ADB:Sophie (Kurfürstin von Hannover)

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Artikel „Sophie, Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg, Kurfürstin von Hannover“ von Adolf Köcher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 665–671, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sophie_(Kurf%C3%BCrstin_von_Hannover)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 17:50 Uhr UTC)
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Sophie, Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg, Kurfürstin von Hannover, geboren am 14. October 1630, † am 8. Juni 1714, war das zwölfte Kind des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz und der Elisabeth Stuart, Tochter König Jacob’s I. von England. Der Stolz dieser Abkunft von zwei der ältesten und vornehmsten Geschlechter ist die Grundstimmung ihrer Seele und der Angelpunkt ihres Schicksals geworden.

Nach dem Schiffbruch des böhmischen Winterkönigthums ihrer Eltern im [666] Haag geboren, schon im zweiten Lebensjahre des Vaters beraubt und von der lieblosen Mutter kaum beachtet, ertrug sie den Druck einer steifen und pedantischen Erziehung und die Sorgen eines exilirten Hofhalts mit der Frohnatur eines Pfälzer Kindes und errang sich die Aufmerksamkeit ihrer Umgebung durch die rasche Fassungsgabe und witzige Schärfe, mit der sie jede Anregung in sich aufnahm und erwiderte. Ihre aufblühende Schönheit und Art sich zu geben, ihre hohe Herkunft und reformirte Religion erweckten im Kreise der englischen Emigranten, die vor der Revolution nach Holland geflüchtet waren, den Gedanken, sie mit dem Prinzen von Wales, dem nachmaligen Könige Karl II., zu vermählen, und man glaubte zu bemerken, daß der Prinz sich für seine Cousine interessire. Sie aber durchschaute rechtzeitig den Flatterhaften und beugte einer ernsteren Enttäuschung vor, indem sie der widerstrebenden Mutter die Erlaubniß abgewann, an den Hof ihres ältesten Bruders Karl Ludwig, der durch den westfälischen Frieden die Kurpfalz zurückerlangt hatte, übersiedeln zu dürfen (1650).

Der fast achtjährige Aufenthalt in Heidelberg gab ihrem Wesen und Leben die entscheidende Wendung. Sie sah hier den Bruder, den sie wie einen Vater verehrte, in einem zerstörten Lande und einer unglücklichen Ehe mit der Feindschaft des Schicksals ringen und reifte im Verkehr mit dem hochbegabten und rastlos thätigen, aber auch leidenschaftlich heftigen Manne, der die pietätvolle Hingebung der Schwester mit rückhaltlosem Vertrauen erwiderte, zu einer ebenso vielseitigen Regsamkeit der geistigen Interessen, zugleich aber zu einer dem Bruder überlegenen Sicherheit der Lebensführung heran, indem sie unter dem Eindruck der Uebereilungen seiner Reizbarkeit die Affecte ihres Herzens nach den Rathschlägen ihres Verstandes zu regeln sich gewöhnte.

Diese Selbstbeherrschung bewährte sich bei den Werbungen um ihre Hand, in ihrem Brautstand und ihrer Ehe. Den portugiesischen Herzog von Aveiro wies sie zurück, weil sie sich nicht zu einem Unterthan herablassen mochte, nachdem sie sich vorher auf einen König Hoffnung gemacht hatte; und der schwedische Prinz Adolf Johann, König Karl’s X. Bruder, mußte zurücktreten, weil er keine genügende Bürgschaft für ihre Zukunft zu bieten vermochte. Unter den Herzogen von Braunschweig-Lüneburg machte zuerst der jüngste, Ernst August, auf sie Eindruck, aber als apanagirter Prinz war er keine gute Partie; sie verlobte sich (1656) mit dem ältern, Georg Wilhelm, der damals regierender Herr von Hannover war. Als aber dieser alsbald durch seine Extravaganzen das Verlöbniß entweihte und dann durch das urkundliche Versprechen steter Ehelosigkeit den jüngsten Bruder bewog, die Braut zu übernehmen, beugte auch dieser Handel nicht den stolzen Lebensmuth der Prinzessin: da es ihr auf eine gute Versorgung ankam, und diese durch die Aussicht Ernst August’s, den regierenden Bruder zu beerben, gesichert war, tauschte sie den einen für den andern ein und vermählte sich mit Ernst August (1658).

