Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche/Kapitel XVI
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Die Bedeutung der Doppellinie erläutert Veckenstedt im Vorwort auf Seite V folgendermaßen: „Die Sagen und Märchen der deutschredenden Wenden finden sich in jedem Abschnitte nach dem Zeichen, welches zwei parallele Striche bilden.“ Ferner führt er auf Seite X den Grund der Kennzeichnung an: „Nicht unwillkommen wird, hoffe ich, der Forschung die Art sein, wie ich die reine Sorbentradition von derjenigen Ueberlieferung geschieden habe, welche zwar auf wendischer Grundlage ruht, aber eben weil sie einem Geschlecht deutschredender Menschen entnommen ist, vielleicht eine oder die andere Modification erlitten hat.“ |
Die Riesen.
Die Riesen, welche früher bei Kockrow gewohnt haben, hatten ein Gesicht, welches die Form eines Dreieckes hatte.
In Kockrow hat zwischen den Riesen, welche hier wohnten, und den Ludkis eine grosse Schlacht stattgefunden. In dieser Schlacht sind die Riesen besiegt worden. In Folge ihrer Niederlage wurden die Riesen gezwungen, die Gegend zu verlassen. Bevor sie abzogen, haben sie ihren Schatz vergraben.
In der Gegend von Kockrow sind mehrfach Goldfunde gemacht worden, wie z. B. Bronzeschwerter, deren Griff mit Goldfäden umwickelt war, oder Urnen, um die sich ein goldener Reif schlang. In den Urnen ist auch hin und wieder Gold gefunden worden. Man sagt, dass alles von den Goldschätzen der Riesen herrührt.
Zwischen Sedlitz und Senftenberg stehen am Wege zwei Bäume, welche man Riesenbäume nennt: man erzählt, zwei Riesen hätten sich dort im Kampf erschlagen.
Bei Senftenberg ist früher ein grosser Wald gewesen, in welchem Riesen gehaust haben. Zwei Bäume von diesem Walde stehen noch heute. Man weiss aber nicht, ob sie die [145] Stelle bezeichnen, wo die Riesen begraben liegen, oder ob sie die verwandelten Riesen selbst sind.
Auf einem Berge bei Steinitz weidete einmal ein Hirt seine Heerde. Plötzlich zog ein Gewitter auf. Der Hirt trieb, um mit seinen Schafen schneller nach Hause zu kommen, die Heerde in aller Eile den Berg hinunter, ohne sich um Weg und Steg zu kümmern. Auf dem Berge aber hauste ein Riese. Als dieser das pfadlose Hinabtreiben sah, nahm er einen gewaltigen Felsblock und schleuderte denselben nach dem Hirten und dessen Heerde, er traf jedoch weder den Hirten noch die Schafe. Der betreffende Block liegt noch jetzt in der Nähe eines Sumpfes bei Steinitz.
Es war einmal ein Riesenkönig, der gab seinen Sohn in Hamburg auf die hohe Schule. Der Sohn lernte tüchtig; als er wieder nach Hause kam, konnte sich der Vater über ihn freuen. Einst jedoch klagte er seinem Vater, dieser habe ihn nicht lernen lassen, wie man es auf der See treibe. Der Vater sagte, auch dazu werde er ihm Gelegenheit geben. Er liess ein Schiff mit Glaswaaren beladen und seinen Sohn damit eine Fahrt nach Amerika machen, um die Waaren dort zu verkaufen. Der Sohn des Riesenkönigs bestieg das Schiff. Als er glücklich in Amerika gelandet war, begab er sich sogleich zu dem Gesandten seines Reiches; diesem verhandelte er die Waaren, welche der Gesandte gern nahm, da es in Amerika keine Glaswaaren gab. Der Gesandte liess einen Wagen mit diesen Waaren beladen, den Wagen aber mussten zwei schöne Mädchen, welche nackt waren, ziehen. Die Mädchen gefielen dem Sohne des Riesenkönigs so gut, dass er sich dieselben von dem Gesandten erbat. Dieser willigte ein, füllte das Schiff mit Goldstaub und gab darauf dem Sohne des Riesenkönigs die beiden schönen Mädchen, welche derselbe zu seinen Frauen machte. Darauf segelte er wieder nach seiner Heimath zurück. Er hatte zwar Furcht, sein Vater möchte über seine beiden Frauen [146] böse werden, allein derselbe hatte schliesslich nichts dagegen, dass sein Sohn mit ihnen lebe.
