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ADB:Henzen, Wilhelm

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Artikel „Henzen, Wilhelm“ von Eugen Petersen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 207–215, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Henzen,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 01:27 Uhr UTC)
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Henzen: Johann Heinrich Wilhelm H. ist am 24. Januar 1816 in Bremen geboren, am 27. Januar 1887 in Rom gestorben.

Der Eltern – der Vater war Kaufmann – früh verlustig, wurde H. mit dem einzigen Bruder von einfachen Leuten aufgezogen. Zarter Gesundheit und mit nicht normalen Augen ausgestattet, war er ein durch Begabung, Fleiß und Sitten ausgezeichneter Schüler des Gymnasiums seiner Vaterstadt. Als er dieses zu Ostern 1836 mit einem Zeugniß ersten Grades verließ, wurde darin auch seinem Charakter ein Lob zu theil, das nach dreißig Jahren von Henzen’s größtem Freunde glänzend bestätigt werden sollte.

Um das classische Alterthum zu studiren, ging H. zunächst nach Bonn, wo ihm von Freunden besonders der Bremer Nik. Delius theuer war und blieb, von Lehrern außer Welcker besonders Lassen und Diez ihn anzogen, wie später in Berlin Boeckh, Droysen, Ritter und Ranke. Neben dem griechischen Alterthum beschäftigte ihn auch das indische und deutsche, Geographie und Geschichte. Um Römisches dagegen, worin er später ganz aufgehen sollte, kümmerte er sich damals auffallend wenig. So schloß er auch das Universitätsstudium 1840 mit einer Doctorschrift über Polybius ab, die nur der Anfang weiterer Untersuchungen über diesen größten hellenistischen Historiker, allerdings den Bewunderer und Geschichtschreiber Roms, sein sollte. Aeußere Umstände haben es zu dieser weiteren Ausführung nicht kommen lassen, gaben H. vielmehr eine ganz andere Richtung, die einzige größere Abweichung seiner geraden Lebensbahn. H. ging zunächst auf Reisen, um Englisch und Französisch zu lernen, nach England und Frankreich, von da nach Italien. In Rom traf er mit seinem Bonner Lehrer Welcker zusammen und hatte das Glück, in des geistvollen Archäologen Begleitung Museen und Ruinen der ewigen Stadt durchwandern zu können. Mit demselben reiste er dann auch nach dem jungen Königreich Hellas. In Athen traf er zwei norddeutsche Landsleute, den Holsteiner L. Roß und den Bremer H. L. Ulrichs, letzteren Kaufmannssohn gleich ihm selbst, beide etwa zehn Jahre älter und vor zehn Jahren bereits durch die Liebe zum alten Hellas dahin geführt, beide endlich an der Universität, Ulrichs auch am Gymnasium Athens als Lehrer thätig. Ulrichs, in welchem H. eben die Eigenschaften fand, durch welche seine eigenen Arbeiten je länger je [208] mehr sich auszeichneten, gab ihm in Griechenland wol die meiste Anregung und übte den nachhaltigsten Einfluß auf ihn aus. Gleich diesem älteren Freunde erlernte H. die Sprache der Neugriechen, schrieb ihre Lieder auf, schenkte ihren öffentlichen Zuständen Aufmerksamkeit, erfreute sich an der classischen Landschaft, vertiefte sich in die Reste der antiken Bild- und Baukunst: den größten Eifer jedoch wandte er auf die realste Basis der attischen Geschichte, auf das von Ulrichs mit ausgezeichneter Sorgfalt betriebene Studium der Topographie von Althellas und Athen. Darum begleitete er Welcker wol auf einer Reise durch den Peloponnes und auf einer zweiten durch Mittelgriechenland, nicht aber nach Kleinasien, sondern blieb in Athen zurück, um sich in dieses noch besser einzuleben. Erst als Welcker von Kleinasien rückkehrte, fuhr ihm H. nach Syra entgegen zu gemeinsamem Besuch von Delos, über welches eben damals Ulrichs eine kurze Uebersicht verfaßt hatte. Von Athen reisten die Genossen dann über Ancona, durch die Abruzzen nach Neapel, dann weiter nach Sicilien und langten gegen Mitte November 1842 in Rom an. Hier sollte Henzen’s Lebensziel plötzlich ein andres werden. Waren seine Gedanken und Arbeiten bis vor kurzem mit unverkennbarer Einseitigkeit auf das griechische Alterthum gerichtet gewesen, so trat er jetzt – und das bedeutete alsbald den Uebergang vom Griechischen zum Römischen – in ein Verhältniß zum Archäologischen Institut, ein Verhältniß, das, anfangs lose, bald fester und fester sich schloß und zu Henzen’s Ehre, zum Segen des Instituts bis an sein Lebensende gedauert hat.

