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ADB:Beaulieu-Marconnay, Karl Freiherr von (weimarischer Diplomat)

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Artikel „Beaulieu-Marconnay, Karl Olivier Freiherr von“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 290–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beaulieu-Marconnay,_Karl_Freiherr_von_(weimarischer_Diplomat)&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 16:51 Uhr UTC)
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Beaulieu-Marconnay: Karl Olivier Freiherr v. B.-M., Diplomat, sowie (cultur-)historischer Schriftsteller, entstammte einer 1686 infolge der Aufhebung des Edicts von Nantes ausgewanderten adligen Hugenottenfamilie, die längst gut deutsch geworden war und so heute dem preußischen Heere mehrere Officiere stellt. Seit 1810 Napoleon’s Gewaltspruch Nordwestdeutschland seinem Kaiserreiche einverleibt hatte und treue Diener des Herzogs Peter von Oldenburg sich da nicht sicher fühlten, suchten als solche B.’s Eltern – Karl und Henriette (geb. und geschiedene v. Egloffstein) sind B.’s Onkel und Tante, nicht Eltern – eine Zuflucht in Minden, wo er am 5. September 1811 geboren wurde. Doch wuchs, nach des Usurpators Fall, der Knabe im Heimathländchen, zu Eutin und Oldenburg, wo er auch das Gymnasium besuchte, auf. Den ersten Blick in die große Welt that er 1827, den Vater nach Petersburg begleitend; dort wurde der alte General F. M. v. Klinger, der einst dem „Sturm und Drang“ der deutschen Litteratur diesen Namen und rege dramatische Beihülfe verliehen hatte, auf den aufgeweckten Jüngling aufmerksam. Seit Herbst 1829 studirte B. in Heidelberg, von Ostern 1831 ab in Jena die Rechte, womit er 1832 in Göttingen abschloß. Während B. von Jena aus viel nach Weimar hinüberkam und, durch seines Vaters Freund Kanzler v. Müller und die verwandten Egloffsteins empfohlen, bei dem greisen noch majestätischen Goethe im letzten Lebensjahre theilnehmende Aufnahme fand, ward er 1830 auf einer Fußreise nach den Niederlanden Augenzeuge der Vorgänge, die er viel später im Weimarer „Mittwochsverein“ im Vortrage „Brüssel und die Belgische Revolution im September 1830“ besprach, und vervollständigte gleichsam seine cameralistischen Studien unmittelbar nach deren Ende durch eine einjährige Reise nach Frankreich mit mehrmonatigem Aufenthalte in dem politisch und litterarisch damals ungemein bewegten Paris. Wie stachen von diesem weiten Horizont, den die Folgen der Julirevolution in Brüssel und an der Seine selbst ihm eröffneten, die Obliegenheiten und Erlebnisse der nächsten Jahre ab, nachdem nun der Rechtscandidat im Oldenburgischen die juristische Laufbahn begann! Als Amtsauditor in Jever (1835–39) verfaßte er eine fidele vieractige Tragikomödie in Versen, die einen arges Aufsehen erregenden Vorgang aus dem seiner Zeit vielbesprochenen Bentinckschen Erbschaftsproceß bespöttelte, nämlich den vergeblichen tollkühnen Versuch des „Prätendenten“ Graf K. A. F. v. Bentinck, sich (16. Oct. 1836) mit Waffengewalt in Besitz der Burg Kniphausen als Mittelpunkts der strittigen Herrschaft zu setzen, was er als Nachbar und halbamtlich mit durchmachte. Das actuelle Satyrdrama wurde aufgeführt, blieb jedoch, nur in Tausenden von Abschriften verbreitet, ungedruckt. 1839 wurde B. an das Amt Rastede versetzt, erhielt 1840 einen längern Urlaub und ging als Reisegesellschafter mit dem Prinzen Hermann von Wied nach Italien, wobei sie sich ein paar Monate am Comosee aufhielten, und B. die Cultur des Landes an Ort und Stelle zu studiren Gelegenheit fand: eine seiner angenehmsten Erinnerungen. 1841 wurde er, anfangs als Hilfsarbeiter, in die oldenburgische Finanzkammer berufen und genoß nun in der kleinen Hauptstadt deren mannichfache geistige Anregungen, im Verkehre mit L. v. Gall[WS 1], Th. v. Kobbe, Ad. Stahr u. a.

