ADB:Zacher, Julius

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Artikel „Zacher, Julius“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 658–660, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zacher,_Julius&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:25 Uhr UTC)
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Zacher: Julius Z., Germanist, wurde als Sohn eines herrschaftlichen Försters am 15. Februar 1816 zu Obernigk im schlesischen Kreise Trebnitz geboren und wuchs bei den Großeltern in Karoschke auf. Von dem Pfarrer dieses Dorfes vorbereitet und von der Großmutter unterstützt, konnte er 1830 das Elisabethgymnasium zu Breslau beziehen, wo er sich in knappen Verhältnissen wacker bis zum Abiturientenexamen durchschlug. Von Ostern 1836 bis 1839 studirte er in Breslau zunächst Theologie, dann Philologie und bethätigte nebenher ein reges Interesse für die beschreibenden Naturwissenschaften, von dem später auch seine altdeutschen Studien öfter Zeugniß ablegen. In diese ward er durch Hoffmann von Fallersleben eingeführt, ohne indeß diesem Lehrer viel mehr als die erste Orientirung zu verdanken. Die Nebenbeschäftigung als Amanuensis bei der Universitätsbibliothek kam seinen Neigungen entgegen und förderte seine Belesenheit. In den Jahren 1839–42 bekleidete er eine Hauslehrerstelle bei dem Grafen von Wylich und Lottum und bekam im Haag, wohin dieser als preußischer Gesandter versetzt ward, bequeme Gelegenheit zur [659] Beschäftigung mit den dortigen Handschriften, woraus dann seine ersten Veröffentlichungen in Band 1 und 2 der Haupt’schen Zeitschrift und gleichzeitig die frühesten Anregungen zu den lebenslang gepflegten Alexanderstudien erwuchsen. Nach Aufgabe dieser Stellung wandte er sich nach Berlin, trat den Brüdern Grimm, Lachmann und Homeyer nahe und ergänzte in zäher Arbeit sein vielfach durch äußere Noth gehemmtes Breslauer Universitätsstudium. Er promovirte in Halle (1844) mit einer ungedruckt gebliebenen Dissertation zur Alexandersage und bestand bald darauf in Berlin das philologische Staatsexamen. Der Plan einer kritischen Bearbeitung der mlat. und mhd. Denkmäler der Alexandersage gewann festere Gestalt. 1847 erhielt Z. eine provisorische Custodenstelle an der Hallischen Universitätsbibliothek und übernahm gleichzeitig das Secretariat des Thüringisch-sächsischen Vereins zur Erforschung der vaterländischen Alterthümer, den er sammt seiner Zeitschrift (den „Neuen Mittheilungen“ u. s. w.) zu neuem Leben erweckt hat. Während eines längeren Urlaubs, den Lachmann für ihn vom Minister erwirkte, katalogisirte er in Alt-Geltow 1848 einen großen Theil der Meusebach’schen Bibliothek. Seine Schrift „Die deutschen Sprichwörtersammlungen nebst Beiträgen zur Charakteristik der Meusebachschen Bibliothek“ (1852) ist eine litterarische Frucht dieser Zeit: sie gibt Proben einer kritischen Bibliographie der deutschen Nationallitteratur, wie sie sich Z. namentlich auf Grund der Meusebach’schen Bücherschätze aufgebaut dachte. Nachdem verschiedene Aussichten zum Eintritt in die akademische Laufbahn sich zerschlagen hatten, habilitirte sich Z. 1853 in Halle: mit einer latein. Habilitationsschrift, deren erweiterte Ausführung in deutscher Sprache wir in der „sprachwissenschaftlichen Untersuchung“: „Ueber das gothische Alphabet Vulfila’s und das Runenalphabet“ (1855) besitzen; sie zeigt mehr die Schwächen von Zacher’s Ausrüstung und Befähigung und war in der Hauptthese, daß Wulfila seinem Alphabet die Runen zu Grunde gelegt habe, gründlich verfehlt. Dagegen sind treffliche Zeugnisse seiner reichen und selbständigen Gelehrsamkeit und seiner saubern, stets durch Akribie ausgezeichneten Arbeitsweise seine Beiträge zur Ersch und Gruber’schen Encyklopädie, besonders zu den Buchstaben F und G (1848–1862), aus denen wir die umfangreiche Monographie über ‚Germanien, Germanen‘ (Bd. 61, Sp. 211a–388b) besonders herausheben. 1856 wurde Z. 40jährig außerordentlicher Professor, 1857 erhielt er endlich seine definitive Anstellung als Custos. 1859 kam er dann als Oberbibliothekar nach Königsberg und übernahm das neubegründete Ordinariat für deutsche Philologie. Die Arbeit des Doppelamtes und das Klima setzten indessen seinem schwächlichen Körper so stark zu, daß er die ersehnte Rückversetzung als Ordinarius nach Halle im Herbst 1863 jubelnd begrüßte. Hier hat er dann, auf das Lehramt beschränkt, und mit reicherer Muße für die gelehrte Thätigkeit, bis zu seinem Tode am 23. März 1887 gewirkt. Von größeren Plänen eigener Arbeit brachte er freilich in diesen 24 Jahren nur noch den ersten Theil seiner Alexanderforschungen zum Abschluß: „Pseudocallisthenes. Forschungen zur Kritik und Geschichte der ältesten Aufzeichnungen der Alexandersage“ und dazu im gleichen Jahre 1867 als Festschrift die Ausgabe der Epitome des Julius Valerius.

