ADB:Bernstorff, Andreas Gottlieb Freiherr von

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Artikel „Bernstorff, Andreas Gottlieb von“ von Adolf Köcher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 433–436, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bernstorff,_Andreas_Gottlieb_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:21 Uhr UTC)
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Bernstorff: Andreas Gottlieb v. B., braunschweigisch-lüneburgischer Staatsminister in Celle, Hannover und London, am 2. März (20. Februar) 1649 zu Ratzeburg geboren, entstammte der mecklenburgischen Ritterschaft; sein Vater Andreas, braunschweig-wolfenbüttelscher Rath, war Domherr zu Ratzeburg, seine Mutter, Anna Elisabeth, eine Tochter des Ratzeburger Domdechanten Detlef v. Bülow auf Hundorf. Den Vater verlor er früh, der „ernsten, verständigen“ Mutter rühmt er in der Selbstbiographie, die er als Greis schrieb, die „große Sorgfalt und genaue Aufsicht“ nach, in der sie ihn und seine Brüder erzog. Auch dem Rector des Göttinger Gymnasiums, Heinrich Tolle, dessen Hause und Schule er 1662–64 angehörte, hat er eine dankbare Erinnerung bewahrt. Nachdem er 1665–68 die Universität Helmstedt besucht und dann in Speier, wo sein Vetter Joachim Andreas v. Bernstorf kaiserlicher Kammergerichts-Assessor war, die Praxis des höchsten Gerichtshofs kennen gelernt hatte, erweiterte er seine Welt- und Menschenkenntniß auf einer zweijährigen Cavaliertour (1669–70), die ihn durch Frankreich und Italien führte; über Wien, Dresden und Braunschweig kehrte er nach Ratzeburg heim.

Hier begann er seine öffentliche Thätigkeit im Dienste des Herzogs Christian I. Louis von Mecklenburg-Schwerin. Als dieser für Ludwig XIV. Truppen zum holländischen Kriege warb, stand B. seiner Gemahlin Isabella Angelica de Mortmorency während der kurzen Zeit, da sie in Mecklenburg weilte (1670–72), zur Seite und gab ihr, als sie infolge der Differenzen mit dem Gatten in ihre französische Heimath zurückkehrte, bis Utrecht das Geleit. Auf dem Rückwege besuchte er den cellischen Hof und nahm auf Einladung des Herzogs Georg Wilhelm (s. A. D. B. VIII, 634) dort längeren Aufenthalt. Im Gegensatz zu den französischen Glücksrittern der cellischen Tafelrunde widmete sich der deutsche Edelmann ehrlich dem Dienste seines fürstlichen Gönners. So sehen wir ihn, als Georg Wilhelm unter dem Einfluß seines Kanzlers Schütz dem kaiserlichen Kriegsbunde gegen Frankreich beitrat, in verschiedenen diplomatischen Missionen thätig; dann begleitete er den Herzog auf den Elsässer Kriegsschauplatz (1674); auch an dem Feldzug von 1675, der zur Eroberung von Trier führte, nahm er als sein Kriegsrath und Generalcommissar theil. Noch in demselben Jahr verheirathete er sich mit der Tochter (Jeanette Lucie) des von ihm hochverehrten Kanzlers Schütz, dem er seine politische Schulung verdankte. Dann machte er, nach einer Mission im Haag, auch den Feldzug mit, durch den Georg Wilhelm und seine Alliirten die schwedischen Stiftslande Bremen und Verden eroberten, und hatte nach der Diversion der herzoglichen Truppen an den Mittelrhein, die Winterquartiere derselben in der Wetterau zu reguliren.