Seit jenen Anknüpfungen der Jenenser Studentenjahre hatte es B. nach Weimar gezogen – konnte ihm das Glück mehr leuchten als der Antrag, als Geh. Referendar für die Auswärtigen Angelegenheiten ins Großherzogl. Sächs. Ministerium in Weimar zu treten? 1843 übergesiedelt, fand er sich schnell in [291] den höfischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Verhältnissen der Ilm-Residenz zurecht, ja, wuchs sogar binnen weniger Jahre so innig in sie hinein, daß er noch mehr als in staatlichen und officiellen Dingen bei socialen und humanitären Anlässen, sowie im höheren Bildungswesen eine führende Rolle spielte. 1848 Justizminister geworden, nahm er infolge der politischen Begebenheiten des nächsten Jahres seine Entlassung aus dem Staatsdienste und wurde Hofmarschall, 1853 Oberhofmeister der bildungsbegeisterten Großherzogin Sophie, Prinzessin der Niederlande und Gemahlin des damals antretenden, jetzigen Großherzogs Karl Alexander. Wie er in dieser Stellung und wegen seiner engen Beziehungen zur Großherzogin-Wittwe Maria Paulowna – derselben geistvollen russischen Großfürstin, die Schiller’s „Huldigung der Künste“ 1804 beim Einzuge in Weimar gefeiert und Goethe sehr hoch geschätzt hatte – so manches, Altweimars würdiges, culturelles oder menschenfreundliches Unternehmen mit hervorrief bezw. eifrig unterstützte, so hat er als Intendant des Hoftheaters (1850–52 und 1854–57) unermüdlich eine segensreiche Thätigkeit entfaltet, die der, durch ihre Fürsten großen Kleinstadt am deutschen Bühnen- und Musikhimmel, besonders auch durch seine Förderung der Capellmeisterthätigkeit Franz Liszt’s, zu weitgeachtetem Namen verhalf. In all diesen Jahren amtlicher Bürde und dann als 1857 F. Dingelstedt Leiter des Hoftheaters ward, hat B. es sich angelegen sein lassen, Kenntnisse, Liebe, Kraft allerlei culturellen wie gemeinnützigen Anstalten und Vereinen zu widmen. Aus solch ersprießlicher Wirksamkeit für Pflege der Volkswohlfahrt ist seine Initiative für die Frauenvereine des Großherzogthums mit deren ganzem Anhange vielseitigster Erziehungs- und Hilfsinstitute hervorzuheben, wo er beiden genannten fürstlichen Samariterinnen energisch zur Seite stand. Der älteren, der Russin, veranstaltete man 1854 auf Beaulieu’s Betrieb und Plan „im fünfzigsten Jahre segensreichen Wirkens“ – wie die dafür geprägte Medaille besagte – Jubel- und Dankfeste. Die „Wasch- und Bade-Anstalt“, der „Sparkasseverein“ u. a. waren theils von ihm gegründet, theils Jahre lang sorglich berathen. Aufs wärmste und auch mit eingreifender Hand wirkte B. für Kunst und Wissenschaft in Weimar; da waren sein Herz, sein sinniges gemüthvolles Naturell, das selbst zum Dichten neigte, betheiligt. Sein mit Kunstwerken und entsprechenden Studirmitteln, sowie erlesenen Büchern ausgestattetes Heim bot Gastfreundschaft, offenes Haus und Zuspruch: außer strebsamen jüngeren Leuten verkehrte er intim mit Ad. Schöll, Gutzkow, Marshall, Froriep, L. und Fr. Preller, dem originellen Apollonius von Maltitz (s. d.), der 1841–65 russischer Geschäftsträger in Weimar war und dort 1870 starb, nicht zuletzt mit Liszt. Uebrigens briefwechselte B. auch lebhaft mit Wilibald Alexis, Geibel, Putlitz, Gisb. v. Vincke, Roquette, Ad. Stahr und Fanny Lewald, Andersen u. A. Aus dem Herder-Denkmal L. Schaller’s vom 28. August 1850 entnahm B. Anregung, für ein Goethe-Schiller-, ein Wieland-Standbild und ein aller vier Mäcen, Karl August, zu errichtendes Monument: also schufen Rietschel der Dioskuren Doppelstatue, Gasser die Wieland’s – beide von Ferd. v. Miller in Bronze gegossen und am 4. Sept. 1857 enthüllt – und der Weimarer A. Donndorf das des Unsterblichen Dichterpatrons (1875 vor dem deutschen Kaiserpaare enthüllt) großentheils auf seinen Antrieb und Nachdruck. Den Weimarer „Mittwochsverein“ für Vorträge, die auf jeden wissenschaftlich Gebildeten rechnen, begründete B. 1847 mit und sprach da, zufolge einem von ihm geschriebenen Ueberblicke, bis Mai 1861 über die belgische Revolution von 1830, die Paulskirche in Frankfurt (1848) und ihre politischen Parteien, die Trockenlegung des Harlemer Meeres, die staatsrechtlichen Verhältnisse Kniphausens und den Bentinck’schen Proceß, Hans Sachs, sein Leben und seine Werke, über das Deich- und Sielrecht. Ein weiteres Publicum faßte der „Verein für Kunst [292] und Wissenschaft“ ins Auge, dem 7. Dec. 1863 eine Rede Beaulieu’s als Vorsitzenden, ein Prolog Schöll’s und ein Vortrag Gutzkow’s über deutsches Frauenleben im 14. Jahrhundert nebst einem Gesangsquartett ein günstiges Horoskop stellten, aber binnen kurzem sein endgültiger Abschied von Weimar, sowie des Dramatikers Hans Köster gleichzeitiger das Lebenslicht arg herunterbliesen.