Die so geschäftsmäßig geschlossene Verstandesehe entwickelte sich anfangs wider Erwarten zu einem glücklichen Herzensbunde, trug aber beiden Theilen trübe Erfahrungen und harte Kämpfe, der Gattin auch bittere Enttäuschungen und Demüthigungen ein. Schon die Gemeinsamkeit des Haushalts, der das junge Paar mit Georg Wilhelm im Schlosse von Hannover verband, erweckte in dem entzündlichen Herzen Georg Wilhelm’s die alte Liebe zu der einstmaligen Braut und rief die Eifersucht Ernst August’s wach. S. empfand es daher wie eine Erlösung, als der Tod des Bischofs von Osnabrück ihren Gemahl auf Grund der Stipulationen des westfälischen Friedens zur Nachfolge in diesem Stifte berief. Die Uebersiedlung nach Iburg (1662) schnitt die Galanterien Georg Wilhelm’s ab. Sophiens Unglück aber war, daß dies zu spät geschah. Denn die Eifersucht ihres Gemahls schlug allmählich in Gleichgültigkeit und Untreue um.

[667] Zunächst freilich empfand S. die leichtfertigen Anwandlungen ihres Gemahls nur als vorübergehende Trübungen des ehelichen Verhältnisses. Im ganzen waren die achtzehn Jahre, während deren das fürstliche Paar in Iburg residirte, die glücklichste Periode im Leben der Herzogin. Ein reicher Kindersegen wurde ihr zu theil. Den in Hannover geborenen Söhnen Georg Ludwig (1660) und Friedrich August (1661) folgten noch fünf Kinder nach: Maximilian Wilhelm (1666), Sophie Charlotte (1668), Karl Philipp (1669), Christian (1671) und Ernst August (1674). In der Pflege und Erziehung ihrer Kinder offenbarte S. eine von der sonstigen Schärfe ihres Wesens unbeeinflußte Weichheit des Gemüths: je bitterer sie selbst als Kind den Sonnenschein sorgender Mutterliebe vermißt hatte, um so zärtlicher und schonender ging sie auf die Eigenart jedes ihrer Kinder ein. Die Nachsicht aber, mit der sie die Schwächen ihres Gemahls ertrug, ermöglichte ihr wiederholte Theilnahme an den Vergnügungsreisen außer Landes, auf denen Ernst August gleich seinem Bruder Georg Wilhelm seine Pflichten in den Wind schlug. Das Reiseziel der Herzöge war in der Regel Holland oder Italien. Holland, wohin S. wiederholt mitging und wo sie 1661 zum letzten Male ihre Mutter sah, war ihr aus den Tagen ihrer Kindheit vertraut. Die Eindrücke der italienischen Reise, auf der sie 1664 namentlich Venedig und Rom kennen lernte, hat sie in ihren Briefen und Memoiren zu einem anschaulichen Culturbilde zusammengefasst. Zu den Perlen der Memoirenlitteratur aber gehört die Schilderung der Eindrücke, die sie am Hofe Ludwig’s XIV. bei dem Besuche empfing, den sie im Sommer 1679 ihrer Nichte, der Herzogin Sophie Charlotte[WS 1] von Orleans, machte. Der innigen Verehrung, mit der diese seit den Jugendjahren, die sie unter der mütterlichen Obhut ihrer Tante in Hannover und Iburg verlebt hatte, an der heißgeliebten hing, verdanken wir zugleich jene lange Reihe köstlicher Briefe, die eine unerschöpfliche Fundgrube für die Culturgeschichte des 17. Jahrhunderts sind. Dasselbe gilt auch von dem Briefwechsel Sophiens mit ihrem Bruder Karl Ludwig von der Pfalz. Auch diese Briefe sind fast ausnahmslos interessant, bald sprudelnd von Witz und harmlosem Frohsinn, bald ausbrechend in Zorn und boshafte Medisance, hier tiefernste Probleme behandelnd, dort die ärgsten Nuditäten mit urwüchsigem Behagen aufdeckend, eine ununterbrochene, an Pointen unerschöpfliche Causerie.