Die eine von den beiden Frauen beschenkte den Sohn des Riesenkönigs bald mit einem Sohne, was sein Glück nur vermehrte. Eines Tages aber traf er seine Frau, wie sie ihr Zimmer schwarz verhängte. Er fragte sie nach dem Grunde; endlich gestand ihm diese, sie sei eigentlich die Kronprinzessin von England und einst nach Amerika geraubt worden. Darauf gab sie ihrem Gatten ein Tuch und forderte ihn auf, sich nach England zu ihren Eltern zu begeben, um dort ihre Rechte zur Geltung zu bringen. Sie sagte ihm auch, wenn ihm etwas Böses zustossen sollte, so möge er in seiner Noth nur das Tuch zeigen, dann werde sich Alles zum Besten wenden.
Der Sohn des Riesenkönigs begab sich darauf nach England, allein Niemand wollte seiner Erzählung Glauben schenken, ja der König von England liess ein Schaffot errichten, damit der Sohn des Riesenkönigs wegen seiner Lügen darauf hingerichtet werde. Schon stand derselbe auf dem Blutgerüst und der Henker wollte eben Hand an ihn legen, da warf er das Tuch in die Höhe. Sobald der König und die Königin, welche der Hinrichtung beiwohnen wollten, das erblickten, liessen sie den Sohn des Riesenkönigs zu sich kommen und glaubten ihm Alles, nachdem sie auf dem Tuch das Wappen des Königs erblickt hatten. Sie liessen sogleich ein Schiff ausrüsten und forderten ihren Schwiegersohn auf, ihnen die Tochter zu bringen. Der Sohn des Riesenkönigs segelte froh der Heimath zu und fuhr, als er dort gelandet war, sogleich wieder mit Frau und Kind der Küste Englands zu.
Nun geschah es aber, dass er sich einmal an den Rand des Schiffes lehnte und in das Meer hinabsah. Den Augenblick erspähte der Kapitän des Schiffes, welcher sich in die Königstochter verliebt hatte, fasste ihn an die Füsse und warf ihn in das Meer. Darauf wandte er das Schiff und fuhr der Küste von Amerika zu, der Frau des jungen Riesen aber sagte er, ihr Gemahl sei über Bord gefallen und trotz aller Anstrengungen, die er gemacht habe, ihn zu retten, ertrunken. Allein der Sohn des Riesen war nicht ertrunken, sondern [147] schwamm rüstig der Küste zu. Als ihm ein Balken im Meere entgegentrieb, schwang er sich darauf und gelangte glücklich an eine Insel nicht weit von England. Dort nährte er sich sieben Tage von Süssholz, welches auf der Insel reichlich wuchs; am achten Tage landeten Schiffer und brachten ihn, als er denselben sein Schicksal mitgetheilt hatte, wohlbehalten nach England. Sobald er dem König die schändliche Handlungsweise des Schiffskapitäns erzählt hatte, liess dieser seine schnellsten Schiffe rüsten und dem flüchtigen Schiffe nachsegeln. Es gelang auch den Leuten des Königs mit ihren Schiffen den Schiffskapitän und die trauernde Königstochter einzuholen, bevor sie noch in Amerika gelandet waren. Sogleich wandten sie ihre Schiffe der englischen Küste zu. Als sie in England angekommen waren, wurde über den Verbrecher strenges Gericht gehalten. Der Kapitän wurde auf demselben Schaffot enthauptet, auf welchem der Sohn des Riesenkönigs sein Ende hatte finden sollen. Das junge Paar aber lebte am Königshofe zufrieden und glücklich.
Der Hober hielt sich für sehr klug und sagte, er habe seine Kraft im Kopfe. Er wollte einmal mit den Bauern auf die Jagd gehen, diese gaben ihm aber statt der Flinte eine eiserne Schiene. Der Hober wollte damit schiessen, die Schiene aber ging nicht los. Da wetzte er sie und machte sich eine Sense daraus; mit dieser mähete er Alles vor sich nieder. Bei dieser Arbeit kam er auch an eine grosse Eiche: die mähete er ab, wie einen Strauch. Kaum aber hatte er das gethan, so fiel er um und war todt.
