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ADB:Kosegarten, Gottfried

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Artikel „Kosegarten, Gottfried“ von Theodor Pyl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 742–745, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kosegarten,_Gottfried&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 08:30 Uhr UTC)
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Kosegarten: Johann Gottfried Ludwig K., geb. am 10. September 1792, ein Sohn des Dichters Ludwig Gotthard (Theobul) K., erhielt seine Erziehung (1796–1808) durch seinen Vater und mehrere Hauslehrer, unter denen Ernst Moritz Arndt und Karl Lappe durch ihre dichterische Begabung, Hermann Baier (seit 1816 Kosegarten’s Nachfolger in Altenkirchen und dessen Schwiegersohn) durch seine tiefe Religiosität, sowie durch seine theologische und philosophische Bildung einen bleibenden Einfluß auf den Sohn ausübten, jedoch nicht insoweit, daß er sich ihnen gegenüber nachahmend verhielt, sondern in der Weise, daß ihr Umgang objectiv seinen Gesichtskreis erweiterte. Denn im Gegensatze zu seinem Vater, dessen dichterische Phantasie und leicht erregbarer Sinn ihn einem wechselnden Lebensberufe und den verschiedensten Richtungen der Poesie und Wissenschaft zuführte, zeigte der Sohn schon von früher Jugend eine Eigenartigkeit des Charakters, welche nicht nur fremden Einflüssen unzugänglich blieb, sondern deren wesentliches Merkmal gerade darin bestand, daß er im Leben wie in der Wissenschaft das Ziel, welches er nach sorgfältiger Prüfung als das richtige erkannte, unverändert, mit Ruhe und Sicherheit in einfacher Auffassung und Form, ohne Wortgepränge und äußere Mittel zu erreichen strebte. Diese Einfachheit und Festigkeit des Sinnes, welche Anfangs von seinem Vater verkannt wurde und denselben zu dem Entschlusse führte, den Sohn durch Baier in den Jahren 1803–1805 in Gemeinschaft mit den Kindern einer Madame Gordon in der Nähe von Lausanne erziehen zu lassen, mochte theils darin begründet sein, daß eine natürliche Reaction den Kindern eine von den Eltern verschiedene Richtung anzuweisen pflegt, theils durch die einsame Lage Altenkirchens auf der rügischen Halbinsel Wittow, theils auch durch den Ernst der Zeit bedingt werden, welcher seine Jugend mit den Eindrücken der französischen Kriege umgab. Als sein Vater 1808 die Professur der Geschichte in Greifswald antrat, begann der Sohn zugleich ebendaselbst seine Universitätsstudien, indem er sich theils den theologischen, theils den historischen Wissenschaften widmete, für welche er sich besonders von den religions-philosophischen Vorlesungen Parow’s (s. d. Art.) und durch die geschichtlichen Forschungen von Rühs (s. d. Art.) angeregt fühlte. Da er sich jedoch im Gebiete der orientalischen Sprachen auf der Greifswalder Hochschule wenig gefördert sah, so begab er sich von 1812–1814 nach Paris, um dort an dem Unterrichte von Silvestre de Sacy theilzunehmen und zugleich aus den orientalischen Handschriften der Pariser Bibliothek ein umfangreiches Material für eigene Forschungen zu gewinnen. Im J. 1814 nach Greifswald heimgekehrt, wirkte er in diesem Fache dort bis 1817 als Adjunct und von 1817–1824 als Professor in Jena. Diese Berufung wurde für ihn besonders dadurch wichtig, daß er damals in nähere Beziehung zu Goethe trat, welcher die Sammlung seines Westöstlichen Divans durch neue Dichtungen und historische Erklärungen erweiterte. K. hatte nämlich die Aufgabe, Goethe’s Kenntnisse der arabischen Schrift und Litteratur durch Erläuterungen und Uebersetzungen der Originale zu fördern und ihn bei der Redaction der neuen Ausgabe des