Das Institut war damals nicht wie heute eine ausschließlich deutsche Anstalt, an dessen Centrum in Berlin zwei Zweiganstalten für das classische Gebiet sich angliedern, eine in Rom, eine in Athen, diese für den griechischen Osten, wie jene für den römischen Westen. Vielmehr war es gegründet als Sammel- und Vermittelungsstelle archäologischer Nachrichten aus Ost und West, gegründet zwar hauptsächlich von Deutschen, unter der Protection des preußischen Kronprinzen (nachmals Friedrich Wilhelm IV.), jedoch unter Betheiligung von Dänen, Engländern, vor allen Italienern, bald auch Franzosen. Nach 13jährigem Bestande (seit 1829) hatte die größtentheils auf sich selber gestellte Anstalt die finanziellen Nöthe und die aus nationalen Eifersüchteleien entspringenden Schwierigkeiten noch lange nicht überwunden. Rom war trotz einigen Schwankens nach wie vor der Mittelpunkt, und ebenda wurde das Nachrichtenblatt, das Bullettino redigirt und gedruckt, aber die großen Tafeln der Monumenti und die kleinen der Annali mit dem Text zu beiden erschienen zur Hälfte in Rom, zur Hälfte in Paris; und diese Hälften in Einklang zu halten, war eine dauernde Schwierigkeit. Dirigirender Secretär in Rom war der vielseitig begabte, überaus gewandte und rührige Emil Braun, dem W. Abeken (s. A. D. B. I, 8), der Vetter Heinrich’s als zweiter Secretär zur Seite stand, doch krank, in Deutschland weilend, seit länger schon eine schwache Stütze. Braun hatte Welcker, der Sectionssecretär des Instituts für Deutschland war, auf der Reise in Neapel und Sicilien begleitet und dabei H. kennen gelernt. Gewiß hatte er es mit Welcker erwogen, daß er jenen gleich nach seiner Ankunft in Rom beim Institut beschäftigte. Mit richtiger Einsicht hat er Henzen’s Schritte in der nächsten Zeit gelenkt und damit seine Zukunft bestimmt. Er vertraute ihm zunächst die Bibliothek an, und als am 29. Januar 1843 Abeken starb, ward H. zu seinem Nachfolger bestimmt, nach einem halben Jahre bescheiden honorirt und nach zwei Jahren ernannt. Braun war es auch ohne Zweifel, der H., um ihn sich bei den römischen Archäologen einführen zu lassen, antrieb, eine Preisaufgabe der päpstlichen archäologischen Akademie zu bearbeiten, obgleich dazu nur noch vier Monate Frist waren. [209] Am Palilientage (21. April) 1843 erhielt H. die goldene Medaille: seine „explicatio musivi in villa Burghesiana asservati“ (separat erschienen Rom 1845, in den Dissertt. dell’ Accademia romana 1852) gründete die geforderte Erklärung des berühmten Gladiatorenmosaiks auf eine sorgfältige Revision der schriftlichen und bildlichen Ueberlieferung von der antiken Gladiatur, ein ausgezeichneter Anfang.