In einem Berge, nicht weit von Bautzen, lebte einst ein Riese, welcher drei Söhne hatte. Der Riese war zauberkundig. Jedem seiner Söhne hatte er eine besondere Macht verliehen, damit diese sich durch die Welt helfen könnten: Der älteste Sohn, Johann, war Jäger und herrschte über den Wald, der zweite, Fritz, war Herr über die Fische und der jüngste, Karl, der Herr der Thiere.
[148] Nicht weit von dem Berge, in welchem die Riesen sich aufhielten, wohnte ein Böttcher, dem es gar schlecht erging; er hatte nämlich neun Kinder, welche er nur mit grosser Mühe ernähren konnte. Dazu hatte er kein Geld, um die Reifen, welche er zu den Fässern brauchte, zu kaufen; deshalb stahl er sie im Walde. Der Wald aber war Eigenthum des Riesen, und deshalb wagte der Böttcher sich nur mit grosser Angst hinein. Einstmals, als er wieder Reifen gestohlen hatte, stiess er auch richtig auf den Riesen. Zuerst wollte ihn der Riese mit einer Stange, welche ihm als Waffe diente, erschlagen, dann aber, als er von der grossen Noth des Böttchers hörte, sagte er, er wolle ihm nicht nur das Leben schenken, sondern auch die Erlaubniss ertheilen, dass er in dem Walde soviel Reifen holen könnte, wie er wollte, wenn er ihm verspräche, dass seine älteste Tochter die Frau seines ältesten Sohnes Johann würde; das sollte geschehen, wenn sie das zwanzigste Jahr erreicht hätte. Der Mann willigte in seiner Angst in die Forderung des Riesen ein.
Von nun ging es dem Böttcher wohl, bis auf die Sorge um seine Tochter; hatte er doch Holz und Reifen, soviel er brauchte. Endlich fiel es der Frau auf, dass ihr Mann jetzt ohne Furcht in den Wald ging und schliesslich musste er derselben sein Geheimniss mittheilen. Fortan hüteten die Eltern ihre Tochter sorgfältig. Einmal mussten sie aber zum Markte gehen. Sie hatten ihrer Tochter anempfohlen, dass sie sich mit ihren Geschwistern nur hinter verschlossenen Thüren aufhalten solle, bis sie wieder kämen. Die Eltern waren noch nicht lange fort, so kam der älteste Sohn des Riesen daher; es war nämlich gerade die Zeit, in welcher das Mädchen sein zwanzigstes Jahr erreicht hatte. Der Riese klopfte an die Thür und begehrte Einlass. Die Tochter des Böttchers wollte nicht öffnen. Der Riese aber bat, sie möchte ihn nur eintreten lassen, er werde ihr nichts thun. Endlich öffnete ihr jüngster Bruder die Thür; das Kind war nämlich erst vier Jahre alt und deshalb hatte es noch keine Furcht. Nachdem der Riese eingetreten war, holte er aus seinem Wildranzen reichliches Essen und Trinken hervor; alle [149] liessen es sich gut schmecken. Darauf forderte er das Mädchen auf, sie solle ihm folgen; dann packte er den ganzen Tischkasten voll Gold, so dass der Böttcher zeitlebens davon genug hatte. Dem jüngsten Bruder seiner zukünftigen Frau gab er, weil ihm dieser die Thür geöffnet hatte, eine kostbare Dose mit dem Gebot, er solle sie stets bei sich tragen; wenn er herangewachsen sei, brauche er sie nur zu öffnen, dann würden seine Wünsche stets in Erfüllung gehen. Dann nahm er das Mädchen auf den Arm und war bald mit ihr im Walde verschwunden.
Die Eltern erfuhren, als sie nach Hause kamen, was sich zugetragen hatte. Da sie nichts an dem Geschehenen ändern konnten, so ergaben sie sich in ihr Schicksal. Von ihrer Tochter hörten sie fortan nichts mehr.
