ADB:Hottinger, Johann Jakob (Philologe)

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Artikel „Hottinger, Johann Jakob“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 195–198, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hottinger,_Johann_Jakob_(Philologe)&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 07:11 Uhr UTC)
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Hottinger: Johann Jakob H., Philologe und Schulmann in Zürich; geb. am 2. Febr. 1750, † am 4. Febr. 1819, war ein Urenkel des vorgenannten gleichnamigen Theologen, der Sohn des Pfarrers J. Heinrich H. in Ossingen, Kantons Zürich, eines ernsten und strengen Mannes, der Gemeinde und Haus mit militärischer Rauheit regierte und Mannhaftigkeit des Charakters und edle Ruhmbegierde frühe schon in seinen beiden Söhnen weckte, während die sanfte Mutter in H., der ihr durch natürliche Anlagen näher stand, einen feinen Schönheitssinn, die Schwächen eines unfähigen Hauslehrers aber ein angebornes Talent für Satire in dem Knaben nährten. Indessen starb der Vater schon 1760 und H. kam 1763 nach Zürich, wo er sich zum Geistlichen und Gelehrten ausbilden sollte. Hier nahm sich der Philologe Steinbrüchel seiner besonders an, wurde für H. der anregendste Lehrer und Freund und unter seiner und Breitinger’s Leitung durchlief H. die Classen des Carolinums, mit Vorliebe die philologischen und philosophischen Fächer betreibend, bis zu seiner 1769 erfolgten Ordination als Geistlicher. Seinen gründlichen Studien ging eine innere Entwickelung zur Seite, die er nicht ohne schwere Kämpfe durchmachte. In früher [196] Jugend hatte er einen Religionsunterricht empfangen, in welchem unbedingte prüfungslose Annahme der hergebrachten kirchlichen Lehrsätze als das Wesen des Christenthums dargestellt und insbesondere die Lehren von der Prädestination und von der Sünde wider den heiligen Geist mit Nachdruck betont wurden. Diese ohne nähere Erläuterung ihm eingeprägten Lehren hatten in dem denkenden Knaben frühe schon Zweifel, dadurch aber auch Schrecken und Gewissenskämpfe erregt, und nur mit Mühe rang sich der Jüngling allmählig zu bestimmten Ueberzeugungen und innerer Beruhigung durch. Am Bedürfnisse steter wissenschaftlicher Arbeit und Prüfung auch in Glaubenssachen festhaltend, bekannte er sich zu der rationalistischen Anschauungsweise in religiösen Dingen, die durch den Theologen Zimmermann und Breitinger und Bodmer unter den zürcherischen Gelehrten vorherrschend geworden war. Indessen trug die Dissertation, die er jetzt, in schönem Latein, publicirte: „Diatribe de miraculis. Acc. excursus philosophicus ad doctrinam Bonneti“, Turici 1770, keineswegs sceptischen Charakter. Mit einem Reisestipendium von der Regierung bedacht, ging H., von dem man sich mit Recht viel versprach, hierauf zunächst in die französische Schweiz, wo er sich einige Zeit lang in Yverdon und in Genf aufhielt, dann aber nach Göttingen. Hier schlug er für längere Zeit seinen Sitz auf, kam in freundschaftliches Verhältniß zu Heyne und insbesondere zu J. G. H. Feder (Bd. VI. S. 595) und schrieb zwei Abhandlungen. Die eine, durch eine Preisaufgabe der Verwaltung des Stolpe’schen Legates zu Leyden veranlaßt, trug den Titel: „An homini innatus sit aliquis sensus veri et boni“, unterlag in der Bewerbung nur durch das Loos derjenigen eines Mitbewerbers, wurde daher mit dieser in Leyden (1773) gedruckt und von H. später in erweiterter Gestalt wiederholt: „Disputatio Stolpiana de sensu honesti“, Turici 1776. Die andere Arbeit: „De nonnullorum in oppugnanda religione ineptiis ac malis artibus etc. libri II.“ Lugd. Batav. 1774, war gegen die französischen Freigeister und ganz besonders Holbach’s Système de la nature gerichtet. Noch schrieb H. an dieser Abhandlung, als er den Ruf zur Professur der Eloquenz in Zürich, Lehrstelle für Latein und philosophische Fächer an einigen Classen des Carolinum erhielt. Er verließ daher Göttingen im Frühjahr 1774 und traf nach einer Reise durch Holland, wo er Leyden besuchte, und einem Aufenthalt in Paris im Sommer 1774 zur Uebernahme seines Amtes in Zürich ein, in welchem er nun über 20 Jahre lang Steinbrüchel zur Seite stand; die glücklichste Zeit seines Lebens. Sie eröffnete sich freilich kurz nach Hottinger’s Rückkehr mit einem Vorgange, welcher in Zürich vielfache Mißklänge hervorrief, die erst nach längerer Zeit sich verloren. Taktlose