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ADB:Kortum, Johann Christoph

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Artikel „Kortüm, Johann Friedrich Christoph“ von August Thorbecke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 730–732, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kortum,_Johann_Christoph&oldid=- (Version vom 16. Oktober 2024, 00:10 Uhr UTC)
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Kortüm: Johann Friedrich Christoph K., einem friesischen Rittergeschlecht entstammt, war am 24. Febr. 1788 zu Eichhorst, einem Dorfe in Mecklenburg-Strelitz geboren, wo sein Vater lutherischer Geistlicher war. Nach dem frühen Tode desselben wurde er von einem Oheim und von seiner Mutter erzogen. Seine gelehrte Bildung begründete er auf dem Gymnasium zu Friedland und führte sie weiter auf den Universitäten zu Halle (1806), Göttingen (1807) und Heidelberg (1808). Nachdem er den Gedanken, Theologie zu studiren, aufgegeben hatte, wandte er sich ausschließlich philosophischen und historischen Studien zu. Planck und Heeren in Göttingen, Wilken, Creuzer und Heinrich Voß in Heidelberg übten tiefgehenden Einfluß auf ihn aus; nie vergaß er, daß er die sichere sprachliche Grundlage und die Begeisterung für das Alterthum den Philologen der Heidelberger Universität zu verdanken hatte. Von tiefem Haß gegen die Napoleonische Herrschaft erfüllt, war er im J. 1810 nach Mecklenburg zurückgekehrt und eben im Begriff nach Spanien zu gehen, um dort in den Reihen der Aufständischen den gleichen Feind zu bekämpfen, als er in Rostock als Spion verhaftet wurde und nur durch seine Bekanntschaft mit Land [731] und Leuten der Gefangenschaft und vielleicht einem schlimmeren Schicksale entging. Er flüchtete nach der Schweiz, machte die Bekanntschaft Pestalozzi’s, dem er durch sein ganzes Leben mit pietätvoller Verehrung anhing (vgl. den zur Säkularfeier 1846 verfaßten „Rückblick auf J. H. Pestalozzi nebst etlichen ungedruckten Blättern desselben“, Heidelberg 1846) und erhielt durch dessen Vermittelung (1812) eine Lehrstelle an dem Institute Fellenbergs in Hofwyl. Als dann das preußische Volk sich gegen Napoleon erhob, duldete es ihn nicht länger in der Fremde: er trat in die Reihen der preußischen Jäger und machte als Freiwilliger die Feldzüge der Jahre 1813 und 1814 mit. In Paris, wohin ihn die Siege der Verbündeten führten, versäumte er die Gelegenheit nicht, in Bibliotheken und Museen seine Kenntnisse zu erweitern. Ein Aufsatz seiner „Geschichtlichen Forschungen“, die nach seinem Tode Reichlin-Meldegg (Leipzig und Heidelberg 1863) herausgegeben hat („Zur Geschichte der antiken Kunst“) läßt das reife und selbständige Urtheil und auch den auf das Ideale gerichteten Geschmack des jungen Wehrmanns wohl erkennen. Die charakteristischen Eigenthümlichkeiten seiner Ausdrucksweise liegen schon in diesem frühesten Produkt seiner Feder zu Tage. Nach dem Frieden kehrte er nach der Schweiz zurück, um die nächsten zwei Jahrzehnte in einer Art Wanderleben an verschiedenen Orten als Lehrer und als Gelehrter zu wirken: 1817 wurde er von Hofwyl an die Kantonschule nach Aarau berufen, 1818 begab er sich nach Wien und lebte dort wissenschaftlicher Arbeit, 1819 fand er an dem neu gegründeten Gymnasium in Neuwied eine Anstellung als Lehrer der Geschichte, 1820 trug er sich mit dem Gedanken, nach Spanien zu gehen und in Bewunderung für Riego dem Kampf für die Cortes sich anzuschließen. Doch zog er es vor, einem Rufe an die Universität Basel als Professor der Geschichte Folge zu leisten; diese Stellung gab er aber wieder auf, als ihm der Erziehungsrath die Verpflichtung auferlegte, auch am Pädagogium als Lehrer zu wirken, und wandte sich 1822 nach Hofwyl zurück, das er 1826 von neuem verließ, um als Privatdocent an der Universität Basel mit großem Beifall zu lehren. In allen diesen Stellungen durfte er als anregender, echt wissenschaftlicher Lehrer gelten und wußte in jedem Amt sich die Unabhängigkeit seiner Meinung und die Freiheit seines Urtheils zu wahren. Man konnte wohl von ihm rühmen, daß er an dem kleinen autokratischen Hofe Fellenbergs, den ein geistreicher Schweizer eine streng monarchische Oase in der bernischen Republik genannt hat, sich so zu halten wußte, daß er die Klippe des Undanks gegen den berufenen Herrscher und doch auch jede Charakterlosigkeit unter einer zur Unterwürfigkeit neigenden Umgebung vermied; es durfte nicht unzeitige Schroffheit heißen, wenn er in den Tagen steigender Reaktion für den von einem höheren Beamten verunglimpften Arndt in so energisch-thätlicher