischen Denkmählern nicht liefern; aber ihr Daseyn ist außer Zweifel. Ich behalte mir vor, über die Natur verliebter Elegien und Heroiden das Nähere bey der Geschichte der Liebe unter den Römern vorzubringen.

[279]
Zwölftes Kapitel.
Gebrauch, den die Prosaisten, welche zur Unterhaltung schrieben, von Geschlechtsverbindung und Liebe gemacht haben: Lucian und Apulejus.

Es ist ein Beweis des wachsenden Interesses an der Frauenliebe, wenn man ihre Darstellung nicht bloß in Gedichten hören, sondern auch in Prosa zur Unterhaltung lesen will. Diese Erscheinung zeigt sich gleichfalls in der Periode, von der ich spreche: aber späterhin, im zweyten Jahrhunderte nach Christi Geburt, als die Griechen keine guten Dichter mehr hatten.

Wir haben vom Lucian einen ähnlichen Wettstreit mit demjenigen, den uns Plutarch über den Vorzug der Liebe zu den Weibern vor der zu den Lieblingen geliefert hat. Der Aufsatz ist aber nicht in philosophischer Absicht zur Untersuchung und Belehrung, sondern zur Unterhaltung geschrieben. Das Gespräch ist ein prosaisches schönes Kunstwerk, eine rhetorische Uebung, keine Abhandlung.

Nichts Feurigers läßt sich denken als die Lobrede des Liebhabers der Lieblinge:

„O daß die Götter mir ein Leben schenkten, in dem ich, ungetrennt von meinem Geliebten, ihm stets gegenüber sitzen, ununterbrochen den Klang seiner süßen Stimme hören könnte! Ihn durch ein kummerloses Leben durch bis in das späteste Alter zu begleiten, das ist der heißeste Wunsch meiner Seele. Aber selten wird ein so ungestörtes Glück dem Menschen gewährt! Nun! daß ich dann mit ihm den aufgebrachten Wogen des Meers im rauhen Winter trotzen könnte! Wenn Tyrannen [280] ihn in Fesseln legten, so würd’ ich mich mit Freuden mit ihm in harte Bande schmieden lassen! Seine Freunde sollten meine Freunde, seine Feinde die meinigen seyn. Mit unerschrockenem Muthe würd’ ich jede Gefahr mit ihm theilen, und sollte er sein Leben verlieren, so würde mir das meinige unerträglich seyn. Ich würde dann denen, die ich am mehrsten geliebt hätte, diese meine letzten Wünsche, diese meine letzten Befehle hinterlassen: ein gemeinschaftliches Grab umschließe uns Beyde, damit selbst nach der Verwesung der empfindungslose Staub sich vermische!“ –

Obgleich ein gewisser Schleyer über den letzten Zweck dieser Liebe geworfen wird, so läßt doch der Zusammenhang des Ganzen keinen Zweifel übrig, daß körperliche Triebe bey dem Enthusiasmus des Lobredners mitwirken. Lucian scheint die Sache aus eben dem Gesichtspunkte zu betrachten, und sogar anzudeuten, daß nur Unerfahrne sich durch die schönen Worte von Tugend und reiner Liebe täuschen ließen. Ueberhaupt ist diese philosophische Neigung des Sokrates und seiner Schüler an mehreren Stellen bey unserm Autor ein Gegenstand seines Spottes. [19]

Wie konnte dieß anders seyn? Die Liebe zu den Lieblingen hatte den Werth und die Entschuldigung einer republikanischen Leidenschaft verloren. Wie unbefriedigend sind die Gründe, mit denen der Lobredner dieser Liebe beym Lucian, den Vorzug der Knaben vor gebildeten Weibern vertheidigt! Wie muß er den Auswurf des weicheren Geschlechts hervorsuchen, um ihn [281] den ausgezeichnetsten Jünglingen entgegenzustellen, und diese letzten durch den Kontrast zu heben! Nur die Kunst ist zu loben, mit der Lucian eine schlechte Sache vertheidigt!

Eben dieser Schriftsteller hat uns einige Dialogen hinterlassen, worin er die Sitten der Hetären schildert. Es sind Redeübungen, wozu der Stoff aus den ältern Komikern hergenommen ist. Es bleibt daher zweifelhaft, ob sie auf die Sitten der Zeitgenossen des Verfassers passen. So viel aber ist gewiß, daß sie Buhlerinnen von sehr gemeinem Schlage darstellen.