Dies vertraute Verhältniß zu Karl Ludwig brachte es mit sich, daß S. gelegentlich auch die politische Vermittlung zwischen Kurpfalz und dem Hause Braunschweig übernahm. Auf ihre Bitten schickten Ernst August und Georg Wilhelm dem Kurfürsten in seinem Wildfangskrieg (1665) ein Reiterregiment zu Hülfe. Auf ihren Antrieb half Ernst August (1671) die Vermählung des pfälzischen Kurprinzen Karl mit der dänischen Prinzessin Wilhelmine vermitteln, deren Mutter Sophie Amalie die Schwester der lüneburgischen Herzöge war. Ueber den Kreis der nächsten Familieninteressen hinaus aber hat S. niemals politischen Einfluß geübt, und politisches Urteil hat die sonst so Scharfsinnige überhaupt nicht gezeigt: alle ihre Aeußerungen sind durch persönliche oder dynastische Voreingenommenheit getrübt. Es konnte ihr daher nichts Kummervolleres widerfahren, als die Entzweiung der persönlichen und dynastischen Interessen innerhalb ihres Fürstenhauses.

Diese entsprang aus der Leidenschaft, in der Georg Wilhelm zu der Tochter eines südfranzösischen Edelmannes, Eleonore d’Olbreuse, so heftig entbrannte, daß er darüber alle politischen und Familienrücksichten vergaß. Als er nun durch die Leichtfertigkeit, mit der er auch nach dem Tode seines ältesten in Celle regierenden Bruders (1665) bei der Geliebten im Haag verblieb, seinem zweiten Bruder, den hochstrebenden Convertiten Johann Friedrich, jenen Staatsstreich ermöglichte, durch den sich dieser das reichere cellische Fürstenthum anzueignen versuchte, [668] stand Ernst August ihm treu gegen Johann Friedrich zur Seite und half dazu mit, daß dieser sich damit begnügen mußte, in Hannover Georg Wilhelm’s Nachfolger zu werden. S. aber bot ihre Hand, um Eleonore aus Holland herbeizuziehen und zu einem Vertrage zu bestimmen, kraft dessen jene sich ohne das Band der Ehe dem Herzog von Celle ergab. Hatte S. aber gehofft, durch dies heikle Abkommen den Schwager von einer legitimen Ehe und ihre eigene Familie vor einer Gefährdung der verheißenen Nachfolge in dessen Erbe zu bewahren, so empfand sie es als eine unverzeihliche Anmaßung, daß jene Französin, nachdem sie dem Herzog eine Tochter, Sophie Dorothea, geboren hatte, unbegnügt mit dem Einfluß einer den Herzog beherrschenden Maitresse, über ihren Stand emporstrebte und ihre Vermählung mit dem Herzog ebenso wie die Legitimirung ihres Kindes durchsetzte. Denn wer bürgte dafür, daß nunmehr Georg Wilhelm sich nicht auch über die der Nachkommenschaft seines Bruders zugesicherte Erbfolge ebenso hinwegsetzte, wie über seinen urkundlichen Eheverzicht? Der bittere Haß, mit dem S. fortan die ehrgeizige Rivalin verfolgte, entfremdete auch die fürstlichen Brüder einander. Es war daher für S. ein Trost in dieser Spannung, daß der Tod des söhnelosen Herzogs Johann Friedrich (1679) ihren Gemahl auf den hannoverschen Thron berief und die Zukunft ihrer Kinder sicher stellte.

Noch in demselben Jahr aber verlor sie erst ihre älteste Schwester, die durch den Verkehr mit Descartes berühmte Elisabeth, Aebtissin von Herford, dann auch ihren ältesten Bruder, an dem sie wie eine Tochter hing, den Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz. Der tiefe Schmerz, in den dieser Verlust sie niederbeugte, wurde durch das Treiben ihres Gemahls verdoppelt. Frivoler als je setzte sich Ernst August über Familien- und Herrscherpflichten hinweg, um fast zwei Jahre lang dem Vergnügen in Italien nachzujagen; in seinem Gefolge aber befand sich die Frau seines ersten Ministers, die nachmalige Gräfin von Platen-Hallermund, als seine erklärte Maitresse. Unter schweren Seelenkämpfen überwand die doppelt vereinsamte Herzogin auch dieses Leid und stellte die Freiheit ihres Gemüths wieder her, indem sie sich in die schriftstellerische Gestaltung ihres Lebenslaufs vertiefte. Ihre Schicksale und Beobachtungen, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, ihre Liebe und ihr Haß, alle Stimmungen und Erfahrungen eines vielbewegten Lebens treten uns in geistsprudelndem Flusse aus den künstlerisch abgeklärten Memoiren, die die Fünfzigjährige im Winter 1680/81 verfaßte, entgegen.

