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ADB:Jänicke, Oskar

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Artikel „Jänicke, Oskar“ von Albert Gombert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 700–703, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:J%C3%A4nicke,_Oskar&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 19:38 Uhr UTC)
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Jänicke: Oskar Paul Alexander J., geboren am 21. Juni 1839 zu Pitschkau bei Sorau in der preußischen Lausitz, † am 6. Februar 1874 als Oberlehrer an der Sophienrealschule zu Berlin. J. besuchte, nachdem sein Vater das Gut Skerbersdorf bei Muskau gepachtet hatte, seit dem J. 1850 die Muskauer Stadtschule, seit 1852 das Gymnasium zu Guben und bezog Ostern 1857 die Universität Halle um Philologie zu studiren. Anregungen, die er schon in Guben erhalten hatte, führten ihn dazu, neben dem Studium des klassischen Alterthums (Bernhardy, Bergk) und der allgemeinen Sprachwissenschaft (Pott) sich unter Zacher’s Anleitung auch mit der deutschen Sprache und Geschichte eingehend zu beschäftigen, und schon im Juli 1858 trägt seine Bearbeitung der von der philosophischen Facultät gestellten Aufgabe (über die erste Zeit des Merseburger Bisthums) den akademischen Preis davon. Bei seiner Uebersiedelung nach Berlin, Ostern 1859, gehörte seine Hauptneigung bereits dem deutschen Alterthum, ohne daß das Studium der Griechen und Römer darüber vernachlässigt wäre. In Berlin empfing J. die nachhaltigste Anregung von Haupt (Ilias, Horaz, Properz) und von Müllenhoff, der dem strebsamen Studenten neben der reichsten Belehrung auf allen Gebieten des deutschen Alterthums auch persönliche Zugänglichkeit gewährte und eingehende Theilnahme für seine Arbeiten [701] zeigte. Die Universitätsstudien werden Michaelis 1860 abgeschlossen und am 20. October desselben J. wird J. auf seine Dissertation „De dicendi usu Wolframi de Eschenbach (Halle bei Plötz) zum Doctor promovirt. Gern hätte er sich jetzt mit voller Kraft dem Altdeutschen weiter gewidmet, und seine Gedanken richteten sich, wenngleich schüchtern, bereits auf eine natürlich erst in ungewisser Ferne winkende akademische Professur; allein weil er keine Bevorzugung vor den zahlreichen Geschwistern glaubte beanspruchen zu dürfen, wandte er sich dem Schuldienst zu und ging als Hilfslehrer an die damalige Realschule zu Meseritz in der Provinz Posen. Der Aufenthalt hier wurde dadurch für ihn wichtig, daß er in der Tochter des Meseritzer Professors Zeller seine Braut und spätere Gattin fand. Das Examen pro fac. doc. wurde im November 1861 bestanden und von Ostern 1862 bis 1864 wirkt J. als Adjunct an der Ritterakademie zu Brandenburg. Weil sich ihm nicht sobald hier Aussicht auf feste Anstellung bot, verließ er das ihm sonst sehr lieb gewordene Brandenburg, nahm die erste Lehrerstelle an der eben errichteten höheren Bürgerschule zu Wriezen im Oderbruche an, heirathete sogleich Ostern 1864 und blieb in Wriezen, bis er Michaelis 1869 durch Vermittelung des damaligen Berliner Stadtschulraths Hoffmann (jetzt Director des Gymnasiums zum grauen Kloster) an der kurz zuvor gegründeten höheren Bürgerschule in der Steinstraße, später Sophienrealschule genannt, als Oberlehrer angestellt wurde. Neben seiner Thätigkeit als Schulmann gingen die eifrigsten und umfangreichsten Studien des Altdeutschen her, und so konnte er, als seine Tüchtigkeit auf diesem Gebiete schon allgemein anerkannt