Divans im J. 1819 zu unterstützen. Wie hoch Goethe ihn als Gelehrten und zuverlässigen Charakter stellte, geht theils aus seinen Briefen (in Kosegarten’s Nachlaß), theils aus seinen Bemerkungen in den Noten und Abhandlungen zum Divan und in den Tages- und Jahresheften 1820 hervor. Er bedauerte es daher aufrichtig, als K. im J. 1823 als ordentlicher Professor der Theologie für das Fach der alttestamentlichen Exegese und der orientalischen Sprachen nach Greifswald berufen wurde, fand es jedoch natürlich, daß jener die Liebe zur Heimath in den Vordergrund stellte. Letztere war nicht nur durch persönliche Wünsche und seine häuslichen Verhältnisse – indem seine beiden Gattinnen einer Greifswalder Familie angehörten, – sondern auch durch seine wissenschaftliche [743] Neigung bedingt, indem er neben der orientalischen Litteratur auch die Geschichte und niederdeutsche Sprache Pommerns zum Gegenstande seiner Forschungen auserwählte. Im Anfange seiner Lehrthätigkeit zu Greifswald setzte er zwar die in Jena begonnene Herausgabe morgenländischer Schriften, unter welchen namentlich die „Arabische Chrestomathie und Grammatik“, sowie die „Annales Taberistanenses“ zu erwähnen sind, mit erhöhtem Eifer fort, auch gibt uns sein handschriftlicher Nachlaß zur orientalischen Litteratur (dessen Verzeichniß, Nr. 1–69, von Dr. Hermann Müller im Magazin für Litteratur des Auslandes 1876, Nr. 26, S. 376, bekannt gemacht ist) davon Kunde, wie seine Studien nicht allein die arabische Sprache nach allen Richtungen, sondern auch die türkische und persische Litteratur, sowie das Zend und Sanskrit umfaßten; seit dem Jahre 1837 traten dieselben jedoch mehr in den Hintergrund und die heimathliche Geschichte und Sprache bildete von jener Zeit an das Hauptgebiet, auf welchem er thätig war und eine hervorragende Bedeutung erlangte. Schon während seines früheren Wirkens in Greifswald hatte er im J. 1816 Thomas Kantzow’s „Pomerania“ nach einer Abschrift von A. G. Schwarz herausgegeben und dadurch den Grund für die Erforschung und Verbreitung dieses wichtigen Chronisten der Reformationszeit gelegt; in der Folge, nachdem 1835 die niederdeutsche Bearbeitung von Böhmer und 1841 die kürzere hochdeutsche Pomerania Kantzow’s durch Medem veröffentlicht war und von beiden Zweifel gegen die Echtheit des von Schwarz copirten Originals laut wurden, begründete K. dieselbe durch eine Abhandlung (1842), in welcher er die „Nachricht über die im Archiv zu Putbus 1836 von ihm wieder aufgefundene Urschrift“ zu der Copie von Schwarz, sowie eine kritische Erläuterung des Verhältnisses der verschiedenen Redactionen der Pomerania vorlegte, auch eine genaue zweite Ausgabe nach dem Original versprach, ein Unternehmen, welches leider durch seinen Tod verhindert wurde. Nachdem nun gleichzeitig mit Kosegarten’s Rückkehr im J. 1824 die „Gesellschaft für Pommersche Geschichte“ gestiftet wurde, gab dieser Verein ihm willkommene Gelegenheit, seine historischen Forschungen zu concentriren, Anfangs in der Weise, daß sich seine Arbeiten und die seiner Genossen auf mehrere Gebiete vertheilten, indem Mohnike Sastrow’s Leben und die Stralsunder Chroniken, Fabricius die rügischen Urkunden und Brandenburg Dinnies Leben und die Geschichte des Stralsunder Rathes behandelten, während Dr. Gesterding und K. die „Geschichte Greifswalds“, jener durch seine Beiträge (1827–1829), dieser durch seine Pommerschen Geschichtsdenkmäler (Bd. I, 1834; später v. Ref. fortgesetzt bis Bd. V) erläuterten, welchen sich mehrere Universitätsprogramme, betr. die Reformation und Greifswalds Theilnahme am Hansabunde (1830–1839) anschlossen. Seit dem J. 1836 vereinigte sich jedoch K. mit Hasselbach