Als sie gestorben waren, übernahm ihr ältester Sohn die Wirthschaft und heirathete. Aber er sowohl wie seine junge Frau waren nicht gut gegen die jüngeren Geschwister. Am meisten hatte der jüngste Bruder des Mannes zu leiden. Weil dieser unter den Geschwistern am meisten gelernt hatte, so empfand er die böse Behandlung am bittersten; deshalb beschloss er, in die Fremde zu gehen. Er wanderte nach der Königsstadt des Landes. Dort gefiel es ihm gar wohl, nirgends aber weilte er lieber als im Lustgarten, welcher bei dem Schlosse des Königs war, ja er fasste eine solche Liebe zu den Blumen, welche dort blühten, dass er Gärtner zu werden beschloss. Deshalb liess er sich dem König melden und trug diesem seinen Wunsch vor. Da er ein schöner, geweckter Jüngling war, so übergab ihn der König seinem Hofgärtner. Hier war er eifrig in der Arbeit, pflegte seine Blumen und lernte auch sonst soviel er konnte. Später bekam er noch einen Gehülfen, so dass er ganz zufrieden lebte.
Einst war er mit demselben in der Nähe des Schlosses beschäftigt. Da geschah es, dass die Tochter des Königs und ihr Kammermädchen aus dem Fenster blickten. Beide waren von grosser Schönheit. Da sprach der Gehülfe zu dem Sohne des Böttchers: „Sieh, wie schön die Kammerjungfer ist; ich möchte sie wohl zur Gemahlin haben.“ „Willst Du die haben,“ antwortete der Angeredete, „mir ist [150] es recht; mir aber gefällt die Königstochter viel besser: ich möchte die haben und König werden.“ Das hatte zufällig der König gehört. Er ward sehr böse darüber, liess beide vor sich kommen und forderte sie auf, zu wiederholen, was sie soeben mit einander gesprochen hatten. Nachdem sie das gethan, gab der König das Kammermädchen dem, welcher sich dieselbe gewünscht hatte, zu dem andern aber sprach er: „Du bist undankbar und verwegen. Ich sollte Dich eigentlich gleich mit dem Tode bestrafen, doch ich will Dir sogar meine Tochter geben, und Du sollst später König werden, wenn morgen früh um neun Uhr zwei Esel mit Gold beladen vor meinem Palast stehen. Kannst Du das nicht leisten, so musst Du sterben.“
Betrübt ging der also Angeredete in seine Wohnung zurück. Essen und Trinken schmeckten ihm nicht mehr und angstvoll dachte er an seinen Tod; es schien ihm unmöglich, dass er soviel Gold werde beschaffen können. Wie er so da sass und die Hände rang, fiel ihm ein, dass er noch von seiner Kindheit her ein Schmuckstück besässe, an das er nicht mehr gedacht, ausser dass er es stets beim Ankleiden eingesteckt hatte. Die Dose nahm er nun in die Hände und dachte: „Ach, wärest Du doch nur voll Gold; freilich nützen könnte es nicht viel, aber es wäre doch immer etwas.“ Dabei traf es sich, dass er die Dose öffnete. Sogleich hörte er eine Stimme, welche sprach: „Herr, rede, was befiehlst Du?“ Das kam ihm zwar sonderbar vor, allein er achtete nicht weiter darauf, sondern schloss die Dose wieder. Zufällig öffnete er sie gleich darauf zum zweiten Male und wieder hörte er dieselben Worte. Allein auch jetzt schloss er die Dose wieder, ohne Werth auf das Gehörte zu legen. Als er aber zum dritten Male die Dose geöffnet und dieselbe Stimme gehört hatte, sagte er: „Nun gut, wenn ich befehlen kann was ich will, so wünsche ich, dass morgen in aller Frühe zwei Esel mit Gold beladen vor dem Palast des Königs halten.“ Darauf antwortete dieselbe Stimme: „Es soll geschehen, Herr, wie Du befiehlst.“ Darauf legte er sich ruhig schlafen.
