ADB:Klein, Ernst Ferdinand
Friedrichs II. von jeder Art des Gottesdienstes mit Achtung sprach und sich überall als Menschenfreund bewährte, ohne daß sein Duldungssystem in religiöse Kälte ausartete. Gleich trefflich war die Mutter, die mit liebevoller Strenge die Erziehung der Söhne leitete. K. besuchte das Magdalenen-Gymnasium, welches – nach der Schilderung in Klein’s Autobiographie – zu jener Zeit nicht viele gute Lehrer besaß, deren einige sogar „im Gefühle ihrer eigenen Schlechtigkeit den Schülern nicht zumutheten, die Lehrstunden zu besuchen, vielmehr nur baten, durch Herumlaufen während der Lehrstunden in der Nähe der Schulgebäude kein Aufsehen zu erregen.“ Unter solchen Umständen waren die Schüler mehr auf Privatstudien angewiesen, die denn auch fleißig betrieben wurden. Zu Ostern 1763 bezog er die Universität Halle, unter deren Lehrern ihn namentlich Nettelbladt ansprach. Auf das Rechtstudium war K. durch Fénélon’s Telemach geleitet worden; es gefielen ihm darin vornehmlich „der weise Mentor und sein Zögling als Lehrer und Schüler der Gesetzgebungskunst.“ Später las er eifrig Montesquieu, d’Aguesseau und Beccaria. Nach Beendigung der Universitätsstudien entschied sich K. für die Advokatur und dies um so mehr, als in Folge der damaligen Münzedicte und des in Breslau nach dem Kriege wieder auflebenden Handels recht viele Processe zu bearbeiten waren. Er fand unter den Collegen viele Männer von vorzüglichen Eigenschaften des Kopfes und Herzens, die sich auch ihre wissenschaftliche Ausbildung am Herzen liegen ließen, Tacitus und andere klassische Schriftsteller lasen und sich sehr niedergedrückt fühlten durch die in den damaligen Gesetzen unaufhörlich ihrem Stande gemachten Vorwürfe, welche wirklich nur einzelnen gewinnsüchtigen Sachwaltern gegenüber gerechtfertigt waren. Um den Stand der Genossen zu heben, schien es ihm durchaus nothwendig, daß man bei wichtigeren Sachen die Advokaten zu mündlicher Darstellung ihrer Ausführungen veranlassen sollte, damit sie „in edler und gewählter Sprache ihre Vorträge vor dem Publikum halten müßten, das sich dann von der Gerechtigkeit der richterlichen Aussprüche überzeugen könnte.“ Diese Vorschläge legte er in der Schrift „Gedanken von der öffentlichen Verhandlung der Rechtshändel und dem Gebrauche der Beredtsamkeit in den Gerichtshöfen“ (aufs Neue herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von H. W. F. Böhmer[WS 1], Gött. 1825) nieder. Garve, zu dem K. durch seine zweite Verheirathung in nahe Familienverbindung getreten war, übernahm die Herausgabe einiger von Klein’s Abhandlungen („Vermischte Abhandlungen über Gegenstände der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit“, Leipzig 1779, 1780), in denen K. mehrere Mängel der damaligen Gesetzgebung rügte. Dadurch erregte er die Aufmerksamkeit des zum Großkanzler beförderten schlesischen Justizministers Grafen v. Carmer. Im Winter 1781 wurde K., nach Ernennung zum Assistenzrath, nach Berlin berufen als Gehülfe bei der Justizreform, kehrte im folgenden Sommer jedoch nach Schlesien zurück, um dort das Eherecht auszuarbeiten. Später ging er wieder nach Berlin, wo ihm die Sammlung der Materialien übertragen wurde. K. arbeitete den Vorentwurf des Gesetzes aus, woran sich Conferenzen des Großkanzlers mit Suarez und K. schlossen. Der so