Seitdem B. das Ruder des Hoftheaters abgegeben, hatte er sich wiederholt auf längeren Reisen diplomatischer Sendungen und vertraulicher Aufträge des Weimarer Hofs mit Geschick entledigt: in Petersburg, Haag, 1861 zur Krönung Wilhelm’s I. in Königsberg. 1864 wurde er zum Gesandten der sämmtlichen Regierungen der Wettin-Ernestinischen Länder zum Bundestag in Frankfurt a. M. ernannt, durchkostete hier die folgenschweren Wirren des Sommers 1866 und mußte, von den andern Ministerien längst abberufen, als Bevollmächtigter des Meiningenschen den Rumpf-Bundestag noch in den alten „Drei Mohren“-Gasthof zu Augsburg begleiten. Im Herbst trat B. freiwillig in Pension und verzog, vorläufig noch in der Weimarer Hofstellung, aber durch den Titel Wirkl. Geh. Rath geehrt, nach Dresden, woselbst er, vorübergehend vielleicht auch im Tusculum höherer Staatspensionäre Freiburg i. B., in beglückender Umgebung einer zahlreichen Familie und vielen litterarischen Persönlichkeiten – V. v. Strauß, Hettner, Fleckeisen, W. v. Biedermann, Ad. Stern – dann Hübner, Preller, Pawels u. a. nahetretend, noch 22 Jahre freier, nichts weniger als unthätiger Muße verbrachte. Auch in Dresden betheiligte er sich sowohl an dortigen wie an thüringischen wissenschaftlichen Vereinen emsig. Ferner wurde er bei der Constituirung der Goethe-Gesellschaft 1885 durch die Wahl in den Vorstand ausgezeichnet, wie er seit 1864 Ehrenmitglied, seit 1879 Meister des „Freien Deutschen Hochstifts“ in Goethe’s Geburtshaus war, für seine Leistungen auf dem Gebiete der Staatswissenschaften und Geschichtsforschung. Er ist nach schweren Leiden am 8. April 1889 in Dresden gestorben.

Die verschiedenen Lebensstellungen in all den wechselnden Aufenthaltsorten haben B. nie so weit absorbirt, daß er die von früh an in ihm wurzelnden litterarischen Neigungen unterdrückt hätte. Während seiner Amtirungen nur, wenn auch häufig kleine Arbeiten vollendend, vermochte er erst in Dresden ältere Entwürfe und Skizzen innerlich wie äußerlich auszuführen. Da er in Politik und Hofzuständen Sachsens und Thüringens für das 18. und 19. Jahrhundert vortrefflich bewandert war, erzielte im Verfolge seiner langjährigen Studien seine Dresdner Muße höchst beachtenswerthe Ergebnisse. Die Richtung seiner ernsten geschichtlichen Untersuchungen, die sich wirklich quellenmäßig aufbauten, zeigt sich zur Genüge in den Titeln der daraus hervorgegangenen Schriften. Es beziehen sich fast alle auf sächsische Geschichte, ermangeln aber nie der Ausblicke auf die Culturverhältnisse. So veröffentlichte er im IX. Bande des „Archivs für sächsische Geschichte“ 1870 eine Biographie des sächsischen Ministers Thomas v. Fritsch – ein Frhr. v. Fritsch war Beaulieu’s Vorgänger als Bundestagsgesandter gewesen – und verknüpfte diese Gestalt später nochmals des Näheren mit den gleichzeitigen Fürstlichkeiten ihres Wirkungskreises in „Anna Amalia, Karl August und der Minister v. Fritsch“ (1874). Des bekanntesten und eindrucksvollsten Weimarer Fürsten, des Herzogs und Großherzgs Karl August, genaueres Lebens- und Charakterbild zu zeichnen, darauf gingen Beaulieu’s Absicht und Fähigkeit ohne daß etwas Fertiges zu Stande kam. Dagegen lieferte er die anerkannt selbständigen Bücher „Der Hubertusburger Friede“ (1871) und „Ernst August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach“ (1872); seine umfänglichste und weitest ausgreifende Arbeit stellt „Karl von Dalberg und seine Zeit“ (2 Bde., 1879) dar. Zu den mancherlei kleineren Arbeiten aus dem Umkreise seiner Studien gehören verschiedene werthvolle Artikel für die „Allg. [293] Dtsch. Biogr.