Neuen Kummer schuf ihr die auf Einigung und Erhöhung seines Hauses abzielende Politik ihres Gemahls, dessen oberstes Absehen die Erlangung der bereits von Johann Friedrich ins Auge gefaßten Kurwürde war. Es handelte sich zunächst um die endgültige Sicherung der cellischen Erbschaft. Dazu aber bot sich als sicherstes Mittel die von Georg Wilhelm angeregte Vermählung seines einzigen Kindes, der Sophie Dorothea, mit dem ältesten der hannoverschen Prinzen, Georg Ludwig, dar. Die ahnenstolze S. bäumte sich sich gegen solche Mesalliance ihres Sohnes mit der emporgekommenen Tochter einer Unebenbürtigen auf. Ernst August aber überwand durch die Rücksicht auf die cellische Erbschaft seinen und seiner Gemahlin Stolz und begründete durch Vollziehung jenes Ehebundes (1682) seine Versöhnung mit Georg Wilhelm und die Vereinigung aller Lande der jüngeren Linie des braunschweig-lüneburgischen Stammes. Die Vermählung seiner Tochter Sophie Charlotte mit dem Kurprinzen von Brandenburg, dem nachmaligen Könige Friedrich I. (1684), die gleichfalls politischer Combination entsprang, war auch der Gemahlin recht. Um so weniger konnte sie sich mit der wichtigsten Vorbedingung der Kurwürde, der 1682 eingerichteten Primogenitur, aussöhnen. Ihr Mutterherz empfand dies Gesetz nur als eine Enterbung der [669] jüngeren Söhne und begünstigte daher den Widerstand, den diese im Bunde mit dem eifersüchtigen Herzoge von Wolfenbüttel und anderen, der neuen Erbfolgeordnung entgegensetzten. Der Widerstand wurde gebrochen, und S. mußte ihre mütterliche Schwäche mit dem Verlust zweier Söhne büßen. Friedrich August und Maximilian Wilhelm rissen sich los von Haus und Heimath, um in österreichische Dienste zu treten; der erste fiel im Türkenkriege (1690), der zweite stürzte sich in Schulden, gerieth in die Arme der Jesuiten und ward auch der Mutter entfremdet. Die Heeresfolge aber, die Ernst August dem Kaiser in den Türkenkriegen leistete, trug auch dem Prinzen Karl Philipp, dem vierten Sohne, den Tod im Felde ein (1690).

Das Jahr 1692 brachte endlich die Erfüllung der hannoverschen Wünsche, die neunte Kur. Aber die trüben Erfahrungen waren damit für S. nicht zu Ende. Der ärgste Scandal, den sie in ihrer Familie erlebte, der Zusammenbruch der Ehe ihres ältesten Sohnes mit der verachteten Tochter der d’Olbreuse (1694), gereichte ihr allerdings zur Genugthuung; ja, es war im letzten Grunde ihr unauslöschlicher Haß und die von ihr ererbte Lieblosigkeit ihres Sohnes, wodurch Sophie Dorothea ins Unglück getrieben ward. Allein auch ihrer eigenen Ehe ging durch die beharrliche Untreue des Gatten aller Sonnenschein verloren. Gleichwohl entschlüpfte ihr nur selten eine Klage über die Zurücksetzung, die sie erfuhr, und alle Kränkungen löschten in ihrem Herzen die Liebe nicht aus: während der letzten Krankheit ihres Gemahls wich sie nicht von seiner Seite, und sein Tod (1698) ließ sie in aufrichtigem Schmerze zurück. Ihr ältester Sohn aber, Kurfürst Georg Ludwig, vergalt der Mutter die Nachsicht, mit der sie sein Wesen geduldet hatte, statt es zu beugen, mit verletzender Unfreundlichkeit und Rücksichtslosigkeit. Dazu kamen neue Verluste: Ihr zweitjüngster Sohn, Christian, fiel im spanischen Erbfolgekriege (1703). In ihrer Tochter aber, der philosophischen Preußenkönigin Sophie Charlotte, verlor die greise Kurfürstin (1705) die einzige ihr ebenbürtige und ihr ganz ergebene Seele ihres engeren Familienkreises. So blieb keine Epoche ihres Lebens ohne schwere Schicksalsschläge.

