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Wasserbau (1914)

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Textdaten
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Autor: Theodor Rehbock
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Titel: Die technischen Wissenschaften / Wasserbau
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Zehntes Buch, S. 352–360
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1496]
III. Wasserbau
Von Th. Rehbock, Oberbaurat und Professor a. d. Gr. Technischen Hochschule Fridericiana zu Karlsruhe


Die wirtschaftliche Erstarkung des Deutschen Reiches seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II., die schnelle Zunahme der Bevölkerung, das Aufblühen der Industrie und das Zusammenströmen großer Menschenmengen auf engbegrenztem Raum in Städten und an den Lagerstätten von Kohlen und Eisen haben das Bedürfnis nach einer fortgeschrittenen Wasserwirtschaft, nach verbesserten Binnenwasserstraßen und nach erhöhter Seegeltung in früher ungeahntem Umfang gesteigert und dadurch dem deutschen Wasserbau große und dankbare Aufgaben gestellt.

Diese Aufgaben fanden, da bei dem schnell wachsenden Wohlstand des deutschen Volkes die erforderlichen Mittel meist ausreichend zur Verfügung standen und es auch an tüchtigen Ingenieuren nicht fehlte, fast durchweg sachgemäße und zweckdienliche Lösungen, die vielfach auch im Ausland Beachtung und Anerkennung, häufig auch Nachahmung gefunden haben.

Mögen auch die größeren Stromgebiete und die reicheren natürlichen Hilfsmittel einiger überseeischer Länder dem ausländischen Wasserbau vereinzelt noch größere Aufgaben gestellt haben, mag der deutsche Ingenieur auch voll Bewunderung auf die Kühnheit schauen, mit der seine ausländischen Fachgenossen staunenswerte Werke der Wasserbaukunst geschaffen haben, bei der zielbewußten und umfassenden Entwicklung seiner Wasserwirtschaft hat Deutschland in den letzten 25 Jahren hinter keinem anderen Staat zurückgestanden.

Ströme.

Die deutschen Ströme, denen meist schon vorher ein einheitliches, mit befestigten Ufern versehenes, für die Aufnahme der mittleren bzw. hohen Wasserführungen berechnetes Bett gegeben war, sind weiter ausgebaut worden. Die Herstellung einer festliegenden, den Niederwasserabfluß zweckmäßig zusammenfassenden Kleinwasserrinne, welche der Schiffahrt auch bei niedrigen Wasserführungen eine möglichst vorteilhafte Fahrstraße bieten soll, wurde auf einzelnen Stromstrecken durchgeführt. In einheitlicher Weise und mit bestem Erfolg ist eine solche Niederwasserregulierung von größerer Ausdehnung an der Oberrheinstrecke Straßburg–Sondernheim in den letzten Jahren nach den Plänen Honsells zur Ausführung gelangt. Wo das Mittel der Regulierung wegen ungenügendem Abfluß für die Schaffung einer leistungsfähigen Wasserstraße nicht ausreichte, wurde durch den Einbau von Wehren zur Kanalisierung oder zur Anlage von Seitenkanälen geschritten. Auch mit der Verbesserung der Schiffbarkeit der Flüsse durch Vermehrung des Niederwasserabflusses mit in Zeiten des Überflusses aufgestautem Wasser wurde ein Anfang gemacht. Das zu diesem Zweck im Stromgebiet der Weser erbaute Staubecken bei Waldeck, das seiner Vollendung entgegengeht, wird mit einem Fassungsraum von 202 Mill. cbm der größte künstliche Stausee Europas werden.

[1497]

Kanäle.

Durch die Erweiterung bestehender und die Anlage neuer Binnenkanäle ist die Verbindung der deutschen Ströme untereinander verbessert worden, so daß nach Vollendung der im Bau begriffenen Kanäle und nach Ausführung des noch nicht bewilligten Kanals von Hannover zur Elbe, sowie nach Ausbau des Rheins als Schifffahrtsstraße bis zum Bodensee und nach Herstellung eines Großschiffahrtsweges vom Rhein zur Donau ein zusammenhängendes Binnenwasserstraßennetz geschaffen sein wird, wie es in gleicher Ausdehnung und Leistungsfähigkeit kein anderer europäischer Staat besitzt.

Binnenverkehr.