Auch an den wöchentlichen Sitzungen des Instituts und an der Berichterstattung im Bullettino betheiligte H. sich bereits in diesem ersten Winter. Stoff lieferten ihm bald die Gladiatur, bald Denkmäler, die ihm Braun überwiesen haben wird, bald seine griechische Reise. Er berichtete z. B. über topographische und epigraphische Arbeiten von Curtius und seinem Freunde Ulrichs, auch noch in folgenden Jahren und gab nach Ulrichs’ frühem Tode einen Theil seiner nachgelassenen Aufsätze in den Annali heraus. Daß Vasen und andres Bildwerk nicht das Richtige für H. wären, konnte Braun’s scharfer Beobachtung und Menschenkenntniß nicht entgehen. Hat sich doch H. schon 1843 gegen den befreundeten L. Wiese vertraulich über die Einseitigkeit mancher Archäologen (wie eben Braun) ausgesprochen. Sein nüchterner Wirklichkeitssinn war mehr auf die Realitäten des Lebens und wörtlich Bezeugtes gerichtet. Möglich ist, daß H. selbst, der in Griechenland auch Inschriften abzuschreiben nicht versäumt hatte, Neigung zur Epigraphik bekundet hatte; glaubhaft versichert wird, daß Braun ihn schon nach den ersten Monaten gemeinsamer Arbeit auf das Gebiet der lateinischen Inschriftenkunde hinwies. Außer einem epigraphischen Anhang zu seiner Gladiatur schlug er ihm schon damals zwei größere Arbeiten vor: eine Sammlung alter Inschriften an öffentlichen Monumenten Roms; sodann einen Nachtrag zu Orelli’s Collectio lateinischer Inschriften. Beides hat H. im Laufe der Jahre ausgeführt, das letztere zuerst, das erstere in seinem Hauptwerk, dem VI. Bande des lateinischen Inschriftencorpus. Bis zu dessen ernstlicher Inangriffnahme sollten freilich noch zehn, bis zur Ausführung mehr als dreißig Jahre vergehen, aber die Gedanken daran beschäftigten schon damals die Geister in Italien wie diesseits und jenseits des Rheins. Boeckh’s griechisches Inschriftencorpus, dessen letztes Stück soeben, 1842 erschienen war, weckte das Verlangen nach neuer, vollständigerer Sammlung auch der lateinischen Inschriften. Von Orelli’s Collectio war der erste Theil zugleich mit Boeckh’s erstem Bande herausgekommen. Henzen’s und Abeken’s Vorgänger am Institut, Olav Kellermann[WS 1], entwarf bereits 1835 den Plan eines lateinischen Corpus, dem er, von dem großen Meister dieses Gebiets, dem Grafen Bartolommeo Borghesi in S. Marino geschult, durch Specialforschungen vorgearbeitet hatte. Doch starb er jung schon 1837. Sein Erbe trat, von Braun angetrieben, von E. Gerhard empfohlen, Otto Jahn an, und Gerhard fragte anfangs 1844 für Savigny wegen epigraphischer Pläne bei Borghesi an. Da waren die Franzosen um ein Weniges zuvorgekommen. Man hatte sich des Meisters Mitwirkung bei einem Pariser Inschriftenwerk gesichert. Nichtsdestoweniger ertheilte Borghesi seinen Rath, auf den Mangel und die Ergänzungsfähigkeit des Pariser Unternehmens hinweisend, wo man die Inschriften aus Büchern und Handschriften sammeln wollte, ohne auf die Originale zurückzugehen. Doch standen sich auch in der Berliner Akademie zwei Parteien gegenüber, deren eine, im Vertrauen, daß durch Scharfsinn und Conjectur die handschriftlichen Fehler, wie bei den antiken Schriftstellern zu bessern seien, die Bucharbeit in Deutschland, deren andre die Prüfung der Originale, vor Allen in Italien voranstellte. Das Werkzeug Jener war A. W. Zumpt; diese, Allen [210] voran Gerhard, setzten ihre Hoffnungen je länger je mehr auf Th. Mommsen, neben welchem O. Jahn bald zurücktrat, indem er sein Material hochherzig zur Verfügung stellte. Statt seiner hatten Braun und Gerhard schon vordem H. ausersehen, der am römischen Institut in derselben Stellung wie einst Kellermann für die geplante Revision der italischen Steinschriften der rechte Mann scheinen mußte.

Im Sommer 1843, während Braun’s Abwesenheit, ruhte schon sicher der Hort des Instituts in Henzen’s Hand. Soweit Geschäftliches und die griechischen Dinge ihm Zeit ließen, vertiefte er sich in die lateinischen Inschriften. Das gab Anlaß, sich an Borghesi zu wenden, mit dem er auch durch Uebernahme des Kellermann’schen Münznachlasses in Beziehung trat. Für den nächsten Sommer wurde schon eine Reise nach S. Marino geplant, wo der Jünger bei dem Meister in die Lehre gehen sollte, um – das waren Gerhard’s und Braun’s Gedanken – möglichst bald durch eine epigraphische Veröffentlichung seinen Beruf zur Theilnahme an dem großen Inschriftenunternehmen zu bekunden. Es war die folgenreichste Zeit seines Lebens: fast alle wichtigsten Verbindungen Henzen’s fallen in diese Jahre. Während seiner Abwesenheit in S. Marino sollte H. Brunn, der, auch ein Schüler Welcker’s , wenig später als H. zum Studium der alten Kunst nach Rom gekommen war, Henzen’s Geschäfte versehen, derselbe Brunn, der später sein College am Institut ward.