war, nach einigen Jahren seines Aufenthaltes zu Berlin mit Zuversicht auf eine Universitätsprofessur rechnen. Zunächst bot sich im Herbst 1873 eine Aussicht nach Greifswald; aber da die Bedingungen wenig lockend waren, so verzichtete J. Da erkrankte er bald nach Neujahr 1874 bedenklich an einer Nierenentzündung; dieselbe nahm einen bösartigen Charakter an, und als überdies Blutvergiftung eingetreten war, starb er am Morgen des 6. Februar nach hartem Todeskampfe. Am folgenden Tage traf die Nachricht ein, daß die Universität zu Freiburg im Breisgau ihn für ihre erledigte Professur der deutschen Philologie in Aussicht genommen habe. – J., körperlich eher zart als derb, war eine geistig höchst frische und anregende Natur, überall beliebt, wohin ihn amtliche oder wissenschaftliche Thätigkeit oder persönliche gesellige Verhältnisse führten. Auf wissenschaftliche Bestrebungen Anderer ging er bereitwillig und theilnehmend ein und suchte dieselben durch guten Rath und Belehrung neidlos und treu zu fördern. Mit Recht erkennt darum Weigand in der Vorrede zur dritten Auflage seines deutschen Wörterbuches an, daß er von J., abgesehen von dessen eingehender Recension und anderen Schriften, durch Uebersendung werthvoller Beiträge gefördert sei, und ebenso beklagt ihn Lexer in der Vorrede zum zweiten Bande des mhd. Handwörterbuches als treuen mittheilsamen Freund. Seine ersten schriftstellerischen Versuche nach der Promotionsschrift machte er in Meseritz mit Aufsätzen über Tristan und Isolde, abgedruckt im Prutzischen deutschen Museum vom J. 1862, S. 502–512; darauf folgte ebd. Jahrgang 1863, S. 795–809, „Ein deutsches Ritter- und Fürstenleben im 16. Jahrhundert“, bearbeitet im Anschluß an die zuerst von Büsching herausgegebenen Denkwürdigkeiten Hansens von Schweinichen. In Brandenburg gaben zunächst Conferenzen des Lehrercollegiums der Ritterakademie den Anstoß zur Abfassung eines kleinen grammatisch-orthographischen Hilfsbuchs, „Deutsche Rechtschreibung und Formenlehre für die unteren und mittlen Classen höherer Lehranstalten“, Brandenburg 1863. Die Herausgabe dieses Büchleins wirkte später neben Jänicke’s sonst bewährter Kenntniß der deutschen Sprache dazu mit, daß er im J. 1870 in die Commission gewählt wurde, welche im Auftrage des Vereins der Berliner Gymnasial- und [702] Realschullehrer einen kurzen Leitfaden für die Rechtschreibung abzufassen hatte. Da dieser Leitfaden unter dem Titel „Regeln und Wörterverzeichniß für die deutsche Orthographie“ bei Teubner seit 1871 in zahlreichen Auflagen erschienen, eine allerdings im einzelnen mehrfach verlassene Grundlage für das im Auftrage des preußischen Unterrichtsministeriums von einem der damaligen Commissionsmitglieder, dem jetzigen Bonner Professor W. Wilmanns, bearbeitete Büchlein ist, das unter fast gleichem Titel 1880 in der Weidmann’schen Buchhandlung zu Berlin erschien: so geht naturgemäß auch ein Theil des durch die neue preußische Schulorthographie bezeichneten Fortschritts auf Jänicke’s frühere in dies Gebiet gehörige Thätigkeit zurück. Schon vorher war er von Müllenhoff zur Theilnahme an der Herausgabe eines deutschen Heldenbuches aufgefordert, das sämmtliche an die Nibelungen und die Gudrun sich anschließenden Gedichte zu umfassen bestimmt war. J. erhielt hierbei zunächst den Biterolf und Dietleib zugewiesen und vollendete unter Müllenhoff’s Leitung und thätiger Unterstützung die Herausgabe dieses Gedichts bis zum J. 1866, so daß es nun zusammen mit