Die letzten 25 Jahren etwa auf das Fünffache angewachsene Verkehrsleistung der deutschen Binnenwasserstraßen, die heute über 20 Milliarden Tonnenkilometer beträgt und damit auf etwa den vierten Teil des gesamten deutschen, binnenländischen Güterverkehrs angewachsen ist, dürfte nach Einfügung der genannten wichtigen Schlußglieder in das deutsche Wasserstraßennetz noch einer wesentlichen Steigerung fähig sein.

Binnenhäfen.

In Verbindung mit dem fortschreitenden Ausbau und der Verkehrszunahme des deutschen Binnenwasserstraßennetzes hat auch die Leistungsfähigkeit der deutschen Binnenhäfen eine wesentliche Steigerung erfahren. Durch Erweiterung von bestehenden und durch die Erbauung zahlreicher neuer Häfen konnte den gesteigerten Anforderungen des Lösch- und Ladeverkehrs in ausreichender Weise entsprochen werden, so daß die Abfertigung des auf etwa 150 Millionen Tonnen angewachsenen Hafenverkehrs der deutschen Binnenwasserstraßen keine Schwierigkeiten bereitet.

Die an der Mündung der Ruhr in den Rhein entstandene Duisburg-Ruhrorter Hafengruppe ist mit einer Güterbewegung von 23 Millionen Tonnen (im Jahr 1912) die verkehrsreichste des gesamten europäischen Binnenwasserstraßennetzes geworden.

Anlagen für überseeischen Verkehr.

Eine gleich schnelle Entwicklung, wie die binnenländischen Wasserstraßen, zeigen die Anlagen für den überseeischen Verkehr. Mit großen Mitteln sind die Unterläufe der deutschen Nordseeströme Elbe, Weser und Ems für die beständig steigenden Anforderungen der Seeschiffe durch umfangreiche Baggerungen und durch die Anlage ausgedehnter Leitwerke ausgebaut worden. Den Häfen der Ostsee – namentlich Lübeck, Stettin, Danzig, Königsberg und Stralsund – wurden verbesserte Einfahrten gegeben. Der Kaiser-Wilhelm-Kanal, der nach Vollendung seiner Erweiterungsbauten allen vorhandenen Seeschiffen den Durchgang gewähren wird, verbindet auf deutschem Boden die Nordsee mit der Ostsee und die neuzeitlich ausgebauten Kriegshäfen Wilhelmshaven und Kiel. Eine vollständig durchgeführte Befeuerung der deutschen Küsten sichert die Seeschiffahrt zur Nachtzeit. Gewaltige Schiffe, zu denen die größten gehören, die das Weltmeer jemals befuhren, auf deutschen Werften aus deutschem Stahl erbaut, vermitteln den Verkehr zwischen den deutschen Seehäfen und den Ländern jenseits der Weltmeere.

[1498]

Seehäfen.

Die einheimischen Seehäfen sind den über Erwarten schnell gestiegenen Anforderungen der Seeschiffahrt in einer glänzenden Entwicklung gefolgt. Hamburg konnte sich zum ersten Seehafen des Kontinents aufschwingen und auch Bremen und Emden, sowie an der Ostsee Lübeck, Stettin, Danzig und Königsberg sind mit den Anforderungen der Neuzeit entsprechenden Hafenanlagen ausgerüstet worden. Auch in den deutschen Kolonien wurden zum Teil unter schwierigen Verhältnissen Hafenbauten durchgeführt, die für die wirtschaftliche Erschließung der deutschen Neuländer von wesentlicher Bedeutung sind.

Nicht minder groß, wie auf dem Gebiete des Wasserverkehrs sind die Erfolge, die der deutsche Wasserbau bei der Wassernutzung für die Zwecke des Landbaues, der Wasserversorgung und der Wasserkraftgewinnung aufzuweisen hat.

Entwässerung.

Durch Entwässerung von Sümpfen und Mooren, sowie durch ausgedehnte Bewässerungsanlagen sind große Gebiete in Deutschland der landwirtschaftlichen Bestellung erschlossen worden. Für Tausende von Menschen wurden dadurch neue Lebensbedingungen geschaffen, und es wurde der Weg gewiesen, auf dem die Ernährungsmöglichkeiten des deutschen Volkes im Inland in der Zukunft noch erheblich gesteigert werden können.

Wasserversorgung.