Auch sein häusliches Glück fand H. im Sommer 1844 durch die Ehe mit Auguste Francke, die er im Hause ihrer Schwester Pauline, der mit Henzen’s Bremer Landsmann, dem Bildhauer Steinhäuser verheiratheten, mit Bettina befreundeten Malerin kennen gelernt, und mit der er sich im vorhergehenden Jahre verlobt hatte. Ihren Uebertritt zur katholischen Kirche vermochte er freilich nicht zu hindern. Ein Glück für ihren Frieden war es, daß ihre Ehe kinderlos blieb. Elf Wochen nach der Hochzeit machte H. sich nach S. Marino auf, für sein wissenschaftliches Streben jedenfalls das wichtigste Erlebniß dieser Zeit. Bei dem von aller Welt anerkannten Meister, zugleich einem Manne von antiker Einfachheit und Größe der Gesinnung lernte H. an den reichen, wohlgeordneten Sammlungen die Methode epigraphischer Forschung, und seine Nachfolge Kellermann’s zeigte sich in dem ihm gegebenen Thema, die Urkunden der equites singulares, der kaiserlichen Leibgarde zu Pferde und dann die weiteren Militarinschriften zu bearbeiten, einer Fortsetzung dessen, was Kellermann begonnen. Wie dieser, gewann H. auch die Freundschaft des Meisters, der ihn fortan in seinen Briefen nur als amico carissimo anredet, ein Ehrentitel, der von Nichtitalienern nur noch Kellermann, Braun und Mommsen zu theil ward. Ehe H. S. Marino verließ, machte er von dort aus mit Des Vergers[WS 2] eine epigraphische Reise durch die Marken. Es geschah durch Borghesi’s Vermittlung, zur Förderung der Pariser Inschriftensammlung, die man eine Zeit lang mit dem Berliner Unternehmen in Verbindung zu bringen gedachte, wie denn auch in den folgenden Jahren noch, bis etwa 1847, dem Ende des französischen Planes, von Henzen’s und Mommsen’s Betheiligung an dem Werk der Franzosen die Rede war. Der Aufenthalt im rauhen S. Marino in verspäteter Jahreszeit hatte leider für Henzen’s immer noch zarte Gesundheit nachtheilige Folgen, und zu katarrhalischen Beschwerden gesellte sich bald auch ein Augenleiden, das durch das oft mühsame Entziffern von Stein- und Handschriften natürlich nur gesteigert wurde.

Nach Rom zurückgekehrt, lernte H. bald auch Theodor Mommsen kennen, der, um Monumenta legalia zu sammeln, von Kiel nach Frankreich und Italien gegangen war, wo seine geniale Energie sich den Savigny und Gerhard bald als die schöpferische Kraft erweisen sollte, deren man für die Inschriftensammlung [211] bedurfte. Es konnte nicht fehlen, daß die verwandten, auf das gleiche Endziel hinweisenden Aufgaben die beiden fast gleichaltrigen jungen Norddeutschen bald zusammenführten, und daß sich die innige Freundschaft der zu gemeinsamer Lebensarbeit in gleicher Hingebung Verbundenen schloß, des mit Feuereifer Führenden und des in Treue, sicheren Schrittes Folgenden. Nicht viel später endlich war es, daß auch der Dritte im Bunde, ein Italiener, der geniale Gian Battista de Rossi[WS 3], hinzutrat, der uns selbst den Anfang ihres engeren Freundschaftsbundes erzählt hat, wie er eines Abends H. seine Ideen über eine Vorarbeit zum Corpus auseinandergesetzt, und H. am nächsten Tage ihm gesagt habe, daß er, dem gestrigen Gespräche nachdenkend, die ganze Nacht kein Auge habe schließen können: das sei der Anfang ihrer Freundschaft gewesen, die, von keinem Wölkchen getrübt, über 40 Jahre bestanden habe. Das römische Alterthum und besonders die inschriftlichen Documente desselben waren das gemeinsame Arbeitsfeld dieser drei Freunde, und jede Arbeit Henzen’s, darf man sagen, war fortan von der liebevollen und treuen Theilnahme jener beiden, besonders Mommsen’s begleitet, so gleich die erste: „De tabula alimentaria Baebianorum“ (Annali 1844, erschienen 1845), eine gründliche Untersuchung über die kaiserlichen Stiftungen zum Besten der Kinder unvermögender Bürger Italiens. Eine Arbeit dies, die vor weiteren Plänen in Angriff genommen wurde, weil es Brunn soeben geglückt war, von der wichtigen Erztafel die erste brauchbare Abschrift zu geben. Das war nun die in Berlin gewünschte Probeleistung, aber im Kampf der Parteien behielten dort einstweilen noch die Gönner Zumpt’s die Oberhand, und Mommsen und H. blieb nichts übrig, als sich in der Stille zu rüsten. Während Zumpt in Berlin Zettel sammelte, durchforschte Mommsen das Königreich Neapel, das er sich als den vernachlässigtsten und unbekanntesten Theil Italiens auf Borghesi’s Rath ausersehn hatte, um die Probe eines Corpus zu liefern. H. aber bereitete sich für das große Werk in Rom vor durch Specialuntersuchungen über Militärwesen und Municipalmagistratur; deren eine ist in den Annali erschienen, einige auch in deutschen Zeitschriften; so auch Recensionen Zumpt’scher Arbeiten, die mit vollendeter Ruhe und Sachlichkeit die wahre Methode der Inschriftenforschung ins Licht stellten.