entstandene erste Entwurf ist bekanntlich nicht veröffentlicht worden, vielmehr erst dessen nochmalige Revision seitens Suarez (1784–88). Durch eine Arbeit über die väterliche Gewalt, die das Accessit [89] erhielt, erwarb er 1789 die Mitgliedschaft der königlichen Akademie der Wissenschaften, machte sich in weiteren Kreisen bekannt und um die Rechtspflege verdient durch Herausgabe der „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten“ (1788–1809, 26 Bde., der 26. in neuer Auflage 1819), war auch so glücklich, das freundschaftliche Verhältniß zu Garve nicht dadurch gestört zu sehen, daß er in einem „Schreiben an Garve über den Unterschied der Zwangs- und Gewissenspflichten“, Berlin 1789, einen wissenschaftlichen Streit vor dem Publikum erörterte. Geistige Anregung bot der Verkehr mit Männern wie Spalding, Engel, Mendelssohn, Dohm, Selle, Nicolai, v. Irwing, Dietrich, Zöllner, Biester u. A. Dieselben stifteten eine gelehrte Gesellschaft, in welcher von Zeit zu Zeit ein gemeinnütziger Aufsatz vorgelesen und besprochen wurde. Nachher circulirte derselbe bei den Mitgliedern, die ihre Meinung darüber schriftlich aufsetzten. Ueber letztere Bemerkungen äußerte sich in der nächsten Sitzung der Verfasser bald beistimmend, bald bei seiner mit Gründen unterstützten Ansicht verharrend. K. schätzte es als größtes Glück seines Lebens, dieser Gesellschaft angehört zu haben. Sie lieferte ihm den Stoff zu dem „Gespräch über Freyheit und Eigenthum bey Gelegenheit der französischen Revolution“, 1790. Er traf darin ganz besonderes geschickt die eigenthümliche Denkweise der vorzüglichsten Mitglieder jener Gesellschaft. Zu fernerer Ausbildung trug wesentlich bei seine Theilnahme als Kammergerichtsrath an den Sitzungen der Kriminaldeputation dieses Gerichtshofes, an deren Spitze der rühmlich bekannte v. Kircheisen stand. 1791 überraschte, aber erfreute ihn auch der Ruf als öffentlicher Lehrer und Director der Universität Halle. Er fand dort die Verhältnisse gegen früher wesentlich gebessert, wirkte sehr emsig für moralische und wissenschaftliche Förderung der Studenten durch Heranziehung derselben in den Familienkreis und fühlte sich besonders geehrt, als die philosophische Facultät unter Wolff’s Decanat ihm die Magisterwürde verlieh. Seine liebste und besuchteste Vorlesung war die über Kriminalrecht. Er hielt dieselbe über seine „Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen Rechts nebst Bemerkungen der dahin einschlagenden preußischen Gesetze“, 2. Aufl., Halle 1799, veröffentlichte „Merkwürdige Rechtssprüche der Juristenfacultät zu Halle“, Berl. 1796–1802, und begründete mit Kleinschrod das Archiv des Kriminalrechts (seit 1798). Wie sehr K. durch seine „Grundsätze“ dem preußischen Strafrechte, an dessen Feststellung im Landrechte er mitgewirkt hatte, Einfluß auf die gemeinrechtliche Doctrin verschaffte; hat Hälschner, das preußische Strafrecht, 1. Theil, Bonn 1855 S. 229 sehr gut hervorgehoben, während Hepp, Darstellung und Beurtheilung der deutschen Strafrechtssysteme, 2. Aufl., Heidelb. 