In der Wasserversorgung der Städte und Ortschaften ist im letzten Vierteljahrhundert ein vollständiger Wechsel der Anschauungen eingetreten. Da man den Flüssen und Strömen immer mehr die Aufgabe zuweisen mußte, die schnell zunehmenden Mengen der verunreinigten Abwässer fortzuführen, konnten dieselben nicht mehr wie früher der Wasserversorgung dienen. An Stelle des durch die Filterung oft nur notdürftig gereinigten Oberflächenwassers wurde das gesundheitlich höher stehende Grundwasser immer mehr die wesentlichste Quelle der Wasserversorgung. Fast sämtliche deutschen Groß- und Mittelstädte werden heute durch ausgedehnte Leitungsnetze mit Grund- oder Quellwasser versorgt. Aber auch die kleinen Orte und Landgemeinden, die früher auf die Einzelversorgung aus oft hygienisch nicht einwandfreien Brunnen angewiesen waren, erhalten heute ihr Wasser aus Gruppen-Wasserversorgungsanlagen zugeführt, wobei vielfach eine Hebung des Wassers durch Pumpen erforderlich ist. Vereinzelt erfolgt die Wasserversorgung auch durch die Wasserentnahme aus größeren natürlichen Seen, wie in Konstanz aus dem Bodensee, oder aus künstlich geschaffenen Staubecken, wie in mehreren rheinisch-westfälischen Städten und in Chemnitz.

Gewinnung von Energie.

Die Gewinnung von Energie aus den strömenden Gewässern, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ins Stocken geraten war, da die älteren, wenig leistungsfähigen Wasserkraftwerke den Wettkampf mit der Dampfmaschine nicht aufzunehmen vermochten, hat in letzter Zeit eine glänzende Entwicklung aufzuweisen. Nachdem es gelungen war, starke Gefälle zusammenzufassen und auch die bedeutenden Wassermengen der großen [1499] Ströme durch Turbinen zu leiten, nachdem man gelernt hatte, den Wasserabfluß dem Energiebedarf zeitlich durch Aufspeicherung anzupassen und die gewonnene Energie von den Stätten der Erzeugung durch den elektrischen Strom weithin fortzuleiten und dadurch auf zahlreiche Abnehmer zu verteilen, haben die Wasserkraftwerke in den beiden letzten Jahrzehnten ihre frühere Bedeutung wiedererlangt. Gewaltige Wasserkraftanlagen, die den Wettbewerb der Wärmekraftmaschinen nicht zu scheuen brauchen, sind an vielen Stellen Deutschlands entstanden oder geplant. Preußen, Bayern und Baden haben auch mit dem staatlichen Ausbau von Wasserkraftwerken einen Anfang gemacht, um den Segen einer billigen Elektrizitätsversorgung ausgedehnten Landesteilen zugute kommen zu lassen, und um die natürlichen bodenständigen Energiequellen für die Zukunft der Allgemeinheit zu sichern.

Wasserschutz.

Nicht minder bemerkenswert, wie auf dem Gebiete der Wasserausnutzung, sind die Fortschritte, die Deutschland auf dem Gebiete des Wasserschutzes im letzten Vierteljahrhundert aufzuweisen hat.

Durch ausgedehnte Uferbauten sind die deutschen Gestade der Nord- und Ostsee gegen die Angriffe des Meeres geschützt worden und auch auf den der deutschen Küste vorgelagerten Nordseeinseln wurde der zerstörenden Arbeit der Meereswellen erfolgreich Einhalt getan.

Die Verheerungen der Binnengewässer bei Hochfluten sind gleichfalls unter Aufwendung bedeutender staatlicher Mittel mit gutem Erfolg bekämpft worden. Der Überschwemmungsgefahr im Mittel- und Unterlauf der großen Ströme wurde durch Deichbauten, Begradigungen und Profilerweiterungen entgegengetreten. Diese Regulierungen besaßen oft einen bedeutenden Umfang, wie die Arbeiten am Weichselstrom, dem zur besseren Ableitung des Hochwassers und des Eises unter Abkürzung der Flußlänge im Jahr 1895 eine vollständig neue Mündung gegeben wurde. Im Oberlauf der Flüsse wurden die Hochwasserschäden durch Festlegung und Aufforstung der Steilhänge, durch Wildbachverbauungen und Gebirgsflußregulierungen erheblich gemildert.