Später als gewöhnlich erwachte er. Es kam ihm Alles, [151] was er am Tage zuvor erlebt hatte, wie ein Traum vor, doch ging er um neun Uhr zu dem Palast, und siehe da, richtig standen dort zwei mit Gold beladene Esel. Darauf ging er zum König und bat ihn, er möge die beladenen Esel holen lassen. Als dies geschehen war, forderte er die Tochter des Königs zur Gemahlin. Der König aber war nicht geneigt, seine Tochter dem Sohne eines Böttchers zu geben, zumal diese schon einen Grafen liebte; er versprach sie ihm aber dennoch unter der Bedingung, dass am folgenden Tage wiederum zwei mit Gold beladene Esel vor dem Palaste ständen. Trotzdem der junge Gärtner darüber unwillig wurde, so fügte er sich doch. Er öffnete in seiner Wohnung die Dose und befahl der Stimme, welche wieder nach seinem Befehl fragte, auf’s Neue zwei mit Gold beladene Esel zu schaffen. Darauf schlief er wieder bis in den hellen Tag hinein. Als er um neun Uhr zum Palast ging, fand er dort die mit Gold beladenen Esel wieder, liess den Schatz zum König bringen und begehrte auf’s Neue dessen Tochter zur Gemahlin. Der König war aber noch immer nicht geneigt, ihm seine Tochter zu geben; er forderte auf’s Neue zwei mit Gold beladene Esel auf den folgenden Morgen. Der junge Gärtner musste sich fügen. Diesmal aber forderte er von der Stimme, welche nach seinem Befehl fragte, ausser den mit Gold beladenen Eseln zwei bewaffnete Riesen. Am folgenden Morgen fand er das Gewünschte um neun Uhr an dem bestimmten Platze. Als nun der König auf neue Ausflüchte sann, liess er die Riesen mit ihren gewaltigen Eisenstangen in den Saal kommen und befahl ihnen, den König zu erschlagen, wenn er sein Wort nicht halten werde. Als der König sah, dass es um sein Leben geschehen sei, wenn er sein Wort nicht halte, ward er willig. Nun wurde die Hochzeit mit grosser Pracht gefeiert, und der junge Gärtner wohnte fortan mit seiner Gemahlin in einem prächtigen Palast. Endlich wurde er, als der alte König gestorben war, dessen Nachfolger.
Aber von langer Dauer war sein Glück nicht. Seine Gemahlin nämlich hatte früher einen Grafen geliebt. Immer, wenn nun ihr Gemahl auf der Jagd war, liess sie den Grafen [152] zu sich kommen. Einst bemerkte der Graf, als er das Zimmer des Königs durchschritt, auf dessen Tisch eine prächtige Dose stehen, welche dieser vergessen hatte einzustecken. Der Graf, welcher erlebt hatte, dass der junge Gärtner König wurde, vermuthete gleich, es müsse mit dieser Dose eine eigene Bewandtniss haben. Er nahm sie also an sich und besah sie von allen Seiten; darauf öffnete er die Dose. Kaum hatte er dieselbe geöffnet, so sprach eine Stimme: „Rede, Herr, was befiehlst Du?“ Kurz entschlossen wünschte sich der Graf mit der Königin und dem Schlosse vier hundert Meilen weit mitten auf eine Insel im Mittelmeer. Sofort ward sein Befehl ausgeführt.
Als der König von der Jagd heimkehrte, fand er nur noch einen leeren Platz da, wo er früher so glücklich gelebt hatte. Da grämte er sich sehr. Er merkte aber bald, dass sein Unglück von der Unachtsamkeit herrührte, mit welcher er seine Dose behandelt hatte; deshalb fühlte er sich nur um so unglücklicher. In trüber Schwermuth verliess er seine Hauptstadt und sein Reich und irrte einsam in der Welt umher.
Einstmals, als er sich in einem grossen Walde befand, hörte er ein furchtbares Gezanke; er ging dem Schall der Stimmen nach und erblickte bald darauf drei Riesen, welche mit einander heftig stritten. Zu verlieren hatte er nichts mehr, deshalb ging er auf die Streitenden muthig los. Die Riesen liessen ihn, als sie ihn erblickt hatten, hart an und drohten ihm mit dem Tode. Er aber erkannte unter den Riesen den Mann seiner Schwester wieder, dem er vor vielen Jahren die Thür geöffnet hatte. Deshalb begrüsste er ihn und fragte, was es zu streiten gäbe. Die Riesen erzählten ihm Alles; sie erklärten sich bereit, wenn er ihren Streit schlichten würde, ihm ihre Dankbarkeit zu erweisen. Sie wären nämlich bei der Erbtheilung begriffen, da ihr Vater jüngst gestorben sei. Zu vertheilen aber wären Siebenmeilenstiefeln, ein unsichtbar machender Mantel und eine immer gefüllte Börse; jeder von ihnen wolle jedes dieser Kleinode besitzen. Der also Angeredete war bereit, die Theilung zu vollziehen. Er befestigte an jedes der drei Stücke ein Holzstäbchen; dazu machte er drei andere Holzstäbchen zurecht, welche genau zu denen passten, welche an den Sachen befestigt [153] waren. Darauf sollte jeder der Riesen ein Holzstäbchen ziehen: die Verloosung aber sollte der älteste der drei Brüder vornehmen.