Die Kürfürstin aber behielt aber behielt unter solcher Fülle tragischer Erfahrungen einen ungedrückten Lebensmuth. Indem sie jede gehaltvolle Anregung mit derselben Schnellkraft in sich aufnahm, mit der sie jeden störenden Affect überwand, bewahrte sie sich die unverwüstliche Heiterkeit einer von stolzer Geschlossenheit und weltoffener Klugheit im Gleichgewicht gehaltene Seele. Es gab daher kein geistiges Interesse ihres Jahrhunderts, das sie nicht in den Kreis ihres Nachdenkens zog. Die höchste Freude ihres Alters aber war der Gedankenaustausch mit Leibniz. Schon seit dem Tode des Herzogs Johann Friedrich, der den großen Denker nach Hannover gezogen hatte, vollends aber seit der Thronbesteigung Georg Ludwig’s, der ohne Verständniß und Achtung der Gedankenarbeit, den allerorten betriebsamen und mit der Regierungspolitik nicht immer conformen Gelehrten nur mit demselben nicht ganz unbegründeten Mißtrauen ansah, in dem sein Minister Bernstorff jenem die Schwingen zu binden bedacht war – in dieser Lage war es allein die Kurfürstin Sophie, die dem gewaltigen Schaffen des in der geistigen Oede des hannoverschen Hofes vereinsamten Genius verständnißvolle Würdigung und ermunternde Anregung entgegenbrachte und ihm durch solche Huld das Dasein in Hannover erträglich machte. Ihr Briefwechsel mit Leibniz spiegelt die Vielseitigkeit der Interessen, die sie mit ihm austauschte, wieder. Mit zutreffendem Künstlerblick hat daher der Schöpfer ihres Standbildes in dem Parke ihrer Residenz zu Herrenhausen, die so oft Zeuge dieses Verkehrs war, die Kurfürstin in diesem Antheil an den geistigen Strebungen ihrer Zeit dargestellt. Denn nicht als liebesthätige Landesmutter hat sich die den sanften Zügen des weiblichen Gemüths nur selten nachgebende Fürstin eine Stätte in der Erinnerung [670] der Nachwelt bereitet: die geschichtliche Bedeutung ihrer die Herzen von sich abstoßenden, aber den Geistern imponirenden Majestät liegt vornehmlich in jener fördernden Theilnahme, mit der sie das Geistesleben ihrer Zeit, namentlich aber die Arbeiten Leibnizens, begleitet hat. Insbesondere ist ihr Name mit den kirchlichen Reunionsversuchen verknüpft. Denn wie skeptisch auch die Kurfürstin allen religiösen Fragen gegenüberstand, und wie sarkastisch auch ihre Aeußerungen über Pfaffen und Kirchenthum sind, so war doch das kirchliche und religiöse Interesse ein Hauptangelpunkt ihres Lebens. Daher verfolgte sie die Bemühungen Spinola’s um eine Reunion der katholischen und protestantischen Kirche nicht nur von Anfang an mit lebhafter Theilnahme, sondern vermittelte auch durch ihre Schwester Luise Hollandine, die zur katholischen Kirche convertirte Aebtissin von Maubuisson (bei Paris), die Theilnahme Pelisson’s und Bossuet’s an dem in Hannover zwischen Spinola, Leibniz und Molanus versuchten Ausgleich der kirchlichen Differenzen. Das Ergebnis war die Erkenntniß, daß das in seinem innersten Wesen Unvereinbare sich nicht durch eine von politischen Beweggründen eingegebene Uebertünchung versöhnen ließ. Und die Kurfürstin widerstand allen Versuchungen, die an sie herantraten, sich zur römischen Kirche zu bekehren, und blieb wenn auch in ihrer philosophischen Weltanschauung die Unterschiede der Bekenntnisse gleichgültig waren, dennoch ihrem reformirten Bekenntnisse treu.