Die immer hingehaltenen Hoffnungen wirkten oft niederdrückend auf Henzen’s Stimmung, die auch unter seinem körperlichen Befinden und der Last der Institutsgeschäfte zu leiden hatte: die Uebersetzung der für die Annali eingesandten deutschen Artikel ins Italienische, die Drucklegung, die Register zu den Serien, ein großer Theil der ausgedehnten Correspondenz, die Rechnungen, die Ordnung von Bibliothek und Archiv war keine geringe Plage. Und nicht oft war diese von Erholungsreisen unterbrochen, wie 1848 durch einen Aufenthalt in Neapel und Sorrent, 1850 durch eine Reise, um Bonn, Bremen und Berlin wiederzusehen. Meistens mußte H. in Rom auf dem Posten bleiben; so hat er auch 1849 während der französischen Beschießung treu das Capitol gehütet, wofür ihm von Gerhard besonderer Dank ausgesprochen wurde. Braun dagegen verbrachte, namentlich seit seiner zweiten Verheirathung, immer mehr Zeit auf Reisen und ging, wenn er in Rom war, immer mehr in seinen technischen Experimenten auf, die freilich indirect auch der Archäologie und den Publicationen zu gute kommen sollten, aber doch die eigentliche Arbeit nicht förderten. Kein Wunder, wenn der alte, tief in der Verschiedenheit beider Naturen begründete Gegensatz Henzen’s zu Braun sich immer mehr verschärfte und, wie es Henzen’s Bedürfniß war, sich zuerst in Briefen an Gerhard, dann auch an Braun selbst Luft machte. Braun entschuldigte sich wol, beharrte aber auf seinem Wege. Eine Genugthuung war [212] es dagegen für H., daß ihm nach Orelli’s Tode 1849 von den Verlegern wirklich die Fortsetzung von dessen Inschriftensammlung angetragen wurde, auf welche er längst vorbereitet war. Auch er erhielt damit eine größere Aufgabe, an der er seinen Beruf für das Berliner Corpus darthun konnte. Zwar die systematische Anordnung für die zuzufügenden 2–3000 neugefundenen Inschriften war gegeben, aber konnte er seine Meisterschaft schon in der Sammlung und Auswahl dieser Inschriften und in den knappen erklärenden Noten bewähren, so ließ sich bei der kritischen Revision der etwa 5000 in den früheren Bänden enthaltenen die Verkehrtheit desjenigen Princips darthun, welchem die Gönner Zumpt’s damals zum Siege verholfen hatten.