Während die Riesen mit der Verloosung beschäftigt waren, ging er zu den Sachen, hing den Mantel um, nahm die Börse, zog die Stiefeln an und war plötzlich verschwunden.
Kaum hatte er mit seinen Siebenmeilenstiefeln ein paar Schritte gemacht, so war er weit fort aus dem Walde und stand vor einem Berge. Es schien ihm, als sei derselbe bewohnt. Er zog die Stiefeln aus, näherte sich dem Berge und bemerkte bald durch eine Schlucht im Innern desselben einen Palast, darin aber sah er seine Schwester beim Essen sitzen. Schnell ging er auf das Schloss zu, kroch durch den Schornstein in das Innere, setzte sich mit an den Tisch und liess es sich gut schmecken. Die Schwester verwunderte sich sehr, wo das Essen blieb, da sie Niemand sah. Endlich legte ihr Bruder seinen Mantel ab und stand vor ihr. Freudig wurde er von dieser, nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte, begrüsst. Als er noch dabei war, alle seine Erlebnisse zu erzählen, kehrten die drei Riesen heim. Sie waren anfangs so böse auf ihn, dass sie ihn zu erschlagen drohten; nur mit Noth und Mühe liessen sie sich beruhigen, da ihnen die Frau sagte, ihr Bruder habe gar nicht daran gedacht, ihnen ihr Erbgut zu entziehen, er habe nur auf diese Weise seine Schwester aufsuchen wollen. Schliesslich beruhigten sich die Riesen und als ihnen der Schwager beim Essen all sein Unglück erzählte, beschlossen sie, ihm seine Gemahlin und sein Reich wieder zu verschaffen.
Der älteste von ihnen holte seines Vaters Zauberbuch herbei und ersah daraus, wo sich die Königin mit ihrem Grafen befand. Als er das ersehen hatte, beschlossen alle vier aufzubrechen und zu versuchen, ob es ihnen gelinge, die Zauberdose wieder zu erlangen. Bald waren sie vermöge der Siebenmeilenstiefeln am Meere. Hinüber aber konnten sie nicht. Da nahm der älteste der Riesen sein Zauberbuch zur Hand und ersah daraus, dass der Graf abwesend sei, die Königin aber in ihrem Zimmer aus dem Fenster sehe und mit der Dose spiele. Sofort befahl er, dass seine Brüder, welche Herren über die Fische und [154] Thiere waren, einen Seehund und eine Meerkatze herbeiriefen. Das thaten diese. Darauf befahlen sie, die Thiere sollten nach der Insel schwimmen und sich der Dose bemächtigen. Sofort schwamm der Seehund hinüber, mit der Meerkatze auf dem Rücken. Als die Prinzessin die beiden Thiere ankommen sah, schlug sie vor Erstaunen die Hände über dem Kopfe zusammen; dabei entfiel ihr die Dose. Sofort sprang die Meerkatze hinzu, ergriff die Dose, sprang damit wieder auf den Rücken des Seehundes und fort ging es wieder in das Meer hinein, dem Lande zu.
Unterwegs ärgerte sich der Seehund, dass er alle Last tragen müsse, die Meerkatze aber alle Ehre haben würde; deshalb warf er die Meerkatze ab. Dabei entglitt dieser die Dose und fiel in das Meer. Mit Mühe arbeitete sich die Meerkatze an das Land. Hier erzählte sie, wie sie die Dose habe fallen lassen, um sich selbst zu retten. Da rief der zweite von den Riesen, welcher die Herrschaft über die Fische hatte, eine Flunder herbei; er befahl derselben, sie solle die Dose suchen und ihm bringen. Es währte auch nicht lange, so kam die Flunder angeschwommen. Als die Meerkatze sie mit der Dose erblickte, wurde sie auf die Flunder neidisch, dass nun diese die Ehre haben sollte; sie sprang hinzu und entriss ihr mit der einen Pfote die Dose, mit der anderen aber kratzte sie ihr ein Auge aus. Deshalb hat die Flunder nur ein Auge.
