ADB:Heydrich, Moritz
[311] hinzuhalten. Das Gefühl eines verpfuschten Lebens ist er wohl nie los geworden.
Heydrich; Gustav Moritz H., Dramatiker und Dramaturg, wurde am 13. März 1820 zu Dresden geboren. Er studirte, auf der altehrwürdigen Thomasschule zu Leipzig vorgebildet, ebenda sowie zu Berlin Philologie, Geschichte und Litteratur, obwol ihn schon im 17. Jahre ein Nervenleiden heimgesucht hatte, das seitdem nicht bloß auf seine geistig-litterarischen Bestrebungen hemmend einwirkte, sondern ihm auch die Fähigkeit zu jeder praktischen Thätigkeit benahm. Dies verhinderte ihn namentlich auch seine von früh an auf das dramatische Kunstgebiet gerichtete Schaffenslust dauernd und intensiv zu pflegen. Nachdem er mehrere Jahre abwechselnd in Hamburg, Berlin und Leipzig zugebracht hatte, ließ er sich 1852 im lieblichen Loschwitz bei Dresden gesundheitshalber nieder und hier gelang es ihm in verhältnißmäßiger Zurückgezogenheit sein ziemlich freudeleeres Dasein bis zum 27. Januar 1885Zwischen 1851 und 1857 schrieb und veröffentlichte H. seine ersten Dramen. Die anhaltende Kränklichkeit veranlaßte dann eine Pause und erst 1861 konnte er wieder einige Stücke vollenden. Seine theatralischen Arbeiten greifen in verschiedene Stoff- und Stilgebiete und verdienen als eifrig gefeilte und mühsam einem hinderlichen Körperzustande abgerungene Erzeugnisse eines Mannes, der es mit dem dramatischen Schaffen sehr ernst nahm, eine Beachtung bei den Litterarhistorikern, welche nicht einmal seiner unten zu besprechenden Herausgeberschaft Gerechtigkeit widerfahren lassen. Große Hoffnungen hatte namentlich „Tiberius Gracchus, geschichtliches Trauerspiel in fünf Aufzügen“ erregt, wie der Jahrzehnte lang in Heydrich’s Sphäre lebende Dramaturg Robert Prölß mittheilt; es wurde 1861 gedruckt, im selben Jahre das recht frische, doch weil seiner Natur abliegende, mißlungene Stück „Prinz Lieschen, Posse in 3 Aufzügen“, in der Manier der vorvorigen Generation geschrieben, das ebenfalls damals großen Beifall erntete. Der oben abgetrennten jüngeren Periode gehören an die nur als Manuscript gedruckten Theaterstücke: „Die schöne Magelone“, ein Zaubermärchen, der Operettentext „Der Pastetenbäcker“, das Liederspiel „Der Schatz“, welche drei er 1861 privat drucken ließ. Sein Debüt war 1851 das, gemäß H. Laube zu wilde und jähe historische Trauerspiel „Leonore von Portugal“. Zur Feier des 50jähr. Ehejubiläums seines Landesvaters König Johann von Sachsen mit der bairischen Prinzeß Amalie Auguste am 10. November 1872 dichtete und veröffentlichte er in diesem Jahre das Festspiel „Goldene Hochzeit“. Dazu kommt die Gedichtsammlung „Sonnenschein auf dunklem Pfade“, Ende 1869 mit der Ziffer 1870 erschienen; dies lyrische Bändchen zeigt schon im Titel die in ihm vorwaltende elegische Stimmung des unbeachteten und nicht zur Sonnenhöhe der Anerkennung Gelangenden. „Dramaturgische Skizzen“ eröffnete 1. „Lilla von Bulyovszky, K. Sächs. Hofschauspielerin“ 1861.