Im Frühjahr 1853, als die Frist für Zumpt’s Probeleistung verstrichen war, hatte H. seine Arbeit (Collectionis Orellianae supplementa emendationesque exhibens vol. III ed. Gu. H., erschienen Zürich erst 1856) im Manuscript beendet; aber schon ein Jahr vorher war Mommsen’s neapolitanisches Corpus erschienen und damit aller Widerstand gebrochen. Ihm wurde jetzt die Oberleitung des ganzen Unternehmens übertragen, und er übernahm sie unter der Bedingung, daß ihm für die stadtrömischen und mittelitalischen Inschriften H. und de Rossi beigeordnet würden. Alle drei wurden zu correspondirenden Mitgliedern der Akademie ernannt und erhielten ein Jahrgeld für die Corpus–Arbeit. Damit bekam Henzen’s Existenz und Stellung einen andern Boden und Rückhalt. Nachdem noch 1853 der Arbeitsplan festgestellt war, begann das Abschreiben der Steine in den römischen Sammlungen. Als diese Arbeit sich dem Ende näherte, reiste H. 1855 zu einer Berathung mit Mommsen nach Breslau, schrieb auf dem Heimweg Steine in Oberitalien ab und zog auf dem Rückweg in Turin die Ligorischen Handschriftenbände aus. 1856 begann das schwierigere Geschäft der Sammlung und Werthbestimmung der Hunderte von Codices älterer Abschriften von theils vorhandenen, theils verlorenen Steinschriften; eine Arbeit, bei der er besonders von de Rossi mit Rath und That unterstützt wurde, und über deren Fortschritte alljährlich der Akademie berichtet wurde. So war nun die Corpus–Arbeit, soweit sie Italien betraf, auf das Institut gegründet, das für die Epigraphik trefflich versorgt war. Da starb am 11. September 1856 Braun und hinterließ die Archäologie daselbst nicht in der besten Verfassung. H. legte der Centraldirection die Schwierigkeiten der Lage, die freilich zum Theil auch in allgemeinen Verhältnissen begründet waren, dar und beantragte die Ernennung Brunn’s als des einzigen jüngeren Archäologen, der mit den Monumenten, den Personen und Verhältnissen Italiens und des Instituts genügend vertraut war, zum zweiten Secretär. Daß er selbst in die erste Stelle aufrückte, war selbstverständlich; aber des schiefen Verhältnisses, in welchem er zu Braun gestanden, eingedenk, trat er selbst für eine collegialische Stellung beider Secretäre ein, auch zu pecuniärem Opfer bereit. Seine Vorschläge kamen zur Ausführung. Das Institut zur preußischen Staatsanstalt erhoben zu sehen, wie schon damals Henzen’s Ziel war, sollte er noch Jahre warten; aber 1859 geschah wenigstenes durch Erhöhung der Dotation, mit Reisestipendien für zwei junge deutsche Gelehrte, ein weiteres zur Förderung des Instituts. Es war eine schöne Zeit glücklichen Zusammenwirkens der beiden trefflichen Männer. Brunn’s Sache war die Herausgabe der Monumente mit den erläuternden Texten; H. hatte das Rechnungswesen und – das Corpus; den Jahresbericht verfaßte Brunn. Gemeinsam war ihnen die Sorge für das Institut im ganzen, für die Sitzungen, das Bullettino, die Anleitung der Jugend, die bald stärker zugezogen kam. Verschieden wie beider Männer Natur und Lebensgang war auch ihr Wirken auf die Jugend. In strengem Dienst von Pflicht und [213] Beruf früher gealtert, stand H. den meist frisch von der Universität Gekommenen minder nah als Brunn, der trotz fast gleichen Lebensalters doch jugendlicheren Sinnes als H. war und blieb. Konnten nun schon die Steine, in welchen die Römer die Thatsachen des realen Lebens eingegraben hatten, kaum so anziehend sein wie die von Geist und Poesie der Griechen geformten Sculpturen, so verfehlte auch das stark persönliche Element, das Brunn aller seiner Kunsterklärung beimischte, naturgemäß seine Wirkung nicht gegenüber der unpersönlich sachlichen Behandlung Henzen’s. Auf diese Weise ergänzten sie sich aber auch vortrefflich. Nachhaltiger übrigens als die der ganzen Hörerschar gewidmeten Periegesen waren gewiß durchweg noch die den Einzelnen gegebenen Anregungen und Weisungen. Kaum einen der römischen Epigraphiker oder Archäologen älterer Generation möchte es jetzt in Deutschland geben, der nicht jenen beiden Lehrern sich zu Dank verpflichtet fühlte.

Mit der Bearbeitung der stadtrömischen Inschriften fiel auf H. aber auch ein wesentlicher Antheil an dem ersten Band des Ganzen, sowol an den Facsimiletafeln Ritschl’s (erschienen 1862), für die seine Aushülfe Jahre lang in Anspruch genommen wurde, wie an den übrigen antiquissimae, die natürlich meist römisch waren. Ganz sein war dazu die Ausgabe der capitolinischen Consularfasten und Triumphalacten (1863). Unterstützt von einem seiner Jünger, Detlefsen, bemühte er sich namentlich um die architektonische Anordnung der Fragmente, die allerdings schon bei Michelangelo’s Zusammensetzung im Conservatorenpalast zu einer gewissen Geltung gebracht war.