in Stettin, unter Beihülfe mehrerer auswärtigen Gelehrten, zur Herausgabe des „Codex Pomeraniae diplomaticus“, welcher Dreger’s Urkundenbuch (Nr. 1 d. a. 1140 bis Nr. 446 d. a. 1269; herausgegeben von Oelrichs, 1768) erweitern und berichtigen sollte. Leider war das Werk, als die Herausgeber starben, nur bis zum J. 1253 vollendet und sind die dazu von Dr. Klempin gearbeiteten Regesten und Ergänzungen auch erst nach dessen Tode 1874 vollständig erschienen, während gegenwärtig (1882) das Werk durch Dr. Prümers bis zum J. 1278 gefördert ist. Von der Kritik wurde der Grund des langsamen Fortschreitens darin gesucht, daß K. ähnlich, wie das auch später von Klempin geschah, jeder Urkunde längere historische Erläuterungen und Erklärungen der slavischen Orts- und Personennamen hinzufügte, sowie darin, daß er neben dem Urkundenbuch als zweite größere Arbeit ein ausführliches „Niederdeutsches Wörterbuch“ begann, welches auf einem Gebiete, wo bisher nur das bremische Wörterbuch vom J. 1767 und das von Dähnert von 1781 dem Studium zugänglich waren, den Wortschatz dieser Sprache ebenso umfassend, wie nach den Fortschritten der neueren Kritik berichtigt, darstellen [744] sollte. Betrachten wir diese Einwürfe genauer, so ist freilich nicht zu leugnen, daß die ähnlichen in Mecklenburg unternommenen Arbeiten, sowol das Urkundenbuch unter der Leitung von Lisch, Wigger und Römer, als das Niederdeutsche Wörterbuch von Schiller und Lübben durch die Kürze der Anlage um sehr vieles schneller fortgeschritten sind, andererseits läßt sich nicht verkennen, daß dieselben nur ein geordnetes Material für die Forschung darbieten, während Kosegarten’s Bestreben stets darauf gerichtet war, die Urkunden zugleich für Sprache und Geschichte fruchtbar zu machen. Wir empfangen daher durch die Anmerkungen zum Codex fortgesetzt willkommene Beiträge zur ältesten Pommerschen Geschichte und zur Kenntniß der slavischen Cultur des Landes, welche sowol von den einheimischen Historikern als auch von Miklosich in seinen epochemachenden Schriften über die „Slavischen Personen- und Ortsnamen“ (Wien 1872–1874) als bewährte Hülfsmittel geschätzt und benutzt worden sind. Auch die gleichzeitige Unternehmung des Niederdeutschen Wörterbuchs darf nicht als eine abwegige angesehen werden, da das Studium der Urkunden einen Gelehrten, der für Sprache lebhaftes Interesse hegt, nothwendig zum Sammeln der wichtigen und seltenen Wortformen anregen muß. Daß aber aus dem reichen Collectaneenschatze, welcher nach seinem Tode von den Erben der Universitätsbibliothek geschenkt wurde und der ca. 70 Abtheilungen, in der einen Hälfte urkundliche, in der anderen aber Sammlungen zur niederdeutschen Sprache enthält, nur der Buchstabe „A – angetoget“, sowie eine Reihe niederdeutscher Schriften unter dem Titel „Saxonia“ veröffentlicht worden sind, liegt nicht darin, daß beide große Arbeiten Kraft und Lebensdauer eines Mannes überschreiten, – überzeugen uns doch Adelung’s, Dinnies’ und Dähnert’s Schriften vom Gegentheil – vielmehr darin, daß Kosegarten’s Kenntnisse und Kräfte von zahlreichen anderen Corporationen und Persönlichkeiten ohne Unterbrechung für ihre Zwecke in Anspruch genommen wurden. In dieser Richtung übernahm er (seit 1853) die Redaction der Baltischen Studien für die Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde, für welche er schon seit ihrer Stiftung die Jahresberichte 1–32, betr. die von ihm geleitete Greifswalder Abtheilung, geliefert hatte, und veröffentlichte in derselben sechs größere Abhandlungen: Zur Geschichte des Stettiner Erbfolgestreites von 1464, zur Reformation und zum 30jährigen Kriege, sowie für die Zeit des Großen