den beiden von Müllenhoff allein bearbeiteten kleineren Stücken Laurin und Walberan als erster Band des deutschen Heldenbuches erscheinen konnte. Darauf ging J. an die Herausgabe der Wolfdieteriche BCD, während der (ebenfalls noch im Frühjahr 1874 verstorbene) Arthur Amelung den Ortnit und den Wolfdieterich A überwiesen erhielt. Diese Gedichte erschienen als dritter und vierter Band des deutschen Heldenbuches in den Jahren 1871 und 1873, und in nächster Beziehung dazu die „Beiträge zur Kritik des großen Wolfdietrich“ als Osterprogramm der Sophienrealschule, Berlin 1871. Durch diese tüchtigen Leistungen bewährte sich J. als fleißiger Gelehrter, scharfsinniger und umsichtiger Kritiker und als methodisch geschulter Herausgeber mittelhochdeutscher Dichtungen. – Inzwischen hatte er eine Reihe von Aufsätzen und Recensionen in der Berliner Zeitschrift für Gymnasialwesen, den Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik, der Hauptischen Zeitschrift für deutsches Alterthum und der neu von Höpfner und Zacher gegründeten Zeitschrift für deutsche Philologie veröffentlicht und darin theils rein wissenschaftliche Fragen erörtert, theils lehrreiche Winke über die Behandlung des deutschen Unterrichts auf höheren Lehranstalten gegeben. Eine Frucht der Wriezener Zeit war noch die schöne im J. 1869 als Programm der dortigen Bürgerschule erschienene Abhandlung „Ueber die niederdeutschen Elemente in unserer Schriftsprache“. Zusammen mit den ihm eng befreundeten Fachgenossen Elias Steinmeyer (jetzt in Erlangen) und Wilhelm Wilmanns (jetzt in Bonn) gab er seiner Verehrung für Müllenhoff durch die diesem zu seinem Geburtstage, dem 8. September 1871, gewidmeten „Altdeutschen Studien“ einen entsprechenden Ausdruck. In diesem Buch nimmt J. mit seiner kritischen Bearbeitung des Ritters von Staufenberg (S. 1–61) den Vortritt und weist nach, daß dies früher selbst von Haupt (Zeitschrift XV, 252) einer viel späteren Zeit zugewiesene Gedicht um das J. 1300 verfaßt ist. Diese Arbeit am Staufenberger führte auf das Gebiet des späteren Mittelhochdeutsch, und J. sprach schon im Mai 1872 mir wie auch wol Andern gegenüber die bestimmte Absicht aus, das Mittelhochdeutsch etwa vom J. 1250–1330 im Zusammenhange zu untersuchen und so die Kluft überbrücken zu helfen, die für uns auch jetzt noch trotz Lexer’s inzwischen vollendetem vortrefflichen mittelhochdeutschen Handwörterbuch zwischen dem Mittelhochdeutschen des 13. Jahrhunderts und dem Beginne des Neuhochdeutschen liegt. Hier waren bei Jänicke’s rastlosem Fleiße und seiner tiefeindringenden Beobachtungsgabe schöne Ergebnisse zu erwarten. Zunächst aber lag noch eine andere Aufgabe vor. Schon von Wriezen aus hatte sich J. entschlossen, für Zacher’s germanistische Handbibliothek eine Ausgabe von Gotfried’s Tristan zu liefern, sammelte und verglich hierzu [703] eifrig und ging auch im Juli 1870 mit Unterstützung des preußischen Unterrichtsministers nach Florenz zur Vergleichung der dort befindlichen Tristanhandschrift. Die Vorarbeiten zum Tristan scheinen nach einer mir gegenüber von J. gethanen Aeußerung um Neujahr 1874 schon ziemlich weit gediehen gewesen zu sein; sie sind dann nach Jänicke’s Tode mit dessen übrigem wissenschaftlichen Nachlasse an Zacher in Halle übergegangen und von diesem dem Professor A. Reifferscheid in Greifswald zum Zweck der Herausgabe des Tristan überwiesen.

Vgl. den Aufsatz des Unterzeichneten in der Zeitschrift für deutsche Philologie V, 457–468 (1874).