Weise eintrat, daß er seine Stellung am Rheine aufgeben mußte. Schon hatten seine wissenschaftlichen Arbeiten Ansehen erregt: 1818 war seine erste größere Arbeit „Kaiser Friedrich I. mit seinen Freunden und Feinden“ (Aarau), 1821 sein Büchlein: „Zur Geschichte der hellenischen Staatsverfassungen, hauptsächlich während des peloponnesischen Krieges“, 1827–1829 seine „Entstehungsgeschichte der freistädtischen Bünde im Mittelalter und in der Neuzeit“ (Zürich, 3 Bde.) erschienen. Ihn, der sich in der Schweiz ganz besonders heimisch fühlte, berief 1838 die berner Regierung als ordentlichen Professor der Geschichte an ihre Hochschule: ein Ereigniß in der Entwickelung dieser Akademie, weil damit der Lehrstuhl der Geschichte eigentlich erst neu geschaffen und das alte Abhängigkeitsverhältniß von der Jurisprudenz endgültig gelöst wurde. K. zeigte sich in der That als der Mann, seine Wissenschaft zu Ansehen zu bringen, sowohl durch seine Wirksamkeit als akademischer Lehrer, die in der Schweiz ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint, wie durch wissenschaftliche Publikationen. [732] Nur ungern ließ man ihn ziehen, als er 1840 dem Ruf des badischen Ministers von Reizenstein folgte, der, angeregt durch die „Geschichte des Mittelalters“ (Bern 1836–37, 2 Bde.), einen Lehrstuhl der Geschichte in Heidelberg ihm bot. Hier ist K. den letzten Abschnitt seines Lebens in umfassender Weise als Lehrer und vor allem als Schriftsteller thätig gewesen; abgesehen von zahlreichen Beiträgen zu den Heidelberger Jahrbüchern, abgesehen von zwei Schriften über die Jesuiten („Die Entstehungsgeschichte des Ordens der Jesuiten nebst einem Schlußwort über die neuen Jesuiten“, Mannheim 1848 und „Unmaßgebliches Votum in der Schweizer Jesuitensache“, Mannheim 1845) und dem schon angeführten Schriftchen über Pestalozzi sind hier seine zwei bedeutendsten Werke erschienen: 1843 seine „Römische Geschichte“ (vgl. die Anzeige von Adolf Schmidt im dritten Bande seiner Zeitschrift für Geschichtswissenschaft), 1854 in drei Bänden seine „Geschichte Griechenlands von der Urzeit bis zum Untergang des achäischen Bundes“. Er war mit der Durchsicht eines fast vollendeten Werkes beschäftigt, das, auf einer großen Gelehrsamkeit fußend, den Uebergang aus dem Mittelalter in die Neuzeit behandeln sollte (nach seinem Tode von Reichlin-Meldegg herausgegeben, Leipzig 1861, 2 Bde.), als ihn am 4. Juni[WS 1] ein jäher Tod – er hatte noch am 2. Juni seine Vorlesungen gehalten – aus dem Leben riß. – K. gehörte zu den Männern, welche die schwere Zeit der Fremdherrschaft gebildet, die Zeit der Reaktion gereift hat. Diesen Einflüssen verdankte er die fast rauhe Seite seines Charakters, ihr die ehrliche und wahrheitsliebende Haltung, mit der er auch in derb rücksichtslosem Wort seine Meinung über vergangene, wie gleichzeitige Ereignisse geltend zu machen liebte. Entschieden republikanischen Sinnes, den auch die Anhänglichkeit an die Schweiz erweist, suchte er danach wohl seine Arbeiten aus und wurde so unwillkürlich auf das Alterthum zurückgeführt, dessen Entwickelung zu schildern seine Lieblingsaufgabe gewesen ist. Dabei war sein Streben, der Auffassung moderner Ereignisse zu dienen, unverkennbar, wie er, fast zuerst, in seiner Darstellung des politischen Lebens der alten Zeit die politische Terminologie unserer Zeit anzuwenden liebte. Offenbar vermied er es, Angehöriger einer bestimmten Richtung zu scheinen. Man würde auch in Verlegenheit kommen, wollte man ihn irgend einer Schule oder nur einer Gruppe von Historikern zuzählen. Manches erinnert an Johannes von Müller, die bewundernswerthe Gelehrsamkeit sowohl, die doch weit entfernt ist von oberflächlicher Polyhistorie, wie die manierirte Art seiner Darstellung; in seinem Wesen kann man wohl hie und da die Züge finden, welche Aehnlichkeit mit Arndt, auch mit Schlosser zeigen, dann scheint die Uebereinstimmung wieder mehr eine Folge der ganzen Zeitentwickelung zu sein, welche diese Männer gebildet. Jedenfalls verdienen Kortüm’s größere Arbeiten eine bleibende Beachtung, nicht blos der tiefen Gelehrsamkeit wegen, die aus den Quellen heraus zu arbeiten sucht, sondern vor allem der sittlich-ernsten Haltung willen, die in ihnen lebt. Ihr Stil zwar mag nicht selten hart, effekthaschend, sogar rhetorisch aufgeputzt erscheinen, aber dabei tritt überall ein selbständiges, frisches, männliches Urtheil entgegen, ein starker Glaube an die sittliche Kraft, an das Große und Gute in der Geschichte.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die hier vergessene Jahreszahl ist 1858.