“ Ferner gab er seines Freundes A. v. Maltitz, des obenerwähnten Weimaraners aus Wahl, „Ausgewählte Gedichte“ mit Biographie (1873) heraus, und hat Boccaccio’s Epos „Il Filostrato“, unter der sachlicheren Aufschrift „Troilus und Cressida“ – ist es doch die Grundlage für die öftere Behandlung dieses Stoffs in der Romantik der Renaissance – zum ersten Male, und zwar glücklich, im Metrum des Originals ins Deutsche übersetzt (1884).

Die Fülle von Beaulieu’s Anlagen und Wissen, Beweglichkeit und Empfindung bei Angelegenheiten des öffentlichen Wohls wie der privaten Förderung humanen Strebens, cultureller Aufgaben, Adel und Maß, im Denken Feinheit des Urtheils, Thatkraft im Handeln: das rühmen von ihm alle Nachrufe, die ihm von Kennerseite gewidmet worden sind. Aus der Reihe der letzteren sind hervorzuheben: Adolf Stern’s knappe Lebensschilderung im „Dresdner Journal“ vom 12. April 1889 und Adolf Mirus’ (privat gedruckte) Schrift „K. O. Freiherr v. B.-M.“, „dem Andenken des … in Dankbarkeit gewidmet“ (Weimar, Hofbuchdruckerei, 1889), worin Mirus, S. 3–13, Beaulieu’s gemeinnützige Thätigkeit beleuchtet, S. 14–19 Stern’s Aufsatz wiederholt und S. 20 f. aus der „Weimarischen Zeitung“ vom 14. April 1889 seinen Bericht über das dasige Leichenbegängniß (darin Hofprediger Jacobi’s Leichenrede) erneuert. Man muß Stern’s Eingangspassus über B.’s bedeutende Persönlichkeit völlig beistimmen, nur daß er die ästhetische Ader in dessen Wesen, wie man sie bei kleinstaatlichen Diplomaten, natürlich vor allen an schöngeistig gestimmten Höfen, nicht selten findet, zu betonen vergißt. Auch unterschreibt man gern dieses Nekrologisten Bedauern: „Hätte der Freiherr v. B. seine reichen Lebenserinnerungen aufgezeichnet, so würden dieselben ein höchst charakteristisches und farbenvolles Bild der Zeit zwischen dem Weltfrieden von 1814 und 1815 und der Neubegründung des Deutschen Reiches gewähren und von einer ungewöhnlich gewordenen Vielseitigkeit der Bildung und der Arbeitskraft zeugen.“ Die vorgenannten Mittheilungen und Aeußerungen über B. wurden mir erst neuerdings bekannt; im übrigen beruht diese Skizze auf denselben authentischen Materialien des Verblichenen wie mein Artikel in der 14. Auflage von Brockhaus’ Conversationslexikon. Ein kürzerer, auch wohl nach directen Mittheilungen, bei Ad. Hinrichsen, Das litterar. Deutschland² (1891), S. 79 f. – Zur Verwandtschaft Beaulieu’s mit den Egloffsteins, insbesondere über seine obengenannte Tante vgl. Goethe-Jahrbuch XII, 139–149 u. XII, 270 (J. Dembowski’s Lycker Gymnasialprogramm 1889), über Beaulieu’s Ersatz in der Goethe-Gesellschaft deren 5. Jahresbericht S. 4 im XI. Goethe-Jahrbuche; vgl. auch das Gothaische genealogische Taschenbuch der Freiherrl. Häuser u. s. w.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist Ferdinand Freiherr von Gall (1809–1872), oldenburgischer Kammerherr und Intendant des Hoftheaters.