Veröffentlichung eines überschwenglichen Briefes von Lavater im ersten Bande der allgemeinen theologischen Bibliothek (Mitau 1774), die das nach Lavater nicht zum Abdruck bestimmt gewesene Aktenstück zwar ohne des Verfassers Namen publicirte, forderte zu Tadel heraus; wurde aber von H. zu einer beißenden Satire auf Lavater benutzt, dessen Eigenthümlichkeit und Wirken schon lange das Mißfallen der Zürcher Gelehrten, auch dasjenige Bodmer’s und Salomon Geßner’s, erregt hatten. H. publicirte ein: „Sendschreiben an den Verfasser der Nachrichten von den zürcherischen Gelehrten in der Allg. theol. Bibliothek nebst einigen Nachrichten von Herrn Diacon Lavater, von einem zürcherischen Geistlichen“, Berlin und Leipzig 1775; ein Angriff, den er in den „Briefen in der Person vom Verfasser des Sendschreibens“ (1775, zweite Auflage, Halle 1776) bekräftigte, der aber Lavater und dessen Freunde mehr verletzen, als belehren mußte und viele unerquickliche Erörterungen wachrief. Indessen kam durch Lavater’s Entgegenkommen schließlich ein ihn und H. ehrender Friede, wenn auch nicht Uebereinstimmung zwischen beiden, zu Stande. [197] (Vgl. Mörikofer, Die schweiz. Litteratur des 18. Jahrhunderts, S. 348, 389.) Schon 1776 äußerte sich H. über Lavater in würdiger Weise und nur mit einem derben Hiebe gegen dessen allzu eifrige Anhänger in der ausführlichen Widmung an Semler, womit er auf des greisen, bald darauf verstorbenen Breitinger’s Wunsch (Breitinger † am 14. December 1776, nicht am 15. December 1774, wie Bd. III. S. 295 irrig steht) vier akademische Reden desselben publicirte: „J. J. Breitingeri Orationes IIII solemnes. Interprete J. J. Hottingero“, Tur. 1776. In bemerkenswerther Art tritt H. hier mit Nachdruck gegenüber der Orthodoxie des 17. Jahrhunderts, wie gegenüber den Extravaganzen der von Rousseau’s Theorien oder vom Treiben der deutschen Kraftgenies mißleiteten Jugend, für das Studium der Classiker und der Philosophie ein. Auf diesem Felde, als ausgezeichneter und anregender Lehrer, als geschmackvoller Erklärer der Alten, als Kritiker und Schriftsteller im philosophischen und belletristischen Gebiete entwickelte er jetzt eine fruchtbare und verdienstliche Thätigkeit. In Verbindung mit seinem Lehramte stand die Herausgabe des Sallust (Turici 1778), einer Bearbeitung von Olivet’s Eclogen aus Cicero (1783), von Cicero De Divinatione (1793) und Abhandlungen in dem 1782 von H. publicirten „Museum turicense“, sowie eine 1785 von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Leyden gekrönte Preisschrift: „De luminibus eloquentiae“. Daran schlossen sich die Schrift: „Etwas über die neusten Uebersetzerfabriken der Griechen und Römer“, Zürich 1782, welche die Grundsätze für richtige und schöne Uebertragung der Alten erläuterte und Beispiele von solcher in: „Proben der Aeneis“ in Füßli’s Schweizerischem Museum (1783) und in einer Uebersetzung des Cicero de Divinatione (1789). Ueber die neuere Litteratur sprach H. theils in der von ihm begründeten „Bibliothek der neuesten theologischen, philosophischen und schönen Litteratur“, Zürich 1784–86, theils in den von der deutschen Gesellschaft in Mannheim gekrönten Preisschriften: „Versuch einer Vergleichung der deutschen Dichter mit den Griechen und Römern“, Mannheim 1789 und „Ueber die Seltenheit classischer Prosaisten in Deutschland“ (1792, gedr. Zürich 1816). Philosophische und litterarische Themata behandelten Hottinger’s „Briefe von Selkof an Welmar“, Zürich 1777, die „Brelocken aus Allerley der Groß- und Kleinmänner“, Leipzig 1778; ferner eine von der Akademie in Padua gekrönte Preisschrift über die Bildung der höheren Stände zu charakterfester Humanität: „Disputatio de artibus quibus hominum olim potentium aut divitiorum animis instillandus et ad certam constantiae firmitatem educendus videatur humanitatis sensus“, Padova 1784, und eine „Oratio de caute oppugnandis opinionibus vulgi religionis“, Turici (1794). Mit eigenen poetischen Versuchen trat H. in Füßli’s „Allgemeiner Blumenlese der Deutschen“, Zürich 1782–88 und Bürkli „Schweizerischer Blumenlese“, Zürich 1780–83, auf, sowie in ansprechenden, öfter aufgeführten vaterländischen Schauspielen für die Jugend: „Karl von Burgund“, Zürich 1793, und „Ulrich von Regensburg“, Zürich 1793. Biograph wurde er in seinem: „Acroama de J. J. Bodmero“, Turici 1783, in Gedächtnißreden auf den Canonicus Salomon