Talsperren.

In besonders wirksamer Weise aber wurde den nachteiligen, gesundheitsschädlichen Wirkungen der übermäßigen Verunreinigung der Flußläufe in Niederwasserzeiten und der Schadenwirkung der Hochwässer durch die Bildung von Staubecken in den Quellgebieten der Flüsse entgegengearbeitet. Solche durch die Aufstauung von Wasser durch Talsperren gebildete Staubecken sind in Deutschland im letzten Vierteljahrhundert in großer Zahl erbaut worden. Im rheinischen Industriegebiet wurden an der Ruhr und Wupper über 20 Stauweiher angelegt, die von 0,5 bis 130 Millionen cbm Wasser fassen und neben den Zwecken der Wasserversorgung und der Energiegewinnung der Aufhöhung des durch starke Wasserentnahme übermäßig verringerten Niederwasserabflusses dieser Flüsse dienen, zugleich aber auch die Hochwasserführung in segensreicher Weise durch Zurückhaltung eines Teiles der Hochfluten verringern. In den besonders gefährdeten Gebirgstälern des Riesengebirges wurden ferner nach den außerordentlichen Verwüstungen des Hochwassers vom Juli 1897 eine Anzahl von [1500] Staubecken – darunter die großen Stauseen von Marklissa im Queis und von Mauer im Bober – teils überwiegend, teis ausschließlich zum Zweck des Hochwasserschutzes angelegt, wobei nach einer Hochflut alsbald wieder eine Entleerung des Schutzraumes stattfindet, um denselben zur Aufnahme einer neuen Hochwasserwelle freizumachen.

Da das erste, durch eine größere Staumauer geschaffene deutsche Staubecken von Alfeld, das von Fecht in den Vogesen erbaut wurde, im Jahre 1888 dem Betrieb übergeben wurde, reicht der Talsperrenbau in Deutschland nur 25 Jahre zurück. In dieser Zeit sind im Deutschen Reiche – meist auf Anregung und nach den Entwürfen Intzes – fast ein halbes Hundert Staumauern erbaut worden, so daß Deutschland auf dem Gebiete des Talsperrenbaues heute unter den Ländern Europas die Führung besitzt. Diese überwiegend in Preußen gelegene Talsperren bilden mit den noch im Bau befindlichen einen Stauraum von rund 620 Millionen cbm, der etwa zur Aufspeicherung von 4 Tausendstel des mittleren Jahresabflusses aller deutschen Ströme ausreicht. Wenn die Größe des geschaffenen Stauraumes somit im Verhältnis zum gesamten Abfluß der deutschen Flußsysteme auch noch als bescheiden bezeichnet werden muß, so ist doch der erste wichtige Schritt auf dem Wege zum höchsten Ziele einer gesunden Wasserwirtschaft getan, der in einer möglichst weitgehenden Ausgleichung des Abflusses der Gewässer zu suchen ist. Bleibt es auch der Zukunft noch vorbehalten, den bereits geschaffenen Stauräumen viele Tausende von Millionen Kubikmeter hinzuzufügen, so ist doch das Erreichte schon von großer Bedeutung für die deutsche Wasserwirtschaft, indem durch die fertiggestellten Talsperren wenigstens die schlimmsten Schäden beseitigt und ein großer und nachhaltiger Nutzen für die verschiedensten Zweige des deutschen Wirtschaftslebens geschaffen worden ist. Die Talsperren haben ihren reichen Segen für die verschiedensten Aufgaben der Wassernutzung in gleich überzeugender Weise dargetan, wie für einen durchgreifenden Wasserschutz. Sie haben sich als eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Hebung der gesamten Wasserwirtschaft erwiesen.

Tätigkeit des Ingenieurs.