Was Z. sonst noch an Aufsätzen, Recensionen und kleineren Mittheilungen zum Drucke gebracht hat, zeigt zwar die Vielseitigkeit seiner Studieninteressen, die sich nur allzuleicht auf Seitenpfade verloren, gibt aber doch kein Bild von der Lebensarbeit des allezeit rührigen und treufleißigen Gelehrten, der in der Hingabe an seinen Lehrberuf und an seine Schüler, in der freudigen Anerkennung jedes Verdienstes, in der uneigennützigen Förderung von Freunden und Fremden seines Gleichen suchte. Obwol er mitten drin gestanden hatte im Nibelungenstreit [660] und in der treuen Verehrung Lachmann’s keinem nachstand, hat er sich die Sachlichkeit seines Urtheils niemals trüben lassen. Wo er in den Vordergrund trat, geschah es aus eminent sachlichen Interessen heraus. So hat er der Reform der Rechtschreibung, der Revision der Lutherbibel, der Weiterführung des Grimm’schen Wörterbuches, der Herderausgabe Suphan’s seine energische Fürsprache und jeweilig seinen kundigen Beirath geliehen. Für die Germanistische Handbibliothek, die er ins Leben rief und die seit 1869, leider nicht so rasch und so complet wie er es wünschte, herauskam, und für die „Zeitschrift für deutsche Philologie“, deren erstes Heft, von ihm und Ernst Höpfner als Redacteuren eingeführt, im Sommer 1868 erschien, war er unermüdlich thätig. Und wenn es ihm auch nicht gelang, die zeitlebens betonte Verbindung der deutschen Philologie mit der Schule zu erreichen, die er eben in dieser Zeitschrift und durch sie anstrebte, sein Programm verdient unsere Achtung, und mit dem Stabe von Gelehrten, der sich in den ersten Jahrgängen um Z. sammelte, durfte er sich sehen lassen. Lange freilich hat er das vornehme Niveau der ersten Jahrgänge nicht festzuhalten vermocht und die nothwendige Kritik besonders gegenüber den Arbeiten seiner Schüler später oft aus den Augen gelassen.

Zacher’s Gelehrsamkeit umspannte das gesammte Gebiet der deutschen Philologie: mit Einschluß der neuern Litteratur und bis tief in die Alterthümer der Kunst und des Privatlebens hinein. Seine wissenschaftliche Befähigung aber war engbegrenzt. Eine weitverzeigte Ueberlieferung aufzusuchen, zu sichten und sauber geordnet für die litterarhistorische Forschung bereit zu stellen, wie im ,Pseudocallisthenes‘ – das war seine Sache. In solchen Arbeiten bewährt sich die strenge Gewissenhaftigkeit und die Selbstzucht dieser durch und durch sittlichen Natur. Für litterarhistorische Arbeit in höherem Sinne aber fehlte ihm vor allem die Fähigkeit, das Charakteristische und die Individualität zu erfassen: in dieser Beziehung sagt genug sein Verhältniß zu Wolfram von Eschenbach, den er ein Menschenalter hindurch in den Kreis seiner Lieblingsstudien schloß und gleichwol bis an sein Lebensende für nicht viel mehr als einen lobenswerthen Uebersetzer hielt. Dazu kommt eine, durch Ad. Kuhn geweckte, verhängnißvolle Neigung für vergleichende Mythologie und Mythenspeculation, die ihn dazu führte, im Hintergrunde des Parzival (natürlich Kyots) eine Art verritterlichtes Thierepos und dahinter wieder theriomorphe Göttermythen zu erblicken. Die Interpretation übte er als Kunst und mit großem Aufwand von Gelehrsamkeit, gab aber hier wie sonst seiner Vorliebe für Etymologien nach, denen keine lebendige Anschauung des Sprachlebens zu Grunde liegt. – Das Beste seines Andenkens bewahren nicht die Annalen unserer wissenschaftlichen Litteratur, sondern seine Schüler, durch die er einmal den Zusammenhang mit der classischen Philologie stets aufrecht erhielt und andererseits anregend und befruchtend auch auf die Nachbargebiete der mittelalterlichen Forschung hinüberwirkte.

K. Weinhold i. d. Zeitschr. f. d. Phil. 20, 385–426, wo auch S. 426 bis 429 ein nahezu vollständ. Verzeichniß aller Arbeiten Zacher’s gegeben ist.