Am meisten genannt wird Heydrich’s Name in Verbindung mit der durch ihn besorgten Drucklegung der Nachlaßbände des genialen Dramatikers Ludwig, in dessen Nähe und „langjährigem vertraulichen Umgange“ (Ludwig, Skizzen und Fragmente, hrsg. von H., S. 3) als Freund H. eine Reihe von Jahren gelebt hatte. 1871 bezw. 1874 sind diese beiden Bände herausgekommen, die mit außerordentlicher Hingabe und Verehrung für den hochoriginellen dramatischen Speculirer und verbitterten Einsiedler dessen theoretische Reflexionen und den, rein litterarisch genommen, unbedeutenden dramatischen Torso zugänglich gemacht haben. Der erstere Band enthält die seitdem unter seiner Titelaufschrift „Shakespeare-Studien“ bezeichneten, theils feinkritischen, theils übermäßig grüblerischen dramaturgischen Glossen und Erwägungen, die außer allgemeinen Betrachtungen zur Theorie der dramatischen Kunst besonders über Shakespeare und Schiller Eigenartiges, Scharfes dargeboten und so H. ein erhebliches Verdienst weit über die „Otto Ludwig-Philologie“ (um einen Ausdruck Karl Reuschel’s, der eigentlich mit Heydrich’s Publicationen ansetzen sollte, zu gebrauchen) hinaus erworben. Daß diese Niederschriften O. Ludwig’s in Erich Schmidt’s und Adolf Stern’s vollständiger Revision der „Gesammelten Schriften“ – Bd. V (s. das. S. 3–32) und VI, als „Studien“, 1892 – reichhaltiger und in vielen Einzelheiten berichtigt vorgelegt wurden, vermag den an H. schuldigen Dank nicht zu beeinträchtigen. H. hat übrigens den „Shakespeare-Studien“ eine mit mancherlei fesselnden Auslassungen durchwobene Einleitung vorangeschickt. Viel mehr an eigenen Urtheilen und dramatisch-ästhetischen Auseinandersetzungen liefert der um drei Jahre jüngere [312] andere Band: „Otto Ludwig, Skizzen und Fragmente. Mit einer biographischen Einleitung und sachlichen Erläuterungen von Moritz Heydrich“. Dies merkwürdige Buch ist aus einem Abdrucke der wenig umfänglichen Entwürfe und Pläne aus Otto Ludwig’s Dichterwerkstatt nebst Bericht über die äußere Ueberlieferung dieser Fragmente zu einer ausgedehnten Charakteristik der Dramen und dramatischen Bruchstücke – wobei die letzteren natürlich, weil Unbekanntes bietend, ausführlicher bedacht sind – angeschwollen, während eine ziemlich breit angelegte „biographische Skizze“ (S. 6–122) vorausläuft, die, wie auch die charakterisirenden Abschnitte über den Dramatiker, viel intime Kenntniß der ringenden herben und kräftigen Poetennatur Ludwig’s verrathen. Aus Briefen, Tagebuchblättern, Gesprächen, alten Heften hebt H. vieles und Interessantes allenthalben heraus. Wenn die Herausgabe der „Shakespeare-Studien“ eine, schon wegen der außerordentlich anregungsreichen Nachwirkungen, hochwillkommene That war und als solche zu würdigen ist, so stellen die fast 500 Seiten unter der Aufschrift „Otto Ludwig, Skizzen und Fragmente“ einen theils erstaunlich liebevoll zergliedernden, theils biographische Aufschlüsse spendenden psychologisch-litterarhistorischen Commentar über die dabei mit eröffneten vereinzelten Blätter von Ludwig’s Schreibtisch dar: in ihrer Art ein Muster pietätvollen Sichversenkens eines Dichter-Biographen trotz vielfachen, auch bei den „Studien“ nachgewiesenen Mangels philologischer Akribie (welche eben Schmidt’s und Stern’s erwähnte Gesammtausgabe nachholen sollte) und öfters auch Mangels tieferer Kritik.
- Die Lebensabrisse in Meyer’s Konversationslexikon, Bornmüller’s Schriftstellerlexikon (1882) S. 334 f., Brümmer’s Lex. d. dtsch. Dichter u. Prof. d. 19. Jahrhs.5 II, 156 f. (falscher Titel „Die schöne Magdalena“!) geben auch die Werke an, Brümmer die Ludwig-Bücher nicht. Aus persönlicher Bekanntschaft stammt die Anm. 4 bei R. Prölß, Gesch. d. modernen Dramas II 2, 344. – Zur Edirung der „Shakespeare-Studien“ vgl. R. M. Meyer, Die dtsch. Literatur d. 19. Jahrhs. S. 328, der aber in seinem bibliograph. Ergänzungsapparat (Grundriß z. Gesch. d. dtsch. Lit. d. 19. Jhs. S. 136 f. Nr. 2287–2301a) Heydrich’s beide Ludwig-Bände ebenso todtschweigt wie die ältern in seinem kritischen Erguß über „Otto Ludwigs Shakespearestudium“ Jahrb. d. dtsch. Shakespeare-Gesellsch. Bd. 37, 59–84 (s. 61). Dagegen ist Heinrich Bulthaupt, wenn auch nicht dem Dramatiker Heydrich – den er wol gar nicht kennt – wol aber dem Otto Ludwig-Biographen und -Herausgeber in seiner „Dramaturgie des Schauspiels“ gerecht geworden, wie deren Register ausweisen. Die Römertragödie „T. G.“ bespricht mit ziemlich starkem Lobe, die Posse „P. L.“ dagegen setzt sehr herab das von Heinrich Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit. IV, 490 f. gegebene Resumé beider. Die zwei verdienstlichen Veröffentlichungen zur Vervollständigung und genaueren Kenntniß von O. Ludwig’s Schaffen, die wir Heydrich’s Liebe zur Person wie zum Gegenstande verdanken, hat der Verlag Herm. Gesenius in Halle a. S. unverändert erneuert. – „T. G.“ lobt Gottschall, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs.5 III, 547. – W. Haan, Sächs. Schriftsteller-Lex. S. 131 Bibliographie (Selbstbiographie, Dramen, litterar- u. theatergesch. Aufs. nie gedruckt).