Wie schon aus obiger kurzer Zusammenfassung der hauptsächlichsten Bauausführungen auf den verschiedenen Gebieten des Wasserbaues in Deutschland hervorgeht, waren es vielseitige und umfangreiche Aufgaben, die dem deutschen Wasserbauingenieur im letzten Vierteljahrhundert gestellt wurden. Bei manchen der genannten Bauausführungen konnte auf die bei ähnlichen Arbeiten aus früherer Zeit gesammelten Erfahrungen zurückgegriffen werden, die nur einer zweckdienlichen Weiterentwicklung und einer durch die abweichenden örtlichen Verhältnisse, Hilfsmittel und Zweckbestimmung bedingte Abänderung bedurften. Andere aber waren wenigstens für den deutschen Ingenieur neu, wie der Talsperrenbau und die Großwasserkraftanlagen, so daß bei ihrer Verwirklichung auf ausländische Bauausführungen zurückgegriffen werden mußte; noch andere endlich – wie die Korrektion der Unterweser und das Schiffshebewert auf Schwimmern bei Henrichenburg – mußten von Grund auf neu ersonnen und in allen ihren Einzelheiten technisch selbständig durchgebildet werden. Für diese mannigfaltigen Aufgaben bedurfte es theoretisch und praktisch gut durchgebildeter Ingenieure.

[1501]

Wasserbauliche Kunstbauten.

Soweit es sich um die Herstellung wasserbaulicher Kunstbauten, wie Schleusen, Schiffshebewerke, Wehre, Talsperren und Hochbehälter handelte, hat der im Wasserbau tätige Ingenieur von den Fortschritten Nutzen gezogen, welche die Baustoff- und Festigkeitslehre sowie der Maschinenbau in den letzten Jahrzehnten aufzuweisen hatten. Er hat auch selbst an diesen Fortschritten mitgearbeitet, namentlich bei der Erforschung der zweckmäßigen Zusammensetzung und der Eigenschaften der Mörtelstoffe und des Betons, der im Wasserbau immer mehr an die Stelle des Mauerwerks trat, und bei der Untersuchung des Verhaltens großer geschlossener Mauerwerks- oder Betonmassen, wie sie in den Talsperren vorkommen. Dem neuen Baustoff Eisenbeton, der in so zweckmäßiger Weise die Druckfestigkeit des Betons mit der Zugfestigkeit des Eisens zur vereinten Wirkung bringt und zugleich das Eisen der Rostgefahr entzieht, hat der Wasserbau ein weites Anwendungsgebiet erschlossen. Der Fortschritt des Maschinenbaues kam den Verschlußteilen von Wehren und Schleusen, sowie den Wasserkraftwerken und den Wasserversorgungsanlagen zugute. In dem Schiffshebewerk von Henrichenburg, das große Kähne mit ihrer Ladung spielend 14 m hoch emporhebt und in den großen beweglichen Wehren, wie sie z.  B. am Oberrhein erbaut worden sind, wurden maschinelle Anlagen von seltener Großartigkeit geschaffen.

Fluß- und Seebau.

Ist der Ingenieur heute bei dem Entwurf der wasserbaulichen Kunstbauten zu der gleichen sicheren Beherrschung des Baustoffes und des Spieles der Kräfte gelangt, wie bei den Bauwerken auf anderen Gebieten des Ingenieurwesens, indem er die angreifenden Kräfte rechnerisch genau bestimmen kann und die Eigenschaften der Baustoffe mit ausreichender Zuverlässigkeit kennt, so fehlt ihm auf anderen Gebieten des Wasserbaues, bei denen er es mit den Angriffen des bewegten Wassers und dem Widerstand des Bodens zu tun hat, die gleiche Sicherheit. Namentlich im Fluß- und Seebau versagen die Mittel für ein scharfes rechnerisches Verfahren, weil die Erscheinungen des Wasserabflusses, der Gezeiten und der Wellenbildung, sowie der Sinkstoffbewegung und der Gestaltung der Flußbetten und des Meeresbodens noch nicht theoretisch genügend klar gelegt werden konnten. Infolgedessen ist es heute noch nicht möglich, die auf das Bett und die Einbauten wirkenden Kräfte mit genügender Schärfe rechnerisch zu bestimmen. Auch entziehen sich die im Fluß- und Seebau vielfach zur Anwendung kommenden Baukörper aus Buschwerk und losen Steinen einer so sicheren statischen Untersuchung, wie sie bei anderen Baustoffen mit einem dichteren und gleichmäßigeren Gefüge möglich ist. Der Ingenieur ist daher im Fluß- und Seebau hauptsächlich auf Beobachtungen und Erfahrungen angewiesen. Bahnbrechende Praktiker wie Eytelwein, Tulla, Hagen und Franzius haben neben ausländischen Ingenieuren dem deutschen Wasserbau den Weg gewiesen, der unter den so schwierigen und so außerordentlich mannigfaltigen Verhältnissen im Fluß- und Seebau zum Ziele führt. Ihre Untersuchungen und Vorschläge bilden auch heute noch vielfach die Grundlage für den Fluß- und Seebau, [1502] wenn auch die Entwicklung dieser Zweige des Bauwesens keineswegs stillgestanden hat.