Eben dadurch erlangte und wahrte sie sich die Aussicht auf den englischen Thron, als nach der Thronbesteigung Wilhelm’s III. von Oranien das Parlament durch den act of settlement (1689) die Ausschließung des katholischen Bekenntnisses von der Thronfolge in England aussprach und damit die Erbansprüche all der Stuarts vernichtete, die auf dem Wege der legitimen Erbfolge zwischen der Kürfürstin und dem englischen Throne standen. Denn wenn die beiden protestantischen Töchter des vertriebenen Königs Jacob II., Marie und Anna, die man zunächst als zum Thron berechtigt anerkannte, kinderlos blieben, so mußte, da Jacob’s älterer Bruder König Karl II., keine legitimen Nachkommen hinterlassen, seine einzige Schwester aber, die Herzogin von Orleans, nur katholische Descendenz hatte, der Erbgang von den Kindern Karl’s I. auf die Nachkommenschaft Jacob’s I. fortschreiten. Von dessen einziger Tochter, der Gemahlin des Winterkönigs, hatte aber nur das zwölfte Kind, die Kurfürstin Sophie, ihre Geschwister, soweit sie nicht katholisch geworden waren, überlebt. Auf sie richtete sich daher der Blick Wilhelm’s III. gleich bei seiner Thronbesteigung. Indessen das Unterhaus lehnte seinen Antrag, dieselbe sofort als Thronerbin anzuerkennen, ab, und die eben damals erfolgende Geburt eines Sohnes der Prinzessin Anna schien die hannoversche Erbfolge in weite Ferne zu rücken. Als aber auch dies Kind wie alle seine Geschwister in jungen Jahren starb (1700) und damit alle Hoffnung auf eine fernere Nachkommenschaft der beiden zunächst zum Throne berufenen Fürstinnen erlosch, kam das Parlament unter dem Eindruck der Weltherrschaftspläne, mit denen Ludwig XIV. durch seinen Kampf um den spanischen Thron und sein Eintreten für die englischen Ansprüche der vertriebenen Stuarts die Unabhängigkeit Europas bedrohte, dem Könige Wilhelm als anerkanntem Hüter des europäischen Gleichgewichts in der Anschauung entgegen, daß die Thronfolge des protestantischen und der französischen Clientel entgegengesetzten Hauses Hannover eine Garantie der politischen und religiösen Freiheit Englands und Europas bedeute, und übertrug durch das Gesetz vom 22. Juni 1701 die Krone Großbritanniens, nach dem unbeerbten Abgange der Prinzessin Anna, der Kurfürstin Sophie und ihrer Nachkommenschaft. Am 14. August nahm S. die Successionsacte aus der Hand einer außerordentlichen Gesandtschaft entgegen.

Die so gesicherte Aussicht auf die englische Krone wurde allerdings noch wiederholt durch den Wandel der englischen Parteikämpfe getrübt. Aber während [671] Sophiens Sohn und Erbe, Kurfürst Georg Ludwig, mit kühler Berechnung für die englische Succession nur that, was unerläßlich war, und um diese nicht zu gefährden, sich jeder überflüssigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Englands enthielt, verfolgte die Kurfürstin mit ungeduldiger Spannung die Entwicklung der Dinge in England und bedauerte nichts mehr, als daß das Alter und die Abneigung der um dreißig Jahre jüngeren Königin Anna, die zunächst auf Wilhelm III. folgte, ihr den Thron und selbst den Aufenthalt in England versagte. Sie wünschte wenigstens noch greifbaren Gewinn aus ihrem Anspruch zu ziehen und unterhielt daher einen regen Verkehr nach England hinüber. Ihr lebhafter, nur von Leibniz berathener Geist durchkreuzte daher auch mehr als einmal die von der hannoverschen Regierung eingehaltene Politik der Geduld und provocirte schließlich eine schroffe Haltung der Königin Anna. So endete auch die letzte Periode des Lebens der Kurfürstin mit schwerer Enttäuschung. Ihr höchster Wunsch, als Königin zu sterben, blieb unerfüllt. Bei einem Spaziergange im Parke von Herrenhausen streckte ein Schlagfluß die rüstige und geistesfrische Greisin in Alter von 84 Jahren, an 8. Juni 1714 dahin. Nur wenige Wochen (1. Aug.) später folgte ihr die Königin Anna im Tode nach, und ihr ältester Sohn bestieg, nachdem er bereits bei Lebzeiten der Mutter das mit ihren Herzenskämpfen errungene cellische Fürstenthum Georg Wilhelm’s (1705) ererbt hatte, als König Georg I. auch den durch die hohe Herkunft der Mutter gewonnenen englischen Thron.

Memoiren der Kurfürstin, herausg. von Köcher in den Publicationen aus den preuß. Staatsarchiven, IV. – Briefwechsel der Kurfürstin mit Karl Ludwig und den pfälzischen Raugräfinnen, herausg. von Bodemann in den Publicationen aus den preußischen Staatsarchiven, XXVI u. XXXVII. – Briefwechsel der Kurfürstin mit Leibniz, herausg. von Klopp in den Werken von Leibniz, VII–IX. – Havemann, Geschichte von Braunschweig und Lüneburg, III. – Köcher, Geschichte von Hannover und Braunschweig, I. – Heinemann, Geschichte von Braunschweig und Hannover, III. – Fischer, Geschichte der neueren Philosophie, II.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sophie Charlotte ist wohl ein Schreibfehler, gemeint ist Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orleans.