1844, II. 109–145 die litterarische Fehde Klein’s mit Feuerbach bezüglich der Straftheorie eingehend behandelte. Die Vorliebe für strafrechtliche Arbeiten zeigte sich später noch in der Schrift „Ueber außerordentliche Strafen wegen unvollständigen Beweises und über Sicherheitsanstalten“, 1805 – er mißbilligt erstere, Autobiographie S. 65–71 (Klein’sche Preisfrage im Archiv des Kriminalrechts, Bd. I St. 2) – sowie in der Herausgabe der 6. Auflage der Quistorp’schen Grundsätze (Bd. I, 1809). Außerdem hat er einen „Auszug aus dem allgemeinen Gesetzbuche für die preußischen Staaten“, 1792, 1793, sowie „Rechte des Hausstandes“ (aus dem 1. Theil desselben), 1792. – „Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben“ (mit Kantischen Grundgedanken), endlich ein „System des preußischen Civilrechts“, 1801 (neu bearbeitet von Fr. v. Rönne u. L. v. Rönne 1830, 1835) herausgegeben, auch die vierte Auflage von Hommel’s Teutscher Flavius besorgt. Inzwischen war K. 1800 an das Ober-Tribunal berufen worden. Die Rückkehr war eine für ihn sehr traurige. Dringender Geschäfte wegen vorausgeeilt, erwartete er die Ankunft seiner (dritten) Frau, erhielt aber [90] plötzlich die niederschlagende Nachricht von ihrem Tode. Die erste Gattin hatte er bei einer Lustreise im schlesischen Gebirge verloren, die zweite, als sie ihm eine Tochter geschenkt hatte. Es waren dies trübe Erfahrungen in dem sonst so glücklichen Leben Klein’s. Mit großem Eifer widmete sich nunmehr K. freimaurerischen Bestrebungen. Als Großmeister der Loge Royal York hat er viel Gutes gestiftet. Lohn für äußere Wirksamkeit erwünschte er, wie Andere, „soweit er nöthig ist, um die physische Kraft zu erhalten“; Lohn für gemeinnütziges Streben genoß er bei der Handlung selbst, ihn weder in dieser noch in jener Welt fordernd. Durch die glückliche Versorgung seiner Kinder aus den verschiedenen Ehen beruhigt, durch die Ernennung zum Correspondenten der russischen kaiserlichen Gesetzcommission geehrt und durch Verleihung des Titels eines Geh. Oberjustizraths und eines Ordens ausgezeichnet, entschlief er nach rüstig vollbrachtem Lebenswerk am 18. März 1810. Sein Bildniß (außer demjenigen von Lowe) vor dem 114. Bande der allgemeinen teutschen Bibliothek, auch in Knötzschker’s jurist. Almanach 1794.
Klein: Ernst Ferdinand K., einer der thätigsten Mitarbeiter an der Gesetzgebung Preußens zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, geb. zu Breslau am 3. September 1744, † zu Berlin am 18. März 1810. Sein Vater, in großer Achtung bei den Breslauer Kaufleuten und Bürgern, war ein Mann feinster Bildung und verkehrte größtentheils mit Gelehrten und Staatsbeamten. In den Augen seiner Kinder ganz tadelfrei, trug er zur geistigen und moralischen Ausbildung derselben viel bei, wobei er als großer Verehrer- Autobiographie in dem von M. S. Lowe herausgegebenen Werk: „Bildnisse jetztlebender Berliner Gelehrten“, zweite Sammlung (1806) mit Bildniß Klein’s vom Herausgeber. – Kleinere Abhandlungen stehen in der Berliner Monatsschrift, in der Eunomia; auch in Kayser’s Lexikon verzeichnet. – Dohm, Denkwürdigkeiten, I. 282. – Roßhirt, Gesch. u. Syst. d. deutschen Strafrechts, 1838 I. 324 ff. – Berner, Strafgesetzgebung, 1867 S. 43. – Abegg, Preuß. Strafgesetzgebung, 1854 S. 27 f., 81, 90. – Daniels, Syst. d. Preuß. Civilrechts, 1866 S. 11. – Förster, Preuß. Privatrecht, § 2. – Stobbe, Rechtsqu., II. 460 ff. – Wächter, Beilagen, 1877 S. 138, 139, 143. – v. Bar, Handb. d. Strafr., 1882, I. 172.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ richtig ist Georg Wilhelm Böhmer.