Baggerungen.

Die Vervollkommnung der Baggergeräte, die der Maschinenbau in immer größeren Einheiten und mit ständig gesteigerter Wirtschaftlichkeit des Betriebes lieferte, haben zu einer noch ausgedehnteren Verwendung von Baggerungen im Fluß- und Seebau geführt, wie sie früher üblich war. Namentlich bei der großen Aufgabe der Unterweserkorrektion, deren Durchführung nach den Plänen von Franzius von der Bremer Bürgerschaft am 29. Juli 1887 beschlossen wurde, und bei der Erbauung des Kaiser-Wilhelm-Kanals, dessen Erbauung in die Jahre 1887–1895 fällt, kamen Baggerungen in einem seither in Deutschland nicht bekannten Umfang zur Ausführung. Im Flußbau gab der endgültige Ausbau der Strombetten, namentlich aber die Ausbildung der Niederwasserrinnen und die Notwendigkeit eines besseren Schutzes der Ufergelände gegen Hochwasser Anregung zu einem genauen Studium der Vorgänge beim Wasserabfluß.

Hydrographische Ämter.

In allen größeren Strömen und in vielen Gebirgsflüssen wurden sorgfältige Beobachtungen über die Menge und Verteilung des Wasserabflusses angestellt. Es wurden hydrographische Ämter geschaffen, die alle auf den Wasserabfluß bezügliche Daten sammelten und in übersichtlicher Weise verarbeiteten. Ganz Deutschland ist heute mit einem weitverzweigten Netz von meteorologischen Stationen überzogen. Das Pegelwesen ist geregelt und jede Anschwellung eines Flusses läßt sich, da auch genaue Längenaufnahmen der größeren Ströme vorliegen, bis zum Meer hinunter zuverlässig verfolgen. Die Gestalt des Flußbettes ist teils durch einzelne Querschnitte, teils durch Flächenvermessung der ganzen Sohle festgelegt worden.

Durch genaue Wassermessungen sind für zahlreiche Flußquerschnitte die den einzelnen Pegelständen entsprechenden Wassermengen bestimmt worden, so daß aus den Pegelablesungen die zugehörigen Wassermengen ermittelt werden können. Auch die Eisverhältnisse der Ströme wurden genau beobachtet, um daraus ein Bild über die Eisbedeckung der Flüsse, über die Bildung der Eisdecke und die Entstehung und den Aufbruch von Eisversetzungen zu erhalten. Ein Hochwasser-Nachrichtendienst ist eingerichtet worden, und die Hochwasservoraussage wurde eingeführt.[1] Über die meisten Stromgebiete sind eingehende hydrographisch-wasserwirtschaftliche Darstellungen veröffentlicht worden, und zwar für den Rhein durch das badische Zentralbureau für Meteorologie und Hydrographie, für die Elbe von der Elbstrombauverwaltung, für die anderen preußischen Ströme von dem durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. Februar 1892 zur Untersuchung der Wasserverhältnisse in den der Überschwemmungsgefahr besonders ausgesetzten Flußgebieten eingesetzten Bureau des Wasserausschusses.

[1503] In diesen Werken ist ein für wissenschaftliche Studien und für praktische Zwecke gleich wertvolles Material enthalten. Zur einheitlichen Bearbeitung hydrographischer Fragen für Preußen wurde die „Landesanstalt für Gewässerkunde“ in Berlin ins Leben gerufen, die zurzeit H. Keller untersteht und ihre umfangreichen und wertvollen Arbeiten im Jahrbuch für Gewässerkunde herausgibt.

Versuchsanstalten.

Eine Ergänzung fanden die meist von den Wasserbauverwaltungen ausgeführten unmittelbaren Beobachtungen an den natürlichen Wasserläufen durch Versuche, die an künstlich hergestellten Modellflüssen in stark verkleinertem Maßstab angestellt wurden. Bei diesen Versuchen ist eine genaue Beobachtung der feineren Vorgänge beim Wasserabfluß und bei der Bildung und Umgestaltung der Flußbetten möglich, während bei den natürlichen Wasserläufen die Undurchsichtigkeit des meist getrübten Wassers die Ausbildung der Sohle und die Bewegung der Sinkstoffe der unmittelbaren Beobachtung entzieht.