Wir haben außerdem von ihm ein sehr merkwürdiges Denkmahl der immer wachsenden Adulation für das weibliche Geschlecht: Das Portrait einer Dame von Stande, worin alle physischen und moralischen Vollkommenheiten aufgezählt sind, die sich an einem Weibe vereinigt denken lassen. Es hat unzählige Nachfolger erzeugt; vielleicht aber ist dieß das erste Beyspiel jener frostigen und faden Galanterie, die zuerst an Höfen, und nachher auch in der größern Gesellschaft, dem schönen Geschlechte durch übertriebene Schmeicheleyen zu huldigen gesucht hat. Sollte dieß Portrait eine Satyre seyn, so würde diese eine damahls eingerissene, den frühern Griechen aber gewiß unbekannte Sitte beweisen.

Endlich haben wir aus diesen Zeiten ein Mährchen, zu dem die Liebe den Stoff hergegeben hat: Psyche, vom Apulejus lateinisch geschrieben, aber gewiß aus dem Griechischen entlehnt.

Wahrscheinlich hat eine Pantomime aus den früheren Zeiten zur Grundlage gedient: denn beynahe alle Situationen sind mahlerisch, und lassen sich durch [282] den mimischen Ausdruck darstellen. Ob diese Pantomime einen Theil der Mysterien ausgemacht habe, kann ich nicht entscheiden.

Man sucht in dieser Geschichte eine Allegorie von der Seelenliebe, die durch körperliche Lüsternheit erniedrigt wird, und sich Qualen und Schmerzen aussetzt. Ich kann sie nach wiederhohlter Durchlesung nicht darin finden.

Hat das Mährchen wirklich eine moralische Tendenz, so ist es die, den Vorwitz zu bestrafen, und den Genuß des Gegenwärtigen ohne Bekümmerniß um die verborgenen Gründe unsers Glücks zu empfehlen.

Genug! so wie die rednerische Komposition da vorliegt, ist sie ein Meisterstück der Erfindung, das bey einer reineren Diktion ein vollkommenes Werk der schönen Kunst seyn würde. Uns wird sie darum hauptsächlich wichtig, weil die zarte Weiblichkeit der Psyche, (wenn ich die Rache an den Schwestern ausnehme,) so schön darin dargestellt wird, und weil die eheliche Liebe des Amors für seine Gattin die feinsten Empfindungen wahrer Zärtlichkeit verräth.

Gegen das Ende dieser Periode ist endlich auch der erste Roman, von dem wir Nachricht haben, verfertigt worden. Ich werde aber, um den Zusammenhang nicht zu unterbrechen, im achtzehnten Buche ausführlicher davon reden.



  1. Questiones Tusculanae Libr. IV.
  2. Quaest. Tusc. Libr. IV. Stoici vero et sapientem amaturum esse dicunt, et amorem ipsum, conatum amicitiae faciundae ex pulchritudinis specie definiunt.
  3. Epist. 34.
  4. Epist. 55.
  5. Ib. 63. – Das Buch de tranquillitate animi liefert darüber noch mehrere Beweise.
  6. Epist. 104.
  7. In Excerptis.
  8. Quaest. Tusc. Libr. IV.
  9. Lucretius de rerum natura. Lib. IV. vers. 1024. seqq.
  10. Simulacra – nuncia praeclari vultus, pulchrique coloris.
  11. V. 1046. seqq.
  12. De moribus libr. VIII. et IX. und Eudemiorum libr. VII.
  13. Libr. III. cap. 4.
  14. De Moribus et Eudemiorum[WS 3] l. c.
  15. Lib. I. p. 583.
  16. Rhetoric. Lib. I. p. 686.
  17. Diesen letzten Satz legt ihm Niphus in libro de pulcro et amore ausdrücklich bey, und beruft sich dabey auf Ethicorum libro X. wo ich aber die Beweisstelle nicht habe finden können.
  18. Edition von Harles.
  19. In seinem Dialog über die Liebe in der Versteigerung der Philosophen, u. s. w.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unnenbaren
  2. Vorlage: der Satz fehlt (siehe Verbesserungen)
  3. Vorlage: Endemiorum (siehe Verbesserungen)
  4. Vorlage: die die
  5. Vorlage: angesessener (siehe Verbesserungen)