Nachdem er so am cellischen Hofe drei Jahre als Volontär sich bewährt hatte, gab der Tod seines Schwiegervaters, des Kanzlers Schütz, um Johannis 1677, dem Herzog Georg Wilhelm den Anlaß, den Achtundzwanzigjährigen zum Geheimen Rath und Amtsnachfolger des Kanzlers zu ernennen. B. hat das politische Geschick, das er seinem Vorgänger und Vorbilde nachrühmt, auch seinerseits bethätigt, allein die reichspatriotische Richtung, die jener der cellischen Politik gegeben, hat er nicht fortzuführen vermocht. Denn einerseits nahm ihm [434] den leitenden Einfluß, den Schütz auf den Herzog gehabt hatte, die durch jene Politik zur Reichsfürstin und rechten Gemahlin des Herzogs emporgehobene Eleonore d’Olbreuse vorweg und leitete über den Kopf des Ministers durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen eine Annäherung der cellischen Regierung an Frankreich ein. Andererseits aber verstand es die französische Diplomatie, nachdem ihr einmal die Bahn geöffnet war, das aus dem Ehrgeiz Georg Wilhelm’s aufwachsende Zerwürfniß mit seinen Alliirten, insbesondere die Rivalität zwischen Braunschweig-Lüneburg und Brandenburg, meisterlich für ihre Zwecke auszubeuten. So erklärt es sich, daß B. zu gleicher Zeit die politisirende Herzogin und das emporstrebende Brandenburg als niederzuringende Rivalen zu hassen und zu bekämpfen begann. Mit dem am 5. Februar 1679 zwischen ihm und dem Grafen Rebenac vereinbarten Sonderfrieden Georgs Wilhelm’s mit Frankreich beginnt jenes welfische Gegenspiel gegen Brandenburg, das die Folgezeit beherrscht hat. Die nächste Wirkung desselben war, daß sich der Kurfürst von Brandenburg zum Frieden von St. Germain (1679) bequemen mußte. Dem Ansehen der Herzogin Eleonore aber thaten den ersten Abbruch die schwierigen Verhandlungen, durch die Herzog Ernst August von Hannover, der seit Eleonorens Standeserhöhung seinem Bruder Georg Wilhelm entfremdet war, mit ihm wieder ausgesöhnt wurde. In dem Bruderbunde, der sich durch die Vermählung des hannoverschen Erbprinzen Georg Ludwig mit der einzigen Tochter Georg Wilhelm’s (1682) vollends zusammenschloß, gewann B. eine Handhabe gegen die überwiegende Autorität der Herzogin und schuf sich zugleich eine gesicherte Stellung bei dem zur Nachfolge in Celle berufenen und zur Kurwürde (1692) emporsteigenden Hause Hannover. Ganz im Sinne desselben hat er denn auch, als 1694 die Ehe des hannoverschen Kurprinzenpaares zusammenbrach, bei dem erbärmlichen Scheidungsproceß gegen die nach Ahlden verbannte Kurprinzessin mitgewirkt (s. unter Sophie Dorothea A. D. B. XXXIV, 671).

Daß sich inzwischen die cellische Politik von der französischen Freundschaft loslöste und in das entgegengesetzte Lager überging, geschah noch unter Mitwirkung der über die Verfolgung ihrer hugenottischen Glaubensgenossen empörten Herzogin Eleonore; von da an aber sah sie sich mehr und mehr durch den mit der erneuten hannoverschen Freundschaft wachsenden Einfluß Bernstorff’s zurückgedrängt. Bereits um 1688 ruhte allein in seinen Händen die ganze Regierung des Herzogthums. Er entfaltete, wie die Acten des hannoverschen Staatsarchivs erweisen, eine ganz außerordentliche Arbeitskraft. Schon die bloße Aufzählung all’ der Actionen, auf die er maßgebend Einfluß geübt hat, würde sich zu einer Skizze der ganzen braunschweigisch-lüneburgischen Geschichte dieser Epoche erweitern müssen. Ich beschränke mich deshalb darauf, zu betonen, daß der vornehmste Inhalt dieser wichtigen Epoche seiner Wirksamkeit der Kampf gegen „die große Präpotenz von Frankreich“ war. Indem er dadurch der persönlichen Freundschaft, die den Herzog Georg Wilhelm mit Wilhelm III. von Oranien verband, den festesten politischen Untergrund gab, gewann er zugleich einen hervorragenden Antheil an der Befestigung der von Wilhelm III. begründeten Thronfolge des Hauses Hannover in England.

Als dann durch den Tod Georg Wilhelm’s (1705) das cellische Fürstenthum mit Hannover vereinigt wurde, trat B. in die hannoversche Regierung über und gewann dank seiner Vergangenheit und seiner Persönlichkeit, wenn er sich auch in der Rangordnung bis zum Tode des Grafen Platen mit der zweiten Stelle beschied, dennoch auch hier sofort eine durchgreifende Autorität. Das zeigte sich insbesondere in der vielen Anfechtungen ausgesetzten Frage der englischen Succession. Während die an erster Stelle zur Thronfolge berufene Mutter Georg Ludwig’s, die Kurfürstin Sophie, mit ungeduldiger Lebhaftigkeit sich in die englischen [435] Parteikämpfe einmischte (s. unter Sophie A. D. B. XXXIV, 665 f.), enthielt sich der von B. berathene Kurfürst jedes Eingriffs in die innern Angelegenheiten Englands und suchte die beste Gewähr seiner Erbfolge nicht sowol in der Pflege der Beziehungen zu den manchem Wechsel der Haltung unterworfenen englischen Staatsmännern als vielmehr in dem unentwegten Kampfe gegen Ludwig XIV., den Protector der aus England verbannten Stuarts; daraus ergab sich der feste Anschluß an den Kaiser und die Holländer während des spanischen Erbfolgekriegs. Dieser weisen Politik Bernstorff’s hatte der Kurfürst es zu verdanken, daß er trotz der störenden Einmischung seiner nur von Leibniz berathenen Mutter, die schließlich eine feindselige Haltung der Königin Anna von England zur Folge hatte, dennoch nach deren Tode ohne Kampf den Thron von England als Georg I. besteigen konnte (1714). Man muß sich diese verfehlte Einmischung Leibnizens in die von B. befolgte Politik der Zurückhaltung vor Augen stellen, um das Mißtrauen und die Härte richtig zu würdigen, womit B. dem allerorten betriebsamen und mit der Regierungspolitik nicht immer conformen Gelehrten die Schwingen zu binden bedacht war.