Nachdem französische Ingenieure schon früher versucht hatten, durch die Herstellung von Modellflüssen im Freien diese Frage zu klären, ist Deutschland mit der Errichtung wasserbaulicher Versuchsanstalten in geschlossenen Räumen vorangegangen, in denen Flußmodelle mit künstlicher Wasser- und Sinkstoffzuführung in aller Schärfe beobachtet werden können. Diese Versuchsanstalten oder Flußbaulaboratorien wurden meist in Verbindung mit den Lehrstühlen des Wasserbaues an den Technischen Hochschulen errichtet. Als erster hat Engels in Dresden im Jahre 1898 ein Versuchsgerinne für flußbauliche Versuche eingerichtet, in dem bereits eine Reihe für den Flußbau grundlegender Fragen untersucht worden sind. Im Jahre 1901–1902 folgte die Technische Hochschule zu Karlsruhe mit der Erbauung eines Flußbaulaboratoriums, in dem im Jahre 1906 eine Glasrinne zur Beobachtung rein hydraulischer Vorgänge aufgestellt wurde. Im Jahre 1903 wurde sodann die mit einer großen Rinne für Schleppversuche mit Schiffen verbundene, dem preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten unterstellte wasserbauliche Versuchsanlage auf der Schleuseninsel im Berliner Tiergarten dem Betrieb übergeben, der dann das Flußbaulaboratorium in Darmstadt, das nach den zum Teil neuen Vorschlägen Kochs erbaut wurde, folgte. Zurzeit stehen in Deutschland Flußbaulaboratorien an den Technischen Hochschulen in Berlin und Danzig, sowie ein Neubau in Dresden vor ihrer Vollendung. In Karlsruhe ist ein umfangreicher Neubau in Vorbereitung. Da auch im Ausland einige nach deutschem Vorbild angelegte wasserbauliche Versuchsanstalten fertiggestellt bzw. im Bau sind, wird schon bald über ein Dutzend solcher Anstalten zur Klärung der schwierigen Fragen des Wasserabflusses, der Geschiebebewegung und Flußbettgestaltung beitragen können.

Wenn auch die Vorgänge beim Abfluß von Wasser und bei der Sinkstoffbewegung so verwickelter Natur sind, daß eine vollständige Klarlegung aller dabei auftretenden Vorgänge unmöglich erscheint, so werden die Versuche doch sicherlich noch manchen wertvollen Aufschluß geben. Sie werden dem Ingenieur neue Waffen für seinen Kampf gegen das Wasser und für seine Arbeit mit dem Wasser liefern und ihn in den Stand setzen, mit weit größerer Sicherheit wie seither seine technischen Maßnahmen richtig [1504] zu treffen und ihre Wirkung im voraus sicher zu beurteilen. Es kann das auch von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein, denn wohl auf keinem anderen Gebiete des Bauwesens sind und mußten seither so große Summen unnütz geopfert werden wie im Wasserbau, bei dem die praktische Betätigung sich so schnell entwickelt hat, daß die wissenschaftliche Durchdringung und das klare Verständnis vielfach nicht zu folgen vermochte.

Aber wenn auch nicht alle Bauausführungen vollkommen geglückt sind und manche unnötige Ausgaben vorgekommen sein mögen, so verschwinden die gelegentlichen Mißerfolge und unötig gebrachten Opfer doch gegenüber den im allgemeinen glänzenden Erfolgen und den reichen Segnungen, welche die tatkräftige Entwicklung der deutschen Wasserwirtschaft unverkennbar aufzuweisen hat. Ist auch noch lange nicht alles Wünschenswerte verwirklicht, so kann doch mit Befriedigung auf das in einem Vierteljahrhundert Erreichte zurückgeblickt werden. Der deutsche Wasserbau hat in dieser Zeit zweifellos Großes geleistet. Er hat an seinem Teil an dem wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands im letzten Vierteljahrhundert erfolgreich mitgearbeitet.


  1. Hydrographische Arbeiten in Preußen und Norddeutschland von H. Keller. Mitteilungen des IX. internationalen Schiffahrtskongresses in Düsseldorf 1902.