Sobald der junge König im Besitz seiner Dose war, zauberte er das Schloss wieder an Ort und Stelle. Seine Frau und der Graf befanden sich gerade in seinem Zimmer, als er mit den Riesen, welche ihm das Geleit gegeben hatten, zurückkehrte. Nun war grosser Jubel im Lande, denn man hatte den jungen König sehr lieb, weil er klug und freundlich gegen Jedermann war. Mit dem Grafen wurde ein schnelles Ende gemacht: er wurde von einem der Riesen erschlagen. Auch die Königstochter sollte streng für ihre Untreue bestraft werden. Sie aber bat inständig und gelobte, fortan dem König treu zu bleiben. Darauf wurde ihr nicht nur das Leben geschenkt, sondern sie wurde von dem jungen König wieder als Gemahlin angenommen. [155] Darauf ward ein grosser Schmaus gehalten und lauter Jubel war ringsum.
Am andern Tag zogen die Riesen wieder ihrem Berge zu. Der König und die Königin aber lebten noch viele, viele Jahre in Glück und Freude, bis an ihren sanftseligen Tod.
Fern im Riesengebirge lebte auf einem hohen Berge in seiner Burg ein Riesenkönig, welcher den umliegenden Landen schweren Schaden zufügte. Der Riesenkönig besass einen grossen Schatz; das war ein grosser Stern von Gold und edlen Steinen, welchen er in seine Rüstung hatte fest einfügen lassen. Der Kaiser, welcher den Riesenkönig gern unschädlich machen wollte und den Schatz begehrte, forderte seine Ritter auf, den Kampf mit dem Riesen zu bestehen. Er werde, sagte er, den Sieger reich belohnen.
Die Ritter des Kaisers zogen an einem bestimmten Tage gegen den Riesen aus. Da aber jeder von den Rittern den Sieg erringen wollte, so nahm jeder einen andern Weg nach der Riesenburg. Unter den Rittern war einer, welcher Fritz hiess; der liess sich von seinem siebenjährigen Sohne begleiten. Der Ritter und sein Sohn waren viele Stunden weit geritten. Als sie sich dem Gebiete des Riesen näherten, beschloss der Ritter, sich durch einen kurzen Schlaf zum Kampf zu stärken; seinem Sohne befahl er zu wachen. Nicht gar lange war der Ritter eingeschlafen, so bemerkte der Sohn in der Ferne den Riesen. Schnell bestieg er sein Ross, sprengte demselben entgegen und forderte ihn zum Kampf heraus. Der Riesenkönig ergriff seine gewaltige Eisenstange und schleuderte sie mit furchtbarer Kraft nach dem Knaben. Der aber wich geschickt aus, so dass die Stange zur Seite in einen Berg tief hineinfuhr. Der Riese, welcher ohne seine Stange kraftlos war, eilte ihr sofort nach und bemühte sich, dieselbe aus dem Berge zu ziehen. Den Augenblick aber ersah der Knabe, sprengte hinzu und schlug dem Riesen mit einem Schwertschlag den Kopf ab. Darauf brach er aus der Rüstung des Todten den Stern heraus, barg ihn, [156] ritt zurück und weckte seinen Vater. Der war, als er von dem Kampfe hörte, sehr böse, dass sich sein Sohn in die Gefahr begeben hatte, nahm das Haupt des Riesen und ritt damit zum Kaiser. Dort fand er schon die andern Ritter, von denen jeder einen Theil des Riesenleibes zum Beweise seines Sieges mitgebracht hatte. Keiner aber von ihnen hatte den Stern des Riesenkönigs. Als der Knabe schliesslich denselben vorzeigte, erkannte der Kaiser, dass dieser der Sieger sei, freute sich sehr darüber und belohnte ihn reichlich. Er schlug ihn sofort zum Ritter und schenkte ihm eine Grafschaft.
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