Im J. 1714 folgte B. seinem Herrn nach London, im folgenden Jahre (8. October 1715) wurde er von Kaiser Karl VI. in den Reichsfreiherrnstand erhoben, und dieser, da seine Söhne vor ihm gestorben waren, zugleich seinem Vetter und Schwiegersohne, dem Kammerherrn Joachim von Bernstorff, verliehen. B. faßte seine neue Londoner Stellung in großem Stile auf, er vermeinte infolge der Doppelherrschaft seines Herrn in England und Deutschland den Westen und Osten Europas dirigiren zu können. Daher erfuhr insbesondere Preußen, zugleich aber auch Dänemark, seine erbitterte Gegnerschaft im nordischen Kriege, die mecklenburgische Ritterschaft andrerseits fand in ihrer Fehde mit Herzog Karl Leopold von Schwerin an ihm den wirksamsten Rückhalt; denn auf Festsetzung der welfischen Herrschaft in Mecklenburg und Pommern lief seine Politik hinaus (s. A. D. B. VII, 645 f.) Dabei aber hat er doch auch das allgemeine deutsche Interesse gegen Schweden und Rußland vertreten. Wie in der auswärtigen Politik, so ertheilte er auch in den innern Angelegenheiten Englands dem Könige seinen Rath ebenso frei, wie er es in Hannover gethan hatte. Mit dem Regimente der parlamentarischen Parteien konnte sich sein erfahrungsstolzes, herrisches Selbstgefühl nicht befreunden. Sagten die Engländer ihm nach, daß er sich für unfehlbar halte, so erging sich B. dafür im Spott über die „unbeschreibliche Menge der Leute, die sich zu allem capabel zu sein einbilden“, als eine Eigenthümlichkeit Englands.

Im J. 1717 gelang es den Engländern, die deutschen Minister Georg’s I. zu stürzen, auch B. mußte das Feld räumen und erntete für seine langjährigen treuen Dienste die schnödeste Ungnade Georg’s. Dennoch bricht kein Wort der Gereiztheit durch die Selbstbiographie hindurch, die er 1717 entworfen hat. Er zog sich auf seine Güter zurück und widmete sich insbesondere der 1694 im Grenzstreit mit Preußen erworbenen Herrschaft Gartow, die er zum Familienfideicommiß erhob (1720). Die Koppel- und Schlagwirthschaft, die er hier zuerst einführte, wurde vorbildlich für den mecklenburgischen Adel, dessen Führer er blieb; recht aus der Seele dieser Junkerschaft heraus war sein Vorkampf für ihre ständische Libertät. Daß er selber über ihre Standesbeschränktheit hoch hinwegsah, erhellt aus den zahllosen Acten, Briefen und Denkschriften von seiner Hand, die das Staatsarchiv zu Hannover verwahrt. Durch eine ausgebreitete Correspondenz blieb er mit den europäischen Staatsmännern seiner Zeit bis an seinen Tod in Beziehung. Er starb am 6. Juli 1726.

Seine drei Söhne waren ihm im Tode vorangegangen. Von seinen vier Töchtern ist die zweite, Charlotte Sophie, durch die Vermählung (1705) mit [436] ihrem Vetter, dem damaligen Kriegsrath Joachim von Bernstorff, die Ahnfrau des heutigen Grafenhauses geworden; ihrem zweiten Sohne, Hartwig Ernst, verdankt dasselbe seine Erhebung (1767) in den dänischen Grafenstand.

Biograph. Fragmente in Spiel’s Vaterl. Archiv des Königreichs Hannover, V (1821). – Selbstbiographie des Ministers A. G. v. B., herausgeg. von Köcher, im 2. Jahresbericht des Kaiser Wilhelms-Gymnasiums zu Hannover (1877). – Havemann, Gesch. der Lande Braunschweig und Lüneburg, III. – Leibnizens Briefwechsel mit Bernstorff, herausg. von Doebner in der Zeitschrift des Histor. Vereins für Niedersachsen, 1881. – Droysen, Gesch. der preuß. Politik, IV. – Michael, Englische Geschichte, I.