Als nach dem Tode Borghesi’s 1860 Napoleon III. dessen Werke herausgeben lassen wollte, wählte die aus französischen Gelehrten und de Rossi zusammengesetzte Commission zu drei italienischen Correspondenten auch drei deutsche, H., Mommsen, Ritschl, so daß hier wenigstens die beim Corpus beabsichtigte, beim Institut bestandene internationale Gemeinsamkeit der Arbeit zum Ausdruck kam. Im J. 1872 erschien der letzte (8.) Band der von H. mitbesorgten Oeuvres. Die Zeit, da nach langjähriger Vorbereitung der Druck der stadtrömischen Inschriften (Bd. VI) zu beginnen hatte, näherte sich. Da regte ein zufälliger Fund in H. den Gedanken an, im längst bekannten Arvalenheiligthum der Ackergöttin Dea Dia, vier Miglien abwärts am rechten Tiberufer, nach weiteren Acten der uralten Bruderschaft zu suchen. Mit den von der Königin Augusta und dann auch von König Wilhelm selbst bewilligten Mitteln wurde von 1867–1869 mit gutem Erfolg gegraben, und H. beeilte sich, zuerst in den Annali 1867, dann in den scavi nel bosco sacro dei fratelli Arvali per larghezza dell LL. MM. Guglielmo ed Augusta re e regina di Prussia operati dai Signori Ceccarelli, Relazione Roma 1868 fol. über die neuen Funde zu berichten, endlich 1874 die sämmtlichen Acta fratrum Arvalium quae supersunt. Restituit et illustravit Gu. H. Berolini 1874, 8° mit Erläuterung herauszugeben, ein Werk, in welchem H. die bewunderte Leistung seines großen Vorgängers Marini in vollendeter Weise ergänzte und erneuerte. Zwei Jahre später erschien endlich Henzen’s, de Rossi’s und Bormann’s[WS 4] gemeinsames Werk, der erste Theil des VI. Corpus-Bandes, die auf Cultus, Kaiser, Behörden, Priester und Soldaten bezüglichen Inschriften, dem sechs Jahre später der mit Bormann’s und Hülsen’s Beihülfe herausgegebene zweite (Columbarien, kaiserliche und private Officiales und sonstige Grabinschriften) folgte. Von der Redaction war H. bereits zurückgetreten: er konnte sie getrost jüngeren, von ihm selbst mit geschulten Kräften übergeben.

Auch am Institut hatte sich seine Thätigkeit allmählich eingeschränkt. Für Brunn war 1865 W. Helbig eingetreten, eine junge Kraft, die, von jenem selbst noch in die italienische Archäologie eingeführt, mit raschem Eifer sich [214] großen Aufgaben hingab. Fiel dabei das Geschäftliche mehr H. zu, der von jetzt an auch die Jahresberichte abfaßte, so erhielt er dafür nun einen Assistenten. Endlich 1871 erfüllte sich sein Wunsch: das Institut wurde preußische Staatsanstalt und schon nach weiteren drei Jahren, zufolge der großen Ereignisse, vom neu gegründeten Reich übernommen. Die Mittel für Alles wurden jetzt reichlicher bemessen, auch ein würdiger Neubau, schon vorher beschlossen, wurde aufgeführt. Die Klagen über die absolute Unzulänglichkeit des alten Bibliotheks- und Sitzungssaales hatten sich zuletzt alle Jahre wiederholt; die Secretäre hatten seit langem im Spital zur Miethe gewohnt. Im J. 1877 bezogen sie die schönen Wohnungen in dem neuen Hause mit seinem herrlichen, die Stadt vom Coliseo über Palatin, Aventin, Janiculum bis zum Pincio umfassenden Rundblick, und am 14. December wurde bei der Winckelmannsitzung der neue Saal eingeweiht. Wenig später, bei der Paliliensitzung 1879 wurde, mit großen Ehren für das Institut, dessen fünfzigjähriges Bestehen festlich begangen.

Alle diese Erfolge, die nicht zuletzt Henzen’s treuer Arbeit und Fürsorge verdankt waren, sollte seine Gattin nicht mehr erleben. Der mehr privaten Feier seiner 25jährigen Thätigkeit beim Institut im J. 1867 hatte sie sich noch erfreuen können, sowol der Strenna, die H. von der capitolinischen Jugend dargebracht wurde, darunter keiner, der nicht später mit Ehren genannt wurde, als auch der silbernen Ehrentafel, deren lapidarer Text, von Mommsen verfaßt, hier am Ende stehen wird. Zwei Jahre später starb nach längerer Krankheit Frau Henzen, die ihrem Manne schon früher durch Leiden Sorge gemacht hatte. Auf ihren Grabstein setzte er als Denkmal ihrer Gemeinschaft das schöne dem Augustin zugeschriebene Wort: in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas. Nach ihrem Tode geschah, was beide schon vorher gewollt, daß eine jüngere Schwester des Bildhauers Joseph Kopf, Rosina, als Tochter in Henzen’s Haus einzog. Statt des strengen Ernstes, der darin früher gewaltet, kehrte mit dieser ein leichterer Frohsinn ein, der zwischen dem in Arbeit Ergrauten und der aufstrebenden Jugend freundlich vermittelte. Gern sammelten sie sich Abends um ihren treuen Berather, der als würdigster Vertreter der deutschen Reichsanstalt auf dem Capitol zugleich der allverehrte Mittelpunkt der deutschen Romfahrer war. Hochangesehen auch bei den Italienern, die ihn als einen der Ihrigen ansehen konnten, war er Mitglied der ersten wissenschaftlichen Körperschaft des Landes, nah vertraut dem in vaticanischen Kreisen hochgeltenden de Rossi wie den Senatoren Fiorelli, den Jüngeren, wie Lanciani und Gatti, Lehrer zugleich und Freund.