Kurfürsten; verfaßte ferner für einen Greifswalder Verein „Die Nachricht vom Ursprunge der Stadt“ (1846) und endlich zur Feier des 400jährigen Bestehens der Universität deren „Geschichte mit einem Urkundenbuche und Abbildungen“, in zwei Quartbänden 1856–1857. Zieht man dabei in Betracht, daß alle diese Werke auf den genauesten umfassendsten Forschungen beruhen und in gedrängter Kürze dargestellt sind, so erklärt es sich, daß der Codex und das Wörterbuch unvollendet blieben, umsomehr als K. zugleich unermüdlich bereit war, täglich an ihn gerichtete, mündliche und schriftliche Fragen zu beantworten und oft ganze Tage dazu verwendete, andere Gelehrte mit Rath und That zu unterstützen. Fragen wir aber nach der Ursache, weshalb er, ungeachtet ihm die Folgen nicht verborgen blieben, dennoch die eigenen wissenschaftlichen Interessen zum Wohle anderer zurücksetzte, so haben wir dieselbe in seinem sittlichen Wesen und seiner Herzensgüte zu suchen. Wie er in seiner Jugend von älteren Gelehrten gefördert war und später von den mit ihm strebenden Genossen Beistand empfing, so hielt er sich auch verpflichtet, in erhöhtem Maße Schülern und Gefährten auf ihrer Laufbahn hülfreiche Hand zu leisten und überall, wo ihm der Wunsch nach Belehrung ausgesprochen wurde, demselben entgegen zu kommen und auch dem Laien Auskunft zu ertheilen. In diesem sittlichen Verhalten wurde er auch von der Einsicht geleitet, daß die Wissenschaft nicht egoistischen oder äußerlich glänzenden Zwecken diene, sondern [745] zu höherem Ziele auf gemeinsamem Wirken aller Kräfte begründet sei. Je wohlwollender er nun in dieser Richtung empfand und handelte, desto entschiedener trat er allen oberflächlichen Gesinnungen und rücksichtslosen Forderungen entgegen, welche unter dem Scheine, dem allgemeinen Besten zu nützen, auf politischem, kirchlichen und wissenschaftlichem Gebiete selbstische und gehaltlose Zwecke verfolgten, hatte er doch aus seinem vieljährigen theologischen und historischen Wirken die Erfahrung gewonnen, wie wandelbar und unzuverlässig solche Strömungen seien, und wie nur auf sorgfältig erprobten Gemüthern und Einrichtungen Heil und Segen beruhe. Als er in solchem stetigen Walten nun das 68. Lebensjahr erreicht hatte, begannen seine körperlichen Kräfte zu sinken, allmählich und mit schmerzlichem Gefühl sah er sich gezwungen von seinen Vorlesungen und litterarischen Arbeiten zu scheiden, da ein unheilbares Nervenleiden jede Anstrengung verbot; doch hörte er nicht auf bis kurz vor seinem Ende seine hülfreiche Gesinnung zu bethätigen und beantwortete noch ein an ihn gerichtetes Schreiben eines jungen Theologen vom 15. August. Als ihn dann am 18. Aug. 1860 ein sanfter Tod aus dem Kreise seiner Familie und seiner Mitbürger hinwegnahm, beklagte nicht nur die Universität und die Wissenschaft den Verlust eines hervorragenden Gelehrten, sondern in noch höherem Grade empfand es die Rügisch-Pommersche Heimath, daß sie in K. den Pfleger ihrer Geschichte und Sitte, ihrer Sprache und ihrer Gedanken verlor, in dessen Leben und Wirken ihr eigenes Wesen wie in einem Vorbilde verkörpert war.

L. G. Kosegarten’s Leben von seinem Sohne J. G. L. beschrieben; Bd. XII, 1826. Schäfer, Kosegarten’s Nekrolog, Balt. Studien XX. 2, Jahresbericht XXXIII S. 58–70. Balt. Studien III, 2 S. 172, 228, 253; VII, 1 S. 254, 290, 291; 2. 152; X, 1 S. 209; XI, 1 S. 143; XV, 2, 77. Acten der Rüg.-Pomm. Abth. der Ges. f. Pomm. Geschichte. Pyl, Pomm. Geschichtsdenkmäler IV, S. 3. Goethe’s Anm. zum Divan u. Tages- u. Jahreshefte, 1820. Atterbom’s Reiseerinnerungen in Deutschland, a. d. Schwed. übers. v. Maurer, 1867, S. 7–12. E. M. Arndt, Erinnerungen a. d. Leben, S. 76.