Schinz († 1784, s. Geßner, Johannes, Bd. IX. S. 106) und Dr. med. Joh. Konrad Rahn, einen der Begründer des medicinisch-chirurgischen Institutes in Zürich († 1787), sowie in einer ausgezeichneten, auf Wunsch der Geßner’schen Familie verfaßten Biographie: „Salomon Geßner“, Zürich 1796. Längst hatte H. auch die Blicke des Auslandes auf sich gezogen. Schon anfangs der 80er Jahre versuchte Heyne ihn nach Göttingen zu ziehen; 1786 wurde ihm eine theologische Professur in Heidelberg, 1787 Anstellung an einer preußischen Universität angeboten. Allein die Liebe zum Vaterlande und Rücksichten für seine greise [198] Mutter, fesselten ihn an Zürich, wo man ihn festzuhalten sich bemühte, 1789 zu der wichtigern und besser dotirten Professur der alten Sprachen am Collegium humanitatis beförderte und, als 1796 Steinbrüchel starb, zu dessen Nachfolger in der Professur des Griechischen und der Hermeneutik am Carolinum und dem hiermit verbundenen Canonicate ernannte. Dankbar widmete er dem unvergeßlichen Freunde das schöne Denkmal: „Acroama de J. J. Steinbrychelio“, Tur. 1796. Kaum aber war er in dessen Nachfolge eingetreten, als 1798 die Stürme der Revolutions- und Kriegsjahre über die Schweiz hereinbrachen. Die Unruhen, Leiden und Lasten, welche sie über Alle brachten, das Gebahren der Apostel einer neuen Freiheit, die sich zunächst in der Herrschaft der Oberflächlichkeit und Unwissenheit im Gemeinwesen äußerte, der drohende Verfall des Studiums der Alten und gründlicher wissenschaftlicher Bildung erfüllten H., der ohnehin Anlage zur Hypochondrie besaß, mit den schwersten Besorgnissen, die nur allmählig mit der Rückkehr des Friedens, ruhiger politischer Zustände und dem Wiedererwachen wissenschaftlicher Bestrebungen sich beschwichtigten. Mit mehr Befriedigung setzte H. nun seine Vorlesungen wieder fort, ließ aus seiner Beschäftigung mit den Alten neue Uebersetzungen classischer Werke hervorgehen: 1800 der Bücher von Cicero de Officiis, 1810 der Charaktere des Theophrast, und war als Lehrer und zeitweise Rector des Carolinums für alle Interessen der Anstalt und der durch sie vertretenen gelehrten Bildung rastlos bemüht, insbesondere auch durch die öffentlichen Ansprachen, die er an die Jugend und die Schulbehörden zu richten hatte. Seine inhaltsreichen „Rectoratsreden“ (Gesammtausgabe: Zürich 1813), in denen er seinen Anschauungen mit gewohnter Meisterschaft der Form freimüthigen und festen Ausdruck gab, verwickelten ihn freilich in mancherlei Kämpfe mit den Vertretern der neuen Pädagogik, die allein vom Volksunterrichte alles Heil der Gesellschaft erwarteten; vgl. seine Schrift: „Ein Wort an Herrn Prof. Schultheß über desselben genauere Einsicht der neuesten Versuche einer besseren Erziehung und Bildung der Jugend“, Zürich 1810 und das gegen Niederer gerichtete Vorwort zu den „Rectoratsreden“. So kamen die Jahre des Alters heran, als H. 1812 und heftiger wieder 1814 von apoplektischen Zufällen heimgesucht wurde, die ihn im Herbste 1814 zwangen sein Lehramt aufzugeben. Dennoch blieb er, dem in Bremi (Bd. III. S. 305) ein begeisterter Schüler zur Seite stand, noch litterarisch thätig. 1815 erschienen, als Frucht hermeneutischer Studien, seine: „Epistolae D. Jacobi atque Petri I. cum versione germanica et commentario latino“, Lipsiae 1815; im Jahre darauf: die Sammlung seiner „Opuscula oratoria“, Turici 1816; ferner die, in Verbindung mit J. J. Stolz und J. Jacob Horner (s. o. S. 155 Z. 3 v. u.) publicirten: „Zürcherischen Beyträge zur wissenschaftlichen und geselligen Unterhaltung“, 3 Bde., Zürich 1815–16; die „Opuscula philosophica, critica atque hermeneutica“, Lipsiae 1817, und im J. 1819 in Zürich die „Denkwürdigkeiten des Sokrates aus dem Griechischen“ (des Xenophon) von J. J. H.“ Ungeachtet eines schon lange leidensvollen Zustandes gab H. auch noch am Reformationsfeste vom 1. Jan. 1819 seiner Theilnahme an dieser Feier lebhaften Ausdruck; ein paar Wochen später, am 14. Febr. 1819, erfolgte der Hinschied des ausgezeichneten Mannes.

Bremi, Hch., Denkrede auf Herrn J. J. Hottinger, Zürich 1820. – Escher, Hch., Biographie von Hottinger im Neujahrsblatt der Chorherren-Gesellschaft (nicht: der Stadtbibliothek, wie Bd. VI. S. 354 irrig steht) in Zürich auf das Jahr 1831 (mit Bildniß von Hottinger), wiederholt in Ersch u. Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd. XI. Art. Hottinger Nr. 9, S. 210 ff.