Bei Einweihung des neuen Hauses war H. dem Vorwurf entgegengetreten, das Institut habe seinen internationalen Charakter verloren, sei ein ganz deutsches geworden. So wenig war das geschehen, daß, gewiß einzig dastehend, die Deutschen sich in Sitzungen und Schriften des Instituts der eigenen Sprache ganz und gar entäußerten. Das stammte aus den Anfängen des Instituts her, wo es eine Nothwendigkeit gewesen war; und jenen Anfängen nahe gestanden hatten die Mommsen, de Rossi, Brunn, die mit H. immer noch die Säulen der Anstalt waren. Seitdem aber das Institut eine Anstalt des Deutschen Reiches geworden war, konnten Andere daran wol Anstoß nehmen, und als man im J. 1884 in einer deutschen Zeitung, nicht eben taktvoll, hieran rührte, wurde dem guten H. damit viel Leids bereitet. Indessen gelang es, mit schonender Hand die nothwendig gewordenen Aenderungen auf das Mindestmaß herabzusetzen, der Zeit das Weitere überlassend. H. wie auch Helbig verstanden sich dazu, die Neuerungen in der Form der Institutsschriften, die eine Folge der in Athen gegründeten Schwesteranstalt waren [215] selber mit in die Wege zu leiten. Den zuerst zum Herbst 1885 erbetenen Abschied willigte H. ein, bis 1886 und dann gar bis 1887 zu verschieben. Es bestand sogar die Hoffnung, daß er auch nachher in der Nähe des Instituts als dessen guter Genius wohnen bleibe. Wie eine Versöhnung nach diesen Trübungen wirkte die Feier des vollendeten 70. Lebensjahres, am 16. Januar 1886, durch die allgemeine verehrungsvolle Theilnahme von Deutschen und Italienern. Jene stifteten in den Bibliothekssaal das Marmorbildniß Henzen’s, dazu ihm persönlich ein Album mit den Namen aller derer, die in so langen Jahren bei H. ein- und ausgegangen waren, diese gleichfalls ein Album seiner italienischen Freunde und Verehrer. Nur ein Jahr noch überlebte H. diesen schönen Tag: am 27. Januar 1887 starb er nach kurzer Krankheit und ward mit außerordentlichen Ehren bestattet. Auf de Rossi’s Antrag wurde beschlossen, auch auf dem Capitol, bei den Fasten, Henzen’s Marmorbüste aufzustellen und ihr gegenüber diejenige Borghesi’s.

H. war kein führender Geist; aber führenden Geistern lebenslang befreundet, ist er an großem Werke ihr Mitarbeiter gewesen, auf deutschem Posten in fremdem Lande eine treue Wacht, gute Eintracht zwischen beiden Nationen allzeit pflegend. Zum Gedächtniß fünfundzwanzigjährigen Wirkens in Rom hatte ihm Mommsen die inhaltsschweren, in Silber eingegrabenen Worte gewidmet: Gulielmo Henzen Bremensi | per annos XXV | Instituti archaeologici Romani moderatori | curatori eius integro fideli facili navo | bonarum litterarum apud duas nationes propagatori | Italorum Germanorumque amicitiae stabilitori | thesauri epigraphici urbani conditori | qui neminem laesit omnes singulosque adiuvit – amico suavi – hospiti comi – homini bono | mense Iulio anni MDCCCLVII | sodales.

Reiche Correspondenz beim Institut; Nachrufe von Fiorelli, Rendiconti dei Lincei, classe di scienze morali 1887, IIII, 173; von G. B. de Rossi mit meisterhafter knapper Charakteristik der Leistungen, und von Helbig in den Mittheilungen des K. D. archaeolog. Inst. Rom. Abth. 1887, II, S. 65 u. 73; von A. Michaelis im Jahrbuch des Archaeol. Inst. 1887, II, S. 1; von A. Mau in Biogr. Jahrbuch für die Alterthumskunde 1888, S. 135, mit Bibliographie, die auch bei Fiorilli. Zur Geschichte des Corpus Harnack, Gesch. d. k. preuß. Akademie d. Wissensch., S. 722 u. 900.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist der dänische Archäologe Olaus Kellermann (1805-1837), siehe den Artikel in der Wikipedia.
  2. Adolphe Noël des Vergers (1805-1867), französischer Orientalist, Archäologe und Epigraphiker.
  3. Gian Battista de Rossi (1822-1894), italienischer Christlicher Archäologe und Epigraphiker.
  4. Eugen Ludwig Bormann (1842-1917), deutscher Althistoriker und Epigraphiker.